09.08.2005, 21:07
Hallo!
Hab schon weiter geschrieben
Bin etwas unsicher, ob ich alles so rübergebracht habe, wie ich wollte.
Hoffe euch gefällt der Teil trotzdem.
14. Teil
Als der Tag sich seinem Ende näherte, begann ein heftiger Schneesturm in Stars Hollow zu wüten. Das fröhliche Kinderlachen, welches man noch vor wenigen Stunden von allen Seiten gehört hatte, war vollkommen verstummt. Die Bewohner schienen sich endgültig in ihren Häusern zurückgezogen zu haben, um gemeinsam mit der ganzen Familie Kaffe und heiÃe Schokolade schlürfend vor dem heiÃen Kaminfeuer zu sitzen und Erinnerungen aufzufrischen. Um sich eine Decke teilend auf die Couch zu kuscheln und Videos zu schauen. Oder um in getrennten Räumen von einem besseren Leben zu träumen.
Der Sturm schlug die Jalousie mit einer Kraft gegen die Fensterscheibe, die mich zusammen zucken lieÃ. Die Stille in Mums kleinem Gästezimmer wurde für einen Moment unterbrochen. Dafür wäre jedoch nicht ein Sturm notwendig gewesen. Eine Stecknadel hätte gereicht.
Vom unteren Stockwerk war noch immer ein angeregtes Plaudern zu vernehmen. Es hatte nicht für einen einzigen Moment aufgehört. Hatte der Sturm nur mich erschreckt? Schlug er überhaupt im unteren Stockwerk gegen die Jalousie oder tobte er nur durch mein Leben?
Carol hatte den Blick auf ihre Zehenspitzen gerichtet. Sie offenbar wusste nicht, worüber sie mit mir sprechen sollte und das war ihr sichtlich unangenehm. Es gab sehr viele Fragen, die ich ihr stellen wollte. Doch wie sollte ich beginnen?
âWas für ein heftiger Sturmâ¦â Begann ich. Ein dummer Anfang, auf welchen man nur schwer aufbauen konnte.
Carol wandte sich zum Fenster. Nach einer weiteren Schweigepause sagte sie schlieÃlich. âIch kann mich nicht erinnern jemals so einen Sturm erlebt zu haben.â
âWie ist es in einem Land zu leben, in dem es niemals schneit? Fehlt dir der Schnee?â
âIch habe den GroÃteil meines Lebens in San Francisco verbracht. Ich kannte den Schnee lediglich von Urlauben bei Grandma. Aber ja, er hat mir gefehlt.â
âDu bist früher oft bei ihnen gewesen.â Ich blickte sie nachdenklich an. Wie würde sie damit fertig werden, wenn der Tag gekommen ist?
Sie nickte. âJa. Wir haben immer ein ausgezeichnetes Verhältnis gehabt.â Carol wich meinem Blick aus.
Der Druck auf meinem Herzen begann nachzulassen. Es war nur ganz wenig, aber ich spürte es.
Das war das wohl herzlichste Gespräch, welches meine Tochter und ich seit Jahren geführt hatten. Kein Streit, keine Vorwürfe, keine Schuldzuweisungen.
War das ein Anfang?
âJenny hat mich angerufen.â Sagte sie plötzlich.
Eine Welle von Zärtlichkeit erfüllte mein Herz. Jenny, meine Jüngste. Sie war immer der kleine Sonnenschein der Familie gewesen. Jenny war zehn Jahr alt gewesen, als ich mich endlich von Logan scheiden gelassen hatte. Ich hatte das Sorgerecht bekommen und sie groÃteils alleine erzogen.
âSie wird so bald wie möglich nach Stars Hollow kommen. Sie hat morgen noch eine wichtige Prüfung.â Erzählte Carol.
Meine Kleine studierte Journalismus. Ich war unendlich stolz auf sie. Jenny würde meinen Weg gehen und Auslandskorrespondentin bei CNN werden, da war ich mir sicher.
âWie geht es dir eigentlich auf der Universität?â Erkundigte ich mich. Carol unterrichtete seit ein paar Jahren Englisch und Literatur.
Sie lächelte leicht. âSehr gut. Es macht SpaÃ.â Carol seufzte. âObwohl es nicht gut bezahlt wird.â Fügte sie mit einem provozierenden Unterton hinzu.
âDu weiÃt, dass du mehr aus deinen Qualifikationen machen hättest können?â
Sie seufzte wieder. âIch bin glücklich.â
Zumindest eine war das, scheinbar. Es war ihr Leben und ging mich im Grunde nichts mehr an. Trotzdem ärgerte mich ihre Entscheidung noch immer. Das Auslandsjahr war lediglich als Erfahrung gedacht gewesen. Sie hätte in Harvard studieren können. Harvard, die Universität, welche mir damals erfolgreich ausgeredet worden war. Ich hatte es nach meinem zweiten Jahr auf Yale bereut nicht nach Harvard gegangen zu sein. Ein Wechsel war für mich nicht möglich gewesen. Meine älteste Tochter, Beste ihres High School Jahrganges, Gewinnerin dreier Literaturpreise, war in der besten Universität der Welt ohne Schwierigkeiten angenommen worden, beschloss aber stattdessen lieber in Puerto Rico zu bleiben um unter Palmen zu unterrichten.
âIch mache mir einen Kaffee.â Ich versuchte nicht zu eisig zu klingen, dies misslang jedoch.
Carol warf mir einen gleichgültigen Blick zu. Meine Meinung war für sie nicht mehr von Bedeutung.
Ich fand meine kleine Enkeltochter in eine Decke gekuschelt auf der Couch vor dem Fernseher. Sie trank genüsslich von einer dampfenden Tasse und erfreute sich an einer billigen Seifenoper. Als ich näher trat, stieg mir das unvergleichliche Aroma heiÃen Kaffees in die Nase.
âDu trinkst Kaffee.â Ich lächelte.
âIch glaube, Mum und ich könnten gar nicht existieren ohne Kaffee. Er ist wie Sauerstoff.â
Ich schmunzelte. âMeine Mum und ich könnten auch nicht existieren ohne Kaffee.â
âSoll ich Uroma einen bringen?â
Ich schluckte. âNein, meine Kleine. Sie darf ihn nicht mehr trinken.â Ich wollte sie nicht belügen. Der Druck auf meinem Herzen verstärkte sich. Mum war schwer krank. Koffein würde ihrem Körper noch mehr schaden.
Carmen blickte mich erstaunt an. âAber sie braucht ihn doch.â
âIm Moment darf sie nur Tee trinken. Der Kaffee ist nicht mehr gut für ihren Körper.â
âTee?â Carmens Augen weiteten sich. âWann darf sie wieder Kaffee trinken?â
âBald.â Mum musste bald wieder gesund werden. Ihre Familie brauchte sie. Ich brauchte sie. Mehr als alles andere.
Mum hatte es sehr lange geschafft zumindest einen Teil der Familie zusammenzuhalten. Ich habe es bis heute immer wieder geschafft, das Band der Familie zu zerreiÃen. Zumindest mich aus der langen Kette beinahe vollständig herauszulösen. Ohne Mum und Luke würde es die Familie nicht mehr geben. Es würde nicht mehr so sein wie es sein sollte. Warum war es also sie, die gehen musste und nicht ich?
âDarf ich ihr dann eine groÃe Kanne Kaffee machen?â erkundigte sich Carmen.
Ich spürte wie meine Finger zu zittern begannen. Dieses âdannâ würde es nicht geben, das wurde mir von Tag zu Tag stärker bewusst. Ich versuchte die Tränen zu unterdrücken. Es war mir wichtig vor meiner Enkelin stark zu sein. Diese Aufgabe war schwierig. Es zerriss mir beinahe jedes Mal das Herz, wenn ich an Mum dachte. An den traurigen Glanz ihrer Augen, ihren sterbenden Körper. Ich hatte so viele Jahre kein Wort mit ihr gewechselt, sie einfach alleine gelassen. Mum hatte mich gebraucht, ich war nicht da gewesen. Nun war ich da, und es war wahrscheinlich schon zu spät.
âJa.â Antwortete ich nur und verlieà den Raum. Ich wollte gerade die Küche betreten, als ich Stimmen vernahm. Zögernd blieb ich hinter der Tür stehen.
Lauschen hatte all die Jahre nur dazu geführt, dass ich Dinge gehört hatte, die ich besser nicht hätte hören sollen.
Ich ging nachdenklich in der Küche auf und ab. âSo geht das nicht weiterâ¦â
Matt sah mir relativ gleichgültig zu. Seine dunklen Augen blitzten frech und seine Haare standen wirr in alle Himmelsrichtungen. Er grinste. âDer andere hat angefangen.â
âMatt, es ist mir vollkommen egal, wer von euch angefangen hat. Tatsache ist, dass du zum siebenten Mal in diesem Monat aufgrund einer Schlägerei nachsitzen musstestâ¦â
âMum, was sind schon Zahlenâ¦AuÃerdem ist sieben Mal im Monat doch sehr wenigâ¦â
Mir verschlug es die Sprache. âDieser Monat hatte erst fünfzehn Tageâ¦was schlieÃt du daraus?â
âWir müssen am Samstag wieder mit Grandma Beatrice essen gehen?â
Ich atmete tief durch. âMatt, ich muss mit deinem Vater sprechenâ¦so kann es nicht weiter gehen. Was ist denn nur los?â Ich strich ihm besorgt über die Wange.
Mein Sohn wandte sich mit genervtem Gesichtsausdruck ab. âKann ich jetzt zu Jeff gehen?â
âNein, du wirst heute sicher nicht zu Jeff gehen!â
Matt rollte mit den Augen, nahm seinen Rucksack und ging auf sein Zimmer. Ich sah ihm Kopf schüttelnd nach. Richtig böse konnte ich ihm nicht sein. Dafür erinnerte er mich viel zu sehr an seinen Vater. Ich seufzte. Es war nun mehr als elf Jahre her, dass ich Jess zuletzt gesehen hatte. Ein Abschied für immer. Denn es war uns nicht bestimmt zusammen zu sein. Ich verdrängte diese Gedanken und ging langsam die Treppe zu Logans Arbeitszimmer hinauf. Die Tür war nur angelehnt. Ich konnte eine leise Stimme vernehmen. Zögernd blieb ich stehen. Logan wollte nicht, dass man ihn bei einem Telefonat störte. Schon gar nicht, wenn es Carol oder ich waren. Er hätte bestimmt auch nicht gewollt, dass ich hörte was er seiner Gesprächspartnerin zu sagen hatte.
Seine Stimme war viel sanfter als ich sie kannte. ââ¦du musst das verstehen, mein Lieblingâ¦â
Meinem Herzen versetzte es einen Stich. Er hatte mich schon oft betrogen. Ich hatte es meist durch Zetteln mit Namen und Telefonnummern, Briefe in Gewandschubladen oder merkwürdigen Nachrichten auf dem Anrufbeantworter bemerkt. Demütigender war es, als zwei Freundinnen und ein Arbeitskollegin ihn mit einer anderen gesehen hatten. Aber dieses Telefongespräch übertraf alles.
ââ¦Ich liebe nur dich. ⦠Ich habe dir doch schon von ihr erzählt. Wie kommst du darauf, dass sie mir mehr bedeuten könnte?â Er seufzte.
Nach einer kleinen Pause fuhr er fort. âDas ist nicht so einfach, meine Liebe. Wir haben drei Kinder. Sie ist eine gute Mutter. Wären die Kinder nicht, würde ich mich sofort scheiden lassenâ¦und ich liebe dichâ¦Rory ist bildhübsch, das war es aber schonâ¦du bist mir im Gegensatz zu ihr intellektuell gleichgestelltâ¦sie hat doch nichts geschafft in ihrem Leben, du kennst doch dieses lächerliche Wochenmagazin für welches sie schreibtâ¦ich bin es ihr schuldig, sie zu unterstützenâ¦ohne mich wäre sie beinahe mittellosâ¦â
Ich spürte die Tränen kaum. Meine Arme und Beine zitterten. Ich war noch nie so gedemütigt worden. Langsam ging ich den schmalen Gang zu Matts Zimmer und erlaubte ihm zu Jeff zu gehen.
Wäre dies Jahre davor passiert, hätte ich Logan die Meinung gesagt und ohne zu zögern die Scheidung eingereicht. Es war allerdings zu einem Zeitpunkt geschehen, wo ich mich selbst bereits verloren hatte. Die traurige Wahrheit war, dass ich Logans Ansichten geteilt hatte. Ich hatte mich selbst nichts mehr wert gefühlt.
Plötzlich erschien diese eine Szene ganz klar vor meinen Augen. Den Abend, welchen ich zu vergessen versuchte.
Carol war gerade ein halbes Jahr alt geworden, als ich eine Telefonnummer mit dem Namen einer fremden Frau in Logans Jackentasche fand.
Ich sprach ihn darauf an, er wusste natürlich eine teilweise glaubwürdige Ausrede.
Ich war verunsichert und fuhr zu Grandma um mit ihr darüber zu reden.
Wir saÃen bei einer heiÃen Suppe und Wein, im Hintergrund lief leise Musik.
âRory, du steigerst dich da möglicherweise in etwas hinein.â Sie liebte Logan und wünschte sich Beatrices Anerkennung mehr als alles andere. âHandle nicht voreilig.â
âAber, Grandmaâ¦was, wenn er mich betrogen hat?â
Grandma blickte mich traurig an. Ich weià bis heute nicht ob sie ernst meinte, was sie schlieÃlich antwortete. âJunge Männer können einer Versuchung oft nicht widerstehen. Das legt sich wieder. Es war ein Ausrutscher. Du solltest deshalb nicht eure Ehe aufs Spiel setzen. Was würden die Leute denken? ⦠Er ist ein gebildeter Mann aus einer gut situierten Familie. Einen wie Logan triffst du kein zweites Mal.â
Mit dem letzten Satz hatte sie gewiss Rechtâ¦
Ich hatte gerade wieder Streit mit Mum, und Lane hatte seit einer dummen Meinungsverschiedenheit nichts mehr mit mir gesprochen. Paris war für dieses Thema wohl höchst ungeeignet, somit blieb mir nur mehr Grandma als Ratgeberin. Sie war die einzige, die ich zu jener Zeit noch hatte. Denn Grandpa verstand mich allmählich genauso wenig wie es Mum tat.
Ich strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und atmete tief durch. Luke und Ramon saÃen an dem kleinen Küchentisch.
Luke runzelte nachdenklich die Stirn. âSie weià es also nicht?â
Ramon seufzte und schüttelte den Kopf. âWir haben es ihr niemals erzählt.â
Luke räusperte sich und kratzte sich am Kopf. âMacht es nicht. Es ist besser so. Es würde die Vergangenheit nur wieder ans Tageslicht rücken lassen. Sie hat lange gebraucht, um diese zu verarbeiten. Ohne therapeutische Hilfe hätte sie es wahrscheinlich niemals geschafft.â
Meine Finger zitterten. Woher wussten sie es? Oder ging es gar nicht um mich? Was verheimlichte mir Luke? Luke, der Mann, der mir immer ein Vater gewesen war. Er würde mich doch niemals im Stich lassen, würde er? Was durfte ich nicht erfahren? Mein Herz klopfte. Ich konnte nicht mehr.
Vielleicht sprachen sie auch von Mum. Es beschäftigte sie gewiss derselbe dunkle Fleck unserer gemeinsamen Vergangenheit wie mich.
Ich war Schuld am Tod meiner kleinen Schwester gewesen. Mum hatte sie verloren, weil ich so egoistisch gewesen war. Ich hatte meiner Schwester die Chance auf ein Leben mit den liebevollsten Eltern genommen.
Eine Träne tropfte auf meinen Handrücken. Ich versuchte mich zu kontrollieren. Langsam betrat ich die Küche.
Mein Vater und mein Schwiegersohn blickten mich überrascht an.
Ich atmete tief durch. Sie würden mich nicht ernst nehmen, wenn ich weine. Meine Lippen bebten, als ich zu sprechen beginnen wollte.
Luke stand auf und kam mir entgegen. âRory! Du bist ganz blass! Alles in Ordnung?â Er legte seine rechte Hand auf meinen linken Arm. Ich schob sie grob zur Seite. Diese persönliche Geste war zu viel. Ich wollte zuerst tief durch atmen und langsam zu sprechen beginnen, doch ich verlor die Kontrolle. âIch wollte es nicht! Es war doch nicht meine Absicht!â Meine Stimme überschlug sich. Ich konnte den Tränenfluss nicht mehr stoppen. âHört auf mir die Schuld zu geben!â Meine Beine zitterten. Ich spürte wie ich das Gleichgewicht verlor. Der Boden war kalt, meine Knie schmerzten. Ich presste sie fest an mich. Ich wollte nichts mehr sehen und hören. Der Tränenfluss wurde stärker. Der Druck auf meinem Herzen drohte mir die Luft zu nehmen. Ich wollte nur noch bei Grandma und Grandpa sein. Bei Corinne. Ich wollte nur noch sterben. Dann konnte ich kein Leben mehr zerstören.
Würd mich sehr über FBs freuen!
Bussi Selene
Hab schon weiter geschrieben
Bin etwas unsicher, ob ich alles so rübergebracht habe, wie ich wollte.
Hoffe euch gefällt der Teil trotzdem.
14. Teil
Als der Tag sich seinem Ende näherte, begann ein heftiger Schneesturm in Stars Hollow zu wüten. Das fröhliche Kinderlachen, welches man noch vor wenigen Stunden von allen Seiten gehört hatte, war vollkommen verstummt. Die Bewohner schienen sich endgültig in ihren Häusern zurückgezogen zu haben, um gemeinsam mit der ganzen Familie Kaffe und heiÃe Schokolade schlürfend vor dem heiÃen Kaminfeuer zu sitzen und Erinnerungen aufzufrischen. Um sich eine Decke teilend auf die Couch zu kuscheln und Videos zu schauen. Oder um in getrennten Räumen von einem besseren Leben zu träumen.
Der Sturm schlug die Jalousie mit einer Kraft gegen die Fensterscheibe, die mich zusammen zucken lieÃ. Die Stille in Mums kleinem Gästezimmer wurde für einen Moment unterbrochen. Dafür wäre jedoch nicht ein Sturm notwendig gewesen. Eine Stecknadel hätte gereicht.
Vom unteren Stockwerk war noch immer ein angeregtes Plaudern zu vernehmen. Es hatte nicht für einen einzigen Moment aufgehört. Hatte der Sturm nur mich erschreckt? Schlug er überhaupt im unteren Stockwerk gegen die Jalousie oder tobte er nur durch mein Leben?
Carol hatte den Blick auf ihre Zehenspitzen gerichtet. Sie offenbar wusste nicht, worüber sie mit mir sprechen sollte und das war ihr sichtlich unangenehm. Es gab sehr viele Fragen, die ich ihr stellen wollte. Doch wie sollte ich beginnen?
âWas für ein heftiger Sturmâ¦â Begann ich. Ein dummer Anfang, auf welchen man nur schwer aufbauen konnte.
Carol wandte sich zum Fenster. Nach einer weiteren Schweigepause sagte sie schlieÃlich. âIch kann mich nicht erinnern jemals so einen Sturm erlebt zu haben.â
âWie ist es in einem Land zu leben, in dem es niemals schneit? Fehlt dir der Schnee?â
âIch habe den GroÃteil meines Lebens in San Francisco verbracht. Ich kannte den Schnee lediglich von Urlauben bei Grandma. Aber ja, er hat mir gefehlt.â
âDu bist früher oft bei ihnen gewesen.â Ich blickte sie nachdenklich an. Wie würde sie damit fertig werden, wenn der Tag gekommen ist?
Sie nickte. âJa. Wir haben immer ein ausgezeichnetes Verhältnis gehabt.â Carol wich meinem Blick aus.
Der Druck auf meinem Herzen begann nachzulassen. Es war nur ganz wenig, aber ich spürte es.
Das war das wohl herzlichste Gespräch, welches meine Tochter und ich seit Jahren geführt hatten. Kein Streit, keine Vorwürfe, keine Schuldzuweisungen.
War das ein Anfang?
âJenny hat mich angerufen.â Sagte sie plötzlich.
Eine Welle von Zärtlichkeit erfüllte mein Herz. Jenny, meine Jüngste. Sie war immer der kleine Sonnenschein der Familie gewesen. Jenny war zehn Jahr alt gewesen, als ich mich endlich von Logan scheiden gelassen hatte. Ich hatte das Sorgerecht bekommen und sie groÃteils alleine erzogen.
âSie wird so bald wie möglich nach Stars Hollow kommen. Sie hat morgen noch eine wichtige Prüfung.â Erzählte Carol.
Meine Kleine studierte Journalismus. Ich war unendlich stolz auf sie. Jenny würde meinen Weg gehen und Auslandskorrespondentin bei CNN werden, da war ich mir sicher.
âWie geht es dir eigentlich auf der Universität?â Erkundigte ich mich. Carol unterrichtete seit ein paar Jahren Englisch und Literatur.
Sie lächelte leicht. âSehr gut. Es macht SpaÃ.â Carol seufzte. âObwohl es nicht gut bezahlt wird.â Fügte sie mit einem provozierenden Unterton hinzu.
âDu weiÃt, dass du mehr aus deinen Qualifikationen machen hättest können?â
Sie seufzte wieder. âIch bin glücklich.â
Zumindest eine war das, scheinbar. Es war ihr Leben und ging mich im Grunde nichts mehr an. Trotzdem ärgerte mich ihre Entscheidung noch immer. Das Auslandsjahr war lediglich als Erfahrung gedacht gewesen. Sie hätte in Harvard studieren können. Harvard, die Universität, welche mir damals erfolgreich ausgeredet worden war. Ich hatte es nach meinem zweiten Jahr auf Yale bereut nicht nach Harvard gegangen zu sein. Ein Wechsel war für mich nicht möglich gewesen. Meine älteste Tochter, Beste ihres High School Jahrganges, Gewinnerin dreier Literaturpreise, war in der besten Universität der Welt ohne Schwierigkeiten angenommen worden, beschloss aber stattdessen lieber in Puerto Rico zu bleiben um unter Palmen zu unterrichten.
âIch mache mir einen Kaffee.â Ich versuchte nicht zu eisig zu klingen, dies misslang jedoch.
Carol warf mir einen gleichgültigen Blick zu. Meine Meinung war für sie nicht mehr von Bedeutung.
Ich fand meine kleine Enkeltochter in eine Decke gekuschelt auf der Couch vor dem Fernseher. Sie trank genüsslich von einer dampfenden Tasse und erfreute sich an einer billigen Seifenoper. Als ich näher trat, stieg mir das unvergleichliche Aroma heiÃen Kaffees in die Nase.
âDu trinkst Kaffee.â Ich lächelte.
âIch glaube, Mum und ich könnten gar nicht existieren ohne Kaffee. Er ist wie Sauerstoff.â
Ich schmunzelte. âMeine Mum und ich könnten auch nicht existieren ohne Kaffee.â
âSoll ich Uroma einen bringen?â
Ich schluckte. âNein, meine Kleine. Sie darf ihn nicht mehr trinken.â Ich wollte sie nicht belügen. Der Druck auf meinem Herzen verstärkte sich. Mum war schwer krank. Koffein würde ihrem Körper noch mehr schaden.
Carmen blickte mich erstaunt an. âAber sie braucht ihn doch.â
âIm Moment darf sie nur Tee trinken. Der Kaffee ist nicht mehr gut für ihren Körper.â
âTee?â Carmens Augen weiteten sich. âWann darf sie wieder Kaffee trinken?â
âBald.â Mum musste bald wieder gesund werden. Ihre Familie brauchte sie. Ich brauchte sie. Mehr als alles andere.
Mum hatte es sehr lange geschafft zumindest einen Teil der Familie zusammenzuhalten. Ich habe es bis heute immer wieder geschafft, das Band der Familie zu zerreiÃen. Zumindest mich aus der langen Kette beinahe vollständig herauszulösen. Ohne Mum und Luke würde es die Familie nicht mehr geben. Es würde nicht mehr so sein wie es sein sollte. Warum war es also sie, die gehen musste und nicht ich?
âDarf ich ihr dann eine groÃe Kanne Kaffee machen?â erkundigte sich Carmen.
Ich spürte wie meine Finger zu zittern begannen. Dieses âdannâ würde es nicht geben, das wurde mir von Tag zu Tag stärker bewusst. Ich versuchte die Tränen zu unterdrücken. Es war mir wichtig vor meiner Enkelin stark zu sein. Diese Aufgabe war schwierig. Es zerriss mir beinahe jedes Mal das Herz, wenn ich an Mum dachte. An den traurigen Glanz ihrer Augen, ihren sterbenden Körper. Ich hatte so viele Jahre kein Wort mit ihr gewechselt, sie einfach alleine gelassen. Mum hatte mich gebraucht, ich war nicht da gewesen. Nun war ich da, und es war wahrscheinlich schon zu spät.
âJa.â Antwortete ich nur und verlieà den Raum. Ich wollte gerade die Küche betreten, als ich Stimmen vernahm. Zögernd blieb ich hinter der Tür stehen.
Lauschen hatte all die Jahre nur dazu geführt, dass ich Dinge gehört hatte, die ich besser nicht hätte hören sollen.
--------- Flashback ---------
Ich ging nachdenklich in der Küche auf und ab. âSo geht das nicht weiterâ¦â
Matt sah mir relativ gleichgültig zu. Seine dunklen Augen blitzten frech und seine Haare standen wirr in alle Himmelsrichtungen. Er grinste. âDer andere hat angefangen.â
âMatt, es ist mir vollkommen egal, wer von euch angefangen hat. Tatsache ist, dass du zum siebenten Mal in diesem Monat aufgrund einer Schlägerei nachsitzen musstestâ¦â
âMum, was sind schon Zahlenâ¦AuÃerdem ist sieben Mal im Monat doch sehr wenigâ¦â
Mir verschlug es die Sprache. âDieser Monat hatte erst fünfzehn Tageâ¦was schlieÃt du daraus?â
âWir müssen am Samstag wieder mit Grandma Beatrice essen gehen?â
Ich atmete tief durch. âMatt, ich muss mit deinem Vater sprechenâ¦so kann es nicht weiter gehen. Was ist denn nur los?â Ich strich ihm besorgt über die Wange.
Mein Sohn wandte sich mit genervtem Gesichtsausdruck ab. âKann ich jetzt zu Jeff gehen?â
âNein, du wirst heute sicher nicht zu Jeff gehen!â
Matt rollte mit den Augen, nahm seinen Rucksack und ging auf sein Zimmer. Ich sah ihm Kopf schüttelnd nach. Richtig böse konnte ich ihm nicht sein. Dafür erinnerte er mich viel zu sehr an seinen Vater. Ich seufzte. Es war nun mehr als elf Jahre her, dass ich Jess zuletzt gesehen hatte. Ein Abschied für immer. Denn es war uns nicht bestimmt zusammen zu sein. Ich verdrängte diese Gedanken und ging langsam die Treppe zu Logans Arbeitszimmer hinauf. Die Tür war nur angelehnt. Ich konnte eine leise Stimme vernehmen. Zögernd blieb ich stehen. Logan wollte nicht, dass man ihn bei einem Telefonat störte. Schon gar nicht, wenn es Carol oder ich waren. Er hätte bestimmt auch nicht gewollt, dass ich hörte was er seiner Gesprächspartnerin zu sagen hatte.
Seine Stimme war viel sanfter als ich sie kannte. ââ¦du musst das verstehen, mein Lieblingâ¦â
Meinem Herzen versetzte es einen Stich. Er hatte mich schon oft betrogen. Ich hatte es meist durch Zetteln mit Namen und Telefonnummern, Briefe in Gewandschubladen oder merkwürdigen Nachrichten auf dem Anrufbeantworter bemerkt. Demütigender war es, als zwei Freundinnen und ein Arbeitskollegin ihn mit einer anderen gesehen hatten. Aber dieses Telefongespräch übertraf alles.
ââ¦Ich liebe nur dich. ⦠Ich habe dir doch schon von ihr erzählt. Wie kommst du darauf, dass sie mir mehr bedeuten könnte?â Er seufzte.
Nach einer kleinen Pause fuhr er fort. âDas ist nicht so einfach, meine Liebe. Wir haben drei Kinder. Sie ist eine gute Mutter. Wären die Kinder nicht, würde ich mich sofort scheiden lassenâ¦und ich liebe dichâ¦Rory ist bildhübsch, das war es aber schonâ¦du bist mir im Gegensatz zu ihr intellektuell gleichgestelltâ¦sie hat doch nichts geschafft in ihrem Leben, du kennst doch dieses lächerliche Wochenmagazin für welches sie schreibtâ¦ich bin es ihr schuldig, sie zu unterstützenâ¦ohne mich wäre sie beinahe mittellosâ¦â
Ich spürte die Tränen kaum. Meine Arme und Beine zitterten. Ich war noch nie so gedemütigt worden. Langsam ging ich den schmalen Gang zu Matts Zimmer und erlaubte ihm zu Jeff zu gehen.
--------- Flashback Ende ---------
Wäre dies Jahre davor passiert, hätte ich Logan die Meinung gesagt und ohne zu zögern die Scheidung eingereicht. Es war allerdings zu einem Zeitpunkt geschehen, wo ich mich selbst bereits verloren hatte. Die traurige Wahrheit war, dass ich Logans Ansichten geteilt hatte. Ich hatte mich selbst nichts mehr wert gefühlt.
Plötzlich erschien diese eine Szene ganz klar vor meinen Augen. Den Abend, welchen ich zu vergessen versuchte.
-------- Flashback --------
Carol war gerade ein halbes Jahr alt geworden, als ich eine Telefonnummer mit dem Namen einer fremden Frau in Logans Jackentasche fand.
Ich sprach ihn darauf an, er wusste natürlich eine teilweise glaubwürdige Ausrede.
Ich war verunsichert und fuhr zu Grandma um mit ihr darüber zu reden.
Wir saÃen bei einer heiÃen Suppe und Wein, im Hintergrund lief leise Musik.
âRory, du steigerst dich da möglicherweise in etwas hinein.â Sie liebte Logan und wünschte sich Beatrices Anerkennung mehr als alles andere. âHandle nicht voreilig.â
âAber, Grandmaâ¦was, wenn er mich betrogen hat?â
Grandma blickte mich traurig an. Ich weià bis heute nicht ob sie ernst meinte, was sie schlieÃlich antwortete. âJunge Männer können einer Versuchung oft nicht widerstehen. Das legt sich wieder. Es war ein Ausrutscher. Du solltest deshalb nicht eure Ehe aufs Spiel setzen. Was würden die Leute denken? ⦠Er ist ein gebildeter Mann aus einer gut situierten Familie. Einen wie Logan triffst du kein zweites Mal.â
Mit dem letzten Satz hatte sie gewiss Rechtâ¦
Ich hatte gerade wieder Streit mit Mum, und Lane hatte seit einer dummen Meinungsverschiedenheit nichts mehr mit mir gesprochen. Paris war für dieses Thema wohl höchst ungeeignet, somit blieb mir nur mehr Grandma als Ratgeberin. Sie war die einzige, die ich zu jener Zeit noch hatte. Denn Grandpa verstand mich allmählich genauso wenig wie es Mum tat.
--------- Flashback Ende --------
Ich strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und atmete tief durch. Luke und Ramon saÃen an dem kleinen Küchentisch.
Luke runzelte nachdenklich die Stirn. âSie weià es also nicht?â
Ramon seufzte und schüttelte den Kopf. âWir haben es ihr niemals erzählt.â
Luke räusperte sich und kratzte sich am Kopf. âMacht es nicht. Es ist besser so. Es würde die Vergangenheit nur wieder ans Tageslicht rücken lassen. Sie hat lange gebraucht, um diese zu verarbeiten. Ohne therapeutische Hilfe hätte sie es wahrscheinlich niemals geschafft.â
Meine Finger zitterten. Woher wussten sie es? Oder ging es gar nicht um mich? Was verheimlichte mir Luke? Luke, der Mann, der mir immer ein Vater gewesen war. Er würde mich doch niemals im Stich lassen, würde er? Was durfte ich nicht erfahren? Mein Herz klopfte. Ich konnte nicht mehr.
Vielleicht sprachen sie auch von Mum. Es beschäftigte sie gewiss derselbe dunkle Fleck unserer gemeinsamen Vergangenheit wie mich.
Ich war Schuld am Tod meiner kleinen Schwester gewesen. Mum hatte sie verloren, weil ich so egoistisch gewesen war. Ich hatte meiner Schwester die Chance auf ein Leben mit den liebevollsten Eltern genommen.
Eine Träne tropfte auf meinen Handrücken. Ich versuchte mich zu kontrollieren. Langsam betrat ich die Küche.
Mein Vater und mein Schwiegersohn blickten mich überrascht an.
Ich atmete tief durch. Sie würden mich nicht ernst nehmen, wenn ich weine. Meine Lippen bebten, als ich zu sprechen beginnen wollte.
Luke stand auf und kam mir entgegen. âRory! Du bist ganz blass! Alles in Ordnung?â Er legte seine rechte Hand auf meinen linken Arm. Ich schob sie grob zur Seite. Diese persönliche Geste war zu viel. Ich wollte zuerst tief durch atmen und langsam zu sprechen beginnen, doch ich verlor die Kontrolle. âIch wollte es nicht! Es war doch nicht meine Absicht!â Meine Stimme überschlug sich. Ich konnte den Tränenfluss nicht mehr stoppen. âHört auf mir die Schuld zu geben!â Meine Beine zitterten. Ich spürte wie ich das Gleichgewicht verlor. Der Boden war kalt, meine Knie schmerzten. Ich presste sie fest an mich. Ich wollte nichts mehr sehen und hören. Der Tränenfluss wurde stärker. Der Druck auf meinem Herzen drohte mir die Luft zu nehmen. Ich wollte nur noch bei Grandma und Grandpa sein. Bei Corinne. Ich wollte nur noch sterben. Dann konnte ich kein Leben mehr zerstören.
Würd mich sehr über FBs freuen!
Bussi Selene