~*Kapitel 19*~
Hartford, Frühsommer 2005
Mit einem gewissen Anflug von Unbehagen und deutlicher Unschlüssigkeit wie sie den Abend auf schickliche Art und Weise beenden sollten, standen Richard und Emily vor dem Restaurant. Sie hatten die letzten Stunden mit harmlosen Gerede über Musik, Kunst und andere Länder verbracht â es war tatsächlich so gewesen, als hätten sie sich an diesem Abend zum ersten Mal kennen gelernt. Sinnloses Gestammel, um das eigentliche Thema herum, hohe Konzentriertheit beim Kauen â gerade so als ob es eine religiöse Handlung wäre, peinlich bemühte Höflichkeit, scheu gesenkte Blicke.
âNunâ¦â
âAlsoâ¦â, begannen beide gleichzeitig und unterbrachen sich sofort wieder. Einige Sekunden betretenen Schweigens vergingen, bevor sich Richard schlieÃlich wieder räusperte.
âEs war doch, also eigentlichâ¦â, er brach ab.
âJa, das war esâ, entgegnete Emily nickend.
âDas freut mich ungemein.â
âJa, ja, das tut es.â
âVielleicht sollten wir das ganze dann irgendwann wiederholen.â
âDie Optionâ¦..â
âDie Option.â
Wieder entstand eine kleine Pause in der sich beide fieberhaft überlegten, was sie tun oder sagen sollten, und wieder war es Richard, der als erstes das Wort ergriff.
âDu könntest mir vielleicht deine Telefonnummer geben und ich könnte dich dann - natürlich nur wenn es sich ergibt und du nichts dagegen hast - anrufen.â
âJa, natürlich, das wäre wohl das klügsteâ, sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu. âHast du vielleicht etwas zu schreiben?â
âOh, selbstverständlichâ, ungeschickt begann er sein Jackett nach einem Füller zu durchsuchen, während Emily angestrengt auf ein flackerndes Neonschild starrte. âHierâ, fündig geworden, reichte er ihr einen Stift.
âDankeâ, sie zog die Augenbrauen hoch. âIch, du hast nicht zufällig auch etwas Papier?â
âPapier?â, verlegen klopfte er seine Taschen erneut ab. âNein, tut mir leid.â
âNun vielleicht habe ich jaâ¦.â, sie öffnete ihre Handtasche und durchkramte sie eiligst, wenn auch ohne Erfolg. âVielleicht sollten wir das als böses Omen sehenâ, sie lachte nervös. âWir scheitern schon an so einer Kleinigkeit wie einer einfachen Telefonnummer.â
âDas wäre eine Schandeâ, er hielt ihr seine offene Handfläche hin.
âWas soll das?â, fragte sie erstaunt.
âWas sich über Jahre als perfekter Platz für Einkaufslisten und Spickzettel bewährt hat, dürfte wohl auch ein sicherer Platz für eine Telefonnummer sein.â
âMan schreibt sich wichtige Dinge nicht auf die Handfläche, Richard. Man wäscht sich die Hände oder schwitzt und schon sind sie weg, das ââ
âIch verspreche dir, heute Abend nichts dergleichen zu tun.â
âIn Ordnungâ, sie schraubte den Deckel vom Stift und griff nach seiner Hand, zog ihre jedoch sofort wieder wie elektrisiert zurück. âOh Gott.â
âEmily?â
âIch, ich kann das nichtâ, stammelte sie.
âSchreiben hast du schon in der Schule gelernt.â
âNein, Richard, das meine ich nichtâ, sie gab ihm den Stift zurück. âIch kann nicht so tun, als wäre das hier, als würden wir uns nicht kennen, als könnte ich jemals vergessen, was zwischen uns war.â
âWar es denn so schlimm mit mir verheiratet zu sein?â
âNein, nein, natürlich nicht, aber ââ
âAber was? Nenn mir einen vernünftigen Grund?â
âNun, ich â weil es nun mal so istâ, stammelte sie.
âIch sprach von vernünftigen Gründen, Emily. Weshalb sollten wir nicht noch einmal Essen gehen? Weshalb sollten wir nicht versuchen, ganz langsam versteht sich, einen Neuanfang zu machen?â
Emily fuhr sich die Stirn entlang. âIch muss wegâ, hastig kehrte sie Richard den Rücken zu und eilte zu ihrem Wagen, stieg ein und steckte den Schlüssel mit zitternden Händen ins Zündschloss. Gerade als sie ihn umdrehen wollte, fühlte sie jedoch eine Hand auf ihrer.
âDu solltest nicht fahren, wenn du so aufgeregt bist.â
âIch bin nicht aufgeregt, Richard. Es geht mir gut, danke der Nachfrage. Und jetzt verlass bitte umgehend meinen Wagen.â
Er verschränkte die Arme. âDas werde ich nicht.â
âRichard!â, rief sie aus. âDu wirst sofort diesen Wagen verlassen oder ich rufe die Polizei.â
âDas würdest du nicht tun.â
âNatürlich würde ich das tunâ, als Richard keinerlei Anstalten machte ihrer Aufforderung nachzukommen, zog sie ihr Handy hervor. âUnd ich werde es tunâ, eilig klappte sie es auf und wählte die ersten Ziffern des Notrufes, hielt jedoch inne. âGott, Richard, bitte geh!â
âNa schönâ, er öffnete das Handschuhfach und zog ein altes Theaterprogramm hervor, das er Emily zusammen mit dem Füller reichte. âAber zuvor wirst du mir deine Telefonnummer geben.â
âFrag einfach Lorelei danach.â
âEmilyâ, sagte er warnend und sie schrieb ihm mit fahrigen Händen ihre Nummer auf.
âZufrieden?â, fragte sie schnippisch.
âSehr sogarâ, bedächtig langsam faltete er das Papier und steckte es zusammen mit dem Füller in seine Jackettasche.
âDann kannst du jetzt ja gehenâ, erklärte sie so ruhig wie möglich.
Blitzschnell zog er sie an sich und küsste sie, ehe Emily die Möglichkeit hatte, sich ihm zu entziehen. âDanke für den schönen Abendâ, lächelnd verlieà er den Wagen und schlenderte pfeifend zu seinem eigenen, während Emily wie vom Donner gerührt sitzen blieb. Sie blinzelt ein paar Mal und startete den Wagen, jedoch nur um den Motor gleich wieder abzustellen. Sie atmete tief durch und hob ihre Hand zu ihren Lippen. Ãrger machte sich in ihr breit, wie konnte er es nur wagen? Sie klappte ihr Mobiltelefon erneut auf und wählte die Nummer ihrer Tochter.
âHallo?â
âWie konntest du es nur wagen!â
âWer ist da?â
âWie konntest du nur so gedankenlos sein?â
âMom? Bist du das?â
âDein Gewissen wird es wohl nicht sein, Lorelei. Mich in eine derartige Lage zu bringen!â
âMom, was soll das?â
âDas frage ich dich â erst schleppst du mich unter fadenscheinigen Lügen in dieses Restaurant, nur um es gleich wieder zu verlassen und deinem Vater einen freien Stuhl zu hinterlassen. Was hast du dir nur dabei gedacht?â
âDad hat mich darum gebeten ââ
âDad hat - Dad hat dich darum gebeten? Und warum erfüllst du ihm eine derartig absurde Bitte?â
âWarum hast du mich nicht schon vor zwei Stunden angerufen, Mom? So grausam kann der Abend also nicht gewesen sein.â
âEr wollte meine Telefonnummer, Lorelei.â
âDas ist wahrlich die gröÃte Unverschämtheit der Menschheitsgeschichte, seit Michael Moores Rede bei der Oscarverleihung.â
âEr hat mich einfach so nach meiner Telefonnummer gefragt!â
âDazu hätte auch ein einfacher Anruf bei der Auskunft gereicht.â
âEr hat mich, ohne vorherige Ankündigung, er hat â es ist einfach unglaublich.â
âWas? Wollte er auch noch deine Adresse haben?â
âNein, er hat mich geküsst, dein Vater hat mich einfach so geküsst.â
âIrgh.â
âDas ist alles was du sagst? Irgh? Reià dich zusammen, Lorelei.â
âTut mir leid, aber dieses Bild lässt mich eher in Panik davonrennen.â
âAch, erst die Fäden zu diesem kleinen Komplott ziehen und dann vor dem Ergebnis die Augen verschlieÃen.â
âWie du willst: War es schön?â
âLorelei!â
Findest du nicht, dass du überreagierst, Mom?â
âIch reagiere nicht über. Ich bin, Gott, Lorelei, was soll ich denn nur tun?â
âGeh nach Hause und warte darauf, dass er dich anruft.â
âIch will nicht, dass er mich anruft. Ruf du ihn an und sag ihm, dass er es gefälligst unterlassen soll, mich anzurufen.â
âDas kannst du schön selbst machen, ich bin doch nicht euer Kindermädchen.â
âLorelei, du schuldest mir viel, sehr viel, also ruf ihn an!â
âSonst was? Hetzt du mir sonst die Mafia auf den Hals?â
âMöglich wärâs, also ruf ihn an.â
âMom, nenn mir einen Grund, weshalb ich das tun sollte. Wenn Dad dir wirklich so egal wäre, dann würdest du dich jetzt wohl nicht so aufregen.â
âIch bin die Ruhe selbst.â
âUnd ich bin der Dalai Lama.â
âBitte, Lorelei. Ich kann das nicht.â
âSo gerne ich dir auch helfen würde, ich glaube dir ist mehr geholfen, wenn ich Dad nicht anrufe.â
âLorelei? Lorelei?â, alles was sie hörte, war das regelmäÃige Tuten einer freien Telefonleitung. Eilig drückte Emily auf die Wiederwahltaste, die Antwort war jedoch ein Besetztzeichen. âDas glaube ich einfach nichtâ, murmelte sie âDas ist einfach unglaublich.â
Sie lies sich zurück in den Sitz fallen. âUnfassbar! Einfach so, ohne zu fragen.â Sie schloss die Augen und versuchte ihren rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen, er konnte doch nicht einfach so â das war unerhört. Unglaublich rücksichtslos, fernab aller Etikette. Sie zog am Sicherheitsgurt, lies ihn einrasten und startete den Motor. âIch glaube es einfach nichtâ, zischte sie erneut und machte sich daran den Wagen aus der Parklücke zu bugsieren.
Stars Hollow, Frühsommer 2005
Lorelei lies sich stöhnend auf die Couch fallen und schob sich ein Kissen in den Rücken, während Luke sie grinsend ansah.
âNa, ihr zwei? Erschöpft vom Intrigen spinnen?â, fragte er augenzwinkernd.
âWas heiÃt ihr Intrigen? Wir lassen die Marionetten nur ein ganz kleines bisschen nach unserem Willen tanzen. Das ist gute, alte Gilmoretradition. Baby muss schon im Bauch lernen, mit welchen Tricks seine Familie arbeitetâ, sanft streichelte sie ihren Bauch. âDas hat Spaà gemacht, nicht wahr, Frodo?â, gurrte sie und Luke seufzte.
âHör auf das wehrlose Ding Frodo zu nennen. Nachher glaubt es noch, es heiÃt wirklich so.â
âHör auf Frodo Ding zu nennen. Frodo ist ein sehr schöner Name.â
âLorelei, ich dachte wir hätten diese Diskussion längst beendet. Keine Namen aus der seltsamen Phantasiewelt dieses Initialen-Engländers.â
âDann solltest du auch mal konstruktive Vorschläge machen, wenn dir meine nicht gefallen.â
âWilly Wonka, Darth Vader und Rumpelstilzchen sind wohl kaum konstruktiv.â
âSie stehen aber in der Familientradition, Schatz.â
âAch ja?â
âNa, dein Dad hieà William â Willy. Du heiÃt Luke, der Sohn von âIch bin dein Vater, Lukeâ und Rumpelstilzchen symbolisiert die Bosheit die in meinen Genen schlummert. Die fiese Gemeinheit, die dieses mal sicherlich voll durchschlägt, da Rory alle guten Gene bekommen hat und nichts mehr für Frodo übrig gelassen hat. Wir werden einen Satansbraten kriegen, eine Ausgeburt der Hölle. Du wirst dir noch Jess zurückwünschen.â
âWie kannst du über so was nur Witze machen?â
âBeim zweiten Mal ist man immer gelassenerâ, sie griff nach einer Tüte Chips und begann sich äuÃerst zufrieden eine Handvoll in den Mund zu schieben.
âDann solltest du etwas von dieser Gelassenheit auf mich übertragen, bevor ich schon mal vorsorglich den Exorzisten zum Geburtstermin bestelle.â
Lorelei klatschte, den Mund voller Chips, begeistert in die Hände und hüpfte auf und ab.
âWas?â
âNa die Idee â wenn es ein Mädchen wird, nennen wir sie Carrie. Wir werden nie wieder einen Finger rühren müssen, da sie mit der Kraft ihrer Gedanken alles für uns erledigt.â
âBevor oder nachdem sie uns mit Messern an die Küchenwand genagelt hat?â
âWas hältst du von Baby Jane?â
âKlasse, willst du Rory gleich das Rückrat zertrümmern oder warten wir ab, bis Baby Jane es im Vollsuff selbst erledigt?â Er nahm seiner Frau die Chipstüte aus der Hand und gab ihr stattdessen einen Apfel. âVitamine.â
âBähâ¦â, misstrauisch musterte sie den Apfel und lies in schlieÃlich neben sich fallen.
âIch bin für ganz einfache, schlichte Namen. Das mit der Familientradition ist doch eigentlich gar nicht so schlecht. Bei einem Jungen Richard William oder William Richard und bei einem Mädchen Ruth Emily oder Emily Ruth.â
âHatte ich schon erwähnt, dass ich nicht vorhabe eine kleine Emily heranzuzüchten?â
âIch finde es ist ein sehr schöner Name.â
âDas ist Adolf auch â aber nennt irgendjemand seine Kinder so? Nein, denn er hat ein schlechtes Karma.â
âWeiÃt du was, Lorelei â wir werden diese Diskussion für heute beenden und dann â ja, genau, weshalb bringen wir das Thema nicht bei der nächsten Bürgerversammlung auf den Tisch?â
âGut, dann werde ich jetzt bei der Bank ein paar Bestechungsgelder abholenâ, Lorelei machte Anstalten aufzustehen, doch Luke hielt sie zurück.
âWir könnten auch einfach warten bis das Baby da ist und dann entscheiden. Und falls es tatsächlich kleine, haarige FüÃe hat, dann darfst du es Frodo nennen.â
âWirklich?â
âWirklich.â
Lorelei beugte sich zu Luke. âIch liebe dichâ, flüsterte sie in sein Ohr.
âDas will ich doch hoffenâ, er zog sie an sich und die beiden küssten sich lange.
âLass uns den Rest der Diskussion nach oben verlegenâ, schlug Lorelei schlieÃlich grinsend vor.
âEine hervorragende Idee, dann können wir gleich Maà nehmen.â
âDu willst meine MaÃe?â
âEigentlich die des oberen Stockwerkes.â
âWie romantisch.â
âNun, irgendwo muss Baby schlieÃlich schlafen. Wir werden also einige VeränderungsmaÃnahmen am Haus vornehmen müssen.â
âWie romantisch.â
âIch dachte an einen kleinen Vorbau im hinteren Teil des Hauses. Ein kleines Erkerzimmer mit vielen Fenstern. Licht ist immer gut.â
âWie romantisch.â
âLorelei?â
âJa?â
âLass uns nach oben gehen.â
âJaaaaaa. Und während du Maà nimmst, werde ich meine kleinen, haarigen FüÃe rasieren. Wenn ich mich beeile, bleibt mir vielleicht sogar noch Zeit für ein zweites Frühstück.â
âMitten in der Nacht?â
âWenn du mitten in der Nacht Häuser vermisst, darf ich mitten in der Nacht frühstücken. AuÃerdem habe ich vergessen diesen blöden Ring in den Vulkan zu werfen.â
âWie romantisch.â
âHey, das ist mein Satzâ, sie nahm seine Hand und zog ihren Mann in Richtung Treppe. âUnd bevor wir frühstücken und Ringe entsorgen, darfst du meinen Vorbau vermessen.â
Luke blieb vor dem Treppenabsatz stehen. âMitten in der Nacht?â
âUnd das solange du willst, Tim.â
âWie du meinst, Al.â
âOh!â, sie boxte ihn sanft in die Seite. âFies, fies, fies.â
Luke zuckte mit den Achseln. âSpätestens in ein paar Monaten wird die Ãhnlichkeit unverkennbar sein. Du wirst zu müde sein, um deine haarigen Hobbit-FüÃe zu rasieren, zu schwanger um in deine Klamotten zu kommen â weshalb du dir meine Hemden leihen wirst. Holzfällerhemden mit kleinen Karos drauf. Auf Wiedersehen elegante Hotelbesitzerin, willkommen schlecht gekleideter Assistent.â
âIch werde zu Al mutieren und du wirst dir beim Umbau sämtliche Knochen brechen. Der arme kleine Frodo wird sich fürchterlich für uns schämen.â
âDas macht nichts, da er uns wegen seines Namens sowieso hassen wird.â Lorelei schob schmollend die Unterlippe vor und Luke küsste sie auf die Nasenspitze. âWenigstens wird er nie behaupten können, dass seine Mutter hässlich ist.â
âDu stehst auf Al?â
âUngemein, dieses animalisch-männliche hat mich schon immer angemacht.â
âWenn das so ist, mein kleiner Heimwerkerkönigâ, Lorelei grinste. âDann werde ich mir die FüÃe doch nicht rasieren und du darfst gleich an mir herumschrauben.â
âWie romantisch.â
âUngemeinâ, sie legte ihre Arme um seinen Hals. âUnd weiÃt du was das Beste ist?â
âDu wirst es mir sicherlich gleich sagen.â
âEgal was wir heute noch für schweinische Sachen anstellen, ich werde sicherlich nicht schwanger werdenâ¦..â
Hartford, Sommer 2005
Missmutig beobachtete Lorelei den Liftboy, der auf einen der Knöpfe im Fahrstuhl des vornehmen Hartfordter Altbauhauses drückte und ihn so mit einem sanften Ruck in Bewegung setzte. Geräuschvoll biss sie auf den Lolli in ihrem Mund und räusperte sich.
âJoey?â
âJa, Madam?â
âIst das ein guter Name?â
Er sah sie irritiert an. âIch weià nicht, Madam.â
âGlauben sie, er hat ihnen Glück gebracht?â
âKeine Ahnung, Madam.â
âLiftboy ist doch ein sehr ehrenwerter, seriöser Beruf, nicht wahr?â
âIch weià nicht, Madam.â
âMmmhâ, nachdenklich legte Lorelei den Kopf schief. âDer Name muss gut sein, meine Mutter hat sie noch nicht feuern lassen. Das ist ein neuer Rekord, Joey, zwei Monate für Emily Gilmore-Palmer-Heywood zu arbeiten ist wirklich Rekord. Lediglich ich habe es länger geschafft. Ich bin seit sage und schreibe siebenunddreiÃig Jahren ihre Leibeigeneâ
âTatsächlich, Madam?â
Sie klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter. âVergessen sie ihre Fluchtgedanken, Joey, sie wird sie überall finden.â
âWir sind da, Madamâ, er öffnete das Gitter und Lorelei trat in den Flur.
âDanke fürâs Gespräch, Mister.â
âSehr gerne, Madam.â
Das letzte Wort sprach Lorelei leise mit. âDer hellste bist du aber nichtâ¦â, sie klopfte an die Tür der Wohnung ihrer Mutter, die sich sofort öffnete.
âLorelei!â, rief Emily erfreut aus.
âHi Madam.â
âKomm doch rein. Und nimm dieses Ding aus deinem Mund.â
âGeht nichtâ, Lorelei biss erneut geräuschvoll auf den Lolli. âIch muss üben - wenn das mit dem Lolli sitzt, dann lass ich mir eine Glatze scheren und gehe zur Polizei.â
âLorelei!â, mahnte Emily sie.
âArgh. Kein Kaffee, keine Lollis â du hast nicht zufällig eine Zigarette für mich?â, sie schlüpfte aus ihrer Jacke und sah sich erstaunt um. âBist du unter die Blumenhändler gegangen, Mom?â
âReizend nicht wahr?â, sie nahm die Jacke ihrer Tochter, hängte sie an den bronzenen Kleiderständer und geleitete sie durch die, vor SträuÃen überquellende Wohnung, ins Wohnzimmer.
âDu weiÃt schon, dass man es für protzig halten könnte, wenn man dieses üppige Blumenarrangement sieht?â Sie blieb bei einem der SträuÃe stehen und schnappte sich die Karte daraus. âAlles Gute zum Welt-Autofahrertagâ, las sie und griff sich lachend ein paar der anderen Karten. âPfingsten, Welt-Nichtrauchertag, oh, hier, sehr süÃ, zum Kambodschanischen Nationalfeiertag, Fronleichnam, Welt-Buchtag, Welt-Sporttag Was ist das?â
âIch habe deinen Vater darum gebeten mir nur noch dann Blumen zu schicken, wenn tatsächlich ein besonderer Anlass vorliegt.â
âWie der Welt-Winzertag?â
âOder der Geburtstag der englischen Königinâ, sie seufzte. âEr ist nicht zu stoppen.â
âIrgendwie süÃâ, Lorelei setzte sich auf die Couch.
âWenn du es sagstâ, entgegnete Emily kühl.
âKomm schon, er gibt sich doch wirklich Müheâ, sie schnappte sich die Karte aus dem Strauà neben sich, doch ihre Mutter nahm sie ihr sofort wieder aus der Hand. âWas, Mom? War die zum Welt-Sextag?â
âLorelei!â
âSag schon, vielleicht kann ich ja was davon in meine Ehe einbringen.â
âDas ist privat, Lorelei.â
âDer Welt-Intimsphäretag?â
âWie kommt ihr mit dem Umbau zurecht?â
âSehr elegante Themenwechsel, Mom.â
âDer Umbau, Lorelei.â
âDie Karte, Mom.â
âSie ist zum Weltkirchentag.â
âDu lügst.â
âDu nervst.â
âIch darf keinen Kaffee mehr trinken, also muss ich mich ja irgendwie beschäftigen.â
âAlso hast du beschlossen deine Mutter in den Wahnsinn zu treiben?â.
Lorelei rutschte hin und her und zuckte schlieÃlich mit den Achseln. âIn Ordnung, du hast gewonnenâ, sie spürte Emilys misstrauischen Blick auf sich ruhen. âEhrlich, kein Zank, kein Streit.â
âHast du Drogen genommen?â
âEin schöner LSD-Trip, nein, Mom, ich versuche einfach nur diesen Besuch ohne gröÃeres Drama über die Bühne zu bringen. Mein Arzt meinte, ich soll auf meinen Blutdruck achten.â
âDamit hat er uns jede Form der Kommunikation genommen.â
âVermutlichâ, Lorelei musste grinsen. âEs sei denn, du sagst mir, was auf der Karte steht.â
âGottâ, sie erhob sich. âIch werde uns erst mal Tee machen.â
âSehr schönâ, während Emily in Richtung Küche verschwand, lehnte Lorelei sich zurück und sah sich um. âBei Dad scheinen Pragmatismus und Romantik vereinbare Charaktereigenschaften zu seinâ, rief sie. âMom?â, fragte sie, als sie keine Antwort bekam. Lorelei zog eine Schnute und sah sich neugierig um. Ihr Vater schien sich wirklich ins Zeug zu legen, der Raum glich einer Ausstellung für moderne und altbewährte Blumenbindekunst. âMom?â, versuchte sie wiederholt ihr Glück, und wollte sich gerade erheben, als Emily wieder ins Zimmer kam.
âWeshalb schreist du so?â, sie stellte ein Tablett auf den Couchtisch und machte sich daran den Tee einzuschenken.
âWarum antwortest du nicht?â
âIch bin kein Muezzin, Lorelei, ein vernünftiges Gespräch kann nur dann stattfinden, wenn man sich mindestens im selben Raum befindet.â
âAber du hast gehört, was ich gesagt habe?â
âIch bin nicht taub.â
âDann kannst du ja jetzt darauf antworten.â
âWenn ich das wollte, hätte ich es bereits getan.â
âOkay, Mom. Entweder du entscheidest dich jetzt ein vernünftiges Gespräch mit mir zu führen, oder ich werde gehen.â
Emily sah ihre Tochter über den Rand ihrer Teetasse hinweg an. âGlaubst du etwa, diese Blumen wäre nicht schon längst im Abfalleimer gelandet, wenn ich den
âromantischen Pragmatismusâ deines Vaters nicht zu schätzen wüsste?â
Verblüfft legte Lorelei die Stirn in Falten. âOkay, das war wirklich überraschend vernünftig und ehrlich. Hast
du Drogen genommen?â
âNur das üblicheâ, entgegnete Emily trocken und Lorelei grinste.
âUnd sie macht einen Scherz. Du bist wirklich gut heute, Mom.â
âTrink deinen Tee bevor er kalt wird.â
âNichts lieber als dasâ, sie griff nach der Tasse und trank einen kleinen Schluck. âMom?â, fragte sie.
âLorelei?â
âWie lange wollt ihr dieses Spielchen noch spielen?â
âWas meinst du?â
âAch komm schon, er scheint seit Wochen sein ganzes Vermögen für Blumen und völlig sinnlose Glückwunschkarten auszugeben und du machst keinerlei Anstalten, dich noch mal mit ihm zu treffen â und das obwohl du es, wie du selbst gesagt hast, schmeichelhaft findest.â
âErstens habe ich es nie schmeichelhaft genannt, und zweitens geht das nur deinen Vater und mich etwas an.â
âAber es ist doch offensichtlich, dass da was zwischen euch läuft.â
âWir sind keine Teenager mehr, Lorelei, da
läuft nichts. Dein Vater schickt mir Blumen und ich stelle sie in Vasen.â
âSchon klar und ich habe den Yeti gesehen.â
âIch hoffe du hast Fotos gemacht.â
âUnd ich hoffe, dass meine Eltern endlich wieder zusammenkommen. Scheidungskind zu sein liegt mir nämlich nicht.â
âIch bitte dich, wie alt bist du? Zwölf?â
âIch fände es nun mal sehr schön, wenn ihr euch bald wieder vertragt. Und Rory, ihr seid sehr wichtig für sie, es ist nicht einfach für sie, zumal ihr die einzigen GroÃeltern seid, die sich für sie interessieren.â
âWas willst du damit sagen?â
âNichts im speziellen.â
âLorelei?â, hakte Emily mit bestimmter Stimme nach.
âSie war letzte Woche auf Georgias Geburtstagsfeier.â
âIhre Halbschwester?â
âHalbschwester, ganze Schwester, völlig egal, jedenfalls ist sie die ganze Enkeltochter von Straub und Francine. Der helle Stern an ihrem Firmament, die einzige Hoffnung der Schnickelfritzes.â
âIm Gegensatz zu Rory?â, erkundigte Emily sich.
âGlaubst du, sie hätten ihr in all den Jahren auch nur einmal eine einfache Geburtstagskarte geschickt oder ihr ein Geburtstagsgeschenk gekauft? Nein, was auch völlig egal ist, denn es geht hier nicht um Geld, von mir aus können sie sie solange aus ihrem Testament streichen, bis sie tot umfallen, aber ââ
âSie haben was?â, energisch stellte Emily die Teetasse auf den Tisch.
âKeine Ahnung, das war doch nur ein Beispiel, es geht darum, dass sie Rory geflissentlich ignoriert haben. Sie haben ihr zur BegrüÃung nicht mal die Hand gegeben oder sie Höflichkeitshalber gefragt, wie es ihr geht, nichts. Und das weià ich auch nur, weil Christopher mich angerufen hat. Rory hat nämlich nichts gesagt â das hat sie von dir.â
âWie schmeichelhaft.â
âMom!â
âLorelei, du kennst die beiden. Sie sind ignorante -â, sie suchte nach den richtigen Worten, doch ihre Tochter kam ihr zuvor.
âVollidioten, ignorante Vollidiotenâ, sie biss sich auf die Unterlippe. âJedenfalls fände ich es sehr schön, wenn du und Dad, wenn wir mal wieder ein gemeinsames Freitagabendessen veranstalten könnten. Du und Dad und Rory, Luke und ich. Ein Familienessen. Ich werde euch auch nicht nebeneinander setzen.â
âEinverstandenâ, stimmte Emily â nicht nur für ihre Tochter, sondern auch für sich selbst â überraschend schnell zu.
âEhrlich?â, erleichtert lächelte Lorelei. âDas ist, das ist einfachâ¦â
âNicht der Rede wert.â
âSchön, das wird klasse. Wir werden essen. Alles zusammen. Ich werde Sookie ein Menu zusammenstellen lassen, das wird besser als jedes Reunionkonzert der Bangles.â
âWenn du es sagst.â
Schweigend tranken die beiden ihren Tee und Loreleis Blick blieb auf dem Strauà roter Rosen hängen, der Strauà dessen Karte sie nicht gelesen hatte â dessen Karte sie nicht hatte lesen dürfen. âMom?â
âLorelei?â
âWas stand auf der Karte?â, fragte sie erneut.
âNichts von Bedeutung.â
âDas mit dem Familienessen wird nichts, wenn ich vor Neugier sterbeâ, sie setzte ihren Hundeblick auf. âKomm schon, er wird dir wohl kaum ein unmoralisches Angebot gemacht haben, oder etwa doch?â Emily sah sie tadelnd an, sagte jedoch nichts dazu. âWas ist es dann? Was kann schon so unglaublich privat sein?â
âDarum geht es doch nicht, Loreleiâ, Emily seufzte. âEs ist, dein Vater, er hatâ¦â, sie brach ab und starrte auf ihren Tee.
âMom, es wäre äuÃerst unhöflich den Satz jetzt nicht zu beenden.â
âHeute vor vierzig Jahren hat er mich gefragt, ob ich seine Frau werden willâ, sie schüttelte schwach den Kopf. âBist du jetzt zufrieden? Vierzig Jahre, Lorelei. Kannst du dir das vorstellen? Eine halbe Ewigkeit, ein halbes Lebenâ, Emily presste die Lippen aufeinander und stand auf. âEntschuldige mich.â
âMmhhâ, sie sah ihrer Mutter hinterher, die eiligen Schrittes aus dem Zimmer ging. âSo sind sie, Frodoâ, flüsterte sie und sah ihren Bauch an. âAber hey, du wirst dich schon noch daran gewöhnen. Ich habe die Hoffnung jedenfalls bis heute nicht aufgegeben, sie eines Tages zu verstehenâ, sie tätschelte ihren Bauch. âTut mir leid, Schätzchen, die Wahrheit ist, dass deine ganze Familie spinnt â aber das macht unseren Charme ausâ¦.â
Dorham, Sommer 2005
Jerushas Schlafzimmer war über und über mit den verschiedensten Teilen aus Emilys Kleiderschrank übersäht und diese drehte sich nervös vor dem Spiegel. âUnd?â
âGenau so gut wie das davor. Oder das davor. Oder das davorâ, entgegnete Jerusha gelassen, drückte ihre Zigarette aus und erhob sich vom Bett. âEs ist völlig gleichgültig was du anziehen wirst, solange du erscheinstâ, sie sah auf ihre Uhr. âAber die Chancen dafür werden von Minute zu Minute schlechter.â
âBitte, kannst du nicht einfach klipp und klar sagen, welches mir am besten steht?â, sie war mittlerweile beinahe der Verzweiflung nahe und Jerusha schien endlich Erbarmen zu zeigen. âNa schön. Zieh das Blaue an. Nicht zu schick, aber schick genug um ihn zu beeindrucken.â
âIch will
ihn nicht beeindrucken, ich möchte lediglich der Situation angemessen gekleidet seinâ, protestierte Emily und griff nach dem hellblauen Kostüm, während ihre Freundin leise in sich hineinlachte.
âSchon klar, dein Rosenkavalier spielt bei der Auswahl deiner Garderobe nicht die geringste Rolle.â
âEr ist nicht mein Rosenkavalier und beeindrucken will ich ihn erst recht nichtâ, sie seufzte. âVielleicht, ein wenigâ, sie zuckte hilflos mit den Schultern. âIch komme mir albern vor.â
âWeil du albern bistâ, antwortete Jerusha trocken.
âBitte?â, fragte Emily entrüstet.
âDu benimmst dich wie ein verliebter Teenager und die sind immer reichlich albern.â
âHerzlichen Dank.â
âAch komm schon, Emily. Was soll denn passieren? Es ist ein Familientreffen und kein Rendevouz. Ihr werdet artig zu Abend essen, gepflegte Konversation betreiben. Bei der Gelegenheit könntest du dich endlich für die Blumen bedanken und ihm sagen, dass du es durchaus in Erwägung ziehst, seine Einladung zu einem Essen zu
Zweit anzunehmen.â
âBei dir klingt es so einfach.â
âWeil es einfach ist.â
âDas ist es eben nicht. Ich weià nicht wie ich mich verhalten soll, was ich sagen soll, denn schlieÃlich war ich es, die ihn verlassen hat und nicht andersherum. Da kann ich doch jetzt schlecht von ihm verlangen zu mir zurückzukommen.â
âDas könntest du nicht, wenn er es nicht auch wollte.â
âWoher soll ich wissen, ob er es will?â
Jerusha stöhnte. âBlumen, und das in diesen unvernünftigen Mengen, schickt man einer Frau für gewöhnlich nur aus zwei Gründen. Entweder man möchte ihr dadurch mitteilen, dass man ein gewisses Interesse an einer näheren Vertiefung der Bekanntschaft hat, oder aber sie ist tot und man schmückt ihr Grab damit.â
âLetzteres wäre mir lieber, dann müsste ich mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, was ich ihm sagen soll. Und wie. Und obâ, sie rückte das Jackett zurecht. âUnd das geht wirklich?â
âJa, und jetzt hau ab, sonst kommst du wirklich noch zu spät.â
âIn Ordnungâ, sie griff nach ihrer Handtasche. âJerusha?â
âJa?â
âGlaubst du wirklich, dass Richard, dass er ââ, sie wurde unterbrochen.
âVerschwinde.â
âAber ââ
âDas war keine Bitte, Emily. Fahr nach Stars Hollow und warte ab, was geschieht.â
âIch mag es nicht, nicht zu wissen, was mich erwartet.â
âDu wirst es herausfinden.â
âIch habe mich ihm gegenüber so schäbig verhalten und trotzdem gibt er sich all diese Mühe. Ich verstehe das einfach nicht.â
âEr hat dich nun mal gern.â
Emily setzte sich auf den Rand des Bettes. âMir ist schlecht.â
âIch werde dir keine Entschuldigung schreiben.â
âUnd ich habe fürchterliche Angst, dass es nicht klappt.â
âDas kann es gar nicht, wenn du es erst gar nicht versuchst.â
âIch will ihn nicht noch einmal verlieren, Jerusha.â
âDann sag ihm, dass du keine Blumen mehr von ihm willst, sondern ihn.â
âVielleicht sollte ich doch lieber das schwarze Kostüm anziehenâ¦â
Jerusha griff Emily am Arm und zog die durch das Haus âVielleicht solltest du jetzt gehen.â
âUnd die Perlen, das ist zuviel des guten, viel zu dick aufgetragen.â
âBenimm dich heute Abend.â
âDie Absätze sind auch viel zu hoch.â
âImmer schön die Beine übereinander schlagen.â
âDie Farbe des Lippenstiftes kann man auch nicht als passend bezeichnen.â
âUnd lächle, dadurch wirkst du gleich viel freundlicher.â
âAufgebrezelt wie eine alte Jungfer, die Angst hat keinen Mann mehr abzubekommen und den Rest ihres Lebens allein verbringen zu müssen.â
âFahr vorsichtigâ, sie drückte Emily ihre Autoschlüssel in die Hand.
âWas ja auch stimmt.â
âAchte darauf, dass genügend Benzin im Tank ist.â
âEr wird sich lustig über mich machen.â
Jerusha schubste sie zur Haustür hinaus. âKein Alkohol am Steuer.â
âIch werde mich vor allen lächerlich machen.â
âDrogen sind auch tabu für dich.â
âSie werden mich für unzurechnungsfähig erklären lassen.â
âUnd nimm keine Anhalter mit, das kann böse Folgen haben.â
âEs wird eine Katastrophe werden.â
âImmer schön an den Schulterblick denken.â
âEine Katastrophe, Jerusha!â
âAnschnallen nicht vergessen.â
âHörst du mir überhaupt zu?â
âKeine Knutschereien mit fremden Männern!â
âIch finde das nicht komisch.â
âDu bist um elf zurück, Kleines.â
âJerusha!â
âViel SpaÃâ, mit diesen Worten knallte sie die Tür vor Emilys Nase zu.
To be continued.
ATN: Hey, es tut mir echt wahnsinnig leid, das ihr fast zwei Woche warten musstet, aber ich hatte null Zeit zum schreiben. *SichdieWundenvondenWattebällchenmitPflasternüberklebt*
Riska PS: Den Epilog wirdâs übrigens an Heiligabend geben â aber bis dahin, kommt noch anderes