03.06.2007, 08:20
Es schien Sarah als erreichte sie ihr Elternhaus heute früher als jemals zuvor. Sie wünschte sich, die Fahrt würde ewig dauern, niemals enden. Doch nach zehn Minuten, welche wie nur zwei schienen, hielt der Bus schlieÃlich an der Haltestelle. Sarah nickte leicht, ohne Eduardo anzusehen. Er zog sie sanft hoch, sie verlieÃen den Bus ohne zu sprechen. Wie in Trance ging sie den Gehsteig zu dem Haus hinunter. Wie sie es schon seit vielen Jahren tat, und doch ganz anders. Vor dem Gartentor blieb sie zögernd stehen. Die Tränen brannten auf ihrem Gesicht. Sie zitterte am ganzen Körper, spürte selbst nicht als Eduardo sie nochmals in seine Arme zog. Er küsse ihr die letzten Tränen zärtlich von den kalten Wangen. Sie fröstelte, als sie seinen heiÃen Atem auf ihrer Haut spürte. âAlles wird gut.â Sagte er erneut.
Sarah blickte in seine Augen, welche sie mit soviel Liebe zu betrachten schienen. SchlieÃlich fasste sie Mut und sperrte das Tor auf. Sie trat entschlossen zur Eingangstür des Hauses und steckte den Schlüssel ins Schloss. Bevor sie ihn drehte, atmete sie nochmals tief durch. Der Ring auf ihrem Finger schien zu brennen. Doch es war kein bedrohlicher Schmerz, es war ein wärmendes Feuer, welches ihr eine gewisse Kraft verlieh. Sie betraten das Haus. Aus dem groÃen Wohnzimmer, welches abends auch als Essraum fungierte, drangen Stimmen. Sarah schloss leise die Tür und streifte die FüÃe auf der braunen Matte ab. Eduardo machte es ihr gleich. Sie zogen Mäntel und Schuhe aus und traten näher. Sarah blieb zögernd vor der Tür stehen. Ihre Familie hatte sie nicht kommen gehört, zu sehr schien sie in ein Gespräch vertieft. Sarah wollte gerade das Zimmer betreten, als sich die Stimmen plötzlich energisch hoben und sie verstand, worum es ging. Sie fluchte leise. âNein, nicht schon wieder. Nicht heute. Bitte nur nicht heute.â Eduardo drückte sanft ihre Hand.
Ilse stellte das Bierglas mit einem Schwung ab, dass Sarah glaubte, es würde brechen. âWas muss ich mir da von dir sagen lassen?â Sie funkelte Sarahs Vater wütend an.
Noah erwiderte ihren Blick. âMuss ich es wiederholen? Bist du schon schwerhörig geworden? Hast du dafür keine alternative Medizin?â Der Unterton war unüberhörbar.
âMeine Ohren funktionieren tadellos, mein Lieber. Was bildest du dir eigentlich ein mir zu unterstellen, ich würde meine Enkeltochter gegen dich aufhetzen...â
âMutter...â Majas Beschwichtigungsversuch war vergeblich.
âDeine Tochter ist sechzehn! Sie versteht eben, ganz im Gegensatz zu Maja, dass du nicht hier bist, weil du deine Familie liebst. Meine Mädchen waren dir doch immer gleichgültig!â
âVergreif dich nicht im Ton, das ist noch immer mein Haus!â
âSeit der Scheidung ist es Majas Haus! Daran konnte auch die erneute Heirat nichts ändern!â Ilse wandte sich an Maja. âWusstest du, wie hoch er in Wirklichkeit verschuldet ist? Gibt dir das nicht zu denken? Wie dumm kann man eigentlich sein? Wehe, du leihst ihm auch nur eine einzige Krone!â
Noah schlug mit der Faust auf den Tisch auf. Sein Gesicht war wutverzerrt. âWas bildest du dir eigentlich ein? Ist dir eigentlich bewusst, was du mir hier unterstellst?â
âIch bin mir meiner Worte immer bewusst, ganz im Gegensatz zu dir!â
Eduardo zog Sarah sanft an sich. âIst es besser, wenn ich gehe?â Flüsterte er.
Sie wandte den Blick nicht von ihrer Familie. âNein...was sollâs? So geht es seit Monaten täglich zu. Vor allem wenn GroÃmutter auch hier ist.â Sie seufzte leise. âDu kennst so etwas bestimmt nicht...â Sarah ergriff seine Hand und dirigierte ihn sanft in das Zimmer. Der Boden knarrte, als sie den Raum betraten. Sarahs Eltern und ihre GroÃmutter drehten sich irritiert zu ihnen. Ein bedrohliches Schweigen entstand. Die Kälte der Stille schien Sarahs Herz zu durchbohren. Maja fing sich als erstes. âDer Abend wird ja immer besser.â Sie schenkte Eduardo einen wütenden Blick. âIch kann mich nicht erinnern, Sie in unser Haus eingeladen zu haben!â
Er wollte etwas sagen, doch Sarah kam ihm zuvor. âIch habe ihn eingeladen.â
Maja schenkte Ilse einen vorwurfsvollen Blick. Diese schüttelte nur stumm den Kopf. âKommt denn noch jemand? Du solltest es uns in Zukunft mitteilen, wenn du noch weitere Gäste einlädst. Aber das hast du wohl von deiner Mutter...â Ilse gab Noah mit einem weiteren Blick zu verstehen, wie sehr sie ihn verachtete.
âSarah, wir sprechen uns in der Küche. Sofort!â Maja wollte sich gerade erheben, als ihre Tochter entschieden den Kopf schüttelte. âNein. Das was ich...wir zu sagen haben, sollen alle hören.â Ihre Stimme begann zu zittern.
Maja blickte sie fassungslos an. âSag mir jetzt bloà nicht, dass du schwanger bist!â Sie wandte sich an Eduardo. âWenn Sie ihr auch nur in irgendeiner Weise zu nahe getreten sind, werden Sie das bitter bereuen!â
âIch bin nicht schwanger!â
Ilse schüttelte den Kopf. âSarah, du hattest geschworen, dass ihr keinen Kontakt mehr hättet!â
âIch würde niemals schwören, das weiÃt du. Du hast mir gelehrt, dass man nicht schwören darf. Lass es mich bitte erklären...â Sarah räusperte sich. Der Druck auf ihrem Herzen schien ihr die Luft zu nehmen. Sie glaubte einen Moment zu ersticken.
Noah nickte ihr zu. âLasst die beiden doch erst einmal setzen und dann hören wir uns an, was sie uns zu sagen haben.â Sagte er mit ruhiger Stimme. Sarah schenkte ihm einen kurzen, aber dankbaren, Blick.
âWas geht dich das an?â Ilse funkelte ihn wütend an. âDu weiÃt doch gar nicht, worum es geht! HeiÃt du es etwa gut, dass deine minderjährige Tochter mit einem älteren Mann verkehrt? Es ist dir wahrscheinlich gleichgültig, habe ich Recht? Oder schlägst du dich jetzt nur auf ihre Seite um Pluspunkte zu gewinnen? Dafür ist Sarah zu klug...auch wenn sie offensichtlich verdammt naiv sein kann!â
âGroÃmama...Mutter...bitte...â Sarah blickte die beiden flehend an. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.
Maja verschränkte die Arme vor der Brust und wies mit dem Kinn auf die beiden freien Stühle. âGut...setzt euch.â Der Tonfall ihrer Stimme war kälter als der Eissturm, welcher im Jahr zuvor über Teile des Landes gezogen war. Sarah fröstelte.
Bevor sie ihren Worten folgten, stellte Sarah ihrem Vater Eduardo vor. Ersterer bot letzterem sogleich die Anrede mit Vornamen an, was von Ilse mit einem abfälligen Zischen kommentiert wurde.
Nachdem sie sich gesetzt hatten, wandte sich Eduardo an Ilse und Maja. âIch versichere Ihnen nochmals, dass meine Absichten Sarah gegenüber in jeder Weise ehrenhaft sind. Sie ist eine wunderschöne und intelligente junge Frau. Ich respektiere und liebe sie...â
Ilse fuhr ihm aufgebracht ins Wort. âSie ist ein Mädchen, keine Frau!â
âGroÃmama...â Sarah bemühte sich selbstbewusst zu klingen, ihre Stimme begann jedoch zu stocken. Erst als Eduardo unter dem Tisch nach ihrer Hand tastete, begann sich der Druck auf ihrem Herzen ein wenig zu lösen. âEs tut mir Leid, dass ich dich belogen habe, wirklich. Ich hatte Angst, aber das ist keine Entschuldigung, ich weiÃ. Wir hatten die ganze Zeit über regelmäÃigen Kontakt und ich bin mir meiner Liebe zu ihm sicherer als jemals zuvor. Du glaubst doch an Schicksal, GroÃmama...â
âDu weiÃt nicht wovon du sprichst, mein Kind...â Ilses Stimme wurde sanfter.
âWoher willst du das wissen? Woher wollt ihr wissen, wie ich empfinde? Wie es in meinem Herzen aussieht?â Die Verzweiflung schrie aus ihrem blutenden Herzen, die Tränen hinterlieÃen eine Spur auf der hellgelben Tischdecke.
âDu kennst ihn doch erst viel zu kurze Zeit. Liebe...Liebe muss wachsen...â
âDu hast doch auch sofort gewusst, dass du GroÃvater liebst.â Sarah schüttelte verständnislos den Kopf. âDas hast du mir so oft erzählt.â
âWarum erzählst du ihr so einen Unsinn?!â Empörte sich Maja. âKein Wunder, dass sie sich so verhält! Dieses Buch, welches sie ständig liest, hat ihren naiven Glauben wahrscheinlich zusätzlich bestärkt. â
Ilse ignorierte ihre Tochter und wandte sich an Sarah. âDas mit deinem GroÃvater und mir war etwas anderes. Erstens waren wir beide achtzehn und zweitens kannten wir uns nicht nur aus Briefen!â
âBriefe sind oftmals viel ehrlicher und persönlicher als gesprochene Worte.â Entgegnete Sarah.
âDass denke ich nicht, denn bei Gesprächen siehst du in die Augen eines Menschen...in das Tor zu ihren Seelen.â
âBei Briefen siehst du aber tief in ihr Herz. Eduardo kennt mich besser als jeder andere, und umgekehrt ist es genauso.â
Eduardo nickte und strich Sarah die letzte Träne von der Wange. âJa, das stimmt.â
âEs ist die Hand, welche die Feder führt, mein Kind, nicht das Herz. Schreiben kann man viel...â
âIch war immer ehrlich zu ihrer Enkeltochter. Wollte ich lediglich einem unehrlichen, und meiner Meinung, nach vollkommen abstoÃenden und moralisch inakzeptablen, Spaà nachgehen, könnte ich diesen in meinem Land sehr viel billiger erhalten. Ich könnte mir die teuren Telefonate und Flugkosten ersparen.â
Noah nickte. âWie alt sind Sie denn, wenn ich fragen darf?â
Ilse seufzte genervt.
âEinundzwanzig.â Antwortete Eduardo.
âUnd wie finanzieren Sie diese Telefonate und Reisen?â
âMeinem Vater gehört eines der gröÃten Unternehmen Kolumbiens. Ich arbeite schon seit sechs Jahren für ihn.â Er erklärte kurz worin sein genauer Tätigkeitsbereich bestand.
Noah nickte. âDas klingt nach einem vernünftigen Arbeitsplatz.â
âUm das geht es hier nicht!â Maja schüttelte wütend den Kopf. âDu bist erst sechzehn, Sarah. Für dich mögen es nur Zahlen sein, aber es sind mehr als das. Du investierst zu viel in deine erste Liebe. Es werden noch viele folgen. Du hast dich die letzten Monate immer mehr zurückgezogen...ich dachte anfangs nur wegen Noah und mir, aber nun weià ich es ja...â
âMutter, hier geht es um mehr als um meine erste Jugendliebe...â Sarah strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Dabei funkelte der Ring im Schein der Lampe auf. Sie trug ihn normalerweise nur auÃer Haus oder wenn sie alleine in ihrem Zimmer war. Vorhin hatte sie ihn zum ersten Mal nicht abgenommen. Wie in einem schlechten Film, fiel er Maja sofort ins Auge. âWas ist das?â Sie schüttelte ungläubig den Kopf, kannte die Antwort bereits.
Sarah legte die Hand zögernd auf die Tischfläche. âSowie es auch für GroÃmama nur einen einzigen Mann gegeben hat, gibt es auch für mich nur einen. Das weià ich, das spüre ich tief in meinem Herzen. Wir lieben uns. Da spielt das Alter doch keine Rolle. AuÃerdem liegen lediglich etwas über fünf Jahre zwischen uns. Das ist doch nicht viel. Und ich bin reifer als andere meines Alters, das hast du selbst einmal gesagt...â
âNicht in dieser Beziehung...â
Sarah schüttelte den Kopf. âWir lieben uns, und nichts wird uns auseinander bringen können. Wir...â Sie blickte zu Eduardo, welcher ihr aufmunternd zu lächelte. âWir haben uns verlobt...schon letztes Jahr. Ich möchte Eduardo von ganzem Herzen heiraten.â
Ilse blickte ungläubig zu Maja. Diese starrte ihre Tochter erst wortlos an, ehe sie sich wieder fing. âHast du deinen Verstand jetzt vollkommen verloren?â Ihre Stimme hob sich. âWie hast du dir das vorgestellt? Wann gedenkt ihr denn zu heiraten? Wo werdet ihr wohnen?â
âWir möchten nicht länger warten, würden gerne noch im Dezember heiraten. Eduardo besitzt ein Haus in der Nähe von Bogotá, dort werden wir wohnen...â
âUnd was ist mit der Schule? Du willst für ihn also alles aufgeben?â
âIch werde arbeiten. Das ist das, was ich von Herzen möchte. Bei Eduardo zu sein...als seine Frau. Ich kann auch in Kolumbien eine Ausbildung machen.â
Maja funkelte Eduardo wütend an. âBesitzen Sie keinen Funken Gewissen und Anstand?â
Auch Ilse empörte sich. âSie bringen das Mädchen dazu, dass sie ihr Leben wegwirft! Hier hat sie alle Chancen der Welt!â
âIch würde Sarah nie zu etwas zwingen.â Entgegnete Eduardo. âIch werde sie in allem unterstützen, was sie tun möchte. Wir haben auch hervorragende Schulen und Universitäten.â
âSie können sich diese ja offenbar leisten.â Bemerkte Maja spitz und wandte sich an Sarah. âWillst du dich finanziell abhängig machen? Er kann dann tun mit dir, was immer er möchte, das ist dir hoffentlich klar? Dort hilft dir niemand! Du wärst ganz auf dich gestellt!â
Eine Falte bildete sich auf Eduardos Stirn. Man konnte ihm ansehen, wie schwer es ihm fiel sich zu beherrschen. âIch würde niemals...â
Sarah fiel ihm ins Wort. âEr würde mich niemals ausnützen, niemals! Ich würde auÃerdem auf jeden fall nebenbei arbeiten und selbst etwas verdienen. Ich dachte, ihr würdet mich lieben und hinter mir stehen!â
âGerade deshalb werde ich dieser Hochzeit auch niemals zustimmen. Und ohne meine Zustimmung darfst du rechtlich noch gar nicht heiraten.â
Sarahs Augen begannen zu tränen. âGroÃmama...â Sie warf Ilse einen verzweifelten Blick zu, doch diese schüttelte den Kopf.
âDiesbezüglich bin ich auf der Seite deiner Mutter. Du bist zu jung um zu heiraten. Zudem kennt ihr euch noch nicht lange genug.â Sie wandte sich an Eduardo. âUnd ich habe schon zu viele gute Schauspieler kennen gelernt um Ihrer reinen Fassade so schnell Glauben zu schenken!â
Noah blickte von Sarah zu Maja, welche Eduardo wütend musterte. âLasst uns essen und später nochmals in Ruhe über alles sprechen.â
âMir ist der Appetit vergangen...â Murmelte Ilse.
âSag bloÃ, du ziehst auch nur in Erwägung dieser Beziehung zuzustimmen?!â Maja blickte Noah ungläubig an.
âIch habe Eduardo als sehr freundlichen jungen Mann kennen gelernt, bis jetzt hat er mich noch nicht vom Gegenteil überzeugt.â Er blickte zu Sarah, welche ihn irritiert musterte. âAber was die Hochzeit betrifft, muss ich deiner Mutter zustimmen. Du bist noch zu jung und unerfahren.â
Sarah spürte wie sich der unsichtbare Dolch immer weiter in ihr blutendes Herz schob. Sie begann zu zittern. âWoher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht!â Ihre Stimme hob sich. Eduardo strich ihr beruhigend über den Handrücken, sie entzog ihm jedoch die Hand und erhob sich. âDu hast dich nie für mich interessiert und meinst mich zu kennen?! Du hast nie irgendetwas für mich getan! Niemals!â Sie wandte sich an Maja und Ilse. âUnd ihr...ich dachte, ihr würdet mich kennen. Dabei haltet ihr mich für ein dummes Kind. Ihr hört mir gar nicht zu, wollt gar nichts von meinen Gefühlen wissen. Es interessiert euch gar nicht, was ich empfinde. Ich möchte etwas tun, was nicht in eurer Bild, nicht in eure Vorstellungswelt, passt. Das ist Grund genug für euch mir gar nicht richtig zuzuhören. Zu urteilen, bevor ihr versteht!â
âSarah! Hör auf dich so zu benehmen! Du willst als Erwachsene behandelt werden, also verhalte dich auch so! Im Moment benimmst du dich wie ein trotziges Kleinkind! Geh auf dein Zimmer, ich möchte dich heute nicht mehr sehen!â
Sarah starrte ihre Mutter ungläubig an.
âWirke ich, als würde ich scherzen? Du sollst sofort auf dein Zimmer gehen! Wir reden morgen weiter!â
Sarah tauschte einen kurzen Blick mit Eduardo, welcher ihr einen aufmunternden Blick schenkte. Ohne sich noch ein letztes Mal umzudrehen verlieà sie das Zimmer und rannte in ihr Schlafzimmer. Sie vernahm auf ihrem Weg noch die letzten Worte, die ihre Mutter mit Eduardo wechselte.
âSie gehen wohl ebenfalls besser...â
Er nickte leicht. âIch wollte Ihnen nur sagen...â
âVerlassen Sie mein Haus!â Fuhr Maja ihm ins Wort. âAuf der Stelle.â
Sarah presste das Gesicht an ihr Kopfkissen und weinte. Alles schien hoffnungslos. Sie würde für immer hier festsitzen. Ihr Körper zitterte, als sie hysterisch zu schluchzen begann.
Sarah blickte in seine Augen, welche sie mit soviel Liebe zu betrachten schienen. SchlieÃlich fasste sie Mut und sperrte das Tor auf. Sie trat entschlossen zur Eingangstür des Hauses und steckte den Schlüssel ins Schloss. Bevor sie ihn drehte, atmete sie nochmals tief durch. Der Ring auf ihrem Finger schien zu brennen. Doch es war kein bedrohlicher Schmerz, es war ein wärmendes Feuer, welches ihr eine gewisse Kraft verlieh. Sie betraten das Haus. Aus dem groÃen Wohnzimmer, welches abends auch als Essraum fungierte, drangen Stimmen. Sarah schloss leise die Tür und streifte die FüÃe auf der braunen Matte ab. Eduardo machte es ihr gleich. Sie zogen Mäntel und Schuhe aus und traten näher. Sarah blieb zögernd vor der Tür stehen. Ihre Familie hatte sie nicht kommen gehört, zu sehr schien sie in ein Gespräch vertieft. Sarah wollte gerade das Zimmer betreten, als sich die Stimmen plötzlich energisch hoben und sie verstand, worum es ging. Sie fluchte leise. âNein, nicht schon wieder. Nicht heute. Bitte nur nicht heute.â Eduardo drückte sanft ihre Hand.
Ilse stellte das Bierglas mit einem Schwung ab, dass Sarah glaubte, es würde brechen. âWas muss ich mir da von dir sagen lassen?â Sie funkelte Sarahs Vater wütend an.
Noah erwiderte ihren Blick. âMuss ich es wiederholen? Bist du schon schwerhörig geworden? Hast du dafür keine alternative Medizin?â Der Unterton war unüberhörbar.
âMeine Ohren funktionieren tadellos, mein Lieber. Was bildest du dir eigentlich ein mir zu unterstellen, ich würde meine Enkeltochter gegen dich aufhetzen...â
âMutter...â Majas Beschwichtigungsversuch war vergeblich.
âDeine Tochter ist sechzehn! Sie versteht eben, ganz im Gegensatz zu Maja, dass du nicht hier bist, weil du deine Familie liebst. Meine Mädchen waren dir doch immer gleichgültig!â
âVergreif dich nicht im Ton, das ist noch immer mein Haus!â
âSeit der Scheidung ist es Majas Haus! Daran konnte auch die erneute Heirat nichts ändern!â Ilse wandte sich an Maja. âWusstest du, wie hoch er in Wirklichkeit verschuldet ist? Gibt dir das nicht zu denken? Wie dumm kann man eigentlich sein? Wehe, du leihst ihm auch nur eine einzige Krone!â
Noah schlug mit der Faust auf den Tisch auf. Sein Gesicht war wutverzerrt. âWas bildest du dir eigentlich ein? Ist dir eigentlich bewusst, was du mir hier unterstellst?â
âIch bin mir meiner Worte immer bewusst, ganz im Gegensatz zu dir!â
Eduardo zog Sarah sanft an sich. âIst es besser, wenn ich gehe?â Flüsterte er.
Sie wandte den Blick nicht von ihrer Familie. âNein...was sollâs? So geht es seit Monaten täglich zu. Vor allem wenn GroÃmutter auch hier ist.â Sie seufzte leise. âDu kennst so etwas bestimmt nicht...â Sarah ergriff seine Hand und dirigierte ihn sanft in das Zimmer. Der Boden knarrte, als sie den Raum betraten. Sarahs Eltern und ihre GroÃmutter drehten sich irritiert zu ihnen. Ein bedrohliches Schweigen entstand. Die Kälte der Stille schien Sarahs Herz zu durchbohren. Maja fing sich als erstes. âDer Abend wird ja immer besser.â Sie schenkte Eduardo einen wütenden Blick. âIch kann mich nicht erinnern, Sie in unser Haus eingeladen zu haben!â
Er wollte etwas sagen, doch Sarah kam ihm zuvor. âIch habe ihn eingeladen.â
Maja schenkte Ilse einen vorwurfsvollen Blick. Diese schüttelte nur stumm den Kopf. âKommt denn noch jemand? Du solltest es uns in Zukunft mitteilen, wenn du noch weitere Gäste einlädst. Aber das hast du wohl von deiner Mutter...â Ilse gab Noah mit einem weiteren Blick zu verstehen, wie sehr sie ihn verachtete.
âSarah, wir sprechen uns in der Küche. Sofort!â Maja wollte sich gerade erheben, als ihre Tochter entschieden den Kopf schüttelte. âNein. Das was ich...wir zu sagen haben, sollen alle hören.â Ihre Stimme begann zu zittern.
Maja blickte sie fassungslos an. âSag mir jetzt bloà nicht, dass du schwanger bist!â Sie wandte sich an Eduardo. âWenn Sie ihr auch nur in irgendeiner Weise zu nahe getreten sind, werden Sie das bitter bereuen!â
âIch bin nicht schwanger!â
Ilse schüttelte den Kopf. âSarah, du hattest geschworen, dass ihr keinen Kontakt mehr hättet!â
âIch würde niemals schwören, das weiÃt du. Du hast mir gelehrt, dass man nicht schwören darf. Lass es mich bitte erklären...â Sarah räusperte sich. Der Druck auf ihrem Herzen schien ihr die Luft zu nehmen. Sie glaubte einen Moment zu ersticken.
Noah nickte ihr zu. âLasst die beiden doch erst einmal setzen und dann hören wir uns an, was sie uns zu sagen haben.â Sagte er mit ruhiger Stimme. Sarah schenkte ihm einen kurzen, aber dankbaren, Blick.
âWas geht dich das an?â Ilse funkelte ihn wütend an. âDu weiÃt doch gar nicht, worum es geht! HeiÃt du es etwa gut, dass deine minderjährige Tochter mit einem älteren Mann verkehrt? Es ist dir wahrscheinlich gleichgültig, habe ich Recht? Oder schlägst du dich jetzt nur auf ihre Seite um Pluspunkte zu gewinnen? Dafür ist Sarah zu klug...auch wenn sie offensichtlich verdammt naiv sein kann!â
âGroÃmama...Mutter...bitte...â Sarah blickte die beiden flehend an. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.
Maja verschränkte die Arme vor der Brust und wies mit dem Kinn auf die beiden freien Stühle. âGut...setzt euch.â Der Tonfall ihrer Stimme war kälter als der Eissturm, welcher im Jahr zuvor über Teile des Landes gezogen war. Sarah fröstelte.
Bevor sie ihren Worten folgten, stellte Sarah ihrem Vater Eduardo vor. Ersterer bot letzterem sogleich die Anrede mit Vornamen an, was von Ilse mit einem abfälligen Zischen kommentiert wurde.
Nachdem sie sich gesetzt hatten, wandte sich Eduardo an Ilse und Maja. âIch versichere Ihnen nochmals, dass meine Absichten Sarah gegenüber in jeder Weise ehrenhaft sind. Sie ist eine wunderschöne und intelligente junge Frau. Ich respektiere und liebe sie...â
Ilse fuhr ihm aufgebracht ins Wort. âSie ist ein Mädchen, keine Frau!â
âGroÃmama...â Sarah bemühte sich selbstbewusst zu klingen, ihre Stimme begann jedoch zu stocken. Erst als Eduardo unter dem Tisch nach ihrer Hand tastete, begann sich der Druck auf ihrem Herzen ein wenig zu lösen. âEs tut mir Leid, dass ich dich belogen habe, wirklich. Ich hatte Angst, aber das ist keine Entschuldigung, ich weiÃ. Wir hatten die ganze Zeit über regelmäÃigen Kontakt und ich bin mir meiner Liebe zu ihm sicherer als jemals zuvor. Du glaubst doch an Schicksal, GroÃmama...â
âDu weiÃt nicht wovon du sprichst, mein Kind...â Ilses Stimme wurde sanfter.
âWoher willst du das wissen? Woher wollt ihr wissen, wie ich empfinde? Wie es in meinem Herzen aussieht?â Die Verzweiflung schrie aus ihrem blutenden Herzen, die Tränen hinterlieÃen eine Spur auf der hellgelben Tischdecke.
âDu kennst ihn doch erst viel zu kurze Zeit. Liebe...Liebe muss wachsen...â
âDu hast doch auch sofort gewusst, dass du GroÃvater liebst.â Sarah schüttelte verständnislos den Kopf. âDas hast du mir so oft erzählt.â
âWarum erzählst du ihr so einen Unsinn?!â Empörte sich Maja. âKein Wunder, dass sie sich so verhält! Dieses Buch, welches sie ständig liest, hat ihren naiven Glauben wahrscheinlich zusätzlich bestärkt. â
Ilse ignorierte ihre Tochter und wandte sich an Sarah. âDas mit deinem GroÃvater und mir war etwas anderes. Erstens waren wir beide achtzehn und zweitens kannten wir uns nicht nur aus Briefen!â
âBriefe sind oftmals viel ehrlicher und persönlicher als gesprochene Worte.â Entgegnete Sarah.
âDass denke ich nicht, denn bei Gesprächen siehst du in die Augen eines Menschen...in das Tor zu ihren Seelen.â
âBei Briefen siehst du aber tief in ihr Herz. Eduardo kennt mich besser als jeder andere, und umgekehrt ist es genauso.â
Eduardo nickte und strich Sarah die letzte Träne von der Wange. âJa, das stimmt.â
âEs ist die Hand, welche die Feder führt, mein Kind, nicht das Herz. Schreiben kann man viel...â
âIch war immer ehrlich zu ihrer Enkeltochter. Wollte ich lediglich einem unehrlichen, und meiner Meinung, nach vollkommen abstoÃenden und moralisch inakzeptablen, Spaà nachgehen, könnte ich diesen in meinem Land sehr viel billiger erhalten. Ich könnte mir die teuren Telefonate und Flugkosten ersparen.â
Noah nickte. âWie alt sind Sie denn, wenn ich fragen darf?â
Ilse seufzte genervt.
âEinundzwanzig.â Antwortete Eduardo.
âUnd wie finanzieren Sie diese Telefonate und Reisen?â
âMeinem Vater gehört eines der gröÃten Unternehmen Kolumbiens. Ich arbeite schon seit sechs Jahren für ihn.â Er erklärte kurz worin sein genauer Tätigkeitsbereich bestand.
Noah nickte. âDas klingt nach einem vernünftigen Arbeitsplatz.â
âUm das geht es hier nicht!â Maja schüttelte wütend den Kopf. âDu bist erst sechzehn, Sarah. Für dich mögen es nur Zahlen sein, aber es sind mehr als das. Du investierst zu viel in deine erste Liebe. Es werden noch viele folgen. Du hast dich die letzten Monate immer mehr zurückgezogen...ich dachte anfangs nur wegen Noah und mir, aber nun weià ich es ja...â
âMutter, hier geht es um mehr als um meine erste Jugendliebe...â Sarah strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Dabei funkelte der Ring im Schein der Lampe auf. Sie trug ihn normalerweise nur auÃer Haus oder wenn sie alleine in ihrem Zimmer war. Vorhin hatte sie ihn zum ersten Mal nicht abgenommen. Wie in einem schlechten Film, fiel er Maja sofort ins Auge. âWas ist das?â Sie schüttelte ungläubig den Kopf, kannte die Antwort bereits.
Sarah legte die Hand zögernd auf die Tischfläche. âSowie es auch für GroÃmama nur einen einzigen Mann gegeben hat, gibt es auch für mich nur einen. Das weià ich, das spüre ich tief in meinem Herzen. Wir lieben uns. Da spielt das Alter doch keine Rolle. AuÃerdem liegen lediglich etwas über fünf Jahre zwischen uns. Das ist doch nicht viel. Und ich bin reifer als andere meines Alters, das hast du selbst einmal gesagt...â
âNicht in dieser Beziehung...â
Sarah schüttelte den Kopf. âWir lieben uns, und nichts wird uns auseinander bringen können. Wir...â Sie blickte zu Eduardo, welcher ihr aufmunternd zu lächelte. âWir haben uns verlobt...schon letztes Jahr. Ich möchte Eduardo von ganzem Herzen heiraten.â
Ilse blickte ungläubig zu Maja. Diese starrte ihre Tochter erst wortlos an, ehe sie sich wieder fing. âHast du deinen Verstand jetzt vollkommen verloren?â Ihre Stimme hob sich. âWie hast du dir das vorgestellt? Wann gedenkt ihr denn zu heiraten? Wo werdet ihr wohnen?â
âWir möchten nicht länger warten, würden gerne noch im Dezember heiraten. Eduardo besitzt ein Haus in der Nähe von Bogotá, dort werden wir wohnen...â
âUnd was ist mit der Schule? Du willst für ihn also alles aufgeben?â
âIch werde arbeiten. Das ist das, was ich von Herzen möchte. Bei Eduardo zu sein...als seine Frau. Ich kann auch in Kolumbien eine Ausbildung machen.â
Maja funkelte Eduardo wütend an. âBesitzen Sie keinen Funken Gewissen und Anstand?â
Auch Ilse empörte sich. âSie bringen das Mädchen dazu, dass sie ihr Leben wegwirft! Hier hat sie alle Chancen der Welt!â
âIch würde Sarah nie zu etwas zwingen.â Entgegnete Eduardo. âIch werde sie in allem unterstützen, was sie tun möchte. Wir haben auch hervorragende Schulen und Universitäten.â
âSie können sich diese ja offenbar leisten.â Bemerkte Maja spitz und wandte sich an Sarah. âWillst du dich finanziell abhängig machen? Er kann dann tun mit dir, was immer er möchte, das ist dir hoffentlich klar? Dort hilft dir niemand! Du wärst ganz auf dich gestellt!â
Eine Falte bildete sich auf Eduardos Stirn. Man konnte ihm ansehen, wie schwer es ihm fiel sich zu beherrschen. âIch würde niemals...â
Sarah fiel ihm ins Wort. âEr würde mich niemals ausnützen, niemals! Ich würde auÃerdem auf jeden fall nebenbei arbeiten und selbst etwas verdienen. Ich dachte, ihr würdet mich lieben und hinter mir stehen!â
âGerade deshalb werde ich dieser Hochzeit auch niemals zustimmen. Und ohne meine Zustimmung darfst du rechtlich noch gar nicht heiraten.â
Sarahs Augen begannen zu tränen. âGroÃmama...â Sie warf Ilse einen verzweifelten Blick zu, doch diese schüttelte den Kopf.
âDiesbezüglich bin ich auf der Seite deiner Mutter. Du bist zu jung um zu heiraten. Zudem kennt ihr euch noch nicht lange genug.â Sie wandte sich an Eduardo. âUnd ich habe schon zu viele gute Schauspieler kennen gelernt um Ihrer reinen Fassade so schnell Glauben zu schenken!â
Noah blickte von Sarah zu Maja, welche Eduardo wütend musterte. âLasst uns essen und später nochmals in Ruhe über alles sprechen.â
âMir ist der Appetit vergangen...â Murmelte Ilse.
âSag bloÃ, du ziehst auch nur in Erwägung dieser Beziehung zuzustimmen?!â Maja blickte Noah ungläubig an.
âIch habe Eduardo als sehr freundlichen jungen Mann kennen gelernt, bis jetzt hat er mich noch nicht vom Gegenteil überzeugt.â Er blickte zu Sarah, welche ihn irritiert musterte. âAber was die Hochzeit betrifft, muss ich deiner Mutter zustimmen. Du bist noch zu jung und unerfahren.â
Sarah spürte wie sich der unsichtbare Dolch immer weiter in ihr blutendes Herz schob. Sie begann zu zittern. âWoher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht!â Ihre Stimme hob sich. Eduardo strich ihr beruhigend über den Handrücken, sie entzog ihm jedoch die Hand und erhob sich. âDu hast dich nie für mich interessiert und meinst mich zu kennen?! Du hast nie irgendetwas für mich getan! Niemals!â Sie wandte sich an Maja und Ilse. âUnd ihr...ich dachte, ihr würdet mich kennen. Dabei haltet ihr mich für ein dummes Kind. Ihr hört mir gar nicht zu, wollt gar nichts von meinen Gefühlen wissen. Es interessiert euch gar nicht, was ich empfinde. Ich möchte etwas tun, was nicht in eurer Bild, nicht in eure Vorstellungswelt, passt. Das ist Grund genug für euch mir gar nicht richtig zuzuhören. Zu urteilen, bevor ihr versteht!â
âSarah! Hör auf dich so zu benehmen! Du willst als Erwachsene behandelt werden, also verhalte dich auch so! Im Moment benimmst du dich wie ein trotziges Kleinkind! Geh auf dein Zimmer, ich möchte dich heute nicht mehr sehen!â
Sarah starrte ihre Mutter ungläubig an.
âWirke ich, als würde ich scherzen? Du sollst sofort auf dein Zimmer gehen! Wir reden morgen weiter!â
Sarah tauschte einen kurzen Blick mit Eduardo, welcher ihr einen aufmunternden Blick schenkte. Ohne sich noch ein letztes Mal umzudrehen verlieà sie das Zimmer und rannte in ihr Schlafzimmer. Sie vernahm auf ihrem Weg noch die letzten Worte, die ihre Mutter mit Eduardo wechselte.
âSie gehen wohl ebenfalls besser...â
Er nickte leicht. âIch wollte Ihnen nur sagen...â
âVerlassen Sie mein Haus!â Fuhr Maja ihm ins Wort. âAuf der Stelle.â
Sarah presste das Gesicht an ihr Kopfkissen und weinte. Alles schien hoffnungslos. Sie würde für immer hier festsitzen. Ihr Körper zitterte, als sie hysterisch zu schluchzen begann.