So erst mal Danke für das tolle Fb. Ich freue mich, dass die FF euch so gut gefällt!
Und jetzt der nächste Teil:
âEs tut mir Leidâ, sagt Dr. Hayes. âIhr Sohn kommt leider nicht in Frage.â
Meine Augen richten sich auf die Topfpflanze, die noch immer welk und braun auf der Fensterbank steht. Irgendwer sollte sie wegschaffen. Irgendwer sollte sie durch Orchideen ersetzen, durch Paradiesvögel oder irgendeine andere Pflanze, die man hier nicht erwarten würde.
âEs besteht die Möglichkeit, dass wir über die nationale Knochenmarkskartei einen nicht verwandten Spender finden.â
Logan beugt sich vor, steif und angespannt. âAber sie haben gesagt, dass das gefährlich sei.â âJa, das stimmtâ, sagt Dr. Hayes. âAber manchmal müssen wir das Risiko in Kauf nehmen.â Ich blicke auf. âUnd...wenn sie in der Kartei keinen Spender finden?â
âTja.â Der Onkologe reibt sich die Stirn. âDann versuchen wir, Sarah in Gang zu halten, bis die Forschung ein Mittel für sie gefunden hat.â
Er spricht von meiner kleinen Tochter, als wäre sie eine Maschine: ein Auto mit einem defekten Vergaser; ein Flugzeug, bei dem das Fahrwerk klemmt. Statt mich der Situation zu stellen, wende ich den Blick ab und sehe, wie eines der verdorrten Blätter auf den Teppich stürzt. Ohne ein Wort der Erklärung stehe ich auf und nehme den Topf von der Fensterbank. Ich marschiere aus Dr. Hayes' Büro, vorbei an der Empfangssekreterin und den anderen panikstarren Eltern, die mit ihren kranken Kindern warten. Ich werfe die Pflanze samt ihrer ausgetrockneten Erde in den nächstbesten Mülleimer. Ich blicke auf den Terrakottatopf in meiner Hand, und ich überlege gerade, ob ich ihn auf dem FlieÃboden zerschmettern soll, als ich hinter mir eine Stimme höre.
âRoryâ, sagt Dr. Hayes. âIst alles in Ordnung?â
Ich drehe mich langsam um, mit Tränen in den Augen. âJa mir gehtâs gut. Ich bin gesund. Ich werde ein langes, langes Leben haben.â Ich überreiche ihm den Topf und entschuldige mich. Er nickt und bietet mir ein Taschentuch an.
âIch habe gedacht, David könnte sie retten. Ich wollte, dass David sie rettet.â
âDas haben wir alle gehofftâ, antwortet Dr. Hayes. âHören Sie. Vor zwanzig Jahren war die Ãberlebensrate noch niedriger. Und ich hatte schon mit vielen Familien zu tun, wo ein Geschwister nicht gepasst hat, aber ein anderes eine hundertprozentige Ãbereinstimmung war.â Wir haben nur die beiden, will ich sagen, und dann begreife ich, dass Dr. Hayes von einer Familie spricht, die ich gar nicht wollte. Ich blicke ihn an, mit einer Frage auf den Lippen. âLogan wundert sich bestimmt wo wir bleiben.â Er geht wieder zurück in sein Büro, den Topf in der Hand. âWas für Pflanzenâ, fragt er im Plauderton, âwürden denn wohl länger bei mir überleben?â
Wenn die eigene Welt zum absoluten Stillstand gekommen ist, glaubt man leicht, das gälte auch für den Rest der Welt. Aber die Müllabfuhr hat die Mülleimer auf der StraÃe stehengelassen, genau wie immer. Im Briefkasten steckt eine Rechnung vom Ãllieferanten. Säuberlich gestapelt auf der Küchentheke liegt die Post von einer Woche. Erstaunlicherweise ist das Leben weitergegangen.
Eine volle Woche nach Beginn der Indukionschemotherapie darf Sarah aus dem Krankenhaus nach Hause. Der Port, der noch immer aus ihrer Brust ragt, beult ihre Bluse aus. Die Krankenschwestern geben mir aufmunternde Worte und viele wichtige Anweisungen mit auf den Weg: Wann wir Sarah ins Krankenhaus bringen sollen und wann nicht, wann wir zur nächsten Chemotherapie kommen sollen, worauf wir in der Phase von Sarah's Immonsupression unbedingt achten sollen.
Um sechs Uhr am nächsten Morgen, öffnet sich die Tür von unserem Schlafzimmer. Sarah kommt auf Zehenspitzen zu uns ans Bett. Logan und ich sind sofort hellwach. âWas ist denn, Schätzchen?â, fragt Logan.
Sie sagt nichts, hebt bloà die Hand und fährt sich mit den Fingern durchs Haar. Es fällt in dicken Büscheln aus und schwebt wie ein kleiner Schneesturm auf den Teppich.
âFertigâ, verkündet Sarah einige Tage später beim Abendessen. Ihr Teller ist voll, sie hat weder die Bohnen noch die Kartoffeln angerührt. Sie hüpft ins Wohnzimmer, um zu spielen. âIch auchâ, David rückt mit dem Stuhl vom Tisch ab. âDarf ich aufstehen?â
Logan führt seine Gabel zum Mund. âErst wenn du aufgegessen hast.â
âIch mag keine Bohnenâ
âDie sind auch nicht gerade verrückt nach dir.â
David blickt auf Sarah's Teller. âSie muss nicht alles aufessen. Das ist gemein.â
Logan legt seine Gabel auf den Teller. âDu findest, du kommst zu kurz?â, erwidert er mit zu ruhiger Stimme. âNa gut, David. Wenn Sarah die nächste Knochenmarkspunktion hat, versprechen wir dir was, was genau so weh tut. Und bei ihrer nächsten Chemo -â âLoganâ, unterbreche ich ihn. Er verstummt so aprupt, wie er begonnen hat und fährt sich mit der zitternden Hand über die Augen. Dann fällt sein Blick auf David, der in meine Arme geflüchtet ist. âEs...es tut mir Leid, David. Ich wollte nicht -â Aber was auch immer Logan sagen will, es verschwindet mit ihm, als er die Küche verlässt.
Einen Augenblick sitzten wir schweigend da. Dann sieht David mich an. âIst Daddy auch krank?â Ich überlege angestrengt, was ich antworten soll. âEs wird alles wieder gut, sage ich.
Als wir genau eine Woche wieder zu Hause sind, schreckt uns mitten in der Nacht ein Krachen aus dem Schlaf. Logan und ich hasten in Sarah's Zimmer. Sie liegt im Bett und zittert so heftig, dass sie die Nachttischlampe hinuntergestoÃen hat. âSie glüht richtigâ, sage ich zu Logan, als ich ihr die Hand auf die Stirn lege.
Ich habe mich gefragt, woran ich erkenne, ob Sarah ins Krankenhaus gehört, sollte sie irgendwelche seltsamen Symptome haben. Ein Blick auf meine Tochter, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich je so naiv gewesen bin. âWir bringen sie in die Notaufnahmeâ, sage ich, obwohl Logan Sarah bereits in ihre Bettdecke wickelt und hochhebt. Wir legen sie ins Auto und lassen den Motor an, als mir einfällt, dass wir David nicht allein zu Hause lassen können. âBring du sie hinâ, sagt Logan, der meine Gedanken liest. âIch bleibe.â
Aber er wendet die Augen nicht von Sarah ab. Minuten später rasen wir Richtung Krankenhaus. David sitzt auf der Rückbank neben seiner Schwester und will wissen, warum wir so früh aufstehen müssen, wo die Sonnen noch nicht mal aufgegangen ist.
In der Notaufnahme schläft David auf einem Nest aus unseren Jacken. Logan und ich beobachten die Ãrzte, die über Sarah's fiebrigen Körper gebeugt sind, wie Bienen über einem Blumenbeet, und ihr alle möglichen Proben entnehmen, um Bakterienkulturen anzulegen. AuÃerdem machen sie eine Lumbalpunktion, um die Infektionsursache zu isolieren und eine Meningitis auszuschlieÃen. Ein Radiologe kommt mit einem tragbaren Röntgenapparat herein und macht eine Aufnahme von ihrer Brust, für den Fall, dass sich der Infektionsherd in der Lunge befindet.
AnschlieÃend heftet er das Röntgenbild an eine Leuchtwand. Sarah's Rippen sehen so dünn aus wie Streichhölzer, und etwas abseits von der Mitte ist ein groÃer, grauer Fleck zu sehen. Meine Knie werden schwach, und ich halte mich unwillkürlich an Logan's Arm fest. âEin Tumor. Der Krebs hat gestrahlt.â
Der Arzt legt mir eine Hand auf die Schulter. âMrs. Huntzbergerâ, sagt er, âDas ist Sarah's Herz.â
Pancytopenie ist ein kompliziertes Wort und bedeutet, dass Sarah's Körper keinen Schutz mehr gegen Infektionen besitzt. Es bedeutet, sagt Dr. Hayes, dass die Chemo gewirkt hat â dass ein GroÃteil weiÃer Blutkörperchen in Sarah's Körper vernichtet wurde. Es bedeutet auch, dass eine Sepsos, eine Infektion nach der Chemo, nicht nur wahrscheinlich ist, sondern garantiert eintreten wird.
Sie erhält eine Dosis Tylenol, um das Fieber zu senken. Man hat Blut-, Urin- und Bronchialsekretkulturen von ihr angelegt, um ihr die richtigen Antbiotika geben zu können. Erst nach sechs Stunden lässt der Schüttelfrost nach, der zum Teil so heftig war, dass sie beinahe aus dem Bett gefallen wäre. Eine Krankenschwester, die Sarah vor einigen Wochen mal Zöpfe geflochten hat, um sie zum Lächeln zu bringen, misst ihre Temberatur und wendet sich dann an mich. âRoryâ, sagt sie sanft. âSie können jetzt wieder atmen.â
Sarah's Gesicht ist so winzig und wies auf die fernen Monde, die Logan und ich früher immer von unserer Dachterasse unserer alten Wohnung betrachtet haben. Sie sieht aus wie ein Leichnam ... und was noch schlimmer ist, es ist eine Erleichterung im Vergleich dazu, sie leiden zu sehen.
âHe, Ace.â Logan berührt mich am Hinterkopf. Er balanciert David auf dem Arm. Es ist fast Mittag, und wir sind noch immer im Pyjama. Wir haben gar nicht daran gedacht, etwas zum Anziehen mitzunehmen. âIch gehe mit ihm in die Cafeteria, was essen. Möchtest du auch was?â Ich schüttele den Kopf, rücke mit dem Stuhl näher an Sarah's Bett und streiche die Decke an ihren Beinen glatt. Dann nehme ich ihre Hand und messe sie an meiner.
Ihre Augen öffnen sich einen Spalt. Einen Moment hat sie Mühe, zu erkennen, wo sie ist. âSarahâ, flüstere ich. âIch bin hier.â Als sie den Kopf dreht und die Augen auf mich richtet, hebe ich ihre Handfläche an meinen Mund und drücke einen Kuss in die Mitte. âDu bist so tapferâ, sage ich und lächle. âWenn ich groà bin, möchte ich so sein wie du.â
Zu meiner Ãberraschung schüttelt sie heftig den Kopf. âNein Mommyâ, sagt sie. âDann wärst du krank.â
Der Engel, der ins Krankenhaus kommt, trägt Armani und brüllt in ein Handy. âKaufenâ, befiehlt Paris Geller. âUnd wenn du einen Limostand im Einkaufszentrum aufmachen musst, Doyle. Ich hab gesagt, kauf dieses Haus.â Sie drückt einen Knopf und streckt mir die Arme entgegen. âHeâ, sagt Paris tröstend, als ich in Tränen ausbreche. âHast du wirklich geglaubt, ich hör auf dich, nur weil du gesagt hast, ich soll nicht kommen?â
âAber -â
âFax. Telefon. Ich kann bei euch zu Hause arbeitern. Diese ganzen Kranken kann ich auf Dauer sowieso nicht mehr sehen. Bei Sarah ist das was anderes. Ich habe mir zum ersten Mal in meinem Leben Urlaub genommen. AuÃerdem, wer soll denn auf David aufpassen?â
Logan und ich blicken einander an. Soweit hatten wir noch gar nicht gedacht. Als Antwort steht Logan auf und umarmt Paris linkisch. âNichts für ungut, Bleichgesicht, aber zu viel Sentimentalität kann ich nicht ausstehen.â Jetzt kommt David angelaufen. âWas habt ihr denn da für einen Jungen adoptiert, Rory ... David kann doch unmöglich schon so groà sein!â Sie umarmt auch David und beugt sich dann über das Krankenbett, wo Sarah schläft. âDu erinnerst dich bestimmt nicht an michâ, sagt Paris mit strahlenden Augen. Die Jahre als Ãrztin haben sie irgendwie weicher werden lassen. âAber ich mich an dich.â
Es fällt mir so leicht â Paris alles zu überlassen. Sie überredet David mit ihr Schiffe versenken zu spielen und schafft es auf nicht gerade zartfühlende Art, das ein Chinarestaurant ohne Lieferservice unsere Bestellung ins Krankenhaus bringt. Ich sitze neben Sarah und genieÃe ihre Tüchtigkeit.
Nachdem Paris am Abend mit David nach Hause gefahren ist, werden Logan und ich für Sarah Beschützer im Dunkeln. âLoganâ, flüstere ich. âIch habe nachgedacht.â Er rutscht auf seinem Stuhl hin und her. âWorüber?â Ich beuge mich vor, damit ich seinen Blick auffangen kann. âIch möchte noch ein Kind.â Logans Augen verengen sich. âMein Gott, Rory.â Er steht auf und dreht mir den Rücken zu. âIch fass es nicht.â
Ich stehe auch auf. âDu verstehst das falsch.â
Als er mich anschaut, ist jeder Muskel seines Gesichts qualvoll angespannt. âWir können Sarah nicht einfach ersetzten, falls sie stirbtâ, sagt er.
Sarah bewegt sich in ihrem Bett, und die Decke raschelt. Ich zwinge mich, sie mir mit vier Jahren vorzustellen, verkleidet an Halloween; mit Zwölf, wie sie zum ersten Mal Lipgloss ausprobiert; mit Zwanzig, wie sie im Studentenwohnheim in ihrem Zimmer tanzt. âIch weiÃ. Also müssen wir dafür sorgen, dass sie nicht stirbt.â