21.08.2007, 20:42
Zitat:Ich möchte die Rede!Na gut... Ausnahmsweise! :wink:
Ist (für die Verhältnisse dieser FF) sogar ein richtig langes Kapitel!
18. Kapitel
„Als Jess nach Stars Hollow kam, habe ich einen entscheidenden Fehler begangen. Ich habe nicht auf mein Herz gehört. Ich hatte damals einen Freund, den ich zwar geliebt hatte und mit dem ich auch sehr glücklich war, allerdings wusste ich schon kurz nach unserem ersten, groÃen Streit, dass es nicht diese Art von Beziehung war, die ich wollte. Ich war damals sechzehn und er war mein erster fester Freund gewesen, ich hatte also noch nicht einmal Vergleichsmöglichkeiten gehabt, aber trotzdem wusste ich, dass in unserer Partnerschaft etwas fehlte.
Ein Jahr später kam Jess. Ich hatte immer noch denselben Freund, es lief noch immer gut, aber es war auch noch immer nicht perfekt. Als ich diesen Neuankömmling zum ersten Mal gesehen hatte, war er mir, als eine der wenigen, von Anfang an sympathisch. Ich hörte ständig, er wäre so ein Schläger und Säufer, würde stehlen und randalieren, wäre unfreundlich und egoistisch, hatte zu Hause viele Probleme und war deshalb zu seinem Onkel geschickt worden. Zu mir war er nie so.
Wir hatten im Laufe der wenigen Jahre, die wir miteinander verbringen durften, einige Streits, die sicher nicht immer schön waren, aber er hatte mich immer gut behandelt. Vom ersten Tag an. Während er zu anderen unhöflich war, und sich nicht um sie kümmerte, hatte er immer dafür gesorgt, dass es mir gut ging, dass ich mich wohl fühlte, auch wenn er meinen damaligen Freund - schon bald erkannte ich, es war seine volle Absicht gewesen - damit sehr eifersüchtig machte, was unsere Beziehung öfters fast kippen lieÃ.
Mit Jess war mir nie langweilig geworden. Wir hatten in weiten Bereichen dieselben Interessen, was auf meinen Freund nicht zutraf, konnten über dieselben Dinge lachen - und waren uns trotzdem ständig ein wenig fremd geblieben. Er hatte mir nie viel über seine Kindheit in New York erzählt, oder was er machte, wenn er nachts unterwegs war. Er wollte nie darüber reden, was ich immer akzeptierte und hinnahm, um ihn mit meiner ständigen Fragerei nicht noch zu verärgern. Aber jetzt, im nachhinein, sehe ich, dass es der völlig falsche Weg war. Ich hätte nachhaken müssen, wenn ich etwas wissen wollte, ich hätte mich mehr bemühen müssen, etwas aus ihm herauszukriegen. Nun werde ich vieles wohl nie mehr erfahren, was mich traurig macht.
Aber dieser Tag ist schon traurig genug, ich will es nicht noch verschlimmern. Ich hatte wunderschöne Zeiten mit Jess. Das erste Jahr, indem ich noch mit meinem Freund zusammen war, hatte er wo es nur ging versucht, mich eifersüchtig zu machen, was auch beinahe jedes Mal gewirkt hatte. Ich wurde halb wahnsinnig, wenn ich ihn mit irgendeiner nutzlosen, labilen Tussi umherziehen und knutschen sah. Ich dachte mir, so ein minderbemitteltes Etwas hatte er nicht verdient, er war viel mehr wert, aber trotzdem brachte ich es nicht übers Herz, mich von meinem Freund zu trennen, was er schlieÃlich selbst erledigte. Er machte in aller Ãffentlichkeit mit mir Schluss, fuhr mich an, dass jeder kapiert hatte, dass Jess und ich uns liebten, und er keine Lust mehr auf diese Spielchen hatte.
Ich wusste immer, dass es genau das war, was ich mit ihm abzog. Spielchen. Und ich wusste auch, dass es ihm gegenüber alles andere als fair war. Aber ich war damals eben nicht der Mensch, der einfach mal mit seinem Freund Schluss machte, und sich gleich dem nächsten an den Hals schmiss, obwohl es im Endeffekt genauso kam. Dean, mein Freund, hatte mit mir Schluss gemacht, und keine Stunde, nicht einmal eine halbe, später, war Jess mein neuer Partner.
Ich war damals so glücklich. Ich liebte ihn einfach. Wir hatten eine schwierige Beziehung, eben weil er nicht gerne und lange redete, aber ich ständig alles wissen wollte. Schon bald hatten wir unsere ersten Streits, aber ich kam nie von ihm los, wollte es auch gar nicht.
Nach einem knappen Jahr verdichteten sich unsere Probleme. Er hatte Schulprobleme, welche er mir natürlich nicht anvertraute, dann kamen auch noch private dazu. Und eines Tages verschwand er, ohne etwas zu sagen. Ich hatte ihn an diesem Tag noch morgens im Bus getroffen, er sagte mir, er ruft mich an. Im Grunde genommen hatte er auch sein Wort gehalten, er hatte mich oft angerufen, war aber immer zu feige gewesen etwas zu sagen, und legte wieder auf. Am Tag meiner Abschlussfeier rief er mich wieder an. Ich hatte schon lange den Verdacht gehabt, dass dieser stille Anrufer Jess war. Ich machte an diesem Tag am Telefon mit ihm Schluss. Ich hielt es nicht mehr aus, dass er nie den Mund aufmachte und immer nur vor seinen Problemen davon lief.
Nach wiederum fast einem Jahr, tauchte er plötzlich wieder in Stars Hollow auf. Er wollte sein Auto zurückholen. Es war ein eigenartiges aufeinander treffen. Erst ging er mir aus dem Weg, dann ich ihm. Schlussendlich führten wir aber noch ein kurzes Gespräch, in dem er mir das erste Mal offen sagte, dass er mich liebte. Aber was tat er direkt danach? Er stieg in sein Auto und verschwand schon wieder. Ich war überrascht von seinem Geständnis gewesen und wütend, dass er mir nicht einmal die Möglichkeit gegeben hatte, etwas darauf zu antworten. Ich hätte ihm gesagt, dass ich ihn ebenfalls immer noch liebte, und nie damit aufgehört hatte.
Dann, einige Wochen später, trafen wir uns zum letzten Mal... Seine Mom hatte in Stars Hollow geheiratet, er war also wieder hier gewesen. Ich hatte nicht dabei sein können, da ich eine der wenigen ‚Glücklichen’ war, die noch auf den letzten Drücker, in den ersten eigentlichen Ferientagen, ihre Prüfungen zu absolvieren hatten. Jess war abends zu mir auf den Campus gekommen und wollte mit mir nach New York, um ein neues Leben beginnen. Ich wollte es innerlich so sehr. Ich wollte ihm glauben, was er mir sagte. Dass er sich geändert hatte, dass wir gemeinsam neu anfangen könnten, dass wir glücklich werden würden. Vielleicht wären wir wirklich glücklich geworden, ich weià es nicht. In mir hatte sich jedenfalls nur eine riesige Angst ausgebreitet, dass er mich wieder verletzen würde, und ich liebte ihn immer noch viel zu sehr, um mich noch einmal verletzen zu lassen.
Zwei Tage später habe ich erfahren, dass Jess gestorben war. Auf dem Weg von Yale zurück nach New York. Es war für mich ein unbeschreiblich groÃer, schmerzhafter Schock gewesen, den Mann, den ich so lange Zeit geliebt hatte, verloren zu haben. Ich hatte einige Tage damit zugebracht, mir die Schuld an seinem Tod zu geben. Ich überlegte ständig, wie ich es hätte verhindern können. Ich hätte ihn nicht gleich wieder fortschicken dürfen. Hätte ihm eine Chance geben sollen, mir seinen Plan in Ruhe zu erklären. Aber ich tat es nicht. So wie ich es gesehen hatte, hatte ich ihn in seinen Tod getrieben.
Gott sei Dank hatte ich diesen Gedanken bald wieder vertrieben, sonst hätte ich mich wohl noch selbst damit zugrunde gerichtet. Heute sehe ich das alles anders: Es war ein Unfall. Ein tragischer Unfall, der nicht hätte sein müssen, und für den der Verursacher hoffentlich zur genüge büÃen wird müssen.
Und Jess... Er ist jetzt mein Engel. Mein persönlicher Schutzengel. Er sitzt dort oben auf den Wolken, sieht zu mir herunter und passt auf mich auf. Daran glaube ich fest. Er ist nicht wie früher einfach irgendwohin verschwunden, sondern hat lediglich ganz offiziell, für alle bekannt, seine Adresse gewechselt. Aber von dort aus wird er für immer bei mir sein, in mir sein, so wie ich bei ihm.
Es tut so weh, hier Abschied nehmen zu müssen. Ich würde es am liebsten bleiben lassen, aber das hat er nach allem, was wir zusammen erlebt und durchgemacht haben, nicht verdient. Hiermit wird es nun also wohl offiziell: Leb wohl, mein Engel! Ich werde dich nie vergessen, Jess. Ich liebe dich! Ich werde dich immer lieben.
Deine Rory“
Forget this life
Come with me
Don't look back you're safe now
Unlock your heart
Drop your guard
No one's left to stop you
Lorelai hatte selbst schon die letzten drei Absätze mit ihrer zitternden Stimme zu kämpfen gehabt, aber die letzten Sätze hatte sie schlussendlich trotz bestem Willen nicht ohne Tränen und gerührten Schluchzern überstanden. Vielleicht hätte sie sich Rorys Rede einmal durchlesen sollen, damit sie gewusst hätte, was da auf sie zukommt. Sie hatte ihr Herz geöffnet, hatte endlich einmal heraus gelassen, was sie solange schon unterdrückt hatte.
Rasch verlieà sie ihren Stehplatz hinter der Kanzel, lief eilig zu ihrer Bank zurück und drückte ihre Tochter fest an sich. In der kleinen Kapelle herrschte inzwischen eine gerührte und auch ein wenig traurige Stille, da richtete sich Lorelai wieder ein wenig auf. „Oh, eigentlich gäbe es noch ein Gedicht, aber das kommt später nach!“
Der Pfarrer erhob sich nach einer Weile aus seinem Stuhl neben dem Altar und trat selbst wieder an seinen Platz. „Ich würde nun die Anwesenden bitten, Jess Mariano die letzte Ehre zu erweisen, und sich von ihm noch einmal zu verabschieden, bevor der Sarg geschlossen wird, und wir uns gemeinsam zu seinem Grab begeben werden.“
Rory sah ihre Mom ängstlich an. „Das kann ich nicht...“ Sie drückte sie sanft wieder an sich. „Das musst du auch nicht, Schatz. Du musst es nicht.“
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Edit: Noch schnell etwas dazu: Oh Mann, bitte sagt mir nachher ehrlich, wie das war! Nehmt es ruhig Satz für Satz auseinander! Ich hab noch nie so eine Rede geschrieben/schreiben müssen.
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Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.
(Albert Einstein)