So, hier wärs, leider ein bisschen kurz, soll aber auch nur ein kleines Weihnachtsschmalnkerl sein...
Teil 3
~~~~Lorelai Gilmore~~~~
1968-1986
Tochter und Mutter,
geliebt und für immer in unseren Herzen
ruhe in Frieden, mein Kind
Immer wieder liest sie die Aufschrift des Grabes, nur leicht spürt sie den Arm ihrer GroÃmutter auf ihrer Schulter. War sie es damals gewesen, die diesen Spruch auf das Grab schreiben lieÃ? Falls es sie gewesen ist, warum steht sie dann trotzdem hier, neben ihrer Enkeltochter. Neben ihrem Mann, den sie so fest umklammert. Sie weint nicht, keiner der drei weint. Warum nicht? Ist es nicht natürlich zu weinen? Ist es nicht das natürlichste der Welt, seine Gefühle zu zeigen? Warum weinen sie dann nicht? Sie hätte es nicht gewollt. Sie hätte nicht gewollt dass man wegen ihr weint. Sie hätte nicht der Grund schlafloser Nächte sein wollen â und doch war sie es.
Unsicher blickt Emily ihre Enkeltochter an. Diese nickt, atmet noch einmal tief ein, wendet den Blick nicht von dem Grabstein. Er ist elfenbeinfarben, so wie sie es gewollt hätte. Sie war eine fröhliche Person, ihre Haare waren zwar rabenschwarz, doch ihre Seele jauchzte vor Fröhlichkeit. Immer hat sie gelächelt, hatte immer einen flotten Spruch auf den Lippen, strahlte. Genauso wie sie selbst sollte auch der Grabstein strahlen, sollte schön sein, sollte auffallen. Emily drückt ihre Enkeltochter sanft in Richtung Ausgang. Auch ihr GroÃvater war plötzlich an ihrer Seite und legt einen Arm um sie, zwingt sie so, mit ihnen mit zu gehen. Was ist los mit ihr? Nie möchte sie diesen Ort aufsuchen, wehrt sich innerlich dagegen auch nur einen Fuà auf diese Erde zu setzen, doch dann, dann steht sie vor dem Grab und möchte nicht mehr weggehen. Möchte sich an das Grab setzen, mit ihr sprechen. Mit ihrer Mutter reden. Und doch wird sie immer wieder weggezogen, gezwungen zu gehen. Noch einmal dreht sie sich um, betrachtet den strahlenden Grabstein. âGood bye, Mommy, vergiss mich nicht, nächstes Jahr bin ich wieder bei dirâ¦â
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Vorsichtig wickelt sie das Päckchen aus. Im Hintergrund läuft klassische Musik. Als sie 10 war, hat sie zum ersten Mal die groÃe Anlage im Hinterzimmer entdeckt, die mit allen anderen Zimmern verbunden ist. Wie war sie damals nicht enttäuscht. Sie dachte immer, das haus wäre irgendwie magisch, überall klang Musik, ohne dass sie jemanden spielen gesehen hätteâ¦.
âLorelai, du darfst das Päckchen schon aufmachen!â
Verwirrt sieht sie ihren GroÃvater an. Warum versinkt sie in letzter Zeit so oft in ihren Gedanken?
Sie macht sich wieder ans auspacken. Eine dunkelrote Samtschachtel kommt zum Vorschein. Verwirrt sieht sie ihre GroÃeltern an, wie sie stolz und aufrecht auf der elfenbeinfarbenen Couch sitzen. Das Bild des Grabsteins kommt ihr wieder in den Sinn. Ist das Zufall? Noch nie ist ihr aufgefallen, dass die Farbe der Couch und die des Grabsteins vollkommen identisch sind.
âLorelai, wo bist du mit deinen Gedanken? Du wirkst so abwesend!â
âEs tut mir Leid Grandma, ich musst nur eben an⦠Nein, es geht mir hervorragend, die Geschenke sind einfach wunderbarâ¦â Die letzten Worte gehen in einem Schluchzer unter. Erschrocken sehen sie ihre GroÃeltern an, was ist nur los mit ihr? Wortlos erhebt sie sich, entschuldigt sich bei ihren GroÃeltern und läuft in ihr Zimmer. Vollkommen perplex sitzen Emily und Richard Gilmore in ihrem Wohnzimmer und sehen ihrer Enkelin nach, die im Vorbeirennen beinahe den Christbaum mitgenommen hätte.
Leise schlieÃt sie die Tür hinter sich und lehnt sich dagegen. Sie atmet tief ein und aus, so wie sie es in einer ihrer Yoga-Stunden gelernt hat. Hat sie das eben wirklich getan? Hat sie wirklich ihre GroÃeltern vor dem Weihnachtsbaum sitzen lassen und ist weggerannt? Nein, das kann nicht sie selbst sein, irgendetwas, irgendjemand muss in sie gefahren sein. Und diese Tränen! Schon wieder füllen sich ihre Augen mit Wasser und sie kann sie beim besten Willen nicht aufhalten. Sie konnte sich doch bis her so gut zusammenreiÃen. Hat sie bei der 10-jährigen Todesandacht geweint? Nein, sie ist stumm auf ihrem Sessel gesessen und hat ihren GroÃeltern und dem Pfarrer zugehört. Weint sie, wenn sie Paris mit ihrer Mom scherzen sieht? Nein, sie weint nicht, lacht mit, lacht so lange bis sie weint, weint weil sie so viel lachen muss. Aber jetzt, sie ist vollkommen durcheinander. Ihr ganzer Körper zittert, sie kann sich nur mit Mühe zu ihrem Bett tasten. Es ist ihr egal, wie lange das Hausmädchen an ihrer Bettwäsche gefummelt hat, sie lässt sich einfach darauf fallen und gräbt ihr Gesicht in den Kopfpolster. Und die Tränen wollen und wollen nicht weniger werden. Kann ein Mensch wirklich so viel weinen? Warum weint sie überhaupt? Es ist Weihnachten, das Fest der Liebe, das Fest der Familie. Familie, bei diesem Wort gibt es ihr einen Stich in die Brust. Das ist es also? Darum ist sie schon seit Wochen ein emotionales Wrack? Darum fängt sie bei jeder Kleinigkeit ohne ihren Willen zu weinen an? Nach 15 Jahren ist sie nun endlich darauf gekommen, dass ihr ihre Mutter fehlt? Ihre Mutter, die sie nie richtig kennen gelernt hat? Ihre Mutter, die sie nur von Erzählungen und Fotos kennt? Das soll es also wirklich sein? Es ist lächerlich! Sie weint einer Frau nach, die sie gar nicht kennt. Wenn es so lächerlich ist, warum kann sie dann nicht aufhören? Warum kann sie verdammt noch mal nicht aufhören ständig zu weinen!? Sie bemerkt gar nicht wie sie auf ihren Polster einschlägt, schreit, als sie plötzlich von zwei starken Händen festgehalten wird.
âRory, Rory! Beruhige dich! Was ist denn in dich gefahren?!â
Rory, wer nennt sie Rory? Sie nannte sie so. Ihr Name war Lorelai, genauso wir ihr eigener, doch sie nannte sie Rory, weil sie noch so klein war. Es hört nicht auf, wer ruft nach ihr? Sie blickt auf. Ãber ihr steht ihr GroÃvater, er hält sie an beiden Armen fest, sein Gesicht ist schon ganz rot vor Anstrengung. Hinter ihm, ihre GroÃmutter. Ihre Augen sind weit aufgerissen und sie hält sich eine Hand vor den Mund. Langsam beruhigt sie sich, hört auf zu zappeln, versucht sich nicht mehr aus den Armen ihres GroÃvaters zu winden. Im Gegenteil, sie wirft sich in seine Arme, liegt in seinen Armen wie ein Baby und schluchzt laut. Sie versucht sich zu entschuldigen, bringt jedoch kein Wort heraus. Doch Richard versteht, auch Emily weià was ihre Enkeltochter sagen will. Lange Minuten vergehen, ihr Schluchzen wird immer leiser und leiser, bis man nur noch ein leises Wimmern vernimmt. Sanft versucht Richard sich von seiner Enkeltochter zu lösen, doch diese klammert sich noch fester an ihn. Besorgt mustert Emily das Szenario, erinnert sich wie lange und wie oft sie so in seinen Armen gelegen ist. Das ist es was ihre Enkeltochter nun braucht. Langsam durchquert sie den Raum, holt eine Decke aus dem Schrank und breitet sie über Richard und ihre Enkelin aus. Richard wirft ihr einen fragenden Blick zu, doch sie nickt nur und setzt sich an den anderen Rand des Bettes...
~Marie~