Part 1 von Teil 4
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Sie hatte das Klingeln an der Tür überhört, und genauso wenig waren ihr die Schritte auf der Treppe aufgefallen, um so überraschter war sie nun, als ihre Zimmertür aufgerissen wurde und Finn mit zwei langen, gezogenen Schritten an ihrem Bett stand und sich hinter ihr auf die Matratze fallen lieÃ.
Mit keinem Wort begrüÃten sich die beiden.
Eigentlich taten sie es so gut wie nie, sich begrüÃen. Sie sahen sich so oft, irgendwann hatten sie angefangen es einfach bleiben zu lassen.
âWas hast du da?â Finn hatte sich auf die Seite gedreht.
Sein Bauch lag an ihrem Rücken, so dass er an ihr vorbei auf den Stapel an Notizbüchern und Bilderrahmen schauen konnte.
âDie Notizbücher von meinem Grandpa und ein paar Bilderâ, erklärte sie sachgemäÃ, während sie eines der letzten Bücher zu klappte und zu den andern legte.
âJo,...â Finn hatte sich auf einem Ellbogen aufgestützt und drückte mit seiner anderen Hand gegen ihren Rücken â...lass...â
Joanas Auffahren, lieà ihn inne halten.
Mit einem Satz war sie vom Bett aufgesprungen und schaute ihn nun mit wütend funkelnden Augen an.
âIch weià es ist Schwachsinn, ok? Es interessiert mich einfach!â, verteidigte sie sich.
Es klang plausibel und doch hatte sie das Gefühl ihren besten Freund gerade anzulügen. Es steckte mehr dahinter, als einfaches Interesse, vielleicht war es der Wille ihrem Grandpa zu glauben, sie wusste es nicht.
âKein Grund schon wieder an die Decke zu gehen.â
Er schaute sie missmutig an. Manchmal machten ihn ihre kleinen Ausbrüche wirklich, wirklich wütend, obwohl er nichts weniger wollte, als wütend auf sie zu sein.
âIch weiÃ.â Sie grinste ihn an. âIch wollte sie mir einfach mal ansehen, aber mal abgesehen davon, dein Grandpa hat doch gestern von ihrem Haus erzählt...â
Sie hatte ihre Arme wartend vor ihrer Brust verschränkt und beobachtete wie seine Mimik sich allmählich änderte. Erst hatte er sie angeschaut und einfach nur genickt, dann zog er die Augenbrauen zusammen, betrachtete sie, wie sie vor ihm stand, erkannte die Aufforderung in ihrem Blick, und dann verstand er.
âDu willst es suchen?â Eigentlich hätte er es gar nicht als Frage formulieren müssen, ihre Augen machten es offensichtlich.
Ihr Grinsen wurde breiter. Ungläubig schüttelte er den Kopf, rieb sich mit einer Hand über die Augen.
âEs kann Stunden dauern, bis wir es finden.â
âUnd?â Schulterzuckend setzte sie sich wieder auf das Bett und lehnte sich gegen ihn âEs wird erst gegen zehn dunkel, jetzt ist es kurz nach sechs..., wenn wir gleich losfahren könnten wir es noch schaffen, bevor die Sonne untergeht und selbst wenn nicht, wissen wir, wie wir uns morgen die Zeit vertreiben können.â
Er schaute sie aus dem Augenwinkel heraus an âHabe ich überhaupt eine Chance Nein zu sagen?â
âNope.â
Ihrem Vater würde es nicht passen, wenn er wüsste, was sie vorhatte, also hatten sie ihm erzählt, sie würden noch in die Stadt und später ins Kino gehen.
Er hatte genickt und schon waren sie unterwegs.
Eigentlich hatten sie keine Ahnung gehabt, wo sie überhaupt anfangen sollten zu suchen, bis Finn die rettende Idee gekommen ist. Ohne sie ihr mitzuteilen, hatte er begonnen die Kiste mit den Notizbüchern zu durchsuchen und war überraschender Weise fündig geworden.
Ganz unten, unter den letzten Notizbüchern und den, von Jo als unnütz abgestempelten Papiere, waren ein paar Umschläge zum Vorschein gekommen. Einer von ihnen hatte eine zierliche, goldene Prägung. Einladung.
Finn hatte sie grinsend angeschaut und ihr den Umschlag gereicht. In ihm befand sich, was die Prägung versprach. Eine Einladung zur Hochzeit von Isabella Marie Swan und Edward Anthony Cullen, mit Wegbeschreibung.
âWoher?â Joana schaute weiterhin auf die Einladung, aber es war klar was sie meinte.
âMein Granpa hat auch so eine.â Sie nickte abwesend.
Sie fragte nicht nach, woher er das wusste, oder warum er davon ausgegangen war, dass der Vater der Braut ebenfalls eine besaÃ. Es war unnötig nahen Verwandten eine zu schicken, oder?
Es war ihr egal.
Jetzt saÃen sie seit geraumer Zeit in Finns Ford Ranger und trotz Wegbeschreibung, hatten sie Probleme die richtigen Abzweigungen zu finden. Sie hatten die Stadt, oder eher die letzten Häuser, die man zur Stadt zählen konnte hinter sich gelassen und der Wald, durch den sie mussten, rückte immer näher.
Sie hatten bereits eine relativ kleine Brücke passiert und je weiter sie fuhren, desto ungeduldiger wurde Jo.
Im Wald selbst war es schon trübe, das Licht der immer tiefer sinkenden Sonne, drang nicht durch die dicht stehenden Bäume.
Zeit verging und erst als sie schon mehrere Meilen im Waldesinneren hinter sich hatten, stellten sie fest, dass sie die Abzweigung schon vor Minuten hätten erreichen müssen, also wendete Finn und sie fuhren die Strecke wieder zurück.
Langsamer dieses mal und unter Zuhilfenahme der Autoscheinwerfer.
Gerade als sie kurz davor waren die Zufahrt erneut zu übersehen, bemerkte Joana die Lücke im Dickicht.
âStop!â Sie schoss in ihrem Sitz auf und starrte aus dem Fenster âHalt an, Finn! Da ist sie!â
Finn drückte auf die Bremse, mit einem Ruck wurden sie beiden nach vorne gerissen und landeten dann nicht weniger ruckartig wieder in ihren Sitzen.
Noch während Jo sich die Schulter, an der Stelle, an der der Gurt sie eingeklemmt hatte, rieb, legte Finn den Rückwärtsgang ein und fuhr soweit zurück, das er ohne Schwierigkeiten in die überwucherte Auffahrt steuern konnte.
Und überwuchert war sie. Es war deutlich zu sehen, dass sie vor Jahren wohl mehrere Meter breit gewesen war, aber niedrige Sträucher und Gräser hatten den festen Boden brüchig gemacht und erschwerten es den Verlauf des Weges zu erahnen.
Zwischen den grünen, frischen Pflanzen gab es braune vertrocknete Ãste und Blätter, Teile von Hecken, die irgendwann abgebrochen waren und anfingen zu verrotten.
Ihre Augen wanderten von einer Seite zur andern, schauten aus der Windschutzscheibe. Sie drehte sich um, schaute den Weg entlang den sie gekommen waren, bis nach ein paar Minuten ein strahlend weiÃer Block ihre Aufmerksamkeit erregte.
Mitten auf einer groÃen, hauptsächlich von Gras bedeckten Fläche, stand das Haus. Es war groÃ, gröÃer als die meisten Häuser, die in Forks standen, aber nicht so groÃ, wie viele der Gebäude in Seattle.
Finn brachte den Wagen zum Stehen.
Sie wartete nicht auf ihn, sondern löste ihren Sicherheitsgurt, öffnete die Tür und sprang hinaus.
Nicht mehr als ein paar Minuten würden ihnen bleiben, um sich umzusehen. Die Sonne war bereits hinter den Bäumen des Waldes verschwunden, so dass ihr Licht selbst auf dieser groÃen Lichtung nicht mehr viel nutzte.
Lange Schatten zogen sich über das gesamte Grundstück. Finn lieà den Motor des Rangers laufen und schaltete die Nebelscheinwerfer ein, um so wenigstens einige der Schatten zu vertreiben und, um etwas Zeit zugewinnen.
In Momenten wie diesem, war es ihr egal, dass sie, auÃer Finn, keine wirklichen Freunde hatte.
Keiner von beiden wusste, was sie erwartete, selbst jetzt, nachdem sie das mehr oder weniger gigantische Haus genau vor sich sahen. Die Fassade schien völlig in Takt zu sein.
Aus der Entfernung, in der sie standen, war es nicht möglich zu sehen, ob bereits Farbe abgeblättert war, oder der Anstrich sich über die Jahrzehnte hinweg verfärbt hatte.
Aus der Entfernung, in der sie stand, hätte man sogar davon ausgehen können, das Haus sei noch bewohnt.
Die Fenster sahen sauber aus, kein einziges war mit Brettern vernagelt, auch die Tür zeigte keine Anzeichen davon, dass seit einer halben Ewigkeit niemand mehr hier gewesen war.
Alles was davon sprach, dass dieses Grundstück, dieses Haus, verlassen war, war die kaum noch sichtbare Auffahrt und die Höhe der Wiese rund um das Haus.
An verschiedenen Stellen, reichte ihr das Gras bis zur Hüfte, an anderen nur bis zu den Knien. Hier und da hatten sich Wildblumen Teile des Rasens zu eigen gemacht und blühten nun in den auffälligsten Farben vor sich hin.
Jo blickte sich immer wieder um. Es war überwältigend, beängstigend, irgendwie.
âKomm!â Sie winkte Finn, der inzwischen einige Meter hinter ihr stand, dichter zu sich, während sie sich wieder in Bewegung setzte und geradewegs auf die Stufen vor der Eingangstür zusteuerte.
âWas hast du vor?â Er ging direkt hinter ihr. Seine Stimme nicht mehr als ein Flüstern.
âIch will mich umsehen.â Kurz und bündig.
Eine Antwort die er schon kannte. Sie spürte, wie er hinter ihr lautlos einatmete. Er hatte sie durchschaut, wusste, dass in ihrer Antwort nicht alles lag, was es zu sagen gab.
âDu willst rein?â Lauter. Höher.
Sie lachte kurz auf ohne dabei den Mund zu öffnen. Alles was dabei herauskam, war nicht mehr als ein stockendes, kehliges Brummen.
âWieso nicht?â
Sie stieg die letzte Stufe hinauf und drehte sich zu Finn, der zwei Stufen unterhalb stand, um. Seine Augen lagen etwa auf der Höhe ihrer Nase. Sie schaute auf ihn hinab, etwas, was nur sehr selten geschah, nur selten, hatte sie die Möglichkeit dazu.
âIch will da rein.â
Nichts in ihrer Stimme verriet ihre eigene Nervosität. âIch will wissen wie sie gelebt haben. Ich will, ich...â
âDas ist Einbruch.â Finn unterbrach sie, gab ihr erst gar keine Chance ihm weiter zu erklären was sie wollte und was nicht.
Sie lehnte sich nach vorne, legte ihre Arme auf seine Schultern, stützte so ihr Körpergewicht ab, lächelte ihn verspielt an.
âNiemand wird merken das wir hier waren und selbst wenn, werden bis dahin Jahre vergehen. AuÃerdem lebt hier niemand mehr, abgesehen von einem zerschlagenen Fenster, wird kein Schaden entstehen.â
Finn griff nach ihren Unterarmen und drückte sie von sich weg.
âLass mich mal.â
Er schob sie unsanft zur Seite und ignorierte ihren verwirrten Blick. Er stapfte an ihr vorbei zur Tür und lieà sich auf seine Knie sinken.
âDachte ich mir.â
Ohne sie zu beachten, oder auch nur ansatzweise zu erklären, was er vorhatte, griff er in die Hintertasche seiner Hose und zog ein kleines Schweizertaschenmesser hinaus.
Er schien nicht zu überlegen, welches Werkzeug er brauchte, er klappte es auf und fing an damit am Türschloss herum zu spielen.
Binnen weniger Sekunden ging die Tür auf und schlug mit einem leisen Knall gegen die Wand.
Jo blieb nichts anderes übrig, als ihren besten Freund mit weit aufgerissenen Augen und offenstehendem Mund anzustarren.
Finn richtete sich langsam auf. Mit einem leisen Lachen und einem Gesichtsausdruck, der Stolz sehr nahe kam, schaute er sie an. Schulterzuckend trat er einen Schritt zur Seite.
âWas glaubst du, wie oft Grams sich aus dem Laden ausgesperrt hat? Irgendwann hat man den Bogen raus.â
Kopfschüttelt trat Jo an ihn heran, wobei ihr Blick an ihm vorbei in das Innere des Hauses glitt âDu solltest deinem GroÃvater dafür danken, dass er so schusselig ist.â
In ihrer Stimme lag keine Emotion, obwohl er sich sicher war, dass es als Witz gemeint war. Er beschloss es zu ignorieren, folgte stattdessen ihrem Blick.
âNa dann, los!â
Er wartete, bis ihre Schritte sie schlieÃlich über die Schwelle in den Eingangsbereich führten und tat es ihr dann gleich.
Bedächtig streiften sie durch das Haus.
Schritt für Schritt.
Um die Wendeltreppe herum, die Wendeltreppe hinauf.
Durch jedes Zimmer. Die gesamte Rückseite des Hauses schien eine einzige Glasfront zu sein. Sie hatte das Haus, die Villa, von auÃen schon beeindruckend gefunden, aber das innere, obwohl es leer war, keine Möbel, keine Teppiche, übertraf alles, was sie je gesehen hatte.
Je trüber es wurde, desto schwerer wurde es durch die Gänge zu gehen, die Stufen hinauf und hinab zu steigen, ohne Gefahr zu laufen zu stolpern, aber sie konnte nicht aufhören.
Ihre Hände streiften über die Wände. Ihre Fantasie zeigte ihr Bilder, zeigte ihr Sofas, Tische, Betten, wo jetzt nur Leere war.
Wände behangen mit Bildern, Gemälden in goldenen Rahmen. Regale voller Bücher.
âWir sollten gehen.â Er war ihr auf Schritt und Tritt gefolgt, hatte die Stille an keiner Stelle unterbrochen, bis sie schlieÃlich wieder in der Eingangshalle ankamen.
Sie nickte, nicht bereit zu sprechen. Selten, nie, hatte sie sich gefühlt, wie in diesem Moment. Dieses Haus strahlte etwas aus, etwas unbegreifliches, etwas, was nicht in Worte fassbar war.
Nur unwillig folgte sie dem groÃgewachsenen blonden Jungen, als er auf die Tür zusteuerte.
Er hielt den Griff in der Hand und wartete bist sie an ihm vorbei war. Mit einem fast unhörbaren Klicken, fiel die Tür ins wieder ins Schloss.
Sie drehte sich um, als sie den Wagen erreichten, nichts erinnerte daran, dass jemand das Haus betreten hatte. Es lag genau so still, so unberührt vor ihnen, wie vor einer Stunde, als sie angekommen waren.
âJoey?â Finn saà bereits im Auto, die Hände am Lenkrad. Mit einem Seufzen riss sie sich von der Villa los und stieg ein.
Die Fahrt verlief ruhig und dauerte bei weitem nicht so lange, wie die Hinfahrt gedauert hatte. Bevor sie überhaupt erkannte, dass sie wieder in der Stadt waren, bremste Finn den Wagen ab und hielt schlieÃlich vor ihrem Haus an.
Ihr Blick wanderte langsam zum Haus.
Im Wohnzimmer brannte Licht. Ihre Eltern waren beide noch wach.
Sie schloss kurz die Augen, atmete durch, versuchte die Worte, für das zu finden, was in ihrem Kopf vor sich ging.
âEs gab keinen Staub.â Ihr fiel nichts besseres ein.
Sie konnte es nicht anders in Worte fassen, aber es war die Wahrheit.
âWo?â
Finn hatte die Hände vom Lenkrad genommen und sich im Fahrersitz gedreht, um sie besser sehen zu können.
Sie lächelte. Sie hatte gewusst, dass er es nicht verstehen würde. Er war so oft schwer von Begriff, warum sollte es jetzt anders sein?
âIn der Villa. Die Fenster waren sauber, nirgends lag Staub, keine Spinnweben.â
Sie kannte die Geschichten, die Notizen und sie hatte das Haus gesehen, aber es reichte ihr nicht.
Es fehlte etwas, etwas musste sie noch sehen, noch erfahren.
Wenn die Suche nach Informationen eine Reise war, dann hatte sie erst einen Bruchteil der Strecke zurück gelegt.
Es ging noch weiter. Bisher hing sie in der Vergangenheit fest, Jahre von der Gegenwart entfernt. Stück für Stück, Wort für Wort formte sich eine Idee in ihrem Kopf.
Eine Idee, die so schnell nicht mehr verschwinden würde.
Wie gesagt es war eine Reise, bisher eine die sie nicht sehr weit gebracht hatte, aber nichts sprach dagegen, sich ein entfernteres Reiseziel aussuchen