14.02.2007, 17:22
Hallo meine SüÃen :knuddel:
Vielen Dank für eure Feedbacks! Hab mich so darüber gefreut! Schön, dass euch die Teile so gut gefallen haben!
Ja, klar Gleich vorweg, es sind nicht alle vorgekommenen Personen für die weitere Handlung wichtig, bzw. es kommen manche (wie z.B. Mercedes) auch kaum mehr vor. Ich werde jetzt Mal die handlungstragenden Personen, die man bis jetzt schon kennt, auflisten. Bestimmte Infos lasse ich aber noch bewusst weg
Ich hab weitergeschrieben, hoffe, euch gefällt der neue Teil. Freue mich wieder sehr auf eure Feedbacks!
*hel* Bussi Selene
26. Teil
Lillian
Spanish Harlem
Lillians Finger zitterten. Sie fuhr sich über die brennenden Augen und fixierte erneut die geschwungenen Buchstaben. Worte einer Frau, welche sich als ihre leibliche Mutter bezeichnete. Lillian dachte an Rosa und Jorge. Würden sie es wollen, dass sie die Schriften las? Wollte sie selbst die Worte, welche eine fremde Frau an sie richtete, überhaupt kennen?
Ein schmerzhafter Druck umfasste Lillians Herz. Sie las nur eine der Seiten. Immer und immer wieder. Der Inhalt änderte sich nicht.
Meine liebste Tochter,
Du ahnst nicht, wie schwer es mir fällt, diese Worte zu schreiben. Ich möchte dir so viel sagen, doch ich weià nicht wie. Ich weià nicht, wo ich beginnen könnte.
Vielleicht beginne ich mit dem schönsten Tag meines Lebens.
Du bist in den frühen Morgenstunden eines kühlen Junitags geboren. Der Himmel war sternenklar. Ein sanfter Wind wehte durch die dicken Blätter der Palmen.
Penelope, meine geliebte Freundin und Vertraute, war bei deiner Geburt dabei. Auch dein Vater erschien pünktlich. Seine Augen funkelten vor Freude, als die Krakenschwester dich ihm reichte. Ich durfte dich erst danach halten.
Es war ein wunderbares Gefühl dich in meinen Armen zu wiegen. Du warst so klein und zart. Ich hatte stets das Gefühl dich vor allem, jeder kleinen Fliege, schützen zu müssen.
Dein Vater konnte es kaum erwarten, dich nachhause zu bringen um dir dein Kinderzimmer zu zeigen. Auf deinem Gitterbett hing ein kleines Schild, welches die jüngste Tochter Isabels - deine Cousine Alicia - gebastelt hatte. Darauf waren bunte Tiere, Sonne und Mond gezeichnet. Darüber hatte ihr älterer Bruder, Miguel, deinen vollen Namen in goldenen Lettern geschrieben: Lillian Penelope Dominguez Turunen.
Turunen war der Mädchenname meiner Mutter, Maja. Ich hatte diesen nach der Scheidung meiner Eltern angenommen. Dabei hatte ich es auch belassen, nachdem sie ein zweites Mal geheiratet hatten, aber ich möchte dir für den Anfang nicht zu viel zumuten. Unsere Familiengeschichte ist lange und kompliziert, und du sollst nur das Wichtigste erfahren.
Deine GroÃeltern väterlicherseits, Emilia und Salvador, kamen wenige Stunden nach deiner Geburt in das Krankenhaus nach Bogotá um dich zu begrüÃen. Kurz danach folgten deine Tante Isabel und deine Onkeln mit ihren Familien. Auch die Freunde deines Vaters und deren Frauen lieÃen nicht lange auf sich warten. Alle berührten sie deinen weiÃen Porzellanteint und dein helles Haar. Sie sprachen mit dir, und auch wenn du ihnen nicht antworten konntest, du schienst jedes einzelne Wort verstanden zu haben.
Als sie am Nachmittag essen gingen und mich zwei Stunden mit dir alleine lieÃen, sang ich dir das Lied vor, welches ich schon von meiner Mutter gelernt hatte. Diese hatte es einst von meiner GroÃmutter, Ilse Turunen, gelernt.
Es war ein vollkommener und wunderschöner Tag. Als du mich abends anlächeltest, hatte er sein perfektes Ende gefunden.
Viele Frauen sagen, eine Geburt wäre schmerzvoll und grausam. Doch ich empfand es als unglaubliches Wunder.
Du bist ein Wunder, geliebte Tochter. Ich hoffe, dass du deinen Weg gehen kannst und nicht meine Fehler wiederholen wirst.
Sei stark, Lillian. Träume, aber vergiss dabei niemals zu leben.
Lillian presste die Augen zusammen und schlug den Schnellhefter zu. Sie war die Tochter von Rosa und Jorge. Lillian gab die Schriften zurück in den kleinen Kasten und sank wieder auf das Sofa. Wer war diese Frau, welche sich ihre Geschichte von der Seele geschrieben hatte um sich für ihre Entscheidung rechtzufertigen? Vermischte Gefühle umfassten Lillians Herz. Erneut wünschte sie zu erwachen. Aus dem dunklen Alptraum. Sie wollte wieder sieben Jahre alt sein. Mit ihren geliebten Eltern am Wohnzimmertisch sitzen und stundenlang Brettspiele spielen. Musik hören und lachen. Den Geschichten ihrer Mutter lauschen.
Warum hatten sie es ihr verschwiegen? Warum hatte Sarah sie weggegeben? Laut der ersten Seite ihrer Schriften hatte es doch Menschen gegeben, welche sie gewollt, geliebt hatten. Hatte Sarah aus reinem Egoismus gehandelt? Was war geschehen?
Lillian dachte an die langen Abende vor dem Kamin. Rosa hatte sie in ihren Armen gehalten. Sie liebevoll auf die Stirn geküsst und erzählt. War das alles nur Illusion gewesen?
Lillian hatte ihre Eltern stets bewundert, zu ihnen aufgeschaut. Ihr Herzenswunsch war es gewesen, so wie Rosa zu werden, obwohl sie stets gewusst hatte, dass sie ihr niemals würde das Wasser reichen können. Auch Anas Tochter war nur ein Mensch gewesen, mit Fehlern. Doch diese Tatsache konnte Lillians Herz nicht akzeptieren, wenn auch ihr Verstand anders darüber zu denken vermochte. Mit Rosa und Jorge hatte sie stets eine vergangene Zeit verbunden, welche makellos und himmlisch gewesen war. Sie war glücklich gewesen. Nicht einmal acht Jahre ihres Lebens war ihr dieses Glück vergönnt gewesen. Lillian war nie wieder nach Brooklyn gefahren. Sie vermied es so weit wie möglich über ihre Eltern zu sprechen. Zu sehr schmerzte sie der Verlust. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie geglaubt hatte, jede Sekunde an dem Druck ihres Herzens ersticken zu müssen. Sie hatte gespürt, wie sich die schweren Seile fester um ihr immer schwächer pumpendes Herz gezogen hatten. Sie hatten es in tiefe Gewässer gerissen. Dunkle Gewässer, ohne Grund. Das salzige Wasser war in ihre Lungen gedrungen, sie war ohnmächtig geworden. In einem gewissen Sinne war sie aus dieser Ohnmacht niemals erwacht. Lillian konnte nicht vergessen zu leben. Ein Teil von ihr hatte vor zehn Jahren beschlossen damit aufzuhören.
Blut rann über ihr linkes Handgelenk. Sie lockerte die Faust nicht. Lillian spürte keinen Schmerz mehr. Genauso wenig wie die heiÃen Tränen, welche auf ihr Kleid tropften. Das Kleid Rosas.
Lillian war alleine gewesen. In dem Auto. Die Frauen, welche sie abgeholt hatten um sie nach Spanish Harlem zu bringen, hatten sich Kaffee geholt und das Mädchen einfach im Auto gelassen. Lillian hatte sich auf dem Parkplatz umgesehen. Zuletzt war sie dort zwei Tage zuvor mit ihrem Vater gewesen. Jorge und sie hatten in dem Cafe gegessen. Lillian hatte die Menschen beobachtet, welche an dem Fenster des Autos vorbei gingen. Kinder mit ihren Eltern. Die Frauen des Jugendamtes waren erst nach Jahren, so schien es, zurückgekommen.
âWo ist Mamá? Wo ist Papá? Fahren wir zu ihnen?â
Die Beamtinnen hatten einen Blick gewechselt. âWir fahren zu deiner Grandma.â
âSind Mamá und Papá dort?â
Lillian atmete tief durch. Sie zitterte, als sie an den Blick der älteren der beiden Frauen dachte. Ihre Stimme. âJa.â Sie hatten es zu Anas Aufgabe gemacht.
Das Vertrauen Lillians in Menschen war mit diesem Tag sehr abgeschwächt.
Ihr Herz hatte blutend in salzigen Gewässern getrieben, als es den scheinbar einzigen Rettungsanker gefunden hatte. Lillian hatte eine schützende Mauer errichtet. Um überleben zu können. Sie hatte überlebt, hatte es jedoch in gewisser Weise auch nicht.
Lillian dachte an Ana. Ihre GroÃmutter hatte ihr alles gegeben, war stets für sie da gewesen. Doch so würde es nicht immer sein können, das wusste Lillian.
Sie dachte an Elena, ihre beste Freundin. Niemals würde sie ihr das zurückgeben können, was sie von ihr erhalten hatte.
Sie dachte an Arturo. Sie kannten sich schon lange, ihre erste bewusste Begegnung hatte jedoch erst vor über einem Jahr statt gefunden. Es war eine verregnete Nacht gewesen. Sie hatte mit Ricardo Schluss gemacht. Er hatte sie schlecht behandelt, sie nur ausgenützt, über sechs Monate lang. Es war ihr zu spät bewusst geworden. Ricardo hatte vorgegeben, sie wirklich zu lieben. Lillian hatte ihr Herz begonnen zu öffnen, nur ein wenig, dennoch war es zu viel gewesen. In jener Nacht hatte sie die Beziehung beendet und damit seinen Stolz verletzt. Sie hatten auf offener StraÃe lautstark gestritten. Da sie ihm verbal überlegen war, hatte er versucht sich mit den einzigen Waffen zu wehren, die er besessen hatte. Arturo hatte sie in der dunklen Seitengasse entdeckt, er war gerade von einem Treffen mit Freunden gekommen. Er hatte sich für Lillian eingesetzt und das Schlimmste verhindert. Sie waren danach Stunden lang in dem kleinen Laden gesessen und hatten geredet. Seitdem hatten sie sich immer häufiger getroffen. Immer mehr Gemeinsamkeiten entdeckt. Lillians Herz hatte wieder gewagt sich zu öffnen. Dennoch, der Verlust ihrer Eltern und die Beziehung mit Ricardo hatten es zu sehr verletzt um die wachsenden Gefühle wirklich zu lassen zu können. Lillian hatte Angst. Angst vor Schmerz. Vor allem aber Angst davor wieder alleine gelassen zu werden. Sie schluchzte, als sie an die letzte Begegnung mit Arturo dachte. Er hatte mit jedem Wort recht gehabt, das wusste sie. Er hatte sie verlassen, bevor sie ihre tatsächlichen Gefühle zu ihm hatte verstehen können.
Vielen Dank für eure Feedbacks! Hab mich so darüber gefreut! Schön, dass euch die Teile so gut gefallen haben!
Lava schrieb:kannst du vll,wenn du zeit hast irgendwann mal so eine übersicht machen?das wäre echt nett von dir
Ja, klar Gleich vorweg, es sind nicht alle vorgekommenen Personen für die weitere Handlung wichtig, bzw. es kommen manche (wie z.B. Mercedes) auch kaum mehr vor. Ich werde jetzt Mal die handlungstragenden Personen, die man bis jetzt schon kennt, auflisten. Bestimmte Infos lasse ich aber noch bewusst weg
- Sarah: leibliche Mutter Lillians
- Maja: Sarahs Mutter
- Ilse: Sarahs GroÃmutter
- Eduardo: Sarahs Freund
- Penelope: Sarahs Freundin, ehemalige Haushälterin der Dominguez
- Salvador und Emilia: Schwiegereltern Sarahs
- Oksana: arbeitete im Krankenhaus, in welchem auch ihre Mutter tätig war, als Sarah Lillian im November 1982 zu ihnen brachte. Diese vetraute ihr einen Umschlag an und bat um Wahrung ihrer Anonymität
- Alex: Oksanas Ehemann
- Rosa und Jorge: Lillians Adoptiveltern
- Ana: Mutter Rosas
- Arturo, Elena, Antonio: Freunde Lillians
- Emilio: Sohn Elenas
- Ricardo: Lillians Exfreund
- Yolanda: Bekannte Lillians. Ihre Familie ist mit jener Arturos befreundet
Ich hab weitergeschrieben, hoffe, euch gefällt der neue Teil. Freue mich wieder sehr auf eure Feedbacks!
*hel* Bussi Selene
26. Teil
Lillian
Spanish Harlem
Lillians Finger zitterten. Sie fuhr sich über die brennenden Augen und fixierte erneut die geschwungenen Buchstaben. Worte einer Frau, welche sich als ihre leibliche Mutter bezeichnete. Lillian dachte an Rosa und Jorge. Würden sie es wollen, dass sie die Schriften las? Wollte sie selbst die Worte, welche eine fremde Frau an sie richtete, überhaupt kennen?
Ein schmerzhafter Druck umfasste Lillians Herz. Sie las nur eine der Seiten. Immer und immer wieder. Der Inhalt änderte sich nicht.
Meine liebste Tochter,
Du ahnst nicht, wie schwer es mir fällt, diese Worte zu schreiben. Ich möchte dir so viel sagen, doch ich weià nicht wie. Ich weià nicht, wo ich beginnen könnte.
Vielleicht beginne ich mit dem schönsten Tag meines Lebens.
Du bist in den frühen Morgenstunden eines kühlen Junitags geboren. Der Himmel war sternenklar. Ein sanfter Wind wehte durch die dicken Blätter der Palmen.
Penelope, meine geliebte Freundin und Vertraute, war bei deiner Geburt dabei. Auch dein Vater erschien pünktlich. Seine Augen funkelten vor Freude, als die Krakenschwester dich ihm reichte. Ich durfte dich erst danach halten.
Es war ein wunderbares Gefühl dich in meinen Armen zu wiegen. Du warst so klein und zart. Ich hatte stets das Gefühl dich vor allem, jeder kleinen Fliege, schützen zu müssen.
Dein Vater konnte es kaum erwarten, dich nachhause zu bringen um dir dein Kinderzimmer zu zeigen. Auf deinem Gitterbett hing ein kleines Schild, welches die jüngste Tochter Isabels - deine Cousine Alicia - gebastelt hatte. Darauf waren bunte Tiere, Sonne und Mond gezeichnet. Darüber hatte ihr älterer Bruder, Miguel, deinen vollen Namen in goldenen Lettern geschrieben: Lillian Penelope Dominguez Turunen.
Turunen war der Mädchenname meiner Mutter, Maja. Ich hatte diesen nach der Scheidung meiner Eltern angenommen. Dabei hatte ich es auch belassen, nachdem sie ein zweites Mal geheiratet hatten, aber ich möchte dir für den Anfang nicht zu viel zumuten. Unsere Familiengeschichte ist lange und kompliziert, und du sollst nur das Wichtigste erfahren.
Deine GroÃeltern väterlicherseits, Emilia und Salvador, kamen wenige Stunden nach deiner Geburt in das Krankenhaus nach Bogotá um dich zu begrüÃen. Kurz danach folgten deine Tante Isabel und deine Onkeln mit ihren Familien. Auch die Freunde deines Vaters und deren Frauen lieÃen nicht lange auf sich warten. Alle berührten sie deinen weiÃen Porzellanteint und dein helles Haar. Sie sprachen mit dir, und auch wenn du ihnen nicht antworten konntest, du schienst jedes einzelne Wort verstanden zu haben.
Als sie am Nachmittag essen gingen und mich zwei Stunden mit dir alleine lieÃen, sang ich dir das Lied vor, welches ich schon von meiner Mutter gelernt hatte. Diese hatte es einst von meiner GroÃmutter, Ilse Turunen, gelernt.
Es war ein vollkommener und wunderschöner Tag. Als du mich abends anlächeltest, hatte er sein perfektes Ende gefunden.
Viele Frauen sagen, eine Geburt wäre schmerzvoll und grausam. Doch ich empfand es als unglaubliches Wunder.
Du bist ein Wunder, geliebte Tochter. Ich hoffe, dass du deinen Weg gehen kannst und nicht meine Fehler wiederholen wirst.
Sei stark, Lillian. Träume, aber vergiss dabei niemals zu leben.
Lillian presste die Augen zusammen und schlug den Schnellhefter zu. Sie war die Tochter von Rosa und Jorge. Lillian gab die Schriften zurück in den kleinen Kasten und sank wieder auf das Sofa. Wer war diese Frau, welche sich ihre Geschichte von der Seele geschrieben hatte um sich für ihre Entscheidung rechtzufertigen? Vermischte Gefühle umfassten Lillians Herz. Erneut wünschte sie zu erwachen. Aus dem dunklen Alptraum. Sie wollte wieder sieben Jahre alt sein. Mit ihren geliebten Eltern am Wohnzimmertisch sitzen und stundenlang Brettspiele spielen. Musik hören und lachen. Den Geschichten ihrer Mutter lauschen.
Warum hatten sie es ihr verschwiegen? Warum hatte Sarah sie weggegeben? Laut der ersten Seite ihrer Schriften hatte es doch Menschen gegeben, welche sie gewollt, geliebt hatten. Hatte Sarah aus reinem Egoismus gehandelt? Was war geschehen?
Lillian dachte an die langen Abende vor dem Kamin. Rosa hatte sie in ihren Armen gehalten. Sie liebevoll auf die Stirn geküsst und erzählt. War das alles nur Illusion gewesen?
Lillian hatte ihre Eltern stets bewundert, zu ihnen aufgeschaut. Ihr Herzenswunsch war es gewesen, so wie Rosa zu werden, obwohl sie stets gewusst hatte, dass sie ihr niemals würde das Wasser reichen können. Auch Anas Tochter war nur ein Mensch gewesen, mit Fehlern. Doch diese Tatsache konnte Lillians Herz nicht akzeptieren, wenn auch ihr Verstand anders darüber zu denken vermochte. Mit Rosa und Jorge hatte sie stets eine vergangene Zeit verbunden, welche makellos und himmlisch gewesen war. Sie war glücklich gewesen. Nicht einmal acht Jahre ihres Lebens war ihr dieses Glück vergönnt gewesen. Lillian war nie wieder nach Brooklyn gefahren. Sie vermied es so weit wie möglich über ihre Eltern zu sprechen. Zu sehr schmerzte sie der Verlust. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie geglaubt hatte, jede Sekunde an dem Druck ihres Herzens ersticken zu müssen. Sie hatte gespürt, wie sich die schweren Seile fester um ihr immer schwächer pumpendes Herz gezogen hatten. Sie hatten es in tiefe Gewässer gerissen. Dunkle Gewässer, ohne Grund. Das salzige Wasser war in ihre Lungen gedrungen, sie war ohnmächtig geworden. In einem gewissen Sinne war sie aus dieser Ohnmacht niemals erwacht. Lillian konnte nicht vergessen zu leben. Ein Teil von ihr hatte vor zehn Jahren beschlossen damit aufzuhören.
Blut rann über ihr linkes Handgelenk. Sie lockerte die Faust nicht. Lillian spürte keinen Schmerz mehr. Genauso wenig wie die heiÃen Tränen, welche auf ihr Kleid tropften. Das Kleid Rosas.
Lillian war alleine gewesen. In dem Auto. Die Frauen, welche sie abgeholt hatten um sie nach Spanish Harlem zu bringen, hatten sich Kaffee geholt und das Mädchen einfach im Auto gelassen. Lillian hatte sich auf dem Parkplatz umgesehen. Zuletzt war sie dort zwei Tage zuvor mit ihrem Vater gewesen. Jorge und sie hatten in dem Cafe gegessen. Lillian hatte die Menschen beobachtet, welche an dem Fenster des Autos vorbei gingen. Kinder mit ihren Eltern. Die Frauen des Jugendamtes waren erst nach Jahren, so schien es, zurückgekommen.
âWo ist Mamá? Wo ist Papá? Fahren wir zu ihnen?â
Die Beamtinnen hatten einen Blick gewechselt. âWir fahren zu deiner Grandma.â
âSind Mamá und Papá dort?â
Lillian atmete tief durch. Sie zitterte, als sie an den Blick der älteren der beiden Frauen dachte. Ihre Stimme. âJa.â Sie hatten es zu Anas Aufgabe gemacht.
Das Vertrauen Lillians in Menschen war mit diesem Tag sehr abgeschwächt.
Ihr Herz hatte blutend in salzigen Gewässern getrieben, als es den scheinbar einzigen Rettungsanker gefunden hatte. Lillian hatte eine schützende Mauer errichtet. Um überleben zu können. Sie hatte überlebt, hatte es jedoch in gewisser Weise auch nicht.
Lillian dachte an Ana. Ihre GroÃmutter hatte ihr alles gegeben, war stets für sie da gewesen. Doch so würde es nicht immer sein können, das wusste Lillian.
Sie dachte an Elena, ihre beste Freundin. Niemals würde sie ihr das zurückgeben können, was sie von ihr erhalten hatte.
Sie dachte an Arturo. Sie kannten sich schon lange, ihre erste bewusste Begegnung hatte jedoch erst vor über einem Jahr statt gefunden. Es war eine verregnete Nacht gewesen. Sie hatte mit Ricardo Schluss gemacht. Er hatte sie schlecht behandelt, sie nur ausgenützt, über sechs Monate lang. Es war ihr zu spät bewusst geworden. Ricardo hatte vorgegeben, sie wirklich zu lieben. Lillian hatte ihr Herz begonnen zu öffnen, nur ein wenig, dennoch war es zu viel gewesen. In jener Nacht hatte sie die Beziehung beendet und damit seinen Stolz verletzt. Sie hatten auf offener StraÃe lautstark gestritten. Da sie ihm verbal überlegen war, hatte er versucht sich mit den einzigen Waffen zu wehren, die er besessen hatte. Arturo hatte sie in der dunklen Seitengasse entdeckt, er war gerade von einem Treffen mit Freunden gekommen. Er hatte sich für Lillian eingesetzt und das Schlimmste verhindert. Sie waren danach Stunden lang in dem kleinen Laden gesessen und hatten geredet. Seitdem hatten sie sich immer häufiger getroffen. Immer mehr Gemeinsamkeiten entdeckt. Lillians Herz hatte wieder gewagt sich zu öffnen. Dennoch, der Verlust ihrer Eltern und die Beziehung mit Ricardo hatten es zu sehr verletzt um die wachsenden Gefühle wirklich zu lassen zu können. Lillian hatte Angst. Angst vor Schmerz. Vor allem aber Angst davor wieder alleine gelassen zu werden. Sie schluchzte, als sie an die letzte Begegnung mit Arturo dachte. Er hatte mit jedem Wort recht gehabt, das wusste sie. Er hatte sie verlassen, bevor sie ihre tatsächlichen Gefühle zu ihm hatte verstehen können.