15.12.2006, 12:18
--------- Flashback ---------
âSie waren heute schon alle bei mir.â Erzählte Mum lächelnd, als ich ihr Zimmer betrat.
Ich erwiderte ihr Lächeln und setzte mich auf den Stuhl neben ihrem Bett. âDas war ein wunderschönes Fest gestern.â
Sie drückte meine Hand. âDas schönste meines Lebens. Die ganze Familie vereint. Das war mein gröÃter Wunsch.â
Ich nahm ihre Hände in meine, weil sie so kalt waren. âVielleicht schaffen wir das jedes Jahr. Die Flüge sind teuer, aber wir könnten uns abwechseln. Wenn es dir dann wieder gut genug geht, feiern wir nächstes Jahr in San Juan.â
Mum lächelte milde und betrachtete mich. Ich vermochte ihren Blick nicht zu deuten. âWeihnachten ohne Schnee?â
âDu hast Recht, Mum. Was für eine dumme Idee. Carmen und ich haben gestern erst über den Zauber Stars Hollows im Schnee gesprochen...â Ich atmete tief durch. âIch hatte es lange nicht gesehen...war blind dafür gewesen...doch gestern habe ich ihn wieder entdeckt.â Der Zauber meines alten Zuhauses war nicht das einzige gewesen, was ich wieder entdeckt hatte.
Sie nickte, mich immer noch lächelnd betrachtend. âDu siehst gesünder aus. Deine Wangen haben wieder Farbe bekommen.â Bemerkte sie plötzlich.
âIch fühle mich auch besser. Dieses Fest, ihr - vor allem du - habt mir etwas Wertvolles zurückgegeben. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt. War nur mehr eine Hülle meiner selbst gewesen. Ich weiÃ, dass das Leben nicht plötzlich perfekt geworden ist. Es werden sich noch viele Hürden stellen, wir alle werden noch Rückschläge erleiden. Aber ich habe das Gefühl, dass wir alles schaffen können, so lange wir zusammenhalten. Ich weiÃ, dass ich damit nichts ungeschehen machen kann. Aber ich werde zurück nach Stars Hollow kommen und mir in eurer Nähe eine Wohnung nehmen. Ich werde für euch da sein und dich wieder ganz gesund pflegen.â
Mums Hand zitterte, als sie über meine Wange strich. Einen Moment wirkte es, als wollte sie etwas sagen. SchlieÃlich formten ihre Lippen ein leichtes Lächeln. âRory. Du warst ein ganz besonderes Mädchen, du bist eine ganz besondere Frau. Du bist aber auch nur ein Mensch, nicht frei von Fehlern, genau wie ich. Genau wie wir alle. Ich habe dir schon lange verziehen. Lange vor deiner Ankunft. Du warst Opfer deiner selbst. Das waren wir alle auf eine gewisse Weise. Ich habe meinen Frieden gefunden, mein Schatz.â Ein eigenartiger Druck erfasste mein Herz, als sie erneut meine Wange berührte. âDu musst auch deinen finden, Rory. Akzeptiere, was passiert ist und akzeptiere, was passieren wird...â Der Druck begann mir den Atem zu nehmen. Ich glaubte zu ersticken. Die Tränen tropften auf das Laken. âDu musst dich der Gegenwart zuwenden, dir endlich vergeben. Sich selbst zu vergeben ist die schwierigste Aufgabe, welche man zu erfüllen hat. Es ist viel einfacher einen geliebten Menschen zu vergeben, als sich selbst. Auch ich konnte es lange nicht. Finde zurück ins Leben, geliebte Tochter. Lebe. Voller Freude und Leidenschaft. Koste jeden Tag aus. Vergiss niemals, du bist ein wertvoller Mensch.â Sie betrachtete mich lächelnd. âDu hast mir in den letzten Wochen so viel gegeben. Auch wenn es nicht mehr so wie früher sein konnte, wir haben einander wieder gefunden. Dafür bin ich dankbar. Die Familie war vereint. Auch wenn es nur für Tage war, diese Stunden hat sie auf eine besondere Weise näher gebracht. Unsere Herzen haben zueinander gefunden.â
âDas ist alleine dein Verdienst gewesen, Mum.â
Sie strich über meine Finger. Ihr Blick glitt sanft über mein Gesicht und mein offenes, langes Haar. âNein. Unser aller Verdienst.â Sie strich über meinen Handrücken. âIch bin stolz auf dich. Das war ich immer. In jeder Sekunde meines Lebens. Und ich bin dankbar. Für dich. Die wunderbarste Tochter. Für Corinne, welche leider nur wenige Monate in mir heranwachsen konnte. Für Luke. Den liebevollsten Mann der Welt. Für Carol. Sie hat so viel Liebe zu geben, trotz des vielen Schmerzes in ihrem Leben. Für Matt. Er wirkt äuÃerlich so stark, sein Inneres ist aber so sanft und verletzlich. Für Jen. Ihr gröÃter Wunsch war es immer, dass die Familie wieder zusammen finden würde. Für Carmen und Juan, weil sie die vollkommensten Urenkeln sind, die man sich wünschen kann. Ich bin dankbar für diese Familie. Für jede Minute, welche ich mit ihr verbringen durfte.â
Meine Lippen wurden trocken. âMum?â Meine Stimme war heiser, kaum hörbar. Ein Schwindel erfasste mich. Der Raum begann sich zu drehen. Ich spürte ihre zitternden Finger auf meiner Wange. âRory...â Ihre schwache Stimme schien aus einer fernen Welt zu kommen. âRory? Du hast vor ein paar Tagen mit Dr. Connor gesprochen...â
Ich wollte etwas erwidern, schreien. Doch es gelangte kein Ton über meine Lippen. Schwere Seile schienen mein Herz zu umfassen, es mit sich in den Ozean zu reiÃen. Ich glaubte das salzige Wasser zu spüren, welches in meine Lungen drang.
âRory!â Erklang Mums Stimme lauter. âRory. Mein Körper ist müde geworden.â Sagte sie ganz ruhig.
Plötzlich kam ich wieder zu mir. Von Verzweiflung gepackt. âMum!â Ich hörte weder meine Stimme, noch spürte ich die Tränen, welche über meine Wangen rannen. âMum, hör auf so zu reden! Ich habe dir versprochen, dich wieder gesund zu pflegen. Genau das werde ich auch tun! Dieser Arzt hat doch keine Ahnung!â
Sie lächelte milde und betrachtete mich schweigend. Ihre Augen waren voller Zärtlichkeit.
âGib dich nicht auf, Mummy! Wir brauchen dich! Ich brauche dich! Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich liebe dich.â Meine Stimme wurde erneut von schmerzender Heiserkeit gepackt. âWir schaffen das. Du wirst wieder ganz gesund. Wir werden noch wunderbare gemeinsame Jahre in Stars Hollow verbringen. Werden nachts aufstehen, wenn du den Schnee riechst. Werden viel zu viel Kaffee trinken und SüÃes essen. Und fernsehen. Bis uns die Augen schmerzen.â Ich verwischte die Tränen mit dem Handrücken. âWir werden nochmals nach Rom reisen. Diesmal länger. Und an der Piazza Navona essen und Espresso trinken. WeiÃt du noch, Mum? Das war der schönste Sommer meines Lebens. Wir werden die anderen mitnehmen, wenn du möchtest. Sie alle sollen von dem Zauber erfasst werden, welcher uns damals so überwältigte. Wir werden ans Meer fahren. Ganz oft, wenn du das möchtest.â
âRory...â Ihre Stimme hatte sich nicht verändert. Sie lächelte noch immer. Zärtlich und sanft.
âEs geht dir doch schon besser, Mum! Deine Erinnerung hat sich verbessert. Deine Wangen...sie sind nicht mehr so blass und...â
âRory...â Sie ergriff meine Hände. âKomm näher.â
Ich presste mein Gesicht schluchzend an ihre Brust, löste mich aber schnell wieder von ihr, aus Angst ihr wehtun zu können. âMummy!â Presste ich mühsam unter dem Schleier von Tränen, welcher mir die Luft zu nehmen schien. Ich glaubte zu ersticken.
âRory.â Sie strich mir zärtlich durchs Haar. âIch bin alt und schwach geworden.â Sie hob mein Kinn. Wie bei dem kleinen Mädchen von einst. Ich blickte in ihre Augen, fand jedoch keinen Trost. âFür diesen Moment, die letzten Tage. Für uns, für dich. Deshalb bin ich noch nicht gegangen. Deshalb konnte ich es noch nicht.â Sie küsste meinen Handrücken. âLass mich gehen, mein Liebling. Ich liebe dich, und das werde ich auch immer tun. Ich weià nicht, was mich erwarten wird. Was uns alle erwarten wird. Aber ich bin nun bereit dafür.â Sie strich über meine Wange. Ich zitterte am ganzen Körper, unfähig zu sprechen. âIch spüre im Inneren, dass wir uns alle wieder sehen werden. Eines Tages. Wir werden wieder vereint sein, dann für die Ewigkeit.â
âMummy...â
âRory. Ich muss nun zu deiner kleinen Schwester. Zu deinen GroÃeltern. Zu Carols Freundin Carmen.â Sie schüttelte den Kopf. âHabe keine Angst, mein Schatz. Ich werde immer bei dir sein. Für immer und ewig.â Sie verwischte meine stummen Tränen. âWeine nicht, dazu besteht kein Grund.â Ihre Stimme war leiser geworden. Sie drückte meine Hand.
Ich spürte meine Glieder nicht mehr. Die Kälte hatte sie ertaubt. Meine eigene Stimme schien wie aus einer anderen Welt. âIch liebe dich, Mummy.â
Ihre Lippen formten ein Lächeln, bevor sie ihre Augen schloss. Ihre Hand lag noch immer in meiner. Ich war stundenlang unfähig mich zu bewegen, auch nur zu blinzeln.
Mum war gegangen. Als ich es begriff, riss mich der schmerzende Sog endgültig in die unendlichen Tiefen des dunklen Ozeans.
---------- Flashback Ende --------
Mit Mums Tod schien auch der letzte Teil meines Herzens gestorben. Erstickt an dem Schmerz, erfroren aufgrund der Kälte der Einsamkeit.
Nichts würde jemals wieder so sein, wie es war.
Sie war weg. Gegangen. Sie würde niemals wieder zurückkommen.
Ich würde niemals wieder in ihre blauen Augen sehen. Ihr klares Lachen hören. Sie würde mich nie wieder in die Arme schlieÃen.
âRory?â Die Stimme kam wie aus einer anderen Welt. Ich vermochte sie weder zu definieren, noch ihre Richtung auszumachen. Mein Körper war regungslos. Starr und kalt. Nur mehr eine leblose Hülle. Meine Augen brannten. Dieser Schmerz war das einzige Zeichen, dass ich noch nicht gegangen war. Mum noch nicht gefolgt war.
Meine leblosen Arme zuckten bei der Berührung. Ich bekam vage mit, als das Bett knarrte und sich jemand setzte.
âRory?â
Ich bewegte den Kopf. Kaum merkbar. Es gab keine Rory mehr.
âSie hat dich immer geliebt. In jeder Minute ihres Lebens.â
Meine Augen begannen ihn wahrzunehmen. Seine Gesichtszüge. Die roten Augen. Die Tränen. Den Schmerz.
âAuch ich habe sie über alles geliebt. Sie war die Liebe meines Lebens.â Luke nahm meine Hände in seine, rieb sie. Doch die Wärme drang nicht in meinen Körper, nicht in mein Herz.
âSie würde das nicht wollen, Rory. Es ist nicht in ihrem Sinne.â Er strich über meine Wangen. âDeine Kinder und Enkeln brauchen dich. Ich brauche dich. Wir brauchen einander in diesen schweren Stunden.â
Und was war mit Mum? Ich brauchte sie. Mehr als alles andere. Ich rang nach Luft und hustete. Luke stützte mich. Seine Augen begannen erneut zu tränen. âRory, du bist immer wie eine Tochter für mich gewesen.â
Ich blickte ihn an. Die Worte kamen heiser und langsam. âWie lange liege ich schon hier?â
Lukes Gesichtszüge entspannten sich für einen Moment. âBeinahe einen ganzen Tag.â
âWarum? Warum musste sie gehen? Ich...ich hätte an ihrer Stelle gehen sollen.â Mein Körper gab erneut nach. Ich sank in Lukes stützende Arme und schluchzte, das Gesicht an seine Brust gepresst. Ich spürte wie seine Finger zitterten, als sie über meinen Rücken strichen. Mein Körper löste sich langsam von ihm. âWo bist du, Mum? Wo? Warum hast du mich alleine gelassen? Wie konntest du mir so etwas antun?â Schrie ich mit meinen letzten Kräften.
Luke schloss mich schluchzend in die Arme. âLass es raus, lass es raus.â Presste er unter Tränen hervor.