~*Kapitel 16*~
Scranton, Spätwinter 2005
Ihre hochhakigen Schuhe und den Saum ihres Brautkleides in der Hand, rannte Lorelei, dicht gefolgt von Luke und Rory, barfuss durch die weit verzweigten Flure des Krankenhauses, wobei sie jeden der sich ihr in den Weg stellte nahezu hysterisch nach dem Weg in die chirurgische Abteilung fragte.
âWieso müssen Krankenhäuser immer so verdammt groà sein? Wieso ist bisher noch niemand auf die Idee gekommen brauchbare Wegweiser zu installieren?â, rief sie über ihre Schulter und übersah deshalb die Krankenschwester die aus einer der Türen kam. Schwungvoll landete sie auf dem Boden, rappelte sich jedoch schnell wieder auf und rieb sich schmerzerfüllt die Bandscheibe. âVerdammt, verdammt, verdammt!â
Rory kam neben ihr zum Stehen und legte ihr sachte eine Hand auf den Arm âMom! Beruhig dich!â
âDas kann ich nicht!â, entgegnete sie und sah die Krankenschwester an. âSie!â, Lorelei packte sie an ihrem Kittel. âSie werden mich jetzt sofort in die Chirurgische bringen â und denken sie nicht, sie könnten sich irgendwie rausreden. Egal wie gut ihre Entschuldigung auch sein wird, ich werde ihnen nicht glauben. Haben sie mich verstanden? Und jetzt los!â Sie versetzte der Schwester einen kleinen Schubs. âNa los! Bewegen sie sich, bewegen sie sich, bewegen sie sich, husch, husch!â Die Schwester sah Lorelei entgeistert an und wollte etwas sagen, doch Lorelei kam ihr zuvor. âDas war keine Bitte. Na los, in die Chirurgische, vorwärts, marsch, marsch!â
âLorelei, bitteâ, versuchte Luke seine Frau zu beruhigen.
âNein, Luke. Ich will jetzt, dass mich irgendjemand zu meiner Mutter bringt! Ist das denn zuviel verlangt?â
âNein, Mom, natürlich nicht, aber versuch dich wenigstens ein bisschen zu beruhigenâ, antwortete Rory versöhnlich und Lorelei vergrub ihr Gesicht in einer Hand.
âTut mit leidâ, sie sah auf und wand sich an die Krankenschwester. âEs tut mir wirklich leid, ich hätte sie nicht so anbrüllen dürfen.â
âIhre Mutter ist nicht zufällig eine gewisse Emily Palmer?â, erwiderte diese mit hochgezogenen Augenbrauen.
âDoch, ja, aber woher wissen sie das? Wo, wo ist sie? Geht es ihr gut?â
âImmer dem Gang entlang, spätestens nach zwanzig Metern werden sie fündig werden.â Die Schwester machte sich eilig daran wegzukommen, während Lorelei ihren Anweisungen nachkam und den Gang hinunter hetzte. Lautes Stimmengewirr lies sie in ihrer letzten Bewegung inne halten und prompt krachten Rory und Luke in sie hinein.
Rory grinste erleichtert. âDas ist Grandma!â
âDas erklärt auch weshalb die Schwester wusste, dass du verwandt mit ihr sein musst. Wenn ihr laut werdet, klingt ihr euch verdammt ähnlich. Sehr, ähm, energisch.â Luke drückte ihr einen Kuss auf die Wange. âUnd unverschämtâ, flüsterte er Rory zu.
âDas habe ich gehörtâ, Lorelei warf ihm einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu. âIn Ordnung, ich schätze, ich werde der Sache auf den Grund gehen und du, du tust einfach das was du immer in Krankenhäusern tust. Starr deine Schuhe an und versuch die Typen mit Schraubenziehern im Kopf zu ignorieren.â Lorelei schlüpfte in ihre Schuhe. âWenigstens ist unsere Hochzeit nicht so langweilig wie die meisten.â
Luke grinste. âUnd wir haben endgültig bewiesen, dass man mit Servietten eindeutig nicht kegeln kann.â
âJa, aber dafür wissen wir jetzt alle, dass Kirk niemals Stripper werden sollte.â
âErinnere mich nicht daranâ, er schüttelte sich. âUnd jetzt los.â
âOkayâ, Lorelei sah Rory an. âPass mir gut auf ihn auf, ich hab noch einiges mit ihm vor.â
âWird gemacht.â
Zögernd trat Lorelei auf die Tür zu, aus der die lauten Stimmen ihrer Mutter und zweier weiterer Menschen erklangen. Sie klopfte und öffnete die Tür ohne eine Antwort abzuwarten.
âHiâ, begrüÃte sie die drei und diese unterbrachen ihre lautstarke Diskussion.
âLorelei? Was machst du denn hier?â, fragte Emily erstaunt.
âDir den Rest gebenâ, antwortete sie stöhnend. âWas werde ich wohl hier machen? Die Polizei war im Dragon Fly Inn.â
âDie Polizei? Die Polizei?â, rief Emily aus. âIch hatte ihnen doch eindeutig zu verstehen gegeben, dass es nicht notwendig ist, meine Tochter zu informieren! Aber hier hört einem ja niemand zu. Sie stecken einen in diese furchtbar unbequemen Betten, man muss Dutzende sinnloser Fragen beantworten und absolut unnötige Untersuchungen über sich ergehen lassen. Wie oft soll ich ihnen denn noch sagen das es mir gut geht, es geht mir blendend, ich habe mich nie besser gefühlt!â
âÃhm, Mom ââ, hilflos sah Lorelei den Arzt und die Schwester an. âEs wäre wirklich sehr nett wenn sie uns für einen Moment ââ, sie musste den Satz nicht zu Ende führen, da beide erleichtert nickten und so schnell wie möglich das Zimmer verlieÃen. âDanke.â
âDas ist einfach unglaublich!â Emily setzte sich auf das Bett und starrte kopfschüttelnd auf den Boden.
âWas ist denn passiert, Mom?â
âNichtsâ, sie zuckte mit den Schultern.
âSchon klar. Das hier ist ja auch kein Krankenhaus, sondern ein Hotel.â
âGefängnis, es ist ein Gefängnis.â
âUnd weshalb bist du hier?â, bohrte Lorelei nach.
âSie haben die Flüge wegen des Wetters storniert. Ich habe ihm noch gesagt, wir sollten lieber einen Tag früher fliegen, aber nein. Also haben wir den Wagen genommen und dann, dann bin ich plötzlich hier wieder aufgewacht. Gott, wie ich Krankenhäuser hasse und diese Ãrzte ââ
Lorelei fiel ihrer Mutter ins Wort. âIhr seid bei dem Wetter ins Auto gestiegen?â
âWie hätten wir es denn sonst rechtzeitig zur Feier schaffen sollen?â
âWarum nimmst du das nächste Mal nicht gleich eine Prise Arsen?â
âLorelei!â
âEs schneit wie verrückt, die StraÃen da drauÃen sind nahezu unbefahrbar, Mom.â
âTatsächlich?â, erwiderte Emily trocken. âUnd ich dachte das weiÃe Zeug wäre der Staub der von der Hitze aufgewirbelt wird.â
âEs hätte weià Gott was passieren können. Wie kann man nur so stur sein?â
âEs tut mir leid, Loreleiâ, antwortete Emily leise. âAber meine Tochter heiratet schlieÃlich nur einmal im Leben â davon gehe ich zumindest ausâ, sie machte eine kleine Pause und Lorelei zog eine Grimasse. âSchon gut, du und Luke, ihr seid wirklich ein sehr schönes Paar.â
âDankeâ, Lorelei strahlte.
âDu siehst sehr hübsch aus in diesem Kleid.â Mutter und Tochter sahen sich eine Weile schweigend an. âIch wollte es nicht verpassen, Lorelei, und jetzt, jetzt habe ich dir deine Hochzeit endgültig verdorben.â
âUnsinn, Momâ, Lorelei lies sich ebenfalls auf das Bett fallen. âBöse Schrammeâ, sie deutete auf eine genähte Wunde an Emilys Stirn.
âAch dasâ, sie führ mit einem Finger über die Naht. âDas ist auch das einzige das mir fehlt.â Als sie Loreleis skeptischen Blick bemerkte fuhr sie eilig fort. âWirklich, es geht mir gut. Aber diese bornierten Gefängniswächter wollten mich einfach nicht gehen lassen. Ich habe ihnen sogar Geld geboten, aber nein, es könnte ja sein, dass mich heute noch der Tod ereilt.â
âSag so was nicht.â
âIch, ich wollte wirklichâ, sie schluckte. âIch wollte wirklich kommen, auch wenn wir uns bei unserem letzten Treffen gestritten haben. Glaub mir, ich wollte das um nichts in der Welt verpassen, Lorelei.â
âDas weià ich dochâ, sie warf ihrer Mutter ein aufmunterndes Lächeln zu.
âAch ja? WeiÃt du das? WeiÃt du überhaupt irgendetwas? Hast du irgendetwas verstanden?â, fuhr Emily sie an.
Lorelei runzelte die Stirn und versuchte zu verstehen worauf ihre Mutter hinauswollte.
âSolange du es mir nicht erklärst, kann ich es nicht verstehen, Momâ, sagte sie schlieÃlich mit gedämpfter Stimme.
âEs tut mir leid, Loreleiâ, sie wischte sich so unauffällig wie möglich eine Träne aus dem Augenwinkel. âIch wollte für dich da sein. Wenigstens heute.â
Lorelei legte eine Hand auf die ihrer Mutter. âMomâ, war alles was sie hervorbringen konnte.
âIch weià du hast nie verstanden, weshalb ich so â so war wie ich nun mal bin. Aber glaub mir, ich wollte immer nur das Beste für dich, Lorelei. Es hat vielleicht in deinen Augen nicht immer so ausgesehen, trotzdem â â
Die Tür wurde aufgerissen und Abraham Palmer betrat den Raum. âEmilyâ, rief er aus. âGott sei dank, es geht dir gut! Sie haben mich eben erst im Hotel angerufen und gesagt, dass du aufgewacht bist.â
âNatürlich tut es das, Lieblingâ, sie rang sich ein Lächeln ab und erhob sich. âWas ist mit dir?â
âIm Hotel?â, fassungslos sah Lorelei ihn an. âSie waren im Hotel?â
âEs bestand keine Notwendigkeit mich hier zu behalten, Lorelei. Ein paar Kratzer, ein verstauchtes Handgelenkâ, Abraham grinste. âAuf die Airbags der Heywood Inc. ist nun mal wirklich Verlass.â
âWenn sie das nächste Mal ihre Versuche am lebenden Objekt durchführen, machen sie es gefälligst alleineâ, entgegnete Lorelei eisig, doch Abraham ging nicht darauf ein.
âSie sehen reizend aus. Die ganze Hochzeitsgesellschaft da drauÃen sieht reizend aus. Rorys Kleid ist einfach traumhaft. Und Richard - dieser Anzug steht ihm wirklich einmalig, ich werde ihm nach seinem Schneider fragen müssen.â
âRichard?â, verwundert schüttelte Emily den Kopf. âWas ââ, sie wand sich an Lorelei. âDein Vater ist hier?â
Zaghaft nickte sie. âEr hat darauf bestanden uns herzufahren, da wir alle zuviel Champagner intus hatten.â
âWer ist wir?â
âNa, Luke, Rory und ich.â
âRory? Meine minderjährige Enkeltochter hat zuviel Champagner getrunken?â
âNein, sie hat, sie war nur â Mom, bitte. Dad hat einfach darauf bestanden. Er hat sich Sorgen gemacht.â
âEr hat sich keine Sorgen um mich zu machen, richte ihm das aus!â, fuhr sie Lorelei an. âUnd jetzt lass uns bitte alleine!â
Ihre Tochter biss sich auf die Lippen und stand schlieÃlich langsam auf. âIn Ordnung.â Sie war bereits halb aus dem Zimmer, überlegte es sich jedoch im letzen Augenblick anders. âNein, Mom. Ich werde nicht gehen. Unser Gespräch war noch nicht beendet als er ohne zu Klopfen hereingeplatzt ist.â
â
Er ist mein Ehemann, Lorelei. Verstehst du? Wir sind verheiratet! Und jetzt gehâ, erklärte Emily kühl.
âAber ââ
âNein! Du wirst jetzt ohne Widerrede dieses Zimmer verlassen.â
âDas werde ich nicht!â, blaffte Lorelei aufgebracht. âIch werde erst gehen, wenn wir unser Gespräch beendet haben.â
âDann betrachte es als beendetâ, antwortete Emily mit zitternder Stimme.
Lorelei zuckte hilflos mit den Schultern. âWenn du es sagstâ, knallend schloss sie die Tür hinter sich und warf ihrem Mann, ihrer Tochter und ihre Vater einen wütenden Blick zu. âDiese Frau treibt mich noch in den Wahnsinn. Erst ist sie nett zu mir und dann behandelt sie mich wie eine komplette Vollidiotin. Ich versteh das einfach nichtâ, sie sank die Wand herab. âIch versteh es wirklich nicht. Warum verhält sie sich so verrückt? Warum kann sie mir nicht einmal sagen, was sie wirklich denkt? Das ist doch total schizophren.â
âSo ist Emily nun mal. So war sie schon immer.â
âToll, Dad. Wirklich klasseâ, Lorelei verdrehte die Augen. âNatürlich war Mom schon immer ein Kontrollfreak â aber nicht so. Verdammt, so war sie nie! Ich habe keine Ahnung wer die Frau da drin ist, aber sie ist definitiv nicht meine Mutter. Sie ist definitiv nicht die Frau, die ich und du und wir alle kennen. Vielleicht willst du das nicht wahr haben, aber sie hat sich verändert. Gott, Dad, sie hat sich total verändert. Ich erkenne sie nicht wieder, dieser Palmer spielt sie gegen uns aus. Er hat ihr eben erzählt, dass du hier bist. Er hat ihr erzählt, dass Thomas im Dragonfly war. Und er hat genau gewusst wie sie darauf reagieren würde. Erklär mir das. Erklär mir weshalb ââ
âLorelei!â, rief Richard seine Tochter zur Mahnung. âDu hast kein Recht so über deine Mutter oder ihren â oder über Abraham zu reden.â
âAch nein? Habe ich nicht? Habe ich nicht das Recht mir Sorgen zu machen?â, aufgebracht deutete Lorelei auf Emilys Zimmertür. âSie wollte nicht mal, dass uns irgendwer bescheid gibt, dass sie einen Autounfall hatten, während sie gleichzeitig behauptet, dass sie unbedingt bei der Hochzeit dabei sein wollte. Das ist doch krank!â
âHör auf Lorelei!â
âGib doch endlich zu, dass Mom sich total verändert hat. Sie hat
Liebling zu diesem A.rschloch gesagt. Findest du das in Ordnung, Dad? Ich nämlich nicht. Der Einzige zu dem sie das sagen sollte bist du. Du und sonst niemand!â
Richard lockerte seine Fliege und räusperte sich. âDu bist kein kleines Kind mehr, sondern alt genug um die Trennung von deiner Mutter und mir gefasst zu akzeptieren.â
âIch will es aber nicht akzeptieren. Ich will nicht, dass meine Eltern getrennt leben. Ich will, dass ihr euch wieder vertragt. Ich will das meine Eltern zusammen leben.â
âDas ist kindisch.â
âVielleicht ist es das, Dad, aber ich kann nichts daran ändern.â
âLorelei gewöhn dich langsam an den Gedanken, dass deine Mutter und ich nie wieder zusammen sein werden. Gott, wir haben uns vor bald zwei Jahren getrennt, glaubst du also wirklich ernsthaft, dass wir uns noch mal vertragen werden?â Er schüttelte den Kopf. âNein, wir sind im wahrsten Sinne des Wortes geschiedene Leute.â
âUnd weshalb bist du dann hier?â
âDas sagte ich doch schon, ich wollte nicht dass ihr in eurem Zustand noch Auto fahrt.â
âAlles klar, Dad. Und du bist nur deshalb mit zweihundert Sachen über den Highway gefegt, weil du den Motor deines neuen Mercedes voll ausreizen wolltest.â Lorelei stand auf. âIch brauch jetzt erst mal einen Kaffee.â
âIch begleite dichâ, Luke reichte ihr galant seinen Arm und deutete Rory bei ihrem GroÃvater zu bleiben.
Paris, Frühjahr 1966
Eng umschlungen schlenderten Richard und Emily die Rue de Rivoli entlang und genossen das milde Frühlingswetter.
Richard zwickte sie sanft. âDu bist so still heute.â
âBin ich das?â, sie lächelte. âIch vermute die Stadt hält mich vom Reden ab. Es gibt so vieles zu sehen.â
âJa, da hast du recht. Notre-Dame, der Jardin du Louxembourg, das Musee dâOrsay. Wirklich sehr interessant.â
âJa, sehrâ, bestätigte Emily und Richard grinste.
âWann hast du sie dir denn angesehen?â
Erstaunt sah Emily ihn an. âWas meinst du?â
âNun, Notre-Dame, der Jardin du Louxembourg, das Musee dâOrsay. Wir beiden waren heute jedenfalls nicht da.â
âAch nein? Mir kam es aber so vorâ, verwundert schüttelte sie den Kopf. âWo waren wir dann?â
âIch war im Louvre und bin anschlieÃend durch die Markthalle gelaufen. Wo du mit deinen Gedanken warst, kann ich dir allerdings nicht sagen.â
âIch ââ, Emily blieb abrupt stehen. âIch habe keine Ahnung.â
Richard lachte. âIch hoffe du erinnerst dich wenigstens daran, dass wir in Paris sind. Das liegt in Frankreich.â
âHör auf mich auf den Arm zu nehmen.â
âBekomme ich dafür die Erlaubnis dich in den Arm zu nehmen?â, er zog seine Frau an sich und küsste sie zärtlich. âWie ich dachte â das hier ist besser, als dich auf den Arm zu nehmen.â
âDu bist unmöglichâ, tadelte Emily ihn. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn erneut. âDaran habe ich auch die ganze Zeit gedacht.â
âAns Küssen?â
âNein. An dich, an uns. Daran wie es weitergeht.â
âWir sind verheiratet. Wir werden also den Rest unseres Lebens miteinander verbringen.â
âDu hast heute früh erwähnt, dass du Kinder möchtest.â
âNatürlich, du denn nicht?â
âWir, wir haben nie darüber gesprochen Richard.â
âWenn du keine Kinder möchtest dann ââ
âDoch, natürlich, aber ââ, für einen kurzen Moment zögerte sie, da ihr bewusst wurde wie nah sie davor war, Richard davon zu erzählen. âNicht jetzt, Richard. Ich würde gerne noch ein paar Jahre warten. Ich möchte erst sehen wie sich das mit uns entwickelt.â
âHast du etwa Zweifel?â
âNein, neinâ, beschwichtigend fuhr sie ihm mit der Hand über die Wange. âDu bist ein wundervoller Mann, Richard. Der Mann mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte.â
âHoffentlich.â
âEs ist nur so, es ist â wir hatten nie eine normale Beziehung. Wir sind nie richtig ausgegangen, du hast mich nie von zuhause abgeholt, zum Essen ausgeführt und anschlieÃend wieder nachhause gebracht. Wir haben diesen Teil übersprungen.â
âDann holen wir ihn jetzt eben nach.â
âJetzt sind wir verheiratet.â
âUnd?â
âNun â wir sind verheiratet und ich weià so vieles was ich nicht über dich weiÃ. Erst seit gestern zum Beispiel weià ich, dass du zu schnarchen anfängst, wenn du auf dem Rücken schläfst.â
âDas wissen andere Frauen auch erst, wenn sie verheiratet sind.â
Emily ging nicht auf seinen Einwand ein. âWas ist dein Lieblingsessen. Trinkst du lieber Rot- oder WeiÃwein? Gar kein Wein? Bademäntel: Frottee oder Seide, bevorzugst du zum Frühstück Rühr- oder Spiegeleier, Pancakes mit oder ohne Sirup, der Kaffee schwarz oder mit Milch und Zucker oder nur eines von beidemâ¦â, sprudelte sie hervor.
âEmily, bitte. Das alles ist doch nicht wichtig.â
âDoch, das ist es. Stell dir vor: Es ist dein Geburtstag und ich serviere dir Cassoulet und es stellt sich heraus, dass du Cassoulet hasst. Und was ist mit Gästen â wen werde ich einladen? Bestimmt die Falschen. Du würdest also an deinem Geburtstag vor für dich grauenhaftem Cassoulet sitzen und dabei umgeben sein von Menschen die du nicht magst. Dein ganzer Geburtstag wäre verdorben. Es wird einfach furchtbar werden, der schlimmste Tag in deinem Leben, einfach grauenha-â Richard hielt ihr den Mund zu.
âIch bin mir sicher, dass es ein ganz fantastischer Tag werden wird. Wir haben alle Zeit der Welt um herauszufinden, wer was gerne isst.â
Emily vergrub ihren Kopf an seiner Schulter. âUnd was wenn nicht? Was wenn ich nie herausfinden werde was oder wen du magst?â
âIch mag dichâ, erwiderte er lächelnd und hob ihr Kinn. âMehr noch, ich liebe dich.â
âWas ist wenn das nicht reicht?â
âEs ist etwas zu spät um jetzt noch kalte FüÃe zu bekommen, Emily.â
âIch habe keine â ich, vielleicht, jaâ, sie fuhr sich durchs Haar. âIch bin heute Morgen aufgewacht und da lagst du neben mir, dieser wundervolle Mann mit dem ich verheiratet bin und ich hatte auf einmal fürchterliche Angst, dass ich nicht deinen Vorstellungen entspreche, dass das mit uns nicht klappt.â
âWarum sollte es nicht klappen, Emily? Wir beide, wir gehören zusammen. Selbst wenn du mich an meinem Geburtstag mit einer Horde Verrückter einsperren würdest. Also hör bitte auf dir den Kopf darüber zu zerbrechen. Es wird funktionieren.â
âAber ââ
âEs wird funktionieren.â Richard zog sie an sich. âUnd jetzt lass uns essen gehen, ich bin am verhungern. Ein schönes Cassoulet wäre jetzt genau das Richtige, findest du nicht?â
Scranton, Spätwinter 2005
Trotz der eisigen Kälte saà Richard mit geöffneter Tür hinter dem Steuer seines Mercedes vor dem Krankenhaus und blies gedankenverloren Rauchwolken in die Winterluft. Er fragte sich wieso er noch immer so verletzbar in Bezug auf seine Ex-Frau war. Ex-Frau, er mochte dieses Wort nicht, aber er hatte sich mühsam angewöhnt Emily nicht mehr als seine Frau zu betrachten, schlieÃlich war sie es ja auch nicht mehr. Hatte er das eben nicht auch Lorelei mehr als deutlich zu verstehen gegeben? Ja, das hatte er, ebenso wie er gelernt hatte sich seine Anzüge selbst zu kaufen, gelernt hatte der Köchin zu sagen was er zum Abendessen wünschte, gelernt hatte welcher Cateringservice die stilvollsten Empfänge ausrichtete, gelernt hatte was er hatte lernen müssen. Aber es war ihm bislang nicht gelungen das Wichtigste überhaupt zu lernen, es war ihm nicht gelungen zu lernen damit aufzuhören, sie zu vermissen. Richard vernahm knirschende Schritte auf dem Schnee, Schritte die schlieÃlich neben ihm zum stehen kamen.
âWas wollen sie hier, Gilmore?â, ertönte Abrahams Stimme.
âIch hatte Lust auf eine Zigarre.â
âUnd deshalb sind sie den ganzen weiten Weg von Stars Hollow nach Scranton gefahren?â
âWas soll ich sagen, nirgendwo schmeckt eine kubanische Zigarre besser als in Scranton.â
Abraham musterte Richard kühl. âTatsächlich?â
âTatsächlich.â
âKommen sie schon, es war bestimmt nicht die unbändige Lust auf eine Zigarre die sie hierher verschlagen hat.â
âDenken sie was sie wollenâ, antwortete Richard gelassen. âMehr noch: Es ist mir vollkommen egal was sie denken.â
âSie scheinen endgültig begriffen zu haben, dass ich gewonnen habe.â
âGott, Palmer, hören sie endlich damit auf, ständig gewinnen zu wollen. Ist ihnen bewusst, dass sie und Emily heute verdammt viel Glück hatten? Halten sie also einfach die Klappe und freuen sich darüber, dass es nur ein paar Kratzer warenâ, er drückte seine Zigarre aus.
Abraham verschränkte die Arme âWo ist ihre Gleichgültigkeit plötzlich hin?â
âAn dem selben Ort, an dem ihr Gewissen begraben liegtâ, erwiderte Richard mit einem süffisanten Lächeln.
âMein Gewissen â wie amüsantâ, er warf theatralisch die Hände in die Höhe âBegreifen sie endlich das Emily aus freien Stücken zu mir gekommen ist. Sie ist glücklich mit mir, sehr glücklich sogar.â
âSie lügenâ, entgegnete Richard mit zusammen gebissenen Zähnen.
âVor ein paar Wochen noch wäre es eine Lüge gewesen, da stimme ich ihnen zu. Aber heute, heute sieht die Lage anders aus. Emily hat endlich erkannt, was sie an mir hat und verhält sich dementsprechend.â
âWeshalb glaube ich ihnen nicht?â
âWeil sie es nicht wollen, weil sie immer noch hoffen, das Emily zu ihnen zurückkommt. Aber das wird sie nicht tun.â
âSie können mir nicht erzählen, dass Emily sie tatsächlich ââ, er brach ab, da er plötzlich das Gefühl hatte schon zuviel gesagt zu haben, das jedes weitere Wort zuviel war.
âLiebt â ist es das was sie sagen wollten?â, Abraham zuckte mit den Schultern. âAber so ist es nun mal. Ich gebe ja zu, das ich in gewisser Hinsicht schon immer ein Faible für kleine Notlügen hatte, aber in diesem Fall bin ich ausnahmsweise ehrlich.â
Richard lachte laut auf. âGlauben sie etwa, ich hätte ihren kleinen Auftritt in meinem Büro schon vergessen? Sie hatten Angst, Palmer, riesige Angst. Nein, da steckt etwas ganz anderes dahinter.â
âVerflucht, hören sie auf ihr nachzutrauern, dass bringt doch nichts.â
âVielleicht sollten wir es darauf ankommen lassen.â Richard sah ihm mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen an. âWas wäre wenn ich Emily dazu bringe, endlich wieder Vernunft anzunehmen? Was wenn sie zu mir zurückkommen würde?â
Abraham zuckte zusammen, er würde es Richard nicht noch einmal gestatten ihn auszuspielen. âWie naiv sind sie eigentlich? Glauben sie tatsächlich ich wäre der böse Mann in diesem Stück?â Er beugte sich in den Wagen. âNein, gewiss nicht. Emily ist diejenige, die am meisten zu verbergen hat.â
âEmily? Das ist doch absurd.â
âTut mir leid, dass sie es von mir erfahren müssen, aber so ist es nun mal. Emily hat sie jahrelang belogen.â
âSo etwas würde sie nie tunâ, er stieg aus seinem Wagen und baute sich vor Palmer auf.
âNein, sie ist ja auch eine Heilige. Sie würde nie etwas tun das gesetzeswidrig oder unmoralisch ist, wie etwa ihren Ehemann zu betrügenâ, er hielt sich die Hand vor den Mund. âUps, das hat sie ja getan. Wir waren schon Mal verheiratet als sie auf der Bildfläche erschienen sind, oder haben sie das etwa vergessen?â
âWas soll das?â
âIch will ihnen lediglich dabei helfen endgültig über Emily hinwegzukommen und gefälligst aus ihrem Leben zu verschwinden.â
âVersuchen sie es doch.â
Abraham versuchte so ruhig wie möglich zu antworten, er durfte sich jetzt nicht die Karten aus der Hand lassen nehmen. âErinnern sie sich an Brian Reynolds?â
âIch ââ, irritiert hielt er inne.
âBrian Reynolds, Richard, sagt ihnen der Name etwas?â
âNatürlich tut er das. Reynolds wurde vor ein paar Jahren zu einer Haftstrafe verurteilt.â
âErinnern sie sich auch noch weswegen? Oh, ich werde diese blumigen Schlagzeilen nie vergessen.
Engelmacher landet in der Hölleâ, Abraham grinste. âArmer Mann, dabei wollte er den Frauen doch nur helfen.â
âWorauf wollen sie hinaus?â
âDas ist die falsche Frageâ, Palmer schob ein paar Schneeflocken von Richards Schulter. âSie sollte lieber Emily fragen, worauf sie hinauswollte, als sie Reynolds im Sommer 65 einen kleinen Besuch abgestattet hat.â
âNiemals ââ, würgte Richard fassungslos hervor.
âOh doch, das hat sie. Wie sieht es jetzt aus, Gilmore? Begreifen sie jetzt endlich, dass sie jahrelang nur mit der Illusion der perfekten Ehefrau verheiratet waren? Emily hat ihre Rolle wirklich gut gespielt, finden sie nicht? Jetzt stellt sich nur noch die Frage, ob sie sie nicht auch noch in ganz anderen Dingen belogen hat.â
Verbittert schüttelte Richard den Kopf. âHauen sie abâ, sagte er leise und lies sich wieder hinter das Lenkrad seines Wagens fallen.
âEs tut mir leid, wenn ich ihr Weltbild zerstört habe, aber so ist es besser für uns alle.â Palmer entfernte sich mit energischen Schritten in Richtung Haupteingang der Klinik, während Rory sich so eng wie möglich hinter eine der Betonsäulen presste, um nicht von ihm oder ihrem GroÃvater gesehen zu werden. Fassungslos starrte sie auf den dampfenden Kaffee in ihren Händen, sie konnte einfach nicht glauben was sie eben gehört hatte, dass konnte nicht wahr sein, niemals.
Als sie sicher sein konnte, unbemerkt in die Klinik zu kommen, schlüpfte Rory durch die Tür und lief eine Weile ziellos durch die verschiedenen Abteilungen bis sie irgendwann mit ihrer Mutter zusammenstieÃ.
âRory! Da bist du ja, ich habe dich schon überall gesucht.â
âÃhm, jaâ, sie rang sich ein Lächeln ab. âIch wollte Grandpa eigentlich einen Kaffee bringen, aber ichâ, sie starrte auf das mittlerweile erkaltete Getränk in ihren Händen. âIch konnte ihn nirgends finden.â
âOkay... tja, ich denke wir müssen langsam gehen, wenn Luke und ich noch unseren Flieger erwischen wollen.â
âIhr fliegt also?â
âKlarâ, Lorelei zupfte nervös an ihrem Kleid. âMom will mich sowieso nicht hier und ich habe keinerlei Bedürfnis Palmer das Händchen zu halten. Also werden wir wie geplant für drei Wochen in den sonnigen Süden entschwinden. Honeymoon.â
âKlingt gutâ, Rory hatte ihrer Mutter nicht wirklich zugehört, da sie in Gedanken noch immer voll auf mit dem Gespräch ihres GroÃvaters und Abrahams beschäftigt war.
âJa, es ist wirklich toll in einem Märchen der Gebrüder Grimm zu leben. Böser Wolf, GroÃmutter, Rotkäppchen.â
Rory nickte. âDas habe ich auch schon gehört.â
âWas habe ich eben gesagt?â
âHä? Ich, ich Rotkohl und Sauerbratenâ keine Ahnung.?â
âRotkäppchen, Roryâ, sie drückte ihre Tochter auf einen freien Stuhl. âWas ist los?â
âIchâ, Rory wippte unruhig mit ihren FüÃen. âAls Thomas hier war, er hat, er kannte Palmer wirklich nicht?â, fragte sie zögernd.
âÃhm, neinâ, Lorelei setzte ein halbherziges Lächeln auf. âWie kommst du ausgerechnet jetzt auf dieses Thema?â
âKeine Ahnung. Ich vermute deine kleine Märchenstunde hat mich darauf gebrachtâ, log Rory ihre Mutter an.
âSchon klar, lang leben die Gebrüder Grimm.â
âTjaâ, Rory starrte in den Kaffee. âWenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne hier bleiben.â
âOh, okayâ, entgegnete Lorelei mit einer Mischung aus Verwunderung und Enttäuschung. âIch mag Abschiedsszenen am Flughafen sowieso nicht sonderlich.â
âIch hätte einfach kein gutes Gefühl dabei, Grandma hier alleine zu lassen.â
âIch weià dochâ, Lorelei umarmte ihre Tochter. âDu bist einfach ein tolles Kind.â
âDankeâ, antwortete ihre Tochter mit schlechtem Gewissen.
âIch werde mich kurz von Mom verabschieden.â
âTu dasâ, Rory sah ihrer Mutter lange hinterher und zog schlieÃlich ihr Handy aus ihrer Manteltasche. Sie zögerte einen Moment ehe sie die Kurzwahltaste drückte und ihr Herz klopfte im Takt mit dem Klingeln des Telefons. Als sich die Stimme am anderen Ende der Leitung meldete, holte sie tief Luft. âDean? Hallo, ich binâs, Rory.....â
To be continued...
ATN: Es tut mir ehrlich leid, dass ihr so lange auf dieses Kapitel warten musstet. Verspreche aber mein Bestes zu geben so schnell wie möglich Kapitel 17 zu schreiben und posten! Voll süà die Idee mit dem Club, Danke
Riska