19.11.2006, 22:01
...
„Frauen...“ Luke schüttelte den Kopf. „Denkst ihr denn wirklich, es reicht euch aufreizend anzuziehen um unsere Gehirnzellen abzuschalten?“
„Natürlich nicht, Luke.“ Mum zwinkerte belustigt. Sie wandte sich an Carol und mich. „Vertagen wir das Thema lieber auf einen Tag, an welchem sich kein männliches Wesen störend einmischen kann...“ Sie grinste. „Wie läuft es bei deiner Zeitung, Rory?“
„Ganz gut, Mum.“ Ich mühte mich um ein Lächeln. „Es ist nicht CNN, aber okay.“
„Ach Schätzchen...“ Sie drückte meine Hand. „Du hast viel erreicht. Sei zufrieden damit. Andere haben nicht einmal halb so viel erreicht.“
Ich zuckte mit den Schultern. Es machte mich noch immer schwermütig, dachte ich an die Träume der achtzehnjährigen Rory von einst. Was war nur aus meinem Leben geworden? Ich schien in jeder Hinsicht versagt zu haben. Aus der ehrgeizigen Yale Studentin war eine kleine Journalistin einer noch kleineren Zeitung Seattles geworden. Christine Anampour wäre sicherlich stolz auf mich gewesen...
„Mum...“ Carol schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. „Du schreibst wunderbar. Ich habe jeden deiner Artikeln verschlungen und finde es schade, dass es die Zeitung nicht auch in Puerto Rico gibt. Jenny schickt mir manchmal eine Ausgabe. Auch Grandma hat schon sehr oft eine von ihr erhalten.“
Mum nickte. „Das stimmt. Du bist wahnsinnig gut und kannst verdammt stolz auf dich sein. Denke nicht daran, was du einmal erreichen wolltest, sondern daran, was du erreicht hast. Blicke stets nach vorne, mein Schatz. Im Leben kommt vieles anders, als man sich erhofft und erträumt hat. Man muss das Beste daraus machen und darf vergangenen Zeiten nicht nachtrauern. Das bringt uns nicht weiter, im Gegenteil, es wirft uns nur zurück. Lebe, mein Schatz, lebe.“
Ein eigenartiger Druck erfasste mein Herz. Ich fröstelte. Meine Augen begannen zu tränen, als die Angst erneut Macht über mich ergriff.
„Mum...“ Carol betrachtete mich Stirn runzelnd.
Meine Augen hefteten auf Mums, welche mich sanft betrachteten und mir in diesem Moment so viel zu sagen schienen.
Ich schloss sie und atmete tief durch. „Entschuldigt...“ Ich mühte mich um ein leichtes Lächeln. „Danke, Mum. Du hast recht.“
„Natürlich habe ich das.“ Ihre Augen waren noch immer voller Liebe und Zärtlichkeit. Sie wandte sich lächelnd an Carol. „Es ist spät. Wir beide sollten nun ruhen, was denkst du?“
Ihre Enkeltochter nickte leicht.
„Morgen ist ja auch noch ein Tag.“ Mum lächelte. „Rory? Sag Susana ‚Danke’ für die wunderbare Suppe.“
„Okay.“ Ich nickte und umarmte sie. „Gute Nacht, Mum...ich liebe dich.“
Sie verwischte die einzelne Träne. „Schlaf gut, mein Schatz.“
Nachdem auch Carol sie umarmt und sich verabschiedet hatte, meine Mum zu Luke. „Würdest du noch ein paar Minuten bleiben?“
Er nickte schweigend.
Ich schenkte den beiden noch einen letzten Blick, als ich mit Carol den Raum verlieÃ.
[SIZE=3]„Mum...“ Sie betrachtete mich Stirn runzelnd, als ich die Tür geschlossen hatte.
Ich ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. „Sag den anderen schnell ‚Gute Nacht’. Ich mache derweil dein Bett.“
Sie nickte zögernd und folgte meinen Worten. Nach wenigen Minuten betrat sie das kleine Gästezimmer mit ihrem kleinen Sohn auf dem Arm. Sie legte ihn sanft in das kleine Bettchen, wo er sofort wieder in einen seligen Schlaf fiel. Wir gaben ihm beide einen Kuss auf die Wange, bevor wir uns auf das Bett setzten. „Danke fürs Bettmachen.“ Sie lächelte leicht.
Ich nickte. „Bevor du schläfst, möchte ich aber noch mein Versprechen erfüllen.“ Ich erhob mich langsam. Luke hatte mir gesagt, dass er in dem kleinen Schrank am Gang Kerzen aufbewahrte. Ich stellte fünf auf den kleinen Nachttisch.
Carols Augen begannen zu tränen. Sie lächelte leicht. „Danke, Mum...“
Wir zündeten sie abwechselnd an. Eine für meine GroÃmutter, eine für meinen GroÃvater, eine für Carmen, eine für Corinne. Und die letzte für Mum, deren Licht mir am hellsten zu strahlen schien. Wir betrachteten den beruhigenden Kerzenschein noch lange. Unsere Tränen waren stumm, aber voller Schmerz. Dennoch gaben uns die kleinen Flammen etwas sehr Wertvolles. Hoffnung und Mut.
[SIZE=3]Als ich zu sehr späten Stunde noch einmal die Küche betreten wollte um mir ein wenig Kaffee zu machen, bot sich mir ein ungewöhnliches Bild. Ich blieb zögernd in der Tür stehen und betrachtete es Stirn runzelnd.
Matt und Jess saÃen an dem kleinen Küchentisch und nippten an ihren Tassen.
„Es ist nicht leicht.“ Meinte mein Sohn.
Jess schüttelte den Kopf. „Nein. Es wird zwar leichter werden, wir werden besser damit umgehen können, aber der Schmerz - er wird immer da sein.“
Matt seufzte leise. „Danke.“
Jess nickte leicht. „Du kannst jederzeit mit mir darüber sprechen. Natürlich auch über andere Dinge. Es ist oft leichter mit Menschen zu sprechen, welchen man sich seelisch nicht so sehr verbunden fühlt.“
„Ãber Gefühle zu sprechen ist leider allgemein kein groÃes Talent von mir...“
Jess lächelte leicht. „Es gehört auch nicht unbedingt zu meinen Stärken.“
Matt wich seinem Blick aus. „Das muss wohl in den Genen liegen.“
„Hör mal, Matt...“ Jess betrachtete ihn Stirn runzelnd. „Deine Mutter hat einen groÃen Fehler begangen, daran besteht kein Zweifel. Aber sie liebt dich. Ich verstehe, dass du wütend auf sie bist. Das ist dein gutes Recht. Aber gib ihr eine Chance. Die hat sie verdient. Sie ist kein schlechter Mensch.“
Matt fixierte die Tischplatte schweigend.
„Ich weiÃ, es geht mich nichts an. Dieses Recht würde ich mir niemals herausnehmen. Es ist eine Sache zwischen euch beiden. Ich habe dir das nicht als dein biologischer Vater oder als nervender Neffe Lukes gesagt, sondern lediglich als jemand, der Rory einmal sehr gut kannte.“
„Du hast nichts davon gewusst?“
Jess schüttelte den Kopf. „Bis vor kurzem nicht.“
„Macht es dich denn nicht wütend?“
„Doch, Matt. Das tut es. Doch du kannst unsere Situationen nicht miteinander vergleichen. Rory und ich hatten jahrzehntelang keinen Kontakt. AuÃerdem, was hätte es für einen Sinn, würde ich in diesen Stunden auch noch Groll gegen eine Frau hegen, welche es so schwer hatte? Und wenn ich dich so betrachte, denke ich mir, dass es mich wirklich hätte schlimmer treffen können.“
Matt seufzte. „Logan behandelte sie stets wie den letzten Dreck. Genau wie mich. Sie war meine wichtigste Bezugsperson, auch wenn ich ihr das niemals so deutlich gesagt habe. Ich bin so enttäuscht von ihr. Diese Enttäuschung ist wahrscheinlich viel gröÃer als die Wut.“
Jess nickte. „Ich kann dich verstehen. Mir ginge es nicht anders. Ich will dir nicht sagen, dass du diese Gefühle unterdrücken sollst, das wäre falsch. Es ist völlig verständlich, dass du noch Zeit brauchst. Aber schreibe deine Mutter nicht völlig ab. Das würde wahrscheinlich euch beiden das Herz brechen.“
Sie saÃen sich noch lange schweigend gegenüber, ehe Matt meinte. „Du hast aber nun hoffentlich nicht vor mit mir Angeln zu gehen?“
Jess grinste. „Ich hätte eher an ein Campingwochenende gedacht.“ Scherzte er, wurde aber sogleich wieder ernst. „Ich werde mich nach dreiÃig Jahren gewiss nicht plötzlich in eine Rolle drängen, welche mir nicht zusteht, das verspreche ich dir. Es würde mich lediglich freuen, würden wir nicht nur an den Weihnachtsabenden kurz telefonieren.“
„Habe ich noch Geschwister?“
Jess nickte. „Zwei Schwestern.“
Matt hob eine Augenbraue. „In dieser Familie gibt es wohl allgemein einen Frauenüberschuss. Hoffentlich werden Carols Zwillinge Jungs.“ Er grinste.
Ich verwischte meine stummen Tränen und beschloss diese Nacht keinen Kaffee mehr zu trinken, um dieses Bild nicht zu zerstören. So leise wie ich gekommen war, verschwand ich wieder in meinem Zimmer und legte mich in das weiche Bett. Meine Träume waren begleitet von Erinnerungen an längst vergangene Zeiten. Positive, sowie negative. Sie beide gehören zum Leben.
Die nächsten vier Tage verliefen einerseits sehr ruhig, andrerseits auch sehr turbulent. Drei Tage vor dem Weihnachtsabend begannen wir auf Mums Bitten hin das ganze Haus zu schmücken. Niemand hatte zuvor daran gedacht, das Fest schien vollkommen vergessen worden zu sein, was sie plötzlich Kopf schüttelnd kritisierte. Carol hielt ihr Versprechen sich zu schonen und verbrachte die meiste Zeit in einem groÃen Lehnstuhl, welchen Jess und Luke von unterer Etage in Mums Zimmer getragen hatten, und unterhielt sich mit ihrer GroÃmutter. Sie waren dabei selten alleine, wir alle leisteten ihnen abwechselnd Gesellschaft. In jenen Stunden überwogen die positiven Erinnerungen. Dunkle Momente, Schmerz und Schuldgefühle schienen für eine Zeit aus unseren Herzen verbannt. Die Gespräche betrafen vor allem sonnige Stunden unserer Vergangenheit. Zusammen erlebte, harmonische Momente. Scheinbar Belangloses aus unseren gegenwärtigen Welten.
Matt verhielt sich mir gegenüber noch immer sehr distanziert, doch er gab sich um Mums Willen Mühe. Ramón und ich entdeckten ein paar Gemeinsamkeiten, welche es zu bereden galt. Selbst Susana und ich schafften es über den normalerweise, von meiner Seite aus, eher kühlen und kurz angebundenen Wortwechsel hinaus.
Die Familie fand in jenen Momenten auf eine möglicherweise bis zu einem gewissen Grad heuchlerische, jedoch alle zufrieden stellende, Weise zusammen. Die ungewisse Zukunft wurde in keinster Weise thematisiert. Wir befanden uns auf dünnem Eis, welches zu zerbrechen drohte.
In jenen Stunden erhielten wir viele Besuche. Sookie und Jackson kamen mit reichlich Essen, Geschenken und lustigen Anekdoten über ihre Enkelkinderschar. Mrs. Kim und Lane besuchten uns ebenfalls. Genau wie andere Bewohner der kleinen Stadt, welche ich teilweise gar nicht kannte. Auch das Telefon schien nicht still zu stehen. Christopher, Sherry und Georgia - wie sie seit ihrer Teenagerzeit genannt werden wollte - meldeten sich zweimal und unterhielten sich abwechselnd mit Mum, Luke, mir und meinen Kindern. Sie versprachen, bald zu kommen. Zwei von Carols Freundinnen riefen an, genau wie ihr bester Freund und Patenonkel Carmens, Miguel. Auch Alejandro wollte Mum alles Gute wünschen und schlieÃlich mit Jenny sprechen. Ramón versuchte dieses Gespräch zwar zu verhindern, Carol verbot ihm jedoch jegliche Einmischungen. So kam es, dass sein Bruder und Jenny zum ersten Mal seit langer Zeit wieder normal miteinander sprachen. Lizzie meldete sich aus Paris, was Mum besonders erfreute.
Alles verlief schlieÃlich in den Umständen entsprechenden geordneten Bahnen, bis Carmen schlieÃlich am frühem Abend des vierundzwanzigsten Dezembers von einer unbändigen Lust nach Kaffeebonbons und Lakritze erfasst wurde. Da alle beschäftigt schienen und ich ohnehin noch kaum Zeit mit meiner Enkeltochter alleine verbracht hatte, nahm ich sie schlieÃlich an der Hand und wir stapften gemeinsam durch die glitzernde Schneelandschaft.
„Wow!“ Rief das Mädchen immer wieder. Ihre Augen funkelten verträumt, als wir den Weg zum Supermarkt entlang gingen. „Das ist unglaublich! Ich wünschte, es gäbe Schnee in Puerto Rico!“
Ich betrachtete sie lächelnd. „Ihr könnt das nächste Weihnachtsfest gerne bei mir in Seattle verbringen. Da schneit es meist auch sehr viel.“
Sie lächelte. „Das wäre toll! Wir sehen uns ohnehin viel zu selten, Grandma...oh, was ist das denn...“ Sie hielt vor den reichlich geschmückten Pavillon, dessen Lichterketten im Schnee geradezu magisch zu funkeln schienen. „Wie im Märchen...oh, Grandma! Ich würde auch gerne hier aufwachsen. Deine Kindheit muss zauberhaft gewesen sein.“
Ich drückte Carmens Hand und betrachtete den beleuchteten Pavillon. „Ja, das war sie.“ Meine Augen tränten einen Moment lang.
„Bist du mit Uroma oft im Schnee spazieren gegangen?“
„Ja. Denn weiÃt du, mein Engel, sie kann den Schnee riechen. Sie scheuchte mich nicht nur einmal nachts aus dem Bett.“ Ich schmunzelte. „Wir durften die ersten Schneeflocken des Jahres auf keinen Fall verpassen.“
Carmen lächelte. „Mamá und ich haben auch ein Ritual. Wir gehen jeden Sonntagabend am Strand spazieren und picknicken danach dort. Das mag nach nichts Besonderem klingen, aber für mich ist es das.“
Ich strich ihr zärtlich durchs Haar. „Carmen?“
Sie musterte mich erwartungsvoll.
„Hört niemals auf damit. Versprochen?“
Carmen nickte irritiert. „Okay.“
„Solche Rituale schaffen Zusammenhalt, weiÃt du. Sie geben dir etwas, das du niemals vergessen wirst. Das dir für immer in deinem Herzen bleiben wird.“
Sie lächelte. „Kann das zu unserem Ritual werden? Das wir im Winter zu diesem zauberhaften Pavillon gehen, nur zu zweit, und uns unterhalten?“
Ich umarmte sie. „Das klingt toll.“
„Ich hab dich lieb, Grandma!“
„Ich dich auch mein Engel.“ Ich ergriff ihre Hand. „Komm, lass uns weiter gehen.“
Im Laden angekommen entschied sich Carmen, dass ihre Lust nicht nur den Bonbons und Lakritze, sondern auch Schokolade und Chips galt. Danach bat sie mich ihr noch ein wenig von der kleinen Stadt zu zeigen. SchlieÃlich kehrten wir erst beinahe eine Stunde später mit zwei vollen Säcken zum Haus zurück. Als hätte er auf uns gewartet, öffnete Ramón die Eingangstür auf der Küchenseite, bevor ich noch nach meinem Schlüssel suchen konnte.
„Da seid ihr ja endlich. Du hast deine Grandma ja ganz schön ausgenommen...“ Sein Blick fiel auf die Säcke. „Wie viel bekommst du, Rory?“
„Das passt schon.“ Ich winkte lächelnd ab.
„Grandma hat mir den märchenhaften Pavillon gezeigt, Papá! Den, von welchem Mamá immer so schwärmt! Gehen wir morgen hin? Ich würde ihn dir so gerne zeigen!“
„Natürlich, Prinzessin.“ Er betrachtete seine Tochter lächelnd. „Aber jetzt kommt erst mal herein.“
Kaum hatten wir das Haus betreten und uns der nassen Kleidung entledigt, umgab mich ein wunderbares Aroma. Kaffee war nur einer der vermischten Düfte. Ich runzelte die Stirn. „Was ist das?“
Ramón und Carmen musterten mich verwirrt. „Was meinst du?“ Fragte sie.
„Wonach riecht es hier?“
„Ich rieche nichts.“ Meinte meine Enkeltochter und ging ins Wohnzimmer.
„Ramón, was ist das?“
Er zuckte mit den Schultern. „Jetzt komm erst mal.“
Ich folgte ihm Kopf schüttelnd ins Wohnzimmer. „Was soll denn das. Ich wollte noch...“ Ich verstummte und blieb in der Tür stehen. Mein Herzschlag wurde schneller.
„Das wurde auch Zeit.“ Meine Jenny lächelnd, als sie mich erblickte.
Ich starrte auf den kleinen, gedeckten Tisch, auf welchem Schüsseln und Teller noch aufgestapelt waren. In der Mitte der Tischplatte stand ein riesiger Suppentopf, rechts daneben Schüsseln voller Weihnachtsplätzchen, Chips, Popcorn und Marshmellows. Neben dem Tisch war ein zweiter aufgestellt worden, auf welchem eine Kaffee-, Kakao- sowie Teekanne, eine Flasche Cola, Soda sowie Tassen und Gläser standen. Daneben türmten sich zwei Fünferstapeln mit Pizzakartons. Neben dem Fernseher stand ein reichlich geschmückter Weihnachtsbaum. Carol, Juan, Carmen, Susana und Luke hatten es sich mit Decken auf der Couch bequem gemacht. Links davon waren zwei Bettmatratzen aufgelegt worden, auf welchen Ramón, Matt, Jenny und Jess saÃen. Rechts neben der Couch standen zwei ausziehbare Lehnstühle. Auf dem linken saà Mum, in viele Decken gehüllt. Sie musterte mich ungeduldig. „Rory, wir haben Hunger!“
Stumme Tränen rannen über meine Wangen. Ich verwischte sie nicht. „Was ist das? Kaffee, Naschereien und sogar Pizza...“
„Ach Schätzchen...hast du etwa alles verlernt? Was ist denn ein Videoabend ohne Pizza? Selbst wenn ich sie nicht essen darf.“ Mum schüttelte den Kopf. Ihre Augen waren voller Liebe und Zärtlichkeit.
Ich schüttelte ungläubig meinen Kopf und suchte den Blick meiner Enkeltochter. „Hast du das gewusst?“
Carmen grinste. „Natürlich. Es war eine Ãberraschung. Für Uroma und dich.“
„Wenn es dir nichts ausmacht, würden wir nun gerne anfangen, Mum.“ Matt lächelte.
Luke reichte mir einen Stapel DVDs. „ A Christmas Carrol, Willy Wonka und Footloose.” Ich blickte Mum an.
„Ich hoffe, auch du bist mit dieser Auswahl einverstanden. Keine Sorge, wir haben noch mehr Filme in dem kleinen Kasten dort drüben, sollten wir danach noch nicht müde sein. Ich schlage vor, wir beginnen mit letzterem...“
Als die ersten Töne des Filmes erklangen, lehnte sich Mum zu mir und flüsterte. „Das ist mein schönstes Weihnachtsfest.“ Ihre Augen tränten.
Ich ergriff ihre Hand und lieà sie während des gesamten Filmes nicht mehr los.
Sie hatten das nicht nur für uns beide getan. Sie hatten es für uns alle getan. Für jeden einzelnen von uns. Elf Menschen, sich so verschieden und doch so ähnlich. Elf Menschen, eine Familie.
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„Frauen...“ Luke schüttelte den Kopf. „Denkst ihr denn wirklich, es reicht euch aufreizend anzuziehen um unsere Gehirnzellen abzuschalten?“
„Natürlich nicht, Luke.“ Mum zwinkerte belustigt. Sie wandte sich an Carol und mich. „Vertagen wir das Thema lieber auf einen Tag, an welchem sich kein männliches Wesen störend einmischen kann...“ Sie grinste. „Wie läuft es bei deiner Zeitung, Rory?“
„Ganz gut, Mum.“ Ich mühte mich um ein Lächeln. „Es ist nicht CNN, aber okay.“
„Ach Schätzchen...“ Sie drückte meine Hand. „Du hast viel erreicht. Sei zufrieden damit. Andere haben nicht einmal halb so viel erreicht.“
Ich zuckte mit den Schultern. Es machte mich noch immer schwermütig, dachte ich an die Träume der achtzehnjährigen Rory von einst. Was war nur aus meinem Leben geworden? Ich schien in jeder Hinsicht versagt zu haben. Aus der ehrgeizigen Yale Studentin war eine kleine Journalistin einer noch kleineren Zeitung Seattles geworden. Christine Anampour wäre sicherlich stolz auf mich gewesen...
„Mum...“ Carol schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. „Du schreibst wunderbar. Ich habe jeden deiner Artikeln verschlungen und finde es schade, dass es die Zeitung nicht auch in Puerto Rico gibt. Jenny schickt mir manchmal eine Ausgabe. Auch Grandma hat schon sehr oft eine von ihr erhalten.“
Mum nickte. „Das stimmt. Du bist wahnsinnig gut und kannst verdammt stolz auf dich sein. Denke nicht daran, was du einmal erreichen wolltest, sondern daran, was du erreicht hast. Blicke stets nach vorne, mein Schatz. Im Leben kommt vieles anders, als man sich erhofft und erträumt hat. Man muss das Beste daraus machen und darf vergangenen Zeiten nicht nachtrauern. Das bringt uns nicht weiter, im Gegenteil, es wirft uns nur zurück. Lebe, mein Schatz, lebe.“
Ein eigenartiger Druck erfasste mein Herz. Ich fröstelte. Meine Augen begannen zu tränen, als die Angst erneut Macht über mich ergriff.
„Mum...“ Carol betrachtete mich Stirn runzelnd.
Meine Augen hefteten auf Mums, welche mich sanft betrachteten und mir in diesem Moment so viel zu sagen schienen.
Ich schloss sie und atmete tief durch. „Entschuldigt...“ Ich mühte mich um ein leichtes Lächeln. „Danke, Mum. Du hast recht.“
„Natürlich habe ich das.“ Ihre Augen waren noch immer voller Liebe und Zärtlichkeit. Sie wandte sich lächelnd an Carol. „Es ist spät. Wir beide sollten nun ruhen, was denkst du?“
Ihre Enkeltochter nickte leicht.
„Morgen ist ja auch noch ein Tag.“ Mum lächelte. „Rory? Sag Susana ‚Danke’ für die wunderbare Suppe.“
„Okay.“ Ich nickte und umarmte sie. „Gute Nacht, Mum...ich liebe dich.“
Sie verwischte die einzelne Träne. „Schlaf gut, mein Schatz.“
Nachdem auch Carol sie umarmt und sich verabschiedet hatte, meine Mum zu Luke. „Würdest du noch ein paar Minuten bleiben?“
Er nickte schweigend.
Ich schenkte den beiden noch einen letzten Blick, als ich mit Carol den Raum verlieÃ.
[SIZE=3]„Mum...“ Sie betrachtete mich Stirn runzelnd, als ich die Tür geschlossen hatte.
Ich ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. „Sag den anderen schnell ‚Gute Nacht’. Ich mache derweil dein Bett.“
Sie nickte zögernd und folgte meinen Worten. Nach wenigen Minuten betrat sie das kleine Gästezimmer mit ihrem kleinen Sohn auf dem Arm. Sie legte ihn sanft in das kleine Bettchen, wo er sofort wieder in einen seligen Schlaf fiel. Wir gaben ihm beide einen Kuss auf die Wange, bevor wir uns auf das Bett setzten. „Danke fürs Bettmachen.“ Sie lächelte leicht.
Ich nickte. „Bevor du schläfst, möchte ich aber noch mein Versprechen erfüllen.“ Ich erhob mich langsam. Luke hatte mir gesagt, dass er in dem kleinen Schrank am Gang Kerzen aufbewahrte. Ich stellte fünf auf den kleinen Nachttisch.
Carols Augen begannen zu tränen. Sie lächelte leicht. „Danke, Mum...“
Wir zündeten sie abwechselnd an. Eine für meine GroÃmutter, eine für meinen GroÃvater, eine für Carmen, eine für Corinne. Und die letzte für Mum, deren Licht mir am hellsten zu strahlen schien. Wir betrachteten den beruhigenden Kerzenschein noch lange. Unsere Tränen waren stumm, aber voller Schmerz. Dennoch gaben uns die kleinen Flammen etwas sehr Wertvolles. Hoffnung und Mut.
[SIZE=3]Als ich zu sehr späten Stunde noch einmal die Küche betreten wollte um mir ein wenig Kaffee zu machen, bot sich mir ein ungewöhnliches Bild. Ich blieb zögernd in der Tür stehen und betrachtete es Stirn runzelnd.
Matt und Jess saÃen an dem kleinen Küchentisch und nippten an ihren Tassen.
„Es ist nicht leicht.“ Meinte mein Sohn.
Jess schüttelte den Kopf. „Nein. Es wird zwar leichter werden, wir werden besser damit umgehen können, aber der Schmerz - er wird immer da sein.“
Matt seufzte leise. „Danke.“
Jess nickte leicht. „Du kannst jederzeit mit mir darüber sprechen. Natürlich auch über andere Dinge. Es ist oft leichter mit Menschen zu sprechen, welchen man sich seelisch nicht so sehr verbunden fühlt.“
„Ãber Gefühle zu sprechen ist leider allgemein kein groÃes Talent von mir...“
Jess lächelte leicht. „Es gehört auch nicht unbedingt zu meinen Stärken.“
Matt wich seinem Blick aus. „Das muss wohl in den Genen liegen.“
„Hör mal, Matt...“ Jess betrachtete ihn Stirn runzelnd. „Deine Mutter hat einen groÃen Fehler begangen, daran besteht kein Zweifel. Aber sie liebt dich. Ich verstehe, dass du wütend auf sie bist. Das ist dein gutes Recht. Aber gib ihr eine Chance. Die hat sie verdient. Sie ist kein schlechter Mensch.“
Matt fixierte die Tischplatte schweigend.
„Ich weiÃ, es geht mich nichts an. Dieses Recht würde ich mir niemals herausnehmen. Es ist eine Sache zwischen euch beiden. Ich habe dir das nicht als dein biologischer Vater oder als nervender Neffe Lukes gesagt, sondern lediglich als jemand, der Rory einmal sehr gut kannte.“
„Du hast nichts davon gewusst?“
Jess schüttelte den Kopf. „Bis vor kurzem nicht.“
„Macht es dich denn nicht wütend?“
„Doch, Matt. Das tut es. Doch du kannst unsere Situationen nicht miteinander vergleichen. Rory und ich hatten jahrzehntelang keinen Kontakt. AuÃerdem, was hätte es für einen Sinn, würde ich in diesen Stunden auch noch Groll gegen eine Frau hegen, welche es so schwer hatte? Und wenn ich dich so betrachte, denke ich mir, dass es mich wirklich hätte schlimmer treffen können.“
Matt seufzte. „Logan behandelte sie stets wie den letzten Dreck. Genau wie mich. Sie war meine wichtigste Bezugsperson, auch wenn ich ihr das niemals so deutlich gesagt habe. Ich bin so enttäuscht von ihr. Diese Enttäuschung ist wahrscheinlich viel gröÃer als die Wut.“
Jess nickte. „Ich kann dich verstehen. Mir ginge es nicht anders. Ich will dir nicht sagen, dass du diese Gefühle unterdrücken sollst, das wäre falsch. Es ist völlig verständlich, dass du noch Zeit brauchst. Aber schreibe deine Mutter nicht völlig ab. Das würde wahrscheinlich euch beiden das Herz brechen.“
Sie saÃen sich noch lange schweigend gegenüber, ehe Matt meinte. „Du hast aber nun hoffentlich nicht vor mit mir Angeln zu gehen?“
Jess grinste. „Ich hätte eher an ein Campingwochenende gedacht.“ Scherzte er, wurde aber sogleich wieder ernst. „Ich werde mich nach dreiÃig Jahren gewiss nicht plötzlich in eine Rolle drängen, welche mir nicht zusteht, das verspreche ich dir. Es würde mich lediglich freuen, würden wir nicht nur an den Weihnachtsabenden kurz telefonieren.“
„Habe ich noch Geschwister?“
Jess nickte. „Zwei Schwestern.“
Matt hob eine Augenbraue. „In dieser Familie gibt es wohl allgemein einen Frauenüberschuss. Hoffentlich werden Carols Zwillinge Jungs.“ Er grinste.
Ich verwischte meine stummen Tränen und beschloss diese Nacht keinen Kaffee mehr zu trinken, um dieses Bild nicht zu zerstören. So leise wie ich gekommen war, verschwand ich wieder in meinem Zimmer und legte mich in das weiche Bett. Meine Träume waren begleitet von Erinnerungen an längst vergangene Zeiten. Positive, sowie negative. Sie beide gehören zum Leben.
Die nächsten vier Tage verliefen einerseits sehr ruhig, andrerseits auch sehr turbulent. Drei Tage vor dem Weihnachtsabend begannen wir auf Mums Bitten hin das ganze Haus zu schmücken. Niemand hatte zuvor daran gedacht, das Fest schien vollkommen vergessen worden zu sein, was sie plötzlich Kopf schüttelnd kritisierte. Carol hielt ihr Versprechen sich zu schonen und verbrachte die meiste Zeit in einem groÃen Lehnstuhl, welchen Jess und Luke von unterer Etage in Mums Zimmer getragen hatten, und unterhielt sich mit ihrer GroÃmutter. Sie waren dabei selten alleine, wir alle leisteten ihnen abwechselnd Gesellschaft. In jenen Stunden überwogen die positiven Erinnerungen. Dunkle Momente, Schmerz und Schuldgefühle schienen für eine Zeit aus unseren Herzen verbannt. Die Gespräche betrafen vor allem sonnige Stunden unserer Vergangenheit. Zusammen erlebte, harmonische Momente. Scheinbar Belangloses aus unseren gegenwärtigen Welten.
Matt verhielt sich mir gegenüber noch immer sehr distanziert, doch er gab sich um Mums Willen Mühe. Ramón und ich entdeckten ein paar Gemeinsamkeiten, welche es zu bereden galt. Selbst Susana und ich schafften es über den normalerweise, von meiner Seite aus, eher kühlen und kurz angebundenen Wortwechsel hinaus.
Die Familie fand in jenen Momenten auf eine möglicherweise bis zu einem gewissen Grad heuchlerische, jedoch alle zufrieden stellende, Weise zusammen. Die ungewisse Zukunft wurde in keinster Weise thematisiert. Wir befanden uns auf dünnem Eis, welches zu zerbrechen drohte.
In jenen Stunden erhielten wir viele Besuche. Sookie und Jackson kamen mit reichlich Essen, Geschenken und lustigen Anekdoten über ihre Enkelkinderschar. Mrs. Kim und Lane besuchten uns ebenfalls. Genau wie andere Bewohner der kleinen Stadt, welche ich teilweise gar nicht kannte. Auch das Telefon schien nicht still zu stehen. Christopher, Sherry und Georgia - wie sie seit ihrer Teenagerzeit genannt werden wollte - meldeten sich zweimal und unterhielten sich abwechselnd mit Mum, Luke, mir und meinen Kindern. Sie versprachen, bald zu kommen. Zwei von Carols Freundinnen riefen an, genau wie ihr bester Freund und Patenonkel Carmens, Miguel. Auch Alejandro wollte Mum alles Gute wünschen und schlieÃlich mit Jenny sprechen. Ramón versuchte dieses Gespräch zwar zu verhindern, Carol verbot ihm jedoch jegliche Einmischungen. So kam es, dass sein Bruder und Jenny zum ersten Mal seit langer Zeit wieder normal miteinander sprachen. Lizzie meldete sich aus Paris, was Mum besonders erfreute.
Alles verlief schlieÃlich in den Umständen entsprechenden geordneten Bahnen, bis Carmen schlieÃlich am frühem Abend des vierundzwanzigsten Dezembers von einer unbändigen Lust nach Kaffeebonbons und Lakritze erfasst wurde. Da alle beschäftigt schienen und ich ohnehin noch kaum Zeit mit meiner Enkeltochter alleine verbracht hatte, nahm ich sie schlieÃlich an der Hand und wir stapften gemeinsam durch die glitzernde Schneelandschaft.
„Wow!“ Rief das Mädchen immer wieder. Ihre Augen funkelten verträumt, als wir den Weg zum Supermarkt entlang gingen. „Das ist unglaublich! Ich wünschte, es gäbe Schnee in Puerto Rico!“
Ich betrachtete sie lächelnd. „Ihr könnt das nächste Weihnachtsfest gerne bei mir in Seattle verbringen. Da schneit es meist auch sehr viel.“
Sie lächelte. „Das wäre toll! Wir sehen uns ohnehin viel zu selten, Grandma...oh, was ist das denn...“ Sie hielt vor den reichlich geschmückten Pavillon, dessen Lichterketten im Schnee geradezu magisch zu funkeln schienen. „Wie im Märchen...oh, Grandma! Ich würde auch gerne hier aufwachsen. Deine Kindheit muss zauberhaft gewesen sein.“
Ich drückte Carmens Hand und betrachtete den beleuchteten Pavillon. „Ja, das war sie.“ Meine Augen tränten einen Moment lang.
„Bist du mit Uroma oft im Schnee spazieren gegangen?“
„Ja. Denn weiÃt du, mein Engel, sie kann den Schnee riechen. Sie scheuchte mich nicht nur einmal nachts aus dem Bett.“ Ich schmunzelte. „Wir durften die ersten Schneeflocken des Jahres auf keinen Fall verpassen.“
Carmen lächelte. „Mamá und ich haben auch ein Ritual. Wir gehen jeden Sonntagabend am Strand spazieren und picknicken danach dort. Das mag nach nichts Besonderem klingen, aber für mich ist es das.“
Ich strich ihr zärtlich durchs Haar. „Carmen?“
Sie musterte mich erwartungsvoll.
„Hört niemals auf damit. Versprochen?“
Carmen nickte irritiert. „Okay.“
„Solche Rituale schaffen Zusammenhalt, weiÃt du. Sie geben dir etwas, das du niemals vergessen wirst. Das dir für immer in deinem Herzen bleiben wird.“
Sie lächelte. „Kann das zu unserem Ritual werden? Das wir im Winter zu diesem zauberhaften Pavillon gehen, nur zu zweit, und uns unterhalten?“
Ich umarmte sie. „Das klingt toll.“
„Ich hab dich lieb, Grandma!“
„Ich dich auch mein Engel.“ Ich ergriff ihre Hand. „Komm, lass uns weiter gehen.“
Im Laden angekommen entschied sich Carmen, dass ihre Lust nicht nur den Bonbons und Lakritze, sondern auch Schokolade und Chips galt. Danach bat sie mich ihr noch ein wenig von der kleinen Stadt zu zeigen. SchlieÃlich kehrten wir erst beinahe eine Stunde später mit zwei vollen Säcken zum Haus zurück. Als hätte er auf uns gewartet, öffnete Ramón die Eingangstür auf der Küchenseite, bevor ich noch nach meinem Schlüssel suchen konnte.
„Da seid ihr ja endlich. Du hast deine Grandma ja ganz schön ausgenommen...“ Sein Blick fiel auf die Säcke. „Wie viel bekommst du, Rory?“
„Das passt schon.“ Ich winkte lächelnd ab.
„Grandma hat mir den märchenhaften Pavillon gezeigt, Papá! Den, von welchem Mamá immer so schwärmt! Gehen wir morgen hin? Ich würde ihn dir so gerne zeigen!“
„Natürlich, Prinzessin.“ Er betrachtete seine Tochter lächelnd. „Aber jetzt kommt erst mal herein.“
Kaum hatten wir das Haus betreten und uns der nassen Kleidung entledigt, umgab mich ein wunderbares Aroma. Kaffee war nur einer der vermischten Düfte. Ich runzelte die Stirn. „Was ist das?“
Ramón und Carmen musterten mich verwirrt. „Was meinst du?“ Fragte sie.
„Wonach riecht es hier?“
„Ich rieche nichts.“ Meinte meine Enkeltochter und ging ins Wohnzimmer.
„Ramón, was ist das?“
Er zuckte mit den Schultern. „Jetzt komm erst mal.“
Ich folgte ihm Kopf schüttelnd ins Wohnzimmer. „Was soll denn das. Ich wollte noch...“ Ich verstummte und blieb in der Tür stehen. Mein Herzschlag wurde schneller.
„Das wurde auch Zeit.“ Meine Jenny lächelnd, als sie mich erblickte.
Ich starrte auf den kleinen, gedeckten Tisch, auf welchem Schüsseln und Teller noch aufgestapelt waren. In der Mitte der Tischplatte stand ein riesiger Suppentopf, rechts daneben Schüsseln voller Weihnachtsplätzchen, Chips, Popcorn und Marshmellows. Neben dem Tisch war ein zweiter aufgestellt worden, auf welchem eine Kaffee-, Kakao- sowie Teekanne, eine Flasche Cola, Soda sowie Tassen und Gläser standen. Daneben türmten sich zwei Fünferstapeln mit Pizzakartons. Neben dem Fernseher stand ein reichlich geschmückter Weihnachtsbaum. Carol, Juan, Carmen, Susana und Luke hatten es sich mit Decken auf der Couch bequem gemacht. Links davon waren zwei Bettmatratzen aufgelegt worden, auf welchen Ramón, Matt, Jenny und Jess saÃen. Rechts neben der Couch standen zwei ausziehbare Lehnstühle. Auf dem linken saà Mum, in viele Decken gehüllt. Sie musterte mich ungeduldig. „Rory, wir haben Hunger!“
Stumme Tränen rannen über meine Wangen. Ich verwischte sie nicht. „Was ist das? Kaffee, Naschereien und sogar Pizza...“
„Ach Schätzchen...hast du etwa alles verlernt? Was ist denn ein Videoabend ohne Pizza? Selbst wenn ich sie nicht essen darf.“ Mum schüttelte den Kopf. Ihre Augen waren voller Liebe und Zärtlichkeit.
Ich schüttelte ungläubig meinen Kopf und suchte den Blick meiner Enkeltochter. „Hast du das gewusst?“
Carmen grinste. „Natürlich. Es war eine Ãberraschung. Für Uroma und dich.“
„Wenn es dir nichts ausmacht, würden wir nun gerne anfangen, Mum.“ Matt lächelte.
Luke reichte mir einen Stapel DVDs. „ A Christmas Carrol, Willy Wonka und Footloose.” Ich blickte Mum an.
„Ich hoffe, auch du bist mit dieser Auswahl einverstanden. Keine Sorge, wir haben noch mehr Filme in dem kleinen Kasten dort drüben, sollten wir danach noch nicht müde sein. Ich schlage vor, wir beginnen mit letzterem...“
Als die ersten Töne des Filmes erklangen, lehnte sich Mum zu mir und flüsterte. „Das ist mein schönstes Weihnachtsfest.“ Ihre Augen tränten.
Ich ergriff ihre Hand und lieà sie während des gesamten Filmes nicht mehr los.
Sie hatten das nicht nur für uns beide getan. Sie hatten es für uns alle getan. Für jeden einzelnen von uns. Elf Menschen, sich so verschieden und doch so ähnlich. Elf Menschen, eine Familie.
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