13.11.2005, 13:28
Hallo meine Lieben :knuddel:
@Sky Angel & sweetie: Vielen Dank für eure tollen FBs! :freu: Hab mich total darüber gefreut :knuddel:
@alle: So, hab weiter geschrieben!
Hoffe, euch gefällt der neue Teil! Freu mich über FBs!
23. Teil
Meine Finger zitterten als ich die Seite des Albums langsam wendete. Die Aufnahme war schwarzweiÃ. Und doch schien so viel Farbe und Leben in diesem Bild. Meine Grandma in jungen Jahren auf ihren ersten Ball. Neben ihr ein gutaussehender Mann, vielleicht zwei Jahre älter, welcher die Hand um ihre Hüfte gelegt hatte. Eine Träne tropfte auf das Bild. Ich schlug das Fotoalbum zu und legte es auf den Tisch. Sie war erst vor vier Wochen gegangen. Es schien mir als wäre es gestern gewesen, als wir auf meinen ersten Debütantinnenball waren.
Ich lehnte mich auf der Couch zurück und zog die Beine an. Ich hatte mir die letzten Wochen immer wieder vorgestellt, dass dies alles nur ein Traum war. Doch ich war bis zu jenem Tag nicht aufgewacht.
Das Schrillen des Telefons lieà mich zusammenzucken. Zu stark war noch die Erinnerung an jenen furchtbaren Anruf.
Ich wollte nicht abheben, um nichts in der Welt. Es interessierte mich auch nicht, wer anrief.
Als das Klingeln nicht aufhörte, stand ich schlieÃlich doch auf.
Der Schriftzug des Displays lieà mich zögern. Sie hatte in den letzten Wochen oft versucht mich zu erreichen. Doch meine Wut hatte sich noch nicht gelegt. Mum hatte sich erneut in mein Leben eingemischt und mir Vorwürfe gemacht. Das hatte ihr einfach nicht zugestanden. Meine Augen ruhten auf dem Display. Ich wollte nicht mit ihr reden. Um nichts in der Welt. Plötzlich wurde das Display dunkel. Sie hatte aufgegeben.
Sie hatte es nach diesem Tag noch einige Male versucht, bis sie schlieÃlich ganz aufgegeben hatte. Zwei Jahrzehnte hatte ich kein Wort mit ihr gesprochen. Nun werden wir wahrscheinlich keine zwei Wochen mehr haben um miteinander zu sprechen.
Carol löste sich langsam aus meinen Armen. Ihre Augen waren geschwollen vom Meer der Tränen. âMum. Was ist nur mit uns passiert?â
Ich strich sanft durch ihr seidiges Haar. So gern wollte ich antworten, doch kein Wort kam über meine Lippen. Ich schüttelte den Kopf.
Was war passiert? Konnte man es überhaupt so einfach beantworten? Vier Jahrzehnte. Die junge Frau von einst schien nichts mehr mit mir gemein zu haben.
Ein leises Klopfen von der Tür lieà mich aufsehen.
Ramon betrat das Zimmer zögernd. Er musterte uns unsicher.
Ich konnte ihm ansehen, dass ihm Carols Anblick beinahe das Herz brach.
Meine Tochter sprang auf und umarmte ihn schluchzend. Er strich ihr sanft über den Rücken.
âBleib bei ihr. Ich komme gleich wieder.â Bat ich ihn leise. Ich musste raus. Nur für ein paar Minuten wenigstens.
Mum hatte es immer geliebt durch frischen Schnee zu gehen. Ich betrachtete den verschneiten Garten. So viel Schnee hatte es schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Zumindest nicht in Seattle. Du warst ewig nicht mehr hier. Schalt ich mich selbst.
Die Schneelandschaft verschwamm vor meinen Augen. Ich wischte die Tränen von meinen Wangen. Ich musste stark sein. Für Mum. Für Luke. Für meine Kinder. Für meine Enkelkinder. In diesem Moment wünschte ich mir jedoch nichts anderes als eine Schulter, an die ich mich lehnen konnte. Arme, die mich umschlossen und eine sanfte Stimme, die mich belog und sagte, alles würde wieder gut werden.
Niemand wusste, warum ich mir frei genommen hatte. Ich mochte meine Kollegen. Doch ich zählte sie nicht zu meinen Freunden. Ich hatte keine Freunde mehr. Ich hatte nicht nur den GroÃteil meiner Familie, sondern auch alle ehemaligen Freunde verloren.
Die Tränen tropften auf den glitzerten Schnee. Ich wollte gerade weiter gehen, als ich plötzlich ein Geräusch vom Haus vernahm.
Verwundert lief ich zurück. Warum hob keiner den Telefonhörer ab? Ich zog mir schnell einen Handschuh aus und ergriff den Hörer. âHuntzâ¦Gilmore.â
âIst Luke schon zurück?â Der Mann hatte eine angenehme tiefe Stimme.
âNein. Kann ich ihm etwas ausrichten?â
Er erwiderte seufzend. âEr möge seinen Neffen bitte zurückrufen.â
Ich erstarrte. Das musste ein Irrtum sein. Ich musste mich verhört haben. Gleich darauf schalt ich mich selbst. Was war daran so ungewöhnlich, dass ein Neffe seinen Onkel anrief? âMit wem spreche ich bitte?â
Er wurde ungeduldig. âWie viele Neffen hat Luke denn? Jess, Jess Mariano.â
Ich spürte wie mein Mund trocken wurde. Es war seltsam nach all den Jahren mit ihm zu telefonieren.
âSind Sie noch da?â
âÃhmâ¦ja. Natürlich.â
âKönnten Sie das Luke bitte ausrichten? Ich muss dringend mit ihm sprechen!â
âNatürlich. Er wird zurückrufen.â
âDanke.â Ich vernahm einen Ton. Er hatte aufgelegt.
âEntschuldige, Mummy. Wir hatten es zu spät gehört.â
Ich drehte mich langsam um und blickte in Jennys strahlendes Gesicht. âGrandma geht es heute anscheinend richtig gut.â Sie lächelte. âSie hat vorhin ständig Witze gemacht. Hat mir von einem Kirk und einem Taylor erzählt.â Jenny lachte, plötzlich veränderte sich ihre Miene. âMum?â Sie runzelte die Stirn und musterte mich. âAlles in Ordnung?â
Ich versuchte zu lächeln. âNatürlich.â Ich wusste nicht, was mit mir los war. Es musste diese unmittelbare Konfrontation mit meiner Vergangenheit gewesen sein. Mit der Zeit als noch alles gut war. Als Mum noch gesund war.
Jenny nickte. âWer hat denn angerufen?â
âLukes Neffe.â Antwortete ich.
Jenny seufzte. âSchon wieder? Ich habe Jess doch vor zwei Stunden schon gesagt, Grandpa würde nicht vor drei Uhr zurück seinâ¦Männerâ¦â Sie rollte mit den Augen.
Ich blickte sie Stirn runzelnd an. âKennst du Jess?â
âNicht sehr gut.â Sie zuckte mit den Schultern.
Die Sonne brannte auf Jennys Rücken. Ihre GroÃmutter hatte Recht gehabt. Trotz der dunklen Wolken am Morgen war es zu Mittag richtig heià geworden.
Lorelai würde gleich vom Hotel zurück sein. Jenny hatte schon die groÃe braune Decke auf der Wiese ausgebreitet. Sie würden wieder picknicken, hatte ihre Grandma gesagt. Jenny liebte es im Garten zu picknicken. Sie nahm ihren kleinen Block auf den Schoà und begann weiterzuzeichnen. Die Bilder für ihre Grandma, ihren Grandpa, Matt und Carol waren bereits fertig. Nun würde sie noch ein Bild für ihre Mum malen. Es musste besonders schön werden.
Jenny wollte, dass ihre Mutter wieder mehr lächelte. Rory versuchte es zwar zu verbergen, aber ihre Tochter spürte, dass es ihr nicht gut ging. Jennys Mum hatte vor wenigen Monaten begonnen den Keller zu renovieren, eine sehr ungewöhnliche Tätigkeit für diese, wie Matt bestätigt hatte. Vielleicht wollte sie einmal etwas Neues ausprobieren, hatte Carol dazu gemeint. Aber Jennys Schwester lebte schon seit Jahren nicht mehr zuhause, während ihr Bruder kaum noch zuhause war. Sie wussten anscheinend nicht, was gerade wirklich passierte.
Jenny war eines Nachmittags ihrer Intuition gefolgt und in den Keller geschlichen. Ihre Mutter hatte sie in ihrem Zimmer geglaubt, mit Puppen spielend. Am Ende des Ganges befand sich das kleine Zimmer mit den alten Sitzmöbeln, indem Matt angeblich mit dreizehn Jahren heimlich geraucht hatte, bevor er es plötzlich nicht nur mehr heimlich getan hatte. Jenny war zögernd stehen geblieben. Ihre Mutter konnte nur mehr in diesem Raum sein. Das Mädchen hatte sich ein wenig gebeugt um durchs Schlüsselloch sehen zu können. Wie erwartet, hatte sich nichts an dem Raum verändert. Rory war auf dem verstaubten Sofa gesessen, das Gesicht in die Hände gestützt. Neben ihr ein Berg Taschentücher.
Jenny schluckte und versuchte die aufkeimenden Tränen zu unterdrücken. Die Erinnerung an ihre weinende Mum, die sonst immer so stark gewesen war, hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Sie griff zu einem helleren Buntstift. Es sollte ein fröhliches Bild werden.
Sie war damals in den Raum gestürzt, weil sie gedacht hatte, Rory hätte sich verletzt. Dabei war es Jennys Vater gewesen, der sie verletzt hatte. Schon seit Jahren, hatte ihr Bruder später erzählt. Ihre Mum erwähnte lediglich einen harmlosen Streit. Die letzten Wochen hatte Jenny immer wieder unbemerkt diesen harmlosenStreits gelauscht. Die Mutter ihrer besten Freundin Maggie hatte ihr erklärt, was das Wort Scheidung bedeutete.
Jenny griff nach dem gelben Stift um die Sonne auszumalen. Ihre Geschwister hatten es ihr verschwiegen, um sie zu schützen. Jenny runzelte die Stirn. Die beiden mussten endlich lernen, dass sie nun kein kleines Kind mehr war.
Das Quietschen von Reifen lieà Jenny aufsehen. Vor dem Haus hatte ein alter Thunderbird gehalten, eines von Matts Posterautos. Sie erhob sich und lief neugierig zu dem Auto.
Ein Mann, höchstens ein wenig älter als ihre Mum, stieg aus. Er gehörte zu jenen Männern, die Carol wohl als gut in Form bezeichnet hätte. Seine Augen waren beinahe so dunkel wie seine Haare. Jenny betrachtete ihn neugierig. Seine Gesichtszüge erinnerten sie an jemanden, sie konnte jedoch nicht sagen, an wen. âHey.â GrüÃte sie grinsend. âToller Wagen.â
Er musterte sie. âEr gefällt dir also.â
âUnd wie. Mein Bruder hat auch so einen. Aber nur auf zwei Postern.â Erklärte sie.
Der Mann grinste. âMan muss schlieÃlich klein anfangen.â
Sie nickte eifrig. âMöchten Sie zu Grandpa?â
âDa ich mal annehme, dass du nicht zum Spaà in fremden Gärten sitzt und zeichnest, möchte ich zu deinem Grandpa, ja. Er ist übrigens mein Onkel.â
âEr ist noch in Hartford. Laut Grandma wird er aber um zwei Uhr zurück sein. Dann machen wir nämlich einen Ausflug.â
âVerstehe. Wie heiÃt du denn?â
âJenny. Und Sie?â
âLass bitte das förmliche. Meine Tochter erinnert mich täglich daran, wie alt ich bin.â Er grinste. âIch bin Jess.â
âOkayâ¦du hast also eine Tochter? Wie alt ist sie denn?â Sie musterte ihn interessiert.
âSie ist fünfzehn. Ein furchtbares Alter für ein Mädchen.â Er zwinkerte. âWie alt bist du?â
âDann ist sie ja nur wenig jünger als mein Bruderâ¦â Jenny lächelte. âIch werde bald zehn.â Antwortete sie stolz. Seit sie sechs geworden war, konnte sie ihren zehnten Geburtstag nicht mehr erwarten.
âBesuchst du deine GroÃeltern ganz alleine?â
Sie nickte. âDad hat geschäftlich in New York zu tun. Er hat mich davor hergebracht und holt mich übermorgen auf seinem Rückweg wieder ab. Mum möchte das so. Sie redet nichts mehr mit Grandma.â Jenny biss sich auf die Unterlippe. Rory war es bestimmt nicht Recht, dass sie das weitererzählte.
Jess nickte. âDas tut mir leid.â
Jenny zuckte mit den Schultern. âDas ist nicht unser Problem.â
âDu bist sehr stark für dein Alter.â
âMeine Schwester sagt das immer. Carol, Matt und ich besuchen Grandma trotz allem noch immer so oft es geht. Leider geht es nicht mehr so oft, wie früher. Aber wir telefonieren und mailen uns.â Jenny senkte den Kopf.
âHeyâ¦möchtest du dich mal rein setzen?â Jess deutete auf sein Auto.
Jennys Gesicht erhellte sich augenblicklich. âAuf den Fahrersitz?â
âWo denn sonst?â Jess grinste.
âNichts lieber als das! Das Auto ist so geil. Und Matt wird vor Neid platzen!â
Jess war an jenem Tag noch länger geblieben und hatte von ihrer Grandma sogar die Erlaubnis bekommen, mit Jenny eine Runde zu fahren. An einer kleinen einsamen StraÃe hatte sogar das Mädchen kurz am Steuer gesessen, was natürlich ihr Geheimnis geblieben war.
Jenny musste bei der Erinnerung an ihre erste Begegnung mit Jess lächeln. âIch habe ihn danach noch fünf oder sechs Mal gesehen. Zuletzt vor drei oder vier Jahren.â Erzählte sie. âEr ist toll. Es war immer sehr lustig sich mit ihm zu unterhalten. Er hat mich schon als kleines Mädchen sehr ernst genommen. Das hat mir gefallen.â Jenny lächelte. âSchade, dass Matt ihn noch nicht kennen gelernt hat. Sie hätten sich bestimmt gut verstanden. Auf eine gewisse Art und Weise sind sie sich nicht unähnlich.â
Ich biss mir auf die Unterlippe. âJa, das hätten sie bestimmt. Ich kenne Jess von früher. Unsere letzte Begegnung ist schon sehr viele Jahre her.â Ich seufzte leise.
Sie nickte lächelnd. âJess erzählte mir, dass er dich kannte. Er sagte auÃerdem, wie sehr ich dir ähnlich sehen würde. Das macht mich sehr stolz. Es war immer mein Traum gewesen wie du auszusehen.â
Ich umarmte sie. âDas hast du schön gesagt.â
Sie löste sich langsam von mir. âWeiÃt du wo Grandma die alten Fotos aufbewahrt? Sie hat mich darum gebeten. Sie möchte, dass wir sie uns gemeinsam ansehen.â
Ich ergriff nickend ihre Hand. âKomm mit. Wir holen sie.â
...
@Sky Angel & sweetie: Vielen Dank für eure tollen FBs! :freu: Hab mich total darüber gefreut :knuddel:
@alle: So, hab weiter geschrieben!
Hoffe, euch gefällt der neue Teil! Freu mich über FBs!
23. Teil
--------- Flashback ---------
Meine Finger zitterten als ich die Seite des Albums langsam wendete. Die Aufnahme war schwarzweiÃ. Und doch schien so viel Farbe und Leben in diesem Bild. Meine Grandma in jungen Jahren auf ihren ersten Ball. Neben ihr ein gutaussehender Mann, vielleicht zwei Jahre älter, welcher die Hand um ihre Hüfte gelegt hatte. Eine Träne tropfte auf das Bild. Ich schlug das Fotoalbum zu und legte es auf den Tisch. Sie war erst vor vier Wochen gegangen. Es schien mir als wäre es gestern gewesen, als wir auf meinen ersten Debütantinnenball waren.
Ich lehnte mich auf der Couch zurück und zog die Beine an. Ich hatte mir die letzten Wochen immer wieder vorgestellt, dass dies alles nur ein Traum war. Doch ich war bis zu jenem Tag nicht aufgewacht.
Das Schrillen des Telefons lieà mich zusammenzucken. Zu stark war noch die Erinnerung an jenen furchtbaren Anruf.
Ich wollte nicht abheben, um nichts in der Welt. Es interessierte mich auch nicht, wer anrief.
Als das Klingeln nicht aufhörte, stand ich schlieÃlich doch auf.
Der Schriftzug des Displays lieà mich zögern. Sie hatte in den letzten Wochen oft versucht mich zu erreichen. Doch meine Wut hatte sich noch nicht gelegt. Mum hatte sich erneut in mein Leben eingemischt und mir Vorwürfe gemacht. Das hatte ihr einfach nicht zugestanden. Meine Augen ruhten auf dem Display. Ich wollte nicht mit ihr reden. Um nichts in der Welt. Plötzlich wurde das Display dunkel. Sie hatte aufgegeben.
--------- Flashback Ende --------
Sie hatte es nach diesem Tag noch einige Male versucht, bis sie schlieÃlich ganz aufgegeben hatte. Zwei Jahrzehnte hatte ich kein Wort mit ihr gesprochen. Nun werden wir wahrscheinlich keine zwei Wochen mehr haben um miteinander zu sprechen.
Carol löste sich langsam aus meinen Armen. Ihre Augen waren geschwollen vom Meer der Tränen. âMum. Was ist nur mit uns passiert?â
Ich strich sanft durch ihr seidiges Haar. So gern wollte ich antworten, doch kein Wort kam über meine Lippen. Ich schüttelte den Kopf.
Was war passiert? Konnte man es überhaupt so einfach beantworten? Vier Jahrzehnte. Die junge Frau von einst schien nichts mehr mit mir gemein zu haben.
Ein leises Klopfen von der Tür lieà mich aufsehen.
Ramon betrat das Zimmer zögernd. Er musterte uns unsicher.
Ich konnte ihm ansehen, dass ihm Carols Anblick beinahe das Herz brach.
Meine Tochter sprang auf und umarmte ihn schluchzend. Er strich ihr sanft über den Rücken.
âBleib bei ihr. Ich komme gleich wieder.â Bat ich ihn leise. Ich musste raus. Nur für ein paar Minuten wenigstens.
Mum hatte es immer geliebt durch frischen Schnee zu gehen. Ich betrachtete den verschneiten Garten. So viel Schnee hatte es schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Zumindest nicht in Seattle. Du warst ewig nicht mehr hier. Schalt ich mich selbst.
Die Schneelandschaft verschwamm vor meinen Augen. Ich wischte die Tränen von meinen Wangen. Ich musste stark sein. Für Mum. Für Luke. Für meine Kinder. Für meine Enkelkinder. In diesem Moment wünschte ich mir jedoch nichts anderes als eine Schulter, an die ich mich lehnen konnte. Arme, die mich umschlossen und eine sanfte Stimme, die mich belog und sagte, alles würde wieder gut werden.
Niemand wusste, warum ich mir frei genommen hatte. Ich mochte meine Kollegen. Doch ich zählte sie nicht zu meinen Freunden. Ich hatte keine Freunde mehr. Ich hatte nicht nur den GroÃteil meiner Familie, sondern auch alle ehemaligen Freunde verloren.
Die Tränen tropften auf den glitzerten Schnee. Ich wollte gerade weiter gehen, als ich plötzlich ein Geräusch vom Haus vernahm.
Verwundert lief ich zurück. Warum hob keiner den Telefonhörer ab? Ich zog mir schnell einen Handschuh aus und ergriff den Hörer. âHuntzâ¦Gilmore.â
âIst Luke schon zurück?â Der Mann hatte eine angenehme tiefe Stimme.
âNein. Kann ich ihm etwas ausrichten?â
Er erwiderte seufzend. âEr möge seinen Neffen bitte zurückrufen.â
Ich erstarrte. Das musste ein Irrtum sein. Ich musste mich verhört haben. Gleich darauf schalt ich mich selbst. Was war daran so ungewöhnlich, dass ein Neffe seinen Onkel anrief? âMit wem spreche ich bitte?â
Er wurde ungeduldig. âWie viele Neffen hat Luke denn? Jess, Jess Mariano.â
Ich spürte wie mein Mund trocken wurde. Es war seltsam nach all den Jahren mit ihm zu telefonieren.
âSind Sie noch da?â
âÃhmâ¦ja. Natürlich.â
âKönnten Sie das Luke bitte ausrichten? Ich muss dringend mit ihm sprechen!â
âNatürlich. Er wird zurückrufen.â
âDanke.â Ich vernahm einen Ton. Er hatte aufgelegt.
âEntschuldige, Mummy. Wir hatten es zu spät gehört.â
Ich drehte mich langsam um und blickte in Jennys strahlendes Gesicht. âGrandma geht es heute anscheinend richtig gut.â Sie lächelte. âSie hat vorhin ständig Witze gemacht. Hat mir von einem Kirk und einem Taylor erzählt.â Jenny lachte, plötzlich veränderte sich ihre Miene. âMum?â Sie runzelte die Stirn und musterte mich. âAlles in Ordnung?â
Ich versuchte zu lächeln. âNatürlich.â Ich wusste nicht, was mit mir los war. Es musste diese unmittelbare Konfrontation mit meiner Vergangenheit gewesen sein. Mit der Zeit als noch alles gut war. Als Mum noch gesund war.
Jenny nickte. âWer hat denn angerufen?â
âLukes Neffe.â Antwortete ich.
Jenny seufzte. âSchon wieder? Ich habe Jess doch vor zwei Stunden schon gesagt, Grandpa würde nicht vor drei Uhr zurück seinâ¦Männerâ¦â Sie rollte mit den Augen.
Ich blickte sie Stirn runzelnd an. âKennst du Jess?â
âNicht sehr gut.â Sie zuckte mit den Schultern.
--------- Flashback Jenny --------
Die Sonne brannte auf Jennys Rücken. Ihre GroÃmutter hatte Recht gehabt. Trotz der dunklen Wolken am Morgen war es zu Mittag richtig heià geworden.
Lorelai würde gleich vom Hotel zurück sein. Jenny hatte schon die groÃe braune Decke auf der Wiese ausgebreitet. Sie würden wieder picknicken, hatte ihre Grandma gesagt. Jenny liebte es im Garten zu picknicken. Sie nahm ihren kleinen Block auf den Schoà und begann weiterzuzeichnen. Die Bilder für ihre Grandma, ihren Grandpa, Matt und Carol waren bereits fertig. Nun würde sie noch ein Bild für ihre Mum malen. Es musste besonders schön werden.
Jenny wollte, dass ihre Mutter wieder mehr lächelte. Rory versuchte es zwar zu verbergen, aber ihre Tochter spürte, dass es ihr nicht gut ging. Jennys Mum hatte vor wenigen Monaten begonnen den Keller zu renovieren, eine sehr ungewöhnliche Tätigkeit für diese, wie Matt bestätigt hatte. Vielleicht wollte sie einmal etwas Neues ausprobieren, hatte Carol dazu gemeint. Aber Jennys Schwester lebte schon seit Jahren nicht mehr zuhause, während ihr Bruder kaum noch zuhause war. Sie wussten anscheinend nicht, was gerade wirklich passierte.
Jenny war eines Nachmittags ihrer Intuition gefolgt und in den Keller geschlichen. Ihre Mutter hatte sie in ihrem Zimmer geglaubt, mit Puppen spielend. Am Ende des Ganges befand sich das kleine Zimmer mit den alten Sitzmöbeln, indem Matt angeblich mit dreizehn Jahren heimlich geraucht hatte, bevor er es plötzlich nicht nur mehr heimlich getan hatte. Jenny war zögernd stehen geblieben. Ihre Mutter konnte nur mehr in diesem Raum sein. Das Mädchen hatte sich ein wenig gebeugt um durchs Schlüsselloch sehen zu können. Wie erwartet, hatte sich nichts an dem Raum verändert. Rory war auf dem verstaubten Sofa gesessen, das Gesicht in die Hände gestützt. Neben ihr ein Berg Taschentücher.
Jenny schluckte und versuchte die aufkeimenden Tränen zu unterdrücken. Die Erinnerung an ihre weinende Mum, die sonst immer so stark gewesen war, hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Sie griff zu einem helleren Buntstift. Es sollte ein fröhliches Bild werden.
Sie war damals in den Raum gestürzt, weil sie gedacht hatte, Rory hätte sich verletzt. Dabei war es Jennys Vater gewesen, der sie verletzt hatte. Schon seit Jahren, hatte ihr Bruder später erzählt. Ihre Mum erwähnte lediglich einen harmlosen Streit. Die letzten Wochen hatte Jenny immer wieder unbemerkt diesen harmlosenStreits gelauscht. Die Mutter ihrer besten Freundin Maggie hatte ihr erklärt, was das Wort Scheidung bedeutete.
Jenny griff nach dem gelben Stift um die Sonne auszumalen. Ihre Geschwister hatten es ihr verschwiegen, um sie zu schützen. Jenny runzelte die Stirn. Die beiden mussten endlich lernen, dass sie nun kein kleines Kind mehr war.
Das Quietschen von Reifen lieà Jenny aufsehen. Vor dem Haus hatte ein alter Thunderbird gehalten, eines von Matts Posterautos. Sie erhob sich und lief neugierig zu dem Auto.
Ein Mann, höchstens ein wenig älter als ihre Mum, stieg aus. Er gehörte zu jenen Männern, die Carol wohl als gut in Form bezeichnet hätte. Seine Augen waren beinahe so dunkel wie seine Haare. Jenny betrachtete ihn neugierig. Seine Gesichtszüge erinnerten sie an jemanden, sie konnte jedoch nicht sagen, an wen. âHey.â GrüÃte sie grinsend. âToller Wagen.â
Er musterte sie. âEr gefällt dir also.â
âUnd wie. Mein Bruder hat auch so einen. Aber nur auf zwei Postern.â Erklärte sie.
Der Mann grinste. âMan muss schlieÃlich klein anfangen.â
Sie nickte eifrig. âMöchten Sie zu Grandpa?â
âDa ich mal annehme, dass du nicht zum Spaà in fremden Gärten sitzt und zeichnest, möchte ich zu deinem Grandpa, ja. Er ist übrigens mein Onkel.â
âEr ist noch in Hartford. Laut Grandma wird er aber um zwei Uhr zurück sein. Dann machen wir nämlich einen Ausflug.â
âVerstehe. Wie heiÃt du denn?â
âJenny. Und Sie?â
âLass bitte das förmliche. Meine Tochter erinnert mich täglich daran, wie alt ich bin.â Er grinste. âIch bin Jess.â
âOkayâ¦du hast also eine Tochter? Wie alt ist sie denn?â Sie musterte ihn interessiert.
âSie ist fünfzehn. Ein furchtbares Alter für ein Mädchen.â Er zwinkerte. âWie alt bist du?â
âDann ist sie ja nur wenig jünger als mein Bruderâ¦â Jenny lächelte. âIch werde bald zehn.â Antwortete sie stolz. Seit sie sechs geworden war, konnte sie ihren zehnten Geburtstag nicht mehr erwarten.
âBesuchst du deine GroÃeltern ganz alleine?â
Sie nickte. âDad hat geschäftlich in New York zu tun. Er hat mich davor hergebracht und holt mich übermorgen auf seinem Rückweg wieder ab. Mum möchte das so. Sie redet nichts mehr mit Grandma.â Jenny biss sich auf die Unterlippe. Rory war es bestimmt nicht Recht, dass sie das weitererzählte.
Jess nickte. âDas tut mir leid.â
Jenny zuckte mit den Schultern. âDas ist nicht unser Problem.â
âDu bist sehr stark für dein Alter.â
âMeine Schwester sagt das immer. Carol, Matt und ich besuchen Grandma trotz allem noch immer so oft es geht. Leider geht es nicht mehr so oft, wie früher. Aber wir telefonieren und mailen uns.â Jenny senkte den Kopf.
âHeyâ¦möchtest du dich mal rein setzen?â Jess deutete auf sein Auto.
Jennys Gesicht erhellte sich augenblicklich. âAuf den Fahrersitz?â
âWo denn sonst?â Jess grinste.
âNichts lieber als das! Das Auto ist so geil. Und Matt wird vor Neid platzen!â
Jess war an jenem Tag noch länger geblieben und hatte von ihrer Grandma sogar die Erlaubnis bekommen, mit Jenny eine Runde zu fahren. An einer kleinen einsamen StraÃe hatte sogar das Mädchen kurz am Steuer gesessen, was natürlich ihr Geheimnis geblieben war.
--------- Flashback Jenny Ende -------
Jenny musste bei der Erinnerung an ihre erste Begegnung mit Jess lächeln. âIch habe ihn danach noch fünf oder sechs Mal gesehen. Zuletzt vor drei oder vier Jahren.â Erzählte sie. âEr ist toll. Es war immer sehr lustig sich mit ihm zu unterhalten. Er hat mich schon als kleines Mädchen sehr ernst genommen. Das hat mir gefallen.â Jenny lächelte. âSchade, dass Matt ihn noch nicht kennen gelernt hat. Sie hätten sich bestimmt gut verstanden. Auf eine gewisse Art und Weise sind sie sich nicht unähnlich.â
Ich biss mir auf die Unterlippe. âJa, das hätten sie bestimmt. Ich kenne Jess von früher. Unsere letzte Begegnung ist schon sehr viele Jahre her.â Ich seufzte leise.
Sie nickte lächelnd. âJess erzählte mir, dass er dich kannte. Er sagte auÃerdem, wie sehr ich dir ähnlich sehen würde. Das macht mich sehr stolz. Es war immer mein Traum gewesen wie du auszusehen.â
Ich umarmte sie. âDas hast du schön gesagt.â
Sie löste sich langsam von mir. âWeiÃt du wo Grandma die alten Fotos aufbewahrt? Sie hat mich darum gebeten. Sie möchte, dass wir sie uns gemeinsam ansehen.â
Ich ergriff nickend ihre Hand. âKomm mit. Wir holen sie.â
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