13.02.2007, 10:01
Hallo meine SüÃen :knuddel:
Vielen, vielen Dank nochmals für eure tollen Feedbacks! Freut mich, dass euch meine Geschichte so gefällt.
Eigentlich wollte ich den neuen Teil ja noch gestern am späteren Abend posten, aber ich hatte Probleme mit der Internetverbindung. Deshalb kommt er erst jetzt.
Ich hoffe, er gefällt euch. Freu mich, wie immer, sehr über Feedbacks!
Bussi Selene
24. Teil
Lillian
Spanish Harlem, 2000
Die Musik dröhnte an ihrem Ohr. Der Club war gesteckt voll. Lillian und Elena waren schlieÃlich näher an die Lautsprecher gerückt, als weitere Personen zu dem Tisch hinzugekommen waren.
Arturo unterhielt sich seit einiger Zeit mit zwei Freunden, lieà die junge Frau jedoch nicht aus den Augen. Er spürte, dass es ihr nicht gut ging. Je mehr Lillian lachte und vorgab fröhlich zu sein, umso weniger glaubte er ihr das Theater.
Sie wich seinem Blick aus und fixierte das halbvolle Glas. Lillian hatte mehr Alkohol konsumiert als normalerweise. Ihr Kopf brummte, sie fühlte sich schwindlig. Die drückende Unruhe war jedoch nicht verschwunden.
„Lillian?“
Sie musterte ihre Freundin Elena Stirn runzelnd. „Entschuldige. Hast du etwas gesagt?“
„Möchtest du gehen?“
„Wie bitte?“ Lillian fasste sich an ihr Ohr und warf dem Lautsprecher einen genervten Blick zu.
Elena lehnte sich zu ihr und hob den Ton so, dass der gesamte Tisch für einen Moment zu ihr blickte.
„Möchtest du gehen?“
„Das kann nicht dein Ernst sein?“ Antonio legte den Arm um Lillian, welche sich sofort daraus befreite.
„Ich bringe euch beide nachhause, wenn ihr möchtet.“ Arturo musterte sie besorgt.
„Was soll der Unsinn? Niemand möchte nachhause. Wir sind hier um uns zu amüsieren. Die Nacht ist noch jung...“ Elena seufzte leise und warf ihrer Freundin einen Seitenblick zu. „...auÃerdem bist du mir noch einen Tanz schuldig, Arturo.“
„Kannst du überhaupt noch tanzen?“ Antonio blickte spottend auf das Glas vor Lillian.
Sie erhob sich und warf ihm ein süffisantes Lächeln zu. „Mit einem richtigen Mann sicherlich.“
Ein paar seiner Freunde lachten. Antonio warf ihr einen gekränkten Blick zu, befreite sich jedoch schnell wieder aus der Starre. „Wenn du schon erwachsen wärst, würde ich dir schon zeigen, dass ich ein richtiger Mann bin.“
Lillian rollte mit den Augen. „Müssen wir dieses Gespräch tatsächlich fortsetzen?“ Von Elenas besorgten, dunklen Augen gefolgt ging Lillian zur anderen Seite des Tisches und blieb vor Arturo stehen. „Das Lied ist perfekt.“
Er musterte sie kritisch, erhob sich aber schlieÃlich ebenfalls und zog sie zu einer der kleinen Theken.
„Was soll das? Ich will tanzen.“
Er ignorierte sie und schenkte Mercedes, der einzigen weiblichen Barkeeperin des Clubs, ein kurzes Lächeln. „Wir bekommen ein Glas Wasser.“
„Was?“ Lillian schüttelte den Kopf.
Mercedes wandte ihre Augen nicht von Arturo ab, während sie Wasser in das Glas füllte. „Bitte.“ Sie reichte es ihm lächelnd.
„Vielen Dank, Mercedes.“ Er erwiderte ihr Lächeln.
Lillian rollte mit den Augen. „Wer soll das trinken?“
Erneut wurde sie ignoriert. „Wie viel bin ich dir schuldig?“
„Was?“ Mercedes’ Errötung war trotz des sehr gedämpften Lichtes sichtbar. Lillian stieg genervt von einem Fuà auf den anderen. „Entschuldige. Einen Dollar.“
Arturo reichte ihr ein paar Münzen. „Stimmt schon so.“
Sie zählte nach. „Vielen Dank.“
Arturo verabschiedete sich kurz und zog Lillian zu einem der kleinen Stehtische. „Trink das.“ Er reichte ihr das Glas.
„Was soll das? Ich will tanzen, nicht trinken.“
Er seufzte. „Was ist eigentlich los mit dir? Sorgen in Alkohol zu ertränken passt doch sonst so überhaupt nicht zu dir. Wir hätten heute nicht weggehen müssen. Ich hätte meinen Freunden abgesagt und wir hätten einfach zusammen sitzen und reden können.“
„Vielleicht möchte ich das gar nicht. Vielleicht habe ich es satt, dass ihr euch um mich sorgt.“
„Lillian.“ Sein Ton wurde härter. „Trink das.“
Sie runzelte die Stirn und leerte das Glas in einem Zug. „Zufrieden? Und was hat das nun gebracht? Mein Leben ist noch immer ein einziger Scherbenhaufen!“
Er ergriff ihre Hand, sie erzog sie ihm jedoch sogleich.
„Lass mich doch einfach in Ruhe und geh zu dieser Mercedes. Sie wünscht sich gewiss nichts sehnlicher, als dass du es ihr sofort hinter der Theke besorgst.“
Arturo schüttelte den Kopf. „Antonio hatte recht. Du benimmst dich im Moment in der Tat wie ein kleines Mädchen.“ Seine Stimme hob sich. „Ich kann nichts dafür, dass du so viel Leid erfahren musstest. Nicht ich habe es dir zugefügt! Also lass deine Wut nicht an mir aus!“
„Ich bin also nur ein kleines Mädchen für dich? Warum gibst du dich dann eigentlich noch mit mir ab?“
Seine Augen hatten einen kalten Ausdruck bekommen. Er konnte seine Wut nicht mehr zurückhalten. „Was ist eigentlich los mit dir? Ich kann nichts dafür, dass dich deine leiblichen Eltern zur Adoption freigaben und Ana sowie Rosa und Jorge dir das verheimlicht haben! Ich trage keinerlei Schuld an deinem Schmerz!“ Er ignorierte die stummen Tränen, welche über ihre Wangen rannen und fuhr fort. „Elena und ich, wir wollten dir nur helfen, für dich da sein. Aber das lässt du ja nicht zu. Du behandelst Menschen wie es dir gerade passt! Erst lässt du sie sehr nahe ran, dann weist du sie wieder ab und stoÃt sie brutal von dir! Das kannst du nicht machen! Du kannst nicht einmal das Hilfe suchende Mädchen und dann die unnahbare Prinzessin spielen! Verdammt, Lillian, es gibt noch andere Menschen als dich auf der Welt! Und weiÃt du was, gerade nervst du mich gewaltig. Ich hatte dich sehr viel reifer eingeschätzt. Das wird dich jetzt höchst wahrscheinlich belustigen, aber ich hatte sogar einmal geglaubt, dass wir beide zu einer ernsthafteren Beziehung fähig wären, als zu dieser zwielichtigen Geschichte, die wir führen!“
„Was redest du da?! Du willst eine ernsthafte Beziehung führen? Wir schliefen lediglich ein paar Mal mit einander! Das machst du doch auch mit Yolanda, Carla und wahrscheinlich auch mit dieser Mercedes. Wahrscheinlich sind es sogar noch mehr.“
„Es ist mehr als das zwischen uns gewesen, und das weiÃt du. Und ich habe nicht...“ Er hielt inne. „Das hat doch sowieso keinen Sinn! Werde erwachsen. Und lass deine Launen in Zukunft an jemanden anderen aus!“ Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, kehrte er dem Stehtisch den Rücken und ging zurück zum Tisch.
„Warte.“ Brachte Lillian unter Tränen hervor, er hörte es jedoch nicht mehr. Sie fasse sich schluchzend an den Kopf, welcher nun noch mehr zu dröhnen schien als zuvor. Der schwere Druck auf ihrem Herzen nahm ihr die Luft zum Atmen. Lillian rannte aus dem Club und lieà sich auf den kalten, verstaubten Gehsteig sinken. Sie vergrub das Gesicht in den Händen. Ihr Körper zitterte, nicht nur aufgrund der Kühle der Nacht.
„Lillian?“
„Arturo?“ Es war kaum hörbar. Sie hob den Kopf, blickte aber in zwei andere Augen. Dunkle Augen, welche sie höhnisch musterten.
Er reichte ihr die Hand. Sie wusste nicht warum, aber sie lieà sich von ihm hoch ziehen.
„Du erkennst mich doch noch?“
„Natürlich, Ricardo.“ Sie wich dem Blick ihres Exfreundes aus. Die Ãbelkeit in ihrer Magengegend wurde stärker. Sie atmete tief durch.
„Soll ich dich nachhause bringen?“ Er strich ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht.
Sie brachte nur ein leichtes Nicken zustande.
Ricardo musterte sie gleichgültig und schob sie zu seinem Auto. Sie lieà sich langsam in den Sitz sinken, die Augen halboffen ins Leere gerichtet.
Er beobachtete sie Kopf schüttelnd. „War wohl etwas zu viel heute?“
Lillian antwortete nicht.
Ricardo startete den Motor. „Ich hätte mir nach unserer letzten Begegnung nicht gedacht, dass du noch mal in mein Auto steigen würdest. Arturo gefällt das bestimmt nicht.“
„Ist doch egal.“
„Seid ihr denn nicht mehr zusammen?“
Sie presste die Augen zusammen und atmete tief durch. „Bring mich einfach nachhause.“
Er legte die rechte Hand auf ihr Knie. „Die Nacht ist doch noch jung. Wir könnten auf alte Zeiten anstoÃen.“
Sie schob seine Hand erbost von sich. „Lass mich hier aussteigen. Sofort.“
Er grinste. „Sonst was? Du kannst doch nicht einmal mehr deine Augen offen halten! AuÃerdem kann ich es unmöglich verantworten dich hier aussteigen zu lassen. Hier laufen zu viele Kerle herum, die nur auf so ein hübsches Ding wie dich warten.“
„Mir ist sehr schlecht. Wahrscheinlich muss ich mich jeden Moment übergeben. Es wäre dir, und vor allem deinem geliebten Auto, also geraten mich einfach aussteigen zu lassen.“
Ricardo hielt tatsächlich an. Lillian atmete erleichtert auf, als sie den Wohnblock erkannte.
„Denkst du wirklich, irgendein normal denkender Mann hätte dich heute angefasst? Hast du schon mal in den Spiegel geblickt?“ Er lachte verächtlich. „Steig aus. Ich würde mich schämen, würde mich jemand mit dir sehen.“
„Warum hast du mich dann überhaupt mitgenommen?“
Er ging nicht darauf ein. „Sieh der Realität ins Auge, Kleine. Ich hatte das, was ich wollte, schon vor langer Zeit bekommen. Mehr wollte ich nicht. Du gehörst nicht hier her. Die Männer hier werden immer nur eines von dir wollen. Zu mehr bist du nicht zu gebrauchen. Geh zurück nach Brooklyn.“
Lillian öffnete die Autotür und erhob sich zitternd. Sie verwischte die Tränen nicht. „Ich hasse dich. Eines der Dinge, die ich in meinem Leben wirklich bereue, ist dich kennen gelernt zu haben!“ Sie knallte dir Autotür zu.
Ricardo startete sogleich den Motor und fuhr los.
Lillian sank auf die Stufen zu ihrem Wohnhaus. Der Druck im Magen wurde stärker. Sie lehnte sich vor und gab ihm nach. Danach vergrub sie ihr Gesicht schluchzend in den Händen. „Warum hast du mich vor zehn Jahren nicht einfach mitgenommen, Mamá?“ Presste sie unter Tränen hervor. „Warum bin ich nicht mit euch im Auto gesessen?“ Ihre Stimme versagte.
Elena fand sie eine halbe Stunde später in derselben Position vor dem Haus vor. „Lillian!“
Ihre Freundin hob den Kopf.
„Ich bin fast gestorben vor Angst!“ Lillian erkannte Elenas geröteten Augen im schwachen Schein der StraÃenlaterne. Ihre Freundin setzte sich eilig zu ihr und schloss sie in die Arme. „Wie bist du hergekommen?“
„Ricardo hat mich heimgeführt.“
„Wie bitte?“ Elena blickte sie verständnislos an. „Von Arturo nimmst du keine Hilfe an, aber von Ricardo lässt du dich heimführen? Hast du schon vergessen, was er dir vor über einem Jahr angetan hat?“ Ihre Augen weiteten sich erschrocken. „Er hat doch nicht wieder...“
„Nein!“ Lillian fuhr ihr ins Wort. „Er...er hat mich nur heimgebracht.“ Ihre Stimme zitterte. Sie verschwieg das Gespräch, zu sehr schmerzte es sie.
Elena schüttelte den Kopf und musterte ihre Freundin besorgt. „Ich glaube es einfach nicht, dass du dich von ihm hast nachhause bringen lassen.“
„Ich...ich musste einfach nur weg.“ Lillians Augen tränten erneut.
Ihre Freundin nickte. „Du hättest Arturo fragen können. Oder einen von den anderen. Aber ausgerechnet Ricardo...“
„Er hat es angeboten.“
Elena seufzte leise. „Ich bin froh, dass nichts passiert ist.“
„Dafür wäre ich ihm nicht mehr gut genug gewesen. Arturo bin ich auch nicht mehr gut genug.“ Sie vergrub ihr Gesicht schluchzend an Elenas Brust. Diese strich ihr sanft über den Kopf. „Was redest du denn da? Er sorgt sich so sehr um dich.“
„Wir haben gestritten. Er ist wütend auf mich und möchte nichts mehr mit mir zu tun haben...“ Presste sie unter Tränen hervor.
„Ach SüÃe, ich denke, das alles war einfach nur zuviel für dich. Das wird auch Arturo verstehen. Er ist auch nur ein Mann. Lass ihn ausspinnen, dann kommt er ganz von selbst wieder. Glaub mir.“
Lillian schüttelte den Kopf. „Das wird er nicht.“ Sie löste sich von ihrer Freundin. „Und ich kann es ihm nach dem heutigen Abend noch nicht einmal verübeln.“ Sie erhob sich zitternd. „Ich kann so nicht hinein gehen.“ Sie blickte verzweifelt auf die Eingangstür. „GroÃmutter bekommt einen Herzinfarkt, wenn sie mich so sieht.“
„Uns fallt schon etwas ein.“ Elena schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und erhob sich ebenfalls. Sie ergriff die Hand ihrer Freundin und drückte sie.
„Wie bist du eigentlich her gekommen?“
Elena rang mit sich selbst. „Arturo hat mich geführt.“ Antwortete sie schlieÃlich wahrheitsgemäÃ. „Er bringt Pedro heim, dann holt er mich von hier um mich zu meiner Wohnung zu fahren.“
Lillian atmete tief durch und nickte leicht. Er war nicht zu ihr gekommen. Es hatte ihn nicht interessiert, was passiert war. Wie sie nachhause gekommen war.
Als sie die Wohnung betraten, fanden sie Ana und Emilio schlafend auf der Couch vor.
„Geh ins Bad.“ Sagte Elena schnell und umarmte ihre Freundin kurz. Diese folgte schweigend.
Lillian drehte zitternd das Licht auf. Sie schloss die Tür und ging zum Spiegel, welcher über dem Waschbecken angebracht war. Ein Schreck erfasste sie, als sie ihr Spiegelbild wahrnahm. Ihre Augen waren stark geschwollen, ihr Haar zersaust, ihre Haut blasser als sonst. Rosa würde sich schämen. Lillian gelang es nur mühsam die Tränen zu unterdrücken.
Sie wusch das Gesicht mit kaltem Wasser und trug etwas Make up auf. Als sie das Nebenzimmer betrat, schien es, als wären Ana und Emilio erst gerade erwacht. Sie warf Elena einen dankbaren Blick zu.
Als ihre Freundin mit ihrem kleinen Sohn gegangen war, ging Ana sogleich zu Bett.
Lillian sank auf ihr Sofa. Sie ignorierte die Notiz, welche Ana auf einen Zettel geschrieben und auf den kleinen Tisch gelegt hatte und stand nochmals auf um den dicken Umschlag aus dem kleinen Kasten zu holen. Zitternd sank sie wieder auf den weichen Stoff und zog den Schnellhefter aus dem Kuvert. Es waren sehr viele Seiten, mit Sarahs fein geschwungener Schrift. Lillian atmete tief durch, als sie begann die ersten Worte zu lesen.
Edit: Hab noch einen kurzen Teil geschrieben. Ich hoffe, er gefällt euch.
25. Teil
Pasadena
Penelope beobachtete ihren Enkelsohn lächelnd. Es war schon zehn Uhr Abends, er sollte eigentlich schon längst schlafen. Aber mit seinem Charme war es ihm gelungen, seine GroÃmutter davon überzeugen, etwas länger fernsehen zu dürfen. Nach dem Film hatte ihm Penelope noch aus seinem Lieblingsbuch vor gelesen. Obwohl Nick sich heftig dagegen gewehrt hatte, waren ihm schlieÃlich seine müden Augen zugefallen und er war eingeschlafen.
Penelope küsste ihn sanft auf die Stirn und machte die Nachtischlampe aus. Leise verlieà sie das Kinderzimmer und sank in ihren Schaukelstuhl im Gästezimmer. Darlene und Chris würden bald zurückkommen. Sie kamen niemals später als halb elf Uhr nachhause. Penelope lächelte. Sie vergötterte ihre Schwiegertochter. Noch mehr liebte sie aber Chris, welcher seinem Vater, James, so glich. Es war niemals ein Problem für sie gewesen, dass sie mit ihrer groÃen Liebe keine eigenen Kinder mehr bekommen hatte können. Sie hatte den damals bereits zwanzigjährigen Chris sofort in ihr Herz geschlossen und ihn als ihren Sohn angenommen. Auch für ihn war sie mehr Mutter, als seine leibliche, welche vor vielen Jahren einfach wortlos gegangen und niemals zurückgekehrt war.
Penelope griff nach dem Brief in ihrer Rocktasche, welchen sie vor wenigen Tagen erhalten hatte. Sie faltete ihn auseinander und las ihn erneut. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster, auf die grüne Palmenallee. Penelope seufzte leise, als sie an ihre Vergangenheit dachte. Sie war schon achtundvierzig gewesen, als sie ihrer Heimat den Rücken gekehrt hatte. Ein Teil ihres Herzens war jedoch immer in Südamerika geblieben. Trotz der Vorfälle ihrer letzten Jahre. Sie blickte erneut auf die schwarze Tinte und dachte an Salvador. Was für ein gut aussehender und charmanter Mann er doch gewesen war. Wie gut er sie und wie schlecht er seine eigene Frau doch behandelt hatte. Nach einem schweren Schicksalsschlag war Penelope in sehr jungen Jahren in den Haushalt Salvador Dominguez’ eingetreten. Penelope verband sehr zwiespältige Gefühle mit dieser Zeit. Sie hatte sowohl als Kindermädchen, als auch später als Haushaltshilfe, beinahe dreiÃig Jahre dort gearbeitet. Penelope hatte eine sehr innige Beziehung zu den Kindern gehabt, besonders zu Salvadors jüngstem Sohn, dessen unterschiedliche Lebensphasen sie miterlebt hatte. Seine Geburt, seine ersten Schritte, seine Schulzeit, sein Eintritt ins Berufsleben und schlieÃlich seine Hochzeit, sowie die Geburt seines Kindes. Penelope runzelte die Stirn und seufzte leise. Er war Salvador am ähnlichsten. Immer hatte er nach Höherem gestrebt, war süchtig nach Besitz und Prestige gewesen. Dinge schienen ihn nur so lange interessiert zu haben, bis er sie schlieÃlich besessen hatte. Er war ständig auf der Suche gewesen. Hatte in einer Welt gelebt, welche er sich selbst kreiert hatte. Es war seine Ãberlebensstrategie gegen den mächtigen, dunklen Schatten seines Vaters gewesen. Penelopes Augen tränten, als sie auf den Brief blickte. Die Sätze waren sehr kurz gehalten. Salvador war vor wenigen Monaten, im Alter von siebzig Jahren, verstorben. Sein jüngster Sohn hatte sie in kurzen, unpersönlichen Sätzen davon in Kenntnis gesetzt und um ein Treffen gebeten. Penelope strich über die Briefmarke des Kuverts, welches sie ebenfalls noch in ihrer Rocktasche aufbewahrt hatte. Der Poststempel war einfach zu entziffern. Los Angeles. War er absichtlich vor wenigen Jahren in ihre Nähe gezogen? Sie war ihm schlieÃlich mehr Mutter gewesen, als seine leibliche es ihm jemals hätte sein können. Penelope dachte an ihre letzte Begegnung und wunderte sich, dass er sich überhaupt dazu überwinden hatte können, wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ein eiskalter Schauer rann über ihren Rücken, als sie sich dem Ausdruck seiner Augen entsann. Penelope dachte an das Mädchen mit dem goldenen Haar. Sie seufzte leise. Sarah hatte versprochen zu schreiben. Ihr mitzuteilen, wo sie war, wie es ihr ging. Penelope hatte ihr die Adresse einer vertrauenswürdigen Freundin gegeben. Doch kein Brief war jemals zu María gelangt. Penelopes Augen begannen zu tränen. Sie hatte alles in ihrer Macht stehende für die junge Frau und das Kind getan, doch offenbar kläglich versagt. Es verging kein Tag, an dem sie nicht mit Angst daran dachte, was ihnen wohl passiert sein konnte.
Vielen, vielen Dank nochmals für eure tollen Feedbacks! Freut mich, dass euch meine Geschichte so gefällt.
Eigentlich wollte ich den neuen Teil ja noch gestern am späteren Abend posten, aber ich hatte Probleme mit der Internetverbindung. Deshalb kommt er erst jetzt.
Ich hoffe, er gefällt euch. Freu mich, wie immer, sehr über Feedbacks!
Bussi Selene
24. Teil
Lillian
Spanish Harlem, 2000
Die Musik dröhnte an ihrem Ohr. Der Club war gesteckt voll. Lillian und Elena waren schlieÃlich näher an die Lautsprecher gerückt, als weitere Personen zu dem Tisch hinzugekommen waren.
Arturo unterhielt sich seit einiger Zeit mit zwei Freunden, lieà die junge Frau jedoch nicht aus den Augen. Er spürte, dass es ihr nicht gut ging. Je mehr Lillian lachte und vorgab fröhlich zu sein, umso weniger glaubte er ihr das Theater.
Sie wich seinem Blick aus und fixierte das halbvolle Glas. Lillian hatte mehr Alkohol konsumiert als normalerweise. Ihr Kopf brummte, sie fühlte sich schwindlig. Die drückende Unruhe war jedoch nicht verschwunden.
„Lillian?“
Sie musterte ihre Freundin Elena Stirn runzelnd. „Entschuldige. Hast du etwas gesagt?“
„Möchtest du gehen?“
„Wie bitte?“ Lillian fasste sich an ihr Ohr und warf dem Lautsprecher einen genervten Blick zu.
Elena lehnte sich zu ihr und hob den Ton so, dass der gesamte Tisch für einen Moment zu ihr blickte.
„Möchtest du gehen?“
„Das kann nicht dein Ernst sein?“ Antonio legte den Arm um Lillian, welche sich sofort daraus befreite.
„Ich bringe euch beide nachhause, wenn ihr möchtet.“ Arturo musterte sie besorgt.
„Was soll der Unsinn? Niemand möchte nachhause. Wir sind hier um uns zu amüsieren. Die Nacht ist noch jung...“ Elena seufzte leise und warf ihrer Freundin einen Seitenblick zu. „...auÃerdem bist du mir noch einen Tanz schuldig, Arturo.“
„Kannst du überhaupt noch tanzen?“ Antonio blickte spottend auf das Glas vor Lillian.
Sie erhob sich und warf ihm ein süffisantes Lächeln zu. „Mit einem richtigen Mann sicherlich.“
Ein paar seiner Freunde lachten. Antonio warf ihr einen gekränkten Blick zu, befreite sich jedoch schnell wieder aus der Starre. „Wenn du schon erwachsen wärst, würde ich dir schon zeigen, dass ich ein richtiger Mann bin.“
Lillian rollte mit den Augen. „Müssen wir dieses Gespräch tatsächlich fortsetzen?“ Von Elenas besorgten, dunklen Augen gefolgt ging Lillian zur anderen Seite des Tisches und blieb vor Arturo stehen. „Das Lied ist perfekt.“
Er musterte sie kritisch, erhob sich aber schlieÃlich ebenfalls und zog sie zu einer der kleinen Theken.
„Was soll das? Ich will tanzen.“
Er ignorierte sie und schenkte Mercedes, der einzigen weiblichen Barkeeperin des Clubs, ein kurzes Lächeln. „Wir bekommen ein Glas Wasser.“
„Was?“ Lillian schüttelte den Kopf.
Mercedes wandte ihre Augen nicht von Arturo ab, während sie Wasser in das Glas füllte. „Bitte.“ Sie reichte es ihm lächelnd.
„Vielen Dank, Mercedes.“ Er erwiderte ihr Lächeln.
Lillian rollte mit den Augen. „Wer soll das trinken?“
Erneut wurde sie ignoriert. „Wie viel bin ich dir schuldig?“
„Was?“ Mercedes’ Errötung war trotz des sehr gedämpften Lichtes sichtbar. Lillian stieg genervt von einem Fuà auf den anderen. „Entschuldige. Einen Dollar.“
Arturo reichte ihr ein paar Münzen. „Stimmt schon so.“
Sie zählte nach. „Vielen Dank.“
Arturo verabschiedete sich kurz und zog Lillian zu einem der kleinen Stehtische. „Trink das.“ Er reichte ihr das Glas.
„Was soll das? Ich will tanzen, nicht trinken.“
Er seufzte. „Was ist eigentlich los mit dir? Sorgen in Alkohol zu ertränken passt doch sonst so überhaupt nicht zu dir. Wir hätten heute nicht weggehen müssen. Ich hätte meinen Freunden abgesagt und wir hätten einfach zusammen sitzen und reden können.“
„Vielleicht möchte ich das gar nicht. Vielleicht habe ich es satt, dass ihr euch um mich sorgt.“
„Lillian.“ Sein Ton wurde härter. „Trink das.“
Sie runzelte die Stirn und leerte das Glas in einem Zug. „Zufrieden? Und was hat das nun gebracht? Mein Leben ist noch immer ein einziger Scherbenhaufen!“
Er ergriff ihre Hand, sie erzog sie ihm jedoch sogleich.
„Lass mich doch einfach in Ruhe und geh zu dieser Mercedes. Sie wünscht sich gewiss nichts sehnlicher, als dass du es ihr sofort hinter der Theke besorgst.“
Arturo schüttelte den Kopf. „Antonio hatte recht. Du benimmst dich im Moment in der Tat wie ein kleines Mädchen.“ Seine Stimme hob sich. „Ich kann nichts dafür, dass du so viel Leid erfahren musstest. Nicht ich habe es dir zugefügt! Also lass deine Wut nicht an mir aus!“
„Ich bin also nur ein kleines Mädchen für dich? Warum gibst du dich dann eigentlich noch mit mir ab?“
Seine Augen hatten einen kalten Ausdruck bekommen. Er konnte seine Wut nicht mehr zurückhalten. „Was ist eigentlich los mit dir? Ich kann nichts dafür, dass dich deine leiblichen Eltern zur Adoption freigaben und Ana sowie Rosa und Jorge dir das verheimlicht haben! Ich trage keinerlei Schuld an deinem Schmerz!“ Er ignorierte die stummen Tränen, welche über ihre Wangen rannen und fuhr fort. „Elena und ich, wir wollten dir nur helfen, für dich da sein. Aber das lässt du ja nicht zu. Du behandelst Menschen wie es dir gerade passt! Erst lässt du sie sehr nahe ran, dann weist du sie wieder ab und stoÃt sie brutal von dir! Das kannst du nicht machen! Du kannst nicht einmal das Hilfe suchende Mädchen und dann die unnahbare Prinzessin spielen! Verdammt, Lillian, es gibt noch andere Menschen als dich auf der Welt! Und weiÃt du was, gerade nervst du mich gewaltig. Ich hatte dich sehr viel reifer eingeschätzt. Das wird dich jetzt höchst wahrscheinlich belustigen, aber ich hatte sogar einmal geglaubt, dass wir beide zu einer ernsthafteren Beziehung fähig wären, als zu dieser zwielichtigen Geschichte, die wir führen!“
„Was redest du da?! Du willst eine ernsthafte Beziehung führen? Wir schliefen lediglich ein paar Mal mit einander! Das machst du doch auch mit Yolanda, Carla und wahrscheinlich auch mit dieser Mercedes. Wahrscheinlich sind es sogar noch mehr.“
„Es ist mehr als das zwischen uns gewesen, und das weiÃt du. Und ich habe nicht...“ Er hielt inne. „Das hat doch sowieso keinen Sinn! Werde erwachsen. Und lass deine Launen in Zukunft an jemanden anderen aus!“ Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, kehrte er dem Stehtisch den Rücken und ging zurück zum Tisch.
„Warte.“ Brachte Lillian unter Tränen hervor, er hörte es jedoch nicht mehr. Sie fasse sich schluchzend an den Kopf, welcher nun noch mehr zu dröhnen schien als zuvor. Der schwere Druck auf ihrem Herzen nahm ihr die Luft zum Atmen. Lillian rannte aus dem Club und lieà sich auf den kalten, verstaubten Gehsteig sinken. Sie vergrub das Gesicht in den Händen. Ihr Körper zitterte, nicht nur aufgrund der Kühle der Nacht.
„Lillian?“
„Arturo?“ Es war kaum hörbar. Sie hob den Kopf, blickte aber in zwei andere Augen. Dunkle Augen, welche sie höhnisch musterten.
Er reichte ihr die Hand. Sie wusste nicht warum, aber sie lieà sich von ihm hoch ziehen.
„Du erkennst mich doch noch?“
„Natürlich, Ricardo.“ Sie wich dem Blick ihres Exfreundes aus. Die Ãbelkeit in ihrer Magengegend wurde stärker. Sie atmete tief durch.
„Soll ich dich nachhause bringen?“ Er strich ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht.
Sie brachte nur ein leichtes Nicken zustande.
Ricardo musterte sie gleichgültig und schob sie zu seinem Auto. Sie lieà sich langsam in den Sitz sinken, die Augen halboffen ins Leere gerichtet.
Er beobachtete sie Kopf schüttelnd. „War wohl etwas zu viel heute?“
Lillian antwortete nicht.
Ricardo startete den Motor. „Ich hätte mir nach unserer letzten Begegnung nicht gedacht, dass du noch mal in mein Auto steigen würdest. Arturo gefällt das bestimmt nicht.“
„Ist doch egal.“
„Seid ihr denn nicht mehr zusammen?“
Sie presste die Augen zusammen und atmete tief durch. „Bring mich einfach nachhause.“
Er legte die rechte Hand auf ihr Knie. „Die Nacht ist doch noch jung. Wir könnten auf alte Zeiten anstoÃen.“
Sie schob seine Hand erbost von sich. „Lass mich hier aussteigen. Sofort.“
Er grinste. „Sonst was? Du kannst doch nicht einmal mehr deine Augen offen halten! AuÃerdem kann ich es unmöglich verantworten dich hier aussteigen zu lassen. Hier laufen zu viele Kerle herum, die nur auf so ein hübsches Ding wie dich warten.“
„Mir ist sehr schlecht. Wahrscheinlich muss ich mich jeden Moment übergeben. Es wäre dir, und vor allem deinem geliebten Auto, also geraten mich einfach aussteigen zu lassen.“
Ricardo hielt tatsächlich an. Lillian atmete erleichtert auf, als sie den Wohnblock erkannte.
„Denkst du wirklich, irgendein normal denkender Mann hätte dich heute angefasst? Hast du schon mal in den Spiegel geblickt?“ Er lachte verächtlich. „Steig aus. Ich würde mich schämen, würde mich jemand mit dir sehen.“
„Warum hast du mich dann überhaupt mitgenommen?“
Er ging nicht darauf ein. „Sieh der Realität ins Auge, Kleine. Ich hatte das, was ich wollte, schon vor langer Zeit bekommen. Mehr wollte ich nicht. Du gehörst nicht hier her. Die Männer hier werden immer nur eines von dir wollen. Zu mehr bist du nicht zu gebrauchen. Geh zurück nach Brooklyn.“
Lillian öffnete die Autotür und erhob sich zitternd. Sie verwischte die Tränen nicht. „Ich hasse dich. Eines der Dinge, die ich in meinem Leben wirklich bereue, ist dich kennen gelernt zu haben!“ Sie knallte dir Autotür zu.
Ricardo startete sogleich den Motor und fuhr los.
Lillian sank auf die Stufen zu ihrem Wohnhaus. Der Druck im Magen wurde stärker. Sie lehnte sich vor und gab ihm nach. Danach vergrub sie ihr Gesicht schluchzend in den Händen. „Warum hast du mich vor zehn Jahren nicht einfach mitgenommen, Mamá?“ Presste sie unter Tränen hervor. „Warum bin ich nicht mit euch im Auto gesessen?“ Ihre Stimme versagte.
Elena fand sie eine halbe Stunde später in derselben Position vor dem Haus vor. „Lillian!“
Ihre Freundin hob den Kopf.
„Ich bin fast gestorben vor Angst!“ Lillian erkannte Elenas geröteten Augen im schwachen Schein der StraÃenlaterne. Ihre Freundin setzte sich eilig zu ihr und schloss sie in die Arme. „Wie bist du hergekommen?“
„Ricardo hat mich heimgeführt.“
„Wie bitte?“ Elena blickte sie verständnislos an. „Von Arturo nimmst du keine Hilfe an, aber von Ricardo lässt du dich heimführen? Hast du schon vergessen, was er dir vor über einem Jahr angetan hat?“ Ihre Augen weiteten sich erschrocken. „Er hat doch nicht wieder...“
„Nein!“ Lillian fuhr ihr ins Wort. „Er...er hat mich nur heimgebracht.“ Ihre Stimme zitterte. Sie verschwieg das Gespräch, zu sehr schmerzte es sie.
Elena schüttelte den Kopf und musterte ihre Freundin besorgt. „Ich glaube es einfach nicht, dass du dich von ihm hast nachhause bringen lassen.“
„Ich...ich musste einfach nur weg.“ Lillians Augen tränten erneut.
Ihre Freundin nickte. „Du hättest Arturo fragen können. Oder einen von den anderen. Aber ausgerechnet Ricardo...“
„Er hat es angeboten.“
Elena seufzte leise. „Ich bin froh, dass nichts passiert ist.“
„Dafür wäre ich ihm nicht mehr gut genug gewesen. Arturo bin ich auch nicht mehr gut genug.“ Sie vergrub ihr Gesicht schluchzend an Elenas Brust. Diese strich ihr sanft über den Kopf. „Was redest du denn da? Er sorgt sich so sehr um dich.“
„Wir haben gestritten. Er ist wütend auf mich und möchte nichts mehr mit mir zu tun haben...“ Presste sie unter Tränen hervor.
„Ach SüÃe, ich denke, das alles war einfach nur zuviel für dich. Das wird auch Arturo verstehen. Er ist auch nur ein Mann. Lass ihn ausspinnen, dann kommt er ganz von selbst wieder. Glaub mir.“
Lillian schüttelte den Kopf. „Das wird er nicht.“ Sie löste sich von ihrer Freundin. „Und ich kann es ihm nach dem heutigen Abend noch nicht einmal verübeln.“ Sie erhob sich zitternd. „Ich kann so nicht hinein gehen.“ Sie blickte verzweifelt auf die Eingangstür. „GroÃmutter bekommt einen Herzinfarkt, wenn sie mich so sieht.“
„Uns fallt schon etwas ein.“ Elena schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und erhob sich ebenfalls. Sie ergriff die Hand ihrer Freundin und drückte sie.
„Wie bist du eigentlich her gekommen?“
Elena rang mit sich selbst. „Arturo hat mich geführt.“ Antwortete sie schlieÃlich wahrheitsgemäÃ. „Er bringt Pedro heim, dann holt er mich von hier um mich zu meiner Wohnung zu fahren.“
Lillian atmete tief durch und nickte leicht. Er war nicht zu ihr gekommen. Es hatte ihn nicht interessiert, was passiert war. Wie sie nachhause gekommen war.
Als sie die Wohnung betraten, fanden sie Ana und Emilio schlafend auf der Couch vor.
„Geh ins Bad.“ Sagte Elena schnell und umarmte ihre Freundin kurz. Diese folgte schweigend.
Lillian drehte zitternd das Licht auf. Sie schloss die Tür und ging zum Spiegel, welcher über dem Waschbecken angebracht war. Ein Schreck erfasste sie, als sie ihr Spiegelbild wahrnahm. Ihre Augen waren stark geschwollen, ihr Haar zersaust, ihre Haut blasser als sonst. Rosa würde sich schämen. Lillian gelang es nur mühsam die Tränen zu unterdrücken.
Sie wusch das Gesicht mit kaltem Wasser und trug etwas Make up auf. Als sie das Nebenzimmer betrat, schien es, als wären Ana und Emilio erst gerade erwacht. Sie warf Elena einen dankbaren Blick zu.
Als ihre Freundin mit ihrem kleinen Sohn gegangen war, ging Ana sogleich zu Bett.
Lillian sank auf ihr Sofa. Sie ignorierte die Notiz, welche Ana auf einen Zettel geschrieben und auf den kleinen Tisch gelegt hatte und stand nochmals auf um den dicken Umschlag aus dem kleinen Kasten zu holen. Zitternd sank sie wieder auf den weichen Stoff und zog den Schnellhefter aus dem Kuvert. Es waren sehr viele Seiten, mit Sarahs fein geschwungener Schrift. Lillian atmete tief durch, als sie begann die ersten Worte zu lesen.
Edit: Hab noch einen kurzen Teil geschrieben. Ich hoffe, er gefällt euch.
25. Teil
Pasadena
Penelope beobachtete ihren Enkelsohn lächelnd. Es war schon zehn Uhr Abends, er sollte eigentlich schon längst schlafen. Aber mit seinem Charme war es ihm gelungen, seine GroÃmutter davon überzeugen, etwas länger fernsehen zu dürfen. Nach dem Film hatte ihm Penelope noch aus seinem Lieblingsbuch vor gelesen. Obwohl Nick sich heftig dagegen gewehrt hatte, waren ihm schlieÃlich seine müden Augen zugefallen und er war eingeschlafen.
Penelope küsste ihn sanft auf die Stirn und machte die Nachtischlampe aus. Leise verlieà sie das Kinderzimmer und sank in ihren Schaukelstuhl im Gästezimmer. Darlene und Chris würden bald zurückkommen. Sie kamen niemals später als halb elf Uhr nachhause. Penelope lächelte. Sie vergötterte ihre Schwiegertochter. Noch mehr liebte sie aber Chris, welcher seinem Vater, James, so glich. Es war niemals ein Problem für sie gewesen, dass sie mit ihrer groÃen Liebe keine eigenen Kinder mehr bekommen hatte können. Sie hatte den damals bereits zwanzigjährigen Chris sofort in ihr Herz geschlossen und ihn als ihren Sohn angenommen. Auch für ihn war sie mehr Mutter, als seine leibliche, welche vor vielen Jahren einfach wortlos gegangen und niemals zurückgekehrt war.
Penelope griff nach dem Brief in ihrer Rocktasche, welchen sie vor wenigen Tagen erhalten hatte. Sie faltete ihn auseinander und las ihn erneut. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster, auf die grüne Palmenallee. Penelope seufzte leise, als sie an ihre Vergangenheit dachte. Sie war schon achtundvierzig gewesen, als sie ihrer Heimat den Rücken gekehrt hatte. Ein Teil ihres Herzens war jedoch immer in Südamerika geblieben. Trotz der Vorfälle ihrer letzten Jahre. Sie blickte erneut auf die schwarze Tinte und dachte an Salvador. Was für ein gut aussehender und charmanter Mann er doch gewesen war. Wie gut er sie und wie schlecht er seine eigene Frau doch behandelt hatte. Nach einem schweren Schicksalsschlag war Penelope in sehr jungen Jahren in den Haushalt Salvador Dominguez’ eingetreten. Penelope verband sehr zwiespältige Gefühle mit dieser Zeit. Sie hatte sowohl als Kindermädchen, als auch später als Haushaltshilfe, beinahe dreiÃig Jahre dort gearbeitet. Penelope hatte eine sehr innige Beziehung zu den Kindern gehabt, besonders zu Salvadors jüngstem Sohn, dessen unterschiedliche Lebensphasen sie miterlebt hatte. Seine Geburt, seine ersten Schritte, seine Schulzeit, sein Eintritt ins Berufsleben und schlieÃlich seine Hochzeit, sowie die Geburt seines Kindes. Penelope runzelte die Stirn und seufzte leise. Er war Salvador am ähnlichsten. Immer hatte er nach Höherem gestrebt, war süchtig nach Besitz und Prestige gewesen. Dinge schienen ihn nur so lange interessiert zu haben, bis er sie schlieÃlich besessen hatte. Er war ständig auf der Suche gewesen. Hatte in einer Welt gelebt, welche er sich selbst kreiert hatte. Es war seine Ãberlebensstrategie gegen den mächtigen, dunklen Schatten seines Vaters gewesen. Penelopes Augen tränten, als sie auf den Brief blickte. Die Sätze waren sehr kurz gehalten. Salvador war vor wenigen Monaten, im Alter von siebzig Jahren, verstorben. Sein jüngster Sohn hatte sie in kurzen, unpersönlichen Sätzen davon in Kenntnis gesetzt und um ein Treffen gebeten. Penelope strich über die Briefmarke des Kuverts, welches sie ebenfalls noch in ihrer Rocktasche aufbewahrt hatte. Der Poststempel war einfach zu entziffern. Los Angeles. War er absichtlich vor wenigen Jahren in ihre Nähe gezogen? Sie war ihm schlieÃlich mehr Mutter gewesen, als seine leibliche es ihm jemals hätte sein können. Penelope dachte an ihre letzte Begegnung und wunderte sich, dass er sich überhaupt dazu überwinden hatte können, wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ein eiskalter Schauer rann über ihren Rücken, als sie sich dem Ausdruck seiner Augen entsann. Penelope dachte an das Mädchen mit dem goldenen Haar. Sie seufzte leise. Sarah hatte versprochen zu schreiben. Ihr mitzuteilen, wo sie war, wie es ihr ging. Penelope hatte ihr die Adresse einer vertrauenswürdigen Freundin gegeben. Doch kein Brief war jemals zu María gelangt. Penelopes Augen begannen zu tränen. Sie hatte alles in ihrer Macht stehende für die junge Frau und das Kind getan, doch offenbar kläglich versagt. Es verging kein Tag, an dem sie nicht mit Angst daran dachte, was ihnen wohl passiert sein konnte.