11.03.2007, 00:53
Hallo ihr SüÃen :knuddel:
Ich habe schon ein wenig weiter geschrieben. Ich hoffe, euch gefällt der neue Teil. Freu mich, wie immer, schon sehr auf eure Feedbacks!
Hab euch lieb
Bussi Selene
32. Teil
Lillian
Spanish Harlem, 2000
Die Sonne verabschiedete sich an jenem Abend mit prächtigen Violettschattierungen. Ein trauriger Schimmer durchzog Lillians Augen, als sie das Naturschauspiel betrachtete. Sie war einst mit ihren Eltern am Balkon gesessen um zu beobachten, wie der Tag der Nacht wich. Die Sonnenuntergänge waren niemals wieder so malerisch und hypnotisierend wie zu jener Zeit gewesen. Dennoch übte dieser eine gewisse Kraft auf Lillian aus. Er gab ihr Mut. In einem gewissen Sinne zumindest. Das Bild wurde von dem Geruch der Abgase gestört, welcher in ihre Nase drang. Lillian seufzte leise und öffnete die Tür zu dem roten Ziegelbaublock. Sie lief über die staubige Treppe, die meist lauten Stimmen, welche aus den Wohnungen drangen, ignorierend. Elena öffnete bereits nach wenigen Sekunden. Sie musterte ihre Freundin überrascht und deutete ihr hinein zu kommen. Lillians Blick fiel auf Antonio, welcher mit Emilio ein Haus aus Legosteinen baute. Sie grüÃte ihn mit einem kurzen Lächeln und küsste Elenas Sohn auf die Stirn. âWir bauen eine Villa.â Erzählte der Kleine.
âDein Sohn wird eines Tages ein groÃer Architekt werden.â Sagte Antonio an Elena gewandt.
âDu machst das falsch!â Emilio musterte den grünen Stein, welchen Antonio gerade auf einen gelben getürmt hatte, Stirn runzelnd und setzte diesen schlieÃlich auf einen blauen.
âWillst du Kaffee?â Fragte Elena.
Lillian ging zurück zu ihr. âIch möchte dir keine Umstände machen. Ich wollte nur kurz vorbeischauen. Ich kann ein anderes mal wieder kommen, sollte es gerade ungünstig sein.â
âIch muss ohnehin gehen.â Antonio erhob sich. âDann könnt ihr beide euch in Ruhe über Frauenthemen unterhalten. Mode und Haare, oder so ein Unsinn.â Er zwinkerte Elena zu.
Emilio musterte ihn enttäuscht. âNicht gehen.â
Elena hob ihn hoch. âAch Cariño, du musst nun ohnehin schlafen gehen und Antonio hat heute gewiss noch viel zu erledigen.â
Antonio streichelte über Emilios Kopf. âWir bauen das Haus morgen fertig. Wenn es deiner Mutter recht ist.â
Nachdem er sich verabschiedet hatte, brachten Elena und Lillian Emilio in sein kleines Gitterbettchen. Letztere erfüllte ihm lächelnd den Wunsch aus einem Buch vorzulesen. Danach kochte Elena Kaffee für sich und ihre Freundin. Sie setzten sich auf den kleinen Küchentisch und unterhielten sich leise, damit Emilio nicht wieder erwachte.
âDein Kleiner versteht sich sehr gut mit Antonio.â Bemerkte Lillian und beobachtete die Gesichtszüge ihrer Freundin. Diese zeigten keinerlei Veränderungen. âEr ist ganz vernarrt in euch beide und Ana. Ich muss Acht geben, sonst zieht er eure Gesellschaft bald der meinen vor.â Elena schmunzelte.
Lillian lächelte. âDu ignorierst hoffentlich nicht völlig, dass Antonio nicht nur wegen Emilio kam.â
âNein, wir hatten einen Rohrbruch. Dumme Geschichte.â Elena seufzte leise. âEr hat es um ein Viertel des normalen Preises gerichtet. Aber ich werde ihm das restliche Geld bald geben.â
Lillian nickte leicht. Sie wusste, wie sehr Elena es hasste Hilfe anzunehmen. âAntonio hat das gerne gemacht.â
âHättest du sechs Geschwister, würdest du ihnen sicherlich auch gerne so lange wie möglich aus dem Weg gehen. Dafür nimmst du auch Ratenzahlungen in Kauf.â
Lillian runzelte die Stirn. âSag mal, Elena...â Begann sie zögernd. Sie wusste, dass es ihr eigentlich nicht zustand. â...hast du auch schon mal daran gedacht, dass es unter Umständen vielleicht auch ein wenig mit dir zu tun haben könnte?â
âNatürlich. Wir helfen uns alle gegenseitig, soweit es geht.â
âNein...das meinte ich nicht.â
Elena seufzte leise. âIch weiÃ...â Sie wich ihrem Blick aus. âEmilio ist der einzige Mann in meinem Leben, und das ist auch besser so. Ich glaube an die Ewigkeit der Liebe, bis über den Tod hinaus. Mein Herz wird immer nur Esteban gehören.â
Lillian runzelte die Stirn. âAber es tut dir auch nicht gut, wenn du dein ganzes Leben nur Emilio widmest.â
âDas tue ich doch gar nicht. Ich treffe dich, Carmen, meine guten Freunde Arturo und Antonio. Aber natürlich ist mein Sohn das Wichtigste in meinem Leben. Ich muss hart arbeiten, oft nächtelang, um ihn eines Tages mehr als das hier ermöglichen zu können. Er hat es nicht verdient in dieser Umgebung aufzuwachsen! Die Wände sind so dünn. In der Wohnung neben an streiten sie jede Nacht lauthals und über uns wohnen zwei Prostituierte und Drogensüchtige. Emilio sollte in einer ruhigen sicheren Gegend aufwachsen dürfen. Nicht das ich das konnte, aber ihm soll es möglich sein. Ich könnte weinen, jeden Tag wenn ich ihn betrachte. Ich könnte mich übergeben, wann auch immer ich mich selbst im Spiegel sehe...â Elenas Augen begannen zu tränen.
Lillian drückte die Hand ihrer Freundin, war einen Moment unfähig etwas zu erwidern. Elena sprach nicht oft darüber, auch wenn sie wohl sehr viel darüber nachdachte. âDu bist eine tolle Mutter, die beste, er könnte es nicht besser haben. Ich gebe dir Recht, diese Gegend ist gewiss nicht die freundlichste. Aber wir sind auch hier aufgewachsen und haben uns nicht so schlecht entwickelt.â Ihr gelang ein leichtes Lächeln.
Elena erwiderte es. âDu hast Recht. Mit allem, was du sagst. Dennoch. Würde sich eine Chance ergeben hier raus zu kommen, ich würde sie nützen. Manchmal denke ich, dass es sogar egal wäre, welche.â
Lillian runzelte die Stirn und betrachtete ihre Freundin nachdenklich. Sie wusste, wovon Elena sprach. Es ging um etwas, das Consuela Moldavo einmal gesagt hatte. Lillian traute ihrer Freundin nicht zu, einen Mann nur des Geldes wegen zu heiraten. Wahrscheinlich hatte sie es nur so dahin gesagt.
âHabe ich dich nun schockiert?â Elena lachte künstlich. âMach dir mal keine Sorgen, sollte ich eines Tages in einem prächtigen Palast wohnen, werde ich dich natürlich mitnehmen.â Sie zwinkerte.
Sie wechselten das Thema mit einem stummen Einverständnis. Lillian konnte nicht darüber sprechen, warum sie tatsächlich gekommen war. Elena konnte nicht beschreiben, was ihrem Herzen im tiefsten Inneren Schmerzen bereitete. Sie sprachen über heitere Episoden ihrer langjährigen Freundschaft und erkannten schlieÃlich, dass es genau das gewesen war, was ihre verletzten Seelen an diesem Abend gebraucht hatten. Lillians Herz fühlte sich erleichtert, als sie wenige Stunden später die StraÃe hinunterging. Der klare Sternenhimmel hatte die Stadt in einen funkelnden Mantel gehüllt, doch es begannen bereits die ersten Wolken aufzuziehen und das unwirkliche Bild zu zerreisen. Mit dem ersten Regentropfen kehrte auch die Schwere zurück, welche Lillians Herz so heftig erfasste, dass sie kurz den Atem anhielt. Sie lehnte sich gegen die AuÃenmauer eines überdachten Cafes und beobachtete die Regentropfen, welche in nun immer kürzeren Abständen den Asphalt begrüÃten. Zwei lachende Stimmen schreckten sie aus ihren Gedanken. Es versetzte ihrem Herzen einen Stich, als sie die beiden Personen erkannte, welche das Cafe verlieÃen. Sie hoffte, dass diese sie nicht sehen würden, doch das Glück schien auch diesmal nicht auf ihrer Seite zu sein.
âLillian?â Yolanda kam Stirn runzelnd auf sie zu.
âHi.â Lillian schenkte Arturo, welcher sich im Hintergrund hielt, einen kurzen Blick.
âWas machst du denn noch hier?â Fragte Yolanda. âMusst du morgen nicht zur Schule? Es ist schon sehr spät.â
Lillians Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen. Sie versuchte zu lächeln. âDoch. Ich habe eine Freundin besucht.â
Yolanda musterte sie verächtlich. âWie nett.â
âSollen wir dich nachhause fahren?â Fragte Arturo plötzlich.
Yolanda rollte mit den Augen. âDas ist ein Umweg für dich. AuÃerdem kann das doch Ricardo erledigen. Oder ein anderer. Es findet sich gewiss jemand, der dich gerne nachhause fährt.â
âIch möchte lieber zu Fuà gehen, danke.â Lillians Stimme zitterte.
âNa dann...schönen Abend noch. Komm Arturo...â Yolanda wandte sich lächelnd an ihn. âWenn du möchtest, können wir uns noch etwas bei mir unterhalten.â
Arturo sah kurz zu Lillian, welche den Blick wieder auf die Regentropfen gerichtet hatte. âWeiÃt du, Yolanda, ich muss morgen ebenfalls früh aufstehen.â
Diese verzog den Mund. âKlar, entschuldige. Begleitest du mich nachhause?â
âDu wohnst doch gleich in dem Gebäude gegenüber.â
Eine Falte bildete sich auf Yolandas Stirn. Ihre Stimme bekam einen süÃsauren Unterton. âDann sehen wir uns eben übermorgen bei der Geburtstagsfeier meiner Mutter. Was für ein Glück, dass unsere Familien so gut befreundet sind.â Sie warf Lillian einen Seitenblick zu und küsste Arturo kurz auf die Wange, bevor sie über die nasse StraÃe lief.
Er trat näher und lehnte sich neben Lillian an die Wand. âWas für ein Wetter...â
âWas hat Ricardo über mich erzählt?â Ihre Stimme zitterte. Sie schaffte es noch immer nicht ihn anzusehen.
Arturo seufzte leise. âDas ist doch egal.â
âNein, ist es nicht.â
âLillian, jeder, der dich ...und auch ihn...kennt, weiÃ, dass er lügt.â
âIch möchte es wissen.â Sie blickte in seine Augen.
âDass du in jener Nacht noch ein wenig Zeit mit ihm und zwei seiner Freunde verbracht hättest.â
Lillian wurde schwindlig. Sie hielt sich an der Mauer fest. âWarum? Warum erzählt er so etwas? Was habe ich ihm denn getan?â
Arturo strich über ihren linken Oberarm. âDu zitterst ja.â Er zog sie sanft an sich.
âDu glaubst ihm doch nicht?â Eine einzelne Träne rann über ihre Wange.
âNein, natürlich nicht.â
âEr...er hat mich lediglich nachhause gebracht.â
âIch weiÃ.â Arturo zog ihren zitternden Körper fester an sich. âGlaub mir, er wird es so schnell nicht mehr wagen, etwas über dich zu erzählen.â
âMeine GroÃmutter...â Lillian hielt den Atem an. âSie hat gewiss schon davon gehört. Oh mein Gott...ich muss endlich raus hier.â
âVergiss ihn. In ein paar Wochen wird keiner mehr über diese Geschichte nachdenken.â
Sie beide wussten, dass das nicht stimmen würde. Dennoch war es für Lillian leichter, diesen Satz gedanklich immer wieder zu wiederholen. âArturo...â Ihre Stimme überschlug sich. âEs tut mir leid...es tut mir so leid. Ich habe es gar nicht verdient, dass du hier bei mir bist. Du hattest Recht...mit allem, was du sagtest. Du hast es nicht verdient, so behandelt zu werden. Vielleicht hättest du mit Yolanda mitgehen sollen. Vielleicht hätte es genau so sein sollen...â
Arturo strich über ihr langes Haar. âNein, so soll es gewiss nicht sein.â Er löste sich sanft von ihr, hob ihr Kinn und zwang sie so ihn anzusehen. âIch will hier sein.â
âIch...ich habe Angst. Diese Gefühle machen mir Angst. Sie machen mich so verletzbar. Ich...ich weià nicht, ob ich diese Schmerzen noch einmal verkraften könnte...â Ihre Stimme wurde heiser. Sie wandte sich von ihm ab und fixierte das Haus gegenüber. âEs ist, als würde mein vernarbtes Herz die Kontrolle übernehmen. Wann immer ihm ein Mensch zu nahe kommt, bekomme ich Atemnot. Ich weise ihn zurück, auch wenn ich es gar nicht möchte...â Lillian gab dem Druck der Tränen nach, konnte ihn nicht mehr kontrollieren. Sie hatte sich verletzbarer gemacht als jemals zuvor. Lillian verspürte einen Stich im Herzen, als sie Arturos Hände auf ihren Hüften spürte. Er zog sie langsam an sich. âWir alle haben Angst.â Flüsterte er. âManche mehr, andere weniger. Die Angst vor Verlust und Schmerz ist jedoch in jedem von uns. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass sie unser gesamtes Leben beherrscht.â
Lillian atmete tief durch, als sie seine Lippen auf ihrer Wange spürte. Arturo drehte sie sanft zu sich und wischte die letzten Tränen von ihren Wangen. Er zog sie langsam an sich und strich mit den Fingern über ihr Gesicht. Als sich ihre Lippen berührten, war es anders als bei jedem Kuss zuvor. Lillian spürte etwas in sich, an dessen Existenz sie gar nicht mehr geglaubt hatte. Sie spürte, dass sie lebte. Lillian schlang die Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss mit einer Leidenschaft, welche ihnen beiden für einen Moment den Atem nahm. Sie lieÃen sich erst los, als ein vorbeifahrendes Auto plötzlich hupte. Lillian löste sich lächelnd von Arturo. âDanke.â Flüsterte sie leise. Er wusste, wovon sie sprach.
âIch bringe dich nachhause.â Er legte den Arm um sie und zog sie zu seinem Auto. Der Regen hatte vor einigen Minuten wieder aufgehört. Die Wolkenfelder hatten begonnen sich zu lösen und den funkelnden Sternenmantel wieder frei zu geben. Als sie die Wohnung erreichten, schien er heller als jemals zuvor.
âSehen wir uns am Freitag nach meinen Prüfungen?â
Arturo nickte und strich eine Haarsträhne hinter Lillians Ohr. âIch hole dich ab.â
âArturo...â Lillian zögerte. âWas wird das mit uns? Wir können nicht einfach an dem Punkt weitermachen, an dem wir aufhörten...â
âDas will ich auch nicht.â
Sie runzelte die Stirn.
Arturo spielte mit einer ihrer Haarsträhnen. âIch will mich zu Recht aufregen dürfen, wenn ein anderer dich auch nur ansieht.â Er zwinkerte.
âDu bist ganz schön Besitz ergreifend.â Lillian grinste.
âJa, das kann sein.â Plötzlich veränderte sich seine Miene. Er wurde ernst. âHör mal, Lillian. Es gibt für nichts auf dieser Welt eine Garantie. Aber ich kann dir eines versprechen: Ich würde dich niemals absichtlich verletzen.â
Sie küssten sich noch einmal, bevor Lillian ausstieg.
Ich habe schon ein wenig weiter geschrieben. Ich hoffe, euch gefällt der neue Teil. Freu mich, wie immer, schon sehr auf eure Feedbacks!
Hab euch lieb
Bussi Selene
32. Teil
Lillian
Spanish Harlem, 2000
Die Sonne verabschiedete sich an jenem Abend mit prächtigen Violettschattierungen. Ein trauriger Schimmer durchzog Lillians Augen, als sie das Naturschauspiel betrachtete. Sie war einst mit ihren Eltern am Balkon gesessen um zu beobachten, wie der Tag der Nacht wich. Die Sonnenuntergänge waren niemals wieder so malerisch und hypnotisierend wie zu jener Zeit gewesen. Dennoch übte dieser eine gewisse Kraft auf Lillian aus. Er gab ihr Mut. In einem gewissen Sinne zumindest. Das Bild wurde von dem Geruch der Abgase gestört, welcher in ihre Nase drang. Lillian seufzte leise und öffnete die Tür zu dem roten Ziegelbaublock. Sie lief über die staubige Treppe, die meist lauten Stimmen, welche aus den Wohnungen drangen, ignorierend. Elena öffnete bereits nach wenigen Sekunden. Sie musterte ihre Freundin überrascht und deutete ihr hinein zu kommen. Lillians Blick fiel auf Antonio, welcher mit Emilio ein Haus aus Legosteinen baute. Sie grüÃte ihn mit einem kurzen Lächeln und küsste Elenas Sohn auf die Stirn. âWir bauen eine Villa.â Erzählte der Kleine.
âDein Sohn wird eines Tages ein groÃer Architekt werden.â Sagte Antonio an Elena gewandt.
âDu machst das falsch!â Emilio musterte den grünen Stein, welchen Antonio gerade auf einen gelben getürmt hatte, Stirn runzelnd und setzte diesen schlieÃlich auf einen blauen.
âWillst du Kaffee?â Fragte Elena.
Lillian ging zurück zu ihr. âIch möchte dir keine Umstände machen. Ich wollte nur kurz vorbeischauen. Ich kann ein anderes mal wieder kommen, sollte es gerade ungünstig sein.â
âIch muss ohnehin gehen.â Antonio erhob sich. âDann könnt ihr beide euch in Ruhe über Frauenthemen unterhalten. Mode und Haare, oder so ein Unsinn.â Er zwinkerte Elena zu.
Emilio musterte ihn enttäuscht. âNicht gehen.â
Elena hob ihn hoch. âAch Cariño, du musst nun ohnehin schlafen gehen und Antonio hat heute gewiss noch viel zu erledigen.â
Antonio streichelte über Emilios Kopf. âWir bauen das Haus morgen fertig. Wenn es deiner Mutter recht ist.â
Nachdem er sich verabschiedet hatte, brachten Elena und Lillian Emilio in sein kleines Gitterbettchen. Letztere erfüllte ihm lächelnd den Wunsch aus einem Buch vorzulesen. Danach kochte Elena Kaffee für sich und ihre Freundin. Sie setzten sich auf den kleinen Küchentisch und unterhielten sich leise, damit Emilio nicht wieder erwachte.
âDein Kleiner versteht sich sehr gut mit Antonio.â Bemerkte Lillian und beobachtete die Gesichtszüge ihrer Freundin. Diese zeigten keinerlei Veränderungen. âEr ist ganz vernarrt in euch beide und Ana. Ich muss Acht geben, sonst zieht er eure Gesellschaft bald der meinen vor.â Elena schmunzelte.
Lillian lächelte. âDu ignorierst hoffentlich nicht völlig, dass Antonio nicht nur wegen Emilio kam.â
âNein, wir hatten einen Rohrbruch. Dumme Geschichte.â Elena seufzte leise. âEr hat es um ein Viertel des normalen Preises gerichtet. Aber ich werde ihm das restliche Geld bald geben.â
Lillian nickte leicht. Sie wusste, wie sehr Elena es hasste Hilfe anzunehmen. âAntonio hat das gerne gemacht.â
âHättest du sechs Geschwister, würdest du ihnen sicherlich auch gerne so lange wie möglich aus dem Weg gehen. Dafür nimmst du auch Ratenzahlungen in Kauf.â
Lillian runzelte die Stirn. âSag mal, Elena...â Begann sie zögernd. Sie wusste, dass es ihr eigentlich nicht zustand. â...hast du auch schon mal daran gedacht, dass es unter Umständen vielleicht auch ein wenig mit dir zu tun haben könnte?â
âNatürlich. Wir helfen uns alle gegenseitig, soweit es geht.â
âNein...das meinte ich nicht.â
Elena seufzte leise. âIch weiÃ...â Sie wich ihrem Blick aus. âEmilio ist der einzige Mann in meinem Leben, und das ist auch besser so. Ich glaube an die Ewigkeit der Liebe, bis über den Tod hinaus. Mein Herz wird immer nur Esteban gehören.â
Lillian runzelte die Stirn. âAber es tut dir auch nicht gut, wenn du dein ganzes Leben nur Emilio widmest.â
âDas tue ich doch gar nicht. Ich treffe dich, Carmen, meine guten Freunde Arturo und Antonio. Aber natürlich ist mein Sohn das Wichtigste in meinem Leben. Ich muss hart arbeiten, oft nächtelang, um ihn eines Tages mehr als das hier ermöglichen zu können. Er hat es nicht verdient in dieser Umgebung aufzuwachsen! Die Wände sind so dünn. In der Wohnung neben an streiten sie jede Nacht lauthals und über uns wohnen zwei Prostituierte und Drogensüchtige. Emilio sollte in einer ruhigen sicheren Gegend aufwachsen dürfen. Nicht das ich das konnte, aber ihm soll es möglich sein. Ich könnte weinen, jeden Tag wenn ich ihn betrachte. Ich könnte mich übergeben, wann auch immer ich mich selbst im Spiegel sehe...â Elenas Augen begannen zu tränen.
Lillian drückte die Hand ihrer Freundin, war einen Moment unfähig etwas zu erwidern. Elena sprach nicht oft darüber, auch wenn sie wohl sehr viel darüber nachdachte. âDu bist eine tolle Mutter, die beste, er könnte es nicht besser haben. Ich gebe dir Recht, diese Gegend ist gewiss nicht die freundlichste. Aber wir sind auch hier aufgewachsen und haben uns nicht so schlecht entwickelt.â Ihr gelang ein leichtes Lächeln.
Elena erwiderte es. âDu hast Recht. Mit allem, was du sagst. Dennoch. Würde sich eine Chance ergeben hier raus zu kommen, ich würde sie nützen. Manchmal denke ich, dass es sogar egal wäre, welche.â
Lillian runzelte die Stirn und betrachtete ihre Freundin nachdenklich. Sie wusste, wovon Elena sprach. Es ging um etwas, das Consuela Moldavo einmal gesagt hatte. Lillian traute ihrer Freundin nicht zu, einen Mann nur des Geldes wegen zu heiraten. Wahrscheinlich hatte sie es nur so dahin gesagt.
âHabe ich dich nun schockiert?â Elena lachte künstlich. âMach dir mal keine Sorgen, sollte ich eines Tages in einem prächtigen Palast wohnen, werde ich dich natürlich mitnehmen.â Sie zwinkerte.
Sie wechselten das Thema mit einem stummen Einverständnis. Lillian konnte nicht darüber sprechen, warum sie tatsächlich gekommen war. Elena konnte nicht beschreiben, was ihrem Herzen im tiefsten Inneren Schmerzen bereitete. Sie sprachen über heitere Episoden ihrer langjährigen Freundschaft und erkannten schlieÃlich, dass es genau das gewesen war, was ihre verletzten Seelen an diesem Abend gebraucht hatten. Lillians Herz fühlte sich erleichtert, als sie wenige Stunden später die StraÃe hinunterging. Der klare Sternenhimmel hatte die Stadt in einen funkelnden Mantel gehüllt, doch es begannen bereits die ersten Wolken aufzuziehen und das unwirkliche Bild zu zerreisen. Mit dem ersten Regentropfen kehrte auch die Schwere zurück, welche Lillians Herz so heftig erfasste, dass sie kurz den Atem anhielt. Sie lehnte sich gegen die AuÃenmauer eines überdachten Cafes und beobachtete die Regentropfen, welche in nun immer kürzeren Abständen den Asphalt begrüÃten. Zwei lachende Stimmen schreckten sie aus ihren Gedanken. Es versetzte ihrem Herzen einen Stich, als sie die beiden Personen erkannte, welche das Cafe verlieÃen. Sie hoffte, dass diese sie nicht sehen würden, doch das Glück schien auch diesmal nicht auf ihrer Seite zu sein.
âLillian?â Yolanda kam Stirn runzelnd auf sie zu.
âHi.â Lillian schenkte Arturo, welcher sich im Hintergrund hielt, einen kurzen Blick.
âWas machst du denn noch hier?â Fragte Yolanda. âMusst du morgen nicht zur Schule? Es ist schon sehr spät.â
Lillians Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen. Sie versuchte zu lächeln. âDoch. Ich habe eine Freundin besucht.â
Yolanda musterte sie verächtlich. âWie nett.â
âSollen wir dich nachhause fahren?â Fragte Arturo plötzlich.
Yolanda rollte mit den Augen. âDas ist ein Umweg für dich. AuÃerdem kann das doch Ricardo erledigen. Oder ein anderer. Es findet sich gewiss jemand, der dich gerne nachhause fährt.â
âIch möchte lieber zu Fuà gehen, danke.â Lillians Stimme zitterte.
âNa dann...schönen Abend noch. Komm Arturo...â Yolanda wandte sich lächelnd an ihn. âWenn du möchtest, können wir uns noch etwas bei mir unterhalten.â
Arturo sah kurz zu Lillian, welche den Blick wieder auf die Regentropfen gerichtet hatte. âWeiÃt du, Yolanda, ich muss morgen ebenfalls früh aufstehen.â
Diese verzog den Mund. âKlar, entschuldige. Begleitest du mich nachhause?â
âDu wohnst doch gleich in dem Gebäude gegenüber.â
Eine Falte bildete sich auf Yolandas Stirn. Ihre Stimme bekam einen süÃsauren Unterton. âDann sehen wir uns eben übermorgen bei der Geburtstagsfeier meiner Mutter. Was für ein Glück, dass unsere Familien so gut befreundet sind.â Sie warf Lillian einen Seitenblick zu und küsste Arturo kurz auf die Wange, bevor sie über die nasse StraÃe lief.
Er trat näher und lehnte sich neben Lillian an die Wand. âWas für ein Wetter...â
âWas hat Ricardo über mich erzählt?â Ihre Stimme zitterte. Sie schaffte es noch immer nicht ihn anzusehen.
Arturo seufzte leise. âDas ist doch egal.â
âNein, ist es nicht.â
âLillian, jeder, der dich ...und auch ihn...kennt, weiÃ, dass er lügt.â
âIch möchte es wissen.â Sie blickte in seine Augen.
âDass du in jener Nacht noch ein wenig Zeit mit ihm und zwei seiner Freunde verbracht hättest.â
Lillian wurde schwindlig. Sie hielt sich an der Mauer fest. âWarum? Warum erzählt er so etwas? Was habe ich ihm denn getan?â
Arturo strich über ihren linken Oberarm. âDu zitterst ja.â Er zog sie sanft an sich.
âDu glaubst ihm doch nicht?â Eine einzelne Träne rann über ihre Wange.
âNein, natürlich nicht.â
âEr...er hat mich lediglich nachhause gebracht.â
âIch weiÃ.â Arturo zog ihren zitternden Körper fester an sich. âGlaub mir, er wird es so schnell nicht mehr wagen, etwas über dich zu erzählen.â
âMeine GroÃmutter...â Lillian hielt den Atem an. âSie hat gewiss schon davon gehört. Oh mein Gott...ich muss endlich raus hier.â
âVergiss ihn. In ein paar Wochen wird keiner mehr über diese Geschichte nachdenken.â
Sie beide wussten, dass das nicht stimmen würde. Dennoch war es für Lillian leichter, diesen Satz gedanklich immer wieder zu wiederholen. âArturo...â Ihre Stimme überschlug sich. âEs tut mir leid...es tut mir so leid. Ich habe es gar nicht verdient, dass du hier bei mir bist. Du hattest Recht...mit allem, was du sagtest. Du hast es nicht verdient, so behandelt zu werden. Vielleicht hättest du mit Yolanda mitgehen sollen. Vielleicht hätte es genau so sein sollen...â
Arturo strich über ihr langes Haar. âNein, so soll es gewiss nicht sein.â Er löste sich sanft von ihr, hob ihr Kinn und zwang sie so ihn anzusehen. âIch will hier sein.â
âIch...ich habe Angst. Diese Gefühle machen mir Angst. Sie machen mich so verletzbar. Ich...ich weià nicht, ob ich diese Schmerzen noch einmal verkraften könnte...â Ihre Stimme wurde heiser. Sie wandte sich von ihm ab und fixierte das Haus gegenüber. âEs ist, als würde mein vernarbtes Herz die Kontrolle übernehmen. Wann immer ihm ein Mensch zu nahe kommt, bekomme ich Atemnot. Ich weise ihn zurück, auch wenn ich es gar nicht möchte...â Lillian gab dem Druck der Tränen nach, konnte ihn nicht mehr kontrollieren. Sie hatte sich verletzbarer gemacht als jemals zuvor. Lillian verspürte einen Stich im Herzen, als sie Arturos Hände auf ihren Hüften spürte. Er zog sie langsam an sich. âWir alle haben Angst.â Flüsterte er. âManche mehr, andere weniger. Die Angst vor Verlust und Schmerz ist jedoch in jedem von uns. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass sie unser gesamtes Leben beherrscht.â
Lillian atmete tief durch, als sie seine Lippen auf ihrer Wange spürte. Arturo drehte sie sanft zu sich und wischte die letzten Tränen von ihren Wangen. Er zog sie langsam an sich und strich mit den Fingern über ihr Gesicht. Als sich ihre Lippen berührten, war es anders als bei jedem Kuss zuvor. Lillian spürte etwas in sich, an dessen Existenz sie gar nicht mehr geglaubt hatte. Sie spürte, dass sie lebte. Lillian schlang die Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss mit einer Leidenschaft, welche ihnen beiden für einen Moment den Atem nahm. Sie lieÃen sich erst los, als ein vorbeifahrendes Auto plötzlich hupte. Lillian löste sich lächelnd von Arturo. âDanke.â Flüsterte sie leise. Er wusste, wovon sie sprach.
âIch bringe dich nachhause.â Er legte den Arm um sie und zog sie zu seinem Auto. Der Regen hatte vor einigen Minuten wieder aufgehört. Die Wolkenfelder hatten begonnen sich zu lösen und den funkelnden Sternenmantel wieder frei zu geben. Als sie die Wohnung erreichten, schien er heller als jemals zuvor.
âSehen wir uns am Freitag nach meinen Prüfungen?â
Arturo nickte und strich eine Haarsträhne hinter Lillians Ohr. âIch hole dich ab.â
âArturo...â Lillian zögerte. âWas wird das mit uns? Wir können nicht einfach an dem Punkt weitermachen, an dem wir aufhörten...â
âDas will ich auch nicht.â
Sie runzelte die Stirn.
Arturo spielte mit einer ihrer Haarsträhnen. âIch will mich zu Recht aufregen dürfen, wenn ein anderer dich auch nur ansieht.â Er zwinkerte.
âDu bist ganz schön Besitz ergreifend.â Lillian grinste.
âJa, das kann sein.â Plötzlich veränderte sich seine Miene. Er wurde ernst. âHör mal, Lillian. Es gibt für nichts auf dieser Welt eine Garantie. Aber ich kann dir eines versprechen: Ich würde dich niemals absichtlich verletzen.â
Sie küssten sich noch einmal, bevor Lillian ausstieg.