02.10.2006, 14:29
Hallo meine SüÃen :knuddel:
@Lava: Ja, mir liegt es irgendwie eher lange Kapiteln zu schreiben *g*
Freut mich, dass dir die Teile so gut gefallen haben! Danke schön für dein Feedback!
@Noir-Girl: Vielen Dank für dein FB! Freut mich, dass dir mein Schreibstil und die Geschichte so gefällt.
Was sich im Umschlag befindet, erfahrt ihr übrigens im nächsten Teil.
@MinowaySunshine: Freut mich, dass es mir gelungen ist, die Gefühle gut rüberzubringen. Bin da oft ein wenig unsicher. Das Kompliment kann ich übrigens zurück geben, da ich mich auch bei deiner Geschichte jedesmal in einen Bann gezogen fühle und richtig mitlebe und -fühle.
Danke schön für dein tolles Feedback!
Ich stell gleich die neuen Teile rein, ich hoffe, sie gefallen euch.
Freue mich, wie immer, schon sehr auf eure Feedbacks!
Bussi Selene
16. Teil
Sarah
1981
Sarahs Rücken schmerzte als sie sich auf das weiche Leder der Couch lehnte. Ihre Augen brannten, es fiel ihr schwer diese offen zu behalten. Doch sie durfte nicht schlafen. Zu sehr fürchtete sie ihre Träume. Sie fürchtete diese sogar beinahe mehr als die Zeit, während sie nicht schlief. In Träumen kann dir nichts passieren. Hatte ihre geliebte GroÃmutter vor Jahren, in einer längst vergangenen Zeit, gesagt. Ilse hatte ihr gelehrt Träume sinnvoll zu Nutzen. Aus diesen einen positiven Gewinn zu erzielen, indem sie versuchte diese zu interpretieren. Doch was sollte sie aus Träumen lernen, welche lediglich das Leben widerspiegelten, welchem sie nicht mehr entrinnen konnte? Ihre Hand zitterte, als sie das Wort mit einem Bleistift auf das Stück Papier schrieb.
Liebe
Sarah strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. Sie hatte an einem der Morgen einer fernen Vergangenheit von der Nachtigall erzählt. Der mythische Vogel war immer und immer wieder in ihren Träumen erschienen. Mal lange, mal auch nur ganz kurz. In sehr vielen Kulturen steht die Nachtigall als Symbol für die Liebe. Hatte Ilse erklärt. Die Nachtigall ist aber vor allem ein unschuldiges und so zauberhaftes Geschöpf, welches die Menschen mit ihrem betörenden Gesang erfreut. Achte die Natur, mein Kind. Sarah hatte das Tier ihrer Träume jedoch anders interpretiert, auf die Weise, die ihr Herz gewünscht hatte.
Liebe. Alles, wo nach mein Herz sich sehnte in jenen kalten Stunden.
Sie setzte den Stift ab und atmete tief durch.
Alles wonach mein Herz sich verzehrte.
Beim Gedanke an ihre letzten Träume durchfuhr ein schmerzhafter Stich ihr Herz.
Liebe. Alles, was ich wollte.
Ich reichte mein Herz und wurde meiner Seele beraubt.
Sarah legte den Bleistift ab. Keiner würde ihre Worte jemals lesen. Scheinbar sinnlos aneinander gereihte Sätze. Doch für sie ergaben sie Sinn.
Das Schreiben lenkte sie ab in jenen nächtlichen Stunden der Einsamkeit.
Schon bald würde die Nacht erneut dem Tag weichen. Sie würde erneut das groÃe Haus verlassen und vorgeben jemand zu sein, der sie niemals gewesen war.
Der Nachtigall Tod. Mein Tod.
17. Teil
Lillian
New York City, 2000
Lillian zupfte Stirn runzelnd an ihrem langen dunklen Haar, welches vom Wind durcheinander gebracht worden war. Sie betrachtete sich ein letztes Mal im Toilettenspiegel bevor sie den eigentlichen Raum des Cafes über den langen Flur betrat. Eine Kirchenglocke schlug Punkt elf Uhr, als sie sich zögernd auf einen Stuhl setzte. Ihr Platz verschaffte ihr sowohl einen guten Blick über das ganze Cafe als auch über die Eingangstür.
Lillian klopfte unruhig mit den Fingern auf die Tischplatte. Sie versuchte das nervöse Gefühl in der Magengegend zu ignorieren und konzentrierte sich auf die anderen Gäste. Rosa und sie hatten früher ein unterhaltsames Spiel gespielt, dessen Regeln sehr einfach gewesen waren. Jeder hatte „seine“ Personen gehabt und sich Lebensgeschichten zu diesen ausgedacht.
Lillian seufze leise. Sie hatte zum letzten Mal bei diesem Spiel aus tiefstem Herzen gelacht. Vor über zehn Jahren. Sie warf einen weiteren Blick auf ihre Armbanduhr. Lillian hatte ihre Eltern mehr geliebt als alles andere. Mit ihnen war auch ein Teil ihrer selbst gestorben. Rosa und Jorge - warum hatten sie gelogen? Warum hatten sie ihr niemals die Wahrheit gesagt? Was würden sie denken, wüssten sie, mit wem Lillian sich traf? Sie fixierte die Tischplatte und atmete tief durch. Noch war Zeit zu gehen. Nicht einmal Ana hatte sie es gesagt. Nur Arturo wusste es. Lillian biss auf ihre Unterlippe. Was würden die Menschen, welche ihr immer Eltern waren, empfinden, wüssten sie es? Sie runzelte die Stirn. Es war ihr Recht. Es war ihr gutes Recht herauszufinden, wer sie war. Doch wie konnte ihr eine weit entfernte, niemals gekannte Vergangenheit mitteilen, wer sie war? Lillian begann in ihrer Handtasche zu wühlen ohne tatsächlich etwas zu suchen. Rosa hatte dies vor Arztbesuchen manchmal gemacht. Es hatte sie beruhigt. Lillian zog ihre Hand wieder aus der Tasche. Es half nicht. Sie war nicht Rosa, sie war nicht ihre Tochter. Und doch, sie war ihre Tochter. Denn es war sie und kein anderes Mädchen, welchem eine perfekte Kindheit mit diesen wunderbaren Menschen geschenkt worden war. Was würde Rosa empfinden? Lillian erhob sich langsam. Ihr Herz raste vor Unruhe. Die Wut, die Enttäuschung, die Trauer, die Angst. Sie wechselten sich ab, dennoch waren sie stets gemeinsam in ihr. Lillian wusste nicht, welches Gefühl es war, das sie zur Tür trieb. Doch es war auch nicht wichtig. Denn ihr weiteres Schicksal sollte von einem Zufall entschieden werden.
„Entschuldigen Sie bitte. Habe ich Ihnen wehgetan?“
Die Frau fuhr sich kurz über die angerempelte Schulter. „Nein, es ist nichts passiert. Entschuldigen Sie. Auch ich hätte besser aufpassen sollen.“
„Schon okay.“ Lillian lächelte leicht.
Die Frau fuhr sich durchs Haar. „Ich kenne mich in New York City leider kaum aus, ich bin aus Boston. Wissen Sie, ob man vor dem Cafe parken darf? Ich habe kein Schild gesehen...“ Sie runzelte die Stirn.
„Das weià niemand so genau, aber jeder parkt davor. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Lillian wollte sich schon abwenden und das Cafe verlassen, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. „Sie sagten, Sie wären aus Boston?“ Sie kannte die Antwort schon. Ana sagte stets, nichts geschähe zufällig.
„Ja.“ Plötzlich weiteten sich die Augen der Fremden überrascht. „Lillian Marquez?“ Oksana musterte ihr Gegenüber Stirn runzelnd.
Lillian nickte leicht. Sie fühlte sich zunehmend unwohler und bereute es, nicht einfach gegangen zu sein.
„Setzen wir uns?“ Schlug Oksana vor. Ihre Stimme klang unsicher. „Hast du schon lange gewartet?“
„Nein.“ Lillian setzte sich zögernd zu dem Tisch, an welchem sie schon zuvor gesessen war.
Nachdem sie ihre Getränke bestellt und erhalten hatten sowie nach einem kurzen einseitigen Gespräch über das Wetter in Boston und New York City, brachte Lillian schlieÃlich über die Lippen, was ihr Herz seit einer Woche quälte. „Warum wollte sie mich nicht?“ Die Worte kamen stockend und ohne jeglichen Zusammenhang.
Oksana seufzte leise. Sie betrachtete Lillian nachdenklich, studierte ihre Gesichtszüge, die goldbraunen Augen, welche ihr schon bei dem kleinen Baby aufgefallen waren. Die junge Frau wirkte äuÃerlich stark, als würde sie nichts erschüttern können. Doch Oksana spürte, dass es in ihrem Inneren anders aussehen musste. „Lillian, sie wollte dich.“
Auf Lillians Stirn bildete sich eine Falte. „Hör mal, Oksana. Ich möchte von vorhinein klar stellen, dass ich hergekommen bin um die Wahrheit zu erfahren und keine Beschönigungen...“
„Das ist die Wahrheit...das heiÃt, die Wahrheit kenne ich nicht. Aber das ist das, was ich empfand. Deine Mutter litt.“ Sie versuchte nach auÃen hin genauso stark zu sein wie du. Fügte sie gedanklich hinzu. „Sie wollte dich nicht zur Adoption frei geben. Das spürte ich.“
Lillian runzelte die Stirn. Sie kannte zu viele Menschen, welche meinten, andere durchschauen zu können.
Oksana seufzte leise. Wie sollte sie ihr erklären, was sie damals bei Melissas Anblick gefühlt hatte? „Ich war kaum zwanzig und half öfters in dem Krankenhaus, in welchem meine Mutter arbeitete mit. In dieser Zeit lernte ich verschiedenste junge Frauen kennen, welche aufgrund noch unterschiedlicherer Schicksale ihre Babys zu uns brachten. Manche hüllten sich in Schweigen, andere erzählten jedoch auch ihre Geschichten. Einige dieser Geschichten klangen erfunden, andere wahr. Ich war schon immer ein sehr emotionaler Mensch. Mir gingen die Schicksale der jungen Frauen näher, als ich sie hätte an mich heranlassen dürfen. Die Augen deiner Mutter haben mich nie wieder los gelassen...“ Oksana biss sich auf die Unterlippe. Tat sie das Richtige? Wäre es besser, Lillian ihre Gedanken, welche nicht auf Tatsachen beruhen mussten, zu verschweigen? SchlieÃlich fuhr sie fort. „Sie schien Angst zu haben, als flüchte sie vor etwas. Ich kann mich irren. Tatsache ist jedoch, dass sie so schnell wieder verschwand, wie sie gekommen war. Sie erzählte nichts über sich. Sagte, ihr Name wäre Melissa und sie wäre bald zweiundzwanzig. Doch ob das der Wahrheit entsprach, kann ich dir nicht sagen. Sie wollte anonym blieben, nirgendwo vermerkt werden. Melissa, oder wie auch immer sie hieÃ, wusste genau an wen sie sich wandte. Sie hatte nicht zufällig unser Krankenhaus gewählt...“ Oksana hielt inne. „Sie sang dir ein Lied vor, in einer fremden Sprache, bevor sie ging. Ihre Stimme war unglaublich schön, sie nahm andere vollkommen gefangen. Und sie gab mir etwas für dich...“ Oksana zog den dicken Umschlag aus der Tasche. Ihre Hand zitterte, als sie diesen Lillian überreichte. Ihr Gegenüber ergriff ihn zögernd. Diese leichte Unsicherheit war die erste Miene, welche Lillian seit dem Gespräch zeigte. „Was ist das?“ Sie befühlte das Kuvert Stirn runzelnd.
„Ich weià es nicht. Es war ihr aber wichtig, dass du es erhältst.“
Lillian steckte es in ihre Tasche. „Danke.“
„Es tut mir leid, dass ich dir nicht mehr sagen kann. Aber wenn du jemanden zum Reden brauchst, kannst du mich jederzeit anrufen.“
„Du weiÃt auch nichts über meinen Vater?“
„Nein, leider.“
Lillian nickte.
„Ich versprach Melissa, bevor sie ging, dass du die besten Eltern bekommen würdest.“
Lillian seufzte leise und wich Oksanas Blick aus.
„Entschuldige. Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Oksana runzelte besorgt die Stirn und legte ihre Hand sanft auf Lillians. Was war diesem Mädchen nur widerfahren? Hatte sie ihre Menschenkenntnis überschätzt gehabt?
Lillian entzog Oksana ihre Hand. „Nein...das alles kommt nur sehr plötzlich. Vor einer Woche wusste ich noch nicht einmal, dass ich adoptiert bin und...“ Sie hielt inne.
„Kann ich irgendetwas für dich tun?“ Oksana musterte sie besorgt. Sie fühlte noch immer eine gewisse Verantwortung für die junge Frau. Ihre Mutter Agatha hatte ihr nach der Adoption geraten nicht mehr über Melissa nachzudenken, da sie ohnehin nichts mehr für diese tun konnte. Oksana hatte die junge Frau mit den leblosen Augen jedoch niemals vergessen können.
„Nein. Danke für alles. Ich muss jetzt gehen.“ Lillian erhob sich schnell. Die verschiedenen Gefühle und quälenden Fragen schienen ihr den Atem zu nehmen. Sie musste raus aus diesem Cafe, alleine sein.
„Soll ich dich irgendwo hinfahren?“
„Nein, vielen Dank.“ Lillian mühte sich um ein Lächeln.
„Lillian?“
Lillian runzelte die Stirn.
„Es tut mir leid. Ich wünschte wirklich, ich könnte mehr für dich tun.“
„Das ist nicht deine Schuld.“ Lillian fixierte die groÃen Fenster des Cafes. Es hatte zum Regnen begonnen.
„Bist du mit dem Auto hier?“
„Ich gehe lieber zu FuÃ.“ Antwortete Lillian knapp. Oksana wusste rein gar nichts über sie - wie sollte sie auch? Warum hatte sie sich von dieser fremden Frau Antworten erwartet? Die Antworten, welche diese ihr höchstens hätte geben können, hätten jedoch auch nichts an Lillians Zerrissenheit ändern können. Nichts konnte daran etwas ändern.
Oksana nickte Stirn runzelnd. „Ich gehe auch sehr gerne zu FuÃ, das entspannt mich.“ Sie lächelte leicht. „Aber es regnet in Strömen. Du könntest krank werden. Die nächste U-Bahn Station ist einige Meter entfernt, wie ich gesehen habe.“
Lillian seufzte. Wie kam diese Frau dazu so zu tun als wäre sie ihre Mutter? Lillian wurde schon mit Schlimmeren fertig als Regen.
„Lass mich dich zumindest zur U-Bahn bringen.“
„Okay.“ Warum war diese Fremde so besorgt um sie?
Wenige Minuten später sank Lillian auf den Beifahrersitz eines nagelneuen schwarzen BMWs.
Oksana beobachtete besorgt, wie die junge Frau fröstelte. „Ich werde die Heizung stärker einstellen. Es ist heute wirklich ungewöhnlich kühl für Ende Mai. Wenn ich dich doch weiter fahren soll...“
„Bitte lass mich beim Central Park aussteigen, wenn es keine Umstände macht.“
„Okay. Es macht gar keine Umstände. Ich täte gerne mehr für dich.“
Lillian richtete den Blick aus dem Fenster.
„Machst du heuer deinen High School Abschluss?“ Bemühte sich Oksana um ein Gespräch.
„In wenigen Wochen.“
„Bist du schon nervös? Ich war damals sehr nervös.“
„Es geht.“
„Du schaffst das gewiss.“
„Danke.“
„Möchtest du danach studieren?“
Lillian hätte am liebsten aufgelacht. Als käme es darauf an, was sie wollte. „Mal sehen.“
Oksana nickte. „Ich habe mir vor meinem Medizinstudium auch eine kleine Auszeit gegönnt.“
Da Lillian nicht reagierte, fuhr sie fort. „Du lebst also in Manhattan. Manhattan soll sehr schön zum Leben sein.“
Lillian hob die Augenbraue. Bei einem Medizinstudium lernt man wohl nicht, dass Manhattan nicht nur aus luxuriösen Teilen besteht. Dachte sie bitter, schalt sich jedoch sogleich für diesen Gedanken. Oksana bemühte sich lediglich um ein Gespräch mit ihr. „Oksana, nimm das bitte nicht persönlich, aber mir ist im Moment nicht nach Reden zumute. Ich bin dir wirklich dankbar für alles, aber...“ Sie hielt inne.
„Ist schon gut.“ Oksana lächelte sanft. Sie hielt in einer Parklücke gegenüber des Central Parks. „Ich verstehe dich vollkommen. Es tut mir leid, dass ich mich so aufgedrängt habe. Das wollte ich nicht. Trotzdem sollst du wissen, dass ich für dich da sein werde, solltest du mich brauchen. Du kannst jederzeit anrufen.“
Lillian nickte leicht. „Danke.“ Sie wandte sich zur Tür.
Oksana lächelte leicht. „Also, dann...alles Gute.“
Lillian hielt inne und drehte sich wieder um. „Meine Eltern verunglückten vor zehn Jahren tödlich. Sie waren die besten Eltern, die man sich wünschen kann. Ich wohne seitdem bei meiner GroÃmutter in Spanish Harlem. Und ja, ich würde von Herzen gerne auf der NYU studieren. Das würden auch meine Eltern wollen.“ Sie atmete tief durch.
Oksana betrachtete Lillian Stirn runzelnd. „Das mit deinen Eltern tut mir leid.“
Lillian nickte. „Danke.“
„Sie waren wundervolle Menschen. Ich hatte sie kaum gekannt, aber ich wusste sofort, dass sie besondere Menschen waren.“
Ich habe sie wahrscheinlich ebenso wenig gekannt. „Ja, das waren sie.“ Lillian seufzte leise und öffnete die Autotür. „Auf Wiedersehen, Oksana.“ Sie lächelte leicht.
Oksana erwiderte das Lächeln. „Auf Wiedersehen.“ Ihre Augen begannen zu tränen, als Lillian das Auto verlieà und den breiten Weg entlanglief. Warum musste diesem Mädchen ein solches Schicksal zuteil geworden sein?
18. Teil
Los Angeles
Eine Woche später
Er zündete sich eine weitere Zigarre an und betrachtete sein Gegenüber Stirn runzelnd.
„Ãberprüfen Sie das.“ Er reichte ihm eine dünne Aktenmappe. „Ich will bis morgen Abend Ergebnisse. Sollte Ihnen das nicht möglich sein, wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Stellensuche.“
Der junge Mann wurde blass. „Ich…ich werde mein bestes tun.“
Mr. Dominguez seufzte. „Tun Sie mehr als das,…“ Er runzelte die Stirn.
„John, Sir.“ Half ihm der junge Angestellte lächelnd.
„Ach ja, entschuldigen Sie. Wissen Sie, ich stelle pro Tag zu viele neue, unbedeutende Gesichter ein und entlasse sie wieder.“ Seine Augen blitzen überheblich.
John wurde blass. „Ich…ich werde Sie nicht enttäuschen.“
„Das möchte ich Ihnen auch nicht raten…“
John musterte seinen Chef Stirn runzelnd. Er hasste ihn aus tiefstem Herzen. Jeder hasste ihn. Aber er bezahlte sehr gut. Führte man Aufträge aus, die ihm besonders am Herzen - sollte er tatsächlich eines besitzen – lagen, war er sogar bereit eine schöne Extrasumme zu bezahlen.
„War’s das dann, John? Ich habe noch zu tun, und Sie meines Wissens genauso…“
Der junge Mann zwang sich zu einem Lächeln. „Guten Tag, Sir.“ Er umklammerte die Aktenmappe fest, während er das riesige Büro verlieà und den langen weiÃen Gang entlang ging. John brauchte das Geld dringend. Mary wünschte sich eine prachtvolle Hochzeit, diese sollte sie auch bekommen. Und wenn Mr. Dominguez sehr zufrieden mit seiner Arbeit sein würde, konnte er vielleicht endlich die letzte Rate seines Hauses abbezahlen. John lächelte leicht und betrat den Lift. Neugierig schlug er die Aktenmappe auf und begann darin zu blättern. Er erkannte schnell, dass sein Auftrag keiner der üblichen war. Sein Chef hatte ihm offenbar einen sehr persönlichen Fall anvertraut. Ein stolzes Lächeln umspielte Johns Lippen. Er arbeitete nun seit fast fünf Jahren in diesem viel zu groÃem Gebäude. Seine Mühen hatten offenbar endlich Anerkennung gefunden. Zuhause angekommen stellte er mit Freuden fest, dass Mary noch nicht da war. Er entledigte sich rasch seiner Schuhe und betrat sein Arbeitszimmer. John legte die Aktenmappe auf den Tisch und überflog die erste Seite rasch. Er hatte Aufträge dieser Art noch nie ausgeführt und war aus diesem Grund noch ein wenig unsicher, wie er am besten vorgehen sollte. Trotzdem brannte sein Herz voller Eifer als er die Nummer der Auskunft wählte. „Ich benötige die Nummer eines Alexander Cohens in Boston...was? Danke. Einen Moment...“ Er griff nach einem Notizblock und notierte die Nummer. Das Glück schien auf seiner Seite als Gewünschter schlieÃlich kurz nach Erklingen des ersten Tones persönlich abnahm. „Cohen.“
„Mr. Alexander Cohen?“
„Am Apparat.“
„John Stevenson, ich melde mich im Auftrag Mr. Dominguez’ bezüglich Ihres gestern Abend gesendeten Fax. Ich dachte, es wäre besser Sie unter Ihrer Privatnummer zu kontaktieren...“ John gelang es deutlich selbstsicherer zu klingen als er in Wirklichkeit war. Seine für sein Alter sehr tiefe Stimme war ihm dabei erneut eine Hilfe.
Alex atmete tief durch und erhob sich rasch um die Türen des Wohnzimmers zu schlieÃen. Oksana konnte jeden Moment zurückkommen. Auf gar keinen Fall durfte sie etwas von diesem Gespräch mitbekommen. Alex fixierte ein Foto auf der Wand, welches ihn mit seiner Frau zeigte. Er liebte sie mehr als alles andere. Dennoch würde ihn die Vergangenheit immer wieder einholen. Alex ballte die Hand zu einer Faust. John Stevenson. So hieà also der Mann, welcher ihn ersetzt hatte. „Sagen Sie Mr. Dominguez, dass kein Zweifel mehr daran besteht, dass es sich bei der Person um die Gesuchte handelt.“ Er seufzte leise. „Ich werde ihm die letzten Informationen heute Abend vom Büro aus faxen.“
@Lava: Ja, mir liegt es irgendwie eher lange Kapiteln zu schreiben *g*
Freut mich, dass dir die Teile so gut gefallen haben! Danke schön für dein Feedback!
@Noir-Girl: Vielen Dank für dein FB! Freut mich, dass dir mein Schreibstil und die Geschichte so gefällt.
Was sich im Umschlag befindet, erfahrt ihr übrigens im nächsten Teil.
@MinowaySunshine: Freut mich, dass es mir gelungen ist, die Gefühle gut rüberzubringen. Bin da oft ein wenig unsicher. Das Kompliment kann ich übrigens zurück geben, da ich mich auch bei deiner Geschichte jedesmal in einen Bann gezogen fühle und richtig mitlebe und -fühle.
Danke schön für dein tolles Feedback!
Ich stell gleich die neuen Teile rein, ich hoffe, sie gefallen euch.
Freue mich, wie immer, schon sehr auf eure Feedbacks!
Bussi Selene
16. Teil
Sarah
1981
Sarahs Rücken schmerzte als sie sich auf das weiche Leder der Couch lehnte. Ihre Augen brannten, es fiel ihr schwer diese offen zu behalten. Doch sie durfte nicht schlafen. Zu sehr fürchtete sie ihre Träume. Sie fürchtete diese sogar beinahe mehr als die Zeit, während sie nicht schlief. In Träumen kann dir nichts passieren. Hatte ihre geliebte GroÃmutter vor Jahren, in einer längst vergangenen Zeit, gesagt. Ilse hatte ihr gelehrt Träume sinnvoll zu Nutzen. Aus diesen einen positiven Gewinn zu erzielen, indem sie versuchte diese zu interpretieren. Doch was sollte sie aus Träumen lernen, welche lediglich das Leben widerspiegelten, welchem sie nicht mehr entrinnen konnte? Ihre Hand zitterte, als sie das Wort mit einem Bleistift auf das Stück Papier schrieb.
Liebe
Sarah strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. Sie hatte an einem der Morgen einer fernen Vergangenheit von der Nachtigall erzählt. Der mythische Vogel war immer und immer wieder in ihren Träumen erschienen. Mal lange, mal auch nur ganz kurz. In sehr vielen Kulturen steht die Nachtigall als Symbol für die Liebe. Hatte Ilse erklärt. Die Nachtigall ist aber vor allem ein unschuldiges und so zauberhaftes Geschöpf, welches die Menschen mit ihrem betörenden Gesang erfreut. Achte die Natur, mein Kind. Sarah hatte das Tier ihrer Träume jedoch anders interpretiert, auf die Weise, die ihr Herz gewünscht hatte.
Liebe. Alles, wo nach mein Herz sich sehnte in jenen kalten Stunden.
Sie setzte den Stift ab und atmete tief durch.
Alles wonach mein Herz sich verzehrte.
Beim Gedanke an ihre letzten Träume durchfuhr ein schmerzhafter Stich ihr Herz.
Liebe. Alles, was ich wollte.
Ich reichte mein Herz und wurde meiner Seele beraubt.
Sarah legte den Bleistift ab. Keiner würde ihre Worte jemals lesen. Scheinbar sinnlos aneinander gereihte Sätze. Doch für sie ergaben sie Sinn.
Das Schreiben lenkte sie ab in jenen nächtlichen Stunden der Einsamkeit.
Schon bald würde die Nacht erneut dem Tag weichen. Sie würde erneut das groÃe Haus verlassen und vorgeben jemand zu sein, der sie niemals gewesen war.
Der Nachtigall Tod. Mein Tod.
17. Teil
Lillian
New York City, 2000
Lillian zupfte Stirn runzelnd an ihrem langen dunklen Haar, welches vom Wind durcheinander gebracht worden war. Sie betrachtete sich ein letztes Mal im Toilettenspiegel bevor sie den eigentlichen Raum des Cafes über den langen Flur betrat. Eine Kirchenglocke schlug Punkt elf Uhr, als sie sich zögernd auf einen Stuhl setzte. Ihr Platz verschaffte ihr sowohl einen guten Blick über das ganze Cafe als auch über die Eingangstür.
Lillian klopfte unruhig mit den Fingern auf die Tischplatte. Sie versuchte das nervöse Gefühl in der Magengegend zu ignorieren und konzentrierte sich auf die anderen Gäste. Rosa und sie hatten früher ein unterhaltsames Spiel gespielt, dessen Regeln sehr einfach gewesen waren. Jeder hatte „seine“ Personen gehabt und sich Lebensgeschichten zu diesen ausgedacht.
Lillian seufze leise. Sie hatte zum letzten Mal bei diesem Spiel aus tiefstem Herzen gelacht. Vor über zehn Jahren. Sie warf einen weiteren Blick auf ihre Armbanduhr. Lillian hatte ihre Eltern mehr geliebt als alles andere. Mit ihnen war auch ein Teil ihrer selbst gestorben. Rosa und Jorge - warum hatten sie gelogen? Warum hatten sie ihr niemals die Wahrheit gesagt? Was würden sie denken, wüssten sie, mit wem Lillian sich traf? Sie fixierte die Tischplatte und atmete tief durch. Noch war Zeit zu gehen. Nicht einmal Ana hatte sie es gesagt. Nur Arturo wusste es. Lillian biss auf ihre Unterlippe. Was würden die Menschen, welche ihr immer Eltern waren, empfinden, wüssten sie es? Sie runzelte die Stirn. Es war ihr Recht. Es war ihr gutes Recht herauszufinden, wer sie war. Doch wie konnte ihr eine weit entfernte, niemals gekannte Vergangenheit mitteilen, wer sie war? Lillian begann in ihrer Handtasche zu wühlen ohne tatsächlich etwas zu suchen. Rosa hatte dies vor Arztbesuchen manchmal gemacht. Es hatte sie beruhigt. Lillian zog ihre Hand wieder aus der Tasche. Es half nicht. Sie war nicht Rosa, sie war nicht ihre Tochter. Und doch, sie war ihre Tochter. Denn es war sie und kein anderes Mädchen, welchem eine perfekte Kindheit mit diesen wunderbaren Menschen geschenkt worden war. Was würde Rosa empfinden? Lillian erhob sich langsam. Ihr Herz raste vor Unruhe. Die Wut, die Enttäuschung, die Trauer, die Angst. Sie wechselten sich ab, dennoch waren sie stets gemeinsam in ihr. Lillian wusste nicht, welches Gefühl es war, das sie zur Tür trieb. Doch es war auch nicht wichtig. Denn ihr weiteres Schicksal sollte von einem Zufall entschieden werden.
„Entschuldigen Sie bitte. Habe ich Ihnen wehgetan?“
Die Frau fuhr sich kurz über die angerempelte Schulter. „Nein, es ist nichts passiert. Entschuldigen Sie. Auch ich hätte besser aufpassen sollen.“
„Schon okay.“ Lillian lächelte leicht.
Die Frau fuhr sich durchs Haar. „Ich kenne mich in New York City leider kaum aus, ich bin aus Boston. Wissen Sie, ob man vor dem Cafe parken darf? Ich habe kein Schild gesehen...“ Sie runzelte die Stirn.
„Das weià niemand so genau, aber jeder parkt davor. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Lillian wollte sich schon abwenden und das Cafe verlassen, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. „Sie sagten, Sie wären aus Boston?“ Sie kannte die Antwort schon. Ana sagte stets, nichts geschähe zufällig.
„Ja.“ Plötzlich weiteten sich die Augen der Fremden überrascht. „Lillian Marquez?“ Oksana musterte ihr Gegenüber Stirn runzelnd.
Lillian nickte leicht. Sie fühlte sich zunehmend unwohler und bereute es, nicht einfach gegangen zu sein.
„Setzen wir uns?“ Schlug Oksana vor. Ihre Stimme klang unsicher. „Hast du schon lange gewartet?“
„Nein.“ Lillian setzte sich zögernd zu dem Tisch, an welchem sie schon zuvor gesessen war.
Nachdem sie ihre Getränke bestellt und erhalten hatten sowie nach einem kurzen einseitigen Gespräch über das Wetter in Boston und New York City, brachte Lillian schlieÃlich über die Lippen, was ihr Herz seit einer Woche quälte. „Warum wollte sie mich nicht?“ Die Worte kamen stockend und ohne jeglichen Zusammenhang.
Oksana seufzte leise. Sie betrachtete Lillian nachdenklich, studierte ihre Gesichtszüge, die goldbraunen Augen, welche ihr schon bei dem kleinen Baby aufgefallen waren. Die junge Frau wirkte äuÃerlich stark, als würde sie nichts erschüttern können. Doch Oksana spürte, dass es in ihrem Inneren anders aussehen musste. „Lillian, sie wollte dich.“
Auf Lillians Stirn bildete sich eine Falte. „Hör mal, Oksana. Ich möchte von vorhinein klar stellen, dass ich hergekommen bin um die Wahrheit zu erfahren und keine Beschönigungen...“
„Das ist die Wahrheit...das heiÃt, die Wahrheit kenne ich nicht. Aber das ist das, was ich empfand. Deine Mutter litt.“ Sie versuchte nach auÃen hin genauso stark zu sein wie du. Fügte sie gedanklich hinzu. „Sie wollte dich nicht zur Adoption frei geben. Das spürte ich.“
Lillian runzelte die Stirn. Sie kannte zu viele Menschen, welche meinten, andere durchschauen zu können.
Oksana seufzte leise. Wie sollte sie ihr erklären, was sie damals bei Melissas Anblick gefühlt hatte? „Ich war kaum zwanzig und half öfters in dem Krankenhaus, in welchem meine Mutter arbeitete mit. In dieser Zeit lernte ich verschiedenste junge Frauen kennen, welche aufgrund noch unterschiedlicherer Schicksale ihre Babys zu uns brachten. Manche hüllten sich in Schweigen, andere erzählten jedoch auch ihre Geschichten. Einige dieser Geschichten klangen erfunden, andere wahr. Ich war schon immer ein sehr emotionaler Mensch. Mir gingen die Schicksale der jungen Frauen näher, als ich sie hätte an mich heranlassen dürfen. Die Augen deiner Mutter haben mich nie wieder los gelassen...“ Oksana biss sich auf die Unterlippe. Tat sie das Richtige? Wäre es besser, Lillian ihre Gedanken, welche nicht auf Tatsachen beruhen mussten, zu verschweigen? SchlieÃlich fuhr sie fort. „Sie schien Angst zu haben, als flüchte sie vor etwas. Ich kann mich irren. Tatsache ist jedoch, dass sie so schnell wieder verschwand, wie sie gekommen war. Sie erzählte nichts über sich. Sagte, ihr Name wäre Melissa und sie wäre bald zweiundzwanzig. Doch ob das der Wahrheit entsprach, kann ich dir nicht sagen. Sie wollte anonym blieben, nirgendwo vermerkt werden. Melissa, oder wie auch immer sie hieÃ, wusste genau an wen sie sich wandte. Sie hatte nicht zufällig unser Krankenhaus gewählt...“ Oksana hielt inne. „Sie sang dir ein Lied vor, in einer fremden Sprache, bevor sie ging. Ihre Stimme war unglaublich schön, sie nahm andere vollkommen gefangen. Und sie gab mir etwas für dich...“ Oksana zog den dicken Umschlag aus der Tasche. Ihre Hand zitterte, als sie diesen Lillian überreichte. Ihr Gegenüber ergriff ihn zögernd. Diese leichte Unsicherheit war die erste Miene, welche Lillian seit dem Gespräch zeigte. „Was ist das?“ Sie befühlte das Kuvert Stirn runzelnd.
„Ich weià es nicht. Es war ihr aber wichtig, dass du es erhältst.“
Lillian steckte es in ihre Tasche. „Danke.“
„Es tut mir leid, dass ich dir nicht mehr sagen kann. Aber wenn du jemanden zum Reden brauchst, kannst du mich jederzeit anrufen.“
„Du weiÃt auch nichts über meinen Vater?“
„Nein, leider.“
Lillian nickte.
„Ich versprach Melissa, bevor sie ging, dass du die besten Eltern bekommen würdest.“
Lillian seufzte leise und wich Oksanas Blick aus.
„Entschuldige. Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Oksana runzelte besorgt die Stirn und legte ihre Hand sanft auf Lillians. Was war diesem Mädchen nur widerfahren? Hatte sie ihre Menschenkenntnis überschätzt gehabt?
Lillian entzog Oksana ihre Hand. „Nein...das alles kommt nur sehr plötzlich. Vor einer Woche wusste ich noch nicht einmal, dass ich adoptiert bin und...“ Sie hielt inne.
„Kann ich irgendetwas für dich tun?“ Oksana musterte sie besorgt. Sie fühlte noch immer eine gewisse Verantwortung für die junge Frau. Ihre Mutter Agatha hatte ihr nach der Adoption geraten nicht mehr über Melissa nachzudenken, da sie ohnehin nichts mehr für diese tun konnte. Oksana hatte die junge Frau mit den leblosen Augen jedoch niemals vergessen können.
„Nein. Danke für alles. Ich muss jetzt gehen.“ Lillian erhob sich schnell. Die verschiedenen Gefühle und quälenden Fragen schienen ihr den Atem zu nehmen. Sie musste raus aus diesem Cafe, alleine sein.
„Soll ich dich irgendwo hinfahren?“
„Nein, vielen Dank.“ Lillian mühte sich um ein Lächeln.
„Lillian?“
Lillian runzelte die Stirn.
„Es tut mir leid. Ich wünschte wirklich, ich könnte mehr für dich tun.“
„Das ist nicht deine Schuld.“ Lillian fixierte die groÃen Fenster des Cafes. Es hatte zum Regnen begonnen.
„Bist du mit dem Auto hier?“
„Ich gehe lieber zu FuÃ.“ Antwortete Lillian knapp. Oksana wusste rein gar nichts über sie - wie sollte sie auch? Warum hatte sie sich von dieser fremden Frau Antworten erwartet? Die Antworten, welche diese ihr höchstens hätte geben können, hätten jedoch auch nichts an Lillians Zerrissenheit ändern können. Nichts konnte daran etwas ändern.
Oksana nickte Stirn runzelnd. „Ich gehe auch sehr gerne zu FuÃ, das entspannt mich.“ Sie lächelte leicht. „Aber es regnet in Strömen. Du könntest krank werden. Die nächste U-Bahn Station ist einige Meter entfernt, wie ich gesehen habe.“
Lillian seufzte. Wie kam diese Frau dazu so zu tun als wäre sie ihre Mutter? Lillian wurde schon mit Schlimmeren fertig als Regen.
„Lass mich dich zumindest zur U-Bahn bringen.“
„Okay.“ Warum war diese Fremde so besorgt um sie?
Wenige Minuten später sank Lillian auf den Beifahrersitz eines nagelneuen schwarzen BMWs.
Oksana beobachtete besorgt, wie die junge Frau fröstelte. „Ich werde die Heizung stärker einstellen. Es ist heute wirklich ungewöhnlich kühl für Ende Mai. Wenn ich dich doch weiter fahren soll...“
„Bitte lass mich beim Central Park aussteigen, wenn es keine Umstände macht.“
„Okay. Es macht gar keine Umstände. Ich täte gerne mehr für dich.“
Lillian richtete den Blick aus dem Fenster.
„Machst du heuer deinen High School Abschluss?“ Bemühte sich Oksana um ein Gespräch.
„In wenigen Wochen.“
„Bist du schon nervös? Ich war damals sehr nervös.“
„Es geht.“
„Du schaffst das gewiss.“
„Danke.“
„Möchtest du danach studieren?“
Lillian hätte am liebsten aufgelacht. Als käme es darauf an, was sie wollte. „Mal sehen.“
Oksana nickte. „Ich habe mir vor meinem Medizinstudium auch eine kleine Auszeit gegönnt.“
Da Lillian nicht reagierte, fuhr sie fort. „Du lebst also in Manhattan. Manhattan soll sehr schön zum Leben sein.“
Lillian hob die Augenbraue. Bei einem Medizinstudium lernt man wohl nicht, dass Manhattan nicht nur aus luxuriösen Teilen besteht. Dachte sie bitter, schalt sich jedoch sogleich für diesen Gedanken. Oksana bemühte sich lediglich um ein Gespräch mit ihr. „Oksana, nimm das bitte nicht persönlich, aber mir ist im Moment nicht nach Reden zumute. Ich bin dir wirklich dankbar für alles, aber...“ Sie hielt inne.
„Ist schon gut.“ Oksana lächelte sanft. Sie hielt in einer Parklücke gegenüber des Central Parks. „Ich verstehe dich vollkommen. Es tut mir leid, dass ich mich so aufgedrängt habe. Das wollte ich nicht. Trotzdem sollst du wissen, dass ich für dich da sein werde, solltest du mich brauchen. Du kannst jederzeit anrufen.“
Lillian nickte leicht. „Danke.“ Sie wandte sich zur Tür.
Oksana lächelte leicht. „Also, dann...alles Gute.“
Lillian hielt inne und drehte sich wieder um. „Meine Eltern verunglückten vor zehn Jahren tödlich. Sie waren die besten Eltern, die man sich wünschen kann. Ich wohne seitdem bei meiner GroÃmutter in Spanish Harlem. Und ja, ich würde von Herzen gerne auf der NYU studieren. Das würden auch meine Eltern wollen.“ Sie atmete tief durch.
Oksana betrachtete Lillian Stirn runzelnd. „Das mit deinen Eltern tut mir leid.“
Lillian nickte. „Danke.“
„Sie waren wundervolle Menschen. Ich hatte sie kaum gekannt, aber ich wusste sofort, dass sie besondere Menschen waren.“
Ich habe sie wahrscheinlich ebenso wenig gekannt. „Ja, das waren sie.“ Lillian seufzte leise und öffnete die Autotür. „Auf Wiedersehen, Oksana.“ Sie lächelte leicht.
Oksana erwiderte das Lächeln. „Auf Wiedersehen.“ Ihre Augen begannen zu tränen, als Lillian das Auto verlieà und den breiten Weg entlanglief. Warum musste diesem Mädchen ein solches Schicksal zuteil geworden sein?
18. Teil
Los Angeles
Eine Woche später
Er zündete sich eine weitere Zigarre an und betrachtete sein Gegenüber Stirn runzelnd.
„Ãberprüfen Sie das.“ Er reichte ihm eine dünne Aktenmappe. „Ich will bis morgen Abend Ergebnisse. Sollte Ihnen das nicht möglich sein, wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Stellensuche.“
Der junge Mann wurde blass. „Ich…ich werde mein bestes tun.“
Mr. Dominguez seufzte. „Tun Sie mehr als das,…“ Er runzelte die Stirn.
„John, Sir.“ Half ihm der junge Angestellte lächelnd.
„Ach ja, entschuldigen Sie. Wissen Sie, ich stelle pro Tag zu viele neue, unbedeutende Gesichter ein und entlasse sie wieder.“ Seine Augen blitzen überheblich.
John wurde blass. „Ich…ich werde Sie nicht enttäuschen.“
„Das möchte ich Ihnen auch nicht raten…“
John musterte seinen Chef Stirn runzelnd. Er hasste ihn aus tiefstem Herzen. Jeder hasste ihn. Aber er bezahlte sehr gut. Führte man Aufträge aus, die ihm besonders am Herzen - sollte er tatsächlich eines besitzen – lagen, war er sogar bereit eine schöne Extrasumme zu bezahlen.
„War’s das dann, John? Ich habe noch zu tun, und Sie meines Wissens genauso…“
Der junge Mann zwang sich zu einem Lächeln. „Guten Tag, Sir.“ Er umklammerte die Aktenmappe fest, während er das riesige Büro verlieà und den langen weiÃen Gang entlang ging. John brauchte das Geld dringend. Mary wünschte sich eine prachtvolle Hochzeit, diese sollte sie auch bekommen. Und wenn Mr. Dominguez sehr zufrieden mit seiner Arbeit sein würde, konnte er vielleicht endlich die letzte Rate seines Hauses abbezahlen. John lächelte leicht und betrat den Lift. Neugierig schlug er die Aktenmappe auf und begann darin zu blättern. Er erkannte schnell, dass sein Auftrag keiner der üblichen war. Sein Chef hatte ihm offenbar einen sehr persönlichen Fall anvertraut. Ein stolzes Lächeln umspielte Johns Lippen. Er arbeitete nun seit fast fünf Jahren in diesem viel zu groÃem Gebäude. Seine Mühen hatten offenbar endlich Anerkennung gefunden. Zuhause angekommen stellte er mit Freuden fest, dass Mary noch nicht da war. Er entledigte sich rasch seiner Schuhe und betrat sein Arbeitszimmer. John legte die Aktenmappe auf den Tisch und überflog die erste Seite rasch. Er hatte Aufträge dieser Art noch nie ausgeführt und war aus diesem Grund noch ein wenig unsicher, wie er am besten vorgehen sollte. Trotzdem brannte sein Herz voller Eifer als er die Nummer der Auskunft wählte. „Ich benötige die Nummer eines Alexander Cohens in Boston...was? Danke. Einen Moment...“ Er griff nach einem Notizblock und notierte die Nummer. Das Glück schien auf seiner Seite als Gewünschter schlieÃlich kurz nach Erklingen des ersten Tones persönlich abnahm. „Cohen.“
„Mr. Alexander Cohen?“
„Am Apparat.“
„John Stevenson, ich melde mich im Auftrag Mr. Dominguez’ bezüglich Ihres gestern Abend gesendeten Fax. Ich dachte, es wäre besser Sie unter Ihrer Privatnummer zu kontaktieren...“ John gelang es deutlich selbstsicherer zu klingen als er in Wirklichkeit war. Seine für sein Alter sehr tiefe Stimme war ihm dabei erneut eine Hilfe.
Alex atmete tief durch und erhob sich rasch um die Türen des Wohnzimmers zu schlieÃen. Oksana konnte jeden Moment zurückkommen. Auf gar keinen Fall durfte sie etwas von diesem Gespräch mitbekommen. Alex fixierte ein Foto auf der Wand, welches ihn mit seiner Frau zeigte. Er liebte sie mehr als alles andere. Dennoch würde ihn die Vergangenheit immer wieder einholen. Alex ballte die Hand zu einer Faust. John Stevenson. So hieà also der Mann, welcher ihn ersetzt hatte. „Sagen Sie Mr. Dominguez, dass kein Zweifel mehr daran besteht, dass es sich bei der Person um die Gesuchte handelt.“ Er seufzte leise. „Ich werde ihm die letzten Informationen heute Abend vom Büro aus faxen.“