31.12.2007, 14:31
6
Selbst ihre Bewusstlosigkeit hatte der Krach durchdrungen und jetzt war ihr plötzlich eiskalt.
Immer mehr Fläche wurde freigelegt und irgendwann sah sie ein Gesicht und begann wie wild im Wasser mit den FüÃen zu strampeln. Wo sie die Kraft dazu hernahm, war ihr selber nicht klar.
Aber sie wollte nicht weg. Sie wollte hier bleiben unter dem Eise, bei ihm! Nirgendwo anders wollte sie jetzt lieber sein, als hier unter dem kalten Tod in seiner Nähe.
Aber so heftig sie sich auch wehrte, sie wurde einfach aus dem Eis gezogen und auf den Arm genommen. âHör auf! Lass mich runter!â, sagte sie, ohne zu erkennen, wer sie zurück ans Ufer trug.
âLass mich sofort zurück! Ich muss ihn da rausholen! Er ist da unten! Lass mich zu ihm!â, schrie sie die Person an, aber ihre schlugen jetzt so heftig aufeinander, dass sie keinen ordentlichen Ton mehr herausbekam.
In ihrer Umgebung war es so unnatürlich kalt geworden, dass sie nun gar nicht mehr wagte sich überhaupt noch zu bewegen, weil es so unglaublich weh tat.
Sie biss sich auf die zitternde Unterlippe und sah zurück auf das klaffende Loch mitten im See.
Er war noch da drin! Er musste auch gerettet werden! Warum hatte man nur sie gerettet und ihn vollkommen übersehen? Er sollte doch wieder bei ihr sein, damit sie wieder mit ihm zusammen sein konnte.
Tränen liefen ihr über das bläuliche Gesicht und verschleierten ihren Blick, während aus irgendeinem unerfindlichen Grund ihre Nase zu bluten begann und kleine Tropfen auf dem Eis hinterlieÃ, über das sie getragen wurde.
Sie blickte auf das Blut hinab und hörte irgendwo tief in ihren Gedanken einen Schuss. Und dann sah sie wieder sein schmerzverzehrtes Gesicht und klammerte sich noch enger an ihren ungewollten Retter, der jetzt am Ufer angekommen war und Treppenstufen hinauf ging.
Er stieà ein Tor auf und befand sich kurzer Hand auf einem riesigen Grundstück. Chrisâ Grundstück. Das Grundstück der beiden Zahnärzte auf dem eine riesige Villa stand in die er sie geradewegs trug.
Melody lieà die Augen zufallen und die erste Frage, die ihr durch den Kopf schoss, war: âWarumâ Doch dann war sie bereits erschöpft eingeschlafen, noch ehe sie in seinem groÃen Bett landete.
In ihrem Traum sah sie genau die selben Bilder noch einmal, nur war sie es, die neben sich selbst stand und sich dabei zusah, wie sie das Eis kaputt machte, um ihrem Bruder zu helfen. Er war doch da. Er war da unten und hatte verzweifelt versucht zu ihr zu gelangen. Warum hatte ihn sonst niemand gesehen?
Bilder aus ihrer Vergangenheit strömten auf sie ein und rissen sie in die Gegenwart ohne ihn zurück. Bis sie knapp eine halbe Stunde später die Augen wieder aufriss und dachte, sie würde ertrinken.
Aber diesmal gab es zwei metallene Griffe, an denen sie sich festkrallte und sich wieder hochzog.
Neben ihr saà Chris und sah ihr dabei zu, wie sie keuchend versuchte wieder Luft in ihre Lungen zu pumpen.
Chris hob eine Augenbraue. In der Badewanne seiner Eltern schien sie sich offensichtlich nicht so wohl zu fühlen wie unter dem Eis des Sees.
Als sie dann doch endlich wieder zu Atem kam, sah sie ihn finster an. Dass sie dabei nichts als ihre Unterwäsche trug ignorierte sie völlig.
âWas soll das?â, fragte sie ihn teilweise schon knurrend. âHat dir schon mal jemand gesagt, dass du andere einfach in Ruhe lassen sollst?â Chris funkelte sie wütend an.
âNicht, wenn es damit endet, dass man tot unter dem Eis liegtâ, zischte er zurück und beobachtete sie eingehend, während sie murrend ins Wasser zurücksank.
Ihr wütender Blick traf seinen und sie fletschte regelrecht die Zähne, während sie sprach: âWärst du so freundlich und könntest mich allein lassen?â, fragte sie ihn. Aber er schüttelte den Kopf und schien es sich noch extra gemütlich zu machen, was auf dem kleinen Hocker schier unmöglich war.
Melody seufzte und gab zumindest das auf. Doch dann hob sie ruckartig wieder den Kopf. âWas ist mit meinen Eltern, kann ich die wenigstens anrufen?â Aber Chris unterbrach sie mit einem Schulterzucken âSie wissen, dass du hier bist und heute hier schläfst, meine sind bis morgen Abend weg und haben demnach auch nichts dagegen.â, erklärte er und stützte seine Ellebogen auf die Knie und seinen Kopf auf die Hände.
Sie ignorierte ihn und begann kleine Eiszapfen aus ihrem Haar zu ziehen, bis er aufstand und sich ans Ende der Badewanne hockte und ihren Blick nicht mehr loslieÃ.
âWarum hast du das gemacht?â, fragte er sie leise und anscheinend wütend. Sie versuchte die Tränen zurückzuhalten, die sich plötzlich bildeten, als sie an sein Gesicht dachte, das sie so hilflos angeblickt hatte, während sie auf das Eis starrte.
âIch wollte zu ihmâ, sagte sie plötzlich nüchtern und blickte ihn direkt an. Seine türkisblauen Augen sprühten Funken, als er sie nur mit einem Stirnrunzeln ansah.
Melody seufzte, was eher wie ein zittriger Schluchzer klang und schlug die Hände vors Gesicht. âIch hab sein Gesicht unter dem Eis gesehen und wollte ihn da raus holen!â, gestand sie und bemerkte plötzlich selbst, wie dämlich das klang.
Sie war schon so verrückt, dass sie ihren toten Bruder überall vermutete, wo es gefährlich werden könnte. Und das, obwohl sie wusste, dass er in einem Sarg zwei Meter unter der Erde lag und ihr nirgendwo anders begegnen würde.
âDu wolltest ihn da raus holen, in dem du dich selbst zum Einbrechen gebracht hast?â Seine Stimme bebte vor Zorn, als er sie innerlich für psychisch krank erklärte. Melody schlug auf das Wasser ein, weil sie genau wusste, was er dachte, und lieà die Badedekoration schwimmen, indem sie mit einem Arm über die geflieste Treppe, die sich an die Wanne anschloss, fegte und alles ins Wasser warf, so dass es platschte.
Um sie herum wurde es immer nasser und alles ging einem für sie perfekten Chaos unter, als sie aus der Wanne sprang und davonrannte.
Dicht gefolgt von Chris, der sie nicht weit kommen lieÃ. Sie war gerade an der Treppe zum Dachgeschoss angelangt, als er ihr die Finger um den nackten, vor Nässe triefenden, Arm legte und sie zurückriss.
Sie schlug auf ihn ein wie eine Wilde und er hatte Mühe sich zu wehren, denn in ihrem Wahnsinn war selbst der Schmerz so überwältigend, dass er ihr noch zusätzliche Kraft verlieh.
âLass mich in Ruhe! Du hast keine Ahnung, von dem, was ich gerade durchmache!â, keifte sie ihn an und als er dann den zweiten Arm auch noch zu fassen kriegte, fing sie an zu beiÃen und schlug ihre Zähne in seine Schulter.
Er schrie auf und versuchte ihren Kopf wegzudrücken, was nicht eben einfach war, wenn er gleichzeitig zwei Arme festhalten sollte, aber das bewirkte nur, dass Melody noch fester zubiss und man durch sein weiÃes Shirt schon das Blut durchsickern sah.
Fassungslos starrten sie beide auf die Wunde, bis sie begriff und den Moment ausnutzte, um sich wieder von ihm loszumachen und die Treppe hinauf zu rennen. Aber als sie ihm Dachgeschoss ankam, wurde ihr schlagartig klar, dass sie genauso gut unten bleiben hätte können.
Es gab keinen Ausweg. Sie war gefangen. Entweder sprang sie zehn Meter in die Tiefe und landete auf dem vereisten Vorgartenboden, oder sie lieà sich von ihm fangen und in die Mangel nehmen.
Unten hörte sie Schritte und Chris, der immer näher kam. Sie zitterte am ganzen Körper und schluchzte, ohne es richtig wahr zu nehmen. Sie wollte das alles nicht mehr, sie wollte nur noch weg von hier, weg von allem, am liebsten wäre sie im See ertrunken, dann hätte sich keiner mehr um sie kümmern müssen, oder sie dort herausgeholt.
Warum war er in ihrer Nähe gewesen, als sie einbrach? Warum war er jetzt in ihrer Nähe?
Langsam sackte sie auf den Boden und schlang die Arme um ihren frierenden Körper, bis Chris vor ihr stand und sich dann ebenfalls vor sie hinsetzte. âIch will nicht, dass du stirbst, oder vor mir wegläufst, weil du ein Gesicht unter dem Eis gesehen hast, dass gar nicht da war. Keiner will das hier, verstehst du?â, fragte er sie sanft und sie nickte immer noch zitternd.
âAber ich will doch nicht, dass er weg ist! Ich will ihn hier haben! Ich will, dass er zurückkommt!â, sagte sie schluchzend und lieà sich von ihm in die Arme ziehen. Dort saà sie eine ganze Weile, bis sie sich beruhigt hatte und zu ihm aufsah.
âEs tut mir leid. Ich war dumm⦠ich weiÃ, dass er nicht da unten ist und ich weiÃ, dass ich das nicht hätte tun sollen, aber ich war wie benebelt.â, sagte sie leise und legte ihren Kopf auf die Knie, der ihr plötzlich ziemlich schwer wurde.
Chris strich ihr über den nackten Rücken und setzte sich in die selbe Position wie sie, nur das er sie beobachtete, während sie dort saà und ihren Kopf zwischen den Knien verbarg.
Ihr Haar bildete einen Vorhang vor ihre linke Gesichtshälfte und er nahm einen Finger und legte es hinter ihr Ohr, als sie ihn ansah. âDankeâ, brachte sie schlieÃlich mühsam hervor und lehnte sich an ihn.
Er nickte nur benommen und hielt sie fest in seinen Armen, während sie zu ihm hochblickte. Er begann am Verschluss ihres BHs rumzufummeln und sie hob ihre Augenbrauen.
âWas machst du da?â, fragte sie ihn schlieÃlich so leise, dass sie sich selbst kaum verstand. Er grinste leicht und sagte dann lediglich: âWeiÃt du nicht mehr, über was wir gesprochen haben? Irgendwann werden wir auch mal hier landen.â
âAber das waren nur Witze!â, flüsterte sie, als sie plötzlich eine Hitzewelle überrollte. Das war nicht richtig, was er da machte, was sie gerade dachte war auch nicht eben besser und sie fühlte sich ganz und gar nicht gut dabei.
âVielleicht auch nicht.â, flüsterte er zurück und küsste sie, damit sie endlich Ruhe gab. Sie lieà es geschehen und landete irgendwann unter ihm. Ihr BH hatte sich anscheinend schon vor Stunden selbstständig gemacht und war plötzlich weg und es fühlte sich für sie so an, als ob sich der Rest ihrer spärlichen Bekleidung gerade in Luft auflöste.
Dann fühlte sie seine Hände auf ihren Bauch, auf ihrem Oberschenkel, er streichelte sie ganz sanft, aber seine Berührungen brannten wie Feuer.
Sie vergaà ihre guten Vorsätze und lieà einfach das mit sich geschehen, was er mit ihr anstellte und schlief dann still in sich hineinweinend ein, als sie daran dachte, was in der nächsten Zeit alles kaputt gehen würde.
Freundschaft fließt aus vielen Quellen, am reinsten aus dem Respekt