~*Kapitel 10*~
In the middle of nowhere, Frühjahr 1977
Vor Kälte und Müdigkeit zitternd saà Lorelei an einer Bushaltestelle im Nirgendwo, ihren Teddybären fest an sich gepresst während ihr Magen immer lauter werdende Geräusche von sich gab. Das Geld aus ihrem Sparschwein hatte gerade für einen Tag gereicht. Sie hatte die letzten Dollar in einen Hot Dog, eine Cola und ein Busticket ins Niemandsland gesteckt und hatte keine Ahnung wo sie sich gerade befand, geschweige denn wie es weitergehen sollte. Es waren aber nicht nur die Kälte und der Hunger die ihr zusetzten, sondern auch fürchterliches Heimweh. Aber sie hatte nun mal beschlossen Oz zu finden, also würde sie es auch tun. Sie würde es schaffen und dann würde sie die Hacken ihrer roten Stiefel zusammenschlagen und wäre wieder zuhause und alles würde gut sein. In der Hoffnung auf etwas Wärme zog sie ihren Mantel fester um sich und beobachtete die Scheinwerfer der vorbeiziehenden Autos. Für einen kurzen Augenblick stellte sie sich vor was ihre Eltern wohl gerade tun würden. Sie hatten bestimmt die Polizei gerufen und die würden sie überall suchen. Ob es wohl Fahndungsfotos geben würde? Ihr Foto auf Milchpackungen in ganz Amerika? Sicherlich, denn ihre Eltern hatten viel Geld. Lorelei überlegte angestrengt welches Foto sie wohl benützen würden. Vielleicht das Passfoto das bei ihrer Einschulung gemacht worden war? Nein, das war sicherlich schon zu alt. Eines der Fotos aus dem Sommerlager käme in Frage. Ja, genau, das Sommerlager. Das Bild auf dem sie auf dem Baumstamm vor Hütte Nummer 10 saÃ. Es war ein hübsches Foto, dass hatten alle gesagt. Lorelei bemerkte wie ihre Zähne immer heftiger aneinander klapperten, dieser blöde Mantel gab einfach nicht warm. Sie warf einen Blick auf ihren Teddy und bemerkte erst jetzt, dass er auch fürchterlich frieren musste. Mit steifen Fingern knöpfte sie ihren Mantel auf, schob das Stofftier darunter und presste es so fest sie konnte an sich. Bislang waren weder der Blechkannenmann noch der Löwe oder die Vogelscheuche aufgetaucht, sie war sich jedoch sicher, dass es bald soweit sein musste. SchlieÃlich brauchte sie jemanden der auf sie und Teddy aufpasste. Erschöpft schloss sie die Augen. Sie wusste, das sie jetzt nicht einschlafen durfte, aber ihre Augen fühlten sich so seltsam schwer an. Sie würde wach bleiben, nur ein kurzer Moment, sie würde auf keinen Fall einschlafen, niemals, sie war schlieÃlich kein Baby mehr. Obwohl sie sich alle Mühe gab wach zu bleiben, spürte sie wie sie immer tiefer in ihre Traumwelt glitt, bis sie schlieÃlich nicht einmal mehr die Kraft hatte gegen die Müdigkeit anzukämpfen.
Das grelle Licht eines Pickups riss Lorelei unsanft aus ihren Träumen. Sie blinzelte verdutzt und versuchte die dunkle Gestalt im Scheinwerferlicht zu erkennen. âHey Kleine, was machst du denn so alleine und um diese nachtschlafende Zeit hier? Kann ich dich vielleicht irgendwo hin mitnehmen?â, ertönte eine tiefe Stimme. Panik stieg in Lorelei auf. Ihre Mom hatte ihr hundertmal erklärt, sie solle nicht mit Fremden sprechen und schon gar nicht in ihren Wagen einsteigen. Mit einem Satz war sie auf den FüÃen und rannte so schnell sie konnte ins Gebüsch. Obwohl sie ihre Beine so schnell wie noch nie vorwärts bewegte, näherte sich der Klang der schweren Stiefel des Mannes hinter ihr immer mehr. Sie begann StoÃgebete gen Himmel zu schicken. Ich weià ich war nie in der Kirche, ich weià ich habe nicht oft genug gebetet, aber bitte, falls es dich gibt hilf mir jetzt. Mach das meine Mommy da ist, bitte, mach das sie kommt!â Ihr panisches Gebet wurde durch zwei starke Hände um ihre Hüften unterbrochen, die sie in die Höhe rissen. âHabe ich dich! Bist wohl von Zuhause ausgerissen, was?â
Lorelei schüttelte verzweifelt den Kopf und fing an zu schreien. âNein, nein, nein, bin ich nicht und wenn sie mich nicht sofort loslassen wird meine Mom sie ins Gefängnis schicken und mein Dad wird sie verklagen und sie werden in die Hölle kommen!â
Obwohl sie sich so stark sie konnte wehrte blieb der Griff des Mannes unbeständig fest, während er sie zurück zu seinem Wagen trug.
Stars Hollow, Herbst 2004
Zufrieden betrachtete Lorelei die immer gröÃer werdende Anzahl der Gäste in der Lobby. âEines muss ich dir lassen Rory, das war wirklich ein Geniestreich von dir.â
âJa, dafür wirst du ewig in meiner Schuld stehenâ, ihre Tochter grinste. âAber jetzt erzähl mir endlich weshalb du wirklich so gut gelaunt bist!â
âDafür gibt es viele Gründe, viele, viele Gründeâ, erwiderte sie zufrieden und Rorys Grinsen wurde breiter.
âAch ja? Welche denn?â
âNun, ich habe heute bereits literweise Kaffee getrunken, das Dragonfly Inn ist mit Menschen gefüllt die sich die Gratis-Ausstellung einer weltberühmten Malerin ansehen, Luke will mich heiraten und ich habe erfahren das mein GroÃvater mütterlicherseits noch lebt, dass heiÃt dein UrgroÃvater ist irgendwo im afrikanischen Busch â was weiter nicht so wild wäre â wenn er denn tatsächlich dein GroÃvater wäre, was er aber nicht ist. Das lässt wiederum vermuten, dass irgendwo da draussen noch viele, viele andere Männer mit ihren Frauen und Kindern sind, die rein theoretisch mit uns verwandt sein könnten. Ach ja â und bevor ich es vergesse: Als deine GroÃmutter vorher hier war, hat sie mir offenbart, dass sie und dein GroÃvater sich Dienstag in zwei Wochen scheiden lassen werden.â Lorelei nippte an ihrem Champagnerglas und sah Rory erwartungsvoll an. âIst das Leben nicht voller Ãberraschungen?!
âWowh!â Rory hob abwehrend die Hände. âIch hab nur Kaffee, Afrika, Hochzeit und Scheidung verstanden â also das ganze noch Mal und zwar ganz, ganz langsam und zum mitschreiben.â
Lorelei blickte ihrer Tochter tief in die Augen, sie hatte gehofft sich nicht wiederholen zu müssen. âAlso â Kaffee, schwarzes Gold, Elixier meines Lebens â ich habe heute genügend für die restlichen 27 Stunden getrunken, denn â tatatataaaa â ich habe Luke dazu überredet ihn mir gratis zu spendieren.â
âWeil du ihn heiraten wirst....???!, fragte Rory zögerlich.
âGanz genau. Wir werden heiraten.â Loreleis Gesicht nahm einen verklärten Ausdruck an. âDenn er ist derjenige der mir eine lebenslange Garantie versprochen hat â meine Tupperschüssel.â
Rory hob die Augenbrauen. âMuss ich das verstehen?â
âNein, Schätzchen. Alles was ich hören will ist: Ja, ja, ja â heirate ihn!â
âJa, ja, ja â heirate ihnâ, sie fiel ihrer Mum um den Hals. âUnd wann?â
âMmmmmmhhh â eines Tages, nicht heute oder morgen. Wir werden das in aller Ruhe angehen. Du hast also noch jede Menge Zeit mit deinem Psychiater darüber zu sprechen.â
Obwohl sie überglücklich über diese Neuigkeit war, versuchte Rory einen drohenden Blick aufzusetzen. âWissen es Grandma und Grandpa schon?â
âUm....â, war alles was Lorelei erwiderte.
âNein, Mum! Diesmal nicht. Nach der Sache mit Max und Jason kannst du so was nicht noch mal bringen!â
âHab ich dir die Sache mit dem afrikanischen GroÃvater schon näher erklärt?â, versuchte sie vom Thema abzulenken.
âNein hast du nichtâ, Rory seufzte. âUnd so spannend die Geschichte auch klingt: Ich habe hier schon zwei GroÃeltern. GroÃeltern die ich wirklich gerne habe und ich will nicht, dass es schon wieder zu einem Streit kommt.â
âAber wir wollen doch nicht gleich heiraten ââ, sagte Lorelei zerknirscht und ihre Tochter beschloss ihr endgültig die Pistole auf die Brust zu setzen.
âDas ist doch egal. Du solltest langsam wissen, dass sie es auch so rausfinden werden und dann wird es wieder fürchterlichen Ãrger geben. Also sag es ihnen gleich. Am besten heute Abend â und wenn du es nicht tust, dann werde ich wirklich böse!â
âRory ââ wollte Lorelei protestieren, bemerkte jedoch das Flehen in den Augen ihrer Tochter. âIn Ordnung, aber heute Abend wird es nicht gehen. Emily hat das Gebäude fluchtartig verlassen, als sie den Wagen meines Dads vorfahren sah.â Sie schüttelte traurig den Kopf âEs gibt da also ein kleines Problem: Michael Douglas und Kathleen Turner werden sich gegenseitig Kronleuchter an die Köpfe werfen, sobald sie sich auch nur aus zwanzig Meter Entfernung sehen.â
Rory seufzte âDa ist was Wahres dran.â
âAlso wird es einer nach dem anderen erfahren müssen.â Lorelei legte einen Arm um ihre Tochter.
âGuter Planâ, stimmte diese zu. âAber wer erfährt es zuerst?â
âOh....â sagten beide gleichzeitig und sahen sich missmutig an.
Hartford, Frühjahr 1977
Im Salon der Gilmores tummelten sich Polizisten die, ebenso wie Emily und Richard, jedesmal herum schreckten wenn das Funkgerät auch nur kurz rauschte. Aber egal wie oft das in den letzten Stunden passiert war, bislang gab es keine Neuigkeiten. Lorelei blieb verschwunden und das seit bald mehr als zwei Tagen. Die Gegend um Hartford war durchsucht worden, die Zeitungen hatten Fotos gedruckt, das Fernsehen um die Mithilfe der Bürger gebeten - vergeblich. Scheinbar hatte keiner ein kleines, braunhaariges Mädchen mit roten Stiefeln gesehen. Es war als sei sie vom Erdboden verschwunden.
Emily starrte auf das Funkgerät und schickte ein StoÃgebet nach dem anderen zum Himmel. In ihrem Kopf hämmerte es und ein riesiger Kloà befand sich in ihrem Hals. Sie hätte am liebsten laut aufgeheult, aber das hieÃe Schwäche zu zeigen, zu zeigen das sie daran zweifelte dass man ihre Tochter bald finden würde. Wohlbehalten finden würde. Sie machte sich solche Vorwürfe. Weshalb war sie vorgestern nicht noch einmal zu Lorelei? Weshalb hatte sie bis zum nächsten Morgen gewartet? Sie hatte im Bett gelegen und geschlafen während ihre Kleine irgendwo da draussen war. Sie fühlte Richards Hand auf ihrer Schulter und griff danach. Schweigend saÃen sie da während die Zeit sich rückwärts zu bewegen schien. Emily hatte das Gefühl förmlich nach ihr greifen zu können. Sie hätte groÃe Lust gehabt es zu tun, sie zu schütteln und zwei Tage in die Vergangenheit zu treiben, aber stattdessen hielt sie Richards kalte, zitternde Hand. Er hatte in den letzten Stunden kaum gesprochen, sondern nur in seinem Arbeitszimmer gesessen und die Wand angestarrt. Der Röte seiner Augen zufolge, konnte sie sagen, dass er geweint hatte. Sie drückte seine Hand etwas fester und versuchte ihm einen aufmunternden Blick zuzuwerfen, ein Versuch der kläglich scheiterte. Richard streichelte ihr mit einer Hand über die Wange und wollte gerade etwas sagen, als das Funkgerät erneut zu knistern begann. Der verantwortliche Officer sprang auf, hechtete auf den Apparat zu und drehte an einigen Knöpfen bis schlieÃlich die Meldung vom Ãberfall auf einen Getränkemarkt erklang. âTut mir leidâ, murmelte er entschuldigend.
âEs tut ihnen leid. Natürlich tut es dasâ, erwiderte Richard leise und spürte wie Zorn in ihm aufkroch. Er ging auf den Officer zu und packte ihn am Kragen. âEs tut ihnen leid!â, schrie er. âFür was zahle ich denn meine Steuern? Doch für ihre Ausbildung. Was kann denn so schwer daran sein meine Tochter zu finden!??â Tränen stiegen in seine Augen. âStrengen sie sich gefälligst mehr an, ich verlange das sie mir Lorelei zurückbringen. Bringen sie mir meine Tochter zurück!â Richard lies den verängstigten Mann los und sackte in sich zusammen. âBringen sie sie zurück....â
Emily sprang auf und legte einen Arm um Richard. âSie werden sie finden, Liebling. Da bin ich mir sicher. Es geht ihr gut.â Sie spürte wie die Feuchtigkeit seiner Tränen den Stoff ihres Kleides durchtränkten und versuchte mit aller Macht nicht auch noch die Fassung zu verlieren. Sie streichelte Richard durchs Haar und suchte verzweifelt nach Worten, Worten die ihn und auch sie trösten würden. Alles was ihr einfiel waren hohle Phrasen, dieselben Platitüden die sie seit Loreleis Verschwinden immer und immer wieder vor sich hergesagt hatte. Worte an die sie zwar glauben wollte, Worte die ihr dennoch wie leere Versprechungen vorkamen. âEs geht ihr gut. Sie wird bald wieder da sein.â Das schrille Klingeln des Telefons schnürte ihr die Luft ab und sie sah es hilflos an, während sein Klingeln die beinahe gespenstische Stille des Raumes durchflutete.
Detroit, Herbst 2004
Abraham Palmer rückte nervös seine Krawatte zurecht, sie würde jede Sekunde hier auftauchen und er hatte keine Ahnung weshalb sie sich nach all den Jahren wieder gemeldet hatte. Seine Sekretärin klopfte und betrat das Zimmer. âMrs. Gilmore wäre jetzt hier, Mr. Palmer.â
âSchicken sie sie rein, Lauraâ, er atmete ein letztes Mal tief durch und setzte ein gezwungenes Lächeln auf.
âEmily, wie schön dich zu sehen.â Sie reichten sich die Hand. âGut siehst du aus.â
âDanke.â Emily musterte ihn. âDu aber auch.â
âAch was, ich bin ein alter Mannâ, er lachte nervös und bat Emily sich zu setzen. Wenn er doch nur wissen würde, was sie von ihm wollte. âWie geht es dir so?â
Sie schlug die Beine übereinander. âGut, danke der Nachfrage.â
âUnd Richard?â
âWir haben uns getrenntâ, erwiderte sie mit fester Stimme.
Ein Leuchten ging durch Abraham Palmers Gesicht. âWas du nicht sagst? Das, das tut mir wirklich leid.â
âTut es das?â Emily warf ihm einen skeptischen Blick zu und er begann sich langsam unbehaglich zu fühlen.
âIn der Tat, in der Tat, das tut es wirklich.â
âTja ââ, nahm sie ihren Mut zusammen. âDu möchtest sicherlich wissen weshalb ich hier bin, das heiÃt eigentlich solltest du es wissen. Ich bin der Meinung, dass einige Entscheidungen die in der Vergangenheit gefällt wurden nicht ganz richtig sind. Zumal mich nie jemand gefragt hat, was ich von der Sache halte.â
Palmer fühlte wie seine Hände feucht wurden. âDas, ähm, da, da muss ich dir zustimmen, Emily. Was, was gedenkst du also in der Sache zu tun?â
âIch könnte dich natürlich verklagen, aber es würde Ewigkeiten dauern bis ein Urteil feststünde. AuÃerdem sind mir Rechtsstreite zuwiderâ, sie machte eine Pause und stellte zu ihrer eigenen Ãberraschung fest, dass sie die Situation tatsächlich kontrollierte. âAlso habe ich mir gedacht, wir regeln das unter uns. Du gibst mir einfach was mir zusteht.â
Abraham japste nach Luft. âDas, das geht nicht. Das wäre mein Ruin, Emily.â
âHör zu, Abraham. Es liegt mir fern dich zu ruinieren, obwohl ich das könnte, das weiÃt du ganz genau. Ich will lediglich genügend um ein anständiges Leben zu führen. Genügend um auf niemanden angewiesen zu sein.â
Ihr letzter Satz lies ihn aufhorchen. Sie bluffte. Sie würde ihn niemals verklagen, sie wollte nur Richard eins auswischen. Sehr clever, Emily, wirklich sehr clever. Er beugt sich nach vorne. âDu wirst mich niemals verklagen. Denn dann würde die ganze Wahrheit ans Licht kommen. Was würden wohl deine Freundinnen dazu sagen? Dein Ehemann? Deine Tochter? Oder wissen sie es etwa?â
Emily schluckte, sie würde sich das Ruder nicht aus der Hand nehmen lassen. âWenn ich klage, verlierst du alles, Abraham. Mein Ruf wird vielleicht dahin sein, aber ich werde alles haben was im Moment noch dir gehört. Du wirst arm sein wie eine Kirchenmaus.â
âDu wirst nicht klagen, dafür kenne ich dich viel zu gut.â
âAch nein? Emily erhob sich. âIch gebe dir vierundzwanzig Stunden Zeit deine Meinung zu ändern, ansonsten wirst du von meinen Anwälten hören.â Sie stemmte die Arme auf Abrahams Schreibtisch und lehnte sich so weit nach vorne, dass ihr Nasenspitzen sich beinahe berührten. âUnd glaub mir, du wirst von ihnen hören.â
To be continued......
ATN: So, hier Kapitel 10. Bin mal gespannt was ihr dazu zu sagen habt! Riska