26.09.2007, 17:15
Und weiter gehts....
14. Kapitel
Sie blickte aus dem Fenster und schaute gedankenverloren den, immer noch grauen Wolken zu, wie sie vorbeizogen. Das konstante Dröhnen des Flugzeuges nahm sie nicht mehr war. Ihre Grandma und sie sassen jetzt schon eineinhalb Stunden nebeneinander und hatten bisher kein Wort miteinander gesprochen. Als Rory wieder in ihrem gemeinsamen Hotel angekommen war, hatte ihre Grossmutter schon alles gepackt beziehungsweise packen lassen und wartete mit eiserner Miene und anmutig übereinander geschlagenen Beinen auf einem der ledernen, schwarzen Sofas, die in der Mitte ihrer gemeinsamen Suite in einem Halbkreis zusammen standen. Eigentlich hatte Rory damit gerechnet ihre Grandma wütend und aufgebracht vorzufinden, doch vielleicht war das, was sie gerade erlebte, einfach die Ruhe vor dem Sturm, vor dem sehr grossen und heftigen Sturm. Doch sie wollte keine Ruhe, denn wenn es still war, kreisten ihre Gedanken um Logan und wann sie wieder seine warme, sanfte Stimme hören konnte. Sie seufzte innerlich und wandte sich vom Fenster ab. Nun heftete sie ihren Blick auf den grauen Sitz, der sich vor ihr befand, und betrachtete nachdenklich das beige graue Karomuster, das sich über den ganzen Sitz hinweg zog. Sie fuhr langsam einer der Linien nach, bis ihre Finger bei einer dünnen, nicht allzu grossen Broschüre landeten, die in der kleinen, ausgebeulten Tasche steckte, die sich auf der Hinterseite, des Sitzes vor ihr, befand. Wie viele male hatte sie sich die jetzt schon durchgelesen? Fünf Mal, zehn Mal? Wieder seufzte Rory, doch dieses Mal lauter, als sie beabsichtigt hatte. Emily drehte sich langsam um, nahm ihre grosse, dunkle Sonnenbrille ab und blickte sie kalt und forschend an. Rory erstarrte. Sie wusste, wie ihre Grandma sein konnte, doch so hatte Rory sie noch nie erlebt. Kälte, Abweisung, Desinteresse und ein Funke unterdrückter Wut konnte man in ihren Augen entdecken. Rory fing sich wieder, blickte weg und stotterte vor sich hin: âIch weiss, ich war unhöflich und einfach nur respektlos gegenüber dir, Grandma, aber ich konnte nicht anders, ich konnte einfach nicht andersâ¦â Sie brach ab und schaute wieder aus dem Fenster. Die grauen Wolken hatten sich verzogen und ein strahlend, blauer Himmel war zum Vorschein gekommen. Nur noch einzelne, dünne Wolkenfetzen hingen an Himmelszelt. âEs ist wegen einem Jungen, hab ich Recht?â, fragte Emily ihre Enkelin plötzlich und riss sie damit wieder aus ihren Gedanken. Rory harrte für einige Sekunden in ihrer geraden, steifen Sitzhaltung aus. Woher wusste ihre Grandma das? Sie hatte Logan und sie nie zusammen gesehen, da war sie sich sicher. Woher bloss? Woher? âIch sehe es in deinen Augen, Rory. Du hast denselben verträumten Blick, wie ihn deine Mutter damals bei Christopher hatte.â, erklärte Emily, als hätte sie die Gedanken von Rory gehört. âGrandma, nein, ich habe keinen verträumten Blick, und wenn⦠dann sicher nicht wegen einem Jungen⦠und â¦ausserdem⦠ausserdem⦠ich bin nicht, wie meine Mutter. Ich bin anders.â, sagte sie mit genervten, gereizten Unterton in der Stimme und fixierte wieder den Sitz vor ihr. Sie wusste, dass sie eine schlechte Lügnerin war. In ihren Augen sah man es. Das hatte jedenfalls ihre Mutter gesagt. Manchmal verfluchte sie ihre tiefblauen Augen, die offenbar jedem ermöglichten, in ihr, wie in einem aufgeschlagenen Buch blättern und lesen zu können. Sogar Logan, der sie erst seit ein paar Tagen kannte, wusste immer genau, wie es ihr gerade ging und an was sie dachte. Und das nur wegen ihren verdammten grossen, blauen Augen. Sie seufzte wieder. Logan. Nein, sie durfte jetzt nicht an ihn denken, sonst fühlte sich ihre Grossmutter doch nur bestätigt, wenn sie wieder diesen verträumten Blick, um es mit ihren Worten auszudrücken, sehen würde. Rory atmete nochmals tief durch, bevor sie ihren Blick vom Sitz vor ihr abwandte und sich auf ihre Grandma konzentrierte. âRory, du kannst mich nicht anlügen. Ich bin deine Grossmutter. Kind, jetzt hör mir mal zu. Ich finde dein Verhalten einfach nur respektlos gegenüber mir. Schliesslich bezahlen dein Grossvater und ich dir dein Stipendium von Yale und haben auch schon für Chilton alles bezahlt. Nun lade ich dich sogar noch auf eine Europareise ein und du verbringst kaum Zeit mit mir. Lügst mich an und bist undankbar. Rory, so kenne ich dich gar nicht. WeiÃt du, bei deiner Mutter war das genauso. Früher war sie ein ganz liebes und erzogenes Kind. Doch jetzt⦠sie ist anders geworden⦠Und dasselbe nun auch bei dir. Damit hätte ich nicht gerechnet. Du warst doch immer so vernünftig. Ich kann mir das nur so erklären, dass dir ein Junge den Kopf verdreht hat. Das war auch schon bei deiner Mutter der Fall. Christopher ist wirklich ein ganz reizender, junger Mann, versteh mich jetzt nicht falsch, aber Lorelai hat sich wegen ihm verändert. Und du, Rory veränderst dich nun auch schon. Und das gefällt mir ganz und gar nicht. â, erklärte sich Emily und setzte nun wieder ihre dunkle Sonnenbrille auf. In Rory stieg die Wut auf. Sie wusste, sie hatte nicht so viel Zeit mir ihrer Grandma verbracht, wie sie eigentlich gekonnt hätte, aber sie war schliesslich 20 Jahre alt und nicht mehr 10. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen, das alle in ihr sahen. Manchmal machte sie das verrückt. Jeder sah noch das kleine Mädchen in ihr. Alle Bewohner von Stars Hollow, die sie behandelten, als wäre sie eine Porzellanpuppe, ihre Grosseltern, manchmal sogar ihre Mutter. Auch Dean meinte immer, sie vor allem Bösen auf der Welt beschützen zu müssen. Was sie aber am meisten wütend machte, war die Tatsache, dass ihre Grandma sie mit ihrer Mutter verglich und diese auch noch beleidigte. Sie merkte, dass sich ihre Gedanken wieder einmal zu weit von dem entfernt hatten, auf das sich eigentlich konzentrieren hatte wollen. Sie blickte auf und schaute zu ihrer Grossmutter, die sich gerade wieder mit der Lektüre des Magazins âDie Stars, wie sie wirklich lebenâ beschäftige. In ihr kochte es. Diese kalte Art verabscheute sie so sehr. Am liebsten hätte sie ihre Grossmutter jetzt angeschrieen, doch sie wusste, dass sie das wenig beeindrucken würde. Also stand sie auf, glitt elegant an Emily vorbei und steuerte die Flugzeugtoiletten an. Dabei wurde sie allerdings von einer jungen, schwarzhaarigen Stewardess, die sicher auch schon schlankere Tage erlebt hatte, aufgehalten. âMiss, wir landen in weniger als 15 Minuten. Ich bitte Sie deshalb darum sich wieder hinzusetzten und ihren Sicherheitsgurt anzulegen.â, sagte sie mit höflicher Stimme und freundlichem Gesichtsausdruck. âEntschuldigen sie, ich möchte mir nur kurz die Hände waschen. Geht auch nicht lange, höchstens 2 Minuten.â, erwiderte Rory und schenkte der Stewardess das netteste Lächeln, das sie im Moment zu Stande bringen konnte. Die junge Frau überlegt kurz, nickte dann allerdings und ging zur Seite um ihr den Weg frei zu machen. Rory öffnete die Tür der kleinen Toilette. ging hineine und schloss die Tür hinter sich. Sie lehnte sich an die harte Tür und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Wie sollte es jetzt weitergehen? Sollte sie tatsächlich so tun, als wäre nichts gewesen? Sollte sie ihrer Grandma die Meinung sagen? Was sollte sie bloss tun? Sie ging zum Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und spritze sich das kalte Wasser ins Gesicht. Sie blickte auf und schaute in den Spiegel. Eine verwirrte, unsichere und verzweifelte Rory blickte ihr mit blassen und wässrigen Augen entgegen, darauf wartend von ihren Sorgen befreit zu werden.
15. Kapitel
Emily blätterte noch einige Minuten in ihrem Magazin, bevor sie es desinteressiert zu klappte und in ihrer Handtasche verstaute. Sie kramte in ihrer Tasche, scheinbar etwas suchend, und nahm schlussendlich einen kleinen zu klappbaren Spiegel hervor, der golden beschlagen und mit kleinen silbernen Ornamenten bestückt war. Als sie ihr Spiegelbild erblickte, überprüfte sie mit hochgezogener Augenbraue, ob ihr Make-up noch so sass, wie es sollte. Natürlich sass es, wenn man nicht sogar sagen wollte, perfekt. Als sie den kleinen, goldenen Spiegel wieder zu klappte, schweifte ihr Blick auf den Sitz, neben ihr, der leer war. War es zu viel des Guten gewesen? Rory war eine zierliche, junge Frau, die dennoch viel aushalten konnte, doch war sie zu weit gegangen? Sie massierte sich sanft in kreisenden Bewegungen ihre Schläfen, lehnte sich in ihren Sitz zurück und schloss die Augen. Das Fliegen strengte sie an, sie wurde älter, mit jedem einzelnen Tag, dass merke sie. Doch sie wollte es nicht zugeben. Weder vor sich selbst, noch vor irgendjemand anderem. Zudem kam jetzt auch noch diese furchtbare Situation mit Rory dazu. Sie wusste, dass sie jetzt in einer der Flugzeugtoiletten war und sich fragte, wie sie reagieren sollte. Ihr wäre es sicher nicht anders ergangen, in dieser Situation, doch sie fühlte sich so⦠so verletzt. In den letzten Tagen hatte sie Rory kaum zu sehen bekommen. Dabei freute es sie doch so sehr, wenn sie mit ihr Zeit verbringen konnte. Die Dinner an jeden Freitag waren ihr zu wenig. Sie liebte ihre Enkelin und freute sich so, wenn diese mit ihr Sachen unternahm, in Buchläden rumstöberte, einkaufen ging oder sich einfach nur mit ihr unterhielt. Am Anfang der Reise, war Rory jedoch nicht mehr die gewesen, die Emily immer so geschätzt hatte. Ihre Enkelin war traurig, still und verschlossen gewesen. Immer wenn sie sie gefragt hatte, was denn los sei, hatte diese einfach geantwortet, alles wäre bestens. Doch das war es nicht gewesen. Das wusste sie und das hatte man auch gesehen. Auch hatte Rory kein einziges Mal, seit sie in Europa waren, mit Lorelai geredet, was Emily wirklich sehr erstaunt hatte. Schliesslich waren die beiden immer unzertrennlich. Offenbar musste etwas vor den Ferien vorgefallen sein. Doch Emily fragte lieber nicht nach, denn sie wusste, was ihre Enkelin ihr antworten würde. Aber in den letzten Tagen in Barcelona war es anderes gewesen. Rory war wie ausgewechselt. Sie lächelte wieder und redete mehr. Plötzlich war ihre Traurigkeit, wie verflogen und Emily fühlte sich an ihre Tochter erinnert. Zuerst hatte sie gedacht, Rory hätte sich endlich für die Schönheit Europas geöffnet, doch nach genauerem Hinsehen, hatte sie diesen Gedanken wieder verworfen. Diese glänzenden Augen, der verträumte Blick. Alles deutete auf einen Jungen hin, der Rory den Kopf verdreht hatte. Emily wollte nicht schon wieder, dass ihr wegen irgendeinem Jungen eine von ihr geliebte Person weggenommen wurde. Nicht schon wieder. Sie hatte schon ihre Tochter Lorelai, verloren. Da wollte sie jetzt nicht noch ihre Enkelin verlieren. Darum hatte sie Rory auch offen ihre harte Meinung dargelegt. In der Hoffnung, ihr die Augen geöffnet zu haben. Ihr gezeigt zu haben, wie viel sie ihr bedeutete. Ihr war klar, dass sie es auf eine nettere Art und Weise hätte sagen können, doch so war Emily einfach. Sie nannte die Dinge beim Namen, ohne grosse Umschweife oder ausschmückende Worte. So war sie.
Emily öffnete wieder ihre Augen und blickte auf den Sitz vor ihr. Sie musste sich zusammen reissen. Eine Emily Gilmore trug ihre Gefühle nie auf der Zunge, da, wo sie jeder sehen konnte. Nie. Sie waren in ihrem Inneren schliesslich bestens aufgehoben. So dachte sie jedenfalls.
Rory kam, den schmalen Flur entlang laufend, auf sie zu und lächelte sie an. Warum lächelte ihre Enkelin sie an? Nach ihrem Vortrag von vorhin, hätte sie nicht damit gerechnet. Rory setzte sich wieder auf ihren Platz und sagte, immer noch mit diesem für Emily ominösen Lächeln auf den Lippen: âWir landen bald, wir sollten die Sicherheitsgurte anlegen. Hat mir jedenfalls die schwarzhaarige Stewardess gesagt.â âJa, dann wird es wohl stimmen.â, erwiderte Emily mit kühlen Ton in der Stimme, aber dennoch versuchend die Ãberraschung die darin mit schwang zu verbergen.
Das Flugzeug landete schliesslich in Amsterdam und Grossmutter und Enkelin riefen sich ein Taxi und liessen sich zu ihren Hotel chauffieren. Während der ganzen Fahrt plauderte Rory munter vor sich hin, so, wie sie es immer tat. Emily war erstaunt und verblüfft, doch sie versteckte es hinter ihrer kühl, aufgesetzten Maske, die sie schon seit Jahren aufgebaut und getragen hatte. Sie genoss es, das Rory wieder so war, wie zuvor. Zwar war sie ab und zu wieder ein wenig abwesend und nicht ganz bei der Sache, aber sie ihr nahm, also das, was im Flugzeug vorgefallen war, nicht übel, so dachte Emily zumindest. In Wahrheit hatte Rory einfach ihren Ãrger hinunter geschluckt. Sie dachte, das würde ihre Grandma am meisten beeindrucken. Und das hat es auch.
Als die beiden in ihrem Hotel angekommen waren, liessen sie sich ihre Suite zeigen und, wie jedes Mal hatte Emily etwas zu bemängeln. Doch Rory achtete nicht auf ihre Grandma, sondern ging direkt in ihr Zimmer und setzte sich auf die Kante ihres Bettes, das in der Mitte, neben einem breiten hölzernen Schrank und gegenüber einem kleinen Schreibtisch stand.
Sie atmete tief durch und liess sich auf das weiche Bett fallen. Als sie erst einige Minuten ruhig da lag, klingelte auch schon ihr Handy und Rory zog es hektisch aus ihrer Jeans. Sie klappte es auf, ohne auf den Bildschirm zu blicken, da sie dachte Logan am anderen Ende zu hören. Also sprudelte es nur so aus ihr heraus: âHey, ich dachte schon, du rufst nie an. Ich bin schon seit einer Stunde in Amsterdam und warte auf deinen Anruf. Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, wieso du nicht angerufen hast. Hattest du einen Autounfall? Nein, warte, jetzt weiss ich, du bist in der spanischen Mafia und musstest jemandem umbringen, oder jemandem einem abgehackten Pferdekopf ins Bett legen. Hab ich Recht?â, beendete sie ihren Monolog mit einem Lächeln auf den Lippen und wartete gespannt auf die Antwort ihres Gesprächspartners. âÃhmm⦠jetzt bin ich verwirrt. Rory, ich bin es. Ich muss dringen mit dir reden.â, erwiderte die Person am anderen Ende. âDu?â
16. Kapitel
âDu?â, fragte Rory verwirrt und verblüfft. Wieso rief er sie jetzt an? Das war das letzte, womit sie im Moment gerechnet hätte. Wie gerne hätte sie doch jetzt Logans sanfte Stimme gehört und wäre damit noch länger weit ab vom wahren Leben, in dieser wundervollen Ferienwelt verweilt. Aber offenbar wollte es das Schicksal anders. Doch wenn sie genauer über die Sache nachdachte, wurde ihr klar, dass sie noch gar nicht in die Realität zurück wollte und somit auch nicht mit ihren Problemen, die dort auf sie warteten, konfrontiert werden wollte. Doch sie musste zu hören und konnte nicht einfach auflegen. Es war besser so. Dies sagte ihr die leise, feine und sonst unscheinbare Stimme in ihrem Kopf. Also wartete sie geduldig auf die Antwort ihres Gesprächpartners. Nach kurzer Zeit, erwiderte dieser: âJa, Rory ich bins. Ich wollte mit dir redenâ¦â âÃber was willst du denn reden? Ãber was, Dean? Sag mir das. Warum rufst du ausgerechnet jetzt an? Warum ausgerechnet jetzt? Ich verstehe das nicht, Deanâ¦Und warum rufst du an? Warum? Warum blossâ¦?â, unterbrach sie ihn zuerst mit gereizten und aufbrausendem Tonfall in der Stimme. Doch nach und nach wurde ihre Stimme dünner und leiser und wandelte sich fast zu einem Wispern âÃber uns, über⦠über das was passiert ist, in dieser Nacht⦠über als das.â, erwiderte Dean mit sanfter Stimme. âSag es doch einfach, Dean. Ja, wir hatten in dieser Nacht Sex. Und jetzt? Was willst du? Du bist verheiratet und ich habe mit dir geschlafen. Kannst du dir nicht vorstellen, wie es mir jetzt geht?â, fragte Rory mit ungeduldiger, wütender und der langsam wiederkehrender Härte in der Stimme. âWas und jetzt, Rory? Das fragst du noch? Hat es dir nichts bedeutet? Nichts? Rory, mir hat es was bedeutet, viel sogar und wegen Lindsay, ich habe mich von ihr getrennt. Du brauchst dich also wegen dem nicht mehr zu sorg⦠â, erklärte Dean ihr mit trauriger, aber dennoch liebevollen Stimme. âDuâ¦du hast dichâ¦. du hast dich von Lindsay getrennt?â, unterbrach sie ihn stotternd. âJa, Rory, dass habe ich. Wegen dir. Verstehst du, diese Nacht beziehungsweise dieser Abend hat mir wirklich sehr viel bedeutet. Dadurch ist mir klar geworden, dass ich Lindsay nicht liebe. Sondern dich Rory. Ich liebe dich. Das habe ich schon immer getan und werde es auch immer. Ich weiss nicht, wieso ich Lindsay geheiratet habe. Vielleicht weil ich nicht mehr an dich denken wollte. Vielleicht, weil ich endlich mal wieder glücklich sein wollte und nicht immer frustriert, weil du mich nicht mehr haben wolltest. Aber das war falsch. Ich liebe dich und zwar nur dich. Und das kann ich nicht verdrängen. Das habe ich viel zu lange versucht. Doch ich habe eingesehen, dass das der falsche Weg ist und ich der Wahrheit ins Auge sehen muss. Rory verstehst du, ich liebe dich!â, sagte Dean mit liebevoller Stimme und wartete auf Rorys Antwort.
Die Gedanken wirbelten wild in Rorys Kopf herum. Dean liebte sie? Aber warum? Liebte sie ihn auch? Und was war mit Logan? Sie fuhr sich nervös und immer noch angestrengt nachdenkend durch ihr schulterlanges, braunes Haar und liess sich wieder auf ihr weiches Bett fallen. Was sollte sie ihm jetzt sagen? Rory schloss die Augen und hörte Dean am anderen Ende der Telefonleitung leise atmen. Sie wusste, dass es für ihn nicht gerade leicht gewesen sein musste, sie anzurufen, nachdem sie einfach so nach Europa geflüchtet war und sie ihm dies gegenüber mit keinem Wort erwähnt hatte. âWas erwartest du jetzt von mir, Dean?â, fragte sie deshalb nach einer kurzen Zeit, die Dean allerdings wie eine Ewigkeit vorgekommen war. âRory, ich erwarte von dir überhaupt nichts, ich wollte einfach nur, dass du das weiÃt. Ausserdem konnte ich die Tatsache, dass ich dich immer noch liebe, nicht mehr länger verschweigen. Weder vor dir, noch vor mir selbst. Um es nochmals zu sagen, ich erwarte wirklich nichts von dir.â, antwortete Dean immer noch mit liebevoller Stimme. âAber, aber⦠was soll ich denn jetzt machen? Ich mein, du rufst mich an, sagst mir, dass du mich liebst und was mache ich? Ichâ¦. Ich⦠stottere hier vor mich hin und weiss nicht, was ich sagen soll. Verstehst du, dass das schwer für mich ist? Das ist noch nicht weiss, was ich will, was ich fühle? Oder was ich fühlen soll? Ich weiss es noch nicht! Verstehst du? Ich weiss es einfach nichtâ¦â, sagte Rory mit immer noch vor Unsicherheit zitternden und leisen Stimme. âRory, alles ist gut. Wirklich. Ganz ruhig. Komm erst mal runter. Lass dir Zeit und sag mir dann, was du für mich fühlst. Alles wird gut. Vertrau mir.â, erwiderte Dean mit sanfter und einfühlsam klingender Stimme. Rory schloss wieder ihre Augen und atmete tief durch. Alles war so verwirrend. Ihre Gefühle und Gedanken fuhren Achterbahn und sie wusste im Moment noch nicht, wie sie dies stoppen konnte. Sie seufzte leise, dabei hätte sie genau so gut schreien können. Schreien, wie sie es bis jetzt noch nie getan hatte. Sich so, von allem befreien. Oder sich verkriechen, sich verstecken. Am liebsten in starken, warmen Armen. Doch im Moment waren es nicht die Arme von Dean, an die sie dachte und in die sie flüchten wollte, sondern die von Logan. Tränen liefen ihr über ihre zarten Wangen. Liefen immer schneller und verwandelten sich beinahe in einen wilden, unzähmbaren Strom, den niemand bändigen konnte. Doch Rory selbst blieb dabei ruhig. Sie gab keinen Laut von sich. Still und ohne Bewegung, fast wie eine in Stein gehauene Statue hätte sie auf andere Menschen gewirkt, wenn man sie beobachtet hätte. Sie blieb so stumm auf dem weichen Bett liegen, bis Dean sie etwas fragte, was Rory selbst allerdings das erste Mal nicht zu erreichen vermochte. Deshalb schrie Dean beinahe das zweite Mal, was Rory aufschrecken liess. Verwirrt sagte sie: âTut mir leid, ich war gerade wo anders. Tut mir leid. Also was hast du gefragt?â âIch fragte, wann du nach Hause⦠zu mâ¦â, er brach ab. Beinahe hatte er es ausgesprochen, das was er eigentlich nur in seinen Gedanken an
fügen hatte wollen. Er wollte sie nicht drängen und ihr irgendetwas aufzwingen, doch er wollte sie. Allein sie. Ihr wieder nahe sein. Sie spüren, sie riechen, sie küssen, sie neben sich liegen sehen. Doch so ging das nicht. Das wusste er. Also beendete er seinen Satz anders, als zuvor: âWann du nach Hause, nach Stars Hollow kommst. Das habe ich dich gefragt.â Rory musste sich anstrengen Deans Worten zu zuhören. Doch der Inhalt der Frage sickerte zu ihr hindurch. Sie atmete noch ein Mal tief durch, um ihre sicherlich zitternde Stimme, die sie hatte, zu verbergen. âIch bin noch eine Woche in Europa und dann komme ich wieder zurück nach Amerika. Ich bleibe noch 3 Tage hier in Amsterdam und dann hatte meine Grandma noch die Idee, nach Venedig zu fahren. Ich denke auch, dass ich, wenn ich zurückkomme, weiss, was ich will. Nein, ich denke das nicht nur, sondern ich verspreche es dir, dass ich dann eine Entscheidung getroffen habe. Ich verspreche es dir! Ist das okay für dich?â, fragte sie ihn, mit immer noch leicht zitternder Stimme. Dean hielt den Atem an. Eine Woche. Eine Woche? Noch so lange? Aber er wollte sie nicht drängen, also willigte er ein und sagte ihr zuletzt noch: âIch freu mich, wenn du wieder hier bist Rory. Ich vermisse dich.â, âIch vermisse dich auchâ, erwiderte Rory, verblüfft, über ihre eigenen Worte. âMachs gut und bis bald.â. Und mit diesen Worten legte Dean, mit einem jungenhaften Lächeln auf den Lippen, auf. âBis dannâ, sagte Rory leise und klappte ihr Handy zu. Rory erhob sich und versuchte ihre Haare, die verzaust in alle Richtungen abstanden, und ihr Make-up, das durch ihre Tränen verschmiert worden war, wieder einiger Massen in Ordnung zu bringen. War das ihr Herz gewesen, das gerade gesprochen hatte? Sie wusste es nicht und wollte es im Moment auch nicht wissen. Also ging sie, nachdem sie alle Rückstände ihres kleinen Zusammenbruchs beseitigt hatte, zurück zu ihrer Grandma, in der Hoffnung, sie würde von ihr, von ihren Gedanken abgelenkt werden.
14. Kapitel
Sie blickte aus dem Fenster und schaute gedankenverloren den, immer noch grauen Wolken zu, wie sie vorbeizogen. Das konstante Dröhnen des Flugzeuges nahm sie nicht mehr war. Ihre Grandma und sie sassen jetzt schon eineinhalb Stunden nebeneinander und hatten bisher kein Wort miteinander gesprochen. Als Rory wieder in ihrem gemeinsamen Hotel angekommen war, hatte ihre Grossmutter schon alles gepackt beziehungsweise packen lassen und wartete mit eiserner Miene und anmutig übereinander geschlagenen Beinen auf einem der ledernen, schwarzen Sofas, die in der Mitte ihrer gemeinsamen Suite in einem Halbkreis zusammen standen. Eigentlich hatte Rory damit gerechnet ihre Grandma wütend und aufgebracht vorzufinden, doch vielleicht war das, was sie gerade erlebte, einfach die Ruhe vor dem Sturm, vor dem sehr grossen und heftigen Sturm. Doch sie wollte keine Ruhe, denn wenn es still war, kreisten ihre Gedanken um Logan und wann sie wieder seine warme, sanfte Stimme hören konnte. Sie seufzte innerlich und wandte sich vom Fenster ab. Nun heftete sie ihren Blick auf den grauen Sitz, der sich vor ihr befand, und betrachtete nachdenklich das beige graue Karomuster, das sich über den ganzen Sitz hinweg zog. Sie fuhr langsam einer der Linien nach, bis ihre Finger bei einer dünnen, nicht allzu grossen Broschüre landeten, die in der kleinen, ausgebeulten Tasche steckte, die sich auf der Hinterseite, des Sitzes vor ihr, befand. Wie viele male hatte sie sich die jetzt schon durchgelesen? Fünf Mal, zehn Mal? Wieder seufzte Rory, doch dieses Mal lauter, als sie beabsichtigt hatte. Emily drehte sich langsam um, nahm ihre grosse, dunkle Sonnenbrille ab und blickte sie kalt und forschend an. Rory erstarrte. Sie wusste, wie ihre Grandma sein konnte, doch so hatte Rory sie noch nie erlebt. Kälte, Abweisung, Desinteresse und ein Funke unterdrückter Wut konnte man in ihren Augen entdecken. Rory fing sich wieder, blickte weg und stotterte vor sich hin: âIch weiss, ich war unhöflich und einfach nur respektlos gegenüber dir, Grandma, aber ich konnte nicht anders, ich konnte einfach nicht andersâ¦â Sie brach ab und schaute wieder aus dem Fenster. Die grauen Wolken hatten sich verzogen und ein strahlend, blauer Himmel war zum Vorschein gekommen. Nur noch einzelne, dünne Wolkenfetzen hingen an Himmelszelt. âEs ist wegen einem Jungen, hab ich Recht?â, fragte Emily ihre Enkelin plötzlich und riss sie damit wieder aus ihren Gedanken. Rory harrte für einige Sekunden in ihrer geraden, steifen Sitzhaltung aus. Woher wusste ihre Grandma das? Sie hatte Logan und sie nie zusammen gesehen, da war sie sich sicher. Woher bloss? Woher? âIch sehe es in deinen Augen, Rory. Du hast denselben verträumten Blick, wie ihn deine Mutter damals bei Christopher hatte.â, erklärte Emily, als hätte sie die Gedanken von Rory gehört. âGrandma, nein, ich habe keinen verträumten Blick, und wenn⦠dann sicher nicht wegen einem Jungen⦠und â¦ausserdem⦠ausserdem⦠ich bin nicht, wie meine Mutter. Ich bin anders.â, sagte sie mit genervten, gereizten Unterton in der Stimme und fixierte wieder den Sitz vor ihr. Sie wusste, dass sie eine schlechte Lügnerin war. In ihren Augen sah man es. Das hatte jedenfalls ihre Mutter gesagt. Manchmal verfluchte sie ihre tiefblauen Augen, die offenbar jedem ermöglichten, in ihr, wie in einem aufgeschlagenen Buch blättern und lesen zu können. Sogar Logan, der sie erst seit ein paar Tagen kannte, wusste immer genau, wie es ihr gerade ging und an was sie dachte. Und das nur wegen ihren verdammten grossen, blauen Augen. Sie seufzte wieder. Logan. Nein, sie durfte jetzt nicht an ihn denken, sonst fühlte sich ihre Grossmutter doch nur bestätigt, wenn sie wieder diesen verträumten Blick, um es mit ihren Worten auszudrücken, sehen würde. Rory atmete nochmals tief durch, bevor sie ihren Blick vom Sitz vor ihr abwandte und sich auf ihre Grandma konzentrierte. âRory, du kannst mich nicht anlügen. Ich bin deine Grossmutter. Kind, jetzt hör mir mal zu. Ich finde dein Verhalten einfach nur respektlos gegenüber mir. Schliesslich bezahlen dein Grossvater und ich dir dein Stipendium von Yale und haben auch schon für Chilton alles bezahlt. Nun lade ich dich sogar noch auf eine Europareise ein und du verbringst kaum Zeit mit mir. Lügst mich an und bist undankbar. Rory, so kenne ich dich gar nicht. WeiÃt du, bei deiner Mutter war das genauso. Früher war sie ein ganz liebes und erzogenes Kind. Doch jetzt⦠sie ist anders geworden⦠Und dasselbe nun auch bei dir. Damit hätte ich nicht gerechnet. Du warst doch immer so vernünftig. Ich kann mir das nur so erklären, dass dir ein Junge den Kopf verdreht hat. Das war auch schon bei deiner Mutter der Fall. Christopher ist wirklich ein ganz reizender, junger Mann, versteh mich jetzt nicht falsch, aber Lorelai hat sich wegen ihm verändert. Und du, Rory veränderst dich nun auch schon. Und das gefällt mir ganz und gar nicht. â, erklärte sich Emily und setzte nun wieder ihre dunkle Sonnenbrille auf. In Rory stieg die Wut auf. Sie wusste, sie hatte nicht so viel Zeit mir ihrer Grandma verbracht, wie sie eigentlich gekonnt hätte, aber sie war schliesslich 20 Jahre alt und nicht mehr 10. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen, das alle in ihr sahen. Manchmal machte sie das verrückt. Jeder sah noch das kleine Mädchen in ihr. Alle Bewohner von Stars Hollow, die sie behandelten, als wäre sie eine Porzellanpuppe, ihre Grosseltern, manchmal sogar ihre Mutter. Auch Dean meinte immer, sie vor allem Bösen auf der Welt beschützen zu müssen. Was sie aber am meisten wütend machte, war die Tatsache, dass ihre Grandma sie mit ihrer Mutter verglich und diese auch noch beleidigte. Sie merkte, dass sich ihre Gedanken wieder einmal zu weit von dem entfernt hatten, auf das sich eigentlich konzentrieren hatte wollen. Sie blickte auf und schaute zu ihrer Grossmutter, die sich gerade wieder mit der Lektüre des Magazins âDie Stars, wie sie wirklich lebenâ beschäftige. In ihr kochte es. Diese kalte Art verabscheute sie so sehr. Am liebsten hätte sie ihre Grossmutter jetzt angeschrieen, doch sie wusste, dass sie das wenig beeindrucken würde. Also stand sie auf, glitt elegant an Emily vorbei und steuerte die Flugzeugtoiletten an. Dabei wurde sie allerdings von einer jungen, schwarzhaarigen Stewardess, die sicher auch schon schlankere Tage erlebt hatte, aufgehalten. âMiss, wir landen in weniger als 15 Minuten. Ich bitte Sie deshalb darum sich wieder hinzusetzten und ihren Sicherheitsgurt anzulegen.â, sagte sie mit höflicher Stimme und freundlichem Gesichtsausdruck. âEntschuldigen sie, ich möchte mir nur kurz die Hände waschen. Geht auch nicht lange, höchstens 2 Minuten.â, erwiderte Rory und schenkte der Stewardess das netteste Lächeln, das sie im Moment zu Stande bringen konnte. Die junge Frau überlegt kurz, nickte dann allerdings und ging zur Seite um ihr den Weg frei zu machen. Rory öffnete die Tür der kleinen Toilette. ging hineine und schloss die Tür hinter sich. Sie lehnte sich an die harte Tür und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Wie sollte es jetzt weitergehen? Sollte sie tatsächlich so tun, als wäre nichts gewesen? Sollte sie ihrer Grandma die Meinung sagen? Was sollte sie bloss tun? Sie ging zum Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und spritze sich das kalte Wasser ins Gesicht. Sie blickte auf und schaute in den Spiegel. Eine verwirrte, unsichere und verzweifelte Rory blickte ihr mit blassen und wässrigen Augen entgegen, darauf wartend von ihren Sorgen befreit zu werden.
15. Kapitel
Emily blätterte noch einige Minuten in ihrem Magazin, bevor sie es desinteressiert zu klappte und in ihrer Handtasche verstaute. Sie kramte in ihrer Tasche, scheinbar etwas suchend, und nahm schlussendlich einen kleinen zu klappbaren Spiegel hervor, der golden beschlagen und mit kleinen silbernen Ornamenten bestückt war. Als sie ihr Spiegelbild erblickte, überprüfte sie mit hochgezogener Augenbraue, ob ihr Make-up noch so sass, wie es sollte. Natürlich sass es, wenn man nicht sogar sagen wollte, perfekt. Als sie den kleinen, goldenen Spiegel wieder zu klappte, schweifte ihr Blick auf den Sitz, neben ihr, der leer war. War es zu viel des Guten gewesen? Rory war eine zierliche, junge Frau, die dennoch viel aushalten konnte, doch war sie zu weit gegangen? Sie massierte sich sanft in kreisenden Bewegungen ihre Schläfen, lehnte sich in ihren Sitz zurück und schloss die Augen. Das Fliegen strengte sie an, sie wurde älter, mit jedem einzelnen Tag, dass merke sie. Doch sie wollte es nicht zugeben. Weder vor sich selbst, noch vor irgendjemand anderem. Zudem kam jetzt auch noch diese furchtbare Situation mit Rory dazu. Sie wusste, dass sie jetzt in einer der Flugzeugtoiletten war und sich fragte, wie sie reagieren sollte. Ihr wäre es sicher nicht anders ergangen, in dieser Situation, doch sie fühlte sich so⦠so verletzt. In den letzten Tagen hatte sie Rory kaum zu sehen bekommen. Dabei freute es sie doch so sehr, wenn sie mit ihr Zeit verbringen konnte. Die Dinner an jeden Freitag waren ihr zu wenig. Sie liebte ihre Enkelin und freute sich so, wenn diese mit ihr Sachen unternahm, in Buchläden rumstöberte, einkaufen ging oder sich einfach nur mit ihr unterhielt. Am Anfang der Reise, war Rory jedoch nicht mehr die gewesen, die Emily immer so geschätzt hatte. Ihre Enkelin war traurig, still und verschlossen gewesen. Immer wenn sie sie gefragt hatte, was denn los sei, hatte diese einfach geantwortet, alles wäre bestens. Doch das war es nicht gewesen. Das wusste sie und das hatte man auch gesehen. Auch hatte Rory kein einziges Mal, seit sie in Europa waren, mit Lorelai geredet, was Emily wirklich sehr erstaunt hatte. Schliesslich waren die beiden immer unzertrennlich. Offenbar musste etwas vor den Ferien vorgefallen sein. Doch Emily fragte lieber nicht nach, denn sie wusste, was ihre Enkelin ihr antworten würde. Aber in den letzten Tagen in Barcelona war es anderes gewesen. Rory war wie ausgewechselt. Sie lächelte wieder und redete mehr. Plötzlich war ihre Traurigkeit, wie verflogen und Emily fühlte sich an ihre Tochter erinnert. Zuerst hatte sie gedacht, Rory hätte sich endlich für die Schönheit Europas geöffnet, doch nach genauerem Hinsehen, hatte sie diesen Gedanken wieder verworfen. Diese glänzenden Augen, der verträumte Blick. Alles deutete auf einen Jungen hin, der Rory den Kopf verdreht hatte. Emily wollte nicht schon wieder, dass ihr wegen irgendeinem Jungen eine von ihr geliebte Person weggenommen wurde. Nicht schon wieder. Sie hatte schon ihre Tochter Lorelai, verloren. Da wollte sie jetzt nicht noch ihre Enkelin verlieren. Darum hatte sie Rory auch offen ihre harte Meinung dargelegt. In der Hoffnung, ihr die Augen geöffnet zu haben. Ihr gezeigt zu haben, wie viel sie ihr bedeutete. Ihr war klar, dass sie es auf eine nettere Art und Weise hätte sagen können, doch so war Emily einfach. Sie nannte die Dinge beim Namen, ohne grosse Umschweife oder ausschmückende Worte. So war sie.
Emily öffnete wieder ihre Augen und blickte auf den Sitz vor ihr. Sie musste sich zusammen reissen. Eine Emily Gilmore trug ihre Gefühle nie auf der Zunge, da, wo sie jeder sehen konnte. Nie. Sie waren in ihrem Inneren schliesslich bestens aufgehoben. So dachte sie jedenfalls.
Rory kam, den schmalen Flur entlang laufend, auf sie zu und lächelte sie an. Warum lächelte ihre Enkelin sie an? Nach ihrem Vortrag von vorhin, hätte sie nicht damit gerechnet. Rory setzte sich wieder auf ihren Platz und sagte, immer noch mit diesem für Emily ominösen Lächeln auf den Lippen: âWir landen bald, wir sollten die Sicherheitsgurte anlegen. Hat mir jedenfalls die schwarzhaarige Stewardess gesagt.â âJa, dann wird es wohl stimmen.â, erwiderte Emily mit kühlen Ton in der Stimme, aber dennoch versuchend die Ãberraschung die darin mit schwang zu verbergen.
Das Flugzeug landete schliesslich in Amsterdam und Grossmutter und Enkelin riefen sich ein Taxi und liessen sich zu ihren Hotel chauffieren. Während der ganzen Fahrt plauderte Rory munter vor sich hin, so, wie sie es immer tat. Emily war erstaunt und verblüfft, doch sie versteckte es hinter ihrer kühl, aufgesetzten Maske, die sie schon seit Jahren aufgebaut und getragen hatte. Sie genoss es, das Rory wieder so war, wie zuvor. Zwar war sie ab und zu wieder ein wenig abwesend und nicht ganz bei der Sache, aber sie ihr nahm, also das, was im Flugzeug vorgefallen war, nicht übel, so dachte Emily zumindest. In Wahrheit hatte Rory einfach ihren Ãrger hinunter geschluckt. Sie dachte, das würde ihre Grandma am meisten beeindrucken. Und das hat es auch.
Als die beiden in ihrem Hotel angekommen waren, liessen sie sich ihre Suite zeigen und, wie jedes Mal hatte Emily etwas zu bemängeln. Doch Rory achtete nicht auf ihre Grandma, sondern ging direkt in ihr Zimmer und setzte sich auf die Kante ihres Bettes, das in der Mitte, neben einem breiten hölzernen Schrank und gegenüber einem kleinen Schreibtisch stand.
Sie atmete tief durch und liess sich auf das weiche Bett fallen. Als sie erst einige Minuten ruhig da lag, klingelte auch schon ihr Handy und Rory zog es hektisch aus ihrer Jeans. Sie klappte es auf, ohne auf den Bildschirm zu blicken, da sie dachte Logan am anderen Ende zu hören. Also sprudelte es nur so aus ihr heraus: âHey, ich dachte schon, du rufst nie an. Ich bin schon seit einer Stunde in Amsterdam und warte auf deinen Anruf. Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, wieso du nicht angerufen hast. Hattest du einen Autounfall? Nein, warte, jetzt weiss ich, du bist in der spanischen Mafia und musstest jemandem umbringen, oder jemandem einem abgehackten Pferdekopf ins Bett legen. Hab ich Recht?â, beendete sie ihren Monolog mit einem Lächeln auf den Lippen und wartete gespannt auf die Antwort ihres Gesprächspartners. âÃhmm⦠jetzt bin ich verwirrt. Rory, ich bin es. Ich muss dringen mit dir reden.â, erwiderte die Person am anderen Ende. âDu?â
16. Kapitel
âDu?â, fragte Rory verwirrt und verblüfft. Wieso rief er sie jetzt an? Das war das letzte, womit sie im Moment gerechnet hätte. Wie gerne hätte sie doch jetzt Logans sanfte Stimme gehört und wäre damit noch länger weit ab vom wahren Leben, in dieser wundervollen Ferienwelt verweilt. Aber offenbar wollte es das Schicksal anders. Doch wenn sie genauer über die Sache nachdachte, wurde ihr klar, dass sie noch gar nicht in die Realität zurück wollte und somit auch nicht mit ihren Problemen, die dort auf sie warteten, konfrontiert werden wollte. Doch sie musste zu hören und konnte nicht einfach auflegen. Es war besser so. Dies sagte ihr die leise, feine und sonst unscheinbare Stimme in ihrem Kopf. Also wartete sie geduldig auf die Antwort ihres Gesprächpartners. Nach kurzer Zeit, erwiderte dieser: âJa, Rory ich bins. Ich wollte mit dir redenâ¦â âÃber was willst du denn reden? Ãber was, Dean? Sag mir das. Warum rufst du ausgerechnet jetzt an? Warum ausgerechnet jetzt? Ich verstehe das nicht, Deanâ¦Und warum rufst du an? Warum? Warum blossâ¦?â, unterbrach sie ihn zuerst mit gereizten und aufbrausendem Tonfall in der Stimme. Doch nach und nach wurde ihre Stimme dünner und leiser und wandelte sich fast zu einem Wispern âÃber uns, über⦠über das was passiert ist, in dieser Nacht⦠über als das.â, erwiderte Dean mit sanfter Stimme. âSag es doch einfach, Dean. Ja, wir hatten in dieser Nacht Sex. Und jetzt? Was willst du? Du bist verheiratet und ich habe mit dir geschlafen. Kannst du dir nicht vorstellen, wie es mir jetzt geht?â, fragte Rory mit ungeduldiger, wütender und der langsam wiederkehrender Härte in der Stimme. âWas und jetzt, Rory? Das fragst du noch? Hat es dir nichts bedeutet? Nichts? Rory, mir hat es was bedeutet, viel sogar und wegen Lindsay, ich habe mich von ihr getrennt. Du brauchst dich also wegen dem nicht mehr zu sorg⦠â, erklärte Dean ihr mit trauriger, aber dennoch liebevollen Stimme. âDuâ¦du hast dichâ¦. du hast dich von Lindsay getrennt?â, unterbrach sie ihn stotternd. âJa, Rory, dass habe ich. Wegen dir. Verstehst du, diese Nacht beziehungsweise dieser Abend hat mir wirklich sehr viel bedeutet. Dadurch ist mir klar geworden, dass ich Lindsay nicht liebe. Sondern dich Rory. Ich liebe dich. Das habe ich schon immer getan und werde es auch immer. Ich weiss nicht, wieso ich Lindsay geheiratet habe. Vielleicht weil ich nicht mehr an dich denken wollte. Vielleicht, weil ich endlich mal wieder glücklich sein wollte und nicht immer frustriert, weil du mich nicht mehr haben wolltest. Aber das war falsch. Ich liebe dich und zwar nur dich. Und das kann ich nicht verdrängen. Das habe ich viel zu lange versucht. Doch ich habe eingesehen, dass das der falsche Weg ist und ich der Wahrheit ins Auge sehen muss. Rory verstehst du, ich liebe dich!â, sagte Dean mit liebevoller Stimme und wartete auf Rorys Antwort.
Die Gedanken wirbelten wild in Rorys Kopf herum. Dean liebte sie? Aber warum? Liebte sie ihn auch? Und was war mit Logan? Sie fuhr sich nervös und immer noch angestrengt nachdenkend durch ihr schulterlanges, braunes Haar und liess sich wieder auf ihr weiches Bett fallen. Was sollte sie ihm jetzt sagen? Rory schloss die Augen und hörte Dean am anderen Ende der Telefonleitung leise atmen. Sie wusste, dass es für ihn nicht gerade leicht gewesen sein musste, sie anzurufen, nachdem sie einfach so nach Europa geflüchtet war und sie ihm dies gegenüber mit keinem Wort erwähnt hatte. âWas erwartest du jetzt von mir, Dean?â, fragte sie deshalb nach einer kurzen Zeit, die Dean allerdings wie eine Ewigkeit vorgekommen war. âRory, ich erwarte von dir überhaupt nichts, ich wollte einfach nur, dass du das weiÃt. Ausserdem konnte ich die Tatsache, dass ich dich immer noch liebe, nicht mehr länger verschweigen. Weder vor dir, noch vor mir selbst. Um es nochmals zu sagen, ich erwarte wirklich nichts von dir.â, antwortete Dean immer noch mit liebevoller Stimme. âAber, aber⦠was soll ich denn jetzt machen? Ich mein, du rufst mich an, sagst mir, dass du mich liebst und was mache ich? Ichâ¦. Ich⦠stottere hier vor mich hin und weiss nicht, was ich sagen soll. Verstehst du, dass das schwer für mich ist? Das ist noch nicht weiss, was ich will, was ich fühle? Oder was ich fühlen soll? Ich weiss es noch nicht! Verstehst du? Ich weiss es einfach nichtâ¦â, sagte Rory mit immer noch vor Unsicherheit zitternden und leisen Stimme. âRory, alles ist gut. Wirklich. Ganz ruhig. Komm erst mal runter. Lass dir Zeit und sag mir dann, was du für mich fühlst. Alles wird gut. Vertrau mir.â, erwiderte Dean mit sanfter und einfühlsam klingender Stimme. Rory schloss wieder ihre Augen und atmete tief durch. Alles war so verwirrend. Ihre Gefühle und Gedanken fuhren Achterbahn und sie wusste im Moment noch nicht, wie sie dies stoppen konnte. Sie seufzte leise, dabei hätte sie genau so gut schreien können. Schreien, wie sie es bis jetzt noch nie getan hatte. Sich so, von allem befreien. Oder sich verkriechen, sich verstecken. Am liebsten in starken, warmen Armen. Doch im Moment waren es nicht die Arme von Dean, an die sie dachte und in die sie flüchten wollte, sondern die von Logan. Tränen liefen ihr über ihre zarten Wangen. Liefen immer schneller und verwandelten sich beinahe in einen wilden, unzähmbaren Strom, den niemand bändigen konnte. Doch Rory selbst blieb dabei ruhig. Sie gab keinen Laut von sich. Still und ohne Bewegung, fast wie eine in Stein gehauene Statue hätte sie auf andere Menschen gewirkt, wenn man sie beobachtet hätte. Sie blieb so stumm auf dem weichen Bett liegen, bis Dean sie etwas fragte, was Rory selbst allerdings das erste Mal nicht zu erreichen vermochte. Deshalb schrie Dean beinahe das zweite Mal, was Rory aufschrecken liess. Verwirrt sagte sie: âTut mir leid, ich war gerade wo anders. Tut mir leid. Also was hast du gefragt?â âIch fragte, wann du nach Hause⦠zu mâ¦â, er brach ab. Beinahe hatte er es ausgesprochen, das was er eigentlich nur in seinen Gedanken an
fügen hatte wollen. Er wollte sie nicht drängen und ihr irgendetwas aufzwingen, doch er wollte sie. Allein sie. Ihr wieder nahe sein. Sie spüren, sie riechen, sie küssen, sie neben sich liegen sehen. Doch so ging das nicht. Das wusste er. Also beendete er seinen Satz anders, als zuvor: âWann du nach Hause, nach Stars Hollow kommst. Das habe ich dich gefragt.â Rory musste sich anstrengen Deans Worten zu zuhören. Doch der Inhalt der Frage sickerte zu ihr hindurch. Sie atmete noch ein Mal tief durch, um ihre sicherlich zitternde Stimme, die sie hatte, zu verbergen. âIch bin noch eine Woche in Europa und dann komme ich wieder zurück nach Amerika. Ich bleibe noch 3 Tage hier in Amsterdam und dann hatte meine Grandma noch die Idee, nach Venedig zu fahren. Ich denke auch, dass ich, wenn ich zurückkomme, weiss, was ich will. Nein, ich denke das nicht nur, sondern ich verspreche es dir, dass ich dann eine Entscheidung getroffen habe. Ich verspreche es dir! Ist das okay für dich?â, fragte sie ihn, mit immer noch leicht zitternder Stimme. Dean hielt den Atem an. Eine Woche. Eine Woche? Noch so lange? Aber er wollte sie nicht drängen, also willigte er ein und sagte ihr zuletzt noch: âIch freu mich, wenn du wieder hier bist Rory. Ich vermisse dich.â, âIch vermisse dich auchâ, erwiderte Rory, verblüfft, über ihre eigenen Worte. âMachs gut und bis bald.â. Und mit diesen Worten legte Dean, mit einem jungenhaften Lächeln auf den Lippen, auf. âBis dannâ, sagte Rory leise und klappte ihr Handy zu. Rory erhob sich und versuchte ihre Haare, die verzaust in alle Richtungen abstanden, und ihr Make-up, das durch ihre Tränen verschmiert worden war, wieder einiger Massen in Ordnung zu bringen. War das ihr Herz gewesen, das gerade gesprochen hatte? Sie wusste es nicht und wollte es im Moment auch nicht wissen. Also ging sie, nachdem sie alle Rückstände ihres kleinen Zusammenbruchs beseitigt hatte, zurück zu ihrer Grandma, in der Hoffnung, sie würde von ihr, von ihren Gedanken abgelenkt werden.