04.04.2009, 10:02
Hey Leute, danke für das tolle FB.
Tut mir Leid, dass es doch etwas länger gedauert hat, als vorhergesehen, aber naja...
Hier ist der neue Teil jedenfalls.
LG
Becci
ELENA
Einmal, als Sarah 8 und ich 5 war, hatten wir uns gezankt und ich wollte daraufhin ein eigenes Zimmer. Aber unser Haus hatte nur noch ein zweites Kinderzimmer und das war Davids, ich konnte also nirgendwohin. Und so beschloss Sarah, die ältere und klügere von uns, unsere Zimmer in zwei Hälften zu teilen. âWelche Seite willst du?â, fragte sie diplomatisch. âDu darfst sie dir sogar aussuchen.â
Ich wollte natürlich die Hälfte, in der mein Bett schon stand. AuÃerdem befanden sich in meiner Hälfte die Kiste mit den Barbiepuppen und die Regale mit unseren Mal- und Bastelsachen. Sarah wollte sich einen Markierstift von dort holen, aber ich sagte: âDer ist auf meiner Seite.â
âDann gib mir einenâ, erwiderte sie und ich reichte ihr den roten. Sie kletterte auf den Schreibtisch und probierte aus, ob sie mit der Hand an die Decke kam. âWenn wir das gemacht habenâ, sagt sie, âbleibst du auf deiner Seite und ich bleib auf meiner, okay?â Ich nickte, ebenso entschlossen wie sie, mich an die Vereinbarung zu halten. SchlieÃlich hatte ich all die guten Spielsachen. Sarah würde früher um eine Besuchserlaubnis betteln als umgekehrt.
âSchwörst du?â, fragte sie und wir leckten an zwei Fingern und hielten sie hoch.
Dann zog sie eine wackelige Linie von der Decke, über den Schreibtisch, über den hellgrünen Teppich und über den Nachttisch an der anderen Wand wieder hoch. Dann reichte sie mir den Markierstift. âDenk dranâ, sagte sie. âWenn du dein Wort brichst, bist du ein Lügner.â
Ich setzte mich in meiner Hälfte auf den Boden, nahm jede Barbie, die wir besaÃen, aus der Kiste, zog sie aus und wieder an, machte einen Riesenwirbel, um zu zeigen, dass ich sie hatte und Sarah nicht. Sie hockte mit angezogenen Knien auf ihrem Bett und beobachtete mich. Sie reagierte nicht im geringsten.
Das heiÃt, bis meine Mutter uns zum Essen rief.
Dann lächelte Sarah mich an und spazierte zur Tür hinaus â die auf ihrer Seite war.
Ich ging bis an die Linie, die sie auf dem Teppich gezogen hatte, trat mit den Zehen darauf. Ich wollte keine Lügnerin sein. Aber ich wollte auch nicht den Rest meines Lebens in meinem Zimmer bleiben.
Ich weià nicht, wie lange es dauerte, bis meine Mutter sich fragte, warum ich nicht runter in die Küche kam, aber mit 5 kommt einem manchmal eine Sekunde wie eine Ewigkeit vor. Sie blieb in der Tür stehen, starrte auf den Strich an den Wänden und auf dem Teppich und schloss die Augen, um die Ruhe zu bewahren. Sie marschierte in unser Zimmer und hob mich hoch. Ich wehrte mich mit Händen und FüÃen. âNichtâ, schrie ich, âDann darf ich nie wieder zurück!â
Sie verschwand und kam kurz darauf mit Topflappen, Geschirrtüchern und Couchkissen wieder. Sie verteilte alles in unregelmäÃigen Abständen in Sarahs Hälfte auf dem Boden. âKomm schonâ, drängte sie, aber ich rührte mich nicht. Dann kam sie zu mir und setzte sich neben mich auf mein Bett. âDas mag ja Sarahs Teich seinâ, sagte sie, âaber das da sind meine Lilien.â Sie sand auf und sprang auf ein Geschirrtuch und weiter auf ein Kissen. Sie blickte über die Schulter und ich trat auf das Geschirrtuch. Von dort auf das Kissen, auf einen Toplappen, den David in der ersten Klasse gemacht hatte, bis ganz durch Sarahs Zimmerhälfte hindurch. Meiner Mutter Schritt für Schritt zu folgen, war der sicherste Ausweg.
Ich stehe unter der Dusche, als Sarah das Schloss auffummelt und ins Badezimmer kommt. âIch möchte mit dir redenâ, sagt sie.
Ich stecke den Kopf am Plastikvorhang vorbei. âWenn ich fertig binâ, sage ich, um Zeit bis zu dem Gespräch rauszuschinden, das ich gar nicht führen will.
âNein, jetzt.â Sie setzt sich auf den Klodeckel und seufzt. âElena ... was du da machst-â
âEs ist bereits geschehenâ, sage ich.
âAber du kannst es ungeschehen machen, wenn du willst.â
Ich bin dankbar für den vielen Dampf zwischen uns, weil ich in diesem Augenblick den Gedanken unerträglich finde, das sie mein Gesicht sehen könnte. âIch weiÃâ, flüstere ich.
Eine ganze Weile schweigt Sarah. Ihre Gedanken drehen sich im Kreis, ihr Kopf ist ein Hamsterrad, genau wie meiner. Du jagst über die Sprossen, ohne irgendwo anzukommen.
SchlieÃlich spähe ich wieder aus der Dusche hervor. Sarah wischt sich über die Augen und schaut zu mir hoch.
âWeiÃt du eigentlichâ, sagt sie, âdass du die einzige Freundin bist, die ich habe?â
âDas stimmt nichtâ, entgegne ich sogleich, aber wir wissen beide, dass ich lüge. Sarah hat so oft und so lange in der Schule gefehlt, dass sie keine festen Freunde gefunden hat.
Die meisten, mit denen sie sich im Laufe ihrer langen Remissionsphase angefreundet hat, haben sich von ihr zurückgezogen. Es ist nicht leicht für durchschnittliche Jugendliche, mit jemandem umzugehen, der todkrank ist.
Und umgekehrt fällt es Sarah schwer, sich auf Schulbälle zu freuen und wegen Abschlussklausuren aufgeregt zu sein, wenn sie nicht mal weiÃ, ob sie das alles noch erleben wird.
Sie kennt ein paar Leute aus der Schule, klar, aber wenn die mal vorbeikommen, sehen sie aus, als würden sie eine Strafe absitzen, wie sie da auf der Kante von Sarahs Bett hocken und es nicht erwarten können, wieder zu gehen, heilfroh, dass das Schicksal sie verschont hat -
Eine richtige Freundin ist gar nicht in der Lage, Mitleid mit dir zu haben.
âIch bin nicht deine Freundinâ, sage ich und ziehe den Vorhang wieder zu,. âIch bin deine Schwester.â Und eine verdammt schlechte, denke ich. Ich halte das Gesicht in den Wasserstrahl, damit sie nicht merkt, dass auch ich weine.
Plötzlich wird der Vorhang zur Seite gerissen und ich stehe ungeschützt vor ihr. âGenau darüber wollte ich mit dir redenâ, sagt Sarah. âWenn du nicht mehr meine Schwester sein willst, schön. Aber ich glaube, ich könnte es nicht aushalten, dich als Freundin zu verlieren.â
Sie zieht den Vorhang wieder zu und der Dampf umhüllt mich. Gleich darauf höre ich, wie die Tür auf -und zugeht und einen eiskalten Lufthauch zurücklässt.
Auch ich halte den Gendanken nicht aus, sie zu verlieren.
Als Sarah eingeschlafen ist, krieche ich aus dem Bett und stelle mich neben sie. Als ich ihr die flache Hand unter die Nase halte, um zu überprüfen, ob sie atmet, spüre ich einen Hauch Luft auf der Haut. Ich könnte ihr jetzt auf Nase und Mund drücken, sie festhalten, wenn sie sich wehrt. Wäre das so viel anders als das, was ich bereits mache?
Ich höre Schritte auf dem Flur und tauche wieder unter meine Betdecke. Ich drehe mich auf die Seite, weg von der Tür, für den Fall, dass meine Augenlider noch flackern, wenn meine Eltern ins Zimmer kommen.
âIch kann es einfach nicht fassenâ, flüstert meine Mutter.
âIch kann es nicht fassen, dass sie das getan hat.â
Mein Vater ist so leise, dass ich mich frage, ob ich mich vielleicht geirrt habe, ob er überhaupt mitgekommen ist.
âGenau wie Davidâ, fügt meine Mutter hinzu. âSie tut das, um auf sich aufmerksam zu machen.â Ich spüre ihren Blick auf mir, als wäre ich ein Wesen, das sie noch nie gesehen hat. âVielleicht sollten wir mal was mit ihr allein unternehmen. Ins Kino gehen oder shoppen, damit sie sich nicht übergangen fühlt. Damit sie sieht, dass sie nicht irgendwas Verrücktes machen muss, damit wir sie wahrnehmen. Was meinst du?â
Mein Vater lässt sich Zeit mit seiner Antwort. âNajaâ, sagt er leise, âvielleicht ist es ja gar nicht verrückt.â
Kennt ihr das, dass einem die Stille im Dunklen gegen die Trommelfelle drückt, einen taub macht? Genau das passiert jetzt, so dass ich die Antwort meiner Mutter fast nicht mitkriege. âAuf wessen Seite stehst du eigentlich, Logan?â
Und mein Vater: âWer sagt denn, dass es Seiten gibt.â
Aber selbst ich könnte die Antwort geben. Es gibt immer Seiten, Es gibt immer einen Sieger und einen Verlierer. Damit einer was bekommen kann, muss ein anderer was geben.
Sekunden später schlieÃt sich die Tür und das Flurlicht, das an der Decke getanzt hat, verschwindet. Blinzelnd drehe ich mich auf den Rücken â und sehe, dass meine Mutter an meinem Bett steht. âIch hab gedacht, du wärst gegangenâ, flüstere ich.
Sie setzt sich ans FuÃende meines Bettes und ich rücke ein Stück zur Seite. Sie umfasst meine Wade, bevor ich zu weit weg bin. âWas denkst du sonst noch, Elena?â
Mein Magen zieht sich zusammen. âIch denke ... ich denke, du musst mich hassen.â
Selbst in der Dunkelheit kann ich ihre Augen schimmern sehen. âAch Elenaâ, seufzt meine Mutter, âdu musst doch wissen, wie lieb ich dich hab.â
Sie breitet die Arme aus und ich schmiege mich hinein, als wäre ich wieder ganz klein und würde genau hineinpassen. Ich presse das Gesicht an ihre Schulter. Mein allergröÃter Wunsch wäre es, die Zeit ein wenig zurückzudrehen. Wieder das Kind zu sein, das ich mal war, wieder glauben zu können, dass alles, was meine Mom sagt, hundertprozentig richtig ist, ohne allzu genau hinzuschauen und die haarfeinen Risse zu sehen.
Meine Mutter zieht mich noch fester an sich. âWir reden mit dem Richter und erklären die Sacheâ, sagt sie. âWir bringen alles wieder in Ordnung.â Und weil das wirklich die einzigen Worte sind, die ich je hören wollte, nicke ich.
Tut mir Leid, dass es doch etwas länger gedauert hat, als vorhergesehen, aber naja...
Hier ist der neue Teil jedenfalls.
LG
Becci
ELENA
Einmal, als Sarah 8 und ich 5 war, hatten wir uns gezankt und ich wollte daraufhin ein eigenes Zimmer. Aber unser Haus hatte nur noch ein zweites Kinderzimmer und das war Davids, ich konnte also nirgendwohin. Und so beschloss Sarah, die ältere und klügere von uns, unsere Zimmer in zwei Hälften zu teilen. âWelche Seite willst du?â, fragte sie diplomatisch. âDu darfst sie dir sogar aussuchen.â
Ich wollte natürlich die Hälfte, in der mein Bett schon stand. AuÃerdem befanden sich in meiner Hälfte die Kiste mit den Barbiepuppen und die Regale mit unseren Mal- und Bastelsachen. Sarah wollte sich einen Markierstift von dort holen, aber ich sagte: âDer ist auf meiner Seite.â
âDann gib mir einenâ, erwiderte sie und ich reichte ihr den roten. Sie kletterte auf den Schreibtisch und probierte aus, ob sie mit der Hand an die Decke kam. âWenn wir das gemacht habenâ, sagt sie, âbleibst du auf deiner Seite und ich bleib auf meiner, okay?â Ich nickte, ebenso entschlossen wie sie, mich an die Vereinbarung zu halten. SchlieÃlich hatte ich all die guten Spielsachen. Sarah würde früher um eine Besuchserlaubnis betteln als umgekehrt.
âSchwörst du?â, fragte sie und wir leckten an zwei Fingern und hielten sie hoch.
Dann zog sie eine wackelige Linie von der Decke, über den Schreibtisch, über den hellgrünen Teppich und über den Nachttisch an der anderen Wand wieder hoch. Dann reichte sie mir den Markierstift. âDenk dranâ, sagte sie. âWenn du dein Wort brichst, bist du ein Lügner.â
Ich setzte mich in meiner Hälfte auf den Boden, nahm jede Barbie, die wir besaÃen, aus der Kiste, zog sie aus und wieder an, machte einen Riesenwirbel, um zu zeigen, dass ich sie hatte und Sarah nicht. Sie hockte mit angezogenen Knien auf ihrem Bett und beobachtete mich. Sie reagierte nicht im geringsten.
Das heiÃt, bis meine Mutter uns zum Essen rief.
Dann lächelte Sarah mich an und spazierte zur Tür hinaus â die auf ihrer Seite war.
Ich ging bis an die Linie, die sie auf dem Teppich gezogen hatte, trat mit den Zehen darauf. Ich wollte keine Lügnerin sein. Aber ich wollte auch nicht den Rest meines Lebens in meinem Zimmer bleiben.
Ich weià nicht, wie lange es dauerte, bis meine Mutter sich fragte, warum ich nicht runter in die Küche kam, aber mit 5 kommt einem manchmal eine Sekunde wie eine Ewigkeit vor. Sie blieb in der Tür stehen, starrte auf den Strich an den Wänden und auf dem Teppich und schloss die Augen, um die Ruhe zu bewahren. Sie marschierte in unser Zimmer und hob mich hoch. Ich wehrte mich mit Händen und FüÃen. âNichtâ, schrie ich, âDann darf ich nie wieder zurück!â
Sie verschwand und kam kurz darauf mit Topflappen, Geschirrtüchern und Couchkissen wieder. Sie verteilte alles in unregelmäÃigen Abständen in Sarahs Hälfte auf dem Boden. âKomm schonâ, drängte sie, aber ich rührte mich nicht. Dann kam sie zu mir und setzte sich neben mich auf mein Bett. âDas mag ja Sarahs Teich seinâ, sagte sie, âaber das da sind meine Lilien.â Sie sand auf und sprang auf ein Geschirrtuch und weiter auf ein Kissen. Sie blickte über die Schulter und ich trat auf das Geschirrtuch. Von dort auf das Kissen, auf einen Toplappen, den David in der ersten Klasse gemacht hatte, bis ganz durch Sarahs Zimmerhälfte hindurch. Meiner Mutter Schritt für Schritt zu folgen, war der sicherste Ausweg.
Ich stehe unter der Dusche, als Sarah das Schloss auffummelt und ins Badezimmer kommt. âIch möchte mit dir redenâ, sagt sie.
Ich stecke den Kopf am Plastikvorhang vorbei. âWenn ich fertig binâ, sage ich, um Zeit bis zu dem Gespräch rauszuschinden, das ich gar nicht führen will.
âNein, jetzt.â Sie setzt sich auf den Klodeckel und seufzt. âElena ... was du da machst-â
âEs ist bereits geschehenâ, sage ich.
âAber du kannst es ungeschehen machen, wenn du willst.â
Ich bin dankbar für den vielen Dampf zwischen uns, weil ich in diesem Augenblick den Gedanken unerträglich finde, das sie mein Gesicht sehen könnte. âIch weiÃâ, flüstere ich.
Eine ganze Weile schweigt Sarah. Ihre Gedanken drehen sich im Kreis, ihr Kopf ist ein Hamsterrad, genau wie meiner. Du jagst über die Sprossen, ohne irgendwo anzukommen.
SchlieÃlich spähe ich wieder aus der Dusche hervor. Sarah wischt sich über die Augen und schaut zu mir hoch.
âWeiÃt du eigentlichâ, sagt sie, âdass du die einzige Freundin bist, die ich habe?â
âDas stimmt nichtâ, entgegne ich sogleich, aber wir wissen beide, dass ich lüge. Sarah hat so oft und so lange in der Schule gefehlt, dass sie keine festen Freunde gefunden hat.
Die meisten, mit denen sie sich im Laufe ihrer langen Remissionsphase angefreundet hat, haben sich von ihr zurückgezogen. Es ist nicht leicht für durchschnittliche Jugendliche, mit jemandem umzugehen, der todkrank ist.
Und umgekehrt fällt es Sarah schwer, sich auf Schulbälle zu freuen und wegen Abschlussklausuren aufgeregt zu sein, wenn sie nicht mal weiÃ, ob sie das alles noch erleben wird.
Sie kennt ein paar Leute aus der Schule, klar, aber wenn die mal vorbeikommen, sehen sie aus, als würden sie eine Strafe absitzen, wie sie da auf der Kante von Sarahs Bett hocken und es nicht erwarten können, wieder zu gehen, heilfroh, dass das Schicksal sie verschont hat -
Eine richtige Freundin ist gar nicht in der Lage, Mitleid mit dir zu haben.
âIch bin nicht deine Freundinâ, sage ich und ziehe den Vorhang wieder zu,. âIch bin deine Schwester.â Und eine verdammt schlechte, denke ich. Ich halte das Gesicht in den Wasserstrahl, damit sie nicht merkt, dass auch ich weine.
Plötzlich wird der Vorhang zur Seite gerissen und ich stehe ungeschützt vor ihr. âGenau darüber wollte ich mit dir redenâ, sagt Sarah. âWenn du nicht mehr meine Schwester sein willst, schön. Aber ich glaube, ich könnte es nicht aushalten, dich als Freundin zu verlieren.â
Sie zieht den Vorhang wieder zu und der Dampf umhüllt mich. Gleich darauf höre ich, wie die Tür auf -und zugeht und einen eiskalten Lufthauch zurücklässt.
Auch ich halte den Gendanken nicht aus, sie zu verlieren.
Als Sarah eingeschlafen ist, krieche ich aus dem Bett und stelle mich neben sie. Als ich ihr die flache Hand unter die Nase halte, um zu überprüfen, ob sie atmet, spüre ich einen Hauch Luft auf der Haut. Ich könnte ihr jetzt auf Nase und Mund drücken, sie festhalten, wenn sie sich wehrt. Wäre das so viel anders als das, was ich bereits mache?
Ich höre Schritte auf dem Flur und tauche wieder unter meine Betdecke. Ich drehe mich auf die Seite, weg von der Tür, für den Fall, dass meine Augenlider noch flackern, wenn meine Eltern ins Zimmer kommen.
âIch kann es einfach nicht fassenâ, flüstert meine Mutter.
âIch kann es nicht fassen, dass sie das getan hat.â
Mein Vater ist so leise, dass ich mich frage, ob ich mich vielleicht geirrt habe, ob er überhaupt mitgekommen ist.
âGenau wie Davidâ, fügt meine Mutter hinzu. âSie tut das, um auf sich aufmerksam zu machen.â Ich spüre ihren Blick auf mir, als wäre ich ein Wesen, das sie noch nie gesehen hat. âVielleicht sollten wir mal was mit ihr allein unternehmen. Ins Kino gehen oder shoppen, damit sie sich nicht übergangen fühlt. Damit sie sieht, dass sie nicht irgendwas Verrücktes machen muss, damit wir sie wahrnehmen. Was meinst du?â
Mein Vater lässt sich Zeit mit seiner Antwort. âNajaâ, sagt er leise, âvielleicht ist es ja gar nicht verrückt.â
Kennt ihr das, dass einem die Stille im Dunklen gegen die Trommelfelle drückt, einen taub macht? Genau das passiert jetzt, so dass ich die Antwort meiner Mutter fast nicht mitkriege. âAuf wessen Seite stehst du eigentlich, Logan?â
Und mein Vater: âWer sagt denn, dass es Seiten gibt.â
Aber selbst ich könnte die Antwort geben. Es gibt immer Seiten, Es gibt immer einen Sieger und einen Verlierer. Damit einer was bekommen kann, muss ein anderer was geben.
Sekunden später schlieÃt sich die Tür und das Flurlicht, das an der Decke getanzt hat, verschwindet. Blinzelnd drehe ich mich auf den Rücken â und sehe, dass meine Mutter an meinem Bett steht. âIch hab gedacht, du wärst gegangenâ, flüstere ich.
Sie setzt sich ans FuÃende meines Bettes und ich rücke ein Stück zur Seite. Sie umfasst meine Wade, bevor ich zu weit weg bin. âWas denkst du sonst noch, Elena?â
Mein Magen zieht sich zusammen. âIch denke ... ich denke, du musst mich hassen.â
Selbst in der Dunkelheit kann ich ihre Augen schimmern sehen. âAch Elenaâ, seufzt meine Mutter, âdu musst doch wissen, wie lieb ich dich hab.â
Sie breitet die Arme aus und ich schmiege mich hinein, als wäre ich wieder ganz klein und würde genau hineinpassen. Ich presse das Gesicht an ihre Schulter. Mein allergröÃter Wunsch wäre es, die Zeit ein wenig zurückzudrehen. Wieder das Kind zu sein, das ich mal war, wieder glauben zu können, dass alles, was meine Mom sagt, hundertprozentig richtig ist, ohne allzu genau hinzuschauen und die haarfeinen Risse zu sehen.
Meine Mutter zieht mich noch fester an sich. âWir reden mit dem Richter und erklären die Sacheâ, sagt sie. âWir bringen alles wieder in Ordnung.â Und weil das wirklich die einzigen Worte sind, die ich je hören wollte, nicke ich.