22.01.2014, 22:28
ohne besonders viel gelaber...
Fünfundvierzig
Und so saà er da, mit funkelnden grünen Augen in der dunklen Wohnung, und dachte nicht einmal daran auszuweichen, als Annes Jacke genau in seine Richtung geschleudert wurde. Er blieb sitzen, sollte doch die Jacke ausweichen, sollte sie doch...
Ein empörtes Miauen ertönte, kurz bevor auch Simons Jacke auf dem Kater landete.
Was redeten die Menschen nur für einen Mist, das schwarze Katzen Unglück brächten? Die einzigen, die wirklich Unglück brachten â das waren sie doch selbst!
Er lehnte die Stirn an das kalte Holz der Tür. Seit fast einer Stunde saà er nun hier und führte Variationen des gleichen Gesprächs mit ihr, was ihn allerdings kein Stück weiter brachte.
âLass mich.â, kam auch prompt die Antwort. Er konnte hören, dass sie direkt an der Tür saÃ, auf der anderen Seite. Was für eine Symbolik. Wenn er darüber nachdachte, wie lange er seine eigene Geschichte vor ihr geheim gehalten hatte, war es nur gerecht. Und doch: Er wusste längst alles. Als sie den Brief zu Ende gelesen hatte, war sie aufgestanden und hatte Mayer zurück ins Haus gebracht.
Hatte Simon den Zettel gegen die Brust gedrückt, als hätte er ihn geschrieben und war dann verschwunden, ohne ihn nochmal anzusehen.
Also hatte er alles gelesen. Sie waren schweigend zurückgefahren, und jetzt saÃen sie hier.
âAnnie. Wir müssen nicht drüber reden, okay? Lass mich einfach rein.â, versuchte er es noch einmal.
âWarum?â
Ob er dieses Mal die richtige Antwort erwischen würde?
âIch möchte nur bei dir sein, okay? Ich will dich in den Arm nehmen.â
âWarum?â
Das letzte Mal hatte sie an dieser Stelle schon âNein.â gesagt. Er überlegte genau, was er als nächstes antworten wollte.
âWeil du meine beste Freundin bist.â
Sie lachte. Es klang merkwürdig dumpf, aber es war ein Lachen. Ein Erfolg, oder?
âLegâ dich auf den Boden.â, sagte sie plötzlich.
âWas?â
Er war zu irritiert, um eine schlauere Antwort zu geben.
âDu sollst dich auf den Boden legen.â
âWieso denn das?â
âSimon!â
âOkay...â resignierte er schlieÃlich und rutschte an der Tür herunter, bis er auf dem Rücken lag. Er hörte, wie sie im Zimmer dasselbe tat.
âWas siehst du?â, fragte sie nach einer Weile.
âÃhm. Die Decke.â
âBeschreib sie mir.â
Simon holte tief Luft. Er kniff die Augen zusammen, um durch das Dämmerlicht im Flur überhaupt die Zimmerdecke erkennen zu können.
âSie ist etwa drei Meter über mir.â Er lächelte. âDrei Meter und 14 Zentimeter. Ich hab dir die Wohnung schlieÃlich verkauft...â, erinnerte er sich.
âSie ist tapeziert, feinkörnige Raufasertapete. Und weià gestrichen. Ãber der Tür wirft die Tapete blasen. Ich kann mal den Malermeister fragen, mit dem wir zusammenarbeiten, wenn...â
âSie hat keine Narben.â, unterbrach sie ihn unvermittelt.
âWas?â
âDie Decke, die wir früher immer angeschaut haben, hatte Risse. Wie ich, hast du mal gesagt. WeiÃt du das noch?â
âNatürlich.â
âMeine Mutter hat meinen Vater getötet, weil sie sich eingebildet hat, dass Aliens hinter ihr her sind. Meine Mutter hätte mich getötet. Wegen Aliens. Aliens!â
âDas ist viel zu verarbeiten...â
âDu bist nicht mein Therapeut.â
âIch weiÃ...â
Stille.
âWillst du sie kennen lernen? Oder... wiedersehen?â, fragte er schlieÃlich.
âWeià nicht.â
âSie... sie ist psychisch krank, nicht? Wenn sie ihre Tabletten wieder nehmen würde, wäre sie vielleicht normal?â
âIch glaubâ nicht, dass sie je normal sein könnte. Ich frag mich, wieso mein Vater sie nicht verlassen hat. Sie war gefährlich...Wenn er sie verlassen hätte, dann hätte ich ihn heute noch.â, murmelte sie niedergeschlagen.
âEr hat sie einfach sehr geliebt.â
Sie zuckte mit den Schultern, obwohl er sie nicht sehen konnte. âIch will nicht über sie reden. Ich sehe wegen ihr aus wie Frankensteins Monster.â
âDu bist wunderschön.â, sagte er leise.
âDu bist ein Idiot.â, brummte sie genervt.
âWarum?â
âWarum?!â
âDu bist meine beste Freundin, Annie. Du bist alles, was ich habe und ich kenne dich in- und auswendig. Ich werdâ niemals aufhören, dir zu widersprechen, wenn du dich als Monster bezeichnest. Und wenn du das nicht verstehst, dann bist du ein Idiot.â
âUnd wenn ich eins bin?â
Er setzte sich auf.
âEs heiÃt der Idiot, nicht das Idiot. Du bist doch die Schlaue von uns beiden.â
Er konnte beinahe hören, wie sie mit den Augen rollte.
âEin Monster, Simon. Was, wenn ich ein Monster bin? Wie sie?â
âDu bist kein Monster.â, versicherte er. Sanft, aber bestimmt.
âWoher willst du das wissen?â
âIch weià das. Du kannst keiner Fliege was zuleide tun. Du fängst Spinnen und setzt sie drauÃen aus.â, entgegnete er grinsend.
âDas hat mein Vater auch gedacht.â
Einen Moment schwiegen sie beide.
âJeder von uns kann ein Monster sein.â, griff er das Thema dann wieder auf.
âDu hast mich gesehen, mit Leon. Ich war heute schon das zweite Mal kurz davor ihn umzubringen. Und es hat sich gut angefühlt. Ich weià noch wie es damals war, beim ersten Mal, als sein Blut durch meine Finger gelaufen ist...â
Seine Stimme klang heiser.
Anne bekam eine Gänsehaut und schüttelte sich.
âEr war das Monster, nicht du.â, sagte sie dann bestimmt, als sie das ungute Gefühl wieder abgeschüttelt hatte.
âAber ich könnte eins sein. Du könntest auch eins sein. Weil Gut und Böse, Normalität und Wahnsinn so nah zusammen liegen. Aber... du bist noch nie zum Monster geworden. Wieso sollte sich jetzt was ändern?â
Sie wusste nichts darauf zu sagen.
âAnnie? Lass mich rein. Bitte. Ich will dich in den Arm nehmen. Weil du meine beste Freundin bist. Und kein Monster.â, versuchte er es erneut.
Vielleicht würde sie ihn ja herein lassen, wenn er keine Widerrede zulieÃ? Vielleicht brauchte sie jemanden, der nicht so elendig sanft war wie er selbst.
âGeh nach Hause, Simon.â
âDas willst du nicht.â, erklärte er trocken. Er würde hart bleiben.
âIch hab es aber gesagt.â
âIch werde nicht gehen, nur weil die Decke hier keine Risse hat.â
âDann geh halt, weil du denkst, eine Umarmung von dir würde irgendwas besser machen.â
âIch gehâ nirgendwo hin.â
âGeh, weil du dich für mich vor eine Bombe stellen wolltest. So was Blödes, ehrlich.â, murmelte sie den letzten Satz etwas leiser.
âDas schon wieder? Fällt dir nichts Besseres ein?â
âScheiÃe, Simon, geh nach Hause!â
âVerstehst du das denn nicht? Wir können immer noch wir sein. Wir brauchen kein Kinderheim, wir brauchen keine rissige Decke zum Anstarren. Und ich lassâ dich mich hier nicht rausschmeiÃen, weil du lieber wieder in deine Traumwelt zu Mark flüchten willst.â
Er stand auf und schlug gegen die Tür, so laut, dass im Wohnzimmer der Kater mit den beiden Jacken von der Couch sprang und wegen der ungewohnten Last entsprechend unsanft landete.
âWenn du die Tür nicht aufmachst, machâ ich sie auf, hörst du?â, brüllte er die Tür an, als diese plötzlich geöffnet wurde und Anne vor ihm stand.
âIch will, dass du gehst.â, sagte sie ernst und sah ihm in die Augen.
âIch will, dass du gehst, weil du den Kuss erwidert hast.â
Er blinzelte ungläubig und sah sie an.
âUnd weil du schuld bist, dass ich die Wahrheit weiÃ.â
Ebenso gut hätte sie ihr Narbenmesser in sein Herz rammen und umdrehen können. Er machte einen Schritt rückwärts und drehte sich um, bemüht die Kontrolle zu behalten. Wie betäubt ging er langsam durch den Flur...
âScheiÃe, Simon, nein! Nein! Oh Gott. Ich bin ein Monster. Ich wollte das nicht sagen, warte!â
Sie hielt ihn am Arm fest und augenblicklich versteinerte er.
âEs tut mir leid, Simon.â
âDu bist kein Monster. Wir haben es beide gedacht und du hast es gesagt. Du bist kein Monster, du bist ehrlich.â, flüsterte er mit rauer Stimme.
Er bemühte sich, sie nicht anzusehen, und drückte mit dem Kinn gegen ihre Hand, als sie sein Gesicht drehen wollte.
âIch hab es nicht gedacht, Simon. Ich wusste nur, dass du es denkst, und dass es richtig weh tut, wenn ich es sage.â
Er schwieg.
âUnd ich wollte dir weh tun, weil ich dich nicht reinlassen wollte. Ich wollte nicht, dass du siehst, wie viel Angst ich hab. Aber ich bin dir dankbar, dass ich die Wahrheit weiÃ, hörst du? Ich wollte immer nur die Wahrheit wissen und du hast mir gegeben, was ich mir am meisten gewünscht hab. Du hast dich für mich deiner gröÃten Angst gestellt. Und ich bin so stolz auf dich...â
âEs geht nicht um die Zimmerdecke.â
Sie nahm die Hand von seinem Gesicht.
âWas?â
âDie Decke und ihre blöden Risse waren immer nur Symbole. Ich hab mich Leon gestellt und du hast die Wahrheit rausgefunden. Wir haben unsere Risse gestopft. Und du hast Angst, dass sie das einzige waren, was uns verbindet: Zusammen die Risse anstarren und schweigen. Und deshalb verletzt du mich. Weil du denkst, dass ich dir sonst wehtue.â
Sie wollte ihm widersprechen, aber dummerweise hatte er Recht. Fast.
âWarum hast du mich geküsst, Anne?â
Die Frage erwischte sie kalt. Wie sie es hasste, wenn er den Finger genau in die Wunde legte. Allerdings hatte sie damit angefangen, in dem Moment, als sie wollte, dass er verschwindet. âweil du den Kuss erwidert hastâ, hallte es nun in ihrem Kopf wie ein Echo - wieso hatte sie das nur gesagt?
âIch war verwirrt, Simon. Ich war einfach verdammt verwirrt und... ich bin einfach durchgedreht. Ich wollte nicht über den Brief von diesem Knastgroupie nachdenken und da ist âne Sicherung durchgeknallt.â
âDas ist alles?â
Sie zwang sich zu lachen, doch es klang irgendwie falsch.
âKeine Panik, ich bin nicht plötzlich verliebt in dich oder so. Himmel, das wär doch total bescheuert. Das würde mir aber erst Recht Angst, in Bezug auf unsere Freundschaft, machen. Stell dir das mal vor, wenn ich verliebt in dich wärâ und du nur Freundschaft wolltest... das würde uns kaputt machen. Und viel schlimmer wärâs noch, wenn von dir irgendwas zurückkäme, und wir ein Paar würden, und dann würden wir uns irgendwann trennen, weil ich immer die Wasserflaschen nur halb zudrehâ und du deine Socken überall liegen lässt...â
Sie kicherte und boxte spielerisch gegen seine Brust, als er sie skeptisch ansah.
âMal was anderes, bist du eifersüchtig auf Mark, weil wir wieder mehr zusammen gefunden haben? Wieso hast du das grad gesagt, mit dem zu Mark flüchten?â
âWeil du Mark geküsst hast, als er hier war, und dann wolltest du ihn nicht mehr....
Und dann hast du mich geküsst. Und ja, ich hab den Kuss erwidert. Und weiÃt du was? Seit dem kann ich an nichts anderes mehr denken.â
Das Telefon zerriss die abrupte Stille, die daraufhin folgte.
Anne starrte Simon an.
Mrs. Mistoffelees hatte sich endlich aus den Jacken befreit und humpelte unter den Schrank.
âHier ist der Anrufbeantworter von Anne Becker. Ich bin gerade nicht zuhause oder kann nicht ans Telefon gehen, bitte hinterlassen sie eine Nachricht nach dem Pieps...â
âHallo, hier ist Schwester Sandra aus dem Altenheim FärberstraÃe. Ich... es tut mir sehr leid, Sie informieren zu müssen, dass... Wir sind alle sehr traurig, Mayer ist vor zwei Stunden gestorben. Sie sind als Notfallkontakt notiert und soweit wir wissen von Mayer mit der Organisation seiner Beerdigung betraut und... Es tut mir wirklich leid! Bitte, rufen Sie so bald wie möglich zurück.â
Fünfundvierzig
2011
Mrs. Mistoffelees schlief auf dem Sofa, als Simon die Wohnungstür aufschloss und Anne in die Wohnung schob. Gemächlich streckte er sich und öffnete erst ein Auge, dann das andere. Vielleicht, dachte sich der Kater, vielleicht war er wirklich etwas zu ängstlich. Wer hatte schon Angst vor so vielen Dingen wie er? AuÃerdem war er einfach zu tollpatschig, um gleichzeitig noch schreckhaft zu sein â wie oft war er bei einer Flucht unter den Schrank oder das Sofa mit seiner Schnauze gegen die Wand geprallt, wie oft in seiner Hast überstürzt vom Tisch oder der Arbeitsplatte in der Küche gesprungen und entgegen aller Katzenehre schmerzhaft aufgekommen? Nein, dieses Mal würde er sitzen bleiben, seelenruhig. Was sollte schon passieren?Und so saà er da, mit funkelnden grünen Augen in der dunklen Wohnung, und dachte nicht einmal daran auszuweichen, als Annes Jacke genau in seine Richtung geschleudert wurde. Er blieb sitzen, sollte doch die Jacke ausweichen, sollte sie doch...
Ein empörtes Miauen ertönte, kurz bevor auch Simons Jacke auf dem Kater landete.
Was redeten die Menschen nur für einen Mist, das schwarze Katzen Unglück brächten? Die einzigen, die wirklich Unglück brachten â das waren sie doch selbst!
*
âAnnie?âEr lehnte die Stirn an das kalte Holz der Tür. Seit fast einer Stunde saà er nun hier und führte Variationen des gleichen Gesprächs mit ihr, was ihn allerdings kein Stück weiter brachte.
âLass mich.â, kam auch prompt die Antwort. Er konnte hören, dass sie direkt an der Tür saÃ, auf der anderen Seite. Was für eine Symbolik. Wenn er darüber nachdachte, wie lange er seine eigene Geschichte vor ihr geheim gehalten hatte, war es nur gerecht. Und doch: Er wusste längst alles. Als sie den Brief zu Ende gelesen hatte, war sie aufgestanden und hatte Mayer zurück ins Haus gebracht.
Hatte Simon den Zettel gegen die Brust gedrückt, als hätte er ihn geschrieben und war dann verschwunden, ohne ihn nochmal anzusehen.
Also hatte er alles gelesen. Sie waren schweigend zurückgefahren, und jetzt saÃen sie hier.
âAnnie. Wir müssen nicht drüber reden, okay? Lass mich einfach rein.â, versuchte er es noch einmal.
âWarum?â
Ob er dieses Mal die richtige Antwort erwischen würde?
âIch möchte nur bei dir sein, okay? Ich will dich in den Arm nehmen.â
âWarum?â
Das letzte Mal hatte sie an dieser Stelle schon âNein.â gesagt. Er überlegte genau, was er als nächstes antworten wollte.
âWeil du meine beste Freundin bist.â
Sie lachte. Es klang merkwürdig dumpf, aber es war ein Lachen. Ein Erfolg, oder?
âLegâ dich auf den Boden.â, sagte sie plötzlich.
âWas?â
Er war zu irritiert, um eine schlauere Antwort zu geben.
âDu sollst dich auf den Boden legen.â
âWieso denn das?â
âSimon!â
âOkay...â resignierte er schlieÃlich und rutschte an der Tür herunter, bis er auf dem Rücken lag. Er hörte, wie sie im Zimmer dasselbe tat.
âWas siehst du?â, fragte sie nach einer Weile.
âÃhm. Die Decke.â
âBeschreib sie mir.â
Simon holte tief Luft. Er kniff die Augen zusammen, um durch das Dämmerlicht im Flur überhaupt die Zimmerdecke erkennen zu können.
âSie ist etwa drei Meter über mir.â Er lächelte. âDrei Meter und 14 Zentimeter. Ich hab dir die Wohnung schlieÃlich verkauft...â, erinnerte er sich.
âSie ist tapeziert, feinkörnige Raufasertapete. Und weià gestrichen. Ãber der Tür wirft die Tapete blasen. Ich kann mal den Malermeister fragen, mit dem wir zusammenarbeiten, wenn...â
âSie hat keine Narben.â, unterbrach sie ihn unvermittelt.
âWas?â
âDie Decke, die wir früher immer angeschaut haben, hatte Risse. Wie ich, hast du mal gesagt. WeiÃt du das noch?â
âNatürlich.â
âMeine Mutter hat meinen Vater getötet, weil sie sich eingebildet hat, dass Aliens hinter ihr her sind. Meine Mutter hätte mich getötet. Wegen Aliens. Aliens!â
âDas ist viel zu verarbeiten...â
âDu bist nicht mein Therapeut.â
âIch weiÃ...â
Stille.
âWillst du sie kennen lernen? Oder... wiedersehen?â, fragte er schlieÃlich.
âWeià nicht.â
âSie... sie ist psychisch krank, nicht? Wenn sie ihre Tabletten wieder nehmen würde, wäre sie vielleicht normal?â
âIch glaubâ nicht, dass sie je normal sein könnte. Ich frag mich, wieso mein Vater sie nicht verlassen hat. Sie war gefährlich...Wenn er sie verlassen hätte, dann hätte ich ihn heute noch.â, murmelte sie niedergeschlagen.
âEr hat sie einfach sehr geliebt.â
Sie zuckte mit den Schultern, obwohl er sie nicht sehen konnte. âIch will nicht über sie reden. Ich sehe wegen ihr aus wie Frankensteins Monster.â
âDu bist wunderschön.â, sagte er leise.
âDu bist ein Idiot.â, brummte sie genervt.
âWarum?â
âWarum?!â
âDu bist meine beste Freundin, Annie. Du bist alles, was ich habe und ich kenne dich in- und auswendig. Ich werdâ niemals aufhören, dir zu widersprechen, wenn du dich als Monster bezeichnest. Und wenn du das nicht verstehst, dann bist du ein Idiot.â
âUnd wenn ich eins bin?â
Er setzte sich auf.
âEs heiÃt der Idiot, nicht das Idiot. Du bist doch die Schlaue von uns beiden.â
Er konnte beinahe hören, wie sie mit den Augen rollte.
âEin Monster, Simon. Was, wenn ich ein Monster bin? Wie sie?â
âDu bist kein Monster.â, versicherte er. Sanft, aber bestimmt.
âWoher willst du das wissen?â
âIch weià das. Du kannst keiner Fliege was zuleide tun. Du fängst Spinnen und setzt sie drauÃen aus.â, entgegnete er grinsend.
âDas hat mein Vater auch gedacht.â
Einen Moment schwiegen sie beide.
âJeder von uns kann ein Monster sein.â, griff er das Thema dann wieder auf.
âDu hast mich gesehen, mit Leon. Ich war heute schon das zweite Mal kurz davor ihn umzubringen. Und es hat sich gut angefühlt. Ich weià noch wie es damals war, beim ersten Mal, als sein Blut durch meine Finger gelaufen ist...â
Seine Stimme klang heiser.
Anne bekam eine Gänsehaut und schüttelte sich.
âEr war das Monster, nicht du.â, sagte sie dann bestimmt, als sie das ungute Gefühl wieder abgeschüttelt hatte.
âAber ich könnte eins sein. Du könntest auch eins sein. Weil Gut und Böse, Normalität und Wahnsinn so nah zusammen liegen. Aber... du bist noch nie zum Monster geworden. Wieso sollte sich jetzt was ändern?â
Sie wusste nichts darauf zu sagen.
âAnnie? Lass mich rein. Bitte. Ich will dich in den Arm nehmen. Weil du meine beste Freundin bist. Und kein Monster.â, versuchte er es erneut.
Vielleicht würde sie ihn ja herein lassen, wenn er keine Widerrede zulieÃ? Vielleicht brauchte sie jemanden, der nicht so elendig sanft war wie er selbst.
âGeh nach Hause, Simon.â
âDas willst du nicht.â, erklärte er trocken. Er würde hart bleiben.
âIch hab es aber gesagt.â
âIch werde nicht gehen, nur weil die Decke hier keine Risse hat.â
âDann geh halt, weil du denkst, eine Umarmung von dir würde irgendwas besser machen.â
âIch gehâ nirgendwo hin.â
âGeh, weil du dich für mich vor eine Bombe stellen wolltest. So was Blödes, ehrlich.â, murmelte sie den letzten Satz etwas leiser.
âDas schon wieder? Fällt dir nichts Besseres ein?â
âScheiÃe, Simon, geh nach Hause!â
âVerstehst du das denn nicht? Wir können immer noch wir sein. Wir brauchen kein Kinderheim, wir brauchen keine rissige Decke zum Anstarren. Und ich lassâ dich mich hier nicht rausschmeiÃen, weil du lieber wieder in deine Traumwelt zu Mark flüchten willst.â
Er stand auf und schlug gegen die Tür, so laut, dass im Wohnzimmer der Kater mit den beiden Jacken von der Couch sprang und wegen der ungewohnten Last entsprechend unsanft landete.
âWenn du die Tür nicht aufmachst, machâ ich sie auf, hörst du?â, brüllte er die Tür an, als diese plötzlich geöffnet wurde und Anne vor ihm stand.
âIch will, dass du gehst.â, sagte sie ernst und sah ihm in die Augen.
âIch will, dass du gehst, weil du den Kuss erwidert hast.â
Er blinzelte ungläubig und sah sie an.
âUnd weil du schuld bist, dass ich die Wahrheit weiÃ.â
Ebenso gut hätte sie ihr Narbenmesser in sein Herz rammen und umdrehen können. Er machte einen Schritt rückwärts und drehte sich um, bemüht die Kontrolle zu behalten. Wie betäubt ging er langsam durch den Flur...
âScheiÃe, Simon, nein! Nein! Oh Gott. Ich bin ein Monster. Ich wollte das nicht sagen, warte!â
Sie hielt ihn am Arm fest und augenblicklich versteinerte er.
âEs tut mir leid, Simon.â
âDu bist kein Monster. Wir haben es beide gedacht und du hast es gesagt. Du bist kein Monster, du bist ehrlich.â, flüsterte er mit rauer Stimme.
Er bemühte sich, sie nicht anzusehen, und drückte mit dem Kinn gegen ihre Hand, als sie sein Gesicht drehen wollte.
âIch hab es nicht gedacht, Simon. Ich wusste nur, dass du es denkst, und dass es richtig weh tut, wenn ich es sage.â
Er schwieg.
âUnd ich wollte dir weh tun, weil ich dich nicht reinlassen wollte. Ich wollte nicht, dass du siehst, wie viel Angst ich hab. Aber ich bin dir dankbar, dass ich die Wahrheit weiÃ, hörst du? Ich wollte immer nur die Wahrheit wissen und du hast mir gegeben, was ich mir am meisten gewünscht hab. Du hast dich für mich deiner gröÃten Angst gestellt. Und ich bin so stolz auf dich...â
âEs geht nicht um die Zimmerdecke.â
Sie nahm die Hand von seinem Gesicht.
âWas?â
âDie Decke und ihre blöden Risse waren immer nur Symbole. Ich hab mich Leon gestellt und du hast die Wahrheit rausgefunden. Wir haben unsere Risse gestopft. Und du hast Angst, dass sie das einzige waren, was uns verbindet: Zusammen die Risse anstarren und schweigen. Und deshalb verletzt du mich. Weil du denkst, dass ich dir sonst wehtue.â
Sie wollte ihm widersprechen, aber dummerweise hatte er Recht. Fast.
âWarum hast du mich geküsst, Anne?â
Die Frage erwischte sie kalt. Wie sie es hasste, wenn er den Finger genau in die Wunde legte. Allerdings hatte sie damit angefangen, in dem Moment, als sie wollte, dass er verschwindet. âweil du den Kuss erwidert hastâ, hallte es nun in ihrem Kopf wie ein Echo - wieso hatte sie das nur gesagt?
âIch war verwirrt, Simon. Ich war einfach verdammt verwirrt und... ich bin einfach durchgedreht. Ich wollte nicht über den Brief von diesem Knastgroupie nachdenken und da ist âne Sicherung durchgeknallt.â
âDas ist alles?â
Sie zwang sich zu lachen, doch es klang irgendwie falsch.
âKeine Panik, ich bin nicht plötzlich verliebt in dich oder so. Himmel, das wär doch total bescheuert. Das würde mir aber erst Recht Angst, in Bezug auf unsere Freundschaft, machen. Stell dir das mal vor, wenn ich verliebt in dich wärâ und du nur Freundschaft wolltest... das würde uns kaputt machen. Und viel schlimmer wärâs noch, wenn von dir irgendwas zurückkäme, und wir ein Paar würden, und dann würden wir uns irgendwann trennen, weil ich immer die Wasserflaschen nur halb zudrehâ und du deine Socken überall liegen lässt...â
Sie kicherte und boxte spielerisch gegen seine Brust, als er sie skeptisch ansah.
âMal was anderes, bist du eifersüchtig auf Mark, weil wir wieder mehr zusammen gefunden haben? Wieso hast du das grad gesagt, mit dem zu Mark flüchten?â
âWeil du Mark geküsst hast, als er hier war, und dann wolltest du ihn nicht mehr....
Und dann hast du mich geküsst. Und ja, ich hab den Kuss erwidert. Und weiÃt du was? Seit dem kann ich an nichts anderes mehr denken.â
Das Telefon zerriss die abrupte Stille, die daraufhin folgte.
Anne starrte Simon an.
Mrs. Mistoffelees hatte sich endlich aus den Jacken befreit und humpelte unter den Schrank.
âHier ist der Anrufbeantworter von Anne Becker. Ich bin gerade nicht zuhause oder kann nicht ans Telefon gehen, bitte hinterlassen sie eine Nachricht nach dem Pieps...â
âHallo, hier ist Schwester Sandra aus dem Altenheim FärberstraÃe. Ich... es tut mir sehr leid, Sie informieren zu müssen, dass... Wir sind alle sehr traurig, Mayer ist vor zwei Stunden gestorben. Sie sind als Notfallkontakt notiert und soweit wir wissen von Mayer mit der Organisation seiner Beerdigung betraut und... Es tut mir wirklich leid! Bitte, rufen Sie so bald wie möglich zurück.â