Streiche, Liebe und Strategen
#25

Von Müttern, Drohungen und anderen Herzensbrechern

Harley hatte sich gerade verabschiedet, als der Postbote klingelte. Ich ging an die Tür und nahm das Paket mit einem Lächeln entgegen.
„Lorelai?“
„Was denn?“ rief sie aus dem Wohnzimmer.
„Rate, was gerade gekommen ist.“
„Nein!“
„Ja-ha.“ Jubilierte ich und rannte kichernd mit dem Paket die Stufen zum Arbeitszimmer unserer Mutter hinauf. Dort angekommen, hämmerte ich an die Tür.
„Mum, das Paket ist da.“
Sofort wurde die Tür aufgerissen und ich hörte, wie meine Schwester die Stufen hinauf rannte.
„Ich stell den DVD-Player an!“
Wie alle anderen, hatten auch wir drei ein kleines Laster. Mein Zwilling und ich hätten uns was Filme anging, kaum unähnlicher sein können. Während sie vor diesem und jenem Teene- oder -Liebesfilm dahin schmolz, legte ich mich lieber im Dunkeln vor den Fernseher und sah mir Horrorfilme an. Catherine war wieder ganz anders, denn sie sah am liebsten Krimis.
Nur eine Gemeinsamkeit hatten wir drei – Grey´s Anatomy.
Die Ausbildung, das Chaos, schlicht, das Leben der jungen Meredith Grey. Verliebt in ihren Chefarzt und – auf persönlicher Ebene – verhasst von dessen Ehefrau. Dazu jede Menge abgefahrener OPs und den einen oder anderen Lehrling zum anbeißen.
Die perfekte Mischung für eine Familie wie uns.
Catherine hatte es satt gehabt, ständig gesehene oder nicht gesehene Aufnahmen zu löschen und hatte die erste und zweite Staffel schließlich bestellt. Und raten Sie mal, was gerade angekommen war.

Wir hatten knappe zwei Stunden zusammen vor dem Fernseher gesessen, als es an der Haustür klingelte.
„Ich bin nicht da.“ Sagte Catherine.
„Ich bin letztes Mal gelaufen.“ Sagte ich nur und wir beide warfen Lorelai einen bittenden Blick zu.
„Ich hasse euch.“ Erwiderte sie dumpf, stoppte jedoch die DVD und stand auf.
Die Wohnzimmertür war hinter ihr ins Schloss gefallen und trotzdem hörte ich die kurze Stille, die verriet, dass etwas gar nicht gut war.
Mein Zwilling hatte die Tür geöffnet und war dank des Anblicks der Winchesterbrüder erstarrt.
„Wir…“ begann Dean, doch Lorelai schnitt ihm buchstäblich das Wort ab.
Eine schnelle Bewegung meiner Schwester, ein überraschter Laut von Dean und ein fragendes Heben der Augenbrauen von Sam.
„Womit hab ich das verdient?“ fragte Dean, der sich überrascht die Wange hielt.
Mein Zwilling machte Tontaubenschießen aber wenn es darauf ankam, konnte sie ganz schön zuschlagen. Ich musste es wissen.
Sie ging nicht auf Dean ein, sondern funkelte Sam zornig an, der eben etwas sagen wollte.
„Du.“ knurrte sie und stieß ihm den Finger vor die Brust. „Bist ein ignoranter Vollidiot und ich will dich nie wieder sehen.“
„Das fällt ein wenig schwer.“ Bemerkte Dean amüsiert.
„Halt die Klappe.“ Fuhr sie ihn an und wandte sich ihm zu. „Du bist das Arschloch, das meiner Schwester das Herz gebrochen hat.“
„Ich dachte, sie hat gar keins.“ Spottete Dean.
Sie wären von der Schnelligkeit meines Zwillings überrascht gewesen, denn Dean war nach vorne gebeugt und hielt sich den schmerzenden Magen.
„Und stell dir vor.“ Knurrte sie. „Das ist nicht alles, was diese zarten Hände drauf haben.“
Ohne ein weiteres Wort, schlug sie ihnen die Tür vor der Nase zu.
„War was?“ fragte ich, als Lorelai sich neben mich auf das Sofa fallen ließ.
„Nein.“ Sagte sie trotzig und nippte an ihrer Cola.
Catherine holte tief Luft und sah ihre jüngste Tochter an. „Lorelai?“
„Ja, Mum?“
Halb erwartete ich, dass sie meinem Zwilling eine Standpauke halten würde, doch dann zuckten ihre Mundwinkel. „Gut gemacht.“

Am Abend saß ich in meinem Zimmer auf der Fensterbank. Gewöhnlich liebte ich Rockmusik, nicht so welche, die einfach nur laut war, aber sie konnte eine wohltuende Sache für die Seele sein.
Heute hatte ich mir eine der CDs meiner Schwester ausgeliehen.
Silbermond.
Ich war nie der gefühlvolle Typ gewesen, eher ernst, nie darauf bedacht, jemanden an mich heran zu lassen. Sehen Sie, ich hatte meine Familie, meinen Zwilling, mein zweites Ich. Das musste genügen.
Heute Nacht fühlte ich mich seltsam leer. Es tat weh, als wenn mein Herz angefüllt wäre mit den Tränen, die ich nicht vergießen wollte. Irgendwann lud ich die Songs auf meinen MP3-Player und stieg in den Keller hinab.
In weiser Voraussicht, hatte Jonathan Black schalldichte Türen einbauen lassen, denn Lorelai und ich übten und probten im Keller. Ein Schlagzeug und ein schwarzer Flügel standen dort unten und warteten, wann immer wir hinab stiegen. Neben den Instrumenten, waren in einer Ecke noch ein Sandsack und ein paar Matten vorhanden.
Warum auch immer, ich brauchte Musik.
Schon als ich die Tür geöffnet hatte, drangen die vertrauten Geräusche zu mir hinauf, die von den Schlägen auf den Sandsack begleitet wurden.
„Du-ignoranter-Trottel!“
Die Frage erübrigte sich, wer ebenfalls nicht schlafen konnte. Ich stieg leise die Stufen hinunter, um sie nicht aufzuscheuchen.
„Du-gottverdammtes-Arschloch!“ Diesmal musste sie von Dean gesprochen haben.
Ich lehnte mich in den Türrahmen und sah ihr mit schief gelegtem Kopf zu. Sie hatte mich noch nicht gesehen und erschrak sichtlich, als ich sie ansprach.
„Du schlägst zu hoch. Du vernachlässigst deine Deckung.“
„Danke.“ Knurrte sie und verpasste dem Sandsack noch zwei gezielte Schläge, ehe sie ihm mit einem Seufzer den Rücken zudrehte.
„Du kannst auch nicht schlafen, hm?“
Mir entrang sich ein bitteres Lächeln. „Nein.“ Antwortete ich und schob die CD in den Spieler, der ebenfalls unten stand.
Die ersten Töne drangen durch den Keller und mein Zwilling sah mich überrascht an.
„Silbermond.“
„Ja.“ sagte ich schlicht. „Ich habe mir eine der CDs von dir geliehen, ich hoffe, das war in Ordnung.“
„Sicher.“
Ich strich mir das Haar aus dem Gesicht und lächelte matt. „Ich brauche Musik. Spielst du mit mir?“
Lorelai grinste schwach. „Nein, mit dir spiel ich nicht.“

Knapp zwei Stunden hatten wir im Keller gesessen, die letzten Noten klangen eben aus und wie jedes Mal, saßen wir auf den kühlen Stufen und ich lehnte den Kopf gegen ihre Schulter.
„Hier ist gerade so eine gewisse Nähe entstanden.“ Zitierte Lorelai.
„Halt die Klappe, ich bin deine Person.“ Antwortete ich und schloss kurz die Augen.
Eine kurze Stille entstand.
„Tut es weh?“ wollte sie schließlich wissen und wir beide wussten wohl, das sie nicht nach der Schwellung fragte, die allmählich wieder abklang.
„Ich weiß nicht.“ Sagte ich leise. „Ich glaube nicht.“
Doch da waren sie schon, die ersten verräterischen Tränen und plötzlich hielt meine Schwester mich im Arm und ich weinte, bis ich glaubte, dass es mir besser ging.

Der Morgen darauf, war beinahe ekelhaft sonnig. Blauer Himmel, keine Wolke, nicht mal der Ansatz von Regen oder Sturm.
Wenn es nach mir ginge, würde es nun regnen, stürmen, toben. Ganz gleich was, nur irgendwas, um dem peinlichen Schweigen zu entkommen.
Menschen haben dumme Angewohnheiten. Eine davon ist das Schweigen, die mitleidigen Blicke, die sie einem zuwerfen, wenn sie an einem vorbei gehen.
Lorelai war da anders. Sie kannte mich, so wie niemand sonst auf der Welt und machte keinesfalls auch nur den Versuch, mich mit Samthandschuhen anzufassen.
Im Gegenteil.
„Bella, steh auf oder ich zerr dich im Schlafanzug zur Schule.“
„Kannst du gar nicht.“ Murrte ich, schälte mich jedoch aus dem herrlichen warmen Bett. „Ich hab die Autoschlüssel.“
Die ersten zwei Stunden verliefen eigentlich recht gut. Wir arbeiteten an den Songs, die wir gezogen hatten. Natürlich abwechselnd, denn viele von uns spielten Klavier oder konnten Schlagzeug spielen.
Harley hatte sich zu Lorelai und mir gesellt und ging nun stirnrunzelnd die Noten für Boulevard of broken Dreams durch. The Answer – der Song meiner Schwester – war dagegen nur mit Klavierbegleitung. Nicht gerade besser, wenn Sie mich fragen, denn die Tonlagen waren höher verteilt, als in dem Lied, das ich zu singen hatte.
„Wie soll ich das singen?“ murrte mein Zwilling.
„Kopf hoch.“ Sagte Harley. „Das schaffst du schon.“
„Und noch ganz anderes.“ Erwiderte ich amüsiert. „Jede Wette, dass Dean ein Veilchen hat.“
Harley hob die Augenbrauen und sah meine Schwester an. „Was hab ich verpasst?“
Lorelai grinste spöttisch. „Sagen wir einfach, ich hatte schlagende Argumente.“
Vor unserem Klassenraum – vor der dritten und vierten Stunde – schafften wir es tatsächlich bemerkenswert gut, Dean und Sam zu ignorieren.
Ich hatte den beiden den Rücken zugedreht, mein Zwilling las wohl zum x-ten Mal den Text von The Answer und Harley tat, als wären die beiden nicht da.
Erst als Sam zu uns herüber kam, wurde die Sache brenzlig.
„Lorelai?“
„Nein.“
„Kann ich kurz mit dir sprechen?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil ich mich klar ausgedrückt habe, denke ich.“
„Was ist los?“
Diese Frage hätte er nicht stellen dürfen.
Mein Zwilling hob den Kopf und sah ihn offen an. „Ich stand eine Stunde im Bad, hab mir mit dem Lockenstab fast die Kopfhaut weg gebrannt, hab mich für dich auf Schlittschuhe gestellt, gebe mir alle Mühe und das ist dir nicht einmal einen Gutenachtkuss wert, das ist los.“ Fuhr sie ihn an und achtete dabei nicht auf die Blicke der Umstehenden.
Was andere von uns dachten, war uns schon immer egal gewesen.
Verstehen Sie, wir mussten uns vielleicht voreinander rechtfertigen, aber niemals vor anderen.
„Du…“ setzte er an, doch in diesem Moment, räusperte sich jemand hinter ihm und er fuhr herum.
John sah ihn mit gehobenen Augenbrauen an. „Mr. Winchester, gibt es hier ein Problem?“
„Nein, Mr. Winchester.“ Antwortete Sam, während sein Vater den Klassenraum aufschloss.
Ich hasste Mathematik.
Sagen Sie mal, konnte mein Tag eigentlich noch schlimmer werden?
Ich saß zwischen Lorelai und Sam, vor mir türmten sich Differenzialrechnungen auf und hinter mir, hörte ich Olivia und Ashley lästern.
Er konnte.
Es beeindruckte mich, wie ruhig Lorelai dabei blieb. Sehen Sie, sie wurde nicht etwa rot oder zornig, es interessierte sie nicht einmal. Mich dagegen schon, denn verdammt, sie war mein Zwilling.
Ohne dass ich es bemerkte, verkrampfte ich die linke Hand und sah erst auf, als Lorelai die Finger um die meinen schloss. „Du tust es schon wieder.“
„Was denn?“ fragte ich und sie warf mir einen Seitenblick zu.
„Dir ihre Gemeinheiten anhören.“
„Was soll ich machen?“ murmelte ich aus dem Mundwinkel zurück.
„Was würdest du gern machen?“ fragte sie zurück.
„Du meinst, außer ihnen hier und jetzt die Eingeweide heraus zu reißen?“
„Miss und Miss Black, hören Sie mir zu?“
„Entschuldigen Sie, Mir. Winchester.“ Sagten wir im Chor und hoben die Köpfe.
Sagte ich schon, dass ich Mathematik nicht ausstehen kann?
„Bella?“ fragte Sam schließlich leise und ich warf einen kurzen Blick zur Seite.
„Was denn?“
„Erzählst du mir, was gestern zwischen dir und Dean…“
„Ich weiß nicht, von wem du sprichst.“ Unterbrach ich ihn.
Doch Sam ließ nicht locker. „Was hat er gemacht?“
„Ich weiß nicht, von wem du sprichst.“ Wiederholte ich.
„Von…“
„Falls du allerdings diesen verlogenen Impalafahrer meinst, der nicht mal in der Lage ist, sein eigenes Auto selbst zu re…“
„Miss Black, stört Sie mein Unterricht bei Ihren Gesprächen?“ fragte John und ich sah ihn an. Es wäre vielleicht der richtige Zeitpunkt gewesen, den Mund zu halten, doch ich tat es nicht.
„Nein, ganz und gar nicht, Mr. Winchester.“
„Möchten Sie Ihre Diskussion vielleicht mit dem Rest der Klasse führen?“
„Soll ich?“ knurrte ich. „Das lässt sich arrangieren.“
Gewöhnlich war es nicht meine Art, so mit jemandem zu sprechen - schon gar nicht mit einem Lehrer – aber, Herrgott, ich war einfach SAUER.
John dagegen blieb die Ruhe selbst. „Belladonna, geh bitte nach draußen.“
„Sicher.“ Sagte ich, stand auf und verließ den Raum.
Wen wunderte es, das es nicht lange dauerte, bis mein Zwilling mir folgte? Das Kastanienbraun, das auch meine Haare hatten, war bei ihr seltsam…kreidig.
„Was hast du gemacht?“ fragte ich und rückte auf der Fensterbank zur Seite. Sie setzte sich neben mich und begann leise fluchend die Kreide mit dem kleinen Taschenkamm auszukämmen.
„Ich habe Dean mit Kreide beworfen.“
„Aber…wenn du ihn beworfen hast…“
Ich musste gar nicht weiter sprechen.
„Er hat den Tafelschwamm nach mir geworfen.“ Sagte sie dumpf.
„Nicht, das ich mich beschweren möchte, das du statt ihm hier bist aber was ist mit ihm?“
Lorelai grinste schmal. „Dafür darf er sich heute um die gesamten Tafelschwämme der Schule kümmern.“
Mir entrang sich ein Lachen.
Ich war gewöhnlich nicht schadenfroh – aber das hatte er nicht anders verdient.
Der Philosophieunterricht war so interessant wie üblich. *hüstel, hüstel*
„Was macht einem Menschen Angst?“
Allgemeines Seufzen ging durch die Klasse.
„Den Freund zu verlieren?“ fragte Olivia und mein Zwilling und ich wechselten spöttische Blicke.
Ich hatte auch sonst keine Sorgen.
„Welche Angst ist das also?“
„Äh…“
„Das Alleinsein.“ Sagte Dean gelangweilt und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
Ganz der tolle Hecht, na klar.
„Angst geht von der Psyche aus.“ Warf Sam ein und fing sich einen spöttischen Blick von seinem Bruder.
„Ja klar, Sammy.“
„Er hat Recht.“ Sagte ich.
„Oh, das Prinzesschen kann sprechen.“ Spottete Dean und warf mir einen Blick zu.
„Du wärst überrascht, was ich so alles zu sagen habe.“ Knurrte ich.
„Ruhe jetzt.“ Zischte mein Zwilling, die die beneidenswerte Aufgabe hatte, zwischen Dean und mir zu sitzen.
„Also?“ fragte Mrs. Barker noch einmal. „Belladonna, was macht dir Angst?“
„Gar nichts.“
Und das war Lüge Nr. 3.
„Anderes gefragt, was hat dir einmal Angst gemacht?“
Ich runzelte die Stirn. War ich neuerdings ihr neues Lieblingsopfer? Hatte ich vielleicht ein Schild auf der Stirn? – Bitte fragt mich, ich bin ein psychotischer Teenager? –
„Sie meinen das Monster aus dem Schrank?“
„Zum Beispiel.“
„Das ist doch wohl bei jedem anders.“ Sagte Lorelai und ich warf ihr einen dankbaren Blick zu.
Mrs. Barker zuckte mit den Schultern. „Überlegt doch mal.“ Sie setzte sich auf das Pult und ließ die wachsamen Blicke durch ihre ach so aufmerksame Klasse wandern. „Was hat euch als Kindern Angst gemacht?“
Peinliches Schweigen.
Sie seufzte und fuhr sich durch das Haar. „Okay. Von der anderen Seite angegangen. Was macht Kindern Angst?“
„Die Dunkelheit.“ Sagte Josh.
„Frankenstein.“ Erwiderte Alex fröhlich und mir entrang sich ein Grinsen.
„Das Monster unter dem Bett.“ Spöttelte Dean und Lorelais Mundwinkel zuckten.
„Du hattest ein Monster unter dem Bett?“
„Yeah.“ Antwortete Dean amüsiert. „Eins mit blonden Haaren und großen…“
„Wenn ich Sie einmal unterbrechen dürfte.“ Sagte Mrs. Barker geduldig. „Also, die Dunkelheit macht Kindern Angst. Warum?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Weil sie dunkel ist, nehme ich an.“
Ich fing mir spottende Blicke.
Was denn? Hatte ich etwa Unrecht?
Mein Zwilling hob die Augenbrauen, als Dean ihr einen Zettel herüber schob. – Hat deine Schwester Angst vor der Dunkelheit? –
Ein schmales Grinsen huschte über ihr Gesicht. – Nein, die Dunkelheit hat Angst vor ihr - schrieb sie zurück und er verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln.
Ein plötzliches Piepen löste beim Rest der Klasse einen spontanen Hustenanfall aus und ich warf meinem Zwilling einen Seitenblick zu. Es war ihr Handy gewesen und ich kannte dieses Signal zu genau. Catherine hatte ihr eine SMS geschrieben und das kam nicht oft vor. Verstehen Sie, mein Zwilling hatte der Nummer unserer Mutter einen anderen Klingelton gegeben, damit wir es wussten, wenn sie anrief.
Unauffällig zog sie die Zigarettenschachtel hervor, die über dem Handy war und gab sie mir in die Hand. Ich nahm sie an und schob sie bei mir in die Hosentasche. Lorelai tippte auf dem kleinen Gerät herum und runzelte die Stirn.
„Was ist?“ murmelte ich aus dem Mundwinkel.
„Mum.“ Sagte sie nur und ließ mich auf den Bildschirm sehen.
- Ich rufe in 5 Minuten an. –
Wir wechselten einen Blick. Das hatte sie noch nie getan, wenn alles in Ordnung war. So war es mit ihr abgesprochen worden. Sie meldete sich bei uns, nicht umgekehrt, da wir nicht wussten, wann sie in welcher Verhandlung steckte.
Lorelai sah mich an und ihre Mundwinkel zuckten. Ich nickte unmerklich und zählte von zehn herunter.
Mein Zwilling musste schneller gezählt haben, als ich, denn ich war erst bei 2 angekommen, als sie zu würgen begann. Alle Blicke richteten sich auf sie und ich legte ihr besorgt die Hände an die Schultern.
„Lorelai?“
Sie begann zu husten und blieb keuchend auf dem Tisch liegen. Ich stand auf und zog sie hoch.
„Ich…ich bringe sie nach draußen.“
Mrs. Barker war bleich geworden, sie nickte und öffnete mir die Tür. Dean und Sam tauschten spottende Blicke, sagten jedoch kein Wort.
Das wollte ich ihnen auch geraten haben.
Als die Tür hinter uns zuschlug, richtete Lorelai sich wieder auf und ich applaudierte amüsiert, als sie sich verneigte.
„Glanzleistung, Miss Black, Glanzleistung.“
Als jedoch das Handy klingelte, war es mit dem spaßen vorbei und sofort wurden mein Zwilling und ich wieder ernst.
Lorelai hob ab. „Mum?“
Sie schwieg. Dem Tonfall von Catherine nach zu urteilen, war etwas passiert, das ganz und gar nicht gut war. Aber sonst hätte sie uns auch nicht geschrieben.
„Okay. Ja, ja ist gut. Natürlich. Wir sind schon so gut wie unterwegs.“
Ich, die ich nur nervös von einem Fuß auf den anderen getreten war, sah sie nun ernst an. „Ihr ist doch nichts…“
„Nein, Jason ist auch in Ordnung. Wir sollen sofort nach Hause kommen.“
Ich runzelte die Stirn. Das war neu – und bedenklich. „Hat sie gesagt warum?“
Lorelai schüttelte den Kopf. „Sie sagte, sie hätte keine Zeit für Erklärungen.“
Das war noch viel bedenklicher.
„Okay.“ Sagte ich. „Dann mach jetzt noch mal auf Elend, ich hol unsere Sachen.“
Beinahe auf Knopfdruck wurde mein Zwilling kreidebleich und gab Würgegeräusche von sich. Ich klopfte an die Tür und blieb so ernst, wie mein Zwilling zuvor.
„Entschuldigung.“ Murmelte ich und wurde gleich darauf von dem Husten Lorelais unterbrochen. „Entschuldigung.“ Wiederholte ich lauter. „Ihr ist gar nicht gut. Ich bringe sie wohl besser nach Hause.“
Mrs. Barker nickte mitleidig und ich packte hastig unsere Sachen.
„Was ist los?“ zischte Dean mir aus dem Mundwinkel zu, doch ich antwortete nicht, sondern schob Sam im Umdrehen eine Karte auf den Tisch. Es war die Visitenkarte meines Zwillings und mir.
Wer wusste schon was los war und es würde keinen von uns beiden umbringen, wenn die Jungs die Nummern unserer Handys kannten. Okay, darum das Dean meine nun kannte, war es zwar schade – denn ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben – aber vielleicht würde es uns irgendwann noch einmal nützen.
„Miss Black?“
Ich wandte mich um und sah Mrs. Barker an. Sie und ich würden keine Freunde werden aber das Mitgefühl für die „Leiden“ meines Zwillings, schienen echt zu sein.
„Ja, Mrs. Barker?“
„Ich hoffe, Ihrer Schwester geht es bald besser.“
„Das hoffe ich auch.“ Sagte ich nur und verließ den Klassenraum, während Lorelai sich die Seele aus dem Leib würgte.
Die Tür war noch nicht ganz zugeschlagen, als ich ihr ihre Tasche zuwarf und sie mich – diesmal wirklich hustend – angesäuert ansah. „Das habe ich schon mal schneller gesehen.“
Ich grinste. „Du hättest dich nicht so verausgaben müssen.“
Auf dem Weg nach Hause waren wir beinahe gezwungen ruhig miteinander, sprachen über dies und jenes, um uns abzulenken.
Als wir die Einfahrt herauf fuhren, konnte ich noch nichts Bedrohliches ausmachen. Was war bloß passiert? Ich wechselte einen Blick mit Lorelai, ehe ich den Motor abstellte und wir beide den Wagen verließen.
Schon als die Tür hinter uns zuschlug, kam Jason uns entgegen.
„Alles okay?“
Lorelai runzelte die Stirn. „Jason, was ist hier los?“
Er wirkte angespannt und winkte uns mit in die Küche. Catherine saß mit einer Tasse starkem Kaffee am Küchentisch.
„Mum.“ Sagte ich sofort und ließ mich mit Lorelai ihr gegenüber nieder.
Sie musterte uns und atmete erleichtert auf, als sie sah, dass wir in Ordnung waren.
„Was ist passiert?“ fragte mein Zwilling ernst.
Sie räusperte sich, holte tief Luft und zog einen Zettel, der in Klarsichtfolie geschoben worden war aus der Seitentasche ihres Bürokostüms. Wie in jedem billigen Krimi, waren die Buchstaben aus Zeitungen ausgeschnitten.

ICH WERDE IHNEN ALLES NEHMEN, WAS IHNEN LIEB UND TEUER IST

Ich lächelte spöttisch. „Da hat wohl jemand zu viele Krimis gesehen.“
„Bella, das ist nicht witzig.“ Fuhr Catherine mich an.
Lorelai tauschte einen Blick mit Jason, dann sah sie unsere Mutter an. „Ist das ernst zu nehmen?“
Sie fuhr sich durch das blonde Haar und seufzte. „Ich weiß es nicht aber ich wollte sicher sein, dass es euch dreien gut geht.“
Da sehen Sie es. Seit unser Vater gestorben war, tickten die Uhren anders.
„Hat die Polizei sich das schon angesehen?“ fragte Jason und Catherine schüttelte den Kopf. „Sie müssten aber bald hier sein.“
„Von wem kann das Ding kommen?“ fragte ich und sah sie ernst an. „Irgendwer, den du in den Knast gebracht hast? Irgendjemand, den du zu Unrecht angeklagt hast?“
„Entschuldige mal…“
„Irgendwer, den du in seinen Augen zu Unrecht angeklagt hast.“ Schob Lorelai nach.
„Ich weiß es nicht.“ Sagte sie und sah uns nacheinander in die Augen. „Aber solange die Polizei nicht hier war, bleibt ihr im Haus.“
„Willst du irgendwohin?“ fragte Jason aber Catherine schüttelte den Kopf.
„Nein, ich werde bei euch bleiben.“
Vielleicht sollte es mich beunruhigen, tat es aber nicht. Verstehen Sie, Catherine Black war eine der drei Staranwälte von Kansas da kamen Drohbriefe schon mal vor. Es musste wohl wirklich am Tod von Jonathan liegen, dass sie übervorsichtig geworden war.
Es dauerte nicht lange, bis es klingelte und als Catherine die beiden Polizisten herein gelassen hatte, saßen wir in der aufgeräumten Küche. Lorelai spielte nervös mit einem ihrer Drumsticks herum.
„Gut.“ Sagte die junge Frau, die sich als Officer Smith vorgestellt hatte. „Ist Ihnen in letzter Zeit etwas Seltsames aufgefallen? Irgendwas, das nicht so war, wie sonst?“
„Nein.“ Erwiderte Jason. „Was soll denn gewesen sein?“
„Mrs. Black, haben Sie einen Verdacht, wer dahinter stecken könnte? Ehemalige Mandanten vielleicht?“
Catherine schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“
„Seit dem Tod Ihres Mannes…“
Meine Züge verhärteten sich. Das ging sie nichts an. „Es ist nichts gewesen, das verdächtig sein könnte, das hat Jason doch eben schon gesagt.“
Smith nickte verständnisvoll und sah meinen Zwilling an. „Und Ihnen? Ist Ihnen etwas aufgefallen?“
Lorelai überlegte kurz und ließ den Drumsticks durch ihre Finger tanzen. „Nein, nichts.“
„Gut. Wenn Sie gestatten, nehme ich den Brief mit. Ihnen wird nichts passieren.“
Die Tür war noch nicht ganz ins Schloss gefallen, als ich aufstand.
„Wohin willst du?“ fragte Jason und sah mich an.
„In den Keller.“ Antwortete ich, öffnete die Tür und stieg die Stufen hinab in die wunderbare Dunkelheit.
Warum zum Teufel, hatte diese blöde Pute nach unserem Vater fragen müssen?
Ich drehte mir Musik auf und begann auf den Sandsack einzuschlagen. Rechts, links, Fußtritt, rechts, links, Fußtritt.
Es mochten zwei Stunden vergangen sein, als Lorelai sich auf die Stufen setzte und mich stirnrunzelnd ansah. „Was denkst du?“
„Was soll ich denken?“ fragte ich zwischen zwei Schlägen zurück.
„Oh, komm schon.“ Spottete sie. „Bei der Erwähnung von Dad bist du doch total hochgegangen.“
„Bin ich das?“ erwiderte ich und verpasste dem Sandsack einen gezielten Tritt.
„Was ist dein Problem?“
„Ich habe kein Problem.“
„Natürlich nicht.“
„Nein.“
„Gut.“
„Schön.“
„Bestens.“
„Perfekt.“
„Verdammt, Belladonna!“ fuhr Lorelai mich an. Ihre Stimme warf sich von den Kellerwänden zurück und ich hielt inne.
„Was?“
„Wenn du dich so benimmst, bist du einfach ätzend.“
Ich hob die Augenbrauen. „Ätzend?“
„Du machst sofort dicht, wenn es um Dad geht. Das ist ätzend!“
Ich zuckte mit den Schultern. „Was soll ich deiner Meinung nach machen? Mich auf den Boden werfen und heulen?“
„Wenn es die Sache besser macht, ja!“
„Es macht die Sache aber nicht besser.“ Antwortete ich stur.
„Vielleicht doch.“
„Vielleicht reicht mir aber nicht.“ Knurrte ich.
„Du bist eine blöde Kuh!“ antwortete mein Zwilling und mit entrang sich ein Grinsen.
„Das sagtest du schon.“
Doch da hatte sie die Tür zum Keller schon hinter sich zugeschlagen.
Ich wandte mich dem Sandsack erneut zu und trainierte, bis ich glaubte, dass es mir besser ging.
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