02.05.2008, 16:20
So meine lieben Leserinnen und ähm Leserinnen, dies ist mein letzter Ausflug in dieser Fanfiction, denn sie ist beendet. Ich hoffe, das Lesen hat Euch Spaà gemacht. Zumindest ging es mir beim Schreiben immer gut.
Somit wünsche ich Euch an dieser Stelle ein letztes Mal viel Spaà beim lesen. Obwohl das Ende nah ist, freue ich mich über Feedback.
Ich erwachte und suchte Mum, doch ich sah sie nicht. Da war nur mein groÃer Bruder, der weinte - ein seltener Anblick. Dann wurde alles um mich herum dunkel und ich versank in einem tiefen, traumlosen Schlaf.
Nun hockte er an den Beinen seines Bruders, wo er noch nah genug, aber auch leicht entfernt war. Das Piepen, das regelmäÃig die Geräusche um ihn herum durchbrach, sagte ihm, dass Charlie atmete und sein Herz schlug. Jede Bewegung der Sanitäter und Ãrzte beobachtete er genau, seinen eigenen Schmerz nahm er gar nicht wahr, so besorgt war er. Erst als eine Trage erschien, auf der sein Bruder transportiert werden sollte und er wie selbstverständlich aufstehen und ihm folgen wollte, wurde er sich der Wunde an seinem Bein bewusst, denn er konnte sein Körpergewicht nicht mehr halten und fiel zu Boden. Ihm fehlte die Kraft und der Wille weiterzumachen. Binnen Sekunden sah er Rettungspersonal auf sich zukommen, das ihn verarzten wollte, während sein Bruder sich von ihm entfernte. Darum lieà er niemanden an sich heran, wehrte sich vehement gegen jegliche ärztliche Hilfe und hörte nicht auf ihren Rat sondern verlangte, seinen Bruder ins Krankenhaus zu begleiten. In dem Moment war ihm sein Bein egal, nur Charlies Leben zählte. Doch er konnte niemanden davon überzeugen und musste eine kurze Untersuchung über sich ergehen lassen. SchlieÃlich bekam er grünes Licht und der Feuerwehrmann, der zuvor mit ihm durchs Feuer gegangen war, bot ihm seine Hilfe an und stützte ihn auf dem Weg zum Krankenwagen.
Auf einem Notsitz an der Tür saà er und wachte über seinen kleinen Bruder, wie er es schon immer getan hatte und auch für den Rest seines Lebens tun würde. Die Tränen waren zwar versiegt, aber noch immer fühlte er Schmerz in sich, denn er hatte nicht nur um seinen Bruder sondern auch um seine Mutter geweint. Plötzlich war alles wieder da: die Trauer, der Schmerz, die Leere. Die Fahrt schien eine Ewigkeit zu dauern und der Zustand seines Bruders veränderte sich nicht. Er lag immer noch bewusstlos vor ihm, war aber zwischenzeitig intubiert worden, um ihm das Atmen zu erleichtern, wie ihm die Ãrztin erklärt hatte. Es hatte scheinbar auch geholfen, denn laut Gesprächsfetzen, die er aufschnappte, war seine Sättigung gestiegen.
Ich tauche im dunklen Meer der Unendlichkeit. Um mich herum wabbern liegende Achten. Mit kräftigen Zügen suche ich meinen Weg an die Oberfläche, kann aber schon jetzt unter Wasser wieder atmen, tief und gleichmäÃig. Mum ist nicht mehr bei mir, sie hat mich endgültig verlassen, das spüre ich, aber ich bin nicht alleine. Irgendwo ist hier eine verzweifelte Seele, die mich kennt, die mich sucht und mich irgendwann finden wird, wenn ich sie nicht vorher finde.
Die Türen des Krankenwagens öffneten sich und sie standen vor dem Eingang einer Notaufnahme. Zuerst musste Don aussteigen und mobilisierte dafür noch einmal seine allerletzte Kraft, belastete sein Bein und ging ein paar Schritte. Dann wurde die Trage mit seinem Bruder darauf herausbugsiert. Die Sanitäter brabbelten unverständliches Zeug, auf das er nicht hörte, denn er konzentrierte sich nur auf den vor ihm liegenden Weg. Keine Schwäche zeigen rief er sich wieder sein Credo ins Gedächtnis und folgte diesem Rat, indem er stetig einen Fuà vor den anderen setzte, mehr musste er nicht machen. An einer Schwingtür, die in einen Behandlungsraum führte, wurde er aufgehalten, und zwar von einem kräftigen Hünen, der sich als Pfleger herausstellte und seine Wunde versorgen wollte. Sein Blick und sein Griff lieÃen keinen Widerstand zu, so dass er ihm in den Nebenraum folgte, wo er erst eine Tetanusspritze erhielt und dann genäht wurde. Danach kehrte er gleich wieder auf zwei Krücken gestützt, anders durfte er sich nicht fortbewegen, auf den Flur zurück, wo seine Kollegin Megan stand. Kurz versuchte sie, ihn über die Ereignisse auszufragen, doch er ging nicht darauf ein, sondern betrat entschlossen den Behandlungsraum. Eine Schwester, die alle Kabel und Schläuche von seinem Bruder löste und auf die Trage legte, teilte ihm mit, dass Charlie das Gröbste überstanden hatte und sie ihn jetzt auf ein Zimmer bringen würde. Im gleichen Atemzug bot sie ihm an, sie zu begleiten. So folgte er ihr und seinem Bruder aus dem Behandlungsraum, in den Fahrstuhl und schlieÃlich einige Etagen höher auf die Station.
Rechts von mir ist eine Wurzel, die gezogen werden will. Links dagegen sehe ich ein majestätisches Pi, das gerade dabei ist, in einem Kreis zu tauchen, es schwimmt sowohl munter rund herum als auch quer durch die Mitte. Ãber mir ist eine Potenz und unter mir die dazugehörige Basis. Dazwischen sind immer noch unendlich viele Unendlichkeitszeichen am Hin- und Herwuseln. Ich suche, aber ich weià nicht, was, obwohl ... Wenn ich genau darüber nachdenke, weià ich es. Dafür brauche ich noch nicht einmal einen Algorithmus aufzustellen, dazu reicht pure Logik.
Charlie wurde wieder an die Ãberwachungsgeräte angeschlossen und er setzte sich auf einen Stuhl, den die Schwester ihm ans Bett schob. Beim Anblick seines Bruders überkamen ihn Schuldgefühle. Dabei bemerkte er nicht, wie jemand an ihn herangetreten war. Er drehte sich erst um, als er die starke Hand seines Vaters auf seiner Schulter spürte und schaute in dessen vor Schreck starres Gesicht. Für einen Moment lieà er sich gehen, zeigte seine Schwäche und lieà den Tränen, die noch immer herauswollten, wieder freien Lauf, denn er fühlte sich geborgen. Die Hand seines Vaters drückte leichte seine Schulter, was er als Verständnis deutete, aber dieser Moment hielt nicht lange an und Sekunden später war er wieder der Alte, verbarg seine Gefühle und schaute zu seinen Bruder. Derweil zog sein Vater einen Stuhl heran und setzte sich an seine Seite. So saà er mit ihm in einträchtiger Stille, lauschte den Geräten und betrachtete seinen regungslosen Bruder.
Das Gefühl für Zeit hatte er schon lange vergessen und wusste nicht, wie lange er schon hier war, als jemand klopfte. Er drehte sich zur Tür um und sah einen Moment später Amita den Raum betreten. Ihr war offensichtlich, erst in ihrem Blick, dann in ihren Händen, die sie vor den Mund zusammenschlug und schlieÃlich in den lautlosen Tränen, die ihr über die Wangen rannen. Don selbst hatte sie nicht angeschaut, ging dann aber zu ihm und erkundigte sich nach dem Zustand, ehe sie ganz selbstverständlich ans Bett ging, die Hand seines Bruders in ihre schloss, sich zu ihm hinunterbeugte und etwas ins Ohr flüsterte, das nur für ihn bestimmt war.
Der Wind rauscht in den Algen. Wind unter Wasser? Das ist unmöglich.
Das Pi ist immer noch da und taucht um einen gröÃer werdenden Kreis, wodurch sich ein Sog entwickelt, dem ich entgehen muss. Bis zur Wasseroberfläche ist es nicht weit, nur ein paar kräftige Züge und ich werde sie durchstoÃen. Dann bin ich gerettet.
Amita hatte sich aufs Bett gesetzt. Trotzdem hatte Don noch einen guten Blick auf Charlie. Etwas hatte sich geändert, er spürte es, auch wenn er es nicht benennen konnte. Doch er sagte nichts und wartete, behielt dabei aber das Gesicht seines Bruders im Auge. Ein Zucken der Hand, ein Blinzeln – schlieÃlich öffneten sich die Augen. Er hatte es vorausgesehen. Rasch stand sein Vater auf und verlieà den Raum, während Don auf seine Krücken gestützt ans Bett trat und seinen Bruder in die Augen schaute. Sie funkelten wie eh und je, aber da war noch etwas anderes.
Don ich muss Dir etwas sagen.
Ein würgendes Geräusch verlieà Charlies Kehle, weshalb Don ihm mit ruhiger Stimme sagte: "Du wurdest intubiert und kannst nicht sprechen."
Verdammt, Don, Du musst mir zuhören, ich muss Dir das erklären.
Wieder vernahm er das Geräusch. "Beruhige Dich, bitte."
Der Schlauch muss raus, verdammt. Hör mir zu!
An seiner Seite zuckte Amite unwillkürlich zusammen, weshalb Don sich zu ihr umdrehte und sah, dass sein Bruder seine Hand von ihrer gelöst hatte. Die bewegte er über die Bettdecke und schien dabei Muster zu formen.
"Möchtest Du was aufschreiben, Charlie?", fragte Don.
Aufgrund eines kaum merklichen Nickens fragte er Amita nach Papier und Stift, die sie aus ihrer Tasche holte. Den Stift legte er in Charlies Hand und das Papier darunter. Nun beobachtete er ihn dabei, wie dieser zwei Wörter darauf notierte, und zwar „Larry“ und „Garage“. Don konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, war aber wieder in seinem Element. Es musste etwas mit der Lösung des Falls zu tun haben, von der sein Bruder am Telefon gesprochen hatte.
Von seinem Gürtel wollte er ganz selbstverständlich sein Mobiltelefon ziehen und war überrascht, dass es nicht da war. Er wandte sich an Amita, die ihm nun ihres gab. Schnell fand er Larrys Nummer und rief ihn an. Mit wenigen Worten erklärte er, worum es ging, dann legte er auf, um seine Kollegen anzurufen und von der aktuellen Sachlage zu informieren. Es gab etwas zu tun.
Kurze Zeit später knarrte die Zimmertür, als Megan den Raum betrat. Wie sich herausstellte, hatte sie das Krankenhaus noch nicht verlassen und war deshalb sofort bei ihnen. Don forderte sie auf, ihn zu seinem Elternhaus zu fahren, vorher humpelte er aber noch mal ans Bett und beugte sich zu seinem Bruder hinunter.
"Charlie, ich werde jetzt gehen, aber Amita ist hier und Dad kommt auch gleich wieder. Die beiden bleiben bei Dir", sagte er, bevor er ging.
Ich weiÃ, dass Du es schaffen kannst, Don.
Als er nach drauÃen trat, bemerkte er erst, wie spät es schon war, denn es war dunkel und der Mond stand hoch am Himmelszelt. Es musste Stunden her sein, dass er sich mit seinem Bruder in der Garage unterhalten hatte, es kam ihm aber eher wie Sekunden vor. Schweigend fuhr Megan ihn die wenigen Kilometer. Schon von weitem sah er Larrys Oldtimer in der Auffahrt stehen. Schnellstmöglich ging er in die Garage, wo dieser schon an der Tafel stand und Charlies Zahlenwerk betrachtete.
Don forderte ihn auf, alles zu sagen, was er wusste. Dadurch erfuhr er, was die Formel aussagte, wie er sie berechnet hatte und was er damit bezweckte. Sein Bruder hatte tatsächlich die Lösung gefunden. Es war ein Muster, das den nächsten vermutlichen Tatort vorhersagte. War es wirklich so einfach gewesen? Oder war es doch nur der Genius seines Bruders, der zur Lösung beigetragen hatte? Er wusste es nicht, aber er wusste, was er zu tun hatte. Dazu war er aber nicht mehr in der Lage, denn die Geschehnisse des Tages hatten an seinen Kräften gezerrt und er konnte sich kaum noch aufrecht halten. Darum übertrug er seiner Kollegin die Leitung und schickte sie fort, um das Notwendige in die Wege zu leiten. Dann bat er den Freund seines Bruders, ihn wieder ins Krankenhaus zu fahren.
Dort angekommen ging er mit ihm in das Zimmer seines Bruders. Sofort bemerkte er, dass der Schlauch weg war und er nur noch über eine Nasenkanüle mit Sauerstoff versorgt wurde. Charlies Augen waren geschlossen, er schien zu schlafen. Darum wandte er sich von seinem Bruder ab, während Larry ans Bett trat und lieà sich auf einen Stuhl fallen und holte tief Luft. Nur Sekunden später sah er seinen Vater auf sich zukommen, dem er nichts erklären wollte. Darum schüttelte er den Kopf, noch bevor Alan ihn etwas fragen konnte. Das Zeichen schien er zu verstehen, denn er kehrte Don den Rücken zu und ging wieder zu seinem anderen Sohn. Doch das nahm er nur noch am Rande mit, denn ihm fielen schon die Augen zu.
Ich bin zurückgekehrt ins Wasser und tauche wieder. Dieses Mal bin ich nicht alleine, denn an meiner Seite ist Don. Um uns herum spannt sich ein Netz, in dem wir geschützt vor Gefahren durch das Wasser gleiten. Hier zeige ich ihm die Schönheit der Mathematik. Pi verneigt sich vor uns, ehe es wieder Kreise schwimmt. Zahlenreihen begleiten unseren Weg. Doch gröÃtenteils sind wir umgeben von den Unendlichkeitszeichen, die mich schon mal begleitet haben.
Er erwachte aus einem langen Schlaf. Die Sonne kitzelte an seiner Nase und blendete seine Augen. Auf ihm war eine Decke ausgebreitet worden. Als er, nachdem er wieder vollkommen wach war, sofort zu seinem Bruder schaute, der in seinem Krankenbett saà und ihn ebenfalls betrachtete, schmerzte sein Nacken vermutlich von einer verdrehten Kopfhaltung während des Schlafs. Charlies Gesicht zierte schon wieder das für ihn übliche Lächeln und die Nasenkanüle war verschwunden. AuÃer ihnen war niemand im Raum. Kurz massierte Don seinen Nacken, ehe er vorsichtig aufstand und ans Krankenbett trat.
„Wie geht es Dir?“
„Besser. Die Ãrzte haben gesagt, dass ich noch heute nach Hause kann. Was ist mit Dir? Du hast zwölf Stunden geschlafen. Geht’s Dir besser?“
Ãberrascht schaute Don auf seine Uhr und realisierte, wie spät es war. „Verdammt! Ich muss ins Büro. Wo sind Dad, Amita und Larry?“
„Entspann Dich, Du musst nicht ins Büro. Megan war vorhin hier und wollte es Dir persönlich sagen, aber Du hast geschlafen. Sie hat mit Colby und David zusammen die möglichen nächsten Ziele meiner Berechnung in Augenschein genommen. Dabei sind sie zufällig dem Täter in die Arme gelaufen, ein gewisser Declan. Er war Angestellter der Feuerwehr, ihm wurde aber vor ein paar Wochen die Kündigung ausgesprochen. Mit den Bränden wollte er sich rächen, zumindest lautet so seine Aussage.“
Für einen Moment wurde es still, in dem Don erst einmal das Gesagte verarbeitete. Es war geschafft, der Täter war gefasst, was ein Grund zum Aufatmen war. Zudem ging es seinem Bruder offensichtlich sehr viel besser, so dass sein Leben für den Moment in Ordnung war. Erleichtert und beruhigt zugleich setzte er sich auf Charlies Bett.
„Danke, dass Du mein Leben gerettet hast, Charlie.“
„Das ist für mich selbstverständlich. Du hättest und hast dasselbe getan. Danke!“
Nun nahm er die Hand seines Bruders, zog ihn in eine Umarmung und drückte ihn für einen kurzen Moment. Kurz darauf lieà er seinen Bruder los und begann zu grinsen.
„Wenn mal wieder was sein sollte, redest Du mit mir, Charlie? Ich habe keine Lust, Dir ständig den Arsch aus dem Feuer zu ziehen.“ Plötzlich wandelte sich seine Stimmlage und Don wurde ernst. „Mums Tod habe zwar vergessen, aber Dich werde ich nie vergessen kleiner Bruder.“
Somit wünsche ich Euch an dieser Stelle ein letztes Mal viel Spaà beim lesen. Obwohl das Ende nah ist, freue ich mich über Feedback.
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6.
Ich erwachte und suchte Mum, doch ich sah sie nicht. Da war nur mein groÃer Bruder, der weinte - ein seltener Anblick. Dann wurde alles um mich herum dunkel und ich versank in einem tiefen, traumlosen Schlaf.
Nun hockte er an den Beinen seines Bruders, wo er noch nah genug, aber auch leicht entfernt war. Das Piepen, das regelmäÃig die Geräusche um ihn herum durchbrach, sagte ihm, dass Charlie atmete und sein Herz schlug. Jede Bewegung der Sanitäter und Ãrzte beobachtete er genau, seinen eigenen Schmerz nahm er gar nicht wahr, so besorgt war er. Erst als eine Trage erschien, auf der sein Bruder transportiert werden sollte und er wie selbstverständlich aufstehen und ihm folgen wollte, wurde er sich der Wunde an seinem Bein bewusst, denn er konnte sein Körpergewicht nicht mehr halten und fiel zu Boden. Ihm fehlte die Kraft und der Wille weiterzumachen. Binnen Sekunden sah er Rettungspersonal auf sich zukommen, das ihn verarzten wollte, während sein Bruder sich von ihm entfernte. Darum lieà er niemanden an sich heran, wehrte sich vehement gegen jegliche ärztliche Hilfe und hörte nicht auf ihren Rat sondern verlangte, seinen Bruder ins Krankenhaus zu begleiten. In dem Moment war ihm sein Bein egal, nur Charlies Leben zählte. Doch er konnte niemanden davon überzeugen und musste eine kurze Untersuchung über sich ergehen lassen. SchlieÃlich bekam er grünes Licht und der Feuerwehrmann, der zuvor mit ihm durchs Feuer gegangen war, bot ihm seine Hilfe an und stützte ihn auf dem Weg zum Krankenwagen.
Auf einem Notsitz an der Tür saà er und wachte über seinen kleinen Bruder, wie er es schon immer getan hatte und auch für den Rest seines Lebens tun würde. Die Tränen waren zwar versiegt, aber noch immer fühlte er Schmerz in sich, denn er hatte nicht nur um seinen Bruder sondern auch um seine Mutter geweint. Plötzlich war alles wieder da: die Trauer, der Schmerz, die Leere. Die Fahrt schien eine Ewigkeit zu dauern und der Zustand seines Bruders veränderte sich nicht. Er lag immer noch bewusstlos vor ihm, war aber zwischenzeitig intubiert worden, um ihm das Atmen zu erleichtern, wie ihm die Ãrztin erklärt hatte. Es hatte scheinbar auch geholfen, denn laut Gesprächsfetzen, die er aufschnappte, war seine Sättigung gestiegen.
Ich tauche im dunklen Meer der Unendlichkeit. Um mich herum wabbern liegende Achten. Mit kräftigen Zügen suche ich meinen Weg an die Oberfläche, kann aber schon jetzt unter Wasser wieder atmen, tief und gleichmäÃig. Mum ist nicht mehr bei mir, sie hat mich endgültig verlassen, das spüre ich, aber ich bin nicht alleine. Irgendwo ist hier eine verzweifelte Seele, die mich kennt, die mich sucht und mich irgendwann finden wird, wenn ich sie nicht vorher finde.
Die Türen des Krankenwagens öffneten sich und sie standen vor dem Eingang einer Notaufnahme. Zuerst musste Don aussteigen und mobilisierte dafür noch einmal seine allerletzte Kraft, belastete sein Bein und ging ein paar Schritte. Dann wurde die Trage mit seinem Bruder darauf herausbugsiert. Die Sanitäter brabbelten unverständliches Zeug, auf das er nicht hörte, denn er konzentrierte sich nur auf den vor ihm liegenden Weg. Keine Schwäche zeigen rief er sich wieder sein Credo ins Gedächtnis und folgte diesem Rat, indem er stetig einen Fuà vor den anderen setzte, mehr musste er nicht machen. An einer Schwingtür, die in einen Behandlungsraum führte, wurde er aufgehalten, und zwar von einem kräftigen Hünen, der sich als Pfleger herausstellte und seine Wunde versorgen wollte. Sein Blick und sein Griff lieÃen keinen Widerstand zu, so dass er ihm in den Nebenraum folgte, wo er erst eine Tetanusspritze erhielt und dann genäht wurde. Danach kehrte er gleich wieder auf zwei Krücken gestützt, anders durfte er sich nicht fortbewegen, auf den Flur zurück, wo seine Kollegin Megan stand. Kurz versuchte sie, ihn über die Ereignisse auszufragen, doch er ging nicht darauf ein, sondern betrat entschlossen den Behandlungsraum. Eine Schwester, die alle Kabel und Schläuche von seinem Bruder löste und auf die Trage legte, teilte ihm mit, dass Charlie das Gröbste überstanden hatte und sie ihn jetzt auf ein Zimmer bringen würde. Im gleichen Atemzug bot sie ihm an, sie zu begleiten. So folgte er ihr und seinem Bruder aus dem Behandlungsraum, in den Fahrstuhl und schlieÃlich einige Etagen höher auf die Station.
Rechts von mir ist eine Wurzel, die gezogen werden will. Links dagegen sehe ich ein majestätisches Pi, das gerade dabei ist, in einem Kreis zu tauchen, es schwimmt sowohl munter rund herum als auch quer durch die Mitte. Ãber mir ist eine Potenz und unter mir die dazugehörige Basis. Dazwischen sind immer noch unendlich viele Unendlichkeitszeichen am Hin- und Herwuseln. Ich suche, aber ich weià nicht, was, obwohl ... Wenn ich genau darüber nachdenke, weià ich es. Dafür brauche ich noch nicht einmal einen Algorithmus aufzustellen, dazu reicht pure Logik.
Charlie wurde wieder an die Ãberwachungsgeräte angeschlossen und er setzte sich auf einen Stuhl, den die Schwester ihm ans Bett schob. Beim Anblick seines Bruders überkamen ihn Schuldgefühle. Dabei bemerkte er nicht, wie jemand an ihn herangetreten war. Er drehte sich erst um, als er die starke Hand seines Vaters auf seiner Schulter spürte und schaute in dessen vor Schreck starres Gesicht. Für einen Moment lieà er sich gehen, zeigte seine Schwäche und lieà den Tränen, die noch immer herauswollten, wieder freien Lauf, denn er fühlte sich geborgen. Die Hand seines Vaters drückte leichte seine Schulter, was er als Verständnis deutete, aber dieser Moment hielt nicht lange an und Sekunden später war er wieder der Alte, verbarg seine Gefühle und schaute zu seinen Bruder. Derweil zog sein Vater einen Stuhl heran und setzte sich an seine Seite. So saà er mit ihm in einträchtiger Stille, lauschte den Geräten und betrachtete seinen regungslosen Bruder.
Das Gefühl für Zeit hatte er schon lange vergessen und wusste nicht, wie lange er schon hier war, als jemand klopfte. Er drehte sich zur Tür um und sah einen Moment später Amita den Raum betreten. Ihr war offensichtlich, erst in ihrem Blick, dann in ihren Händen, die sie vor den Mund zusammenschlug und schlieÃlich in den lautlosen Tränen, die ihr über die Wangen rannen. Don selbst hatte sie nicht angeschaut, ging dann aber zu ihm und erkundigte sich nach dem Zustand, ehe sie ganz selbstverständlich ans Bett ging, die Hand seines Bruders in ihre schloss, sich zu ihm hinunterbeugte und etwas ins Ohr flüsterte, das nur für ihn bestimmt war.
Der Wind rauscht in den Algen. Wind unter Wasser? Das ist unmöglich.
Das Pi ist immer noch da und taucht um einen gröÃer werdenden Kreis, wodurch sich ein Sog entwickelt, dem ich entgehen muss. Bis zur Wasseroberfläche ist es nicht weit, nur ein paar kräftige Züge und ich werde sie durchstoÃen. Dann bin ich gerettet.
Amita hatte sich aufs Bett gesetzt. Trotzdem hatte Don noch einen guten Blick auf Charlie. Etwas hatte sich geändert, er spürte es, auch wenn er es nicht benennen konnte. Doch er sagte nichts und wartete, behielt dabei aber das Gesicht seines Bruders im Auge. Ein Zucken der Hand, ein Blinzeln – schlieÃlich öffneten sich die Augen. Er hatte es vorausgesehen. Rasch stand sein Vater auf und verlieà den Raum, während Don auf seine Krücken gestützt ans Bett trat und seinen Bruder in die Augen schaute. Sie funkelten wie eh und je, aber da war noch etwas anderes.
Don ich muss Dir etwas sagen.
Ein würgendes Geräusch verlieà Charlies Kehle, weshalb Don ihm mit ruhiger Stimme sagte: "Du wurdest intubiert und kannst nicht sprechen."
Verdammt, Don, Du musst mir zuhören, ich muss Dir das erklären.
Wieder vernahm er das Geräusch. "Beruhige Dich, bitte."
Der Schlauch muss raus, verdammt. Hör mir zu!
An seiner Seite zuckte Amite unwillkürlich zusammen, weshalb Don sich zu ihr umdrehte und sah, dass sein Bruder seine Hand von ihrer gelöst hatte. Die bewegte er über die Bettdecke und schien dabei Muster zu formen.
"Möchtest Du was aufschreiben, Charlie?", fragte Don.
Aufgrund eines kaum merklichen Nickens fragte er Amita nach Papier und Stift, die sie aus ihrer Tasche holte. Den Stift legte er in Charlies Hand und das Papier darunter. Nun beobachtete er ihn dabei, wie dieser zwei Wörter darauf notierte, und zwar „Larry“ und „Garage“. Don konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, war aber wieder in seinem Element. Es musste etwas mit der Lösung des Falls zu tun haben, von der sein Bruder am Telefon gesprochen hatte.
Von seinem Gürtel wollte er ganz selbstverständlich sein Mobiltelefon ziehen und war überrascht, dass es nicht da war. Er wandte sich an Amita, die ihm nun ihres gab. Schnell fand er Larrys Nummer und rief ihn an. Mit wenigen Worten erklärte er, worum es ging, dann legte er auf, um seine Kollegen anzurufen und von der aktuellen Sachlage zu informieren. Es gab etwas zu tun.
Kurze Zeit später knarrte die Zimmertür, als Megan den Raum betrat. Wie sich herausstellte, hatte sie das Krankenhaus noch nicht verlassen und war deshalb sofort bei ihnen. Don forderte sie auf, ihn zu seinem Elternhaus zu fahren, vorher humpelte er aber noch mal ans Bett und beugte sich zu seinem Bruder hinunter.
"Charlie, ich werde jetzt gehen, aber Amita ist hier und Dad kommt auch gleich wieder. Die beiden bleiben bei Dir", sagte er, bevor er ging.
Ich weiÃ, dass Du es schaffen kannst, Don.
Als er nach drauÃen trat, bemerkte er erst, wie spät es schon war, denn es war dunkel und der Mond stand hoch am Himmelszelt. Es musste Stunden her sein, dass er sich mit seinem Bruder in der Garage unterhalten hatte, es kam ihm aber eher wie Sekunden vor. Schweigend fuhr Megan ihn die wenigen Kilometer. Schon von weitem sah er Larrys Oldtimer in der Auffahrt stehen. Schnellstmöglich ging er in die Garage, wo dieser schon an der Tafel stand und Charlies Zahlenwerk betrachtete.
Don forderte ihn auf, alles zu sagen, was er wusste. Dadurch erfuhr er, was die Formel aussagte, wie er sie berechnet hatte und was er damit bezweckte. Sein Bruder hatte tatsächlich die Lösung gefunden. Es war ein Muster, das den nächsten vermutlichen Tatort vorhersagte. War es wirklich so einfach gewesen? Oder war es doch nur der Genius seines Bruders, der zur Lösung beigetragen hatte? Er wusste es nicht, aber er wusste, was er zu tun hatte. Dazu war er aber nicht mehr in der Lage, denn die Geschehnisse des Tages hatten an seinen Kräften gezerrt und er konnte sich kaum noch aufrecht halten. Darum übertrug er seiner Kollegin die Leitung und schickte sie fort, um das Notwendige in die Wege zu leiten. Dann bat er den Freund seines Bruders, ihn wieder ins Krankenhaus zu fahren.
Dort angekommen ging er mit ihm in das Zimmer seines Bruders. Sofort bemerkte er, dass der Schlauch weg war und er nur noch über eine Nasenkanüle mit Sauerstoff versorgt wurde. Charlies Augen waren geschlossen, er schien zu schlafen. Darum wandte er sich von seinem Bruder ab, während Larry ans Bett trat und lieà sich auf einen Stuhl fallen und holte tief Luft. Nur Sekunden später sah er seinen Vater auf sich zukommen, dem er nichts erklären wollte. Darum schüttelte er den Kopf, noch bevor Alan ihn etwas fragen konnte. Das Zeichen schien er zu verstehen, denn er kehrte Don den Rücken zu und ging wieder zu seinem anderen Sohn. Doch das nahm er nur noch am Rande mit, denn ihm fielen schon die Augen zu.
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Ich bin zurückgekehrt ins Wasser und tauche wieder. Dieses Mal bin ich nicht alleine, denn an meiner Seite ist Don. Um uns herum spannt sich ein Netz, in dem wir geschützt vor Gefahren durch das Wasser gleiten. Hier zeige ich ihm die Schönheit der Mathematik. Pi verneigt sich vor uns, ehe es wieder Kreise schwimmt. Zahlenreihen begleiten unseren Weg. Doch gröÃtenteils sind wir umgeben von den Unendlichkeitszeichen, die mich schon mal begleitet haben.
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Er erwachte aus einem langen Schlaf. Die Sonne kitzelte an seiner Nase und blendete seine Augen. Auf ihm war eine Decke ausgebreitet worden. Als er, nachdem er wieder vollkommen wach war, sofort zu seinem Bruder schaute, der in seinem Krankenbett saà und ihn ebenfalls betrachtete, schmerzte sein Nacken vermutlich von einer verdrehten Kopfhaltung während des Schlafs. Charlies Gesicht zierte schon wieder das für ihn übliche Lächeln und die Nasenkanüle war verschwunden. AuÃer ihnen war niemand im Raum. Kurz massierte Don seinen Nacken, ehe er vorsichtig aufstand und ans Krankenbett trat.
„Wie geht es Dir?“
„Besser. Die Ãrzte haben gesagt, dass ich noch heute nach Hause kann. Was ist mit Dir? Du hast zwölf Stunden geschlafen. Geht’s Dir besser?“
Ãberrascht schaute Don auf seine Uhr und realisierte, wie spät es war. „Verdammt! Ich muss ins Büro. Wo sind Dad, Amita und Larry?“
„Entspann Dich, Du musst nicht ins Büro. Megan war vorhin hier und wollte es Dir persönlich sagen, aber Du hast geschlafen. Sie hat mit Colby und David zusammen die möglichen nächsten Ziele meiner Berechnung in Augenschein genommen. Dabei sind sie zufällig dem Täter in die Arme gelaufen, ein gewisser Declan. Er war Angestellter der Feuerwehr, ihm wurde aber vor ein paar Wochen die Kündigung ausgesprochen. Mit den Bränden wollte er sich rächen, zumindest lautet so seine Aussage.“
Für einen Moment wurde es still, in dem Don erst einmal das Gesagte verarbeitete. Es war geschafft, der Täter war gefasst, was ein Grund zum Aufatmen war. Zudem ging es seinem Bruder offensichtlich sehr viel besser, so dass sein Leben für den Moment in Ordnung war. Erleichtert und beruhigt zugleich setzte er sich auf Charlies Bett.
„Danke, dass Du mein Leben gerettet hast, Charlie.“
„Das ist für mich selbstverständlich. Du hättest und hast dasselbe getan. Danke!“
Nun nahm er die Hand seines Bruders, zog ihn in eine Umarmung und drückte ihn für einen kurzen Moment. Kurz darauf lieà er seinen Bruder los und begann zu grinsen.
„Wenn mal wieder was sein sollte, redest Du mit mir, Charlie? Ich habe keine Lust, Dir ständig den Arsch aus dem Feuer zu ziehen.“ Plötzlich wandelte sich seine Stimmlage und Don wurde ernst. „Mums Tod habe zwar vergessen, aber Dich werde ich nie vergessen kleiner Bruder.“
-Ende-
Danke an Jo & XY ungelöst - die weltbesten Künstlerinnen
Ideenlos und stolz darauf!