19.09.2006, 16:48
30. Teil
„Mum?“
Ich hatte die Tür nicht gehört. Das Bett knarrte ein wenig, als sie sich setzte.
„Jess. Er ist es. Habe ich recht?“
Ich setzte mich auf. „Ich weiÃ, dass ich eine schlechte Mutter bin. Bestätige es mir ruhig auch du, Carol. Ich werde mich auch in keinster Weise wehren.“
„Er ist nett. Carmen ist völlig vernarrt in ihn und Ramón und er unterhalten sich bereits als wären sie langjährige Freunde.“
Ich musterte sie irritiert.
„Hör mal, Mum. Du weiÃt, dass ich mit sechzehn dieses Foto gefunden habe und vor mehr als zwanzig Jahren das Gespräch von Grandma und dir mitangehört habe. Du bist mir keinerlei Rechenschaft mehr schuldig.“
„Wo ist Matt hin?“
„Er sagte nur, dass er Kopfweh hätte und ein wenig spazieren gehen wolle.“
„Ich hätte es ihm nicht verheimlichen dürfen. Das war unfair. Er hat das Vertrauen zu mir verloren.“
Carol runzelte die Stirn. „Nun lass ihn erst mal Gehörtes verarbeiten und dann sprecht euch aus.“
„Wenn er jemals wieder mit mir spricht…“
„Mum, du musst ihn verstehen…“
„Ich verstehe ihn, Carol. Das ist es nicht. Ich bereue es, ihn mit dieser Lüge aufwachsen haben zu lassen. Nun habe ich auch noch Matt verloren…“
„Mum…“ Sie drückte meine Hand. „Du hast keines deiner Kinder verloren. Auch wenn unser Verhältnis schon immer schwierig gewesen ist und vielleicht auch niemals innig sein wird, wir haben uns niemals wirklich verloren.“
Ich unterdrückte die Tränen. „Hast du von Jennys Abtreibung gewusst?“
Carol seufzte leise. „Ja. Sie erzählte es mir drei Monate später.“
„WeiÃt du wie schlimm es für eine Mutter ist herauszufinden, dass sie ihre Kinder niemals gekannt hat? Ich hoffe, dass euch dieses Gefühl erspart bleiben wird.“
„Du hast uns auch niemals die Chance gegeben, dich wirklich kennen zu lernen, Mum.“
„Früher hatte ich mir immer vorgestellt, dass ich mit meinen Kindern eine so besondere Beziehung haben würde, wie ich mit Mum hatte. Doch diese Beziehung war einzigartig. Und natürlich war es ich, welche diese zerstört hatte. Nach dem Spaziergang mit Jess schöpfte ich zum ersten Mal wieder etwas Hoffnung. Ich dachte, es würde mir gelingen die Weichen für einen Neuanfang zu stellen. Doch die Auseinandersetzung mit Matt hat mir gezeigt, dass einfach zu viele Jahre vergangen sind. Ich muss mich wohl damit abfinden, dass sich die Zeit nicht über Nacht zurück drehen wird und das Beste aus der jetzigen Situation machen.“
„Das tust du doch, Mum. Sieh uns an. Wann haben wir zuletzt so miteinander gesprochen? Haben wir das jemals? Und du und Grandma, ihr habt euch endlich ausgesprochen. So gut wie zumindest.“
Ich lächelte gequält. „Das nach vierzig Jahren…“
„Ihr habt es getan, darauf kommt es an.“
„Carol?“ Ich atmete tief durch. „Es tut mir leid. Es tut mir von ganzem Herzen leid, dass ich dir dein Leben lang das Gefühl gegeben habe unerwünscht zu sein. Ich habe dich immer geliebt, auch wenn du mir das nicht glaubst. Es war gut, dass die Sache mit Logan so kam wie sie kam. Sonst hätte ich keins meiner wundervollen drei Kinder.“
Carol lächelte leicht. „Ich liebe dich auch, Mum.“ Ihre Augen begannen zu tränen.
„Ich hätte für dich da sein müssen. Besonders für dich.“
Carol verwischte ihre Tränen. „Lass uns Grandma den Tee bringen. Wie denkst du, wird sie wohl heute reagieren?“ Sie erhob sich.
Ich folgte ihr langsam. „Ihre Begeisterung wird sich wohl in Grenzen halten.“
„Verständlich...sag mal, Mum...“ Sie biss sich Stirn runzelnd auf die Unterlippe. „Was wird, wenn...“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
„Ich weià es nicht, Carol.“ Ich wich ihrem Blick aus.
Vor der Tür erwartete uns bereits Jenny mit dem Tablett. „Da seid ihr ja endlich.“ Sie lächelte.
Ich musterte meine jüngste Tochter nachdenklich. Jennifer Huntzberger, Studentin der Stanford University, 23 Jahre alt. Das war im Prinzip alles, das ich über sie wusste.
[SIZE=3]„Was macht ihr denn schon hier? Ich muss meine Tabletten erst in zehn Minuten nehmen und ich werde jede einzelne dieser sechshundert Sekunden Gnadenfrist in vollsten Zügen genieÃen!“ BegrüÃte uns Mum grinsend. „Rory! Du bist ja noch hier. Ich dachte schon, wir müssten eine Vermisstenanzeige aufgeben...“ Sie zwinkerte. „Nun setzt euch schon. Ich beiÃe nicht.“ Sie deutete auf die drei Stühle neben ihrem Bett. Jenny stellte das Tablett auf den Nachtisch ab und setzte sich. Carol und ich lieÃen uns ebenfalls auf einen der Stühle sinken.
„Es tut mir leid, Mum. Ich war...“
„Spazieren, ich weiÃ. Dein Pech. Du hast viel verpasst. Carmen hat von Eddie erzählt, Jen hat einen Anruf von Alejandro erhalten, Carol hat sich als furchtbare Köchin geoutet und Luke hat mir ein Fotoalbum gebracht. Dann haben wir eine wilde Party gefeiert, welche von der Polizei unterbrochen werden musste. SchlieÃlich haben die Cops mitgefeiert, weil meine Breakdance Nummer so unglaublich war.“
Ich runzelte die Stirn.
„Na gut, sie war ausgezeichnet. Zerstör mir nicht meine Illusionen. Siehst du, die beiden Kleinen fanden das witzig. Dein Humor muss vorletzten Winter in Seattle eingefroren sein. Ihr hattet doch diese Rekordtemperaturen.“
„Entschuldige, Mum. Es war ein langer Tag...“
„Du wirst alt, meine Tochter.“ Mum schüttelte den Kopf. „Wenn das so weiter geht, muss ich dich demnächst im Altersheim besuchen.“
„Vielleicht.“
„Rory? Was ist los?“ Sie musterte mich Stirn runzelnd.
Ich wich ihrem Blick aus. „Lass uns später darüber sprechen. Was wollte Alejandro?“ Ich sah meine Jüngste erwartungsvoll an.
„Er wollte wissen, wie es mir geht. Wir haben nicht lange miteinander gesprochen...“ Jenny zuckte mit den Schultern.
„Das solltet ihr aber vielleicht. Mein Engel, du liebst diesen Jungen.“ Mum lächelte.
„Er hat sie betrogen, Mum...“
Jenny warf mir einen kurzen Blick zu bevor sie sich an ihre GroÃmutter wandte. „Er hat mich sehr verletzt. Er und Daphne, meine ehemalige beste Freundin. Ich weiÃ, das ist drei Jahre her und ich sollte über ihn hinweg sein, aber...“
„Aber du bist es nicht.“ Beendete Mum den Satz.
„Nein...“
„Aber was war denn mit Lizzie?“ Ich runzelte die Stirn.
„Die Monate mit Lizzie waren toll.“ Jenny lächelte. „Aber das war etwas anderes. Wir haben uns als Freundinnen getrennt.“
Carol fuhr sich durchs Haar. „So etwas finde ich toll. Ich habe es mit keinem meiner Exfreunde geschafft befreundet zu bleiben.“
Mum nickte. „Frauen sind da unkomplizierter. Eigentlich dachte ich immer, es wäre umgekehrt. Na ja, wie geht’s denn Lizzie? Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen.“
„Sie lässt dich lieb grüÃen und wünscht dir alles Gute. Zurzeit ist sie noch in Frankreich. Sonst hätte sie dich bestimmt schon besucht.“
„Alejandro wollte also nur wissen, wie es dir geht?“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Eigentlich hatte ich keinerlei Recht dazu die neugierige Mutter zu spielen.
Jenny seufzte. „Er hat gefragt, wann ich wieder nach San Juan komme.“
„Das war klar. Dort hat es mit euch angefangen. Er hat wahrscheinlich die Hoffnung, dass ihr dort auch einen Neuanfang findet.“ Meinte Carol.
„Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn es nie begonnen hätte...“ Jenny blickte auf ihre Zehenspitzen.
Mum drückte ihre Hand. „Sag das nicht. Auch wenn er dich verletzt hat, waren es wunderbare drei Jahre. Ihr ward doch drei Jahre zusammen, habe ich Recht?“
„Ja.“
„Hast du ihm jemals die Chance gegeben mit dir über die Sache zu sprechen?“
Jenny rannte. Sie hatte selbst nicht gewusst, wie schnell ihre Beine sie tatsächlich tragen konnten.
Jen, warte! Lass es mich erklären.
Was wollte er ihr schon erklären? Das Bild der beiden nackten Körper hatte sich für immer in ihrem Gedächtnis festgesetzt. Es bedarf keiner weiteren Erklärung.
Ihr Herz war schon in tausende Stücke zersprungen, man konnte es ohnehin nicht mehr heilen. Sie hatte gehört, wie er es einfach zerstört hatte. Vor drei Jahren hatte sie es ihm geschenkt, im tiefen Glauben an eine neue Liebe. Sie hatte nicht geglaubt nach Andrew wieder lieben zu können. Doch Alejandro hatte ihr Herz geheilt, es ihr genommen um es schlieÃlich zu brechen. Unheilbar. Unwiderrufbar.
Jenny!
Daphne hatte lediglich erschrocken gewirkt. Genauso erschrocken wie bei einem dieser seltsamen Filme, die sie sich früher gemeinsam angesehen hatten. Daphne und sie hatten viel gemeinsam erlebt. Sie waren die besten Freundinnen gewesen, seit Jenny mit ihrer Mutter nach Seattle gezogen war. Daphne war die einzige, die alles über sie wusste. Auch über ihre tiefe Liebe zu Alejandro hatte sie Bescheid gewusst. So wie sie ihr Leben vor einiger Jahren gewissermaÃen gerettet hatte, hatte sie es nun zerstört.
Jenny rannte die lange StraÃe hinab. Sie hätte die beiden niemals bekannt machen dürfen. Noch weniger hätte Daphne zwei Tage vor ihr in San Juan ankommen dürfen.
Sie lieà sich auf den heiÃen Steg sinken. Heute war ihr Geburtstag. Ihr zwanzigster Geburtstag. Happy Birthday, Jen. Sie betrachtete den silbernen Ring mit dem blauen Stein.
Ich will mein restliches Leben mit dir verbringen.
HeiÃe Tränen tropften auf ihre Beine. Vielleicht war es besser so. Nun wusste sie zumindest, was er in Wirklichkeit für sie empfand. Wer weià wie viele Frauen es bereits neben ihr gegeben hatte. SchlieÃlich hatte sie eine Beziehung auf sehr weite Distanz geführt. Warum musste sie ihn aber ausgerechnet dabei erwischen? Noch dazu mit ihrer ehemals besten Freundin?
Sie erhob sich langsam und besah den Ring ein letztes Mal, bevor sie ihn dem Ozean übergab.
„Nein.“ Jennys Stimme zitterte. „Ich habe die beiden erwischt und bin gegangen. Ich hatte weder mit Daphne noch mit ihm bis zum heutigen Tage gesprochen. Auch ihre Mails nicht gelesen. Ich wollte die verlogenen Ausreden gar nicht hören.“
Carol legte den Arm um ihre Schwester. „WeiÃt du, als Carmen vor ein paar Tagen sagte, er würde ständig von dir sprechen...das ist die Wahrheit. Er hatte nur mehr oberflächliche Beziehungen nach dir.“
Jenny atmete tief durch. „Und wenn schon. Er hatte seine Chance. Er betrog mich. Ein Mann, der dich einmal betrogen hat, tut es immer wieder...“
Mum und ich tauschten einen Blick.
„Es gibt nur zwei Gilmores, denen das Glück in der Liebe vergönnt wurde. Carol und dir, Grandma.“ Meinte Jenny.
„Kleines, ich hatte vor Eric nur schlechte Typen. Und Eric servierte ich übel ab.“
„Aber du und Ramón, ihr habt eine himmlische, einzigartige Beziehung.“
„Grandma und Grandpa haben eine einzigartige Beziehung. Ramóns und meine Vorgeschichte ist alles andere als himmlisch oder einzigartig.“
„Ach, Engel.“ Meinte Mum und drückte Jennys Hand. „Jen, es gibt keine perfekten oder himmlischen Beziehungen. In dieser Weise hast du noch eine sehr träumerische Einstellung. Auch wenn euer GroÃvater die Liebe meines Lebens ist und ich mir niemals einen besseren Mann vorstellen hab können, war auch unsere Beziehung nicht vollkommen. Wir hatten Höhen und Tiefen, wie jedes andere Paar auch. Gar nichts auf dieser Welt ist perfekt und vielleicht ist es gerade das, was das Leben so schön macht...“
Jenny runzelte die Stirn. „Ich wollte Alejandro heiraten. Den Ring warf ich schlieÃlich ins Meer. Ich wollte nicht eines Tages so leiden wie Mum...“ Sie senkte den Kopf.
„Ach mein Schätzchen...du hast dein eigenes Schicksal, nicht das deiner Mutter...“
„Aber manches scheint sich von Generation zu Generation zu wiederholen.“
„Mit diesem Gedanken änderst du aber nichts daran...“ Mum lächelte milde. „Lassen wir das. Ich erzähle euch nun, wie ich euren GroÃvater kennen lernte.“
Es roch nach Schnee. Mit diesem Gedanken und einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen betrat die junge Frau eines morgens Luke’s Diner. Sie lebte nun schon ein paar Jahre in Stars Hollow, kannte das Cafe’ aber trotzdem noch nicht. Lorelai arbeitete und wohnte, gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter, im Independence Inn. Heute hatte sie sich frei genommen um ein Haus gleich in der Nähe zu besichtigen. Sie hatte lange gespart und auch von Mia das Angebot auf eine Unterstützung erhalten, sollte ihr kein Kredit gewährt werden. Warum Lorelai gerade an diesem Morgen das ihr noch fremde Diner betrat, anstatt ihr Stammcafe’ aufzusuchen, wusste sie nicht.
Kaum hatte sie die Tür geöffnet umgab sie ein unbeschreibliches Kaffeearoma. Sie fühlte sich, als wäre sie nach einer langen Suche endlich angekommen.
„Kaffee.“ Sie stürmte zum Tresen.
Ein junger Mann im Flanellhemd mit Baseballkappe musterte sie überrascht.
„Einen Kaffee bitte.“ Wiederholte Lorelai atemlos.
Er konnte seinen Blick nicht von ihren blauen Augen und den langem dunklen Haar reiÃen. „Natürlich. Entschuldigen Sie.“ Brummte er leise und griff eilig nach einer groÃen Tasse und füllte diese auf.
Lorelai musterte ihn zapplig. Sie hatte vor zwei Stunden ihren letzten Kaffee getrunken und fühlte sich als wäre sie auf Zwangsentzug. Der Mann schien wie ein rettender Engel. Ein verdammt gut aussehender Engel. Während er ihr den Rücken kehrte, konnte sie sich nicht verkneifen einen kurzen Blick auf sein Gesäà zu werfen. Ein freudiges Lächeln huschte über ihre Lippen.
In diesem Moment drehte er sich wieder um und reichte ihr die Tasse.
„Mein Retter!“ Sie ergriff diese eilig.
„Wie bitte?“ Er musterte sie verwirrt.
„Ich hatte schon lange keinen mehr.“ Erklärte Lorelai schnell.
„Verstehe.“
„Das ist wie Sauerstoff für mich.“ Sie deutete auf das braune Gebräu.
Luke beobachtete fasziniert, wie schnell sie die Tasse leerte.
„Ist das süÃ! Ihr habt euch bestimmt gleich gemocht, nicht? Grandpa war so ein attraktiver Mann! Das ist er noch heute für sein Alter.“ Jenny lächelte.
„Anfangs nannte ich ihn Duke und machte mich über sein brummiges Benehmen lustig. Aber ja, eigentlich war da schon immer mehr als bloà Freundschaft. Wir gestanden es uns aber erst sehr viel später ein. Beim Probelauf des Dragonflys...“
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„Mum?“
Ich hatte die Tür nicht gehört. Das Bett knarrte ein wenig, als sie sich setzte.
„Jess. Er ist es. Habe ich recht?“
Ich setzte mich auf. „Ich weiÃ, dass ich eine schlechte Mutter bin. Bestätige es mir ruhig auch du, Carol. Ich werde mich auch in keinster Weise wehren.“
„Er ist nett. Carmen ist völlig vernarrt in ihn und Ramón und er unterhalten sich bereits als wären sie langjährige Freunde.“
Ich musterte sie irritiert.
„Hör mal, Mum. Du weiÃt, dass ich mit sechzehn dieses Foto gefunden habe und vor mehr als zwanzig Jahren das Gespräch von Grandma und dir mitangehört habe. Du bist mir keinerlei Rechenschaft mehr schuldig.“
„Wo ist Matt hin?“
„Er sagte nur, dass er Kopfweh hätte und ein wenig spazieren gehen wolle.“
„Ich hätte es ihm nicht verheimlichen dürfen. Das war unfair. Er hat das Vertrauen zu mir verloren.“
Carol runzelte die Stirn. „Nun lass ihn erst mal Gehörtes verarbeiten und dann sprecht euch aus.“
„Wenn er jemals wieder mit mir spricht…“
„Mum, du musst ihn verstehen…“
„Ich verstehe ihn, Carol. Das ist es nicht. Ich bereue es, ihn mit dieser Lüge aufwachsen haben zu lassen. Nun habe ich auch noch Matt verloren…“
„Mum…“ Sie drückte meine Hand. „Du hast keines deiner Kinder verloren. Auch wenn unser Verhältnis schon immer schwierig gewesen ist und vielleicht auch niemals innig sein wird, wir haben uns niemals wirklich verloren.“
Ich unterdrückte die Tränen. „Hast du von Jennys Abtreibung gewusst?“
Carol seufzte leise. „Ja. Sie erzählte es mir drei Monate später.“
„WeiÃt du wie schlimm es für eine Mutter ist herauszufinden, dass sie ihre Kinder niemals gekannt hat? Ich hoffe, dass euch dieses Gefühl erspart bleiben wird.“
„Du hast uns auch niemals die Chance gegeben, dich wirklich kennen zu lernen, Mum.“
„Früher hatte ich mir immer vorgestellt, dass ich mit meinen Kindern eine so besondere Beziehung haben würde, wie ich mit Mum hatte. Doch diese Beziehung war einzigartig. Und natürlich war es ich, welche diese zerstört hatte. Nach dem Spaziergang mit Jess schöpfte ich zum ersten Mal wieder etwas Hoffnung. Ich dachte, es würde mir gelingen die Weichen für einen Neuanfang zu stellen. Doch die Auseinandersetzung mit Matt hat mir gezeigt, dass einfach zu viele Jahre vergangen sind. Ich muss mich wohl damit abfinden, dass sich die Zeit nicht über Nacht zurück drehen wird und das Beste aus der jetzigen Situation machen.“
„Das tust du doch, Mum. Sieh uns an. Wann haben wir zuletzt so miteinander gesprochen? Haben wir das jemals? Und du und Grandma, ihr habt euch endlich ausgesprochen. So gut wie zumindest.“
Ich lächelte gequält. „Das nach vierzig Jahren…“
„Ihr habt es getan, darauf kommt es an.“
„Carol?“ Ich atmete tief durch. „Es tut mir leid. Es tut mir von ganzem Herzen leid, dass ich dir dein Leben lang das Gefühl gegeben habe unerwünscht zu sein. Ich habe dich immer geliebt, auch wenn du mir das nicht glaubst. Es war gut, dass die Sache mit Logan so kam wie sie kam. Sonst hätte ich keins meiner wundervollen drei Kinder.“
Carol lächelte leicht. „Ich liebe dich auch, Mum.“ Ihre Augen begannen zu tränen.
„Ich hätte für dich da sein müssen. Besonders für dich.“
Carol verwischte ihre Tränen. „Lass uns Grandma den Tee bringen. Wie denkst du, wird sie wohl heute reagieren?“ Sie erhob sich.
Ich folgte ihr langsam. „Ihre Begeisterung wird sich wohl in Grenzen halten.“
„Verständlich...sag mal, Mum...“ Sie biss sich Stirn runzelnd auf die Unterlippe. „Was wird, wenn...“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
„Ich weià es nicht, Carol.“ Ich wich ihrem Blick aus.
Vor der Tür erwartete uns bereits Jenny mit dem Tablett. „Da seid ihr ja endlich.“ Sie lächelte.
Ich musterte meine jüngste Tochter nachdenklich. Jennifer Huntzberger, Studentin der Stanford University, 23 Jahre alt. Das war im Prinzip alles, das ich über sie wusste.
[SIZE=3]„Was macht ihr denn schon hier? Ich muss meine Tabletten erst in zehn Minuten nehmen und ich werde jede einzelne dieser sechshundert Sekunden Gnadenfrist in vollsten Zügen genieÃen!“ BegrüÃte uns Mum grinsend. „Rory! Du bist ja noch hier. Ich dachte schon, wir müssten eine Vermisstenanzeige aufgeben...“ Sie zwinkerte. „Nun setzt euch schon. Ich beiÃe nicht.“ Sie deutete auf die drei Stühle neben ihrem Bett. Jenny stellte das Tablett auf den Nachtisch ab und setzte sich. Carol und ich lieÃen uns ebenfalls auf einen der Stühle sinken.
„Es tut mir leid, Mum. Ich war...“
„Spazieren, ich weiÃ. Dein Pech. Du hast viel verpasst. Carmen hat von Eddie erzählt, Jen hat einen Anruf von Alejandro erhalten, Carol hat sich als furchtbare Köchin geoutet und Luke hat mir ein Fotoalbum gebracht. Dann haben wir eine wilde Party gefeiert, welche von der Polizei unterbrochen werden musste. SchlieÃlich haben die Cops mitgefeiert, weil meine Breakdance Nummer so unglaublich war.“
Ich runzelte die Stirn.
„Na gut, sie war ausgezeichnet. Zerstör mir nicht meine Illusionen. Siehst du, die beiden Kleinen fanden das witzig. Dein Humor muss vorletzten Winter in Seattle eingefroren sein. Ihr hattet doch diese Rekordtemperaturen.“
„Entschuldige, Mum. Es war ein langer Tag...“
„Du wirst alt, meine Tochter.“ Mum schüttelte den Kopf. „Wenn das so weiter geht, muss ich dich demnächst im Altersheim besuchen.“
„Vielleicht.“
„Rory? Was ist los?“ Sie musterte mich Stirn runzelnd.
Ich wich ihrem Blick aus. „Lass uns später darüber sprechen. Was wollte Alejandro?“ Ich sah meine Jüngste erwartungsvoll an.
„Er wollte wissen, wie es mir geht. Wir haben nicht lange miteinander gesprochen...“ Jenny zuckte mit den Schultern.
„Das solltet ihr aber vielleicht. Mein Engel, du liebst diesen Jungen.“ Mum lächelte.
„Er hat sie betrogen, Mum...“
Jenny warf mir einen kurzen Blick zu bevor sie sich an ihre GroÃmutter wandte. „Er hat mich sehr verletzt. Er und Daphne, meine ehemalige beste Freundin. Ich weiÃ, das ist drei Jahre her und ich sollte über ihn hinweg sein, aber...“
„Aber du bist es nicht.“ Beendete Mum den Satz.
„Nein...“
„Aber was war denn mit Lizzie?“ Ich runzelte die Stirn.
„Die Monate mit Lizzie waren toll.“ Jenny lächelte. „Aber das war etwas anderes. Wir haben uns als Freundinnen getrennt.“
Carol fuhr sich durchs Haar. „So etwas finde ich toll. Ich habe es mit keinem meiner Exfreunde geschafft befreundet zu bleiben.“
Mum nickte. „Frauen sind da unkomplizierter. Eigentlich dachte ich immer, es wäre umgekehrt. Na ja, wie geht’s denn Lizzie? Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen.“
„Sie lässt dich lieb grüÃen und wünscht dir alles Gute. Zurzeit ist sie noch in Frankreich. Sonst hätte sie dich bestimmt schon besucht.“
„Alejandro wollte also nur wissen, wie es dir geht?“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Eigentlich hatte ich keinerlei Recht dazu die neugierige Mutter zu spielen.
Jenny seufzte. „Er hat gefragt, wann ich wieder nach San Juan komme.“
„Das war klar. Dort hat es mit euch angefangen. Er hat wahrscheinlich die Hoffnung, dass ihr dort auch einen Neuanfang findet.“ Meinte Carol.
„Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn es nie begonnen hätte...“ Jenny blickte auf ihre Zehenspitzen.
Mum drückte ihre Hand. „Sag das nicht. Auch wenn er dich verletzt hat, waren es wunderbare drei Jahre. Ihr ward doch drei Jahre zusammen, habe ich Recht?“
„Ja.“
„Hast du ihm jemals die Chance gegeben mit dir über die Sache zu sprechen?“
---------- Flashback Jenny ---------
Jenny rannte. Sie hatte selbst nicht gewusst, wie schnell ihre Beine sie tatsächlich tragen konnten.
Jen, warte! Lass es mich erklären.
Was wollte er ihr schon erklären? Das Bild der beiden nackten Körper hatte sich für immer in ihrem Gedächtnis festgesetzt. Es bedarf keiner weiteren Erklärung.
Ihr Herz war schon in tausende Stücke zersprungen, man konnte es ohnehin nicht mehr heilen. Sie hatte gehört, wie er es einfach zerstört hatte. Vor drei Jahren hatte sie es ihm geschenkt, im tiefen Glauben an eine neue Liebe. Sie hatte nicht geglaubt nach Andrew wieder lieben zu können. Doch Alejandro hatte ihr Herz geheilt, es ihr genommen um es schlieÃlich zu brechen. Unheilbar. Unwiderrufbar.
Jenny!
Daphne hatte lediglich erschrocken gewirkt. Genauso erschrocken wie bei einem dieser seltsamen Filme, die sie sich früher gemeinsam angesehen hatten. Daphne und sie hatten viel gemeinsam erlebt. Sie waren die besten Freundinnen gewesen, seit Jenny mit ihrer Mutter nach Seattle gezogen war. Daphne war die einzige, die alles über sie wusste. Auch über ihre tiefe Liebe zu Alejandro hatte sie Bescheid gewusst. So wie sie ihr Leben vor einiger Jahren gewissermaÃen gerettet hatte, hatte sie es nun zerstört.
Jenny rannte die lange StraÃe hinab. Sie hätte die beiden niemals bekannt machen dürfen. Noch weniger hätte Daphne zwei Tage vor ihr in San Juan ankommen dürfen.
Sie lieà sich auf den heiÃen Steg sinken. Heute war ihr Geburtstag. Ihr zwanzigster Geburtstag. Happy Birthday, Jen. Sie betrachtete den silbernen Ring mit dem blauen Stein.
Ich will mein restliches Leben mit dir verbringen.
HeiÃe Tränen tropften auf ihre Beine. Vielleicht war es besser so. Nun wusste sie zumindest, was er in Wirklichkeit für sie empfand. Wer weià wie viele Frauen es bereits neben ihr gegeben hatte. SchlieÃlich hatte sie eine Beziehung auf sehr weite Distanz geführt. Warum musste sie ihn aber ausgerechnet dabei erwischen? Noch dazu mit ihrer ehemals besten Freundin?
Sie erhob sich langsam und besah den Ring ein letztes Mal, bevor sie ihn dem Ozean übergab.
---------- Flashback Jenny Ende ---------
„Nein.“ Jennys Stimme zitterte. „Ich habe die beiden erwischt und bin gegangen. Ich hatte weder mit Daphne noch mit ihm bis zum heutigen Tage gesprochen. Auch ihre Mails nicht gelesen. Ich wollte die verlogenen Ausreden gar nicht hören.“
Carol legte den Arm um ihre Schwester. „WeiÃt du, als Carmen vor ein paar Tagen sagte, er würde ständig von dir sprechen...das ist die Wahrheit. Er hatte nur mehr oberflächliche Beziehungen nach dir.“
Jenny atmete tief durch. „Und wenn schon. Er hatte seine Chance. Er betrog mich. Ein Mann, der dich einmal betrogen hat, tut es immer wieder...“
Mum und ich tauschten einen Blick.
„Es gibt nur zwei Gilmores, denen das Glück in der Liebe vergönnt wurde. Carol und dir, Grandma.“ Meinte Jenny.
„Kleines, ich hatte vor Eric nur schlechte Typen. Und Eric servierte ich übel ab.“
„Aber du und Ramón, ihr habt eine himmlische, einzigartige Beziehung.“
„Grandma und Grandpa haben eine einzigartige Beziehung. Ramóns und meine Vorgeschichte ist alles andere als himmlisch oder einzigartig.“
„Ach, Engel.“ Meinte Mum und drückte Jennys Hand. „Jen, es gibt keine perfekten oder himmlischen Beziehungen. In dieser Weise hast du noch eine sehr träumerische Einstellung. Auch wenn euer GroÃvater die Liebe meines Lebens ist und ich mir niemals einen besseren Mann vorstellen hab können, war auch unsere Beziehung nicht vollkommen. Wir hatten Höhen und Tiefen, wie jedes andere Paar auch. Gar nichts auf dieser Welt ist perfekt und vielleicht ist es gerade das, was das Leben so schön macht...“
Jenny runzelte die Stirn. „Ich wollte Alejandro heiraten. Den Ring warf ich schlieÃlich ins Meer. Ich wollte nicht eines Tages so leiden wie Mum...“ Sie senkte den Kopf.
„Ach mein Schätzchen...du hast dein eigenes Schicksal, nicht das deiner Mutter...“
„Aber manches scheint sich von Generation zu Generation zu wiederholen.“
„Mit diesem Gedanken änderst du aber nichts daran...“ Mum lächelte milde. „Lassen wir das. Ich erzähle euch nun, wie ich euren GroÃvater kennen lernte.“
--------- Flashback Lorelai ---------
Es roch nach Schnee. Mit diesem Gedanken und einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen betrat die junge Frau eines morgens Luke’s Diner. Sie lebte nun schon ein paar Jahre in Stars Hollow, kannte das Cafe’ aber trotzdem noch nicht. Lorelai arbeitete und wohnte, gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter, im Independence Inn. Heute hatte sie sich frei genommen um ein Haus gleich in der Nähe zu besichtigen. Sie hatte lange gespart und auch von Mia das Angebot auf eine Unterstützung erhalten, sollte ihr kein Kredit gewährt werden. Warum Lorelai gerade an diesem Morgen das ihr noch fremde Diner betrat, anstatt ihr Stammcafe’ aufzusuchen, wusste sie nicht.
Kaum hatte sie die Tür geöffnet umgab sie ein unbeschreibliches Kaffeearoma. Sie fühlte sich, als wäre sie nach einer langen Suche endlich angekommen.
„Kaffee.“ Sie stürmte zum Tresen.
Ein junger Mann im Flanellhemd mit Baseballkappe musterte sie überrascht.
„Einen Kaffee bitte.“ Wiederholte Lorelai atemlos.
Er konnte seinen Blick nicht von ihren blauen Augen und den langem dunklen Haar reiÃen. „Natürlich. Entschuldigen Sie.“ Brummte er leise und griff eilig nach einer groÃen Tasse und füllte diese auf.
Lorelai musterte ihn zapplig. Sie hatte vor zwei Stunden ihren letzten Kaffee getrunken und fühlte sich als wäre sie auf Zwangsentzug. Der Mann schien wie ein rettender Engel. Ein verdammt gut aussehender Engel. Während er ihr den Rücken kehrte, konnte sie sich nicht verkneifen einen kurzen Blick auf sein Gesäà zu werfen. Ein freudiges Lächeln huschte über ihre Lippen.
In diesem Moment drehte er sich wieder um und reichte ihr die Tasse.
„Mein Retter!“ Sie ergriff diese eilig.
„Wie bitte?“ Er musterte sie verwirrt.
„Ich hatte schon lange keinen mehr.“ Erklärte Lorelai schnell.
„Verstehe.“
„Das ist wie Sauerstoff für mich.“ Sie deutete auf das braune Gebräu.
Luke beobachtete fasziniert, wie schnell sie die Tasse leerte.
--------- Flashback Lorelai Ende ---------
„Ist das süÃ! Ihr habt euch bestimmt gleich gemocht, nicht? Grandpa war so ein attraktiver Mann! Das ist er noch heute für sein Alter.“ Jenny lächelte.
„Anfangs nannte ich ihn Duke und machte mich über sein brummiges Benehmen lustig. Aber ja, eigentlich war da schon immer mehr als bloà Freundschaft. Wir gestanden es uns aber erst sehr viel später ein. Beim Probelauf des Dragonflys...“
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