09.04.2012, 16:53
soo. entschuldigt die verzögerung. ohne lange vorreden ein neuer, wieder ungebetater teil. hoff er ist okay so
EinunddreiÃig
âWas...â, setzte Simon verständnislos an, sah jedoch, als sie ihren Kopf hob, mit einem Blick, dass sie nicht mehr verstehen konnte, als er.
Ihre zittrigen Hände verloren den Halt am metallenen Griff, der noch RuÃbehaftet war, dann begann Blut über ihre Handfläche auf ihre Hose zu tropfen. Das Messer rutschte zwischen die Beiden auf das Sofa und fiel dann auf den Boden, wo es Simons rechten Fuà nur um wenige Millimeter verfehlte.
Das Scheppern war gespenstisch laut. Anne musste unweigerlich daran denken, dass das Messer auf dem Boden wohl dasselbe Geräusch machte, wie seine Bedeutung in ihrem Kopf.
Simon räusperte sich und drückte eilig ein altes, zerknülltes Papiertaschentuch aus seiner Hosentasche auf ihre Handfläche. âAnnie, Du blutest.â, stellte er überflüssigerweise fest, aber sie schien es jetzt erst wahrzunehmen. Nur schwer lieà sich ihr Blick dauerhaft von dem Messer lösen. Simon hob es vom Boden auf und legte es auf den Couchtisch.
âAlles okay hier? Was war denn das für ein Scheppern?â
Valerie hatte eigentlich vorgehabt, den beiden etwas Zeit zu geben, aber jetzt wo sie wieder vor ihnen stand und ihr Freund mit Anne händchenhaltend auf der Couch saÃ, fragte sie sich, ob das so eine gute Idee gewesen war.
âWas ist denn hier los?â
âKannst Du mal ein Pflaster holen? In der Küche im Schrank über der Kaffeemaschine.â
Ihr Blick fiel auf das Taschentuch, das Simon auf Annes Hand gedrückt hielt. Langsam sickerte Blut hindurch, aber Anne starrte wie verzaubert auf ein dreckiges altes Messer auf dem Tisch.
âPflaster, ach so!â, rief Valerie erleichtert aus. Händchen halten, was dachte sie denn von ihm? Sie lief leicht rot an und eilte in die Küche, dann kam sie ebenso schnell mit der Keksdose, die Simon als Verbandskasten missbrauchte, zurück. Anscheinend hatte er nichts von ihrer Verwirrung bemerkt.
Simon legte das blutige Taschentuch auf den Tisch und verarztete Anne, während Valerie unbehaglich auf der Couchlehne saÃ.
âMeinst Du nicht das sollte sich ein Arzt angucken? Wie ist das überhaupt passiert?â
Da Anne ohnehin nur ausdruckslos auf das Messer starrte, gab Simon auf, ihre Aufmerksamkeit erregen zu wollen, und erklärte stattdessen seiner Freundin, was vorgefallen war.
âPaket von einem alten Freund. Ist ihr nur aus der Hand gerutscht. Und nein, sie hasst Ãrzte.â
âWer verschickt denn Messer? Ist das eine Drohung?â
âNein, es ist ein Hinweis. Auf eine Geschichte, die sehr lange zurück liegt.â
Der Nachdruck, mit dem er es sagte, machte ihr schlagartig bewusst, dass er wohl nicht der Einzige mit geheimer Vergangenheit war. Sollte sie noch weiter fragen?
âOkay, und warum sieht das aus als wär es aus einer Brandruine?â
âWeil es das ist. Es ist aus dem Haus in dem meine Eltern gestorben sind. Und hat die perfekt passende Klinge zu meinen Narben.â
Valerie sog scharf Luft ein. Damit hatte sie nicht gerechnet. Aber auch Simon erschrak bei diesen harten, logischen Worten. Anne nahm das Messer vom Couchtisch und fuhr mit der Spitze über die Narbe auf ihrem Unterarm.
âVorsicht, Du weiÃt doch wie scharf das noch ist!â
âJaja, scharf und ruÃig wie vor 20 Jahren. Er hat es wohl wie seinen Augapfel gehütet.â, sinnierte sie.
âHat nicht mal jemand gesagt, dass es aussieht, als hätte jemand auf meinem Unterarm Malen nach Zahlen mit meinen Muttermalen gespielt? So falsch war das wohl gar nicht.â
Sie lachte, aber es klang eher wie ein Weinen. Dann wurde es ein Weinen.
Es würde schwer werden, das wusste Valerie. Es fiel ihr schon schwer, nur hier zu sitzen und sich ausgeschlossen zu fühlen. Noch viel schwerer war es allerdings, tatsächlich aufzustehen, sich leise von Simon zu verabschieden und nach hause zu fahren. Richtig war es, so viel wusste sie. Jedenfalls wusste sie, das es falsch gewesen wäre, zu bleiben, denn sie war mit Anne alles andere als vertraut. Aber war es geschickt, Simon mit einer völlig aufgelösten, ihm so nahe stehenden Frau allein zu lassen? Valerie war sich nicht sicher. Trotzdem tat sie es.
Simon bekam von diesen Gedankengängen wenig mit. Als die Wohnungstür hinter Valerie zufiel, war er bereits wieder mit Annes Wohlbefinden beschäftigt. Diese hatte zu weinen aufgehört und starrte stattdessen mit leerem Blick vor sich hin, während sie ein Kissen fest umklammert hielt und ab und zu noch geistesabwesend die Nase hochzog.
Simon konnte sich nicht entscheiden. Sollte er sie in den Arm nehmen, ihr einen Tee kochen, ein Gespräch anfangen? Er hatte eine Menge mit Anne erlebt, aber wenn es um ihre Suche nach der Wahrheit über ihre Vergangenheit ging, schien seine Bester-Freund-Intuition regelmäÃig den Geist aufzugeben.
âHast Du... Hunger?â, fragte er schlieÃlich und wollte unmittelbar danach schon den Kopf auf die Tischplatte knallen. Hunger? Wie kam er auf Hunger? Abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich gerade nicht an Essen dachte, war er nun wirklich auch kein begnadeter Koch. Nicht mal ein halbwegs fähiger Koch. Oder auch nur jemand, der nicht-gesundheitsgefährdendes Essen zubereiten konnte.
Auf Annes Gesicht machte sich jedoch zu seiner Ãberraschung ein Grinsen breit.
âIch kann deine Gedanken fast lesen.â, meinte sie noch etwas tonlos, dann räusperte sie sich.
âIst schon gut. Ich weià doch selbst nicht, was ich jetzt brauche. Ich weià nicht mal, was das jetzt für mich bedeutet. Oder wie ich mich gerade fühle. Wie sollst Du denn dann wissen, wie Du reagieren sollst?â
Sie wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab, dann sah sie ihre Hand an.
âHast Du noch ein Taschentuch? Möglicherweise eins, was Du nicht benutzt in deiner Tasche rumträgst?â, fragte sie zwinkernd, mit Blick auf das Blutverschmierte Taschentuch auf dem Couchtisch. Simon wurde rot.
âOh, das hab ich gar nicht gemerkt, es war nur auf ein Mal so viel Blut...â, begann er sich zu entschuldigen und stand eilig auf, um ein frisches Taschentuch zu suchen.
Anne putzte sich damit die Nase.
âIch habs doch auch nicht gemerkt.â, beruhigte sie ihn und legte eine Hand auf sein Knie. Simon grinste schief.
âWeiÃt Du, eigentlich sollte ich Dich beruhigen und nicht umgekehrt.â, stellte er trocken fest und verdrehte die Augen über sich selbst.
âTust Du doch.â
Er lächelte über diese einfache und doch vielsagende Aussage.
âOkay.â
Sie lehnte sich auf der Couch zurück und schloss die Augen.
âAlso, was willst Du jetzt tun?â, wollte er nach einer Weile wissen.
âIch weià nicht... Aber ich würd auch nicht so gern drüber reden.â
âIch meine nicht wegen... Ich meine jetzt. Was würdest Du jetzt am liebsten tun? Ich will Dich ein bisschen aufheitern. Ablenken.â
âWas ich jetzt am liebsten tun würde? Sowas wie Tee trinken, schlafen, ans Meer fahren, in den Wald schreien, Trampolin springen? Egal was?â
âEgal was.â
âDas willst Du wirklich wissen? Und machen?â
Sie öffnete die Augen wieder.
âSicher?â, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.
âWas ist es denn?â
Er lächelte, halb zufrieden mit seiner Idee, halb ängstlich vor den Konsequenzen.
âDeine Haare waschen, bis die Farbe da raus ist. Dunkelblond siehst Du so verdammt normal aus.â
âOkay.â
âOkay? Du lässt mich mit laufendem Wasser an deinen Kopf?â
Er biss sich auf die Lippe. Schluckte. Nickte zögernd und sah so verdammt ängstlich aus, dass sie nicht anders konnte, als ihr Kissen wegzulegen und stattdessen Simon fest in den Arm zu nehmen.
âMusst Du doch nicht. Ãberhaupt können wir was ganz anderes machen. Ist doch völlig egal, welche Farbe deine Haare haben. Komm, wir räumen das Messer und das Zeitungspapier auf und dann schauen wir 'ne DVD.â
Sie lieà ihn wieder los und sah ihn an.
âOkay?â
âNein.â
âNein?â
âLass uns meine Haare entfärben. Ehrlich. Es wird Zeit, dass ich lerne, andere Menschen im Bad zu ertragen. Warum soll ich das nicht als erstes mit meiner besten Freundin üben? Komm.â
Er stand auf und zog sie an der Hand hinter sich her.
âWas glaubst Du wie lange das noch dauert, bis die Farbe raus ist?â, fragte er sie, während er sein Shampoo aus der Duschbadewanne nahm und den Wasserhahn des Waschbeckens aufdrehte.
Anne setzte sich auf den Badewannenrand. Sie war immer noch nicht davon überzeugt, dass das hier so eine gute Idee war.
âHalbe Stunde oder 'ne Stunde vielleicht? Hast Du die Packung noch?.... Willst Du das jetzt wirklich machen?â
âNee, die ist im Müll. Dann müssen wir eben einfach ausprobieren.â
Er ignorierte ihre Zweifel, zog sein T-Shirt aus, beugte sich entschlossen über das Waschbecken und hielt zunächst kurz die Luft an, als das Wasser rasch Durch seine Haare sickerte und seinen Kopf umströmte. Dann atmete er hörbar aus und blockierte alle Erinnerungen, die sogleich in ihm aufgewirbelt wurden.
Anne saà schweigend auf dem Badewannenrand und beobachtete, wie sich Simons Muskeln anspannten, sobald Wasser auf seinen Kopf traf. Eine Weile lang sagte sie gar nichts, hoffte, dass seine Verkrampfung bald nachlassen würde, aber für ihn schien es fast Gewohnheit zu sein. Diese Situation überforderte sie. Was trieb ihn dazu, auf ein Mal seine Ãngste konfrontieren zu wollen? Hatte sie es mit ihrer Dummen Idee ausgelöst? Wollte er sie nur auf andere Gedanken bringen?
Simon zog den Kopf unter dem Wasserstrahl weg und blieb über das Waschbecken gebeugt stehen, um nicht den Boden voll zu tropfen.
âAnnie, schaust Du mal nach der Farbe?â, bat er und sie stand eilig auf, um ihm wenigstens hilfreich zur Seite zu stehen â wenn sie ihn schon in diese Situation gebracht hatte.
âHmm, zeig mal.â, murmelte sie unentschlossen, beugte sich ebenfalls über das Waschbecken, legte eine Hand locker auf seine Schulter und griff, bedacht ihre Aufgabe zumindest gründlich zu machen, in seine Haare, um den Ansatz sehen zu können.
Dann ging alles ganz schnell. Anne fühlte noch, wie sich unter ihrer Hand seine Muskulatur erneut anspannte. Einen Sekundenbruchteil später wurde sie heftig zurückgestoÃen und flog nach hinten, wo sie mit dem Rücken gegen die Badewannenwand prallte. Einen Moment stockte ihr der Atem, sie schnappte nach Luft und sah dann Simon, der, mit verzerrtem Gesichtsausdruck, Wassertropfen sprühend, herumwirbelte und einen Satz in ihre Richtung machte. Schützend riss Anne die Arme vors Gesicht und spürte sofort den stechenden Schmerz.

EinunddreiÃig
2011
Die Schrift der alten Tageszeitung blieb im Tesafilm hängen, als Anne behutsam ihre Hände zwischen das Papier schob. Sie wickelte es aus und Bogen um Bogen fiel zu Boden, während das Paket immer schmaler wurde. Anne wusste nicht, ob sie es lieber schneller oder langsamer auspacken wollte, ob sie wissen wollte was sich darin verbarg, worauf sie so lange gewartet hatte. Aber ihre Hände wickelten mechanisch weiter, bis der Inhalt des Pakets schlieÃlich zum Vorschein kam.âWas...â, setzte Simon verständnislos an, sah jedoch, als sie ihren Kopf hob, mit einem Blick, dass sie nicht mehr verstehen konnte, als er.
Ihre zittrigen Hände verloren den Halt am metallenen Griff, der noch RuÃbehaftet war, dann begann Blut über ihre Handfläche auf ihre Hose zu tropfen. Das Messer rutschte zwischen die Beiden auf das Sofa und fiel dann auf den Boden, wo es Simons rechten Fuà nur um wenige Millimeter verfehlte.
Das Scheppern war gespenstisch laut. Anne musste unweigerlich daran denken, dass das Messer auf dem Boden wohl dasselbe Geräusch machte, wie seine Bedeutung in ihrem Kopf.
Simon räusperte sich und drückte eilig ein altes, zerknülltes Papiertaschentuch aus seiner Hosentasche auf ihre Handfläche. âAnnie, Du blutest.â, stellte er überflüssigerweise fest, aber sie schien es jetzt erst wahrzunehmen. Nur schwer lieà sich ihr Blick dauerhaft von dem Messer lösen. Simon hob es vom Boden auf und legte es auf den Couchtisch.
âAlles okay hier? Was war denn das für ein Scheppern?â
Valerie hatte eigentlich vorgehabt, den beiden etwas Zeit zu geben, aber jetzt wo sie wieder vor ihnen stand und ihr Freund mit Anne händchenhaltend auf der Couch saÃ, fragte sie sich, ob das so eine gute Idee gewesen war.
âWas ist denn hier los?â
âKannst Du mal ein Pflaster holen? In der Küche im Schrank über der Kaffeemaschine.â
Ihr Blick fiel auf das Taschentuch, das Simon auf Annes Hand gedrückt hielt. Langsam sickerte Blut hindurch, aber Anne starrte wie verzaubert auf ein dreckiges altes Messer auf dem Tisch.
âPflaster, ach so!â, rief Valerie erleichtert aus. Händchen halten, was dachte sie denn von ihm? Sie lief leicht rot an und eilte in die Küche, dann kam sie ebenso schnell mit der Keksdose, die Simon als Verbandskasten missbrauchte, zurück. Anscheinend hatte er nichts von ihrer Verwirrung bemerkt.
Simon legte das blutige Taschentuch auf den Tisch und verarztete Anne, während Valerie unbehaglich auf der Couchlehne saÃ.
âMeinst Du nicht das sollte sich ein Arzt angucken? Wie ist das überhaupt passiert?â
Da Anne ohnehin nur ausdruckslos auf das Messer starrte, gab Simon auf, ihre Aufmerksamkeit erregen zu wollen, und erklärte stattdessen seiner Freundin, was vorgefallen war.
âPaket von einem alten Freund. Ist ihr nur aus der Hand gerutscht. Und nein, sie hasst Ãrzte.â
âWer verschickt denn Messer? Ist das eine Drohung?â
âNein, es ist ein Hinweis. Auf eine Geschichte, die sehr lange zurück liegt.â
Der Nachdruck, mit dem er es sagte, machte ihr schlagartig bewusst, dass er wohl nicht der Einzige mit geheimer Vergangenheit war. Sollte sie noch weiter fragen?
âOkay, und warum sieht das aus als wär es aus einer Brandruine?â
âWeil es das ist. Es ist aus dem Haus in dem meine Eltern gestorben sind. Und hat die perfekt passende Klinge zu meinen Narben.â
Valerie sog scharf Luft ein. Damit hatte sie nicht gerechnet. Aber auch Simon erschrak bei diesen harten, logischen Worten. Anne nahm das Messer vom Couchtisch und fuhr mit der Spitze über die Narbe auf ihrem Unterarm.
âVorsicht, Du weiÃt doch wie scharf das noch ist!â
âJaja, scharf und ruÃig wie vor 20 Jahren. Er hat es wohl wie seinen Augapfel gehütet.â, sinnierte sie.
âHat nicht mal jemand gesagt, dass es aussieht, als hätte jemand auf meinem Unterarm Malen nach Zahlen mit meinen Muttermalen gespielt? So falsch war das wohl gar nicht.â
Sie lachte, aber es klang eher wie ein Weinen. Dann wurde es ein Weinen.
Es würde schwer werden, das wusste Valerie. Es fiel ihr schon schwer, nur hier zu sitzen und sich ausgeschlossen zu fühlen. Noch viel schwerer war es allerdings, tatsächlich aufzustehen, sich leise von Simon zu verabschieden und nach hause zu fahren. Richtig war es, so viel wusste sie. Jedenfalls wusste sie, das es falsch gewesen wäre, zu bleiben, denn sie war mit Anne alles andere als vertraut. Aber war es geschickt, Simon mit einer völlig aufgelösten, ihm so nahe stehenden Frau allein zu lassen? Valerie war sich nicht sicher. Trotzdem tat sie es.
Simon bekam von diesen Gedankengängen wenig mit. Als die Wohnungstür hinter Valerie zufiel, war er bereits wieder mit Annes Wohlbefinden beschäftigt. Diese hatte zu weinen aufgehört und starrte stattdessen mit leerem Blick vor sich hin, während sie ein Kissen fest umklammert hielt und ab und zu noch geistesabwesend die Nase hochzog.
Simon konnte sich nicht entscheiden. Sollte er sie in den Arm nehmen, ihr einen Tee kochen, ein Gespräch anfangen? Er hatte eine Menge mit Anne erlebt, aber wenn es um ihre Suche nach der Wahrheit über ihre Vergangenheit ging, schien seine Bester-Freund-Intuition regelmäÃig den Geist aufzugeben.
âHast Du... Hunger?â, fragte er schlieÃlich und wollte unmittelbar danach schon den Kopf auf die Tischplatte knallen. Hunger? Wie kam er auf Hunger? Abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich gerade nicht an Essen dachte, war er nun wirklich auch kein begnadeter Koch. Nicht mal ein halbwegs fähiger Koch. Oder auch nur jemand, der nicht-gesundheitsgefährdendes Essen zubereiten konnte.
Auf Annes Gesicht machte sich jedoch zu seiner Ãberraschung ein Grinsen breit.
âIch kann deine Gedanken fast lesen.â, meinte sie noch etwas tonlos, dann räusperte sie sich.
âIst schon gut. Ich weià doch selbst nicht, was ich jetzt brauche. Ich weià nicht mal, was das jetzt für mich bedeutet. Oder wie ich mich gerade fühle. Wie sollst Du denn dann wissen, wie Du reagieren sollst?â
Sie wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab, dann sah sie ihre Hand an.
âHast Du noch ein Taschentuch? Möglicherweise eins, was Du nicht benutzt in deiner Tasche rumträgst?â, fragte sie zwinkernd, mit Blick auf das Blutverschmierte Taschentuch auf dem Couchtisch. Simon wurde rot.
âOh, das hab ich gar nicht gemerkt, es war nur auf ein Mal so viel Blut...â, begann er sich zu entschuldigen und stand eilig auf, um ein frisches Taschentuch zu suchen.
Anne putzte sich damit die Nase.
âIch habs doch auch nicht gemerkt.â, beruhigte sie ihn und legte eine Hand auf sein Knie. Simon grinste schief.
âWeiÃt Du, eigentlich sollte ich Dich beruhigen und nicht umgekehrt.â, stellte er trocken fest und verdrehte die Augen über sich selbst.
âTust Du doch.â
Er lächelte über diese einfache und doch vielsagende Aussage.
âOkay.â
Sie lehnte sich auf der Couch zurück und schloss die Augen.
âAlso, was willst Du jetzt tun?â, wollte er nach einer Weile wissen.
âIch weià nicht... Aber ich würd auch nicht so gern drüber reden.â
âIch meine nicht wegen... Ich meine jetzt. Was würdest Du jetzt am liebsten tun? Ich will Dich ein bisschen aufheitern. Ablenken.â
âWas ich jetzt am liebsten tun würde? Sowas wie Tee trinken, schlafen, ans Meer fahren, in den Wald schreien, Trampolin springen? Egal was?â
âEgal was.â
âDas willst Du wirklich wissen? Und machen?â
Sie öffnete die Augen wieder.
âSicher?â, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.
âWas ist es denn?â
Er lächelte, halb zufrieden mit seiner Idee, halb ängstlich vor den Konsequenzen.
âDeine Haare waschen, bis die Farbe da raus ist. Dunkelblond siehst Du so verdammt normal aus.â
âOkay.â
âOkay? Du lässt mich mit laufendem Wasser an deinen Kopf?â
Er biss sich auf die Lippe. Schluckte. Nickte zögernd und sah so verdammt ängstlich aus, dass sie nicht anders konnte, als ihr Kissen wegzulegen und stattdessen Simon fest in den Arm zu nehmen.
âMusst Du doch nicht. Ãberhaupt können wir was ganz anderes machen. Ist doch völlig egal, welche Farbe deine Haare haben. Komm, wir räumen das Messer und das Zeitungspapier auf und dann schauen wir 'ne DVD.â
Sie lieà ihn wieder los und sah ihn an.
âOkay?â
âNein.â
âNein?â
âLass uns meine Haare entfärben. Ehrlich. Es wird Zeit, dass ich lerne, andere Menschen im Bad zu ertragen. Warum soll ich das nicht als erstes mit meiner besten Freundin üben? Komm.â
Er stand auf und zog sie an der Hand hinter sich her.
âWas glaubst Du wie lange das noch dauert, bis die Farbe raus ist?â, fragte er sie, während er sein Shampoo aus der Duschbadewanne nahm und den Wasserhahn des Waschbeckens aufdrehte.
Anne setzte sich auf den Badewannenrand. Sie war immer noch nicht davon überzeugt, dass das hier so eine gute Idee war.
âHalbe Stunde oder 'ne Stunde vielleicht? Hast Du die Packung noch?.... Willst Du das jetzt wirklich machen?â
âNee, die ist im Müll. Dann müssen wir eben einfach ausprobieren.â
Er ignorierte ihre Zweifel, zog sein T-Shirt aus, beugte sich entschlossen über das Waschbecken und hielt zunächst kurz die Luft an, als das Wasser rasch Durch seine Haare sickerte und seinen Kopf umströmte. Dann atmete er hörbar aus und blockierte alle Erinnerungen, die sogleich in ihm aufgewirbelt wurden.
Anne saà schweigend auf dem Badewannenrand und beobachtete, wie sich Simons Muskeln anspannten, sobald Wasser auf seinen Kopf traf. Eine Weile lang sagte sie gar nichts, hoffte, dass seine Verkrampfung bald nachlassen würde, aber für ihn schien es fast Gewohnheit zu sein. Diese Situation überforderte sie. Was trieb ihn dazu, auf ein Mal seine Ãngste konfrontieren zu wollen? Hatte sie es mit ihrer Dummen Idee ausgelöst? Wollte er sie nur auf andere Gedanken bringen?
Simon zog den Kopf unter dem Wasserstrahl weg und blieb über das Waschbecken gebeugt stehen, um nicht den Boden voll zu tropfen.
âAnnie, schaust Du mal nach der Farbe?â, bat er und sie stand eilig auf, um ihm wenigstens hilfreich zur Seite zu stehen â wenn sie ihn schon in diese Situation gebracht hatte.
âHmm, zeig mal.â, murmelte sie unentschlossen, beugte sich ebenfalls über das Waschbecken, legte eine Hand locker auf seine Schulter und griff, bedacht ihre Aufgabe zumindest gründlich zu machen, in seine Haare, um den Ansatz sehen zu können.
Dann ging alles ganz schnell. Anne fühlte noch, wie sich unter ihrer Hand seine Muskulatur erneut anspannte. Einen Sekundenbruchteil später wurde sie heftig zurückgestoÃen und flog nach hinten, wo sie mit dem Rücken gegen die Badewannenwand prallte. Einen Moment stockte ihr der Atem, sie schnappte nach Luft und sah dann Simon, der, mit verzerrtem Gesichtsausdruck, Wassertropfen sprühend, herumwirbelte und einen Satz in ihre Richtung machte. Schützend riss Anne die Arme vors Gesicht und spürte sofort den stechenden Schmerz.