~*Kapitel 17*~
Scranton, Spätwinter 2005
âRory?â
âJaâ, entgegnete sie nervös.
âHey, wie war die Hochzeit?â
âSie war â ein echter Knüller, vor allem der Schluss. Hast du je Im Schatten des Zweifels gesehen? Nenn mich Charlie.â
âWowh, das klingt wirklich so, als wäre einiges los gewesen.â
âAllerdingsâ, Rory zählte innerlich bis drei, ehe sie weiter sprach âWir müssen reden.â
âÃber die Hochzeit?â
âHochzeit? Tja, ja. Aber nicht diese, sondern deine.â
âMeine? Worauf willst du hinaus?â
âIch will, dass du dich von Lindsay trennstâ, sie machte eine kurze Pause. âOder auch nicht. Hauptsache du tust endlich etwas.â
âSoll das ein Ultimatum sein?â
âJa, nein, kann schon sein ââ, Rory begann im Krankenhausflur auf und ab zu laufen.
âAber es lief doch so gut.â
âGut? Es lief gut? Da bin ich anderer Meinung. Ich will nicht mehr sagen müssen, hey, Leute das ist Dean, mein Ex-Freund Dean, Dean der mittlerweile mit Lindsay verheiratet ist, sondern ich will sagen können, hey, Leute das ist Dean, mein Dean, mein Freund Dean, meiner und nur meiner. Ich will mich nicht mehr irgendwie und irgendwo heimlich mit dir treffen, wenn es denn unser Zeitplan mal zulässt. Ich will dich ganz oder gar nicht, also ist das vermutlich ein Ultimatum. Ich will dass du dich endlich entscheidest. Na schön, vielleicht ist das Lindsay gegenüber nicht fair, aber ich komme momentan auch nicht besser weg, ich hab was Besseres verdient. Also entscheide dich.â
âRory, ich....das ist nicht so einfach.â
âDu hast mir doch immer wieder gesagt, dass es zwischen dir und Lindsay vorbei ist. Na schön, das war vermutlich ausgesprochen blöd von mir, aber ich hab dir geglaubt und ich habe ja auch nicht erwartet, dass du sie von heute auf morgen verlässt, aber das zwischen uns geht jetzt anderthalb Jahre. Und wenn du willst das es weiter geht, dann musst du dich von ihr trennen.â
âWas soll das? Wieso setzt du mir auf einmal die Pistole auf die Brust?â
âWeil ich keine Lust mehr habe zu lügen. Weil alle nur lügen und deshalb alles ein einziger, riesiger Schlamassel ist, in dem jeder genau das Gegenteil vom dem tut und sagt, was er eigentlich meint. Weil jeder so tut als ginge es ihm gut, und als ob alles klasse wäre, dabei ist es zum kotzen. Weil ich, weil ich plötzlich so eine Ahnung habe, keine gute, genauer gesagt eine beschissene und ich will nicht, dass es mit uns so ausgeht, oder auch nicht, dafür bedeutest du mir zuviel.â
âIch versteh kein Wort von dem was du sagst.â
âIch versteh es doch selber nicht. Ich weià nur, dass ich das schon viel früher hätte machen sollen.â
âOkay.â
âOkay?â
âIch, ich werde darüber nachdenken.â
âDarüber nachdenken? Du musst wirklich darüber nachdenken?â
âNein.â
âWas jetzt? Ja oder nein?â Es entstand ein langes Schweigen am anderen Ende der Leitung. âDean?â
âLass mir etwas Zeit, Rory.â
âIch finde du hattest bereits genug Zeit.â
âIch ruf dich an.â
Rory schnaubte enttäuscht. âNein, das wird nicht nötig seinâ, sie legte schnell auf und hätte ihr Telefon am liebsten gegen die Wand geschleudert. Was hatte sie denn erwartet? Das Dean ihr die Welt zu FüÃen legte, wenn sie ihn nur darum bat?
Quebec, Frühjahr 1966
Hand in Hand schlenderten Richard und Emily den menschenleeren Strand entlang und ihr Schweigen vermischte sich mit dem der Stille der kühlen Nachtluft, eine Stille die lediglich vom regelmäÃigen Rauschen der Wellen durchbrochen wurde. Obwohl die vom glitzernden Sternenhimmel bestrahlte Szenerie geradezu nach romantischer Stimmung verlangte, konnten beide ein Gefühl der Bedrückung nicht abschütteln. So schön alles war, schon Morgen würden sie sich auf dem Rückweg nach Amerika befinden. Sie würden die unbeschwerte Zeit der Flitterwochen hinter sich lassen und in den Alltag zurückkehren. Was hieà zurückkehren â sie würden zum ersten Mal so etwas wie einen gemeinsamen Alltag erleben und wussten nicht wie er aussehen würde, geschweige denn, ob ihre Beziehung darin überleben würde. Auch wenn Richard sein Bestes gegeben hatte, Emily davon zu überzeugen, dass alles gut gehen würde, so fiel es ihr immer noch schwer, die in ihrem Unterbewusstsein fest verankerte Angst zu unterdrücken. Ebenso wie Richard sich heimlich fragte, ob sich das leider doch unvermeidliche Geklatsche schon wieder gelegt haben mochte. Zudem war er besorgt, seine Mutter würde ihn weiterhin dazu drängen sich von Emily zu trennen. Andererseits musste sie doch wissen, dass er in Emily die perfekte Ehefrau gefunden hatte. Na schön, vielleicht war ihre Beziehung anfänglich tatsächlich nur auf einer gegenseitigen Anziehungskraft basiert, aber später â und jetzt. Die letzten fünf Wochen waren einfach umwerfend gewesen. Jeden Tag hatte er eine neue Seite an Emily entdeckt, alles an ihr schien perfekt zu sein, er konnte sich nicht vorstellen jemals einen anderen Menschen auf diese Art und Weise zu begehren und zu lieben. Er drückte ihre Hand und Emily sah ihn mit ihren groÃen, braunen Augen an. âWas hältst du von einem kleinen Bad?â, fragte er, darum bemüht diesem letzten, bislang nahezu melancholisch verlaufenen Abend, doch noch einen würdigen Abschluss zu geben.
Emily lachte. âNatürlich, das Wasser hat etwa drei Grad über Null, die perfekte Badetemperatur also.â
âDas war mein Ernst, Emily.â
âIch werde gewiss nicht in diese kalte Brühe steigen.â
âDas ist keine kalte Brühe, Liebling, das ist der atlantische Ozean.â
âMeinetwegen, dann ist es eben der sehr kalte atlantische Ozean.â
âDann kann ich dich also wirklich nicht zu einem kleinen Bad überreden?â
âNiemals.â
âZumindest nicht freiwilligâ, Richard sah sie grinsend an und Emily wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sie fühlte wie sie in die Luft gewirbelt wurde.
âGott, nein. Richard, lass mich sofort wieder runterâ, rief sie erschrocken aus.
âIch werde nicht alleine baden gehenâ, erwiderte er und trug seine zappelnde Frau ins Wasser.
âMein Kleid! Bitte lass mich runter!â, flehte sie ihn an.
âBereit?â, fragte Richard, als er bis zu den Knien im Salzwasser stand.
âDas ist wirklich nicht witzig. Wenn du das tust...â, sie fühlte wie das kalte Wasser sich wie eine eiserne Faust um ihren Körper schloss und jede Faser ihres Körpers von einem Kribbeln erfüllt wurde. Kreischend tauchte Emily wieder auf. âRichard Gilmore, das wirst du noch bereuenâ, sie warf sich auf ihn und brachte auch ihn mit einem lauten Platsch zu Fall, was sich jedoch schnell rächte, da er keinerlei Skrupel hatte sie mit nach unten zu ziehen.
Wieder an der Wasseroberfläche, schüttelte er sich prustend das eisige Wasser aus dem Haar. âDas ist wirklich verflucht kaltâ, gab er zu.
âTatsächlich?â, entgegnete Emily lachend und spritzte ihm einen Schwall Wasser ins Gesicht.
âUntersteh dich!â, protestierte Richard und hielt sie an beiden Händen fest, um sie von einer weiteren Attacke abzuhalten.
âWessen glorreiche Idee war dieses mitternächtliche Bad denn? Meine oder deine?â, neckte Emily ihn und er zog seine Frau an sich.
âIch gebe zu, sie hatte gewisse Schwächenâ, räumte Richard ein.
Am ganzen Körper zitternd schmiegte Emily sich an ihn. âGewisse Schwächen? Wir werden an einer Lungenentzündung sterben.â
âWir werden schon einen Weg finden, um uns wieder aufzuwärmenâ, er beugte sich nach unten um sie zu küssen, doch sie schüttelte den Kopf.
âWir werden aneinander fest frieren.â
âIch kann mir Schlimmeres vorstellenâ, verwarf Richard ihren Einwand und küsste sie auf ihre vor Kälte bebenden, blauen Lippen.
âSiehst du? Nichts passiert, â sagte er nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten.
âSchade eigentlichâ, flüsterte Emily lächelnd.
âVielleicht sollten wir es einfach noch Mal versuchen.â
âVielleicht sollten wir das tatsächlich tunâ, konnte sie noch erwidern, ehe sie erneut seine Lippen auf ihren spürte. âIch liebe dichâ, murmelte sie zwischen zwei langen Küssen. âIch liebe dich wirklichâ, wiederholte sie schlieÃlich atemlos. âAber ich wäre dir sehr verbunden, wenn wir wieder an Land gehen könnten.â
Scranton, Spätwinter 2005
Rory half ihrer GroÃmutter ihren Koffer zu packen, in Gedanken war sie jedoch bei Dean. Bei Dean und ihrer seltsamen Beziehung. Bei dem gestrigen Telefonat zwischen ihnen. Bei dem Gespräch zwischen ihrem GroÃvater und Abraham. Bei der Frage, ob Thomas Heywood ihre Mutter belogen hatte oder ob ihre Mutter sie belogen hatte. Bei der Frage, ob es jemanden gab der den Ãberblick hatte und die Wahrheit kannte. Bei der Frage, ob es irgendjemanden gab, der das beschissene Drehbuch zu diesem schlechten B-Movie geschrieben hatte und falls ja, wie sie ihn dazu bringen konnte die letzen Seiten auszuradieren, alles umzuschreiben und einen netten, kleinen Disney-Film daraus zumachen. Tanzende Teekannen, sprechende Tiere, fliegende Teppiche und gebauschte Ballkleider. Popcorn und Happy End für alle, Erwachsene sieben Dollar, Kinder und Rentner die Hälfte. Andererseits: Schlimmer kann es nicht mehr werden, also lasst uns feiern, der König ist tot, lang lebe der König. Carpe diem und wenn das nichts bringt, trink ihn dir schön, denn schlieÃlich in vino veritas, willst du dir rote oder die blaue Pille mein Freund? Schluck einfach beide und folge dem Kaninchen mit Hut, es wird schon wissen was es tut..... Rory rieb sich erschöpft die Schläfen und ihre GroÃmutter musterte sie besorgt. âDu siehst müde aus.â
âIch habe letzte Nacht nicht sonderlich gut geschlafen.â
âDu hättest wirklich nicht hierbleiben müssen, Rory.â
âIch wollte es aber, Grandmaâ, antwortete sie mit fester Stimme.
âDankeâ, Emily lächelte. âWir sollten uns besser beeilen, Abraham wird jeden Augenblick hier sein.â
âMmhhâ, erwiderte Rory griesgrämig.
âRory, bitte.â
âWas?â
âKannst du nicht wenigstens mir zuliebe etwas netter zu ihm sein?â, bat Emily ihre Enkelin. âIch weià du und deine Mutter haltet nicht viel von ihm, aber ich bin nun mal mit ihm verheiratet. Und auch wenn ihr das denkt â Abraham hat wirklich keinerlei Schuld an dem Unfall, das habe ich alleine zu verantworten. Ich war diejenige, die darauf gedrängt hat den Wagen zu benützen, ich war diejenige die darauf bestanden selbst zu fahren, da er mir nicht schnell genug fuhr. Ich ââ, sie seufzte. âIch war in, in Panik und jetzt, tja, jetzt werde ich vermutlich für den Rest meines Lebens wie dieser eigenartige englische Zauberer rumlaufen.â
âHarry Potter?â, Rory konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. âOh ja, die Ãhnlichkeit ist wirklich verblüffend. Aber ich schätze du hattest den besseren Unfallchirurgen.â
âDas will ich doch hoffen, die Rechnung war hoch genugâ, Emily schloss den Koffer und presste die Lippen zusammen. âRory?â
âJa?â
âEs besteht wirklich keinerlei Anlass sich Sorgen um mich zu machen, es geht mir gut.â
Rory zog eine skeptische Mine. âWirklich?â
âWirklich. Also versprich mir, deine Zeit mit etwas Sinnvollerem zu verschwenden.â
âVersprochenâ, sie nickte, obwohl sie ihrer GroÃmutter keineswegs vollauf glaubte. âAber falls du irgendetwas brauchst, oder ich dir irgendwie helfen kann, dann sag es einfach.â
âIch brauche nichts, dankeâ, entgegnete diese freundlich aber bestimmt.
âAber falls dochâ¦â, wollte Rory ihr Angebot wiederholen, doch Emily lies sie nicht aussprechen.
âRory, ich bin durchaus in der Lage selbst mit meinen Problemen fertig zu werden â wenn ich denn welche hätte.â
âIch weiÃ, tut mir leidâ, sie biss sich auf die Unterlippe. âKann ich dich trotzdem noch etwas fragen, Grandma?â
âWenn es nichts mit unserem bisherigen Gesprächsthema zu tun hat, durchaus.â
âOkayâ, Rory nahm all ihren Mut zusammen. âAls du Grandpa kennen gelernt hast, wusstest du da sofort, dass er der Richtige für dich ist?â
âRoryâ, rief Emily überrascht aus. âIch sagte doch ââ
âEs ist ein anderes Thema. Woher weià man, dass man den Richtigen gefunden hat? Es ist wichtig für mich es zu wissen, bitte.â
Emily machte eine abwehrende Handbewegung. âEs tut mir leid, aber für derartige Gespräche bin ich nicht geeignet. Ich-â
âDu warst lange mit Grandpa verheiratetâ, warf Rory ein, doch ihre GroÃmutter schüttelte den Kopf.
âFrag deine Mutter, ich bin mir sicher, dass Lorelei ââ
âMom ist gerade mal seit ein paar Stunden verheiratet. Sie hat die längste Beziehung ihres Lebens mit ihrem Bänker geführt und der ist eine Frau und kann nicht zählen.â
âDann solltest du sie unbedingt dazu überreden, die Bank zu wechseln.â
âGrandma, bitte!â
âFrag jemand anderen. Was ist mit deiner Freundin Lane? Oder Sookie? Sie ist doch seit längerem mit diesem Gemüsehändler verheiratet, frag Sookieâ, suchte Emily panisch nach einem Ausweg.
âIch will aber dich fragen und ich habe dich gefragt. Das ist wirklich sehr wichtig für mich, Grandma.â
âGott, ichâ, Emily setze sich auf das Bett und strich ihren Rock glatt. âWas willst du denn von mir hören?â
âWoher wusstest du das Grandpa der Richtige für dich ist?â
âWir haben uns scheiden lassen, also habe ich es nicht gewusstâ, wand sie ein.
âAber du hast geglaubt, dass er der Richtige ist und das war er ja auch lange, oder etwa nicht? Woher Grandma? Woher weià man es? Was ist, wenn man nicht merkt, dass er der Richtige ist? Wenn man Schluss macht und es sich hinterher als Fehler herausstellt?â, Rory war beinahe den Tränen nahe. âWar es mit dir und Grandpa so, hast du festgestellt, dass du Abraham nie für ihn hättest verlassen sollen? Das es ein Fehler war Grandpa zu heiraten?â
âDas es einâ â, stammelte sie fassungslos. âWoher weiÃt du das?â,
âDas ist doch egal, ich weià es eben. Also â hast du es bereut, dass du Abraham verlassen hast?â
âRory, ich werde nicht mit dir darüber redenâ, rief Emily aus.
âUnd warum nicht?â
âWeil es dich nichts angeht! Du hättest das niemals erfahren sollen.â
âWieso? Wieso darf ich es nicht wissen?â
âWeil ich es nicht wollte!â
âWeil du ihn nicht richtig geliebt hast? Weil es ein Fehler war, deinen ersten Mann für einen anderen zu verlassen?â
Entsetzt sah Emily ihre Enkeltochter an. âWie kannst du nur so etwas glauben? Die Trennung von deinem GroÃvater und mir hatte nichts mit Abraham zu tun. Und egal was jetzt ist, ich würde unsere Ehe nie als Fehler bezeichnen, niemals, denn ich - hätte ich ihn nicht kennen gelernt, dann wäre ich â â, sie spürte wie eine Welle der Machtlosigkeit sie umschloss â - dann gäbe es jetzt deine Mutter nicht. Und du, du Rory. Ihr beide seid â es hätte euch nie gegeben, wenn ich Richard nicht geheiratet hätte. Schon alleine wegen euch beiden hat es sich gelohnt, findest du nicht?â
Rory schluckte. âHast du ihn geliebt?â Als ihre GroÃmutter nicht antwortete, wiederholte sie ihre Frage. âHast du Grandpa geliebt?â
âIch ââ, war das Einzige, was Emily hervorbrachte.
âHast du ihn geliebt?â, bohrte ihre Enkeltochter nach.
âRoryâ¦.â
âJa oder Nein!?!â
âDas habe ichâ, sie schloss die Augen. âDas habe ichâ, wiederholte sie leise und blickte zur Tür, in der eben Abraham erschienen war. âLiebling.â
âDas Taxi wartetâ, sagte er.
âIn Ordnungâ, Emily nickte ihm zu und er hob den Koffer vom Bett.
âEs war sehr nett von dir, heute Nacht hier zu bleiben, Roryâ, sagte er.
âDas habe ich doch gerne gemachtâ, erwiderte sie so höflich wie möglich.
âSchön zu hörenâ, er ging aus dem Zimmer und Emily wollte ihm gerade folgen, als Rory sie am Ellenbogen packte und zurückhielt.
âWas?â, fragte sie verwundert.
âIch weià es von ihm, Grandma.â
âDas ist eine Lügeâ, flüsterte Emily. âFalls du deine Mutter in Schutz nehmen willst, ist das sehr ehrenhaft, aber ich weià dass Abraham nicht - das hat er nicht, das kann er gar nicht.â
âEr hat gestern Abend mit Grandpa gesprochen und ich habe es zufällig mitbekommen.â
Emily schüttelte ungläubig den Kopf. âNein.â
âDoch.â
âNein, Rory. Das hat er nicht.â
âGrandma, ich sage dir doch ââ
âNein!â
Ihre GroÃmutter war blass geworden und obwohl sie wusste, dass es besser gewesen wäre kein Wort mehr zu sagen, fuhr Rory fort. Wie konnte sie sich darüber beklagen, dass alle logen, wenn sie es auch tat? âEr hat Grandpa Dinge über dich erzählt.â
âDinge?â, brachte Emily mit trockenem Mund hervor. Nein, Abraham konnte unmöglich â er hatte es versprochen, sie hatte es sogar schriftlich von ihm. Und Rory â weshalb musste ausgerechnet sieâ¦..
âEr sagte, du ââ
âHör aufâ, unterbrach Emily sie. âIch will es nicht wissen.â
âAber ââ
âNein, Rory. Manchmal ist es besser, wenn man bestimmte Dinge nie erfährt. So wie du â ich habe dir und deiner Mutter bestimmte Dinge nie erzählt, weil es besser so war.â
âWie kann es besser sein, belogen zu werden?â
âDas ist es.â
âGrandma!â, protestierte sie.
âNein, Rory, ich möchte nicht länger darüber reden. Du hättest dieses Gespräch niemals beginnen dürfen.â
âDann interessiert es dich gar nicht, was Abraham gesagt hat?â
âNein.â
âWie kann es das nicht?â
âWeil ich keinerlei Bedürfnis habe, es von meiner Enkeltochter zu erfahren. Ich bin deine GroÃmutter, ich sollte dir ein Vorbild sein und jetzt ââ, sie brach ab. âDas Taxi wartet.â
âDu willst also einfach so tun, als wäre nichts passiert?â
âJeder spielt seine Rolle, Rory. Die einen tun es schlampig, die anderen gewissenhaft. Ich gehöre zu letzterem.â
âUm jeden Preis?â
âIch bin kein junges Mädchen mehr, Roryâ, sie strich ihrer Enkelin über die Wange. âAber du, du bist es. Also halte dich an dein Versprechen und zerbrich dir nicht den Kopf über mich oder Dinge die vor einer halben Ewigkeit passiert sind. Das alles hat keinerlei Einfluss auf dich, also befasse dich nicht damit, denk nicht über das Leben anderer nach, sondern über deines.â
Somewhere over the rainbow, Frühjahr 1966
Ãngstlich blickte Emily auf die rapid ansteigende elektronische Geschwindigkeitsanzeige des Flugzeuges, während Richard sie schmunzelnd musterte. âUnd das ist erst der Anfang.â
âDer Anfang vom Endeâ, stöhnte Emily. âWelcher vernünftige Mensch setzt sich freiwillig in so ein Höllengefährt?â
âDie Concorde ist die neueste Errungenschaft der Flugzeugindustrie, Liebling. Du wirst den Ingenieuren noch sehr dankbar dafür sein.â
âWäre ich Sylvia Plath, würde ich dir zweifellos zustimmen. Aber im Gegensatz zu ihr, hänge ich an meinem Leben.â
âDas will ich doch hoffenâ, er grinste. âAber du wirst die Concorde wirklich noch lieben lernen, denn sie wird es mir ermöglichen zehnmal so schnell von meinen Geschäftsreisen nach Hause zu kommen, wie das mit einer gewöhnlichen Maschine der Fall wäre.â
âIn einem Sargâ, erwiderte sie trocken.
âVielleicht bringt dich das ja auf andere Gedankenâ, Richard zog ein kleines, in Leder gebundenes Notizbuch aus seinem Jackett und reichte es Emily.
âWas ist das?â, verwundert schlug sie es auf.
âDie Liste.â
âDie Liste?â, sie begann in dem Buch zu blättern und ein breites Lächeln huschte über ihr Gesicht. âJonny Machete?â
âJonny Macheteâ, Richard nickte bestimmt. âEin wirklich vorzügliches Gericht.â
âMmmh..â, sie warf ihm einen skeptischen Blick zu und legte ihren Kopf an seine Schulter. âSchwindler.â
âIch darf doch sehr bitten!â
âHa! Cassoulet. Hier steht, dass du es nicht magst.â
âDamit konnte ich unmöglich am zweiten Tag unserer Ehe rausrücken.â
Emily zog die Augenbrauen hoch. âDu wirst nie wieder in eine dieser Maschinen steigen, ist das klar?â
âIch dachte wir hätten das Thema gewechselt.â
âDu hast das Thema gewechselt â und du wirst nie wieder mit diesem Ding fliegen.â
âAberâ, versuchte Richard zu protestieren, doch sie lies ihn nicht weiter zu Wort kommen.
âNein, Richard. Sie mögen vielleicht schnell sein, aber mir liegt sehr viel daran dich in einem Stück zurückzubekommen. Keine Concorde mehr.â
âKeine Concorde mehrâ, entgegnete er.
âDankeâ, sie küsste ihn zärtlich, ehe sie weiterlas. âDeborah Kerr?â
âAn affair to remember. Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklageâ, feierlich hob er seine Hände zum Schwur. âAber so reizvoll Deborah auch sein mag, du bist viel hübscher.â
âIch sollte die Stewardeà um einen Stift bitten, um zu notieren, dass du eine Vorliebe für â wenn auch äuÃerst charmante â Lügen hast.â
âWomit nur habe ich diesen Vorwurf verdient? Da lege ich dir die Welt zu FüÃen und denke mir Komplimente aus und der Lohn ist dein Spott.â
Emily verdrehte die Augen. âWenn es dich beruhigt, werde ich in Zukunft einfach so tun, als würde ich dir glauben, in Ordnung?â
âDas wäre sehr zuvorkommend, danke.â
âIch tue eben alles um meinen Gatten zufriedenzustellenâ, sie blätterte weiter. âOh mein Gott...was um alles in der Welt...â
âIch bin ein anspruchsloser Mann und irgendwie musste ich die restlichen Seiten ja füllen, sonst hätte ich mir vermutlich anhören müssen, ich hätte mir nicht genügend Mühe gegeben.â
âDas ist verrücktâ, sie strich über eine der zahlreichen Seiten, die Richard immer und immer wieder mit ihrem Namen gefüllt hatte. âUnd sehr süÃ.â
âSo bin ich nun Malâ, erwiderte er vergnügt.
âJaâ, sie sah ihn an. âJa, das bist du.â
âWarum plötzlich so ernst?â
âWeilâ¦..â, sie starrte auf das Notizbuch in ihren Händen.
âWas, Emily?â, fragte er sanft und nahm ihre Hand.
âEs ist schwer zu erklären, ich ââ, sie suchte nach den richtigen Worten. âIch war nie wirklich glücklich, ich war zwar da, ich habe gelebt, aber gleichzeitig war ich nur der Zuschauer, ich habe mir selbst dabei zugesehen, wie ich nicht lebte. Und dann, dann warst plötzlich du da. Als du mich das erste Mal geküsst hast, da, da war es als ob ich - Gott, es gibt keine Worte dafür, ich kann es dir nicht erklären. Da waren nur du und ich, alles andere hat sich aufgelöst. Ich war nie jemand der daran geglaubt hat, dass es so etwas geben könnte, aber von diesem Moment an habe ich es gewusst, ich wusste was Liebe ist. Als du mich das erste Mal geküsst hast, da war es als ob ich komplett werden würde.â
Richard wusste nicht was er sagen sollte, daher strich er seiner Frau schweigend über die Wange und sie schmiegte sich an ihn. Den Rest des Fluges verbrachten sie wortlos aneinandergelehnt, erst als die Concorde zum Landeflug ansetzte räusperte Richard sich. âIch liebe dich, das klingt so banal, ich weiÃ, aber ich liebe dich, Emily. Und falls ich das jemals nicht mehr tun sollte, dann nur weil ich tot bin â aber selbst dann würde ich dich noch lieben, denn es gibt nichts was etwas daran ändern könnte. Niemals.â
Bahamas, Spätwinter 2005
Schläfrig strich Luke sich über die Wange, drehte sich auf die andere Seite und kuschelte sich wieder in sein Kopfkissen. Doch obwohl er sein bestes gab, das Kitzeln von Loreleis Haar auf seiner Haut und die leise Musik zu ignorieren, wollte es ihm einfach nicht gelingen. âWas soll das?â, brummte er müde.
âDas ist ein cineastisches Experimentâ, gurrte Lorelei und fuhr erneut mit einer Haarspitze über Lukes Wange.
âDas kitzelt.â
âDas soll es auchâ
âIch habe seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen, ich bin hundemüde.â
âSo was hätte sich Bo Derek niemals anhören müssenâ, seufzend lies Lorelei sich neben ihren Ehemann fallen.
âDie Nummer mit dem Bolero hat auch bei ihr nicht gezogen.â
âNur weil Julie Andrews Zuhause auf Dudley Moore gewartet hat. Gegen Mary Poppins kommt selbst Bo Derek nicht anâ, sie stupste Luke. âAlso? Wer hält dich von deiner Traumfrau fern? Mrs. Kim? Patty? Ohhhh â Taylor, es ist Taylor, seine Strickweste turnt dich an, du schamloser Gigolo.â
âFür fünf Prozent auf Dosensuppen würde ich über Leichen gehen.â
âFünf Prozent? Für lumpige fünf Prozent reiÃt du mir das Herz aus dem Leib? Weh mir, ich bin verloren. Doch sehet - Rache naht: Ich werde Taylor davon in Kenntnis setzen, dass du es warst, der die Kirchenglocken für immer zum Schweigen gebracht hatâ, sie hob Zeige- und Mittelfinger. âGanze zwei Mal!â
âDu warst meine Komplizin.â
âDu hast mich dazu gezwungen.â
âIch? Dich? Die offizielle Version lautet aber anders.â
âWir sind verloren, oh sole mio, mio amore, amore mio, Taylors Rache wird schrecklich sein.â
âTaylor? Der kann uns doch höchstens mit seinen überteuerten Tomaten bewerfen.â
âSag so was nicht. Rasier Taylor den Bart ab, steck ihn in einen gelben Einteiler und schon hast du eine bessere Braut als Uma es jemals sein wird. Rache ist ein Gericht das man am besten kalt serviert.â
Luke stützte sich auf seine Ellenbogen. âWenn ich dir versichere, dass du auf einer Skala von eins bis zehn eine dreizehn bist, lässt du mich dann schlafen?â
âKommt ganz darauf an, wie du Taylor auf dieser Skala bewertestâ, erwiderte Lorelei achselzuckend.
âDu spinnst.â
âGold.â
âWas?â
âIch spinne Gold und heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hole ich der Frau Königin ihr Kind.â
âGott, wie kann ich dich nur zum Schweigen bringen?â
âKüss mich, küss mich lange, mein Prinz!â
Luke kam ihrer Aufforderung nach. âKönigâ, murmelte er grinsend, als sie sich wieder voneinander gelöst hatten.
âWas?â
âKönig, nicht Prinz. Eine Königin hat immer einen König an ihrer Seite.â
Lorelei strahlte. âIch werde gleich morgen früh einen Dankesbrief an Tupper schicken, du bist das beste Produkt, das sie mir jemals geliefert haben.â
âIch bin robusterâ, sie küssten sich erneut. âUnd ich werde mich bei deinen Eltern bedanken müssen, mit dir haben sie Tausende anderer amerikanischer Eltern übertroffen.â
âOh!â Lorelei schob Luke von sich weg.
âWas?â
âWas?â, mit einem Satz war sie auf den Beinen. âWir brauchen Holz, viel Holz. Und Streichhölzer. Petroleum, glaubst du sie haben welches an der Rezeption?â
Entgeistert sah Luke sie an. âWofür brauchst du mitten in der Nacht Holz und Petroleum?â
âUm die Hütte niederzubrennen, das ist nämlich die einzige Möglichkeit das Bild, das du von meinen Eltern heraufbeschworen hast, wieder zu zerstören.â
âDas ist jetzt wirklich albern.â
âFindest du?â, sie stemmte die Hände in die Hüften. âWürdest du etwa unanständige Sachen mit mir machen, wenn uns deine Eltern dabei zusehen?â
âDeine Eltern sind nicht hier.â
âIhre Aura ist es â und sie tötet jegliches Gefühl für Romantik in mir ab.â Lorelei schüttelte sich. âIrgh!â
âIrgh?â
âIrgh, irgh, irgh!â
âKeine Sonne für dich, morgen.â
âIch muss nur an sie denken und schon läuft es mir kalt den Rücken runter. Ladies und Gentlemen, darf ich ihnen vorstellen: Mr. Und Mrs. Manson, meine Eltern.â
âEntspann dich, Lorelei.â
âIch kann mich nicht entspannen, bevor ich nicht diese Hütte niedergebrannt habeâ, sie griff nach einer Jacke. âUnd danach werde ich genüsslich eine Zigarre rauchen und Whatâs love got to do with it singen.â
âHör endlich damit auf deinen absurden Verschwörungstheorien nachzujagen.â
âDas sind keine Theorien, du weiÃt was Thomas mir erzählt hat.â
âDas ist vierzig Jahre her.â
âUnd?â
âSelbst Morde verjähren nach fünfundzwanzig Jahren.â
âNicht bei den Gilmores, die Gilmores vergessen nie etwas. Bei den Gilmores muss man sein Leben dafür büÃen, dass man als kleines Kind sein neues Seidenkleid mit Traubensaft bekleckert hat.â
âLorelei, kannst du dir denn überhaupt nicht vorstellen, dass es keinen bösen Mann in diesem Stück gibt? Das deine Mutter Palmer aus freiwilligen Stücken geheiratet hat?â
âWürdest du freiwillig Freddy Krüger heiraten?â
âVielleicht hat er verborgene Qualitäten von denen wir nichts ahnenâ, versucht Luke seine Frau zu besänftigen.
âDas hat jetzt wirklich ein IRGH verdient!â
Er zog Lorelei wieder zu sich aufs Bett und legte seine Arme um sie. âDein Dad hat Recht, du solltest die Scheidung deiner Eltern wirklich langsam akzeptieren.â
Seufzend kuschelte sich Lorelei an ihn. âVermutlich hast du Recht. Aber Palmer â warum musste Mom ausgerechnet ihn heiraten?â
âNun, sie waren schon einmal verheiratet, sie kennen sich.â
âSie hat ihn damals aus finanziellen Gründen geheiratet, was ist wenn es jetzt wieder so ist?â
âWas wenn nicht? Was wenn sie einfach nur froh war, jemanden zu habenâ, erstaunt sah seine Frau ihn an und Luke zuckte mit den Schultern. âMenschen tun oft seltsame Dinge, wenn sie sich einsam fühlen.â
âAber sie hat doch ââ, Lorelei hielt inne und schluckte. âIch schätze du hast Recht.â
Eine Weile saÃen beide schweigend da und hingen ihren Gedanken nach, bis Lorelei plötzlich wieder aufsprang und nach ihrer Handtasche griff.
âWas hast du vor?â, fragte Luke sie überrascht.
âRäucherstäbchen kaufen, die Hochzeit war ziemlich teuer und wir werden es uns nicht leisten können, dem Hotel eine ganze Hütte zu bezahlen.â
âHabe ich dir heute schon gesagt, dass du ââ
â- spinnstâ, beendeten beide den Satz gleichzeitig.
Luke lächelte. âSo verrückt du auch bist, Lorelei Gilmore, ich liebe dich.â
âVersprochen?â
âVersprochen.â
Lorelei verschwand fröhlich strahlend aus der Hütte und Luke lies sich zurück auf die Kissen fallen. âHappily ever afterâ, murmelte er noch, ehe er wieder einschlief.
New Haven, Frühjahr 2005
Genervt ging Paris vom Wohnzimmer zurück ins Schlafzimmer, warf einen groÃen, braunen Umschlag vor Rory und baute sich mit verschränkten Armen vor ihr auf.
âIch soll dir das hier geben.â
Sie schob den Umschlag von sich weg. âWas auch immer das ist, ich werde es nicht anfassen, geschweige denn lesen.â
âHör zu, ich renne jetzt seit einer viertel Stunde zwischen Wohn- und Schlafzimmer hin und her, weil die gnädigen Herrschaften nicht miteinander sprechen, aber ich habe keine Lust jetzt auch noch den Postboten zu spielen, ist das klar?â, zischte sie.
âDann wirf ihn raus!â
âMal abgesehen davon, dass er nicht auf mich hören würde, löse ich doch nicht deine Beziehungsprobleme. Das kannst du schön selbst machen!â
âDann wirst du wohl oder über weiterhin den Boten spielen müssenâ, Rory warf Paris den Umschlag zu. âSag ihm er und sein blöder Brief sollen sich zum Teufel scheren!â
âNa schönâ, grummelnd verschwand sie im Nebenzimmer, kam jedoch schon nach wenigen Sekunden wieder zurück. âRomeo sagt, er geht erst, wenn du das gelesen hast.â
âDa kann er lange wartenâ, trotzig verschränkte Rory die Arme.
âOkay.â, Paris riss den Umschlag auf und zog einen Stapel Papiere hervor.
âHey, was soll das!?â, blaffte Rory sie an.
âIch hab die Schnauze voll von diesem Kindergartentheater!â, sie überflog die ersten Zeilen des Papiers und ihre Kinnlade fiel nach unten. âWowh.....â, schweigend las sie weiter, während Rory unruhig auf dem Bett hin und herrutschte und ihren Hals streckte. âParis, ich bin auch noch daâ, versuchte sie erfolglos auf sich aufmerksam zu machen. âGround Control to Major Tom!â, ungeduldig sprang sie auf und riss ihrer Freundin die Lektüre aus der Hand. âSchon Mal was vom Postgeheimnis gehört? Oh mein Gott!â, sie sah Paris mit weit aufgerissenen Augen an. âOh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott!â, sie lies die Papiere zu Boden fallen und wischte sich die Hände an den Hosen ab.
âTja, der kann dir jetzt auch nicht mehr helfen, du hast eine Ehe auf dem Gewissen. Und ich dachte immer ich wäre die Bacchantischere von uns beiden.â
âOh mein Gott, ich gehöre hinter Gitter, ruf die Polizei, nein besser, das FBI, die CIA, die sollen mich sofort abholen und für immer einsperren.â
âDu bist nicht die erste Frau, die der Grund für eine Scheidung ist.â
âGott, Paris, was soll ich denn jetzt machen?â
âHör auf ständig Gott zu sagen.â
âWas ist, wenn er es eines Tages bereut?â
âIch bin kein Beziehungsratgeber, okay?â
Rory packt Paris an beiden Armen. âAber du bist intelligent, ehrlich, du bist vermutlich die intelligenteste Frau im Umkreis von einer Milliarde Meilen, also hilf mir!â
âDeine Verzweiflung ist wirklich erbärmlich.â
âIch weiÃ, aber du bist wirklich meine letzte Hoffnung.â
âLass mich los.â
âNur, wenn du mir versprichst, mir zu helfen.â
âJa, doch!â
âGutâ, sie lieà Paris los. âAlso?â
âAlso â also du wirst jetzt ins Wohnzimmer gehen, ihm sagen, dass du dich wirklich geschmeichelt fühlst, aber dieses Angebot nicht annehmen kannst, da es sämtlichen ethischen und moralischen Grundsätzen deiner Erziehung widerspricht.â
âUnd wenn ich das nicht will?â
Genervt verdrehte Paris die Augen. âWas willst du dann?â
âIch weià es nichtâ, gab Rory kleinlaut zu. âIch habe Angst. Angst, dass er irgendwann wieder zu ihr zurück geht und mich alleine lässt.â
âNatürlich hast du die, aber was sollâs? Man muss hin und wieder ein Risiko eingehen.â
âMein Plan sah anders aus.â
âDas hättest du dir überlegen müssen, bevor du dich wieder mit ihm eingelassen hast. Aber das hast du nicht, du hast dir nämlich gedacht, s.cheià drauf, er ist süÃ. Du hast dich also eigentlich schon vor langer Zeit entschieden. Vielleicht stellt es sich hinterher als Fehler heraus â aber was sollâs? Man kann nicht immer alles planen â denn sonst wäre ich jetzt nicht hier, sondern in Harvard. Und ich hätte auch nie Asher kennengelernt und wir wären kein Paar. Hättest du mir vor drei Jahren gesagt, das mein Leben heute so aussehen würde, hätte ich dich ausgelacht und gesagt, du spinnst, der Plan sieht anders aus. Der Plan hat sich als hinfällig erwiesen und weiÃt du was? Ich bin froh darüber!â, Paris deutete mit dem Kopf in Richtung Tür. âWenn du mich jetzt allein lassen würdest, ich habe zu lernen.â
Rory nickte lächelnd. âDanke!â, sie schnappte sich die Scheidungspapiere vom Boden und ging ins Wohnzimmer. âHey, Deanâ, begrüÃte sie ihn mit einem Lächeln auf den Lippen.
Er stand auf. âWie ich sehe hat Paris endgültig die Schnauze voll.â
âSo ist Parisâ, Rory ging ein paar Schritte auf ihn zu. âTja, was, was machen wir jetzt?â
âWir könnten einen Kaffee trinken gehenâ, er legte seine Arme um Rorys Hüften.
âKlingt gutâ, sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. âWillkommen zurück in meinem Leben.â
Hartford, Sommer 2003
Sorgfältig legte Emily die notwendigsten Gegenstände in einen Koffer. Ihre Wut war schon längst Enttäuschung gewichen, Enttäuschung darüber, dass Richard sich ihr komplett verschloss. Er hatte sie belogen, er hatte sich heimlich mit Pennilyn getroffen und es ihr verschwiegen. Erst das und dann dieser Brief ihrer Schwiegermutter. In den siebenunddreiÃig Jahren ihrer Ehe, hatte er ihn nie auch nur mit einem Wort erwähnt. Sie wusste, dass sie ihm auch vieles verschwiegen hatte, Dinge die sie ihm eigentlich hätte erzählen müssen, aber sie konnte es einfach nicht. Richard hingegen, sie hatte ihm immer blind vertraut und jetzt - sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er ihr gegenüber das letzte Mal offen und ehrlich gewesen war. Seit er seine eigene Firma gegründet hatte, war er wie verwandelt, er hatte sich in einen Berg aus Akten und Verträgen zurückgezogen. Seine Welt drehte sich um Kunden und Versicherungsabschlüsse, seine Familie schien für ihn nicht mehr zu existieren. Anfänglich hatte sie damit gerechnet, dass sich diese Verbissenheit wieder legen würde, aber das hatte sie nicht, im Gegenteil, sie schien zu wachsen. Er setzte für seine verdammte Firma wirklich alles aufs Spiel. Sie hätte vielleicht damit leben können, wenn er nicht auch noch die Beziehung zu Lorelei und somit auch Rory gefährdet hätte. Wie hatte er Lorelei nur derart abfertigen können? Seine Kaltschnäuzigkeit ihrer Tochter gegenüber hatte sie schockiert. Sie erkannte Richard nicht wieder, sie wusste nicht mehr wer er war oder wie sie mit ihm umgehen sollte. In letzter Zeit hatte sie sich immer wieder dabei ertappt, wie sie ihn erstaunt angesehen hatte und sich gefragt hatte, wer dieser Mann war, was er mit dem Mann den sie geheiratet hatte gemacht hatte. Sie lebten nicht mehr miteinander, nicht einmal nebeneinander, sie waren wie zwei Fremde die sich im Hotel zufällig über den Weg liefen und aus purer Höflichkeit ein paar Worte miteinander wechselten. Immer und immer wieder dieselben Floskeln, leere Phrasen die man eigentlich gar nicht hören will. Gespräche die sich auf das Notwendigste beschränkten, geführt um das unangenehme Gefühl abzuschütteln, dass entstand, wenn man sich eigentlich nichts mehr zu sagen hatte, aber die drückende Stille als peinlich empfand.
Langsam schloà Emily den Deckel ihres Koffers und lies die Schlösser einrasten. âFertigâ, sagte sie zu sich selbst, hievte den Koffer schwungvoll vom Bett und trug ihn in die Eingangshalle. Dort stellte sie ihn mit einem leisen Klack auf den alten Parkettboden, schlüpfte in ihren Blazer und griff nach ihrer Handtasche. Emily ging auf Richards Arbeitszimmer zu und für einen Moment beschlichen sie Zweifel, Zweifel die sie jedoch versuchte abzuschütteln. Sie atmete tief durch und öffnete die Tür mit kalten Händen. âRichard?â
Er blickte von seinem Buch auf. âWas ist denn noch?â
âIch wollte dich lediglich davon in Kenntnis setzen, dass ich jetzt gehen werde.â
âIn Ordnungâ, erwiderte er unkonzentriert und sie biss sich auf die Unterlippe.
âWir sehen uns am Freitag, Richardâ, fügte sie hinzu.
âGut.â
Emily lachte laut auf und Richard zog verwundert die Augenbrauen zusammen. âWieso ââ
âWeiÃt du, für einen kleinen Moment habe ich mich gefragt, ob ich wirklich das richtige tue, aber ââ, sie zuckte mit den Schultern. âHast du mir überhaupt zugehört, Richard? WeiÃt du überhaupt noch, dass ich auch in diesem Haus lebe?â, Emily versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. âWie auch immer, das ist jetzt sowieso egal. Tu du, was du tun musst, Richard. Du wirst es allerdings ohne mich tun.â Sie machte auf dem Absatz kehrt und lies einen verdutzten Richard zurück, der wie angewurzelt da saÃ, unfähig sich zu bewegen, während er versuchte zu begreifen, was eben geschehen war - mit einem Satz war er auf den Beinen und lief ihr hinterher. âEmily! Emily!â, schrie er. âVerdammt, bleib hier!â
Er rannte nach drauÃen, wo seine Frau gerade lautstark die Tür ihres Kofferraums zuknallte.
âWas soll das, Emily? Du kannst doch nicht....â
âUnd wie ich kannâ, sie stieg in den Wagen. âIch verlasse dich, Richard.â
âWarum?â, fragte er aufgebracht.
âDarum, Richardâ, antwortete sie resigniert und startete den Motor. âWeil dir vermutlich erst aufgefallen wäre, dass ich weg bin, wenn du heute Abend für irgendeines deiner ach so wichtigen Geschäftsessen die passende Fliege zu deinem Jackett gesucht hättest.â
âDas ist doch lächerlich, du wirst sofort wieder ins Haus kommen, Emily!â Ohne weiter auf ihn einzugehen, setzte sie den Wagen rückwärts aus der Einfahrt und Richard sah ihr fassungslos hinterher. Als sie schon längst auÃer Blick- oder Hörweite war, fand er endlich seine Sprache wieder. âDas ist unglaublich kindisch, hörst du Emily. Das ist einfach nur lächerlichâ, brüllte er, doch die einzige Antwort war das leise Flattern der Flügel eines Vogels, der erschrocken gen Himmel flog.
Detroit, Frühjahr 2005
Abraham beobachtete Emily, wie sie am Schreibtisch saà und konzentriert ihre Unterlagen durchging. Er konnte es einfach nicht fassen, er hatte es tatsächlich endlich geschafft zu gewinnen. Spätestens seit diesem dummen, kleinen Unfall gehörte sie ganz ihm. Richard Gilmore war nur noch eine blasse Erinnerung, ein Geschwür das ihm einst Magenschmerzen bereitet hatte und jetzt lediglich ein mitleidiges Lächeln hervorrief. Vielleicht hätte er es früher schon auf diese Art und Weise versuchen sollen, aber er war jung gewesen, er hatte sich nicht unter Kontrolle gehabt, er hatte noch nicht gewusst wie er eine Frau wie Emily behandeln musste. Nun, jetzt wusste er es. Sie würde alles für ihn tun, alles, er hatte jede Pore ihres Körpers für sich vereinnahmt. Endlich â er hatte schlieÃlich lange genug gewartet. Und es war um so vieles besser, als sie zu etwas zu zwingen. Sie hatte eine Weile gebraucht, um zu verstehen, was er von ihr wollte, aber er hatte es geschafft sie zu überzeugen, er hatte es wirklich geschafft. Alles hatte sich wie von Zauberhand gefügt, jetzt musste er es lediglich noch schaffen, die Verbindungen endgültig zu kappen, jedes Risiko musste ausgeschlossen werden. Es lag ihm fern, Emily weh zu tun, aber er musste es in diesem Fall tun. Lorelei und Rory waren zu sehr mit dem Stigmata Richard behaftet, als das er ihre Nähe gestatten konnte.
âFindest du nicht, du hast genug für heute erledigt?â, fragte er seine Frau und sie sah überrascht auf.
âNicht genug, es gibt einfach zuviel zu tunâ, entgegnete sie. âSchlieÃlich muss alles perfekt werden.â
âDie vollkommene Party also?â
âDu wirst schlieÃlich nur einmal fünfundsechzig, da muss alles vollkommen sein.â
âDann kann ich also davon ausgehen, dass ich ein besonderes Geschenk bekomme?â, er grinste.
Emily klappte die blaue Ledermappe zu, erhob sich und ging zu ihm. âAllerdingsâ, sagte sie mit funkelnden Augen und küsste ihn auf die Wange. âDu hast es schlieÃlich verdient, mein Lieber.â
âEigentlich habe ich ja schon alles was ich willâ, er musterte Emily âWenn ich auch sehr lange darauf warten musste.â
âManchmal muss man eben lange warten, um zu bekommen was man will.â
âLange? Du nennst achtunddreiÃig Jahre lange? Ich nenne es eine Ewigkeit.â
Sanft tätschelte Emily seine Hand. âJa, aber hast du nicht immer gesagt, dass man alles bekommt, wenn man es nur fest genug will.â
âHabe ich das gesagt?â
âNun, du könntest es gesagt haben.â
Abraham lachte. âDa gebe ich dir Rechtâ, er zog Emily an sich und küsste sie. âLass uns zu Bett gehen.â
âIn Ordnungâ, sie nickte. âIch muss nur noch ein Telefonat führen.â
âUm diese Zeit?â, überrascht sah er auf seine Armbanduhr.
âEuropa, Liebling, da gehen die Uhren anders.â
âLangsam machst du mich wirklich neugierig.â
Emily schüttelte den Kopf. âVon mir wirst du kein Wort erfahren.â
âIch hatte schon immer eine Schwäche für mysteriöse Frauen.â
âMysteriös ist wohl kaum eine treffende Beschreibung für mich.â
âNun, in gewisser Hinsicht bist du tatsächlich ein offenes Buch für mich.â
âDann weiÃt du also schon alles?â
âWenn ich wollte, sicherlich â aber was wäre ein Leben ohne kleine Geheimnisse?â
âSiehst du?â, sie hob lächelnd die Augenbrauen. âUnd jetzt solltest du mich besser alleine lassen, denn sonst wäre jegliche Spannung verflogen.â
âDein Wunsch ist mir Befehl.â
âDankeâ, sobald er das Zimmer verlassen hatte, ging Emily zurück an den Schreibtisch. Sie griff nach der blauen Mappe und ihr Blick blieb auf dem goldenen Ring an ihrem kleinen Finger hängen. Sie strich über ihn und musste unwillkürlich Lächeln. Richard hatte sich in ihrer RinggröÃe völlig verschätzt, aber sie hatte ihn trotzdem behalten, schlieÃlich hatte ihr den Ring zu ihrem ersten Hochzeitstag geschenkt. Der erste â und heute wäre ihr neununddreiÃigster gewesen. Emily rieb sich die Schläfen und versuchte das vertraute Brennen an ihrem Gaumen zu ignorieren, ein Brennen das sich langsam in ihrem ganzen Körper ausbreitete. âNeinâ, flüsterte sie. Nicht jetzt. Nicht schon wieder. Aber so sehr sie auch versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, es wollte ihr nicht gelingen. Sie war zum greifen nahe, sie schien sich wie ein unkontrollierbares Buschfeuer in einem ausgetrockneten Wald auszubreiten. Angst. Angst, die sich wie eine Schlinge um ihren Hals zog und ihr keine Luft mehr zum Atmen lies. Kleine, bunte Sterne, Sterne die in allen Farben vor ihren Augen tanzten. Ein Tanz, der ihr jegliche Luft zum Atmen nahm, während sich das Parkett unter ihr teilte und sie das Gefühl hatte zu fallen, immer schneller werdend zu Boden zu stürzen, einen Boden den sie niemals erreichen würde, ein Fall der kein Ende zu nehmen schien. Der kühle Fallwind lies sie am ganzen Körper erschauern. Kälte die nahezu greifbar war, obwohl ihr Körper im selben Augenblick durch die Geschwindigkeit des Falles zu verglühen schien. Angst, die jede Faser ihres Seins erfüllte, sie wie ein kleines Kind in der Dunkelheit fühlen lies, unfähig um Hilfe zu bitten, unfähig zu schreien, da das Entsetzen sie wie der Biss einer giftigen Schlange lähmte. Angst, die sie gefangen hielt, gefangen in einem endlosen Labyrinth, ein Labyrinth das aus dornigen Sträuchern bestand, Dornen die sich mit ihren spitzen Enden in ihren Körper zu materialisieren schienen, sie festnagelten, ihr keine Möglichkeit lieÃen sich zu wehren.
Doch das Schlimmste war, dass sie zum ersten Mal seit langer Zeit nicht wusste woher sie kam, es gab keinen Grund sich zu fürchten â und trotzdem war sie da, so allgegenwärtig wie das Salz im Meerwasser, wie die brennende Sonne in der Wüste, wie das Laub im Herbst und der Schnee im Winter.
Nach Atmen ringend öffnete sie die Augen und sog die Luft so gierig ein, wie ein Verdurstender das flüssige Gift. Sie hatte beinahe vergessen, wie es war jegliche Kontrolle zu verlieren, wie es war wie ein von wilden Hunden gehetztes Kaninchen Haken zu schlagen, zu Fliehen ohne Aussicht auf Entkommen. Es war Jahre her gewesen seit sie sich das letzte Mal so gefühlt hatte, seit sie das letzte Mal in Panik vor sich selbst davongelaufen war, seit sie das letzte Mal dachte an sich selbst und ihrer Angst ersticken zu müssen. Seit ihr Herzschlag das letzte Mal wie ein immer schneller werdender Metronom in ihren Schläfen gepocht hatte, geradeso als ob eine unsichtbare Macht ihren Schädel zerquetschen würde, sie selbst wie einen Schwamm auswrang und das Leben aus ihr spülte. Lediglich in Momenten realer Bedrohung waren die Attacken hin und wieder zurückgekehrt, aber sie hatte gelernt damit umzugehen, sie hatte es geschafft sie zu verdrängen, sich beim ersten Anzeichen abzulenken und es hatte funktioniert, sie waren letztlich gänzlich verschwunden. Nur einmal in all den Jahren ihrer Ehe mir Richard hatte sie das aufkeimende Gefühl nicht unterdrücken können, hatte sie nicht mehr die Kraft dazu gehabt die Angst im Keim zu ersticken, hatte sie es sich gestattet sich Schwäche einzugestehen, sich weinend an ihn zu klammern, so wie ein Ertrinkender sich an einen Strohhalm klammerte. Die Zeit war wie in Zeitlupe an ihr vorbeigelaufen, eine Woche erschien ihr wie ein Jahr, ein Jahr in dem sie dachte sterben zu müssen. Sie hatte den Ausdruck in seinen Augen gesehen und sich geschworen diesem Gefühl nie wieder nachzugeben. Und sie hatte es nicht, es verschwand. Sie hatte gedacht sie würde sich nie wieder so fühlen. Doch der Schnee, das leise Rauschem des Fahrtwindes hatte ihr schon vor wenigen Wochen wieder den kalten Schweià auf die Stirn getrieben. Nach so langer Zeit war es plötzlich wieder da gewesen, so wie es jetzt wieder da war. Doch dieses mal ohne Grund. Es gab keinen Grund, da war nichts vor dem sie sich fürchten müsste und trotzdem â sie blinzelte und ihr Blick fiel auf die Mappe. Obwohl die blaue Farbe ihren Augen schmerzte, griff sie nach ihr und schlug sie auf. Es war noch so vieles zu tun, so vieles zu erledigen, so vieles zu organisieren. So plötzlich wie die Angst da gewesen war, war sie wieder weg. Ein Wimpernschlag nur, der sie vom Chaos zurück in die Ordnung geführt hatte. Es war vorbei.
To be continuedâ¦
ATN: Sorry, sorry, sorry, bitte packt die Wate wieder weg *SICHDUCKT* ich weià ihr musstet mal wieder viel zu lange warten, aber bei mir herrscht zur Zeit totales Durcheinander â und ich habe festgestellt, dass man sich ab 23 tatsächlich diese bescheuerten âWie siehtâs denn mit den Männern ausâ â Fragen anhören muss, bloà weil man noch nicht fünf Kinder in die Welt gesetzt hatâ¦*GG* Bridget Jones lässt also grüÃen â hoffe euch hat dieses Kapitel wenigstens von allem was euch so nervt abgelenkt. Lg, Riska.