12.12.2005, 22:58
Kapitel sechsundneunzig
Als Jess endlich nach Hause kam, saà Luke immer noch an der selben Stelle wie vor drei Stunden. Er hatte sich nicht bewegt, unfähig, zu glauben, was passiert gewesen sein sollte. Jess schloss die Tür hinter sich und sah Luke an.
"Was?", fragte er gereizt. Er hatte jetzt wirlklich keinen Nerv für noch irgendwelche anderen Sachen. Er konnte nur daran denken, was Rory gesagt hatte.
"Setz dich." Lukes Stimme klang kälter als Eis und er sah seinen Neffen mit versteinernder Miene an. Grimmig lieà Jess sich in den Stuhl gegenüber fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Auffordernd hob er die Brauen und sah Luke auffordernd an.
"Ich weiÃ, was passiert ist." Immer noch diese Kälte in seiner Stimme. "Damals. Ich hab mich Lorelai telefoniert, und war noch dran als Rory reinkam." Unwillkürlich zuckte Jess bei ihrem Namen zusammen. Luke sprang auf. "Du hast einen Menschen umgebracht?", rief er laut. Er konnte es einfach nicht glauben. Jess, ein Mörder?
"Nein, hab ich nicht!" Jess sprang ebenfalls auf. "Wie wäre es, wenn du mich einfach mal fragst, bevor du den Scheià nachredest, den Rory erzählt?" Luke drehte sich im Kreis und verschränkte die Hände auf der Kappe. SchlieÃlich setzte er sich wieder. "Dann erzähl endlich, was wirklich passiert ist!"
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Kapitel siebenundneunzig
Müde schlug Rory die Augen auf. Halb neun. Sie war erst vor ungefähr vier Stunden eingeschlafen. Hatte sich unruhig von einer Seite zur anderen gedreht, unfähig, die Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Unfähig, ihn aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Und selbst wenn es ihr gelingen würde, ihn auch nur annähernd zu vergessen, so trud sie Jess doch in sich. Zwar nur einen Teil von ihm, aber immerhin. Sie konnte ihm nicht entfliehen, wurde immer wieder eingeholt. Na toll, so früh am Morgen und schon wieder am Grübeln, dachte sie. Der Tag konnte ja nicht besser werden. Aber ein neues Gefühl hatte sich zu all den verwirrten, kleinen anderen geschlichen, tobte mit ihnen in ihrem Inneren und lieà sie nicht in Ruhe. Es nagte unnachgiebig an ihr. Es waren die Zweifel. Zweifel, ob er, Jess, wirklich in der Lage war, jemanden umzubringen. Zweifel, dass er wirklich die Kaltblütigkeit dazu besaÃ, einen Menschen aus dem Leben zu reiÃen. Sie kannte ihn doch eigentlich gut genug, im zu wissen, dass er das nicht konnte. Aber wie lange war lange genug? Es war jetzt ein Jahr her, dass sie sich das erste Mal getroffen hatten, und vor fünf Monaten waren sie zusammen gekommen. Und jetzt, alles aus. Weil sie einem wildfremden Menschen geglaubt hatte, was er über ihren Freund erzählt hatte. Ex- Freund, fügte sie bitter hinzu. Ja, die Zweifel nisteten sich immer tiefer in ihr ein, reiften sich aus. Wieso hatte sie nicht Jess gefragt, ob er wahr war? Ja, klar, fügte direkt eine kleine, wispernde Stimme in ihrem Kopf hinzu. Als ob du danach die Ruhe gehabt hättest, zu ihm zu gehen und zu fragen: Hey Jess, na, heute schon jemanden umgebracht? Oder: Jess, ich liebe dich, und Aaron hat erzählt, dass du jemanden erschossen hast. Ist das wahr? Nein, das konnte keiner. Aber sie wollte, nein, sie konnte nicht mit Jess jetzt reden. Sie musste das alles erstmal sacken lassen. Verarbeiten. Realisieren. Es war vorbei. Sie und Jess waren nicht mehr länger zusammen. Seufzend schwang sie die Beine aus dem Bett und ging in die Küche. Dort machte sie sich einen Kakao. Sonst hatte Lorelai ihn ihr immer gemacht, als sie noch klein gewesen war, damals, als sie noch im Schuppen des Independence Inns gewohnt hatten. Immer dann, wenn sie schlecht geträumt hatte, oder Angst vor der Dunkelheit oder den grellen Blitzen gehabt hatte. Seufzend fuhr sie sich durch die Haare. Ja, Lorelai war immer für sie da gewesen. Bis heute. Sie tat immer ihr Bestes, damit es Rory gut ging, beschützte sie, und riskierte sogar einen Streit mit Luke wegen ihr. Jetzt regte sich auch noch das schlechte Gewissen in ihr. Na schön, als ob sie nicht genug Probleme hatte. Sie legte eine Hand auf den Bauch. Ihr Baby schwieg noch. War noch still. Oder bewegte sich so sachte, dass sie noch nichts mitbekam. Wann hatte der Arzt nochmal gesagt, würde sie die ersten Bewegungen spüren? Zwischen der zwanzigsten und vierundzwanzigsten Woche. Also nicht mehr soo lange. Bei dem Gedanken an ihr Baby spürte sie ein erneutes Ziehen im Herzen. Ihr Baby sollte doch nicht so aufwachsen wie sie. Den Vater nur unregelmäÃig sehen, keine richtige Beziehung zu ihm aufbauen können. immer zwischen den Stühlen stehen. Was hatte Jess nochmal gesagt? "Ich liebe dich, ich will mit dir zusammen sein, für immer, aber was, wenn es nicht funktioniert? Dann haben wir wieder eine Familie, die nicht zusammen ist." Ja, das waren seine Worte gewesen. Seufzend zwang sie sich, an etwas anderes zu denken. Doch sie konnte nicht. Konnte es einfach nicht. Brachte es nicht übers Herz, mit ihm abzuschlieÃen. Nicht, wenn diese Ungewissheit noch zwischen ihnen lag. Langsam stand sie auf. Eher mechanisch, wie ein Robotor, ging sie in ihr Zimmer, zog sich an. Es war, als ob ihr schon immer klar gewesen war, dies zu tun. Als ob es so selbstverständlich war. Sie schrieb Lorelai noch einen Zettel, nahm ihre Jacke und ging zur Hintertür raus.
Jess stand wieder hinter dem Tresen und fütterte Davey. Doch mit seinen Gedanken war er ganz woanders. Er musste mit Rory reden, ihr die Wahrheit erzählen, ihr klar machen, dass er es verdammt nochmal nicht war.
Als er sie dann wirklich vor dem Diner stand, konnte er es erst nicht glauben, aber dann kam sie rein. Unsicher blieb sie in der Tür stehen und sah sich um. Dann erkannte sie ihn, wie er hinter dem Tresen stand und Daveys Flasche in der Hand hielt. Ihre Ãberraschung war für kurze Zeit deutlich sichtbar, doch schnell wurde sie wieder überflutet von Traurigkeit. Ihr blauen Augen vermieden es, ihn anzusehen, doch er sah auch so, dass sie bis tief ins Innere verletzt war.
"Luke, übernimm mal für mich!", rief er, ohne den ernsten Blick von Rory abzuwenden, die immer noch vor ihm stand und ihn stumm ansah. Luke streckte seinen Kopf aus der Tür, -entdeckte Rory, und schob Jess zur Seite.
"Ist ok, geht nach oben", sagte er. Jess nickte und deutete Rory mit einem Kopfnicken an, nach oben zu gehen. Sie nickte kaum merklich und ging vor. Mit Knien wie Blei ging er hinter ihr her.
I don't believe
In the smile that you leave
When you walk away
And say goodbye
Well I don't expect
The world to move underneath me
But for God's sake
Could you try?
I know that you're true to me
You're always there
You say you care
I know that you want to be mine
"Setz dich", brachte er mit krächzender Stimme hervor, als sie oben ankamen. Langsam lieà Rory sich auf einem Stuhl nieder. Sie presste die Lippen zusammen, sah ihn immer noch nicht an. Er lehnte sich an den Kühlschrank und musterte sie. Sie sah so schlecht aus, wie er sich fühlte. Schweigen erfüllte den Raum, hoffnungloses, stilles Schweigen. Das Ticken der Uhr klang unnatürlich in dieser Stille.
"Ich denke, du weiÃt, warum ich hier bin", sprach sie schlieÃlich. "Wir müssen reden - oder besser gesagt: Ich finde, es ist Zeit, dass du redest." Endlich sah sie ihn an. Endlich konnte er wieder in diese blauen Augen sehen, die er so vermisst hatte. In denen er so oft gewünscht hatte, zu versinken. Er nickte, setzte sich ihr gegenüber und legte sie Hände auf den Tisch.
"Hör zu, ich kann dir nur sagen, dass du dir mit Aaron den am meisten Falschen Typen ausgesucht hast, um dir die Vergangenheit zu erzählen." ScheiÃe Jess, das war der falsche Anfang. Das klang ja wie ein Vorwurf. So hatte sie es offenbar auch empfunden, denn sie spitzte beleidigt die Lippen. Gott, selbst das sah sexy bei ihr aus.
"Tja, wenigstens hat er mir erzählt was los war. Das macht nicht jeder."
Where is your heart?
'Cause I don't really feel you
Where is your heart?
What I really want is to believe you
Is it so hard
To give me what I need?
I want your heart to bleed
That's all I'm asking for
Oh, where is your heart?
Der Schlag traf ihn. Er seufzte, und wandte sich wieder an sie.
"Rory, ich wollte dir damit keinen Vorwurf machen. Ich wollte nur sagen, dass Aaron nicht gut auf mich zu sprechen ist. Gar nicht gut." Er holte Luft. "Hör zu, ich weià nicht, ob du mir glauben wirst, aber hör mir wenigsten zu, ok?" Misstrauisch sah sie ihn an. Doch dann nickte sie.
I don't understand
Your love is so cold
It's always me that's reaching out
For your hand
And I've always dreamed
That love would be effortless
Like a petal fallin' to the ground
A dreamer followin' his dream
"Na gut." Er leckte sich nervös über die Lippen, fuhr sich durch die Haare. Dann erzählte er ihr die Vergangenheit. Das, worauf sie so lange gewartet hatte.
Where is your heart?
'Cause I don't really feel you
Where is your heart?
What I really want is to believe you
Is it so hard
To give me what I need?
I want your heart to bleed
And that's all I'm asking for
Oh, where is your heart?
It seems so much is left unsaid
So much is left unsaid
But you can say anything
Oh, anytime you need
Baby, it's just you and me
Oh yeah
"Damals, als ich realiert habe, wie dumm es war in Aarons Gang zu sein, waren die Cops schon lange hinter ihm her. Als ich dann für ihn Drogen vertickt habe, tat ich das leider an einen Undercover Cop. Tja, es sah nicht gut für mich aus, aber sie boten mir einen Deal an. Ich sollte ihnen Aaron ausliefern, dafür würde ich milde davon kommen. Ich überlegte Tag und Nacht, immerhin war er trotz allem mein Kumpel. Eigentlich hatte ich mich gegen den Deal entschieden, doch dann fing ich was mit seiner Schwester an. Wir hatten ... unseren Spass, für einige Zeit, bis ich dahinter kam, dass Aaron sie auf mich angesetzt hatte, um zu checken ob ich etwas hinter seinem Rücken trieb. Tja, und damit hatte es sich für mich. Ich war nicht gerade verliebt in sie, wir hatten auch eigentlich nur sowas wie eine Affäre, aber so leicht konnte Aaron sowas nicht mit mir machen. Ich sagte den Cops, wann der groÃe Bruch stattfinden sollte, und sie stürmten den Laden. Aaron versuchte, einen von ihnen als Geisel zu nehmen, was ihm auch irgendwie gelang. Tja, und dann schoss er den armen Kerl ab. Kurz danach nahmen die Cops ihn fest, aber ihren Mann konnten sie nicht mehr retten. Als er herausfand, dass ich nur Sozialstunden liefern musste, ist er ausgetickt. Er schwor Rache as Ewig, und jetzt, wo er anscheinend wegen "guter Führung" drauÃen ist (ich denk ja, dass da eher Schmiergelder und Erpressungen von seinen Kerlen dahinter stecken), hat er sich seine Rache geholt. Er wusste durch die anderen, dass wir zusammen sind - waren", er verzog das Gesicht, "und konnte halt so dir die ganze Geschichte anders erzählen. Vor allem, weil er und ich die einzigen sind, die wissen, wie es wirklich ausgegangen ist." Er sah Rory an.
I know that you're true to me
You're always there
You say you care
I know that you want to be mine
Where is your heart?
'Cause I don't really feel you
Where is your heart?
What I really want is to believe you
Is it so hard
To give me what I need?
I want your heart to bleed
That's all I'm asking for
Oh yeah
Rory schloss die Augen. Das war also die Wahrheit. Seine Vergangenheit. Es steckte noch genug Vertrauen in ihr, dass sie seine Version glaubte. Er ergab auch einen Sinn. Eigentlich müsste sie doch jetzt zufrieden sein. Sie hatte, was sie immer wollte. Jess Vergangenheit. Aber nicht so. Nicht unter diesen Umständen. Nicht unter dem Druck, ihre Beziehung zu retten. Sie hatte sie freiwillig von Jess gewollt. aber so ...
Where is your heart?
'Cause I don't really feel you
Where is your heart?
What I really want is to believe you
Is it so hard
To give me what I need?
I want your heart to bleed
And that's all I'm asking for
"Rory?" Seine Stimme holte sie wieder zurück. Er sah sie fragend an. "Bitte ... sag doch was", sagte er bittend. Sie schüttelte nur den Kopf.
"Und das konntest du mir nicht vorher erzählen?" Sie konnte den Vorwurf, der mitschwang, nicht zurückhalten. Es schwallte einfach wieder hoch, die Enttäuschung, die Wut, die Verzweiflung, alles, was sie so oft gefühlt hatte, wenn Jess sie wieder so ahnungslos zurückgelassen hatte. "Ich mein, ich hab dich oft genug nach deiner Vergangenheit gefragt, oft genung! Du hattest hundert Gelegenheiten, es mir zu erzählen, aber du hast es nicht. Stattdessen hast du mich jedesmal so verletzt zurückgelassen, ist dir das eigentlich bewusst?" Sie spürte, wie sich mal wieder die ersten Tränen ihren Weg nach oben bahnen wollten. "Wenn ich dir so viel bedeutet habe, wieso hast du mich dann immer im Unklaren gelassen? Ich mein, für so etwas gibt es keine passende Gelegenheit, also entschuldige dich bloà nicht damit!" Drohend hab sie den Zeigefinger, als er den Mund öffnete, zu einer Erklärung ansetzte.
"Es - es tut mir leid", sagte er schlieÃlich nur.
Doch Rory stand auf. "Damit ist es diemal nicht getan, Jess! Ok, ich glaube dir, dass du kein Mörder bist, aber das wars dann auch schon." Verletzt stand sie auf und ging zur Tür raus.
Where is your heart?
Where is your heart?
Where is your heart?
Where is your heart?
Kapitel achtundneunzig
Zwar hatte sie jetzt die Wahrheit, aber es brachte ihr gar nichts. Es war zu spät. Zu spät. Sie weinte, so viel, dass es einen See hätte ausfüllen können, weinte um ihre zerbrochene Beziehung, um sich selbst, um den Schmerz, der drohte, sie zu zerreiÃen. Lieà sich von ihrer Mutter halten, wiegen und trösten wie ein kleines Kind, und bemerkte mit mehr Schmerz die verzweifelte Hilflosigkeit ihrer Mutter. Sie sah, wie sehr sie ihr helfen wollte, und feststellen musste, dass sie nicht konnte. Ja, da musste sie alleine durch. Niemand konnte ihr helfen, niemand.
Nach drei Tagen voller Selbstmitleid schaffte sie es, wider aufzustehen. Sie packte alles in eine Kiste, was sie mit Jess in Verbindung brachte. Jetzt gab es auch eine Jess- Box. Doch diesmal verstaute sie sie selbst im Schrank im Flur. Nur für alle Fälle. Sie war dankbar, so dankbar, dass Lorelai so sehr für sie da war. Und freute sich mit ihr, dass Luke sich wieder mit ihr vertragen wollte. Als er sie zu einem Date am vierten Abend einlud, half Rory ihr beim Vorbereiten, wie früher, und gab ihrer Mutter einen Kuss, als diese zur Haustür ging.
"Du bist sicher, dass ich dich alleine lassen kann?", fragte Lorelai sie mit besorgtem Blick. "Du siehst immer noch so traurig aus. Und du bist so dünn geworden. Versprich mir, wenigstens eine Packung Twinkies zu essen, ja? Du musst doch essen."
Ungeduldig schob Rory sie zur Tür. "Ja Mum, und du musst jetzt an dich denken! Du hast dich viel zu lange um mich gekümmer, jetzt geh und hab mit Luke einen schönen Abend! Ich komm schon klar, versprochen!" Sie küsste ihre Mutter zum Abschied. "Ich hab dich lieb!"
"Ich dich auch! Aber du wirst mir nie zur Last fallen, das weiÃt du, oder?" Sie lächelte sie noch einmal kurz an, und hüpfte dann die Treppen zu Lukes Truck runter. Leise schloss Rory die Tür. Ja, Lorelai hatte wieder ein Recht auf ein eigenes Leben. Sie hatte es wirklich viel zu lange für sie, Rory aufgeschoben.
Seufzend lieà sie sich aufs Sofa plumpsen. Schaltete den Fernseher an, und wieder aus. Was war nur mit ihr los? Si lieà sich doch auch sonst nicht so gehen. Komm Rory, es wird Zeit, wieder einigermaÃen zu leben, redete sie sich zu. Aber tief, tief im Inneren wusste sie, dass sie noch nicht bereit war.
Als Jess endlich nach Hause kam, saà Luke immer noch an der selben Stelle wie vor drei Stunden. Er hatte sich nicht bewegt, unfähig, zu glauben, was passiert gewesen sein sollte. Jess schloss die Tür hinter sich und sah Luke an.
"Was?", fragte er gereizt. Er hatte jetzt wirlklich keinen Nerv für noch irgendwelche anderen Sachen. Er konnte nur daran denken, was Rory gesagt hatte.
"Setz dich." Lukes Stimme klang kälter als Eis und er sah seinen Neffen mit versteinernder Miene an. Grimmig lieà Jess sich in den Stuhl gegenüber fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Auffordernd hob er die Brauen und sah Luke auffordernd an.
"Ich weiÃ, was passiert ist." Immer noch diese Kälte in seiner Stimme. "Damals. Ich hab mich Lorelai telefoniert, und war noch dran als Rory reinkam." Unwillkürlich zuckte Jess bei ihrem Namen zusammen. Luke sprang auf. "Du hast einen Menschen umgebracht?", rief er laut. Er konnte es einfach nicht glauben. Jess, ein Mörder?
"Nein, hab ich nicht!" Jess sprang ebenfalls auf. "Wie wäre es, wenn du mich einfach mal fragst, bevor du den Scheià nachredest, den Rory erzählt?" Luke drehte sich im Kreis und verschränkte die Hände auf der Kappe. SchlieÃlich setzte er sich wieder. "Dann erzähl endlich, was wirklich passiert ist!"
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Kapitel siebenundneunzig
Müde schlug Rory die Augen auf. Halb neun. Sie war erst vor ungefähr vier Stunden eingeschlafen. Hatte sich unruhig von einer Seite zur anderen gedreht, unfähig, die Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Unfähig, ihn aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Und selbst wenn es ihr gelingen würde, ihn auch nur annähernd zu vergessen, so trud sie Jess doch in sich. Zwar nur einen Teil von ihm, aber immerhin. Sie konnte ihm nicht entfliehen, wurde immer wieder eingeholt. Na toll, so früh am Morgen und schon wieder am Grübeln, dachte sie. Der Tag konnte ja nicht besser werden. Aber ein neues Gefühl hatte sich zu all den verwirrten, kleinen anderen geschlichen, tobte mit ihnen in ihrem Inneren und lieà sie nicht in Ruhe. Es nagte unnachgiebig an ihr. Es waren die Zweifel. Zweifel, ob er, Jess, wirklich in der Lage war, jemanden umzubringen. Zweifel, dass er wirklich die Kaltblütigkeit dazu besaÃ, einen Menschen aus dem Leben zu reiÃen. Sie kannte ihn doch eigentlich gut genug, im zu wissen, dass er das nicht konnte. Aber wie lange war lange genug? Es war jetzt ein Jahr her, dass sie sich das erste Mal getroffen hatten, und vor fünf Monaten waren sie zusammen gekommen. Und jetzt, alles aus. Weil sie einem wildfremden Menschen geglaubt hatte, was er über ihren Freund erzählt hatte. Ex- Freund, fügte sie bitter hinzu. Ja, die Zweifel nisteten sich immer tiefer in ihr ein, reiften sich aus. Wieso hatte sie nicht Jess gefragt, ob er wahr war? Ja, klar, fügte direkt eine kleine, wispernde Stimme in ihrem Kopf hinzu. Als ob du danach die Ruhe gehabt hättest, zu ihm zu gehen und zu fragen: Hey Jess, na, heute schon jemanden umgebracht? Oder: Jess, ich liebe dich, und Aaron hat erzählt, dass du jemanden erschossen hast. Ist das wahr? Nein, das konnte keiner. Aber sie wollte, nein, sie konnte nicht mit Jess jetzt reden. Sie musste das alles erstmal sacken lassen. Verarbeiten. Realisieren. Es war vorbei. Sie und Jess waren nicht mehr länger zusammen. Seufzend schwang sie die Beine aus dem Bett und ging in die Küche. Dort machte sie sich einen Kakao. Sonst hatte Lorelai ihn ihr immer gemacht, als sie noch klein gewesen war, damals, als sie noch im Schuppen des Independence Inns gewohnt hatten. Immer dann, wenn sie schlecht geträumt hatte, oder Angst vor der Dunkelheit oder den grellen Blitzen gehabt hatte. Seufzend fuhr sie sich durch die Haare. Ja, Lorelai war immer für sie da gewesen. Bis heute. Sie tat immer ihr Bestes, damit es Rory gut ging, beschützte sie, und riskierte sogar einen Streit mit Luke wegen ihr. Jetzt regte sich auch noch das schlechte Gewissen in ihr. Na schön, als ob sie nicht genug Probleme hatte. Sie legte eine Hand auf den Bauch. Ihr Baby schwieg noch. War noch still. Oder bewegte sich so sachte, dass sie noch nichts mitbekam. Wann hatte der Arzt nochmal gesagt, würde sie die ersten Bewegungen spüren? Zwischen der zwanzigsten und vierundzwanzigsten Woche. Also nicht mehr soo lange. Bei dem Gedanken an ihr Baby spürte sie ein erneutes Ziehen im Herzen. Ihr Baby sollte doch nicht so aufwachsen wie sie. Den Vater nur unregelmäÃig sehen, keine richtige Beziehung zu ihm aufbauen können. immer zwischen den Stühlen stehen. Was hatte Jess nochmal gesagt? "Ich liebe dich, ich will mit dir zusammen sein, für immer, aber was, wenn es nicht funktioniert? Dann haben wir wieder eine Familie, die nicht zusammen ist." Ja, das waren seine Worte gewesen. Seufzend zwang sie sich, an etwas anderes zu denken. Doch sie konnte nicht. Konnte es einfach nicht. Brachte es nicht übers Herz, mit ihm abzuschlieÃen. Nicht, wenn diese Ungewissheit noch zwischen ihnen lag. Langsam stand sie auf. Eher mechanisch, wie ein Robotor, ging sie in ihr Zimmer, zog sich an. Es war, als ob ihr schon immer klar gewesen war, dies zu tun. Als ob es so selbstverständlich war. Sie schrieb Lorelai noch einen Zettel, nahm ihre Jacke und ging zur Hintertür raus.
Jess stand wieder hinter dem Tresen und fütterte Davey. Doch mit seinen Gedanken war er ganz woanders. Er musste mit Rory reden, ihr die Wahrheit erzählen, ihr klar machen, dass er es verdammt nochmal nicht war.
Als er sie dann wirklich vor dem Diner stand, konnte er es erst nicht glauben, aber dann kam sie rein. Unsicher blieb sie in der Tür stehen und sah sich um. Dann erkannte sie ihn, wie er hinter dem Tresen stand und Daveys Flasche in der Hand hielt. Ihre Ãberraschung war für kurze Zeit deutlich sichtbar, doch schnell wurde sie wieder überflutet von Traurigkeit. Ihr blauen Augen vermieden es, ihn anzusehen, doch er sah auch so, dass sie bis tief ins Innere verletzt war.
"Luke, übernimm mal für mich!", rief er, ohne den ernsten Blick von Rory abzuwenden, die immer noch vor ihm stand und ihn stumm ansah. Luke streckte seinen Kopf aus der Tür, -entdeckte Rory, und schob Jess zur Seite.
"Ist ok, geht nach oben", sagte er. Jess nickte und deutete Rory mit einem Kopfnicken an, nach oben zu gehen. Sie nickte kaum merklich und ging vor. Mit Knien wie Blei ging er hinter ihr her.
I don't believe
In the smile that you leave
When you walk away
And say goodbye
Well I don't expect
The world to move underneath me
But for God's sake
Could you try?
I know that you're true to me
You're always there
You say you care
I know that you want to be mine
"Setz dich", brachte er mit krächzender Stimme hervor, als sie oben ankamen. Langsam lieà Rory sich auf einem Stuhl nieder. Sie presste die Lippen zusammen, sah ihn immer noch nicht an. Er lehnte sich an den Kühlschrank und musterte sie. Sie sah so schlecht aus, wie er sich fühlte. Schweigen erfüllte den Raum, hoffnungloses, stilles Schweigen. Das Ticken der Uhr klang unnatürlich in dieser Stille.
"Ich denke, du weiÃt, warum ich hier bin", sprach sie schlieÃlich. "Wir müssen reden - oder besser gesagt: Ich finde, es ist Zeit, dass du redest." Endlich sah sie ihn an. Endlich konnte er wieder in diese blauen Augen sehen, die er so vermisst hatte. In denen er so oft gewünscht hatte, zu versinken. Er nickte, setzte sich ihr gegenüber und legte sie Hände auf den Tisch.
"Hör zu, ich kann dir nur sagen, dass du dir mit Aaron den am meisten Falschen Typen ausgesucht hast, um dir die Vergangenheit zu erzählen." ScheiÃe Jess, das war der falsche Anfang. Das klang ja wie ein Vorwurf. So hatte sie es offenbar auch empfunden, denn sie spitzte beleidigt die Lippen. Gott, selbst das sah sexy bei ihr aus.
"Tja, wenigstens hat er mir erzählt was los war. Das macht nicht jeder."
Where is your heart?
'Cause I don't really feel you
Where is your heart?
What I really want is to believe you
Is it so hard
To give me what I need?
I want your heart to bleed
That's all I'm asking for
Oh, where is your heart?
Der Schlag traf ihn. Er seufzte, und wandte sich wieder an sie.
"Rory, ich wollte dir damit keinen Vorwurf machen. Ich wollte nur sagen, dass Aaron nicht gut auf mich zu sprechen ist. Gar nicht gut." Er holte Luft. "Hör zu, ich weià nicht, ob du mir glauben wirst, aber hör mir wenigsten zu, ok?" Misstrauisch sah sie ihn an. Doch dann nickte sie.
I don't understand
Your love is so cold
It's always me that's reaching out
For your hand
And I've always dreamed
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A dreamer followin' his dream
"Na gut." Er leckte sich nervös über die Lippen, fuhr sich durch die Haare. Dann erzählte er ihr die Vergangenheit. Das, worauf sie so lange gewartet hatte.
Where is your heart?
'Cause I don't really feel you
Where is your heart?
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Is it so hard
To give me what I need?
I want your heart to bleed
And that's all I'm asking for
Oh, where is your heart?
It seems so much is left unsaid
So much is left unsaid
But you can say anything
Oh, anytime you need
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Oh yeah
"Damals, als ich realiert habe, wie dumm es war in Aarons Gang zu sein, waren die Cops schon lange hinter ihm her. Als ich dann für ihn Drogen vertickt habe, tat ich das leider an einen Undercover Cop. Tja, es sah nicht gut für mich aus, aber sie boten mir einen Deal an. Ich sollte ihnen Aaron ausliefern, dafür würde ich milde davon kommen. Ich überlegte Tag und Nacht, immerhin war er trotz allem mein Kumpel. Eigentlich hatte ich mich gegen den Deal entschieden, doch dann fing ich was mit seiner Schwester an. Wir hatten ... unseren Spass, für einige Zeit, bis ich dahinter kam, dass Aaron sie auf mich angesetzt hatte, um zu checken ob ich etwas hinter seinem Rücken trieb. Tja, und damit hatte es sich für mich. Ich war nicht gerade verliebt in sie, wir hatten auch eigentlich nur sowas wie eine Affäre, aber so leicht konnte Aaron sowas nicht mit mir machen. Ich sagte den Cops, wann der groÃe Bruch stattfinden sollte, und sie stürmten den Laden. Aaron versuchte, einen von ihnen als Geisel zu nehmen, was ihm auch irgendwie gelang. Tja, und dann schoss er den armen Kerl ab. Kurz danach nahmen die Cops ihn fest, aber ihren Mann konnten sie nicht mehr retten. Als er herausfand, dass ich nur Sozialstunden liefern musste, ist er ausgetickt. Er schwor Rache as Ewig, und jetzt, wo er anscheinend wegen "guter Führung" drauÃen ist (ich denk ja, dass da eher Schmiergelder und Erpressungen von seinen Kerlen dahinter stecken), hat er sich seine Rache geholt. Er wusste durch die anderen, dass wir zusammen sind - waren", er verzog das Gesicht, "und konnte halt so dir die ganze Geschichte anders erzählen. Vor allem, weil er und ich die einzigen sind, die wissen, wie es wirklich ausgegangen ist." Er sah Rory an.
I know that you're true to me
You're always there
You say you care
I know that you want to be mine
Where is your heart?
'Cause I don't really feel you
Where is your heart?
What I really want is to believe you
Is it so hard
To give me what I need?
I want your heart to bleed
That's all I'm asking for
Oh yeah
Rory schloss die Augen. Das war also die Wahrheit. Seine Vergangenheit. Es steckte noch genug Vertrauen in ihr, dass sie seine Version glaubte. Er ergab auch einen Sinn. Eigentlich müsste sie doch jetzt zufrieden sein. Sie hatte, was sie immer wollte. Jess Vergangenheit. Aber nicht so. Nicht unter diesen Umständen. Nicht unter dem Druck, ihre Beziehung zu retten. Sie hatte sie freiwillig von Jess gewollt. aber so ...
Where is your heart?
'Cause I don't really feel you
Where is your heart?
What I really want is to believe you
Is it so hard
To give me what I need?
I want your heart to bleed
And that's all I'm asking for
"Rory?" Seine Stimme holte sie wieder zurück. Er sah sie fragend an. "Bitte ... sag doch was", sagte er bittend. Sie schüttelte nur den Kopf.
"Und das konntest du mir nicht vorher erzählen?" Sie konnte den Vorwurf, der mitschwang, nicht zurückhalten. Es schwallte einfach wieder hoch, die Enttäuschung, die Wut, die Verzweiflung, alles, was sie so oft gefühlt hatte, wenn Jess sie wieder so ahnungslos zurückgelassen hatte. "Ich mein, ich hab dich oft genug nach deiner Vergangenheit gefragt, oft genung! Du hattest hundert Gelegenheiten, es mir zu erzählen, aber du hast es nicht. Stattdessen hast du mich jedesmal so verletzt zurückgelassen, ist dir das eigentlich bewusst?" Sie spürte, wie sich mal wieder die ersten Tränen ihren Weg nach oben bahnen wollten. "Wenn ich dir so viel bedeutet habe, wieso hast du mich dann immer im Unklaren gelassen? Ich mein, für so etwas gibt es keine passende Gelegenheit, also entschuldige dich bloà nicht damit!" Drohend hab sie den Zeigefinger, als er den Mund öffnete, zu einer Erklärung ansetzte.
"Es - es tut mir leid", sagte er schlieÃlich nur.
Doch Rory stand auf. "Damit ist es diemal nicht getan, Jess! Ok, ich glaube dir, dass du kein Mörder bist, aber das wars dann auch schon." Verletzt stand sie auf und ging zur Tür raus.
Where is your heart?
Where is your heart?
Where is your heart?
Where is your heart?
Kapitel achtundneunzig
Zwar hatte sie jetzt die Wahrheit, aber es brachte ihr gar nichts. Es war zu spät. Zu spät. Sie weinte, so viel, dass es einen See hätte ausfüllen können, weinte um ihre zerbrochene Beziehung, um sich selbst, um den Schmerz, der drohte, sie zu zerreiÃen. Lieà sich von ihrer Mutter halten, wiegen und trösten wie ein kleines Kind, und bemerkte mit mehr Schmerz die verzweifelte Hilflosigkeit ihrer Mutter. Sie sah, wie sehr sie ihr helfen wollte, und feststellen musste, dass sie nicht konnte. Ja, da musste sie alleine durch. Niemand konnte ihr helfen, niemand.
Nach drei Tagen voller Selbstmitleid schaffte sie es, wider aufzustehen. Sie packte alles in eine Kiste, was sie mit Jess in Verbindung brachte. Jetzt gab es auch eine Jess- Box. Doch diesmal verstaute sie sie selbst im Schrank im Flur. Nur für alle Fälle. Sie war dankbar, so dankbar, dass Lorelai so sehr für sie da war. Und freute sich mit ihr, dass Luke sich wieder mit ihr vertragen wollte. Als er sie zu einem Date am vierten Abend einlud, half Rory ihr beim Vorbereiten, wie früher, und gab ihrer Mutter einen Kuss, als diese zur Haustür ging.
"Du bist sicher, dass ich dich alleine lassen kann?", fragte Lorelai sie mit besorgtem Blick. "Du siehst immer noch so traurig aus. Und du bist so dünn geworden. Versprich mir, wenigstens eine Packung Twinkies zu essen, ja? Du musst doch essen."
Ungeduldig schob Rory sie zur Tür. "Ja Mum, und du musst jetzt an dich denken! Du hast dich viel zu lange um mich gekümmer, jetzt geh und hab mit Luke einen schönen Abend! Ich komm schon klar, versprochen!" Sie küsste ihre Mutter zum Abschied. "Ich hab dich lieb!"
"Ich dich auch! Aber du wirst mir nie zur Last fallen, das weiÃt du, oder?" Sie lächelte sie noch einmal kurz an, und hüpfte dann die Treppen zu Lukes Truck runter. Leise schloss Rory die Tür. Ja, Lorelai hatte wieder ein Recht auf ein eigenes Leben. Sie hatte es wirklich viel zu lange für sie, Rory aufgeschoben.
Seufzend lieà sie sich aufs Sofa plumpsen. Schaltete den Fernseher an, und wieder aus. Was war nur mit ihr los? Si lieà sich doch auch sonst nicht so gehen. Komm Rory, es wird Zeit, wieder einigermaÃen zu leben, redete sie sich zu. Aber tief, tief im Inneren wusste sie, dass sie noch nicht bereit war.