31.03.2009, 23:02
Also,
1. DANKE DANKE DANKE für das FB :-)
2. Tut mir leid, dass es etwas länger gedauert hat
3. Viel Spaà mit dem neuen teil :-)
ELENA
Früher hab ich mir vorgestellt, ich wäre in dieser Familie nur auf der Durchreise auf dem Weg in die richtige. So abwegig ist das gar nicht.
Ich saà in der Krankenhauscafeteria bei Gummipommes und rotem Wackelpudding und schaute von einem Tisch zum anderen und malte mir aus, meine echten Eltern säÃen vielleicht nur ein Tablett von mir entfernt. Sie würden vor Freude weinen, dass sie mich endlich gefunden haben und auf der Stelle mit mir auf unser Schloss in Monaco oder Rumänien fliegen und mir ein Dienstmädchen geben, dass nach frischer Bettwäsche riechen würde und ich bekäme einen Golden Retriever und ein eigenes Telefon. BloÃ, die erste, die ich angerufen hätte, um mit meinem neuen Glück zu praheln, wäre Sarah.
Sarah hat pro Woche drei Dialysesitzungen, die jeweils zwei Stunden dauern. Sie hat einen zweilumigen Katheter, der aussieht, wie ihr Port ausgesehen hat und an derselben Stelle aus ihrer Brust ragt. Er wird mit einer Maschine verbunden, die die Arbeit erledigt, die ihre Nieren nicht mehr erledigen können. Sarahs Blut (eigentlich mein Blut, wenn man's genau nimmt) flieÃt durch eine Nadel aus ihrem Körper heraus, wird gereinigt und flieÃt dann durch eine zweite Nadel wieder in ihren Körper zurück. Sie sagt, es tut nicht weh. Es ist vorallem langweilig. Meistens nimmt sie sich ein Buch oder ihren MP3 Player mit. Manchmal spielen wir was. âGeh raus auf den Flur und erzähl mir was von dem ersten tollen Typen, den du siehstâ, sagt Sarah zum Beispiel. Oder: âSchleich dich an den Pförtner ran, wenn er im Internet surft und guck, von wem er sich Nacktfotos runterlädt.â Wenn sie and Bett gefesselt ist, bin ich Auge und Ohr für sie.
Heute liest sie die Zeitschrift âAllureâ, Ob sie überhaupt merkt, dass sie jedes Model mit V-Ausschnitt am Schlüsselbein berührt, an der Stelle, wo sie einen Katheter hat und die Models keinen?
âHeâ, verkündet meine Mutter aus heiterem Himmel, âdas ist ja interessant.â Sie wedelt mit einer Broschüre, die sie drauÃen vor Sarahs Zimmer am Schwarzen Brett gefunden hat: âDu und deine neue Niereâ. âWusstet ihr, dass sie die alte Niere gar nicht rausnehmen? Sie transplanieren einfach die neue in dich rein und schlieÃen sie an.â
âGruseligâ, sagt Sarah. âStell dir vor, der Gerichtsmediziner schneidet dich auf und sieht, dass du drei Nieren hast.â
âAber die Transplantation ist ja gerade dafür das, dass dich sobald kein Gerichtsmediziner aufschneidetâ, erwidert meine Mutter. Diese fiktionale Niere, von der sie spricht, befindet sich im Augenblick in meinem Körper. Ich habe die Broschüre auch gelesen.
Eine Nierenspende gilt als relativ ungefährliche Operation, aber wenn ihr mich fragt, muss der Verfasser sie mit einer Herz-Lungen-Transplantation oder der Entfernung eines Gehirntumors verglichen haben. Unter einer ungefährlichen Operation stelle ich mir einen Eingriff vor, bei dem du zum Arzt gehst und die ganze Zeit wach bist und die Sache nach 5 Minuten vorüber ist â zum Beispiel, wenn du eine Warze entfernt bekommst oder der Zahnarzt bohren muss. Aber wenn du eine Niere spendest, musst du am Abend vor der Operation fasten und ein Abführmittel nehmen. Du kriegst eine Vollnarkose, was solche Risiken wie Schlaganfall, Herinfarkt oder Lungenprobleme mit sich bringt. Die vierstündige Operation ist auch nicht gerade ein Erholungsspaziergang â deine Chancen auf dem OP-Tisch zu sterben, betragen 1 zu 3000. Wenn du nicht stirbst, musst du 4 bis 6 Tage im Krankenhaus bleiben, bis zur vollständigen Genesung dauert es allerdings 4 bis 6 Wochen. Ganz zu schweigen von den langfristigen Folgen: Das Bluthochdruckrisiko ist erhöht, bei einer Schwangerschaft kann es eher zu Komplikationen kommen und du solltest möglichst auf Aktivitäten verzichten, bei denen die einzige Niere, die du noch hast, Schaden nehmen könnte.
Es klopft an der Tür und ein vertrautes Gesicht lugt herein. Vern Stackhouse ist Sheriff und ein guter Freund von meinem Dad. Er ist früher oft bei uns zu Hause vorbeigekommen, um guten Tag zu sagen oder uns Weihnachtsgeschenke zu bringen. In letzter Zeit hat er David, wenn der was ausgefressen hatte, nach Hause gebracht, statt ihn der Justiz zu überstellen. Wenn man zu einer Familie mit einer todkranken Tochter gehört, drücken die Leute schon mal ein Auge zu.
Verns Gesicht ist wie ein Souffle, das an den erstaunlichsten Stellen einfällt. Er ist offenbar unsicher, ob er reinkommen darf. âÃhmâ, sagt er. âHallo, Rory.â
âVern!â Meine Mutter steht auf. âWas machen Sie denn im Krankenhaus? Ist alles in Ordnung?â
âOh ja, alles bestens. Ich bin beruflich hier.â
âPapiere überstellen, was?â
âGenau.â Vern tritt nervös auf der Stelle und schiebt eine Hand in seine Jacke wie Napoleon. âEs tut mir schrecklich leid, Roryâ, sag er und dann hält er ihr ein Kuvert hin.
Genau wie Sarah flieÃt mir alles Blut aus dem Körper. Ich könnte mich nicht rühren, wenn ich wollte.
âAber was ... Vern, werde ich verklagt?â Die Stimme meiner Mutter ist viel zu ruhig.
âRory, ich öffne die Kuverts nicht, Ich überbringe sie nur. Und Ihr Name steht vorne drauf. Also, wenn ich, äh, irgendwas -â Er beendet den Satz nicht. Mit dem Hut in den Händen zieht er sich durch die Tür zurück.
âMom?â, sagt Sarah. âwas ist denn los?â
âIch hab keine Ahnung.â Sie öffnet das Kuvert und nimmt ein Blatt Papier heraus. Ich stehe neben ihr und kann einen Blick darauf erfen. BUNDESSTAAT CONNECTICUT, lese ich quer über der Seite. Dann FAMILIENGERICHT HARTFORD. IN SACHEN: ELENA HUNTZBERGER.
ANTRAG AUF ENTLASSUNG AUS DER ELTERLICHEN GEWALT IN MEDIZINISCHEN FRAGEN.
Ach du Schande, denke ich. Meine Wangen brennen, mein Herz kloft wie wild. Ich fühle mich wie damals in der Schule, als die Schulleiterin meinen Eltern einen Brief geschrieben hatte, weil ich in meinem Matheheft eine Karikatur von Mrs. Newman und ihrem kolossalen Hintern gezeichnet hatte. Nein, stimmt nicht â ich fühle mich tausendmal schlimmer.
Im einzelnen wird beantragt:
Dass sie das Entscheidungsrecht in allen sie betreffenden medizinischen Belangen erhält.
Dass sie nicht zu einer medizinischen Behandlung gezwungen wird, die nicht in ihrem Interesse liegt oder zu ihrem Vorteil gereicht.
Dass sie nicht mehr zu medizinischen MaÃnahmen genötigt wird, die ihrer Schwester Sarah zum Vorteil gereichen.
Meine Mutter blickt mich an. âElenaâ, flüstert sie, âwas zum Teufel ist das hier?â
Es trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube, jetzt wo es tatsächlich passiert. Was soll ich ihr bloà sagen?
âElena!â Sie macht einen Schritt auf mich zu.
Hinter mir schreit Sarah plötzlich auf. âMom, aua, Mom ... mir tut was weh, hol den Pfleger!â
Meine Mutter wendet sich halb ab. Sarah hat sich auf die Seite gerollt, die Haare fallen ihr übers Gesicht. Ich glaube, dass mich durch sie hindurch anschaut, aber sicher bin ich mir nicht. âMom, bitte!â
Einen Augenblick ist meine Mutter zwischen uns hin und her gerissen, blickt von Sarah zu mir und wieder zurück.
Meine Schwester hat Schmerzen und ich bin erleichtert. Was sagt das nun über mich aus?
Als ich aus dem Zimmer laufe, sehe ich noch, wie meine Mutter immer wieder den Rufknopf drückt, als wöre er der Auslöser für eine Bombe.
Ich kann mich weder in der Cafeteria noch in der Einganfshalle verstecken, da würden sie mich am ehesten vermuten. Also nehme ich die Treppe in den fünften Stock, Entbindungsstation. Im Wartebereich ist nur ein Telefon und das wird gerade benutzt: âSechs Pfund, 33 Grammâ, sagt der Mann und lächelt so breit, dass ich denke, sein Gesicht kriegt gleich Risse. âSie ist einfach vollkommen.â
Haben meine Eltern auch so reagiert, als ich da war? Hat mein Vater Rauchsignale verschickt? Hat er meine Finger und Zehen gezählt, in der sicheren Gewissheit, dass er die wunderschönste Zahl im Universum herausbekommen würde? Hat meine Mutter mich oben auf den Kopf geküsst und sich geweigert, mich an die Krankenschwester herzugeben, die mich saubermachen wollte? Oder haben sie mich ohne weiteres abgegeben, da sich das einzige wichtige zwischen meinem Bauch und der Plazenta befand?
Der frischgebackene Vater hängt endlich ein, lacht, ohne ersichtlichen Grund. âGlückwunschâ, sage ich, obwohl ich viel lieber sagen würde, er soll seine kleine Tochter nehmen und sie ganz fest halten, den Mond auf den Rand ihres Bettchens setzen und ihren Namen oben in die Sterne hängen, damit sie ihm nie im Leben das antut, was ich meinen Eltern angetan habe.
Ich rufe David an. 20 Minuten später fährt sein Wagen vor dem Haupteingang vor. Inzwischen ist Deputy Stackhouse informiert worden, dass ich verschwunden bin.
Er wartet an der Tür, als ich herauskomme. âElena, deine Mutter macht sich furchtbare Sorgen um dich. Sie hat deinen Vater hergeholt. Er lässt das ganze Krankenhaus auf den Kopf stellen.â
Ich holte tief Luft. âDann sagen Sie ihr, dass es mir gut gehtâ, erwidere ich und steige rasch zu David in den Wagen. Er fährt los und zündet sich eine Merit an, obwohl ich genau weiÃ, dass er meiner Mutter erzählt hat, er hätte aufgehört. Er dreht die Musik laut, schlägt mit der flachen Hand auf das Lenkrad, Erst als er an der Ausfahrt Frog Hollow vom Highway abbiegt, macht er das Radio aus und wird langwamer. âUnd, ist sie ausgerastet?â
âSie hat Dad von derArbeit weggeholt.â
In unserer Familie gilt es als Todsünde, meinen Vater von der Arbeit wegzuholen.
âDas letzte Mal, als sie das getan hatâ, sagt David zu mir, âwar Sarahs Krankeheit gerade festgestellt worden.â
âNa toll.â Ich verschränke die Arme. âDa fühl ich mich doch gleich viel besser.â
David lächelt bloÃ. Er bläst einen Rauchring. âSchwesterchenâ, sagt er, âwillkommen auf der dunklen Seite.â
Sie fegen herein wie ein Wirbelwind. Sarah schafft es kaum mich anzusehen, ehe mein Vater sie nach oben in unser Zimmer schickt. Meine Mutter knallt ihre Handtasche hin, dann ihre Autoschlüssel und kommt dann auf mich zu. âAlso schönâ, sagt sie mit fast überschnappender Stimme. âWas ist los?â
Ich räuspere mich. âIch habe mir einen Anwalt genommen.â
âOffensichtlich.â Meine Mutter greift sich das Telefon und hält es mir hin. âUnd jetzt sie zu, dass du ihn wieder loswirst.â
Es kostet mich ungeheure Anstrengung, aber ich schaffe es, den Kopf zu schütteln und das Telefon auf die Couchkissen fallen zu lassen.
âElena, in Gottes Namen -â
âRory.â Die Stimme meines Vaters ist eine Axt. Sie fährt zwischen uns und wir springen auseinander. âWir sollten Elena Gelegenheit geben, die Sache zu erklären. Da waren wir uns doch einig, nicht?â
Ich senke den Kopf. âIch will es nicht mehr.â
Meine Mutter braust erneut auf. âAch nein, weiÃt du was, Elena, ich will es auch nicht. Und Sarah erst recht nicht. Aber wir haben nun mal keine andere Wahl.â
Aber ich habe eine andere Wahl. Genau deshalb muss ich diesen Schritt tun.
Meine Mutter baut sich vor mir auf. âDu bist zu einen Anwalt gegangen und hast ihm weisgemacht, es ginge nur um dich â aber das stimmt nicht. Es geht um uns. Um uns alle -â
Die Hände meines Vaters schlieÃen sich um ihre Schultern und drücken zu.
âElena, Kleines, wir wissen, du denkst, dass du das tun musstest -â
âIch denke das nichtâ, fällt ihm meine Mutter ins Wort.
Mein Vater schlieÃt die Augen. âRory. Halt den Mund, verdammt.â Dann blickt er wieder mich an. âKönnen wir uns unterhalten, nur wir drei, ohne dass ein Anwalt das für uns tun muss?â
Mir treten Tränen in die Augen, als er das sagt. Aber ich habe gewusst, dass es so kommen würde. Deshalb hebe ich das Kinn und lasse den Tränen gleichzeitig freien Lauf.
âNein, Daddy, ich kann nicht.â
âUm Gottes Willen, Elenaâ, sagt meine Mutter. âIst dir überhaupt klar, was das für Folgen hat?â
Meine Kehle verschlieÃt sich wie der Verschluss einer Kamera, so das Luft und Entschuldigungen durch einen nadeldünnen Tunnel müssen. Ich bin unsichtbar, denke ich und merke zu spät, dass ich es ausgesprochen habe.
Meine Mutter ist so schnell, dass ich es nicht einmal kommen sehe. Doch sie schlägt mich so fest ins Gesicht, dass mein Kopf nach hinten schnellt. Der Abdruck ihrer Hand brandmarkt mich noch, als er längst verblasst ist. Falls irgendwer noch Zweifel hatte: Scham hat fünf Finger.
1. DANKE DANKE DANKE für das FB :-)
2. Tut mir leid, dass es etwas länger gedauert hat
3. Viel Spaà mit dem neuen teil :-)
ELENA
Früher hab ich mir vorgestellt, ich wäre in dieser Familie nur auf der Durchreise auf dem Weg in die richtige. So abwegig ist das gar nicht.
Ich saà in der Krankenhauscafeteria bei Gummipommes und rotem Wackelpudding und schaute von einem Tisch zum anderen und malte mir aus, meine echten Eltern säÃen vielleicht nur ein Tablett von mir entfernt. Sie würden vor Freude weinen, dass sie mich endlich gefunden haben und auf der Stelle mit mir auf unser Schloss in Monaco oder Rumänien fliegen und mir ein Dienstmädchen geben, dass nach frischer Bettwäsche riechen würde und ich bekäme einen Golden Retriever und ein eigenes Telefon. BloÃ, die erste, die ich angerufen hätte, um mit meinem neuen Glück zu praheln, wäre Sarah.
Sarah hat pro Woche drei Dialysesitzungen, die jeweils zwei Stunden dauern. Sie hat einen zweilumigen Katheter, der aussieht, wie ihr Port ausgesehen hat und an derselben Stelle aus ihrer Brust ragt. Er wird mit einer Maschine verbunden, die die Arbeit erledigt, die ihre Nieren nicht mehr erledigen können. Sarahs Blut (eigentlich mein Blut, wenn man's genau nimmt) flieÃt durch eine Nadel aus ihrem Körper heraus, wird gereinigt und flieÃt dann durch eine zweite Nadel wieder in ihren Körper zurück. Sie sagt, es tut nicht weh. Es ist vorallem langweilig. Meistens nimmt sie sich ein Buch oder ihren MP3 Player mit. Manchmal spielen wir was. âGeh raus auf den Flur und erzähl mir was von dem ersten tollen Typen, den du siehstâ, sagt Sarah zum Beispiel. Oder: âSchleich dich an den Pförtner ran, wenn er im Internet surft und guck, von wem er sich Nacktfotos runterlädt.â Wenn sie and Bett gefesselt ist, bin ich Auge und Ohr für sie.
Heute liest sie die Zeitschrift âAllureâ, Ob sie überhaupt merkt, dass sie jedes Model mit V-Ausschnitt am Schlüsselbein berührt, an der Stelle, wo sie einen Katheter hat und die Models keinen?
âHeâ, verkündet meine Mutter aus heiterem Himmel, âdas ist ja interessant.â Sie wedelt mit einer Broschüre, die sie drauÃen vor Sarahs Zimmer am Schwarzen Brett gefunden hat: âDu und deine neue Niereâ. âWusstet ihr, dass sie die alte Niere gar nicht rausnehmen? Sie transplanieren einfach die neue in dich rein und schlieÃen sie an.â
âGruseligâ, sagt Sarah. âStell dir vor, der Gerichtsmediziner schneidet dich auf und sieht, dass du drei Nieren hast.â
âAber die Transplantation ist ja gerade dafür das, dass dich sobald kein Gerichtsmediziner aufschneidetâ, erwidert meine Mutter. Diese fiktionale Niere, von der sie spricht, befindet sich im Augenblick in meinem Körper. Ich habe die Broschüre auch gelesen.
Eine Nierenspende gilt als relativ ungefährliche Operation, aber wenn ihr mich fragt, muss der Verfasser sie mit einer Herz-Lungen-Transplantation oder der Entfernung eines Gehirntumors verglichen haben. Unter einer ungefährlichen Operation stelle ich mir einen Eingriff vor, bei dem du zum Arzt gehst und die ganze Zeit wach bist und die Sache nach 5 Minuten vorüber ist â zum Beispiel, wenn du eine Warze entfernt bekommst oder der Zahnarzt bohren muss. Aber wenn du eine Niere spendest, musst du am Abend vor der Operation fasten und ein Abführmittel nehmen. Du kriegst eine Vollnarkose, was solche Risiken wie Schlaganfall, Herinfarkt oder Lungenprobleme mit sich bringt. Die vierstündige Operation ist auch nicht gerade ein Erholungsspaziergang â deine Chancen auf dem OP-Tisch zu sterben, betragen 1 zu 3000. Wenn du nicht stirbst, musst du 4 bis 6 Tage im Krankenhaus bleiben, bis zur vollständigen Genesung dauert es allerdings 4 bis 6 Wochen. Ganz zu schweigen von den langfristigen Folgen: Das Bluthochdruckrisiko ist erhöht, bei einer Schwangerschaft kann es eher zu Komplikationen kommen und du solltest möglichst auf Aktivitäten verzichten, bei denen die einzige Niere, die du noch hast, Schaden nehmen könnte.
Es klopft an der Tür und ein vertrautes Gesicht lugt herein. Vern Stackhouse ist Sheriff und ein guter Freund von meinem Dad. Er ist früher oft bei uns zu Hause vorbeigekommen, um guten Tag zu sagen oder uns Weihnachtsgeschenke zu bringen. In letzter Zeit hat er David, wenn der was ausgefressen hatte, nach Hause gebracht, statt ihn der Justiz zu überstellen. Wenn man zu einer Familie mit einer todkranken Tochter gehört, drücken die Leute schon mal ein Auge zu.
Verns Gesicht ist wie ein Souffle, das an den erstaunlichsten Stellen einfällt. Er ist offenbar unsicher, ob er reinkommen darf. âÃhmâ, sagt er. âHallo, Rory.â
âVern!â Meine Mutter steht auf. âWas machen Sie denn im Krankenhaus? Ist alles in Ordnung?â
âOh ja, alles bestens. Ich bin beruflich hier.â
âPapiere überstellen, was?â
âGenau.â Vern tritt nervös auf der Stelle und schiebt eine Hand in seine Jacke wie Napoleon. âEs tut mir schrecklich leid, Roryâ, sag er und dann hält er ihr ein Kuvert hin.
Genau wie Sarah flieÃt mir alles Blut aus dem Körper. Ich könnte mich nicht rühren, wenn ich wollte.
âAber was ... Vern, werde ich verklagt?â Die Stimme meiner Mutter ist viel zu ruhig.
âRory, ich öffne die Kuverts nicht, Ich überbringe sie nur. Und Ihr Name steht vorne drauf. Also, wenn ich, äh, irgendwas -â Er beendet den Satz nicht. Mit dem Hut in den Händen zieht er sich durch die Tür zurück.
âMom?â, sagt Sarah. âwas ist denn los?â
âIch hab keine Ahnung.â Sie öffnet das Kuvert und nimmt ein Blatt Papier heraus. Ich stehe neben ihr und kann einen Blick darauf erfen. BUNDESSTAAT CONNECTICUT, lese ich quer über der Seite. Dann FAMILIENGERICHT HARTFORD. IN SACHEN: ELENA HUNTZBERGER.
ANTRAG AUF ENTLASSUNG AUS DER ELTERLICHEN GEWALT IN MEDIZINISCHEN FRAGEN.
Ach du Schande, denke ich. Meine Wangen brennen, mein Herz kloft wie wild. Ich fühle mich wie damals in der Schule, als die Schulleiterin meinen Eltern einen Brief geschrieben hatte, weil ich in meinem Matheheft eine Karikatur von Mrs. Newman und ihrem kolossalen Hintern gezeichnet hatte. Nein, stimmt nicht â ich fühle mich tausendmal schlimmer.
Im einzelnen wird beantragt:
Dass sie das Entscheidungsrecht in allen sie betreffenden medizinischen Belangen erhält.
Dass sie nicht zu einer medizinischen Behandlung gezwungen wird, die nicht in ihrem Interesse liegt oder zu ihrem Vorteil gereicht.
Dass sie nicht mehr zu medizinischen MaÃnahmen genötigt wird, die ihrer Schwester Sarah zum Vorteil gereichen.
Meine Mutter blickt mich an. âElenaâ, flüstert sie, âwas zum Teufel ist das hier?â
Es trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube, jetzt wo es tatsächlich passiert. Was soll ich ihr bloà sagen?
âElena!â Sie macht einen Schritt auf mich zu.
Hinter mir schreit Sarah plötzlich auf. âMom, aua, Mom ... mir tut was weh, hol den Pfleger!â
Meine Mutter wendet sich halb ab. Sarah hat sich auf die Seite gerollt, die Haare fallen ihr übers Gesicht. Ich glaube, dass mich durch sie hindurch anschaut, aber sicher bin ich mir nicht. âMom, bitte!â
Einen Augenblick ist meine Mutter zwischen uns hin und her gerissen, blickt von Sarah zu mir und wieder zurück.
Meine Schwester hat Schmerzen und ich bin erleichtert. Was sagt das nun über mich aus?
Als ich aus dem Zimmer laufe, sehe ich noch, wie meine Mutter immer wieder den Rufknopf drückt, als wöre er der Auslöser für eine Bombe.
Ich kann mich weder in der Cafeteria noch in der Einganfshalle verstecken, da würden sie mich am ehesten vermuten. Also nehme ich die Treppe in den fünften Stock, Entbindungsstation. Im Wartebereich ist nur ein Telefon und das wird gerade benutzt: âSechs Pfund, 33 Grammâ, sagt der Mann und lächelt so breit, dass ich denke, sein Gesicht kriegt gleich Risse. âSie ist einfach vollkommen.â
Haben meine Eltern auch so reagiert, als ich da war? Hat mein Vater Rauchsignale verschickt? Hat er meine Finger und Zehen gezählt, in der sicheren Gewissheit, dass er die wunderschönste Zahl im Universum herausbekommen würde? Hat meine Mutter mich oben auf den Kopf geküsst und sich geweigert, mich an die Krankenschwester herzugeben, die mich saubermachen wollte? Oder haben sie mich ohne weiteres abgegeben, da sich das einzige wichtige zwischen meinem Bauch und der Plazenta befand?
Der frischgebackene Vater hängt endlich ein, lacht, ohne ersichtlichen Grund. âGlückwunschâ, sage ich, obwohl ich viel lieber sagen würde, er soll seine kleine Tochter nehmen und sie ganz fest halten, den Mond auf den Rand ihres Bettchens setzen und ihren Namen oben in die Sterne hängen, damit sie ihm nie im Leben das antut, was ich meinen Eltern angetan habe.
Ich rufe David an. 20 Minuten später fährt sein Wagen vor dem Haupteingang vor. Inzwischen ist Deputy Stackhouse informiert worden, dass ich verschwunden bin.
Er wartet an der Tür, als ich herauskomme. âElena, deine Mutter macht sich furchtbare Sorgen um dich. Sie hat deinen Vater hergeholt. Er lässt das ganze Krankenhaus auf den Kopf stellen.â
Ich holte tief Luft. âDann sagen Sie ihr, dass es mir gut gehtâ, erwidere ich und steige rasch zu David in den Wagen. Er fährt los und zündet sich eine Merit an, obwohl ich genau weiÃ, dass er meiner Mutter erzählt hat, er hätte aufgehört. Er dreht die Musik laut, schlägt mit der flachen Hand auf das Lenkrad, Erst als er an der Ausfahrt Frog Hollow vom Highway abbiegt, macht er das Radio aus und wird langwamer. âUnd, ist sie ausgerastet?â
âSie hat Dad von derArbeit weggeholt.â
In unserer Familie gilt es als Todsünde, meinen Vater von der Arbeit wegzuholen.
âDas letzte Mal, als sie das getan hatâ, sagt David zu mir, âwar Sarahs Krankeheit gerade festgestellt worden.â
âNa toll.â Ich verschränke die Arme. âDa fühl ich mich doch gleich viel besser.â
David lächelt bloÃ. Er bläst einen Rauchring. âSchwesterchenâ, sagt er, âwillkommen auf der dunklen Seite.â
Sie fegen herein wie ein Wirbelwind. Sarah schafft es kaum mich anzusehen, ehe mein Vater sie nach oben in unser Zimmer schickt. Meine Mutter knallt ihre Handtasche hin, dann ihre Autoschlüssel und kommt dann auf mich zu. âAlso schönâ, sagt sie mit fast überschnappender Stimme. âWas ist los?â
Ich räuspere mich. âIch habe mir einen Anwalt genommen.â
âOffensichtlich.â Meine Mutter greift sich das Telefon und hält es mir hin. âUnd jetzt sie zu, dass du ihn wieder loswirst.â
Es kostet mich ungeheure Anstrengung, aber ich schaffe es, den Kopf zu schütteln und das Telefon auf die Couchkissen fallen zu lassen.
âElena, in Gottes Namen -â
âRory.â Die Stimme meines Vaters ist eine Axt. Sie fährt zwischen uns und wir springen auseinander. âWir sollten Elena Gelegenheit geben, die Sache zu erklären. Da waren wir uns doch einig, nicht?â
Ich senke den Kopf. âIch will es nicht mehr.â
Meine Mutter braust erneut auf. âAch nein, weiÃt du was, Elena, ich will es auch nicht. Und Sarah erst recht nicht. Aber wir haben nun mal keine andere Wahl.â
Aber ich habe eine andere Wahl. Genau deshalb muss ich diesen Schritt tun.
Meine Mutter baut sich vor mir auf. âDu bist zu einen Anwalt gegangen und hast ihm weisgemacht, es ginge nur um dich â aber das stimmt nicht. Es geht um uns. Um uns alle -â
Die Hände meines Vaters schlieÃen sich um ihre Schultern und drücken zu.
âElena, Kleines, wir wissen, du denkst, dass du das tun musstest -â
âIch denke das nichtâ, fällt ihm meine Mutter ins Wort.
Mein Vater schlieÃt die Augen. âRory. Halt den Mund, verdammt.â Dann blickt er wieder mich an. âKönnen wir uns unterhalten, nur wir drei, ohne dass ein Anwalt das für uns tun muss?â
Mir treten Tränen in die Augen, als er das sagt. Aber ich habe gewusst, dass es so kommen würde. Deshalb hebe ich das Kinn und lasse den Tränen gleichzeitig freien Lauf.
âNein, Daddy, ich kann nicht.â
âUm Gottes Willen, Elenaâ, sagt meine Mutter. âIst dir überhaupt klar, was das für Folgen hat?â
Meine Kehle verschlieÃt sich wie der Verschluss einer Kamera, so das Luft und Entschuldigungen durch einen nadeldünnen Tunnel müssen. Ich bin unsichtbar, denke ich und merke zu spät, dass ich es ausgesprochen habe.
Meine Mutter ist so schnell, dass ich es nicht einmal kommen sehe. Doch sie schlägt mich so fest ins Gesicht, dass mein Kopf nach hinten schnellt. Der Abdruck ihrer Hand brandmarkt mich noch, als er längst verblasst ist. Falls irgendwer noch Zweifel hatte: Scham hat fünf Finger.