21.08.2005, 19:28
Hallo meine Lieben!
Vielen Dank für eure Besserungswünsche und die FBs :knuddel:
Es wird noch ein paar Teile dauern, bis man das erfährt.
Hab heut weiter geschriebn
Hoffe, der neue Teil gefällt euch.
16. Teil
Die Stille, welche immer wieder durch ein lautes Klopfen des nun etwas schwächer gewordenen Windes an die Jalousien unterbrochen wurde, und Lukes Augen lieÃen mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Seine Augen tränten, er versuchte sich jedoch zu beherrschen. Sie wollten mir etwas sagen, aber er wehrte sich dagegen. Kein Wort kam über seine Lippen. Er räusperte sich und schluckte als wäre seine Kehle ausgetrocknet. Seine Stirn war gerunzelt. Ich wusste, etwas hinderte ihn daran, weiter zu sprechen. Meine unausgesprochene Frage hing im Raum. Wie an einer dünnen Schnur, die man nur zu zerschneiden brauchte. Doch sie wurde nicht zerschnitten.
Schweigen. Es war zuviel geschwiegen worden. Was hatte es uns jemals gebracht auÃer noch mehr Kummer?
âLuke...â Ich weià nicht, ob er mich gehört hatte. Meine Stimme war leise und stockend gewesen.
Er erhob sich langsam. âIch werde nach deiner Mutter sehen. Ruhe dich noch aus.â
Wenn ich hier noch länger ruhte, würde ich niemals meine Ruhe finden.
Bevor Luke das Zimmer meiner Kindheit verlieÃ, drehte er sich noch ein letztes Mal um. âDein Handy hat heute dreimal geklingelt. Ich habe es jedes Mal zu spät gehörtâ
Ich verstand die Bedeutung seiner Worte zuerst nicht. Es schien so fern, so unwirklich.
Gleichgültig öffnete ich die Schublade meines Nachtisches. Ich hatte zwei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter erhalten.
âLorelai? Entschuldige die Störung...â Ich zuckte beim Klang ihrer Stimme zusammen.
Logan und ich standen vor dem groÃen Haus, welches von einem gepflegten Garten umgeben war.
Die Nachricht, dass unsere Ãlteste in ihrer fragwürdigen Beziehung plante einen Schritt weiterzugehen, hatte Logan dazu veranlasst zwei Monate vor der Trauung nach Puerto Rico zu reisen um Ramons Eltern kennen zu lernen.
Es war unglaublich heià und ich hatte bei unserem kurzen FuÃmarsch immer wieder den Schatten der riesigen Palmen aufgesucht.
Ich wollte gerade anklopfen, als uns plötzlich die Tür geöffnet wurde.
âIhr müsst Carols Eltern sein. Es freut mich, euch endlich kennen zu lernen.â Eine hübsche Frau, vielleicht ein wenig älter als ich, umarmte uns.
Da diese Geste sehr ungewohnt für mich war, versteifte ich mich. âFreut mich.â Ich versuchte zu lächeln.
âIch bin Ramons Mutter, Susanna. Kommt doch herein. Lorelai - ich darf doch Lorelai sagen, immerhin sind wir bald eine Familie...â Ich kam nicht zum Antworten. â...nun, was ich sagen wollte, deine Haare sind einfach traumhaft, Lorelai. Und deine Augen. Carol hat deine Augen, richtig? Unglaublich schön...â
Logan warf mir einen genervten Blick zu.
Susanna redete fröhlich weiter und führte uns in ihr Wohnzimmer, wo sie den Tisch mit unterschiedlichsten Speisen und Getränken gedeckt hatte.
âBedient euch.â Sie lächelte und musterte mich.
Ich fühlte mich etwas verunsichert. Sie schien eindeutig mehr über mich zu wissen, als ich über sie wusste.
âCarol ist ein wunderbares Mädchen.â Susanna lächelte wieder.
âAuch ein sehr eigenwilliges.â Warf Logan ein.
Susanna blickte ihn überrascht an. âSie weià eben was sie möchte. Was ist falsch daran?â Sie blickte auf ihre Uhr. âSie werden in einer halben Stunde hier sein.â Wieder dieses anstrengende fröhliche Lächeln.
Ich bemerkte wie Logan den Raum musterte. In seinem Blick lag pure Verächtlichkeit.
Susanna entging es nicht. âWir haben erst vor kurzem das Haus gekauft. Davor wohnten wir in einer Wohnung in San Juan. In Puerto Rico ist es immer noch schwer für eine alleinerziehende Mutter.â Sie blickte auf ihre Zehenspitzen und ich glaubte für eine Sekunde einen Tränenschimmer in ihren Augen zu erkennen. âEs ist nicht leicht, seit mein Mann vor sieben Jahren verstarb...â
âDas tut mir leid...â Ich blickte sie unsicher an. Es war schwierig in solchen Situationen die richtigen Worte zu finden. Es gab wahrscheinlich gar keine richtigen Worte.
âDanke.â Susanna lächelte traurig, plötzlich veränderte sich ihre Miene. âCarol erzählte, du würdest gerne lesen.â
âJa.â Antwortete ich, verwundert über den raschen Themenwechsel.
âEs gibt eine groÃartige Bibliothek in San Juan. - Ihr bleibt doch länger? - Carol muss sie dir zeigen. Wir beide waren schon oft dort, manchmal mit einer Freundin Carols. Diese Bibliothek ist wirklich unglaublich. Und so übersichtlich! Sie hat alle zehn Bücher, welche sie für ihre groÃe Arbeit benötigte, innerhalb von zwanzig Minuten gefunden! Auf die Arbeit bekam sie eine eins! Eine tolle Leistung, ich habe sie gelesen! Ein Meisterwerk sag ich euch! Deine Tochter ist sehr klug. Die Mädchen haben dann stundenlang am Strand gefeiert...das war in der Nacht als...â Susanna stoppte ihren Redefluss plötzlich. âEntschuldigt. Ihr kennt diese Geschichten doch bereits.â Sie lachte. âCarol ist wie eine dritte Tochter für mich geworden.â
Ich bat sie innerlich weiter zu erzählen. Ich kannte keine einzige dieser Geschichten. Ich kannte Carol so gut wie überhaupt nicht, wusste nicht einmal, wie gerne sie anscheinend las.
âFindest du die Art und Weise wie sich unsere Kinder kennen lernten nicht etwas seltsam?â
Ich wusste, dass Logan diese Frage geplagt hatte. Beinahe alles, was wir über die Beziehung Carols und Ramons wussten, war, dass sie sich in einem Bus kennen gelernt hatten.
Susanna schüttelte überrascht den Kopf. âIch finde die Geschichte wirklich süÃ.â Sie lächelte. âBesser als sich in einer Disco kennen zu lernen, meiner Meinung nach. Natürlich gab es gewisse ungewöhnliche Umstände und Hindernisse...â
Logan und ich nippten gleichzeitig â wie in einem schlechten Film â an unserem Glas Wein-
â...da Ramon noch verlobt war, aber...â
Der schlechte Film bekam einen klischeehaften Touch, als Logan und ich uns im gleichen Moment verschluckten.
Susanna überging es gekonnt. â...aber die Geschichte der beiden ist wirklich romantisch...â
In was für einer rosaroten Scheinwelt lebte diese Frau eigentlich? Meine Wut auf Ramon stieg an. Erst überredete er meine Tochter dazu in diesem Land zu bleiben, dann machte er ihr auch noch falsche Hoffnungen um zu bekommen, was er wollte. Carol war einfach zu leichtgläubig.
âRamon war bereits verlobt? Ist das seine Masche um unschuldige Mädchen zu verführen?â Logan blickte Susanna wütend an. âWas fällt diesem kleinen...â
âLogan!â Mein Tonfall lieà sowohl Logan als auch Susanna zusammenzucken. Ich strich ihm beruhigend über die Hand.
Susannas erschrockene Miene wandelte sich. âMein Sohn ist bestimmt nicht fehlerfrei, aber er liebt eure Tochter über alles. Ich würde nicht zu lassen, dass er der Kleinen weh tut! Mir liegt sehr viel an ihr.â Erklärte sie ruhig.
Ich wusste nicht, was genau mich an ihrer Art störte â doch je länger wir in ihrem Wohnzimmer saÃen, desto weniger konnte ich die zukünftige Schwiegermutter meiner Tochter leiden.
â...wir werden in drei Tagen kommen. Ich wollte dich nur fragen, ob du bei deinen Eltern ein Zimmer frei hättest oder mir ansonsten die Nummer eines Hotels geben könntest...das mit deiner Mutter tut mir sehr leid...solltest du jemanden zum Reden brauchen, ich werde da sein...schlieÃlich sind wir eine Familie...Na gut...Ruf mich bitte zurück!â
Ich rollte mit den Augen. Das allerletzte was ich wollte, war, zu ihrer Familie zu gehören.
Es war der Nachmittag nach Carols Hochzeit.
Logan hatte unseren Streit bereits vergessen und ich wusste, dass ich es wieder nicht schaffen würde, die Scheidung einzureichen.
Ohne ihn wäre ich beinahe völlig mittellos. Logan würde auÃerdem das Sorgerecht für Matt und Jenny bekommen. Und das durfte ich auf keinen Fall zulassen.
Der feine Sand rann über meine FüÃe, während ich auf einem Liegestuhl am Strand saà und meine FüÃe baumeln lieÃ.
Warum schaffte Logan es nur immer wieder, dass ich mich so einschüchtern lieÃ? Was war in all den Jahren nur mit mir geschehen?
Eine Träne tropfte auf meinen Handrücken.
Plötzlich spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter. Erschrocken drehte ich mich um.
âIst alles in Ordnung?â Susanna wirkte ehrlich besorgt.
âNatürlich.â Sie erwartete doch wohl nicht, dass ich ausgerechnet mit ihr über meine Probleme sprach?
Susanna runzelte die Stirn. âLorelai, ich weiÃ, was passiert ist...â
Ich fragte mich, ob sie von Maria oder Jose sprach.
âMeine Schwester hätte das niemals tun dürfen...Maria tut es furchtbar leid, was zwischen Logan und ihr passiert ist...Sie hatte getrunken...â
Natürlich, und Jose wohl auch... Ich erhob mich wütend und ging zurück in das Gästezimmer um meinen Koffer zu packen. Hier würde ich keine Minute länger bleiben.
Ich wischte mir mit dem Handrücken die Träne von der Wange.
Susanna, welche dachte sich in unser aller Leben einmischen zu können. Ramon, welcher mir meine Tochter genommen hatte. Maria, welche zu einer ihrer Cousinen gesagt hatte â im Glauben, ich würde sie nicht hören können â dass Logan eine richtige Frau brauche. Jose, welcher glaubte sich nehmen zu können, was immer er wollte. Und Ramons jüngerer Bruder, welcher meiner kleinen Jenny das Herz gebrochen hatte.
Du hast in eine wundervolle Familie eingeheiratet, Carol. Dachte ich zynisch.
Ich löschte Susannas Nachricht und wartete seufzend auf die Ansage der zweiten Sprachmittelung.
âMum? Hiâ¦â
Mein Herz machte einen freudigen Sprung. Jennys fröhliche Stimme hatte es immer geschafft ein Lächeln auf meine Lippen zu zaubern.
ââ¦Ich habe schon zweimal versucht dich zu erreichenâ¦Ich hoffe, es geht euch gutâ¦Ich werde schon heute Nacht kommen. Matt bekommt erst in zwei Tagen Urlaub, dann steigt er sofort in das nächste Flugzeug⦠hat er gesagtâ¦Mumâ¦Ich muss dir etwas Wichtiges erzählenâ¦â Jennys Stimme hatte sich verändert. Ich spürte, wie sich mein Magen beunruhigt zusammen zog.
âBis späterâ¦Ich hab dich liebâ¦â
Ich nahm meine kleine Tasche, welche neben dem Bett gelehnt hatte, zur Hand und zog meine Geldbörse heraus. In dem Fach neben den Kreditkarten bewahrte ich Fotos meiner Kinder auf. Ein Babyfoto von jedem. Carol, als sie siebzehn war. Matt bei seiner Abschlussfeier und Jenny vor ihrem ersten Ball. Mein Zeigefinger fuhr zärtlich über das Foto. Jenny war mein Ebenbild, lediglich die Haare trug sie etwas anders als ich sie getragen hatte. Ihr Stammfrisör hatte diese kurz vor dem Ball durchgestuft. Sie fielen elegant auf ihre schmalen Schultern. Das weinrote Barockkleid zierte ihren schmalen Körper.
Ich tippte den letzten Satz meiner Reportage über den Kongress und speicherte den Text auf dem Laptop ab. Zufrieden betrachtete ich noch einmal meine Arbeit. Ich schrieb für eine bekannte Zeitung in Seattle. Vor kurzem hatte mich Mr. Thompson zur Chefredakteurin befördert.
Plötzlich vernahm ich ein leises Räuspern. Ich drehte mich zum Stiegenaufgang, wo Jenny stand und mich unsicher anblickte. Sie war sechzehn Jahre alt und würde in einer halben Stunde von ihrem Freund abgeholt werden. Sie würde heute zu ihrem ersten richtigen Ball gehen.
âDu bist wunderschön.â Ich lächelte. Der Anblick meiner jüngsten Tochter löste eine Welle der Zärtlichkeit, aber auch eine gewisse Trauer aus. Sie wurde nun erwachsen und es würde nicht mehr lange dauern, bis auch sie mich verlassen würde um ihr eigenes Leben zu beginnen. Meine Augen tränten. Ich hoffte, dass sie es nicht bemerken würde. Jenny neigte dazu, sich zu schnell um andere zu sorgen.
Doch meine sensible Kleine hatte es bemerkt.
Jenny nahm meine Hände und blickte mich Stirn runzelnd an. âIst alles in Ordnung, Mummy?â
âNatürlich.â Ich versuchte zu lächeln. Das war nur eine der Lügen, die ich meiner Jüngsten versuchte weiszumachen.
Sie lächelte. âOkay. Lass uns noch ein wenig fernsehen, bevor Andrew kommt.â
Ich bewunderte sie für ihr Selbstbewusstsein. Ich war vor meinem ersten Ball unsicher und aufgeregt gewesen. Jenny schien so selbstsicher.
Andrew holte sie pünktlich ab. Er war ein gut aussehender Mann, drei Jahre älter als Jenny. Sie waren zum Zeitpunkt des Balles knapp über sechs Monate zusammen. Vier Wochen nach dem Ball ging die Beziehung zu Bruche. Auch das ertrug Jenny gefasst. So schien es zumindest.
Ein Lächeln umspielte meine Lippen bei dem Gedanken an meine Tochter. Ich hatte sie groÃteils alleine erzogen, weshalb die Bindung zu ihr enger war als zu meinen anderen Kindern. Carol hatte ihre eigene Familie und Matt war kurz nach seinem High School Abschluss ausgezogen. Ich versuchte Jenny all die Liebe zu geben, die ich ihren Geschwistern nicht geben hatte können.
Sie sollte glücklich und sorglos aufwachsen. Ich versuchte ihr alle Möglichkeiten zu bieten um ihren Weg zu gehen. Jenny war zu einer vernünftigen, liebevollen und klugen Frau herangewachsen. Die Tatsache, dass sie nun meinen Traum leben wollte, erfüllte mich mit groÃem Stolz.
Ich nahm die anderen Fotos aus der Börse. Mum sollte sie sehen. Vielleicht würde sie sich erinnern können.
Vor ihrem Schlafzimmer stieà ich beinahe mit Luke zusammen. âEntschuldige.â Ich lächelte leicht.
Plötzlich bemerkte ich, dass Lukes Augen gerötet waren.
Der Druck auf meinem Herzen verstärkte sich. Meine Glieder und Lippen zitterten als ich fragte. âLuke, was ist passiertâ¦?â
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe er antwortete. Ich fror, ich schwitze. Mein Herz raste. Der Versuch ruhig durchzuatmen scheiterte.
Ich hatte Angst. Angst, sie verloren zu haben. Angst, dass sie einfach gegangen war ohne sich zu verabschieden â wie ich es vor vielen Jahren getan hatte.
Sie durfte uns nicht verlassen. Wir brauchten sie doch. Ich brauchte sie.
Tränen liefen über meine Wangen.
Luke seufzte traurig. âEs geht ihr nicht gut. Gehe besser erst morgen zu ihrâ¦â Seine Stimme war leise und überschlug sich.
Eine Welle der Erleichterung erfüllte mich für einen Moment. âIch muss zu ihr.â Es durfte nun keine Zeit mehr einfach verschwendet werden. Das Leben war kurz. Wir wussten nicht, wie viel Zeit uns noch blieb.
Ich spürte Lukes kräftige Hand auf meinem Arm. âRoryâ¦â Er blickte mir bestimmt in die Augen und flüsterte beinahe tonlos. ââ¦bitte gehe nicht zu ihr.â
Ich spürte, wie ein eiskalter Schauer über meinen Rücken lief.
Sie hat gute und schlechte Tage, hatte Luke gesagt.
Ich fühlte mich vorbereitet als ich das Zimmer betrat. Doch ich musste erkennen, dass es Dinge gab, auf die man sich niemals vorbereiten konnte.
Langsam trat ich an Mums Bett. Meine Knie zitterten.
Luke blieb in der Tür stehen. Tränen rannen über sein blasses Gesicht. Er wischte sie nicht von seinen Wangen. Lieà ihnen ihren Lauf.
Mums Augen waren starr zur Decke gerichtet. Sie lag reglos in ihrem Bett. Einzig das gleichmäÃige Heben ihrer Brust verriet, dass sie lebte.
Meine Finger zitterten, als ich mir die Tränen von der Wange wischte.
Ich schluckte. âHi Mum.â Es sollte so natürlich wie nur möglich klingen. Nichts sollte ihr das Gefühl geben, dass ich mich sorgte. Keine Mutter wollte, dass ihr Kind litt. Der Versuch natürlich zu klingen, war jedoch vergeblich.
Sie reagierte nicht. Meine Lippen zitterten, als ich lauter zu sprechen begann. âMum?â
Ihr Kopf neigte sich langsam in meine Richtung. Ihre Augen blickten mich ausdruckslos an.
Ich zitterte am ganzen Körper. âMöchtest du noch Tee?â
Nichts schien sich an ihrem Gesichtsausdruck zu ändern.
âHast du den Sturm gehört? Es war furchtbar.â Ich trat näher. Als sie noch immer keine Reaktion zeigte, griff ich nach ihrer Hand.
Sie entzog sie mir schnell. âLass das!â
Ich schreckte zurück. âEntschuldigeâ¦â
âWas willst du von mir? Lass mich in Ruhe!â
Meine Lippen bebten. âMumâ¦â
Mum warf mir noch einen kurzen Blick, welchen ich nicht zu deuten wusste, zu und wandte ihren Kopf Richtung Fenster.
Ich blieb regungslos stehen. Meine Glieder schienen starr geworden zu sein. Erst Lukes zitternde Hand auf meiner Schulter löste mich aus meiner Starre.
Er zog mich aus dem Raum und schloss leise die Tür.
Seine Augen waren gerötet, er zitterte. Aber er versuchte natürlich zu klingen, als er sagte. âSie braucht nur etwas Ruhe. Morgen wird es ihr besser gehen.â
Der Vater, der seine Tochter nicht noch mehr beunruhigen wollte. Der seine eigene Angst nicht zeigen wollte.
âBestimmt.â Ich nickte leicht.
Die Tochter, welche nicht zeigen wollte, wie groà ihre eigene Angst tatsächlich war. Die ihren Vater nicht zeigen wollte, dass sie auch seine Schmerzen fühlen konnte.
Wir standen uns schweigend gegenüber. Vater und Tochter.
Und das Wissen, welches im ganzen Haus zu sein schien. Das Wissen, über welches niemand sprach.
âSie hat gute und schlechte Tage.â Erklärte er leise.
Ich nickte.
Luke wollte sich gerade umdrehen, um zum Stiegenabgang zu gehen, als ich den Druck nicht mehr standhalten konnte.
Mein Körper drohte zu ersticken, ich glaubte das Gleichgewicht zu verlieren. Die Tränen rannen über meine Wangen. âIch glaube das nicht. Das kann nicht sein. Das kann einfach nicht sein! Eine Mutter muss doch ihre eigene Tochter erkennen! Ihr eigen Fleisch und Blut!â Meine Stimme war heiser. Ich sank auf meine schwachen Knie und grub das Gesicht in meine Hände.
Luke versuchte sein Schluchzen zu unterdrücken, ich hörte es trotzdem.
Wie viele Tränen kann ein Mensch vergiessen? Wie viel Schmerz kann er verkraften?
âKönnte ich mit ihr tauschen, ich würde es tun!â Presste ich unter meinem Tränenfluss hervor.
Luke setzte sich zu mir und nahm mich in die Arme. âIch auch, Rory. Ich auch.â Ich spürte seine nasse Wange auf meiner Stirn.
Freu mich auf eure FBs!
*hel* Bussi Selene
Vielen Dank für eure Besserungswünsche und die FBs :knuddel:
Zitat:ich bin schon gespannt was im tagebuch steht
Es wird noch ein paar Teile dauern, bis man das erfährt.
Hab heut weiter geschriebn
Hoffe, der neue Teil gefällt euch.
16. Teil
Die Stille, welche immer wieder durch ein lautes Klopfen des nun etwas schwächer gewordenen Windes an die Jalousien unterbrochen wurde, und Lukes Augen lieÃen mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Seine Augen tränten, er versuchte sich jedoch zu beherrschen. Sie wollten mir etwas sagen, aber er wehrte sich dagegen. Kein Wort kam über seine Lippen. Er räusperte sich und schluckte als wäre seine Kehle ausgetrocknet. Seine Stirn war gerunzelt. Ich wusste, etwas hinderte ihn daran, weiter zu sprechen. Meine unausgesprochene Frage hing im Raum. Wie an einer dünnen Schnur, die man nur zu zerschneiden brauchte. Doch sie wurde nicht zerschnitten.
Schweigen. Es war zuviel geschwiegen worden. Was hatte es uns jemals gebracht auÃer noch mehr Kummer?
âLuke...â Ich weià nicht, ob er mich gehört hatte. Meine Stimme war leise und stockend gewesen.
Er erhob sich langsam. âIch werde nach deiner Mutter sehen. Ruhe dich noch aus.â
Wenn ich hier noch länger ruhte, würde ich niemals meine Ruhe finden.
Bevor Luke das Zimmer meiner Kindheit verlieÃ, drehte er sich noch ein letztes Mal um. âDein Handy hat heute dreimal geklingelt. Ich habe es jedes Mal zu spät gehörtâ
Ich verstand die Bedeutung seiner Worte zuerst nicht. Es schien so fern, so unwirklich.
Gleichgültig öffnete ich die Schublade meines Nachtisches. Ich hatte zwei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter erhalten.
âLorelai? Entschuldige die Störung...â Ich zuckte beim Klang ihrer Stimme zusammen.
--------- Flashback --------
Logan und ich standen vor dem groÃen Haus, welches von einem gepflegten Garten umgeben war.
Die Nachricht, dass unsere Ãlteste in ihrer fragwürdigen Beziehung plante einen Schritt weiterzugehen, hatte Logan dazu veranlasst zwei Monate vor der Trauung nach Puerto Rico zu reisen um Ramons Eltern kennen zu lernen.
Es war unglaublich heià und ich hatte bei unserem kurzen FuÃmarsch immer wieder den Schatten der riesigen Palmen aufgesucht.
Ich wollte gerade anklopfen, als uns plötzlich die Tür geöffnet wurde.
âIhr müsst Carols Eltern sein. Es freut mich, euch endlich kennen zu lernen.â Eine hübsche Frau, vielleicht ein wenig älter als ich, umarmte uns.
Da diese Geste sehr ungewohnt für mich war, versteifte ich mich. âFreut mich.â Ich versuchte zu lächeln.
âIch bin Ramons Mutter, Susanna. Kommt doch herein. Lorelai - ich darf doch Lorelai sagen, immerhin sind wir bald eine Familie...â Ich kam nicht zum Antworten. â...nun, was ich sagen wollte, deine Haare sind einfach traumhaft, Lorelai. Und deine Augen. Carol hat deine Augen, richtig? Unglaublich schön...â
Logan warf mir einen genervten Blick zu.
Susanna redete fröhlich weiter und führte uns in ihr Wohnzimmer, wo sie den Tisch mit unterschiedlichsten Speisen und Getränken gedeckt hatte.
âBedient euch.â Sie lächelte und musterte mich.
Ich fühlte mich etwas verunsichert. Sie schien eindeutig mehr über mich zu wissen, als ich über sie wusste.
âCarol ist ein wunderbares Mädchen.â Susanna lächelte wieder.
âAuch ein sehr eigenwilliges.â Warf Logan ein.
Susanna blickte ihn überrascht an. âSie weià eben was sie möchte. Was ist falsch daran?â Sie blickte auf ihre Uhr. âSie werden in einer halben Stunde hier sein.â Wieder dieses anstrengende fröhliche Lächeln.
Ich bemerkte wie Logan den Raum musterte. In seinem Blick lag pure Verächtlichkeit.
Susanna entging es nicht. âWir haben erst vor kurzem das Haus gekauft. Davor wohnten wir in einer Wohnung in San Juan. In Puerto Rico ist es immer noch schwer für eine alleinerziehende Mutter.â Sie blickte auf ihre Zehenspitzen und ich glaubte für eine Sekunde einen Tränenschimmer in ihren Augen zu erkennen. âEs ist nicht leicht, seit mein Mann vor sieben Jahren verstarb...â
âDas tut mir leid...â Ich blickte sie unsicher an. Es war schwierig in solchen Situationen die richtigen Worte zu finden. Es gab wahrscheinlich gar keine richtigen Worte.
âDanke.â Susanna lächelte traurig, plötzlich veränderte sich ihre Miene. âCarol erzählte, du würdest gerne lesen.â
âJa.â Antwortete ich, verwundert über den raschen Themenwechsel.
âEs gibt eine groÃartige Bibliothek in San Juan. - Ihr bleibt doch länger? - Carol muss sie dir zeigen. Wir beide waren schon oft dort, manchmal mit einer Freundin Carols. Diese Bibliothek ist wirklich unglaublich. Und so übersichtlich! Sie hat alle zehn Bücher, welche sie für ihre groÃe Arbeit benötigte, innerhalb von zwanzig Minuten gefunden! Auf die Arbeit bekam sie eine eins! Eine tolle Leistung, ich habe sie gelesen! Ein Meisterwerk sag ich euch! Deine Tochter ist sehr klug. Die Mädchen haben dann stundenlang am Strand gefeiert...das war in der Nacht als...â Susanna stoppte ihren Redefluss plötzlich. âEntschuldigt. Ihr kennt diese Geschichten doch bereits.â Sie lachte. âCarol ist wie eine dritte Tochter für mich geworden.â
Ich bat sie innerlich weiter zu erzählen. Ich kannte keine einzige dieser Geschichten. Ich kannte Carol so gut wie überhaupt nicht, wusste nicht einmal, wie gerne sie anscheinend las.
âFindest du die Art und Weise wie sich unsere Kinder kennen lernten nicht etwas seltsam?â
Ich wusste, dass Logan diese Frage geplagt hatte. Beinahe alles, was wir über die Beziehung Carols und Ramons wussten, war, dass sie sich in einem Bus kennen gelernt hatten.
Susanna schüttelte überrascht den Kopf. âIch finde die Geschichte wirklich süÃ.â Sie lächelte. âBesser als sich in einer Disco kennen zu lernen, meiner Meinung nach. Natürlich gab es gewisse ungewöhnliche Umstände und Hindernisse...â
Logan und ich nippten gleichzeitig â wie in einem schlechten Film â an unserem Glas Wein-
â...da Ramon noch verlobt war, aber...â
Der schlechte Film bekam einen klischeehaften Touch, als Logan und ich uns im gleichen Moment verschluckten.
Susanna überging es gekonnt. â...aber die Geschichte der beiden ist wirklich romantisch...â
In was für einer rosaroten Scheinwelt lebte diese Frau eigentlich? Meine Wut auf Ramon stieg an. Erst überredete er meine Tochter dazu in diesem Land zu bleiben, dann machte er ihr auch noch falsche Hoffnungen um zu bekommen, was er wollte. Carol war einfach zu leichtgläubig.
âRamon war bereits verlobt? Ist das seine Masche um unschuldige Mädchen zu verführen?â Logan blickte Susanna wütend an. âWas fällt diesem kleinen...â
âLogan!â Mein Tonfall lieà sowohl Logan als auch Susanna zusammenzucken. Ich strich ihm beruhigend über die Hand.
Susannas erschrockene Miene wandelte sich. âMein Sohn ist bestimmt nicht fehlerfrei, aber er liebt eure Tochter über alles. Ich würde nicht zu lassen, dass er der Kleinen weh tut! Mir liegt sehr viel an ihr.â Erklärte sie ruhig.
Ich wusste nicht, was genau mich an ihrer Art störte â doch je länger wir in ihrem Wohnzimmer saÃen, desto weniger konnte ich die zukünftige Schwiegermutter meiner Tochter leiden.
--------- Flashback Ende ---------
â...wir werden in drei Tagen kommen. Ich wollte dich nur fragen, ob du bei deinen Eltern ein Zimmer frei hättest oder mir ansonsten die Nummer eines Hotels geben könntest...das mit deiner Mutter tut mir sehr leid...solltest du jemanden zum Reden brauchen, ich werde da sein...schlieÃlich sind wir eine Familie...Na gut...Ruf mich bitte zurück!â
Ich rollte mit den Augen. Das allerletzte was ich wollte, war, zu ihrer Familie zu gehören.
--------- Flashback ---------
Es war der Nachmittag nach Carols Hochzeit.
Logan hatte unseren Streit bereits vergessen und ich wusste, dass ich es wieder nicht schaffen würde, die Scheidung einzureichen.
Ohne ihn wäre ich beinahe völlig mittellos. Logan würde auÃerdem das Sorgerecht für Matt und Jenny bekommen. Und das durfte ich auf keinen Fall zulassen.
Der feine Sand rann über meine FüÃe, während ich auf einem Liegestuhl am Strand saà und meine FüÃe baumeln lieÃ.
Warum schaffte Logan es nur immer wieder, dass ich mich so einschüchtern lieÃ? Was war in all den Jahren nur mit mir geschehen?
Eine Träne tropfte auf meinen Handrücken.
Plötzlich spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter. Erschrocken drehte ich mich um.
âIst alles in Ordnung?â Susanna wirkte ehrlich besorgt.
âNatürlich.â Sie erwartete doch wohl nicht, dass ich ausgerechnet mit ihr über meine Probleme sprach?
Susanna runzelte die Stirn. âLorelai, ich weiÃ, was passiert ist...â
Ich fragte mich, ob sie von Maria oder Jose sprach.
âMeine Schwester hätte das niemals tun dürfen...Maria tut es furchtbar leid, was zwischen Logan und ihr passiert ist...Sie hatte getrunken...â
Natürlich, und Jose wohl auch... Ich erhob mich wütend und ging zurück in das Gästezimmer um meinen Koffer zu packen. Hier würde ich keine Minute länger bleiben.
--------- Flashback Ende ---------
Ich wischte mir mit dem Handrücken die Träne von der Wange.
Susanna, welche dachte sich in unser aller Leben einmischen zu können. Ramon, welcher mir meine Tochter genommen hatte. Maria, welche zu einer ihrer Cousinen gesagt hatte â im Glauben, ich würde sie nicht hören können â dass Logan eine richtige Frau brauche. Jose, welcher glaubte sich nehmen zu können, was immer er wollte. Und Ramons jüngerer Bruder, welcher meiner kleinen Jenny das Herz gebrochen hatte.
Du hast in eine wundervolle Familie eingeheiratet, Carol. Dachte ich zynisch.
Ich löschte Susannas Nachricht und wartete seufzend auf die Ansage der zweiten Sprachmittelung.
âMum? Hiâ¦â
Mein Herz machte einen freudigen Sprung. Jennys fröhliche Stimme hatte es immer geschafft ein Lächeln auf meine Lippen zu zaubern.
ââ¦Ich habe schon zweimal versucht dich zu erreichenâ¦Ich hoffe, es geht euch gutâ¦Ich werde schon heute Nacht kommen. Matt bekommt erst in zwei Tagen Urlaub, dann steigt er sofort in das nächste Flugzeug⦠hat er gesagtâ¦Mumâ¦Ich muss dir etwas Wichtiges erzählenâ¦â Jennys Stimme hatte sich verändert. Ich spürte, wie sich mein Magen beunruhigt zusammen zog.
âBis späterâ¦Ich hab dich liebâ¦â
Ich nahm meine kleine Tasche, welche neben dem Bett gelehnt hatte, zur Hand und zog meine Geldbörse heraus. In dem Fach neben den Kreditkarten bewahrte ich Fotos meiner Kinder auf. Ein Babyfoto von jedem. Carol, als sie siebzehn war. Matt bei seiner Abschlussfeier und Jenny vor ihrem ersten Ball. Mein Zeigefinger fuhr zärtlich über das Foto. Jenny war mein Ebenbild, lediglich die Haare trug sie etwas anders als ich sie getragen hatte. Ihr Stammfrisör hatte diese kurz vor dem Ball durchgestuft. Sie fielen elegant auf ihre schmalen Schultern. Das weinrote Barockkleid zierte ihren schmalen Körper.
--------- Flashback ---------
Ich tippte den letzten Satz meiner Reportage über den Kongress und speicherte den Text auf dem Laptop ab. Zufrieden betrachtete ich noch einmal meine Arbeit. Ich schrieb für eine bekannte Zeitung in Seattle. Vor kurzem hatte mich Mr. Thompson zur Chefredakteurin befördert.
Plötzlich vernahm ich ein leises Räuspern. Ich drehte mich zum Stiegenaufgang, wo Jenny stand und mich unsicher anblickte. Sie war sechzehn Jahre alt und würde in einer halben Stunde von ihrem Freund abgeholt werden. Sie würde heute zu ihrem ersten richtigen Ball gehen.
âDu bist wunderschön.â Ich lächelte. Der Anblick meiner jüngsten Tochter löste eine Welle der Zärtlichkeit, aber auch eine gewisse Trauer aus. Sie wurde nun erwachsen und es würde nicht mehr lange dauern, bis auch sie mich verlassen würde um ihr eigenes Leben zu beginnen. Meine Augen tränten. Ich hoffte, dass sie es nicht bemerken würde. Jenny neigte dazu, sich zu schnell um andere zu sorgen.
Doch meine sensible Kleine hatte es bemerkt.
Jenny nahm meine Hände und blickte mich Stirn runzelnd an. âIst alles in Ordnung, Mummy?â
âNatürlich.â Ich versuchte zu lächeln. Das war nur eine der Lügen, die ich meiner Jüngsten versuchte weiszumachen.
Sie lächelte. âOkay. Lass uns noch ein wenig fernsehen, bevor Andrew kommt.â
Ich bewunderte sie für ihr Selbstbewusstsein. Ich war vor meinem ersten Ball unsicher und aufgeregt gewesen. Jenny schien so selbstsicher.
Andrew holte sie pünktlich ab. Er war ein gut aussehender Mann, drei Jahre älter als Jenny. Sie waren zum Zeitpunkt des Balles knapp über sechs Monate zusammen. Vier Wochen nach dem Ball ging die Beziehung zu Bruche. Auch das ertrug Jenny gefasst. So schien es zumindest.
--------- Flashback Ende ---------
Ein Lächeln umspielte meine Lippen bei dem Gedanken an meine Tochter. Ich hatte sie groÃteils alleine erzogen, weshalb die Bindung zu ihr enger war als zu meinen anderen Kindern. Carol hatte ihre eigene Familie und Matt war kurz nach seinem High School Abschluss ausgezogen. Ich versuchte Jenny all die Liebe zu geben, die ich ihren Geschwistern nicht geben hatte können.
Sie sollte glücklich und sorglos aufwachsen. Ich versuchte ihr alle Möglichkeiten zu bieten um ihren Weg zu gehen. Jenny war zu einer vernünftigen, liebevollen und klugen Frau herangewachsen. Die Tatsache, dass sie nun meinen Traum leben wollte, erfüllte mich mit groÃem Stolz.
Ich nahm die anderen Fotos aus der Börse. Mum sollte sie sehen. Vielleicht würde sie sich erinnern können.
Vor ihrem Schlafzimmer stieà ich beinahe mit Luke zusammen. âEntschuldige.â Ich lächelte leicht.
Plötzlich bemerkte ich, dass Lukes Augen gerötet waren.
Der Druck auf meinem Herzen verstärkte sich. Meine Glieder und Lippen zitterten als ich fragte. âLuke, was ist passiertâ¦?â
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe er antwortete. Ich fror, ich schwitze. Mein Herz raste. Der Versuch ruhig durchzuatmen scheiterte.
Ich hatte Angst. Angst, sie verloren zu haben. Angst, dass sie einfach gegangen war ohne sich zu verabschieden â wie ich es vor vielen Jahren getan hatte.
Sie durfte uns nicht verlassen. Wir brauchten sie doch. Ich brauchte sie.
Tränen liefen über meine Wangen.
Luke seufzte traurig. âEs geht ihr nicht gut. Gehe besser erst morgen zu ihrâ¦â Seine Stimme war leise und überschlug sich.
Eine Welle der Erleichterung erfüllte mich für einen Moment. âIch muss zu ihr.â Es durfte nun keine Zeit mehr einfach verschwendet werden. Das Leben war kurz. Wir wussten nicht, wie viel Zeit uns noch blieb.
Ich spürte Lukes kräftige Hand auf meinem Arm. âRoryâ¦â Er blickte mir bestimmt in die Augen und flüsterte beinahe tonlos. ââ¦bitte gehe nicht zu ihr.â
Ich spürte, wie ein eiskalter Schauer über meinen Rücken lief.
Sie hat gute und schlechte Tage, hatte Luke gesagt.
Ich fühlte mich vorbereitet als ich das Zimmer betrat. Doch ich musste erkennen, dass es Dinge gab, auf die man sich niemals vorbereiten konnte.
Langsam trat ich an Mums Bett. Meine Knie zitterten.
Luke blieb in der Tür stehen. Tränen rannen über sein blasses Gesicht. Er wischte sie nicht von seinen Wangen. Lieà ihnen ihren Lauf.
Mums Augen waren starr zur Decke gerichtet. Sie lag reglos in ihrem Bett. Einzig das gleichmäÃige Heben ihrer Brust verriet, dass sie lebte.
Meine Finger zitterten, als ich mir die Tränen von der Wange wischte.
Ich schluckte. âHi Mum.â Es sollte so natürlich wie nur möglich klingen. Nichts sollte ihr das Gefühl geben, dass ich mich sorgte. Keine Mutter wollte, dass ihr Kind litt. Der Versuch natürlich zu klingen, war jedoch vergeblich.
Sie reagierte nicht. Meine Lippen zitterten, als ich lauter zu sprechen begann. âMum?â
Ihr Kopf neigte sich langsam in meine Richtung. Ihre Augen blickten mich ausdruckslos an.
Ich zitterte am ganzen Körper. âMöchtest du noch Tee?â
Nichts schien sich an ihrem Gesichtsausdruck zu ändern.
âHast du den Sturm gehört? Es war furchtbar.â Ich trat näher. Als sie noch immer keine Reaktion zeigte, griff ich nach ihrer Hand.
Sie entzog sie mir schnell. âLass das!â
Ich schreckte zurück. âEntschuldigeâ¦â
âWas willst du von mir? Lass mich in Ruhe!â
Meine Lippen bebten. âMumâ¦â
Mum warf mir noch einen kurzen Blick, welchen ich nicht zu deuten wusste, zu und wandte ihren Kopf Richtung Fenster.
Ich blieb regungslos stehen. Meine Glieder schienen starr geworden zu sein. Erst Lukes zitternde Hand auf meiner Schulter löste mich aus meiner Starre.
Er zog mich aus dem Raum und schloss leise die Tür.
Seine Augen waren gerötet, er zitterte. Aber er versuchte natürlich zu klingen, als er sagte. âSie braucht nur etwas Ruhe. Morgen wird es ihr besser gehen.â
Der Vater, der seine Tochter nicht noch mehr beunruhigen wollte. Der seine eigene Angst nicht zeigen wollte.
âBestimmt.â Ich nickte leicht.
Die Tochter, welche nicht zeigen wollte, wie groà ihre eigene Angst tatsächlich war. Die ihren Vater nicht zeigen wollte, dass sie auch seine Schmerzen fühlen konnte.
Wir standen uns schweigend gegenüber. Vater und Tochter.
Und das Wissen, welches im ganzen Haus zu sein schien. Das Wissen, über welches niemand sprach.
âSie hat gute und schlechte Tage.â Erklärte er leise.
Ich nickte.
Luke wollte sich gerade umdrehen, um zum Stiegenabgang zu gehen, als ich den Druck nicht mehr standhalten konnte.
Mein Körper drohte zu ersticken, ich glaubte das Gleichgewicht zu verlieren. Die Tränen rannen über meine Wangen. âIch glaube das nicht. Das kann nicht sein. Das kann einfach nicht sein! Eine Mutter muss doch ihre eigene Tochter erkennen! Ihr eigen Fleisch und Blut!â Meine Stimme war heiser. Ich sank auf meine schwachen Knie und grub das Gesicht in meine Hände.
Luke versuchte sein Schluchzen zu unterdrücken, ich hörte es trotzdem.
Wie viele Tränen kann ein Mensch vergiessen? Wie viel Schmerz kann er verkraften?
âKönnte ich mit ihr tauschen, ich würde es tun!â Presste ich unter meinem Tränenfluss hervor.
Luke setzte sich zu mir und nahm mich in die Arme. âIch auch, Rory. Ich auch.â Ich spürte seine nasse Wange auf meiner Stirn.
Freu mich auf eure FBs!
*hel* Bussi Selene