05.04.2009, 15:45
Hi! :-) Danke für euer Fb!!! Und hier ist auch schon der nächte teil.
Aber erst muss ich noch was erklären, was ich dauernd vergessen habe in meine FF einzubauen: Nachdem Rory für Barack Obama gearbeitet hat, hat sie den Job bei der New York Times nicht bekommen und hat dann, weil sie keine aneren Perspektiven mehr hatte Jura studiert und kurzzeitig als Anwältin gearbeitet. Später hat sie dann doch die Stelle bei der NYT gekriegt und hat aufgehört als Anwältin zu arbeiten.
Also, viel Spaà mit dem neuen teil:
CAMPBELL
Wir alle sind, so nehme ich an, unseren Eltern zu Dank verpflichtet â die Frage ist bloÃ, wie sehr? Der Gedanke geht mir durch den Kopf, während meine Mutter mir von der letzten Affäre meines Vaters vorjammert. Nicht zum ersten Mal wünschte ich, ich hätte Geschwister â dann würde ich von ihr in aller Herrgottsfrühe vielleicht nur einen oder zwei Anrufe pro Woche kriegen statt sieben.
âMutterâ, falle ich ihr ins Wort, âich bezweifle, dass sie wirklich erst 16 ist.â
âDu unterschätzt deinen Vater, Campbell.â
Vielleicht, aber ich weià auch, dass er Bundesrichter ist.
Er mag ja scharf auf Schulmädchen sein, aber er würde nie irgendwas Illegales tun. âMom, ich hab einen Gerichtstermin und bin spät dran. Ich melde mich später bei dirâ, sage ich und lege auf, bevor sie protestieren kann.
Ich habe zwar keinen Gerichtstermin, aber ich hätte ihn jetzt brauchen können. Ich hole tief Luft, schüttele den Kopf und sehe, dass Jude mich anschaut. âGrund 106, warum Hunde schlauer sind als Menschenâ, sage ich. âSobald ihr die Wurfkiste verlasst, kappt ihr den Kontakt zu eurer Mutter.â
Ich gehe in die Küche, binde mir dabei die Krawatte. Meine Wohnung ist ein Kunstwerk. Schick und minimalistisch, alles vom Feinsten: eine schwarze Ledercouch â ein Unikat -, ein Flachbildschirm an der Wand, eine verschlossene Glasvitrine mit signierten Erstausgaben von Autoren wie Hemingway und Hawthorne. Meine Espressomaschine ist ein Import aus Italien, mein Kühlschrank ein Designermodell. Ich öffne ihn und sehe eine einsame Zwiebel, eine Flasche Ketchup und drei Rollen SchwarzweiÃfilm.
Auch das ist keine Ãberraschung â ich esse selten zu Hause. Jude ist dermaÃen an Restaurantessen gewöhnt, dass er Hundefutter nicht mal als solches erkennen würde. âWas meinst du?â, frage ich ihn. âIns Rosie's?â
Er bellt, als ich ihm sein Geschirr anlege. Jude und ich sind seit 7 Jahren zusammen. Ich habe ihn bei einem Züchter von Polizeihunden gekauft, doch er wurde speziell für mich abgerichtet.
Das Rosie's ist das, was Starbucks gern wäre: schön postmodern, von denen die einen vielleicht russische Literatur im Orginal lesen oder den Jahresabschluss einer Firma am Laptop machen, während andere im Koffeinrausch ein Drehbuch schreiben. Jude und ich sitzen meistens an unserem Stammplatz, im hinteren Teil. Wir bestellen einen doppelten Espresso und zwei Schokocroissants und wir flirten schamlos mit Marissa, der 20-jährigen Kellnerin. Als wir heute kommen, ist Marissa nirgends zu sehen und an unserem Tisch sitzt eine Frau und verfüttert einen Bagel an ein Kind in einem Kinderwagen. Das bringt mich derart aus dem Konzept, dass Jude mich zu dem einzigen Platz ziehen muss, der frei ist, einem Hocker an der Theke mit Blick auf die StraÃe.
Morgends um halb acht und der Tag ist schon im Eimer.
Ein heroindünner Junge mit so vielen Ringen in den Augenbrauen, dass er an eine Duschvorhangstange erinnert, kommt mit einem Notizblock auf mich zu. âTut mir leid, Mann. Hunde sind nicht erlaubt.â
âDas ist ein Servicehundâ, erläre ich. âWo ist Marissa?â
âDie ist weg, Mann. Durchgebrannt, letzte Nacht.â
Durchgebrannt? In welchem Jahrhundert leben wir?
âMit wem?â, frage ich, obwphl es mich nichts angeht.
âIrgend so ein Perfomancekünstler, der aus Hundehaufen Politikerbüsten macht. Soll wohl so was wie 'ne politische Aussage sein...â
Ich empfinde einen Stich Mitleid für Marissa. Lassen Sie sich eins gesagt sein: Liebe hat die Lebensdauer eines Regenbogens â wunderschön, solange sie da ist und so schnell wie ein Augenblinzeln auch wieder verschwunden.
Der Kellner greift in seine GesäÃtasche und reicht mir eine Plastikkarte. âHier ist die Speisekarte in Blindenschrift.â
âIch möchte einen Espresso und zwei Schokocroissants und ich bin nicht blind.â
âWofür ist Bello denn dann da?â
âIch habe SARSâ, erwidere ich. âEr registriert die Leute, die ich anstecke.â
Der Kellner scheint zu überlegen, ob ich einen Witz mache oder nicht. Er zieht sich verunsichert zurück, um meinen Espresso zu holen.
Von diesem Tisch aus habe ich einen Blick auf die StraÃe. Ich sehe, wie eine ältere Frau um ein Haar von einem Taxifahrer angefahren wird. Ein Junge tanzt mit einem Ghettoblaster auf der Schulter vorbei. Zwillinge in der Uniform einer kirchlichen Privatschule kichern hinter den Seiten eines Teenagermagazins. Und eine Frau mit einem Wildbach aus schwarzem Haar kippt sich Kaffee über den Rock und wirft den Pappbecher auf die StraÃe.
In mir bleibt alles stehen. Ich warte, dass sie das Gesicht hebt â um zu sehen, ob sie wirklich die ist, die ich in ihr zu erkennen meine, - doch sie wendet sich von mir ab, während sie den Stoff mit einem Papiertaschentuch betupft.
Ein Bus schneidet die Welt in zwei Hälfen und mein Handy klingelt.
Ich blicke auf die Nummer im Display: keine groÃe Ãberraschung. Ich stelle das Handy aus, statt den Anruf meiner Mutter entgegenzunehmen und halte nach der Frau drauÃen vor dem Fenster Ausschau, aber inzwischen ist der Bus verschwunden und sie auch.
Kaum habe ich die Kanzlei betreten, belle ich Emily ein paar Anweisungen zu. âRufen Sie Osterlitz an und fragen Sie ihn, ob er im Weiland-Prozess aussagen kann. Besorgen Sie eine Liste mit den Leuten, die in den letzten fünf Jahren sonst noch gegen New England Power geklagt haben.
Kopieren Sie mir die schriftlichen Aussagen im Melbourne-Fall und rufen sie Jerry im Gericht an und fragen Sie ihn, wer bei der anhörung von der kleinen Huntzberger den Vorsitz hat.â
Sie blickt zu mir hoch, und im selben Moment beginnt das Telefon zu klingeln. âApropos.â Sie deutet mit dem Kinn zur Tür meines Büros. Elena Huntzberger steht davor, hat eine Sprühflasche Reinigungsmittel und einen Lappen in der Hand und poliert den Knauf.
âWas soll das?â, frage ich.
âSie haben gesagt, ich soll das machen.â Sie blickt zu Jude runter. âHallo, Jude.â
âLeitung zwei für Sieâ, ruft Emily. Ich werfe ihr einen vielsagenden Blick zu â wieso sie dem Mädchen das erlaubt hat, ist mir schleierhaft â und will in mein Büro gehen, aber der Knauf ist so glitschig von dem Zeug, mit dem Elena ihn poliert hat, dass ich erst ein paarmal abrutsche, bevor die Tür sich endlich öffnet.
Jude schnuppert den Boden ab und sucht sich den bequemsten Platz. Ich drücke auf den blinkenden Knopf an meinem Telefon. âCampbell Alexander.â
âMr. Alexander, hier spricht Rory Huntzberger. Elena Huntzbergers Mutter.â Ich blicke zu ihrer Tochter hinüber, die nur wenige Meter von mir entfernt meinen Türkauf poliert.
âMrs. Huntzbergerâ, sage ich und wie erwartet, erstarrt Elena in der Bewegung.
âIch rufe an wegen ... naja, also das Ganze ist ein Missverständnis.â
âHaben Sie eine Antragserwiderung eingereicht?â
âDas wird nicht nötig sein. Ich habe gestern Abend mit Elena gesprochen und sie will die Sache nicht weiterverfolgen. Sie will Sarah helfen, so gut sie kann.â
âAha.â Meine Stimme wird ausdruckslos. âWenn meine Mandantin von dem Verfahren Abstand nehmen will, dann muss ich das leider aus ihrem eigenen Mund hören.â Ich hebe die Augenbrauen, fange Elenas Blick auf. âSie wissen nicht zufällig, wo sie ist?â
âSie ist joggenâ, sagt Rory Huntzberger. âAber wir fahren heute nachmittag zum Gericht. Wir reden mit dem Richter und schaffen die Sache aus der Welt.â
âDann sehen wir uns wohl dort.â Ich lege auf und verschränke die Arme, den Blick auf Elena. âMöchtest du mir was sagen?â
Sie zuckt die Achseln. âEigentlich nicht.â
âDas sieht deine Mutter anscheinend anders. AuÃerdem denkt sie, du trainiert für die Olympischen Spiele.â
Elena blickt hinaus in den Empfangsbereich, wo Emily, wie nicht anders zu erwarten, die Ohren weit aufgesperrt hat. Sie schlieÃt die Tür und kommt an meinen Schreibtisch. âIch konnte ihr nicht sagen, dass ich zu Ihnen will, nicht nach gestern abend.â
âWas war den gestern abend?â
Als Elena verstummt, verliere ich die Geduld. âJetzt hör mir mal zu. Wenn du die Sache nicht mehr durchziehen willst ... wenn das hier nur eine kolossale Zeitvergeudung ist ... dann wäre es mir lieber, du bist so ehrlich, es mir jetzt gleich zu sagen als später. Ich bin nämlich weder Familientherapeut noch dein bester Kumpel. Ich bin dein Anwalt. Und um dein Anwalt zu sein, brauche ich einen Mandant. Also frage ich dich jetzt noch einmal: Hast du deine Meinung geändert und willst einen Rückzieher machen?â
Ich gehe fest davon aus, dass meine Standpauke das Ende der Geschichte bedeutet, dass Elena jetzt erst recht nicht mehr weiÃ, was sie will. Aber zu meiner Verblüffung blickt sie mich direkt an, kühl und gefasst. âSind Sie immer noch bereit, mich zu vertreten?â, fragt sie.
Wider bessere Einsicht sage ich ja.
âDann neinâ, sagt sie, âich habe meine Meinung nicht geändert.â
Als ich das erste Mal mit meinem Vater bei einer Yachtclubregatta mitmachte, war ich 14 und er war zuerst strikt dagegen. Ich sei noch nicht alt genug, ich sei noch nicht reif genug, das Wetter sei zu unsicher. In Wirklichkeit wollte er mich nur nicht dabei haben, weil er dachte, dass ich seine Chancen auf den Cup verringern würde. In den Augen meines Vaters musste man perfekt sein, um für ihn überhaupt zu existieren.
Sein Boot war eine schnittige Segelyacht, ein Prachtstück aus Mahagoni und Teak, das er dem Keyboarder J. Geils in Marblehead abgekauft hatte. Mit anderen Worten, ein Traum, ein Statussymbol und ein Initiationswerkzeug, schön verpackt in leuchtend weiÃen Segeln und einem honigfarbenen Rumpf.
Wir passten den Start genau ab und überquerten die Linie bei vollem Segel genau in dem Augenblick, als der Kanonenschuss fiel. Ich tat, was ich konnte, um immer schon eine Sekunde schneller dort zu sein, wo mein Vater mich brauchte â nahm das Ruder, bevor er es mir sagte, kreuzte und wendete, bis mir die Muskeln weh taten. Und vielleicht hätte es sogar ein Happy-End gegeben, doch dann zog von Norden her ein Unwetter auf. Es schüttete wie aus Eimern und drei Metern hohe Wellen warfen uns auf und nieder.
Ich beobachtete meinen Vater, wie er sich in deiner gelben Ãljacke bewegte. Er schien den Regen gar nicht wahrzunehmen, er hatte offemnsichtlich nicht den Wunsch, sich irgendwo zu verkriechen und den seekranken Magen festzuhalten und nur noch zu sterben, so wie ich. âCampbellâ, schrie er, âwenden.â
Doch in dem Wind zu wenden hätte eine weitere Achterbahnfahrt zur Folge gehabt. âCampbellâ, wiederholte mein Vater, ânun mach schon.â
Ein Wellental öffnete sich vor uns. Das Boot neigte sich so jäh, dass ich den Halt verlor. Mein Vater hechtete an mit vorbei und packte das Ruder. Eine selige Sekunde lang wurden die Segel schlaff. Dann schlug der Baum herum und das Boot jagte in die entgegengesetzte Richtung.
âIch brauche die Koordinatenâ, befahl mein Vater.
Das hieÃ, ich musste nach unten in die Kabine, wo die Karten lagen und ausrechnen, auf welchem Kurs wir die nächste Streckenboje erreichten. Doch als ich unten war, nicht mehr an der frischen Luft, wurde es noch schlimmer. Kaum hatte ich die Karte aufgeschlagen, kotzte ich sie voll.
Mein Vater sah nur aus einem einzigen Grund nach mir: weil ich ihm keine Informationen lieferte. Er steckte den Kopf in die Kabine und sah mich in meinem Erbrochenen sitzen. âDas darf doch nicht wahr seinâ, knurrte er und verschwand wieder.
Ich musste all meine Kraft zusammennehmen, um mich hinter ihm her wieder nach oben zu hieven. Er riss das Ruder hin und her. Ich war Luft für ihn. Und als er den Kurs änderte, warnte er mich nicht. Das Segel zischte quer über das Boot, schlitzte den Saum des Himmels auf. Der Baum schlug herum, knallte mir gegen den Hinterkopf und schlug mich k.o.
Als ich wieder zu mir kam, stahl mein Vater gerade einem anderen Boot den Wind, kurz vor der Ziellinie. Der Regen hatte sich zu einem leichten Nieseln abgeschwächt und als mein Vater unser Boot zwischen den Luftstrom und unseren engsten Konkurrenten brachte, verlor das andere Boot an Fahrt. Wir gewannen um Sekunden.
Mein Vater wies mich an, die Kabine sauberzumachen und ein Taxi zu nehmen, während er mit dem Boot zum Yachtclub segelte, um zu feiern. Als ich eine Stunde später auch dort eintraf, war er bereits in Hochstimmung und trank Scotch aus dem Kristallpokal, den er gewonnen hatte.
âDa kommt deine Crew, Camâ, rief ein Freund, Mein Vater gob den Siegerpokal zum GruÃ, trank einen tiefen Schluck und knallte ihn dann so fest auf die Bar, dass der Henkel abbrach.
âOhâ, sagte ein anderer Segler, âwie schade.â
Mein Vater blickte mir unverwandt in die Augen. âDas kann man wohl sagenâ, sagte er.
Am Heck von praktisch jedem dritten Wagen in Hartford sieht man einen von diesen rot-weiÃen Stickern, auf denen den Opfern von Verkehrsunfällen gedacht wird.
Meine Freundin Katie Harper wurde von einem betrunkenen Autofahrer getötet. Mein Freund John Curtis wurde von einem betrunkenen Autofahrer getötet. Die Aufkleber werden auf Schulfesten und Benefizveranstaltungen und in Friseursalons verteilt und es spielt keine Rolle, ob man den oder die Getötete kannte. Man pappt sich den Aufkleber aus Solidarität ans Fahrzeug und weil man insgeheim froh ist, von der Tragödie nicht betroffen zu sein.
Letztes Jahr kamen Aufkleber mit dem Namen eines neuen Opfers hinzu: Lucy Hampton, eine 12-jährige, die ich indirekt kannte. Sie war die Tochter eines Richters, der angeblich kurz nach der Beerdigung seines Kindes bei einer Sorgerechtsverhandlung zusammenbrach und sich dann für drei Monate beurlauben lies, um zu trauern. Ebendieser Richter hat jetzt den Vorsitz im Fall Elena Huntzberger.
Als ich mich auf den Weg zum Garrhay Complex mache, wo das Familiengericht untergebracht ist, frage ich mich, ob ein Mann, der diese Last zu tragen hat, überhaut ein Verfahren leiten kann, dass bei einem positiven Ausgang für meine Mandantin den Tod ihrer halbwüchsigen Schwester beschleunigen wird.
Am Eingang steht ein neuer Pförtner, ein Mann mit muskelbepacktem Hals, aber womöglich wenig Grips.
âTut mir leidâ, sagt er. âKeine Hunde.â
âDas ist ein Servicehund.â
Verwirrt beugt sich der Pförtner vor und sieht sich meine Augen an. Ich mache das gleiche bei ihm. âIch bin kurzsichtig. Er hilft mir die StraÃenschilder lesen.â Jude und ich gehen um den Mann herum und streben den Korridor hinunter Richtung Gerichtssaal.
Drinnen schlägt sich der Gerichtssekretär gerade mit Elena Huntzbergers Mutter herum. Zumindest vermute ich dass sie es ist, da Elena neben ihr steht. âIch bin sicherâ, sagt Rory Huntzberger. âdass der Richter in diesem Fall dafür Verständnis haben wird.â Ihr Mann steht ein paar Schritte hinter ihr, abseits.
Als Elena mich sieht, malt sich Erleichterung auf ihrem Gesicht ab. Ich wende mich an den Gerichtssekretär. âIch bin Campbell Alexanderâ, sage ich. âGibt es ein Problem?â
âIch versuche gerade, Mrs. Huntzberger zu erklären, dass nur Anwälte ins Richterzimmer dürfen.â
âGut, ich bin Elenas Anwaltâ, erwidere ich.
Der Sekretär wendet sich an Rory Huntzberger. âWer vertritt Ihre Seite?â
Elenas Mutter ist einen Moment lang wie vor den Kopf geschlagen. Sie dreht sich zu ihrem Mann um. âDas ist wie Fahrradfahren, man verlernt's nichtâ, sagt sie leise.
Ihr Mann schüttelt den Kopf. âBist du sicher, dass du das durchstehen willst?â
âIch will nicht, ich muss.â
Ich höre ihnen zu und plötzlich schwant mir etwas.
âMoment malâ, sage ich. âSind Sie Anwältin?â
Rory dreht sich zu mir um. âJa, wieso?â
Ich blicke Elena ungläubig an. âUnd das erwähnst du nicht mal?â
âSie haben nicht danach gefragtâ, flüstert sie.
Der Gerichtssekretär reicht jedem von uns ein Anwesenheitsformular und ruft den Sheriff dazu.
âVern.â Rory lächelt. âSchön, Sie zu sehen.â
Na toll, das wird ja immer besser.
âHallo!â Der Sheriff gibt ihr einen Kuss auf die Wange, schüttelt ihrem Mann die Hand. âLogan.â
Sie ist also nicht nur Anwältin, sie hat obendrein auch noch die Ordnungshüter um den Finger gewickelt. âSind wir fertig mit der Wiedersehensfeier?â, frage ich und Rory Huntzberger wirft dem Sheriff einen Blick zu, verdreht die Augen: Der Typ ist ein Idiot, aber was will man machen?
âBleib hierâ, sage ich zu Elena, und folge ihrer Mutter ins Richterzimmer.
Richter Hampton ist ein kleiner Mann mit zusammengewachsenen Augenbrauen und einer Vorliebe für Kaffeemilch. âGuten Morgenâ, sagt er und bedeutet uns mit der Hand Platz zu nehmen. âWas soll der Hund hier?â
âEr ist ein Servicehund, Euer Ehren.â Bevor er noch etwas sagen kann, fange ich das freundliche Geplauder an, das in Connecticut jedes Gespräch im Richterzimmer einleitet. Wir sind ein kleiner Bundesstaat und die Juristengemeinde ist noch kleiner. Es ist nicht nur denkbar, dass deine Anwaltsgehilfin die Nichte der Schwester des richters ist, mit dem du in deinem Fall zu tun hast. Nein, es ist sogar ziemlich wahrscheinlich. Während wir plaudern , werfe ich einen Blick auf Rory, die begreifen soll, wer von uns beiden Teil dieses Spiels ist und wer nicht. Sie mag ja als Anwältin gearbeitet haben, aber nicht in 10 Jahren, seit ich einer bin.
Sie ist nervös, faltet den unteren Rand ihrer Bluse. Richter Hampton bemerkt das. âIch wusste gar nicht, dass sie wieder praktizieren.â
âDas war auch nicht meine Absicht, Euer Ehren, aber die Anklagestellerin ist meine Tochter.â
Der Richter blickt mich an. âWorum geht es bei der Sache, Mr. Alexander?â
âMrs. Huntzbergers jüngste Tochter beantragt sie Entlassung aus der elterlichen Gewalt in Sachen medizinischen Fragen.â
Rory schüttelt den Kopf. âDas stimmt nicht, Euer Ehrenâ, sagt sie so vehement, dass mein Hund aufblickt. âIch habe mit Elena gesprochen und sie hat mir versichert, dass sie es sich anders überlegt hat. Sie hatte einen schlechten Tag und wollte wahrscheinlich schlicht unsere Aufmerksamkeit gewinnen.â Rory hebt eine Schulter. âSie wissen ja, wie 13-jährige sein können.â
Es wird so still im Raum, dass ich meinen eigenen Puls hören kann. Richter Hampton weià nicht, wie 13-jährige sein können. Seine Tochter war 12, als sie starb.
Rorys Gesicht wird flammendrot. Wie jeder im Staat weià sie von Lucy Hampton. Würde mich nicht wundern, wenn sie auch so einen Aufkleber am Heck ihres Minivans hat. âOh Gott, verzeihen Sie. Ich wollte Sie nicht-â Der Richter blickt weg. âMr. Alexander, wann haben Sie zuletzt mit ihrer Mandantin gesprochen?â
âGestern morgen, Euer Ehren. Sie war in meinem Büro, als ihre Mutter anrief, um mir zu sagen, es sei alles nur ein Missverständnis.â
Wie zu erwarten, klappt ihr der Unterkiefer herunter.
âSie kann nicht bei ihm gewesen sein. Sie war joggen.â
Ich blicke sie an. âSind Sie sicher?â
âDas hat sie aber gesagt-â
âEuer Ehrenâ, sage ich, âgenau das ist der springende Punkt und genau darum halte ich Elena Huntzbergers Antrag für begründet. Ihre Mutter weià an einem beliebigen Vormittag nicht, wo ihre Tochter sich befindet und medizinische Entscheidungen, die Elena betreffen, werden mit der gleichen Unachtsamkeit-â
âSchluss damit, Mr. Alexander.â Der Richter wendet sich an Rory. âHat Ihre Tochter zu Ihnen gesagt, dass sie auf dieses Verfahren verzichten will?â
âJa.â
Er blickt mich an. âUnd Ihnen hat sie gesagt, sie möchte keinen Rückzieher machen?â
âDas ist richtig.â
âDann sollte ich mich mal direkt mit Elena unterhalten.â
Als der Richter aufsteht und den Raum verlässt, folgen wir ihm. Elena sitzt mit ihrem Vater auf einer Bank im Korridor. An einem ihrer Turnschuhe ist der Schnürsenkel aufgegangen. Als wir uns ihnen nähern, blickt sie auf.
âElenaâ, sage ich, gleichzeitig mit Rory Huntzberger.
Es ist meine Pflicht, Elena zu erklären, dass Richter Hampton sich ein paar Minuten mit ihr unterhalten will. Ich muss sie vorbereiten, damit sie das Richtige sagt, damit der Richter den Fall nicht abschmettert, ehe sie das bekommt, was sie will. Sie ist meine Mandantin und somit müsste sie sich an meinen Rat halten.
Doch als ich ihren Namen sage, wendet sie sich ihrer Mutter zu.
Aber erst muss ich noch was erklären, was ich dauernd vergessen habe in meine FF einzubauen: Nachdem Rory für Barack Obama gearbeitet hat, hat sie den Job bei der New York Times nicht bekommen und hat dann, weil sie keine aneren Perspektiven mehr hatte Jura studiert und kurzzeitig als Anwältin gearbeitet. Später hat sie dann doch die Stelle bei der NYT gekriegt und hat aufgehört als Anwältin zu arbeiten.
Also, viel Spaà mit dem neuen teil:
CAMPBELL
Wir alle sind, so nehme ich an, unseren Eltern zu Dank verpflichtet â die Frage ist bloÃ, wie sehr? Der Gedanke geht mir durch den Kopf, während meine Mutter mir von der letzten Affäre meines Vaters vorjammert. Nicht zum ersten Mal wünschte ich, ich hätte Geschwister â dann würde ich von ihr in aller Herrgottsfrühe vielleicht nur einen oder zwei Anrufe pro Woche kriegen statt sieben.
âMutterâ, falle ich ihr ins Wort, âich bezweifle, dass sie wirklich erst 16 ist.â
âDu unterschätzt deinen Vater, Campbell.â
Vielleicht, aber ich weià auch, dass er Bundesrichter ist.
Er mag ja scharf auf Schulmädchen sein, aber er würde nie irgendwas Illegales tun. âMom, ich hab einen Gerichtstermin und bin spät dran. Ich melde mich später bei dirâ, sage ich und lege auf, bevor sie protestieren kann.
Ich habe zwar keinen Gerichtstermin, aber ich hätte ihn jetzt brauchen können. Ich hole tief Luft, schüttele den Kopf und sehe, dass Jude mich anschaut. âGrund 106, warum Hunde schlauer sind als Menschenâ, sage ich. âSobald ihr die Wurfkiste verlasst, kappt ihr den Kontakt zu eurer Mutter.â
Ich gehe in die Küche, binde mir dabei die Krawatte. Meine Wohnung ist ein Kunstwerk. Schick und minimalistisch, alles vom Feinsten: eine schwarze Ledercouch â ein Unikat -, ein Flachbildschirm an der Wand, eine verschlossene Glasvitrine mit signierten Erstausgaben von Autoren wie Hemingway und Hawthorne. Meine Espressomaschine ist ein Import aus Italien, mein Kühlschrank ein Designermodell. Ich öffne ihn und sehe eine einsame Zwiebel, eine Flasche Ketchup und drei Rollen SchwarzweiÃfilm.
Auch das ist keine Ãberraschung â ich esse selten zu Hause. Jude ist dermaÃen an Restaurantessen gewöhnt, dass er Hundefutter nicht mal als solches erkennen würde. âWas meinst du?â, frage ich ihn. âIns Rosie's?â
Er bellt, als ich ihm sein Geschirr anlege. Jude und ich sind seit 7 Jahren zusammen. Ich habe ihn bei einem Züchter von Polizeihunden gekauft, doch er wurde speziell für mich abgerichtet.
Das Rosie's ist das, was Starbucks gern wäre: schön postmodern, von denen die einen vielleicht russische Literatur im Orginal lesen oder den Jahresabschluss einer Firma am Laptop machen, während andere im Koffeinrausch ein Drehbuch schreiben. Jude und ich sitzen meistens an unserem Stammplatz, im hinteren Teil. Wir bestellen einen doppelten Espresso und zwei Schokocroissants und wir flirten schamlos mit Marissa, der 20-jährigen Kellnerin. Als wir heute kommen, ist Marissa nirgends zu sehen und an unserem Tisch sitzt eine Frau und verfüttert einen Bagel an ein Kind in einem Kinderwagen. Das bringt mich derart aus dem Konzept, dass Jude mich zu dem einzigen Platz ziehen muss, der frei ist, einem Hocker an der Theke mit Blick auf die StraÃe.
Morgends um halb acht und der Tag ist schon im Eimer.
Ein heroindünner Junge mit so vielen Ringen in den Augenbrauen, dass er an eine Duschvorhangstange erinnert, kommt mit einem Notizblock auf mich zu. âTut mir leid, Mann. Hunde sind nicht erlaubt.â
âDas ist ein Servicehundâ, erläre ich. âWo ist Marissa?â
âDie ist weg, Mann. Durchgebrannt, letzte Nacht.â
Durchgebrannt? In welchem Jahrhundert leben wir?
âMit wem?â, frage ich, obwphl es mich nichts angeht.
âIrgend so ein Perfomancekünstler, der aus Hundehaufen Politikerbüsten macht. Soll wohl so was wie 'ne politische Aussage sein...â
Ich empfinde einen Stich Mitleid für Marissa. Lassen Sie sich eins gesagt sein: Liebe hat die Lebensdauer eines Regenbogens â wunderschön, solange sie da ist und so schnell wie ein Augenblinzeln auch wieder verschwunden.
Der Kellner greift in seine GesäÃtasche und reicht mir eine Plastikkarte. âHier ist die Speisekarte in Blindenschrift.â
âIch möchte einen Espresso und zwei Schokocroissants und ich bin nicht blind.â
âWofür ist Bello denn dann da?â
âIch habe SARSâ, erwidere ich. âEr registriert die Leute, die ich anstecke.â
Der Kellner scheint zu überlegen, ob ich einen Witz mache oder nicht. Er zieht sich verunsichert zurück, um meinen Espresso zu holen.
Von diesem Tisch aus habe ich einen Blick auf die StraÃe. Ich sehe, wie eine ältere Frau um ein Haar von einem Taxifahrer angefahren wird. Ein Junge tanzt mit einem Ghettoblaster auf der Schulter vorbei. Zwillinge in der Uniform einer kirchlichen Privatschule kichern hinter den Seiten eines Teenagermagazins. Und eine Frau mit einem Wildbach aus schwarzem Haar kippt sich Kaffee über den Rock und wirft den Pappbecher auf die StraÃe.
In mir bleibt alles stehen. Ich warte, dass sie das Gesicht hebt â um zu sehen, ob sie wirklich die ist, die ich in ihr zu erkennen meine, - doch sie wendet sich von mir ab, während sie den Stoff mit einem Papiertaschentuch betupft.
Ein Bus schneidet die Welt in zwei Hälfen und mein Handy klingelt.
Ich blicke auf die Nummer im Display: keine groÃe Ãberraschung. Ich stelle das Handy aus, statt den Anruf meiner Mutter entgegenzunehmen und halte nach der Frau drauÃen vor dem Fenster Ausschau, aber inzwischen ist der Bus verschwunden und sie auch.
Kaum habe ich die Kanzlei betreten, belle ich Emily ein paar Anweisungen zu. âRufen Sie Osterlitz an und fragen Sie ihn, ob er im Weiland-Prozess aussagen kann. Besorgen Sie eine Liste mit den Leuten, die in den letzten fünf Jahren sonst noch gegen New England Power geklagt haben.
Kopieren Sie mir die schriftlichen Aussagen im Melbourne-Fall und rufen sie Jerry im Gericht an und fragen Sie ihn, wer bei der anhörung von der kleinen Huntzberger den Vorsitz hat.â
Sie blickt zu mir hoch, und im selben Moment beginnt das Telefon zu klingeln. âApropos.â Sie deutet mit dem Kinn zur Tür meines Büros. Elena Huntzberger steht davor, hat eine Sprühflasche Reinigungsmittel und einen Lappen in der Hand und poliert den Knauf.
âWas soll das?â, frage ich.
âSie haben gesagt, ich soll das machen.â Sie blickt zu Jude runter. âHallo, Jude.â
âLeitung zwei für Sieâ, ruft Emily. Ich werfe ihr einen vielsagenden Blick zu â wieso sie dem Mädchen das erlaubt hat, ist mir schleierhaft â und will in mein Büro gehen, aber der Knauf ist so glitschig von dem Zeug, mit dem Elena ihn poliert hat, dass ich erst ein paarmal abrutsche, bevor die Tür sich endlich öffnet.
Jude schnuppert den Boden ab und sucht sich den bequemsten Platz. Ich drücke auf den blinkenden Knopf an meinem Telefon. âCampbell Alexander.â
âMr. Alexander, hier spricht Rory Huntzberger. Elena Huntzbergers Mutter.â Ich blicke zu ihrer Tochter hinüber, die nur wenige Meter von mir entfernt meinen Türkauf poliert.
âMrs. Huntzbergerâ, sage ich und wie erwartet, erstarrt Elena in der Bewegung.
âIch rufe an wegen ... naja, also das Ganze ist ein Missverständnis.â
âHaben Sie eine Antragserwiderung eingereicht?â
âDas wird nicht nötig sein. Ich habe gestern Abend mit Elena gesprochen und sie will die Sache nicht weiterverfolgen. Sie will Sarah helfen, so gut sie kann.â
âAha.â Meine Stimme wird ausdruckslos. âWenn meine Mandantin von dem Verfahren Abstand nehmen will, dann muss ich das leider aus ihrem eigenen Mund hören.â Ich hebe die Augenbrauen, fange Elenas Blick auf. âSie wissen nicht zufällig, wo sie ist?â
âSie ist joggenâ, sagt Rory Huntzberger. âAber wir fahren heute nachmittag zum Gericht. Wir reden mit dem Richter und schaffen die Sache aus der Welt.â
âDann sehen wir uns wohl dort.â Ich lege auf und verschränke die Arme, den Blick auf Elena. âMöchtest du mir was sagen?â
Sie zuckt die Achseln. âEigentlich nicht.â
âDas sieht deine Mutter anscheinend anders. AuÃerdem denkt sie, du trainiert für die Olympischen Spiele.â
Elena blickt hinaus in den Empfangsbereich, wo Emily, wie nicht anders zu erwarten, die Ohren weit aufgesperrt hat. Sie schlieÃt die Tür und kommt an meinen Schreibtisch. âIch konnte ihr nicht sagen, dass ich zu Ihnen will, nicht nach gestern abend.â
âWas war den gestern abend?â
Als Elena verstummt, verliere ich die Geduld. âJetzt hör mir mal zu. Wenn du die Sache nicht mehr durchziehen willst ... wenn das hier nur eine kolossale Zeitvergeudung ist ... dann wäre es mir lieber, du bist so ehrlich, es mir jetzt gleich zu sagen als später. Ich bin nämlich weder Familientherapeut noch dein bester Kumpel. Ich bin dein Anwalt. Und um dein Anwalt zu sein, brauche ich einen Mandant. Also frage ich dich jetzt noch einmal: Hast du deine Meinung geändert und willst einen Rückzieher machen?â
Ich gehe fest davon aus, dass meine Standpauke das Ende der Geschichte bedeutet, dass Elena jetzt erst recht nicht mehr weiÃ, was sie will. Aber zu meiner Verblüffung blickt sie mich direkt an, kühl und gefasst. âSind Sie immer noch bereit, mich zu vertreten?â, fragt sie.
Wider bessere Einsicht sage ich ja.
âDann neinâ, sagt sie, âich habe meine Meinung nicht geändert.â
Als ich das erste Mal mit meinem Vater bei einer Yachtclubregatta mitmachte, war ich 14 und er war zuerst strikt dagegen. Ich sei noch nicht alt genug, ich sei noch nicht reif genug, das Wetter sei zu unsicher. In Wirklichkeit wollte er mich nur nicht dabei haben, weil er dachte, dass ich seine Chancen auf den Cup verringern würde. In den Augen meines Vaters musste man perfekt sein, um für ihn überhaupt zu existieren.
Sein Boot war eine schnittige Segelyacht, ein Prachtstück aus Mahagoni und Teak, das er dem Keyboarder J. Geils in Marblehead abgekauft hatte. Mit anderen Worten, ein Traum, ein Statussymbol und ein Initiationswerkzeug, schön verpackt in leuchtend weiÃen Segeln und einem honigfarbenen Rumpf.
Wir passten den Start genau ab und überquerten die Linie bei vollem Segel genau in dem Augenblick, als der Kanonenschuss fiel. Ich tat, was ich konnte, um immer schon eine Sekunde schneller dort zu sein, wo mein Vater mich brauchte â nahm das Ruder, bevor er es mir sagte, kreuzte und wendete, bis mir die Muskeln weh taten. Und vielleicht hätte es sogar ein Happy-End gegeben, doch dann zog von Norden her ein Unwetter auf. Es schüttete wie aus Eimern und drei Metern hohe Wellen warfen uns auf und nieder.
Ich beobachtete meinen Vater, wie er sich in deiner gelben Ãljacke bewegte. Er schien den Regen gar nicht wahrzunehmen, er hatte offemnsichtlich nicht den Wunsch, sich irgendwo zu verkriechen und den seekranken Magen festzuhalten und nur noch zu sterben, so wie ich. âCampbellâ, schrie er, âwenden.â
Doch in dem Wind zu wenden hätte eine weitere Achterbahnfahrt zur Folge gehabt. âCampbellâ, wiederholte mein Vater, ânun mach schon.â
Ein Wellental öffnete sich vor uns. Das Boot neigte sich so jäh, dass ich den Halt verlor. Mein Vater hechtete an mit vorbei und packte das Ruder. Eine selige Sekunde lang wurden die Segel schlaff. Dann schlug der Baum herum und das Boot jagte in die entgegengesetzte Richtung.
âIch brauche die Koordinatenâ, befahl mein Vater.
Das hieÃ, ich musste nach unten in die Kabine, wo die Karten lagen und ausrechnen, auf welchem Kurs wir die nächste Streckenboje erreichten. Doch als ich unten war, nicht mehr an der frischen Luft, wurde es noch schlimmer. Kaum hatte ich die Karte aufgeschlagen, kotzte ich sie voll.
Mein Vater sah nur aus einem einzigen Grund nach mir: weil ich ihm keine Informationen lieferte. Er steckte den Kopf in die Kabine und sah mich in meinem Erbrochenen sitzen. âDas darf doch nicht wahr seinâ, knurrte er und verschwand wieder.
Ich musste all meine Kraft zusammennehmen, um mich hinter ihm her wieder nach oben zu hieven. Er riss das Ruder hin und her. Ich war Luft für ihn. Und als er den Kurs änderte, warnte er mich nicht. Das Segel zischte quer über das Boot, schlitzte den Saum des Himmels auf. Der Baum schlug herum, knallte mir gegen den Hinterkopf und schlug mich k.o.
Als ich wieder zu mir kam, stahl mein Vater gerade einem anderen Boot den Wind, kurz vor der Ziellinie. Der Regen hatte sich zu einem leichten Nieseln abgeschwächt und als mein Vater unser Boot zwischen den Luftstrom und unseren engsten Konkurrenten brachte, verlor das andere Boot an Fahrt. Wir gewannen um Sekunden.
Mein Vater wies mich an, die Kabine sauberzumachen und ein Taxi zu nehmen, während er mit dem Boot zum Yachtclub segelte, um zu feiern. Als ich eine Stunde später auch dort eintraf, war er bereits in Hochstimmung und trank Scotch aus dem Kristallpokal, den er gewonnen hatte.
âDa kommt deine Crew, Camâ, rief ein Freund, Mein Vater gob den Siegerpokal zum GruÃ, trank einen tiefen Schluck und knallte ihn dann so fest auf die Bar, dass der Henkel abbrach.
âOhâ, sagte ein anderer Segler, âwie schade.â
Mein Vater blickte mir unverwandt in die Augen. âDas kann man wohl sagenâ, sagte er.
Am Heck von praktisch jedem dritten Wagen in Hartford sieht man einen von diesen rot-weiÃen Stickern, auf denen den Opfern von Verkehrsunfällen gedacht wird.
Meine Freundin Katie Harper wurde von einem betrunkenen Autofahrer getötet. Mein Freund John Curtis wurde von einem betrunkenen Autofahrer getötet. Die Aufkleber werden auf Schulfesten und Benefizveranstaltungen und in Friseursalons verteilt und es spielt keine Rolle, ob man den oder die Getötete kannte. Man pappt sich den Aufkleber aus Solidarität ans Fahrzeug und weil man insgeheim froh ist, von der Tragödie nicht betroffen zu sein.
Letztes Jahr kamen Aufkleber mit dem Namen eines neuen Opfers hinzu: Lucy Hampton, eine 12-jährige, die ich indirekt kannte. Sie war die Tochter eines Richters, der angeblich kurz nach der Beerdigung seines Kindes bei einer Sorgerechtsverhandlung zusammenbrach und sich dann für drei Monate beurlauben lies, um zu trauern. Ebendieser Richter hat jetzt den Vorsitz im Fall Elena Huntzberger.
Als ich mich auf den Weg zum Garrhay Complex mache, wo das Familiengericht untergebracht ist, frage ich mich, ob ein Mann, der diese Last zu tragen hat, überhaut ein Verfahren leiten kann, dass bei einem positiven Ausgang für meine Mandantin den Tod ihrer halbwüchsigen Schwester beschleunigen wird.
Am Eingang steht ein neuer Pförtner, ein Mann mit muskelbepacktem Hals, aber womöglich wenig Grips.
âTut mir leidâ, sagt er. âKeine Hunde.â
âDas ist ein Servicehund.â
Verwirrt beugt sich der Pförtner vor und sieht sich meine Augen an. Ich mache das gleiche bei ihm. âIch bin kurzsichtig. Er hilft mir die StraÃenschilder lesen.â Jude und ich gehen um den Mann herum und streben den Korridor hinunter Richtung Gerichtssaal.
Drinnen schlägt sich der Gerichtssekretär gerade mit Elena Huntzbergers Mutter herum. Zumindest vermute ich dass sie es ist, da Elena neben ihr steht. âIch bin sicherâ, sagt Rory Huntzberger. âdass der Richter in diesem Fall dafür Verständnis haben wird.â Ihr Mann steht ein paar Schritte hinter ihr, abseits.
Als Elena mich sieht, malt sich Erleichterung auf ihrem Gesicht ab. Ich wende mich an den Gerichtssekretär. âIch bin Campbell Alexanderâ, sage ich. âGibt es ein Problem?â
âIch versuche gerade, Mrs. Huntzberger zu erklären, dass nur Anwälte ins Richterzimmer dürfen.â
âGut, ich bin Elenas Anwaltâ, erwidere ich.
Der Sekretär wendet sich an Rory Huntzberger. âWer vertritt Ihre Seite?â
Elenas Mutter ist einen Moment lang wie vor den Kopf geschlagen. Sie dreht sich zu ihrem Mann um. âDas ist wie Fahrradfahren, man verlernt's nichtâ, sagt sie leise.
Ihr Mann schüttelt den Kopf. âBist du sicher, dass du das durchstehen willst?â
âIch will nicht, ich muss.â
Ich höre ihnen zu und plötzlich schwant mir etwas.
âMoment malâ, sage ich. âSind Sie Anwältin?â
Rory dreht sich zu mir um. âJa, wieso?â
Ich blicke Elena ungläubig an. âUnd das erwähnst du nicht mal?â
âSie haben nicht danach gefragtâ, flüstert sie.
Der Gerichtssekretär reicht jedem von uns ein Anwesenheitsformular und ruft den Sheriff dazu.
âVern.â Rory lächelt. âSchön, Sie zu sehen.â
Na toll, das wird ja immer besser.
âHallo!â Der Sheriff gibt ihr einen Kuss auf die Wange, schüttelt ihrem Mann die Hand. âLogan.â
Sie ist also nicht nur Anwältin, sie hat obendrein auch noch die Ordnungshüter um den Finger gewickelt. âSind wir fertig mit der Wiedersehensfeier?â, frage ich und Rory Huntzberger wirft dem Sheriff einen Blick zu, verdreht die Augen: Der Typ ist ein Idiot, aber was will man machen?
âBleib hierâ, sage ich zu Elena, und folge ihrer Mutter ins Richterzimmer.
Richter Hampton ist ein kleiner Mann mit zusammengewachsenen Augenbrauen und einer Vorliebe für Kaffeemilch. âGuten Morgenâ, sagt er und bedeutet uns mit der Hand Platz zu nehmen. âWas soll der Hund hier?â
âEr ist ein Servicehund, Euer Ehren.â Bevor er noch etwas sagen kann, fange ich das freundliche Geplauder an, das in Connecticut jedes Gespräch im Richterzimmer einleitet. Wir sind ein kleiner Bundesstaat und die Juristengemeinde ist noch kleiner. Es ist nicht nur denkbar, dass deine Anwaltsgehilfin die Nichte der Schwester des richters ist, mit dem du in deinem Fall zu tun hast. Nein, es ist sogar ziemlich wahrscheinlich. Während wir plaudern , werfe ich einen Blick auf Rory, die begreifen soll, wer von uns beiden Teil dieses Spiels ist und wer nicht. Sie mag ja als Anwältin gearbeitet haben, aber nicht in 10 Jahren, seit ich einer bin.
Sie ist nervös, faltet den unteren Rand ihrer Bluse. Richter Hampton bemerkt das. âIch wusste gar nicht, dass sie wieder praktizieren.â
âDas war auch nicht meine Absicht, Euer Ehren, aber die Anklagestellerin ist meine Tochter.â
Der Richter blickt mich an. âWorum geht es bei der Sache, Mr. Alexander?â
âMrs. Huntzbergers jüngste Tochter beantragt sie Entlassung aus der elterlichen Gewalt in Sachen medizinischen Fragen.â
Rory schüttelt den Kopf. âDas stimmt nicht, Euer Ehrenâ, sagt sie so vehement, dass mein Hund aufblickt. âIch habe mit Elena gesprochen und sie hat mir versichert, dass sie es sich anders überlegt hat. Sie hatte einen schlechten Tag und wollte wahrscheinlich schlicht unsere Aufmerksamkeit gewinnen.â Rory hebt eine Schulter. âSie wissen ja, wie 13-jährige sein können.â
Es wird so still im Raum, dass ich meinen eigenen Puls hören kann. Richter Hampton weià nicht, wie 13-jährige sein können. Seine Tochter war 12, als sie starb.
Rorys Gesicht wird flammendrot. Wie jeder im Staat weià sie von Lucy Hampton. Würde mich nicht wundern, wenn sie auch so einen Aufkleber am Heck ihres Minivans hat. âOh Gott, verzeihen Sie. Ich wollte Sie nicht-â Der Richter blickt weg. âMr. Alexander, wann haben Sie zuletzt mit ihrer Mandantin gesprochen?â
âGestern morgen, Euer Ehren. Sie war in meinem Büro, als ihre Mutter anrief, um mir zu sagen, es sei alles nur ein Missverständnis.â
Wie zu erwarten, klappt ihr der Unterkiefer herunter.
âSie kann nicht bei ihm gewesen sein. Sie war joggen.â
Ich blicke sie an. âSind Sie sicher?â
âDas hat sie aber gesagt-â
âEuer Ehrenâ, sage ich, âgenau das ist der springende Punkt und genau darum halte ich Elena Huntzbergers Antrag für begründet. Ihre Mutter weià an einem beliebigen Vormittag nicht, wo ihre Tochter sich befindet und medizinische Entscheidungen, die Elena betreffen, werden mit der gleichen Unachtsamkeit-â
âSchluss damit, Mr. Alexander.â Der Richter wendet sich an Rory. âHat Ihre Tochter zu Ihnen gesagt, dass sie auf dieses Verfahren verzichten will?â
âJa.â
Er blickt mich an. âUnd Ihnen hat sie gesagt, sie möchte keinen Rückzieher machen?â
âDas ist richtig.â
âDann sollte ich mich mal direkt mit Elena unterhalten.â
Als der Richter aufsteht und den Raum verlässt, folgen wir ihm. Elena sitzt mit ihrem Vater auf einer Bank im Korridor. An einem ihrer Turnschuhe ist der Schnürsenkel aufgegangen. Als wir uns ihnen nähern, blickt sie auf.
âElenaâ, sage ich, gleichzeitig mit Rory Huntzberger.
Es ist meine Pflicht, Elena zu erklären, dass Richter Hampton sich ein paar Minuten mit ihr unterhalten will. Ich muss sie vorbereiten, damit sie das Richtige sagt, damit der Richter den Fall nicht abschmettert, ehe sie das bekommt, was sie will. Sie ist meine Mandantin und somit müsste sie sich an meinen Rat halten.
Doch als ich ihren Namen sage, wendet sie sich ihrer Mutter zu.