Katzenaugen
#21

Ich danke euch für euer Feedback, wenn in letzer Zeit auch unregelmäßig, neue teile kommen und hier ist wieder einer:

Katzenaugen

Sie schwebt in einer stillen Einsamkeit. Ihre flache Atmung wird nur von dem Heizlüfter im Raum übertönt, sie wacht auf. Wie aus einer langen traumlosen Nacht erwacht sie zurück in die Realität. Sie rührt vorsichtig ihre Finger, streckt ihre Zehen. Ihr Körper fühlt sich fahl und schwach an. Vorsichtig blinzelt sie einige Male, versucht die schwachen Siluetten ihrer Umgebung wahr zu nehmen, ihre Pupillen huschen angestrengt durch den grauen Raum. Ihr erscheint alles in einem eintönigen Grau, sie kann kaum einzelne Farbnuancen wahrnehmen.

Dann streift ihr Blick eine Gestalt, die tiefgrünen Augen erkennen sofort wer an ihrem Bett sitzt, ihre Lider zucken zusammen und sie liegt ganz still. Betet innerlich dass er sie noch nicht bemerkt hat. Sie stoppt ihre Atmung, weiß dass sie so nicht ewig verweilen kann, aber braucht die Ruhe um zu realisieren was gerade passiert. Ihre Gliedmaßen versteifen sich und ein inneres zittern in ihr beginnt unaufhörlich in ihr zu toben ohne ihr eine Möglichkeit der Ruhe und Entspannung zu überlassen. Sie horcht auf den Mensch der neben ihr sitzt, es ist ihr Vater. Ihr Vater sitzt das erste Mal an ihrem Bett, ist körperlich anwesend. Warum muss es erst soweit kommen damit er seine Tochter endlich sehen kann? Die tiefe männlich betonte Atmung die von ihm ausgeht durchbricht die trügerische Stille. Es ist ein schweres Atmen, es kommt tief aus seinen Bronchien. Sein Atem wird zerrissen von pulsierenden Seufzern, es klingt fast wie ein Wimmern.

Langsam beginnt sie zu realisieren, dass ihr Vater an ihrem Bett sitzt und weint. Der Mensch der ihr so viele scheinbar unerträgliche Qualen und Schmerzen bereitet hat sitzt an ihrem Bett und weint. Was tut er hier bei ihr? Sollte er nicht lieber in einer Bar sitzen und sich betrinken weil sie es überlebt hat? Er sie immer noch nicht los ist, obgleich es dass zu sein scheint, was er seit Jahren will? Sie versucht den Zustand ihres Vaters zu erfühlen, sucht nach der großen Mauer der Aggressionen, die er ihr gegenüber seit Jahren errichtet hat. Sie wagt es nicht ihn anzusehen, presst ihre Augen fest zusammen und fleht darum, keine der heißen Tränen, die ihr in die Augen schießen an die Freiheit zu lassen, er soll nicht wissen, dass sie wach ist. Zu tief ist der Schmerz und die Angst vor diesem Mann verankert, sie kann nicht einmal zu ihrem weinenden Vater schauen. Sie versucht sich selbst in eine tranceartige Welt hinweg zu projizieren, versucht ihren geschundenen Körper zu verlassen und weit weg von ihm zu kommen, sie kann nicht mit ihm in einem Raum sein, es bringt ihr Blut zum kochen seine Nähe, seine Anwesenheit zu spüren. Ihre gesamte Kindheit hat sie um genau dies gekämpft, er hat sie ihr verwehrt. Und nun hat sie gelernt darauf zu verzichten, hat ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse an die Wünsche ihres Vaters angepasst, hat so reagiert wie jedes normale menschliche Wesen reagiert: All ihre Hoffnung und Träume in pure Angst verwandelt.

Ihr Vater rührt sich, steht auf und schiebt den Stuhl hinter sich. Das zerrende Geräusch des Stuhlbeines holt sie aus dem kleinen Traum zurück in die Realität. Es gelingt ihr nicht vor ihm zu entflüchten. Sie wird wieder zu dem kleinen Kind, das barfüßig über den heißen Asphalt auf ihren Vater zurennt, weil der Boden zu heiß für ihre kleinen Kinderfüße ist. Rennt ihrem Vater mit offenen Armen entgegen und kämpft gegen die ersten Tränen um ihre Tapferkeit zu zeigen, will nur von ihm hochgehoben und vor der schleichenden Hitze gerettet werden.

Ihre Augen öffnen sich und sie blickt hoch an der großen Gestalt ihres Vaters. Die breiten Hüften und der voluminöse Brustkorb lassen ihn noch eindrucksvoller und mächtiger erscheinen, als er ist. Sein sonst so hartes Gesicht sieht welk und verwaschen aus, die tiefblauen Augen strahlen ins Leere. Ihr Blick trifft den seinen, nur für Sekunden streifen sich ihre Augen. Und genauso, wie er sein kleines Kind damals auf dem heißen Asphalt stehen lies und sie mit tiefroten Fußsohlen weinend hinab in den Keller rannte, so lässt er seine Tochter auch diesmal im Stich. Er ist nicht fähig, in ihre Augen zu schauen. Er kann dem Blick seiner eigenen Tochter nicht standhalten, ist nicht Mann genug, den von ihm verursachten Schmerz in ihren Augen zu sehen. So wendet er sich ab und geht hinaus. Ohne ein Wort, ohne eine einzige freundliche Geste. Er wird nicht mehr kommen. Sie weiß es, sie hat Schande über die Familie gebracht, das so heile Familienbild zum bröckeln gebracht und die goldene Statue seines Ruhmes gefährlich stark ins Schwanken.

Als die Tür hinter ihm zufällt erwacht sie endlich aus ihrer Starre, ihre Beine strampeln sich unter der Decke frei und ihre Arme werfen den Bezug weit von sich, sie springt, so gut sie es auf ihren wackeligen Füßen kann, aus dem Bett und eilt zu der Tür. Sie lehnt sich mit dem Rücken dagegen, schlingt ihre Fäuste um den Türgriff und begreift endlich, dass sie jetzt sicher ist. Hier kann ihr ihr Vater nichts mehr tun, er ist weg. Hinaus aus der Gegenwart, den Krankenhausflur hinab in die Vergangenheit. Als sie sicher ist, dass er nicht mehr kommt zwingen sie ihre weichen Knie auf den Boden, sie sinkt hinab und landet auf dem kalten Fliesenboden. Ihre Arme schlingen sich um ihre Knöchel und der Kopf sinkt nach hinten gegen die Holzvertäfelung der Tür.

Sie befindet sich genau in dem gleichen Zustand wie zuvor, nur gibt es diesmal kein Gift in ihrem Körper, dass sie bald aus dieser Hölle befreit. Die Sekunden schleichen dahin und nichts verändert sich. Sie löst sich nicht aus dieser Starre. Bilder ihrer Kindheit schießen in ihren Kopf, zu oft schon lag sie vor ihrem Vater auf dem Boden. Hat mit Tränen gefüllten Augen zu ihm empor geschaut und vergeblich auf einen Funken Mitgefühl oder wenigstens Respekt gehofft. Sie konnte in seinen Augen nichts finden, außer der blanken Wut und dem tiefen Hass den er in sich trug. Wie kann es sein, dass ein Vater die vor Angst geweiteten Pupillen nicht sehen kann? Warum sieht dieser Vater den Schmerz seiner Tochter nicht und tut was seine verdammte Pflicht wäre? Sie vor all dem, was ihr schadet zu schützen? Warum lassen ihn die bitteren Tränen, die über ihre geröteten Wangen hinabfließen und im glitzern der Sonne um Gnade winseln, kalt? Wo ist die väterliche Liebe?

Sie zittert weiter, es breitet sich über ihren ganzen Körper aus. Ihre Zähne klappern in einem unrhythmischen Takt gegeneinander, sie schlägt ihren Hinterkopf gegen die Tür, um die Bilder loszuwerden. Sie ist nicht länger bereit alles wieder und wieder erleben zu müssen. Sie hat keine Kraft mehr daran zu denken und es zumindest versuchen zu verstehen was ihr Vater tut. Ihr verbleichender Vater macht aber nur Platz für Bilder in ihrem Kopf, die sie nicht weniger quälen. Der eigentliche Auslöser für ihren geplanten letzten Griff zu den Tabletten erscheint wieder vor ihrem Auge. Es ist ihr Freund, ihr Freund im Arm einer anderen, wie er die aufblühende Weiblichkeit berührt, an Stellen an die sie ihn niemals heranlassen könnte, selbst wenn sie wollen würde. Ein Schutzmechanismus ihres Körpers verbietet jeder Hand an die geschundenen Körperstellen zu kommen und die schwindenden blauen Flecke zu streicheln.


Ich würde mich über Rekationen und Gedankenanregungen aller Art freuen.

~
And I start to feel for him again. Stupid me.
[SIZE=2]~

[/SIZE]


Nachrichten in diesem Thema
Katzenaugen - von Ssandy - 20.03.2005, 23:49
Katzenaugen - von Ssandy - 21.03.2005, 00:38
Katzenaugen - von Ssandy - 21.03.2005, 00:42
Katzenaugen - von MissLilli - 21.03.2005, 00:53
Katzenaugen - von TheClash - 21.03.2005, 06:28
Katzenaugen - von BuffyAnne - 21.03.2005, 13:44
Katzenaugen - von „Lorelai“ - 21.03.2005, 17:40
Katzenaugen - von ~Mimi~ - 21.03.2005, 18:18
Katzenaugen - von Hanni242 - 21.03.2005, 20:17
Katzenaugen - von EineGili - 21.03.2005, 20:23
Katzenaugen - von Corinna - 24.03.2005, 15:51
Katzenaugen - von JamieA - 24.03.2005, 22:53
Katzenaugen - von ~Mimi~ - 11.04.2005, 15:04
Katzenaugen - von ~Mimi~ - 17.04.2005, 17:27
Katzenaugen - von Ssandy - 17.04.2005, 21:03
Katzenaugen - von Corinna - 17.04.2005, 21:22
Katzenaugen - von BuffyAnne - 17.04.2005, 21:25
Katzenaugen - von sunny12 - 20.04.2005, 14:53
Katzenaugen - von Hanni242 - 23.04.2005, 22:41
Katzenaugen - von Fepa - 24.04.2005, 11:12
Katzenaugen - von Ssandy - 27.04.2005, 19:37
Katzenaugen - von ~Mimi~ - 27.04.2005, 20:11
Katzenaugen - von Fullmoon - 27.04.2005, 21:24
Katzenaugen - von Hanni242 - 27.04.2005, 21:30
Katzenaugen - von Pheebs - 29.04.2005, 23:22
Katzenaugen - von Corinna - 01.05.2005, 10:27
Katzenaugen - von ~Mimi~ - 04.05.2005, 20:42
Katzenaugen - von thats_me - 04.05.2005, 23:28
Katzenaugen - von Ssandy - 05.05.2005, 23:04
Katzenaugen - von Pheebs - 05.05.2005, 23:27
Katzenaugen - von Choco - 08.05.2005, 20:46
Katzenaugen - von JavaJunkie4ever - 08.05.2005, 20:57
Katzenaugen - von Pheebs - 08.05.2005, 20:59
Katzenaugen - von Ssandy - 08.05.2005, 22:41
Katzenaugen - von ~Mimi~ - 09.05.2005, 15:30
Katzenaugen - von *chrissie* - 09.05.2005, 17:32
Katzenaugen - von Melian - 11.05.2005, 20:33
Katzenaugen - von thats_me - 11.05.2005, 20:37
Katzenaugen - von ~Mimi~ - 17.05.2005, 21:45
Katzenaugen - von Ssandy - 24.05.2005, 00:54
Katzenaugen - von CuteMarianoGirl - 13.06.2005, 17:06
Katzenaugen - von GGjessi - 13.06.2005, 18:55
Katzenaugen - von Ssandy - 13.06.2005, 21:16
Katzenaugen - von Juanita - 13.06.2005, 21:42
Katzenaugen - von Pheebs - 13.06.2005, 21:50
Katzenaugen - von Corinna - 13.06.2005, 22:34
Katzenaugen - von sunny12 - 14.06.2005, 13:09
Katzenaugen - von GGjessi - 14.06.2005, 16:57
Katzenaugen - von BuffyAnne - 14.06.2005, 18:25
Katzenaugen - von Pheebs - 14.06.2005, 19:30
Katzenaugen - von BuffyAnne - 14.06.2005, 19:31
Katzenaugen - von silbernerschatz - 14.06.2005, 19:59
Katzenaugen - von Ssandy - 26.06.2005, 14:18
Katzenaugen - von Ssandy - 27.06.2005, 14:53
Katzenaugen - von ~Mimi~ - 22.07.2005, 23:14
Katzenaugen - von CuteMarianoGirl - 26.09.2005, 16:45

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste