I'm sorry, I'm sorry, I'm sorry, I'm sorry. Have I mentionend that I'm sorry?
Fremd
Juli 2002
Die Hitze war zu dieser Jahreszeit in Spanien schon immer unerträglich gewesen, aber in Tunesien bekam sie eine neuen Dimension, bedingt durch den warmen Saharawind der vor allem nachts in die kleine Stadt geweht wurde.
Durch die ständige Benutzung der Klimaanlage war Encarna fast ständig erkältet, doch schaltete man das Gerät ab wurde die Temperatur im Raum unerträglich.
Sie hatte sich abgewöhnt auf die Thermometer zu schauen, denn wenn man es in Zahlen ausgedrückt vor sich sah war es noch unerträglicher als das bloÃe Gefühl.
Es war erst sieben Uhr am Morgen, aber bereits jetzt war es so warm dass sich Encarna am liebsten das Jackett ausgezogen hätte, das zu ihrem Kostüm gehörte. Da sie anderen Angestellten angewiesen waren ihre Jacken anzubehalten, wollte sie sich dieses Sonderrecht nicht herausnehmen, auch wenn sie wusste, dass Said nichts gesagt hätte.
Er war gerade erst wieder von einer sechswöchigen Geschäftsreise zurückgekehrt und trotz des Konflikts der noch immer schwelte, hatte sie ihn vermisst.
Zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit im Februar hatten sie wieder länger miteinander geredet, auch wenn beide das Thema Sara tunlichst vermieden hatten.
Sie erreichte den Speisesaal und lief die gleiche Runde wie jeden Morgen: Vom Speisesaal zum Buffet, von dort in die Küche und schlieÃlich zum Koch um mit ihm zu besprechen ob es Probleme mit der Lieferung für Mittag- und Abendessen gegeben hatte und ob auch sonst alles reibungslos lief.
Obwohl das Verhältnis zwischen ihr und Abdu am Anfang schwierig gewesen war, hatten sie doch gelernt sich zu respektieren und mittlerweile ertappte sie sich immer wieder dabei wie sie mit dem Koch auch ein paar private Worte wechselte.
Ihr Französisch war seit sie in Tunesien lebte, stetig besser geworden, Arabisch sprach sie jedoch, auÃer zwei oder drei Worte, immer noch nicht. Es lag nicht nur an Said und den Kindern, die mit ihr kein Arabisch sprachen, auch sie selbst verspürte eigentlich keine Lust die Sprache zu lernen. War sie anwesend wurde sie nur genutzt um Dinge hinter ihrem Rücken zu besprechen, sich gegenseitig anzukeifen oder Verbote auszusprechen.
Manchmal wünschte sie sich, dass sie wenigstens verstehen würde, was sie sagten, ohne dass sie es merkten. Auf der anderen Seite war es vielleicht wirklich besser wenn sie nicht wusste, was hinter ihrem Rücken in dieser Familie noch so vor sich ging.
Sie verglich diese Familie in Gedanken oft mir einem Puppentheater. Die anderen schienen an Fäden der Arabischen Sprache hängend gesteuert zu werden, während sie die einzige war die nicht an Fäden hing, da sie die Anweisungen nicht verstand. Gleichzeitig stolperte sie allerdings zwischen all den anderen umher und wusste nie so wirklich was wohl als nächstes passieren würde.
Sie verlieà die Küche schlieÃlich wieder, stellte einmal mehr fest, dass ihr der Geruch von gebratenem Hammelfleisch am frühen Morgen nicht bekam, und zog sich in ihr Büro zurück.
Konzentriert und alleine arbeitete sie für mehrere Stunden vor sich hin, als das Telefon klingelte.
„Ja?“ meldete sie sich, da sie wusste, dass niemals Anrufer von auÃerhalb zu ihr durchgestellt wurden; Sie hätte sie doch nicht verstanden.
„Madame, ein Anruf aus Deutschland für Sie“, sagte Fatima, die Rezeptionistin und wartete auf Enarnas Anweisung.
„Stellen Sie sie durch“, gab sie etwas irritiert zurück, konnte aber nicht lange grübeln, denn dann hatte sie bereits Sophie am Apparat.
„Hallo Encarna, ich hoffe ich störe nicht“.
„Hallo. Nein, ist schon okay“, antwortete sie und wunderte sich selbst wie froh sie war mit Sophie zu sprechen. Nicht weil es Ranas Mutter war, sondern einfach weil es mal jemand anders war. Jemand den sie nicht täglich sah, jemand mit dem sie nicht arbeitete, jemand von der Welt da drauÃen.
„Gratulation noch zur Hochzeit. Ich habe es erst eben erfahren , als ich kurz mit Said sprach“, sagte Sophie und Encarna versetzte es bei der Erwähnung der Hochzeit einen Stich.
„Ja, tut mit Leid. Ich hätte dich gerne eingeladen, aber es war alles etwas... plötzlich“, versuchte sie sich zu entschuldigen. Zu gerne hätte sie Sophie die ganze Geschichte erzählt.
Bisher hatte sie noch mit niemandem darüber gesprochen, jedoch war Sophie keine Freundin von ihr und sie sprach Arabisch, wer wusste schon welche Geheimnisse sie hatte?
„Mach dir keinen Kopf, ist schon in Ordnung. Ich hätte ohnehin keine Zeit gehabt. Was mich zum eigentlichen Thema bringt weshalb ich anrufe: Ich habe demnächst zwei Wochen frei und da Fred arbeiten muss werden wir nicht in Urlaub fahren. Ich dachte mir Rana könnte uns besuchen. Said ist einverstanden, aber er meinte ich solle mit dir reden, dass du Rana überzeugst wie gut diese Idee ist. Ihr habt doch einen ganz guten Draht zueinander“. Ãberrascht setze sich Encarna in ihrem Stuhl auf, in dem sie sich gerade zurück gelehnt hatte.
„Also ich weià nicht. Wieso fragst du sie nicht selbst? Rana ist alt genug, sie braucht unser Einverständnis nicht und ich denke auch nicht, dass es gut wäre sie zu überreden. Entweder sie will dich besuchen oder nicht“, antwortete sie ehrlich.
„Rana würde nie einfach zu Besuch kommen wenn ich sie einlade. Bitte, versuch es doch wenigstens“, drängte Sophie.
„Ich denke wirklich du solltest sie anrufen und das mit ihr klären und nicht mit mir, Ich fühle mich nicht sehr wohl wenn ihr mich da mit hineinzieht“.
„Okay, da kann man wohl nichts machen. Ich muss jetzt auch gehen. Ciao“, erwiderte Sophie kurz angebunden und legte auf.
Ungläubig starrte Encarna das Telefon an und fragte sich, ob das gerade wirklich passiert war.
Sie schüttelte den Kopf und legte den Hörer zurück auf den Tisch und versuchte weiter zu arbeiten, jedoch war ihre Konzentration nun dahin.
Den ganzen Tag hörte sie immer und immer wieder das seltsame Telefonat in ihrem Kopf, steigerte sich allmählich in eine Wut hinein, die sie zuerst nicht verspürt hatte.
Das war wieder typisch, diese Geheimabsprachen hinter dem Rücken der betroffenen Person. Sie sollte Rana manipulieren, dass diese ihrer Mutter, die sich offenbar einen Dreck um sie scherte, einen Besuch abstattete? Und Said, der mal wieder eine unangenehme Angelegenheit in ihre Hände weitergereicht hatte, obwohl es sie eigentlich nichts anging.
Dem Mittagessen blieb sie fern und ging stattdessen zum Nachbarhotel, lief dort ziellos durch deren Garten.
Saids Hotel hatte auch einen groÃen, parkähnlichen Garten, aber egal wohin sie dort ging, immer kam sie sich beobachtet vor. Hinter jedem Busch oder Strauch vermutete sie eine Putzfrau oder einen Gärtner, die sofort bei Said Bericht erstatten würden w sie war und was sie tat, bevor es sich wie ein Lauffeuer im kompletten Hotel herumsprechen würde. Sie verstand vielleicht nicht was sie sagten, aber ihren Namen erkannte sie doch zwischen dem arabischen Kauderwelsch.
Sie wusste nicht einmal ob Said sie wirklich überwachte, aber manchmal hatte sie das Gefühl und konnte sich dem auch nicht erwehren.
In der Zeit nach der Hochzeit war sie oft durch Saids Garten gewandert, wütend hindurch gestapft oder hatte bedrückt auf einer der Bänke gesessen.
Als jedoch, nachdem sie sich zum ersten und einzigen Mal gehen lieà und hemmungslos weinte, innerhalb von wenigen Minuten Ran und Said „zufällig“ aufgetaucht waren, hatte sie beschlossen diesen Garten von nun an zu meiden.
Zum Abendessen musste sie dann jedoch anwesend sein, denn sonst hätte sie bei ihrer Ausrede wirklich kreativ sein müssen. Und selbst dann hätte Rana sie durchschaut und so lange gebohrt bis sie eingeknickt wäre und erzählt hätte was los war.
Schweigend pickte sie in ihrem Essen und fühlte Ranas Augen, die wieder in sie hinein zu dringen schienen, aber sie ignorierte es.
Den Rest des Abends ging sie ihr aus dem Weg, was nicht allzu schwierig war, da Rana wieder in der Show mit auftrat und Encarna sich in ihrem Zimmer mit einem Buch verschanzte.
Die Wörter verschwammen vor ihren Augen und sie wusste nicht was sie tun sollte. Sollte sie Rana überreden ihre Mutter zu treffen? Sollte sie ihr wenigstens von dem Anruf erzählen? War es ihre Aufgabe? Vielleicht wollte Rana ja doch gerne ihre Mutter besuchen, was wenn sie dann nichts sagte?
Said war es, der sie aus ihren Gedanken riss, als er nach dem Ende der Show zu ihr kam, damit sie schlafen gehen konnten.
Sie verschwand im Bad um sich fertig zu machen und sah im Spiegel über dem Waschbecken wie Said sein Hemd auszog und achtlos auf einen der Sessel warf.
„Hast du mit Rana geredet?“ Fragte er und schlug den Ãberwurf des Bettes zurück.
„Nein“, gab sie zurück, so deutlich sie konnte, den Mund voller Zahnpasta.
„Wirst du mit ihr reden?“
„Nein“, sie schüttelte den Kopf und spukte den Schaum aus, spülte ihren Mund und sah noch wie Said die Stirn runzelte.
„Hast du den Fisch heute probiert? War das ein neues Rezept oder war einfach was mit der Sauce nicht in Ordnung?“ wechselte er schlagartig das Thema, was sie jedoch mittlerweile nicht mehr wunderte, er tat das ständig.
„Der Rosmarin wurde nicht geliefert. Wir sind noch daran zu verfolgen warum er nicht geliefert wurde“, erklärte sie und kam ins Schlafzimmer.
„Gut, sagt mir Bescheid falls es Probleme gibt. Vielleicht sollten wir den Lieferanten wechseln?“ schlug er vor.
„Ich denke das wird nicht nötig sein, aber wir werden sehen“, gab sie zurück und legte sich hin, während Said im Bad verschwand.
Als sie am nächste Mittag zum Essen erschien, hörte sie schon von Weitem Schreie und wäre am liebsten wieder umgekehrt. SchlieÃlich seufzte sie nur und betrat das Esszimmer. Said und Rana standen sich gegenüber, der Tisch zwischen ihnen und schrien sich auf Arabisch an.
Encarna musste nicht verstehen um was es ging, sie wusste es auch so. Rana bebte vor Wut und Tränen des Zorns flossen ihr über die Wangen, während Said puterrot im Gesicht war. Der Rest der Familie redete auf die beiden ein, in verschiedenen Sprachen und in verschiedenen Lautstärken, was eine Kulisse ergab, dass Encarna dachte ihr würde der Kopf platzen.
Erst als Saids Faust auf den Tisch niedersauste und das Geschirr schepperte und zwei Gläser umfielen kehrte gespenstische Stille ein.
Mit ausgestreckten Arm deutete er auf Rana, so dass sein Zeigefinger fast ihre Nase berührte und spuckte ihr arabische Worte ins Gesicht, mit solcher Geschwindigkeit und anscheinend von solcher Härte, dass Rana zusammen zuckte als hätte er sie geschlagen.
Dann erst bemerkten sie Encarnas Anwesenheit und ohne ein weiteres Wort zu sprechen setzten sich alle an ihre Plätze, begannen schweigend zu Essen.
Nach einem weiteren Moment der Ungläubigkeit nahm schlieÃlich auch Encarna ihren Platz neben Rana ein, begann ebenfalls zu essen.
Sie waren fast fertig als sie spürte, dass Rana unter dem Tisch nach ihrer linken Hand griff und sie festhielt. Encarna schaute kurz von ihrem Teller auf und bemerkte, dass Rana völlig still weinte, sie gab keinen Ton von sich, auch wenn ihr Gesicht Tränen überströmt war. Sie blickte zurück auf ihren Teller und drückte Ranas Hand kurz, streichelte mit dem Daumen über ihren Handrücken.
TBC