09.11.2006, 22:46
Ich poste mal einen Non-GG One-Shot. Die Idee ist mir gekommen nachdem wir in Deutsch die Kurzgeschichte "Party" gelesen haben, worauf der OS auch basiert. Was in der Kurzgeschichte passiert wird gekürzt in einer Art Flashback wiedergegeben. Davon ausgehend hab ich die Geschichte einfach weitergeschrieben.
Also, viel Spaà beim Lesen. Ãber Fb würde ich mich freuen
(Es ist auch eine Geschichte, die zum Nachdenken anregen soll)
Name: November-Sternenhimmel
Autor: Sushi
Pairing: None
Grundlage: "Party" von Zoë Jenny
Inspiration: "Chasing Cars" von Snow Patrol
Rea, die vor mir läuft, dreht sich plötzlich zu mir um. âWas war das denn? Reine Zeitverschwendung!â, sagt sie in die Stille hinein.
Damit meint sie die Party, die wir eben für ganze zehn Minuten besucht hatten. Es war verrückt. Sobald man das Gebäude, einen ehemaligen Schlachthof, betreten hatte, sah man zuckende GliedmaÃen soweit das Auge reichte. Eine groÃe Menschenmasse, die sich ekstatisch zu den dumpfen Bässen der Techno-Musik bewegte. Die enorme Lautstärke hatte mir beinahe den Atem verschlagen. Mein Trommelfell dröhnte noch immer. Rea hatte mir begeistert erzählt, dass an den Fleischerhaken an der Wand früher einmal tote Tierleiber gehangen hatten. Nun amüsierten sich Massen zugedröhnten Teenager darunter. Wie makaber. Als ich Rea kurz aus den Augen verloren hatte, wurde ich von einem Typen belästigt. Er hatte mich fest umschlungen und ich konnte mich aus seinem Griff nicht entwinden. Also hatte ich ihm ins Ohrläppchen gebissen und das kalte Metall seines Ohrrings geschmeckt. Entsetzt hatte der Typ mich angeschaut, das Weite hatte er aber erst gesucht, als Rea angeschritten kam. âLass uns gehen!â, hatte sie mir ins Ohr gebrüllt. âOhne Ecstasy kann ich hier keinen Spaà haben.â Ich war ihr zum Ausgang gefolgt, als sich plötzlich dieser Typ wieder vor uns aufgebaut hatte. Rea hatte ihre Tasche geöffnet, einen Schnuller herausgezogen und ihm in den Mund geschoben. Daraufhin war er fröhlich nuckelnd in der pulsierenden Menschenmasse verschwunden. Völlig verdattert war ich hinter Rea her auf den dunklen Parkplatz gelaufen, auf dem uns die Stille wie eine riesige Welle überrollt hatte. Meine Ohren zuckten noch.
âWas?â, brülle ich, schüttle den Kopf und zeige hilflos auf meine Ohren. Rea zuckt mit den Schultern, bedeutet mir, ihr zu folgen und stiefelt los in die dunkle Nacht. Als wir das Auto erreichen, angelt sie sich den Schlüssel aus der Tasche und will einsteigen. Doch ich hindere sie daran. âHey, lass mich fahren, du hast schon zu viel getrunken.â Meine Stimme klingt Galaxien entfernt.
âAch, spiel doch hier nicht die Moralapostel. Es waren nur zwei Cocktails und ein Tequila. AuÃerdem ist das mein Auto und ich hasse deinen Fahrstil.â, gibt sie entnervt zurück. Bevor ich etwas erwidern kann, dringt eine fröhliche Stimme zu uns vor.
âHallöchen, Rea.â, ruft Clarke uns zu, der plötzlich aus dem Nebel auftaucht. Wir drehen uns beide zu dem jungen Mann um. Als er Rea auf beide Wangen küsst, bedeckt ein Lächeln ihr Gesicht. Mich bedenkt er mit einem kurzen Grinsen und wendet sich dann wieder Rea zu. âRea, kommst du mal bitte kurz mit?! Wir müssen was bereden.â Vielsagend zieht er eine Augenbraue in die Höhe. Rea bedenkt mich mit einem koketten Blick und läuft dann hinter Clarke her. Als die beiden hinter einer Häuserecke verschwinden, schüttle ich den Kopf. Ich hasse ihren Drogenkonsum, aber den Mut ihr zu folgen kann ich nicht aufbringen. Und so verweile ich auf meinem Platz am Auto. Ich ärgere mich über meine Schwäche und starre in den bewölkten Himmel.
Drei Minuten später kommt Rea zurück. Freudestrahlend und enthusiastisch. Ich schaue sie abschätzig an. âWieso hast du jetzt schon wieder Drogen genommen, wenn wir sowieso heimfahren?!â
âQuatsch kein` ScheiÃ. Wir haben nur über Gwen geredet. Er ist immer noch nicht über die Trennung hinweg.â Sie will verärgert klingen, doch es gelingt ihr nicht ihr Dauergrinsen zu verstecken.
âEr sah aber nicht besonders traurig aus.â, gebe ich zu bedenken.
âWas ist? Willst du nun einsteigen oder nach Haus laufen?â, fragt sie leicht aggressiv. Rasch sehe ich auf den dunklen Parkplatz, dem sich gerade eine Gruppe betrunkener Männer nähert, die einen enormen Lärm verursachen. Ich zögere kurz, bevor ich Rea mit einem Kopfschütteln bedenke und einsteige.
Während Rea mit hundert Sachen über die verlassene LandstraÃe jagt, herrscht im Inneren des Wagens unbehagliches Schweigen.
âBitte mach eine Therapie, Rea.â, durchbreche ich die Stille. âEs hilft dir wirklich deine...â
âNicht schon wieder dieses Thema, Kris.â, ruft sie ärgerlich aus.
âDu hast es mir versprochen!â, sage ich verbittert und werfe ihr einen klagenden Blick zu.
âStimmt, aber das war letzte Woche. Letzte Woche war ich clean und kurzzeitig geistig verwirrt. Ich bin nicht drogenabhängig, Kris. Ich nehme nur manchmal harmloses Zeug, um meine Stimmung zu lockern.â
âEcstasy, Koks und LSD sind also harmloses Zeugs, ja?!â, frage ich verärgert, meine Stimme wird immer lauter. Unvermittelt zucke ich zusammen, als sie mit dem Auto einen unkontrollierten Schlenker macht.
âWenn dir mein Fahrstil nicht gefällt, steig halt aus.â, sagt sie bissig, als sie meinen verängstigten Blick bemerkt. Ihre Stimme schwillt immer mehr an. Wie immer, wenn sie auf Drogen ist und ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle hat.
âIch kann dich nicht verstehen.â, murmele ich, doch sie kann mich hören.
âKRIS!â, schreit sie. âHör auf dich in mein Leben einzumischen. Das geht dich einen ScheiÃdreck an. Du musst lockerer werden. Nimm dich doch selbst nicht so ernst. Hör auf allen etwas vorzuschreiben. Sag nicht allen, was sie zu tun und zu lassen haben. ScheiÃe, verdammt noch mal. Ich habe alles unter Kontrolle und du brauchst mir nicht immer...â Gerade als ich ihr hysterisches Gekreische unterbrechen will, zuckt ihr Arm plötzlich zur Seite und das Lenkrad wird herumgerissen. Binnen Sekunden prallt das Auto hart auf, alles dreht sich. Der Schmerz durchzuckt mich nur kurz, dann ist alles taub. Der Baum taucht ganz unvermittelt auf. So als ob es der einzige Baum weit und breit wäre. Als das Auto sich weiter überschlägt, sehe ich abwechselnd das taunasse Gras und den zugezogenen Himmel, der den Blick auf die Sterne verwehrt. Dann gibt es einen noch stärkeren Aufprall, bei dem mein Unterleib auf schmerzhafte Weise weggedrückt wird, und das Auto wickelt sich wie leichte Zellufan-Folie um die dicke Eiche. Dann ist es still und es wird schwarz vor meinen Augen.
Ein lautes Pochen in meinem Ohr weckt mich. Ich weià nicht, wie lange ich weg gewesen war. Sekunden? Minuten? Stunden? Tage? Jahre? Ich habe jegliches Gefühl verloren. Das Gefühl für die Zeit, für die Umgebung, für meine Gedanken und meinen Körper. Das Pochen in meinem Ohr schwillt immer mehr an und mein Kopf scheint zu explodieren. Wo ist Rea?
Als ich mich bewege, um nach zu ihr zu sehen, durchfährt mich ein impulsartiger Schmerz. Von den Haarspitzen bis zum Bauchnabel. Von dort aus abwärts spüre ich nichts mehr. Tränen verschleiern meinen Blick. Ich will nicht weinen. Die Tränen kommen einfach so. Ich kann nichts dagegen tun. Verzweifelt zwinge ich mich, ruhig zu atmen. Alles wird gut, sage ich mir. Doch damit erreiche ich genau das Gegenteil. Nichts wird gut! Mein Atem beschleunigt sich. Ich beginne krampfhaft zu keuchen. Bei jedem Atemzug verspüre ich einen Stich im Herzen. Wie eine kleine Nadel.
Ich beiÃe die Zähne zusammen und drehe meine Kopf langsam zur Seite. Ich schaue aus der Frontscheibe, doch ich sehe nur Gras. Wir liegen völlig verdreht auf der Wiese. Noch ein Stück weiter nach links und ich sehe Rea. Bei ihrem Anblick stockt mir der Atem. Sie hängt grausam verdreht in ihrem Sicherheitsgurt. Ein Stück über mir. Ihre Arme hängen leblos zu ihren Seiten herunter und ihr Kopf ist auf ihr Kinn gesunken. Ihr blondes Haar ist mit Blut verklebt. âReaâ, rufe ich, doch herauskommt nur ein Rasseln. Ich verschlucke mich beim weiteren Versuch zu reden an meinem eigenen panischen Atem. Vorsichtig befreie ich meine verschrammte Hand aus der Bordablage und hebe sie zu Reas Händen. Ich missachte den Schmerz, der mich bei jeder Bewegung quält. Sanft rüttle ich an ihrer eiskalten Hand. Keine Reaktion. Ich verstärke meine Bewegung. Und dann plötzlich, ein Zucken. Ich vernehme einen gequälten Laut. Dann hebt sie langsam ihren Kopf und sieht mich aus ängstlichen Augen an.
Unwillkürlich breitet sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus. âRea!â, flüstere ich. âRea, du lebst!â Schon verschlucke ich mich wieder. Ein rasselndes Husten quält sich durch meine Lungen, die durch ein Trümmerteil völlig eingequetscht sind.
âKris.â, röchelt Rea leise. Sie fängt an zu weinen. Als ich ihre Angst und Verzweiflung in den verschmierten Augen sehe, kann auch ich mich nicht mehr zusammenreiÃen. Ich habe Angst.
âKannst du deinen Körper spüren?â, frage ich sorgsam.
âIch weià es nicht.â, erwidert sie leise weinend.
âProbiere es. Bewege deine Zehen!â Ich kann sehen wie sie sich bewegt. Wie sie die Lippen aufeinander presst. Der Schmerz springt förmlich aus ihren Augen. Sie hat aufgehört zu weinen. Gebannt warte ich auf eine Antwort.
âIch kann es.â Sie stöÃt dein Satz gepresst hervor. Aus ihrer Stimme schwingt Erleichterung. Sie lächelt mich an. âIch kann meine Beine bewegen.â
Mir steigen wieder Tränen in die Augen und ich fange an zu schluchzen. âGut. Das ist gut, denn ich kann meinen Unterleib nicht mehr spüren.â Abrupt verebbt das Lächeln auf Reas Gesicht und sie krampft sich zusammen.
âAlles wird gut.â, sagt sie leise. Ich höre sie kaum. âWeiÃt du...alles wird...â, sie muss anhalten, um wieder ein wenig Kontrolle in ihre zitternde Stimme zu bringen. âAlles wird wieder gut... In zwei Wochen werden ... wir...wir wieder Eis essen gehen können... So wie jeden Samstag... Und dann werden wir die zwei...â, sie zwingt ihre Stimme stabil zu bleiben, âdann werden wir die zwei alten Ladys mit den komisch Hüten wiedersehen. Und uns wieder über sie totlachen. Und wir werden wieder darüber nachdenken, wie wir wohl in vierzig Jahren aussehen werden. Wen wir geheiratet haben und ob unsere Kinder genauso verrückt sind, wie wir. Das alles werden wir wieder machenâ, sagt sie und bricht in eine Mischung aus Lachen und Weinen aus.
âWeiÃt du, Rea. Ich habe seit Tagen auf gutes Wetter gehofft, damit ich noch einmal den schönen November-Sternenhimmel sehen kann.â Ich halte inne und atme tief durch, werde jedoch wieder von Schluchzern durchschüttelt. âMan sagt, der Sternenhimmel sei im November am schönsten. Und jetzt... jetzt wo ich sterbe, werde ich den Sternenhimmel nicht einmal mehr sehen.â Rea fängt laut an zu schluchzen.
âNein, Kris.... Nein. Du wirst nicht sterben.â Verzweifelt tastet sie nach meiner blutleeren Hand und umklammert sie. âAlles wird gut. Ich wollte doch deine Trauzeugin werden und du die Patin meiner Kinder. Bitte, Kris.â
âSei realistisch, Rea. Bitte mach uns keine Hoffnungen. Du kannst deinen Körper noch spüren, ich nicht. Mein Herz wird langsamer... ich spüre es. Und ich will, dass du dein Leben lebst. Hörst du?!â Ich sehe sie an.
Sie dreht ihren Kopf ein wenig zur Seite und fängt hemmungslos an zu weinen. âNein, ich höre dir nicht zu. Du stirbst nicht... alles wird gut.â, schluchzt sie erstickt. âIch will nicht das du meinetwegen stirbst. Ich bin schuld.â
âNein, du bist nicht schuld, Rea. Bitte sieh mich an!â Ich versuche ihren Blick auf mich zu lenken. Und tatsächlich dreht sie sich zu mir um und sieht mich aus verquollenen Augen an. Der Blick spricht tausend Worte. Der quälende Ausdruck bricht mir das Herz. âEs ist nicht deine Schuld, Rea. Die Drogen sind es!â
Schuldbewusst lässt sie ihren Kopf wieder hängen. Ich will meinen Arme hochziehen, doch er klemmt unter dem Amaturenbrett fest. Ich kann ihn keinen Zentimeter bewegen und die Schmerzen werden stärker. Ich spüre wie mein Atem schneller und mein Herzschlag langsamer wird. âBitte höre mir jetzt zu! Ich will dass du damit aufhörst. Mit den Drogen. Lass es sein. Sie zerstören dein Leben.â Mein Weinen wird stärker. âWeiÃt du, ich hab dich gehasst, wenn du sie genommen hast. Sie haben dich zu einem völlig anderen Menschen gemacht. Du warst locker. Aber sehr gefühlskalt, unkontrolliert, dein Blick war stetig leer. Bitte lass es sein! Lass die Finger von dem Zeug, sie machen dich kaputt â ohne, dass du es merkst. Einfach so.â Rea hob ihren Kopf, sodass ihre Tränenbäche auf meine gefühllose Hand fallen, die sie fest in ihrer hält. âIch will doch, dass du eine andere beste Freundin findest, mit der du jeden Samstag Eis essen gehst. Mit der du die beiden Ladies schlecht machen und dir deine eigene Zukunft ausmalen kannst. Ich will doch, dass du Kinder bekommst. Und ich werde trotzdem ihre Patin sein. Ich will dich doch an deinem groÃen Tag â ganz in weià â sehen. Wie du den Mann deiner Träume siehst. Ich will doch, dass du so steinalt wirst, wie die beiden Ladies und genauso verrückte Hüte trägst. Und du willst es auch. Also, bitte, mach eine Therapie. Leb dein Leben! Das ist es doch, was du willst.â
Sie presst meine Hand an ihren Körper. Ich betrachte meine Finger wie fremde Körperteile. Wie Dinge, die nicht zu mir gehören. Nicht mehr... âNein.â, schluchzt sie laut. Sie schreit fast. âIch will, dass du bei mir bleibst. Das ist alles, was ich will.â
âIch kann nicht. Es soll nicht so sein. Aber es wurden uns doch so wundervolle 18 Jahre zusammen geschenkt. Bitte weine nicht um mich, aber vergiss unsere gemeinsame Zeit nicht. Und, bitte, höre mit den Drogen auf. Sie haben alles kaputt gemacht.â Ich stocke... mein Flüstern ist kaum noch zu hören. Nicht viel mehr als ein Röcheln. âBitte versprich es mir.â
âJa, ich verspreche es! Ich verspreche dir, Kristina Wall, dass ich mich einer Therapie unterziehen werde. Für dich! Ich schwöre es bei unserer Freundschaft.â, schluchzt sie ungehalten. Ich höre auf zu weinen. âGut. Das ist wirklich gut.â
Und so schaue ich durch ein groÃes Loch des Autowracks auf den wolkenverhangenen November-Nachthimmel. Rea neben mir, die leise vor sich hinweint, den Blick ebenso gen Himmel gerichtet, meine Hand auf ihrem Herz. Und ich bilde mir ein ihren Herzschlag zu hören. Rythmisch und gleichmäÃig. Sehr beruhigend. Und das obwohl meine Hand völlig taub bleibt. Ich fühle mich mit ihr verbunden. Mein Atem wird immer flacher, kommt nur noch stoÃweise und jedes Mal schmerzt es mehr. Es ist anstrengend für mich. Und ich werde schwächer und schwächer. Ich hab keine Lust mehr zu atmen. Und so ergebe ich mich meinem Schicksal. Ich höre einfach auf zu atmen. Und in diesem Moment verklärt sich der Himmel, die Wolken stoben auseinander und geben den Blick auf einen wunderschönen, funkelnden November-Sternenhimmel frei. Der letzte November-Sternenhimmel meines Lebens. Und ich schlafe ein. Und ich lächle. Und das Letzte, was ich sehe sind die glitzernden Sterne und mein letzter AtemstoÃ, der in die Kälte der Nacht hinausdringt.
Also, viel Spaà beim Lesen. Ãber Fb würde ich mich freuen

(Es ist auch eine Geschichte, die zum Nachdenken anregen soll)
Name: November-Sternenhimmel
Autor: Sushi
Pairing: None
Grundlage: "Party" von Zoë Jenny
Inspiration: "Chasing Cars" von Snow Patrol
November-Sternenhimmel
Rea, die vor mir läuft, dreht sich plötzlich zu mir um. âWas war das denn? Reine Zeitverschwendung!â, sagt sie in die Stille hinein.
Damit meint sie die Party, die wir eben für ganze zehn Minuten besucht hatten. Es war verrückt. Sobald man das Gebäude, einen ehemaligen Schlachthof, betreten hatte, sah man zuckende GliedmaÃen soweit das Auge reichte. Eine groÃe Menschenmasse, die sich ekstatisch zu den dumpfen Bässen der Techno-Musik bewegte. Die enorme Lautstärke hatte mir beinahe den Atem verschlagen. Mein Trommelfell dröhnte noch immer. Rea hatte mir begeistert erzählt, dass an den Fleischerhaken an der Wand früher einmal tote Tierleiber gehangen hatten. Nun amüsierten sich Massen zugedröhnten Teenager darunter. Wie makaber. Als ich Rea kurz aus den Augen verloren hatte, wurde ich von einem Typen belästigt. Er hatte mich fest umschlungen und ich konnte mich aus seinem Griff nicht entwinden. Also hatte ich ihm ins Ohrläppchen gebissen und das kalte Metall seines Ohrrings geschmeckt. Entsetzt hatte der Typ mich angeschaut, das Weite hatte er aber erst gesucht, als Rea angeschritten kam. âLass uns gehen!â, hatte sie mir ins Ohr gebrüllt. âOhne Ecstasy kann ich hier keinen Spaà haben.â Ich war ihr zum Ausgang gefolgt, als sich plötzlich dieser Typ wieder vor uns aufgebaut hatte. Rea hatte ihre Tasche geöffnet, einen Schnuller herausgezogen und ihm in den Mund geschoben. Daraufhin war er fröhlich nuckelnd in der pulsierenden Menschenmasse verschwunden. Völlig verdattert war ich hinter Rea her auf den dunklen Parkplatz gelaufen, auf dem uns die Stille wie eine riesige Welle überrollt hatte. Meine Ohren zuckten noch.
âWas?â, brülle ich, schüttle den Kopf und zeige hilflos auf meine Ohren. Rea zuckt mit den Schultern, bedeutet mir, ihr zu folgen und stiefelt los in die dunkle Nacht. Als wir das Auto erreichen, angelt sie sich den Schlüssel aus der Tasche und will einsteigen. Doch ich hindere sie daran. âHey, lass mich fahren, du hast schon zu viel getrunken.â Meine Stimme klingt Galaxien entfernt.
âAch, spiel doch hier nicht die Moralapostel. Es waren nur zwei Cocktails und ein Tequila. AuÃerdem ist das mein Auto und ich hasse deinen Fahrstil.â, gibt sie entnervt zurück. Bevor ich etwas erwidern kann, dringt eine fröhliche Stimme zu uns vor.
âHallöchen, Rea.â, ruft Clarke uns zu, der plötzlich aus dem Nebel auftaucht. Wir drehen uns beide zu dem jungen Mann um. Als er Rea auf beide Wangen küsst, bedeckt ein Lächeln ihr Gesicht. Mich bedenkt er mit einem kurzen Grinsen und wendet sich dann wieder Rea zu. âRea, kommst du mal bitte kurz mit?! Wir müssen was bereden.â Vielsagend zieht er eine Augenbraue in die Höhe. Rea bedenkt mich mit einem koketten Blick und läuft dann hinter Clarke her. Als die beiden hinter einer Häuserecke verschwinden, schüttle ich den Kopf. Ich hasse ihren Drogenkonsum, aber den Mut ihr zu folgen kann ich nicht aufbringen. Und so verweile ich auf meinem Platz am Auto. Ich ärgere mich über meine Schwäche und starre in den bewölkten Himmel.
Drei Minuten später kommt Rea zurück. Freudestrahlend und enthusiastisch. Ich schaue sie abschätzig an. âWieso hast du jetzt schon wieder Drogen genommen, wenn wir sowieso heimfahren?!â
âQuatsch kein` ScheiÃ. Wir haben nur über Gwen geredet. Er ist immer noch nicht über die Trennung hinweg.â Sie will verärgert klingen, doch es gelingt ihr nicht ihr Dauergrinsen zu verstecken.
âEr sah aber nicht besonders traurig aus.â, gebe ich zu bedenken.
âWas ist? Willst du nun einsteigen oder nach Haus laufen?â, fragt sie leicht aggressiv. Rasch sehe ich auf den dunklen Parkplatz, dem sich gerade eine Gruppe betrunkener Männer nähert, die einen enormen Lärm verursachen. Ich zögere kurz, bevor ich Rea mit einem Kopfschütteln bedenke und einsteige.
Während Rea mit hundert Sachen über die verlassene LandstraÃe jagt, herrscht im Inneren des Wagens unbehagliches Schweigen.
âBitte mach eine Therapie, Rea.â, durchbreche ich die Stille. âEs hilft dir wirklich deine...â
âNicht schon wieder dieses Thema, Kris.â, ruft sie ärgerlich aus.
âDu hast es mir versprochen!â, sage ich verbittert und werfe ihr einen klagenden Blick zu.
âStimmt, aber das war letzte Woche. Letzte Woche war ich clean und kurzzeitig geistig verwirrt. Ich bin nicht drogenabhängig, Kris. Ich nehme nur manchmal harmloses Zeug, um meine Stimmung zu lockern.â
âEcstasy, Koks und LSD sind also harmloses Zeugs, ja?!â, frage ich verärgert, meine Stimme wird immer lauter. Unvermittelt zucke ich zusammen, als sie mit dem Auto einen unkontrollierten Schlenker macht.
âWenn dir mein Fahrstil nicht gefällt, steig halt aus.â, sagt sie bissig, als sie meinen verängstigten Blick bemerkt. Ihre Stimme schwillt immer mehr an. Wie immer, wenn sie auf Drogen ist und ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle hat.
âIch kann dich nicht verstehen.â, murmele ich, doch sie kann mich hören.
âKRIS!â, schreit sie. âHör auf dich in mein Leben einzumischen. Das geht dich einen ScheiÃdreck an. Du musst lockerer werden. Nimm dich doch selbst nicht so ernst. Hör auf allen etwas vorzuschreiben. Sag nicht allen, was sie zu tun und zu lassen haben. ScheiÃe, verdammt noch mal. Ich habe alles unter Kontrolle und du brauchst mir nicht immer...â Gerade als ich ihr hysterisches Gekreische unterbrechen will, zuckt ihr Arm plötzlich zur Seite und das Lenkrad wird herumgerissen. Binnen Sekunden prallt das Auto hart auf, alles dreht sich. Der Schmerz durchzuckt mich nur kurz, dann ist alles taub. Der Baum taucht ganz unvermittelt auf. So als ob es der einzige Baum weit und breit wäre. Als das Auto sich weiter überschlägt, sehe ich abwechselnd das taunasse Gras und den zugezogenen Himmel, der den Blick auf die Sterne verwehrt. Dann gibt es einen noch stärkeren Aufprall, bei dem mein Unterleib auf schmerzhafte Weise weggedrückt wird, und das Auto wickelt sich wie leichte Zellufan-Folie um die dicke Eiche. Dann ist es still und es wird schwarz vor meinen Augen.
Ein lautes Pochen in meinem Ohr weckt mich. Ich weià nicht, wie lange ich weg gewesen war. Sekunden? Minuten? Stunden? Tage? Jahre? Ich habe jegliches Gefühl verloren. Das Gefühl für die Zeit, für die Umgebung, für meine Gedanken und meinen Körper. Das Pochen in meinem Ohr schwillt immer mehr an und mein Kopf scheint zu explodieren. Wo ist Rea?
Als ich mich bewege, um nach zu ihr zu sehen, durchfährt mich ein impulsartiger Schmerz. Von den Haarspitzen bis zum Bauchnabel. Von dort aus abwärts spüre ich nichts mehr. Tränen verschleiern meinen Blick. Ich will nicht weinen. Die Tränen kommen einfach so. Ich kann nichts dagegen tun. Verzweifelt zwinge ich mich, ruhig zu atmen. Alles wird gut, sage ich mir. Doch damit erreiche ich genau das Gegenteil. Nichts wird gut! Mein Atem beschleunigt sich. Ich beginne krampfhaft zu keuchen. Bei jedem Atemzug verspüre ich einen Stich im Herzen. Wie eine kleine Nadel.
Ich beiÃe die Zähne zusammen und drehe meine Kopf langsam zur Seite. Ich schaue aus der Frontscheibe, doch ich sehe nur Gras. Wir liegen völlig verdreht auf der Wiese. Noch ein Stück weiter nach links und ich sehe Rea. Bei ihrem Anblick stockt mir der Atem. Sie hängt grausam verdreht in ihrem Sicherheitsgurt. Ein Stück über mir. Ihre Arme hängen leblos zu ihren Seiten herunter und ihr Kopf ist auf ihr Kinn gesunken. Ihr blondes Haar ist mit Blut verklebt. âReaâ, rufe ich, doch herauskommt nur ein Rasseln. Ich verschlucke mich beim weiteren Versuch zu reden an meinem eigenen panischen Atem. Vorsichtig befreie ich meine verschrammte Hand aus der Bordablage und hebe sie zu Reas Händen. Ich missachte den Schmerz, der mich bei jeder Bewegung quält. Sanft rüttle ich an ihrer eiskalten Hand. Keine Reaktion. Ich verstärke meine Bewegung. Und dann plötzlich, ein Zucken. Ich vernehme einen gequälten Laut. Dann hebt sie langsam ihren Kopf und sieht mich aus ängstlichen Augen an.
Unwillkürlich breitet sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus. âRea!â, flüstere ich. âRea, du lebst!â Schon verschlucke ich mich wieder. Ein rasselndes Husten quält sich durch meine Lungen, die durch ein Trümmerteil völlig eingequetscht sind.
âKris.â, röchelt Rea leise. Sie fängt an zu weinen. Als ich ihre Angst und Verzweiflung in den verschmierten Augen sehe, kann auch ich mich nicht mehr zusammenreiÃen. Ich habe Angst.
âKannst du deinen Körper spüren?â, frage ich sorgsam.
âIch weià es nicht.â, erwidert sie leise weinend.
âProbiere es. Bewege deine Zehen!â Ich kann sehen wie sie sich bewegt. Wie sie die Lippen aufeinander presst. Der Schmerz springt förmlich aus ihren Augen. Sie hat aufgehört zu weinen. Gebannt warte ich auf eine Antwort.
âIch kann es.â Sie stöÃt dein Satz gepresst hervor. Aus ihrer Stimme schwingt Erleichterung. Sie lächelt mich an. âIch kann meine Beine bewegen.â
Mir steigen wieder Tränen in die Augen und ich fange an zu schluchzen. âGut. Das ist gut, denn ich kann meinen Unterleib nicht mehr spüren.â Abrupt verebbt das Lächeln auf Reas Gesicht und sie krampft sich zusammen.
âAlles wird gut.â, sagt sie leise. Ich höre sie kaum. âWeiÃt du...alles wird...â, sie muss anhalten, um wieder ein wenig Kontrolle in ihre zitternde Stimme zu bringen. âAlles wird wieder gut... In zwei Wochen werden ... wir...wir wieder Eis essen gehen können... So wie jeden Samstag... Und dann werden wir die zwei...â, sie zwingt ihre Stimme stabil zu bleiben, âdann werden wir die zwei alten Ladys mit den komisch Hüten wiedersehen. Und uns wieder über sie totlachen. Und wir werden wieder darüber nachdenken, wie wir wohl in vierzig Jahren aussehen werden. Wen wir geheiratet haben und ob unsere Kinder genauso verrückt sind, wie wir. Das alles werden wir wieder machenâ, sagt sie und bricht in eine Mischung aus Lachen und Weinen aus.
âWeiÃt du, Rea. Ich habe seit Tagen auf gutes Wetter gehofft, damit ich noch einmal den schönen November-Sternenhimmel sehen kann.â Ich halte inne und atme tief durch, werde jedoch wieder von Schluchzern durchschüttelt. âMan sagt, der Sternenhimmel sei im November am schönsten. Und jetzt... jetzt wo ich sterbe, werde ich den Sternenhimmel nicht einmal mehr sehen.â Rea fängt laut an zu schluchzen.
âNein, Kris.... Nein. Du wirst nicht sterben.â Verzweifelt tastet sie nach meiner blutleeren Hand und umklammert sie. âAlles wird gut. Ich wollte doch deine Trauzeugin werden und du die Patin meiner Kinder. Bitte, Kris.â
âSei realistisch, Rea. Bitte mach uns keine Hoffnungen. Du kannst deinen Körper noch spüren, ich nicht. Mein Herz wird langsamer... ich spüre es. Und ich will, dass du dein Leben lebst. Hörst du?!â Ich sehe sie an.
Sie dreht ihren Kopf ein wenig zur Seite und fängt hemmungslos an zu weinen. âNein, ich höre dir nicht zu. Du stirbst nicht... alles wird gut.â, schluchzt sie erstickt. âIch will nicht das du meinetwegen stirbst. Ich bin schuld.â
âNein, du bist nicht schuld, Rea. Bitte sieh mich an!â Ich versuche ihren Blick auf mich zu lenken. Und tatsächlich dreht sie sich zu mir um und sieht mich aus verquollenen Augen an. Der Blick spricht tausend Worte. Der quälende Ausdruck bricht mir das Herz. âEs ist nicht deine Schuld, Rea. Die Drogen sind es!â
Schuldbewusst lässt sie ihren Kopf wieder hängen. Ich will meinen Arme hochziehen, doch er klemmt unter dem Amaturenbrett fest. Ich kann ihn keinen Zentimeter bewegen und die Schmerzen werden stärker. Ich spüre wie mein Atem schneller und mein Herzschlag langsamer wird. âBitte höre mir jetzt zu! Ich will dass du damit aufhörst. Mit den Drogen. Lass es sein. Sie zerstören dein Leben.â Mein Weinen wird stärker. âWeiÃt du, ich hab dich gehasst, wenn du sie genommen hast. Sie haben dich zu einem völlig anderen Menschen gemacht. Du warst locker. Aber sehr gefühlskalt, unkontrolliert, dein Blick war stetig leer. Bitte lass es sein! Lass die Finger von dem Zeug, sie machen dich kaputt â ohne, dass du es merkst. Einfach so.â Rea hob ihren Kopf, sodass ihre Tränenbäche auf meine gefühllose Hand fallen, die sie fest in ihrer hält. âIch will doch, dass du eine andere beste Freundin findest, mit der du jeden Samstag Eis essen gehst. Mit der du die beiden Ladies schlecht machen und dir deine eigene Zukunft ausmalen kannst. Ich will doch, dass du Kinder bekommst. Und ich werde trotzdem ihre Patin sein. Ich will dich doch an deinem groÃen Tag â ganz in weià â sehen. Wie du den Mann deiner Träume siehst. Ich will doch, dass du so steinalt wirst, wie die beiden Ladies und genauso verrückte Hüte trägst. Und du willst es auch. Also, bitte, mach eine Therapie. Leb dein Leben! Das ist es doch, was du willst.â
Sie presst meine Hand an ihren Körper. Ich betrachte meine Finger wie fremde Körperteile. Wie Dinge, die nicht zu mir gehören. Nicht mehr... âNein.â, schluchzt sie laut. Sie schreit fast. âIch will, dass du bei mir bleibst. Das ist alles, was ich will.â
âIch kann nicht. Es soll nicht so sein. Aber es wurden uns doch so wundervolle 18 Jahre zusammen geschenkt. Bitte weine nicht um mich, aber vergiss unsere gemeinsame Zeit nicht. Und, bitte, höre mit den Drogen auf. Sie haben alles kaputt gemacht.â Ich stocke... mein Flüstern ist kaum noch zu hören. Nicht viel mehr als ein Röcheln. âBitte versprich es mir.â
âJa, ich verspreche es! Ich verspreche dir, Kristina Wall, dass ich mich einer Therapie unterziehen werde. Für dich! Ich schwöre es bei unserer Freundschaft.â, schluchzt sie ungehalten. Ich höre auf zu weinen. âGut. Das ist wirklich gut.â
Und so schaue ich durch ein groÃes Loch des Autowracks auf den wolkenverhangenen November-Nachthimmel. Rea neben mir, die leise vor sich hinweint, den Blick ebenso gen Himmel gerichtet, meine Hand auf ihrem Herz. Und ich bilde mir ein ihren Herzschlag zu hören. Rythmisch und gleichmäÃig. Sehr beruhigend. Und das obwohl meine Hand völlig taub bleibt. Ich fühle mich mit ihr verbunden. Mein Atem wird immer flacher, kommt nur noch stoÃweise und jedes Mal schmerzt es mehr. Es ist anstrengend für mich. Und ich werde schwächer und schwächer. Ich hab keine Lust mehr zu atmen. Und so ergebe ich mich meinem Schicksal. Ich höre einfach auf zu atmen. Und in diesem Moment verklärt sich der Himmel, die Wolken stoben auseinander und geben den Blick auf einen wunderschönen, funkelnden November-Sternenhimmel frei. Der letzte November-Sternenhimmel meines Lebens. Und ich schlafe ein. Und ich lächle. Und das Letzte, was ich sehe sind die glitzernden Sterne und mein letzter AtemstoÃ, der in die Kälte der Nacht hinausdringt.