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Registriert seit: 12.08.2008
Danke fürs FB. Und hier der nächste Teil:
Um Sarah's Leben zu retten, muss ein Teil von ihr sterben. Das ist Sinn und Zweck der Chemotherapie â alle Leukämiezellen sollen vernichtet werden. Dafür ist bei Sarah unter dem Schlüsselbein ein zentraler Venenlatheter angelegt worden, ein dreilumiger Port, durch den die verschiedenen Medikamente und intravinöse Flüssigkeiten verabreicht und Blutentnahmen vorgenommen werden können. Die Schläuche, die aus ihrer schmalen Brust sprieÃen, erinnern mich an einen Science-Fiction-Film. Man hat schon ein basis EKG mit ihr gemacht, um sicherzugehen, dass ihr Herz die Chemotherapie übersteht. Sie hat Dexamethason-Augentropfen bekommen, weil eines der Medikamente Bindehautentzündung verursacht. Man hat ihr aus dem Port Blut abgenommen, um ihre Nieren und Leberwerte zu ermitteln.
Die Krankenschwester schlieÃt den Infusionsbeutel an und streicht Sarah das Haar glatt. âWird sie was spüren?â, frage ich. âNein. He, Sarah, sieh mal.â Sie zeigt auf den Beutel mit Daunorubocin, der zum Schutz gegen das Licht mit einem dunklen Beutel umhüllt ist. Er ist mit bunten Blumenaufklebern übersäht, die sie mit Sarah gebastelt hat, während wir warten mussten. Ich habe einen Teenager gesehen, an dessen Infusionsbeutel ein Post-it-Zettel pappte: Jesus rettet, Chemo bringt's.
Ich stelle mir vor, dass in Sarah eine gewaltige Schlacht stattfindet. Glänzende Armeen, Opfer, die durch ihre Poren ausgelöscht werden.
Uns wird gesagt, dass Sarah sehr wahrscheinlich in den nächsten paar Tagen übel wird, doch schon nach zwei Stunden muss sie sich übergeben. Logan drückt auf den Rufknopf, und eine Krankenschwester kommt herein. âWir geben ihr etwas Reglanâ, sagt sie und verschwindet. Wenn Sarah sich nicht erbricht, weint sie. Ich sitze auf der Bettkante und halte sie schräg auf meinem SchoÃ. Die Krankenschwestern haben keine Zeit, sich richtig um sie zu kümmern, weil sie knapp an Personal sind. Sie verabreichen ihr über den Tropf Antiemetika, warten ein paar Minuten ab, wie Sarah reagiert, und müssen aber gleich weiter zu einem anderen Patienten. Der Rest bleibt uns überlassen. Logan, der sonst schon den Rückzug antritt, wenn eins von den Kindern sich den Magen verdorben hat, kümmert sich rührend um sie: Er wischt ihr die Stirn, hält sie an den dünnen Schultern und tupft ihr den Mund ab. âDu stehst das durchâ, murmelt er jedesmal, wenn sie brechen muss, aber vielleicht redet er nur mit sich selbst.
Und auch ich bin über mich erstaunt. Mit grimmiger Entschlossenheit mache ich ein Ballett daraus, die Brechschale auszuspülen und wiederzubringen. Wenn man sich darauf konzentriert, den Strand mit Sandsäcken zu verbarrikadieren, kann man den nahen Tsunami ignorieren. Alles andere macht dich wahnsinnig.
Mom und Luke, die sich, während wir mit Sarah beschäftigt sind, um David kümmern, bringen unseren Sohn ins Krankenhaus, für einen Bluttest. Ein simpler Stich in den Finger. Er muss von Logan, Mom, Luke und zwei Assistentzärztinnen festgehalten werden und schreit das ganze Krankenhaus zusammen. Ich halte mich zurück und verschränke die Arme und muss unwillkürlich an Sarah denken, die seit zwei Tagen überhaupt nicht mehr weint.
Im Labor wird diese Blutprobe auf sechs Proteine untersucht, die unsichtbar darin herumschwimmen. Wenn diese sechs Proteine mit Sarah übereinstimmen, dann ist David HLA-kompatibel und kommt als Knochenmarkspender in Frage. Wie schlecht stehen die Chancen für eine sechsmalige Ãbereinstimmung?
So schlecht, wie überhaupt an Leukämie zu erkranken.
Die Laborärztin nimmt die Blutprobe mit, und Mom, Luke, Logan und die Ãrztinnen lassen David los. Er springt vom Tisch und wirft sich in meine Arme. âMommy, die haben mich gestochen.â Er hält den Finger hoch, der mit einem bunten Kinderpflaster geschmückt ist. Sein feuchtes, leuchtendes Gesicht ist heià an meiner Haut.
Ich drücke ihn an mich. Ich sage all die richtigen Dinge. Aber es fällt mir so unglaublich schwer, Mitgefühl für ihn zu empfinden.