Lorelais Tränen - alle Teile
#31

Kapitel 30

„Rory jetzt warte mal“ Sie zog sie an der Hand zurück ins Haus. Knallte die Tür zu.
„Mom was soll das denn, ich hab Hunger.“ Rory riss sich los und schaute ihre Mutter verständnislos an. Jetzt war Lorelai schon vor über eine Woche aus dem Krankenhaus entlassen worden und traute sich immer noch nicht vor die Haustüre. Rory erinnerte sich an viele Fastfood-Abende in Lorelais Bett. Solange es Lorelai nicht so gut ging, war es auch okay aber Rory hatte genug. Die Verletzung an ihrem Hals war zwar immer noch verbunden aber schien längst nicht mehr so zu schmerzen. Warum wollte Lorelai dann immer noch nicht??
„Sie werden mich alle anstarren.“ Lorelai hörte sich an wie ein kleines Kind. Vielleicht beabsichtigt zog sie ihren schönsten Schmollmund und klimperte möglichst armselig mit ihren Wimpern.
„Alle werden es wissen und mich ausfragen. Und wenn sie nicht fragen dann starren sie mich an. Ich werde da stehen wie ein Elefant aus dem Zoo. Und irgendwann werden sie anfangen mir Erdnüsse zu geben und wenn das lange so weiter geht, dann werde ich bald wirklich wie ein Elefant aussehen und dass....“ Rory blies genervt ein paar Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. Manchmal ging es ihr wirklich auf die Nerven Mutter zu spielen. Sie zog die Haustüre wieder auf stellte sich unter den Türbogen und sagte gespielt entrüstet: „Entweder du kommst jetzt mit mir zu Luke- oder....“ Lorelais Schmollen verblasste augenblicklich. „Zu Luke?“ Wimmerte sie.
„Ja natürlich zu Luke. Wohin gehen wir denn bitte seit nun mehr 4 Jahren täglich?“ Ihre Mutter war heute aber auch wirklich seltsam drauf.
„Aber“
„Nein Mom. Nichts aber. Wir gehen jetzt frühstücken. Denk doch nur mal an den Kaffee. Der herrlichste Kaffee der Stadt erwartet dich! Sei nicht so egoistisch und folge seinem Ruf. Und glaub mir, Mom. Niemand wird dich anstarren. Die Leute haben das lange vergessen.“
Erst gestern hatte sie der alten Frau Hutson beim Einkaufen erklären müssen, dass auf Lorelai keinen Mordanschlag verübt worden war. Die Stadt hatte es nicht vergessen. Lorelais Krankenhausaufenthalt war immer noch Stadtgespräch Nummer 1, wie Miss Patty im Supermarkt versicherte.
Lorelai zog die Augenbraue kraus. Sie glaubte Rory nicht. Es war sowieso seltsam, weder Babette noch Miss Patty hatten eine Frage gestellt als sie auf Besuch kamen. Stars Hollow wäre doch nicht Stars Hollow, wenn nicht noch etwas käme. Aber der Gedanke an Kaffee half über ihre Angst hinweg. Irgendetwas hatte sie früher doch immer magisch zu dem Kaffee gezogen. Ach ja, da war ein Mann. Der Mann, der den Kaffee machte: Luke. Wie lang war es her das sie Luke das letzte Mal gesehen hatte? Lorelai erinnerte sich nicht an viel von er Woche im Krankenhaus. Meistens lag sie etwas weggetreten da und stierte die Wand an. Immer noch wusste sie genau, wie viele Risse die Wand hatte, kannte die schwarzen Flecken die die Heizung an der vergilbten Tapete hinterlies. Lorelai wusste nicht, wer alles täglich an ihrem Krankenbett erschien. Die Schmerzmittel machten sie schläfrig und das Pochen in ihrem Hals war übermächtig, sodass sie die Augen meist geschlossen hielt. Seit sie zuhause war lag sie meistens in ihrem Bett oder auf der Couch. „Sie muss sich schonen. Damit die Naht nicht aufreist.“ Ja, ihr Hals war genäht worden. Lorelai wagte es nicht sich im Spiegel anzuschauen. Zu tief saß der Schock und die Erinnerung an die Schmerzen, die sie schier wahnsinnig machten, wenn sie keine Schmerzmittel intus hatte. Sie hatte die letzte Woche eigentlich wie in der Warteschleife gelebt. Wenn die Sonne auf ihr Gesicht schien trank sie ein Glas Wasser und würgte die grüne Pille hinunter, duschte mal heiß mal kalt und setzte sich zu Rory an den Tisch. Rorys Kaffee in allen Ehren, aber an den aus dem Diner kam sie nicht einmal selbst heran. Die Tage vergingen und sie schaute sich selbst beim leben zu. Die Couch verlies sie nur um zu duschen oder zu schlafen. Angst hatte sie keine, denn sie wüsste nicht wovor sie sich fürchten sollte. Denn sie hatte kaum Erinnerung an den Tag, der scheinbar ihr Leben aus der Bahn geworfen hatte. Luke war doch ihr bester Freund. Das wusste sie. Aber Luke hatte sich kein einziges Mal bei ihr blicken lassen. Sollte sie wirklich zu ihm ins Diner gehen? Er musste doch einen Grund haben, sie zu meiden?
„Mom komm jetzt.“ Lorelai lies sich hinaus ziehen, gab der Tür einen Stoss und fand sich wenige Sekunden später bereits auf der Straße wieder. Seit sie aus dem Krankenhaus entlassen war und die Schmerzmittel reduziert wurden fand Lorelai langsam zu ihrer alten Form zurück.
„Wenn mir einer eine Erdnuss zusteckt, dann kommst du zur Adoption frei.“ Ein geschmackloser, gemeiner und sinnloser Witz. Wunderbar. Rory strahlte. Sie vermisste ihre alte Mom so sehr.





Überrascht von ihrem eigenen Mut lief Lorelai neben Rory her. Es war seltsam für sie. So als liefe sie gegen eine Wand. Gegen eine Wand die Leben hieß. Um sie herum waren Menschen, Tiere, Stimmen, Geräusche, scheinbar fremde Gerüche.
Aber sie lies sich nichts anmerken. Streckte ihren Oberkörper elegant nach vorne und ihre Lungen weiteten sich bei der frischen Luft. Lange war sie schon nicht mehr herumgelaufen. Die warme Sonne auf dem Kopf und der leichte Wind um die Nase gaben ihr ein gutes Gefühl. Die natürliche Geräuschkulisse um sie herum gab ihr Sicherheit. Miss Hutson stand bei Andrew am Haus als beide Gilmores vorbei kamen.
„Hallo Miss Hutson, Andrew gut siehst du aus“ Angriff war immer noch die beste Verteidigung. Das Lachen in ihrem Gesicht war nicht einmal gestellt, es war echt. Ihr ging es gut. Ihr Hals schmerzte im Moment kaum und eigentlich hatte sie doch ein tolles Leben. Ihre Tochter, genau ihre Tochter. Sie hatte eine wundervolle Tochter. Bemüht unauffällig machte diese gerade Andrew und Miss Hutson verständlich Lorelai ja nicht auf es anzusprechen. Beide nickten verständnisvoll und wünschten den Gilmores noch einen schönen Tag. Kaum waren Lorelai und Rory vorbei steckten sie schon die Köpfe zusammen. Babette, die heimlich hinter Rory und Lorelai herlief sprintete sofort zu den beiden und fragte sie atemlos aus, was sie mit Lorelai geredet hatten.
„Schatz?“ Lorelai konnte ein süffisantes Grinsen kaum noch unterdrücken.
„ja Mom?“ Rory versuchte vergeblich sich auf die wunderschönen Blumen zu konzentrieren und ihre Mutter dazu zu bringen, die Blumen ebenfalls gebührend zu würdigen.
„Die halbe Stadt verfolgt uns. Warum?“ Vorsichtig drehte sich Rory um. Zu Babette, Miss Hutson und Andrew hatten sich inzwischen auch noch Gypsy, Morey und Boozie der Zeitungsverkäufer gesellt. Mit viel Abstand folgten sie den beiden und blieben ruckartig Stehen, wenn Lorelai oder Rory langsamer wurden.
„Ach Mom, die machen nur ihren Sonntagspaziergang.“ Rory wusste genau warum die halbe Stadt an ihren Fersen heftete. Jeder hier wusste, dass Luke nach dem Tag an dem es passierte sein Diner geschlossen hatte, Cesar Urlaub gab und zwei Stunden später die Stadt mit seiner Angelausrüstung auf dem Pickup verlassen hatte. Luke hatte mit niemandem geredet, aber dennoch waren sich alle sicher dass es an Lorelai lag. Es war selbstverständlich dass die ganze Stadt auf das erste Zusammentreffen wartete. Die Begegnung Luke/Lorelai war für viele besser als Tanzmarathon und Stadtfest zusammen. Nicht einmal Rory konnte den Bewohnern verübeln, dass sie sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen wollten. Im Gegenteil, sie war selbst gespannt wie in Flitzebogen was passieren würde. Sie hatte den Ausdruck in Lukes Gesicht seit ihrer letzten Begegnung im Krankenhaus nicht vergessen. So hatte sie Luke noch nie gesehen. Rory schielte zu ihrer Mom. Sie lächelte immer noch. Wusste sie von nichts oder war es Show?
Lorelai lächelte immer noch weiter vor sich hin. Sie verstand die Aufregung nicht. Gut, Luke hatte sich nicht bei ihr gemeldet, aber er hatte sicher viel zutun.
Als sie an der Tankstelle ankamen stieg Lorelai Benzingeruch in die Nase. Ein eiskalter Schauer machte sich sofort auf ihrem Rücken breit. Sie spürte wie der Benzingeruch ihre Nase hinauf wanderte. Ihr Gehirn schlug Alarm. Auf einmal spüre sie ein Ziehen in den Haaren. Sie blieb stehen. Ihr Nacken schien zu schmerzen, als würde jemand auf sie eintreten.

„Mom alles klar?“ Was war den jetzt schon wieder los? Urplötzlich blieb Lorelai stehen und das Lächeln auf ihren Lippen verblasste zu purer Panik.
Lorelai hörte auf einmal wirre Stimmen. Wortfetzen hallten in ihrem Kopf:
„ich liebe dich.“
„so einfach kommst du mir nicht davon!“
„hier geblieben“
„verlass mich nicht“
Lorelai fasste sich an die Stirn. Was war denn jetzt los? Hatte sie jetzt schon Halluzinationen oder was?

„Hey Mom.“ Lorelai zuckte zusammen als Rory ihre Arme um Lorelais Ellenbogen legte. Sie starrte sie mit glänzenden Augen an.
„Alles okay, Rory. Mir geht es gut. Mir ist nur etwas schwindelig geworden.“ Stand sie unter dem Einfluss der Schmerzmittel? Sie war doch total wahnsinnig. Sie beschloss die Stimmen und ebenso die seltsamen Schmerzempfindungen auf der Stelle zu vergessen. Es war nicht das erste Mal, dass sie diese Stimme hörte. Immer wieder schossen ihr diese Gedanken in den Kopf. Als sie vor ein paar Tagen selbst ihr Wasserglas in der Spüle auswaschen wollte stach sie auf einmal die Narbe an ihrem Hals. Sie hörte wirre Stimmen und sah eine verwüstete Wohnung vor sich. Und immer wieder war die eine Stimme dabei. Die stimme eines Mannes. Der ihr sagte, dass er sie liebe und sie ihn nicht verlassen dürfe. Aber welche Stimme war es? Lorelai versuchte vergeblich sich an mehr zu erinnern, aber ihr Körper rebellierte gegen die Erinnerungen und der Schmerz brach über sie herein das sie fast unter ihm zusammen brach. Sobald sie tief durchatmete und sich zwang an etwas anders zu denken ließen die Schmerzen nach. Sie spürte auch jetzt wie sich ihre Muskeln entspannten und die Normalität zurück kehrte.
Auch Rory bemerkte wie die Farbe in Lorelais Gesicht zurück kam.
„Geht’s wieder Mom?“ Ängstlich blickte Rory sie an. Lorelai war einfach nicht mehr die Alte. Sie versuche zwar mit lockeren Sprüchen und ihrer kindischen Art es ihr vorzugaukeln, aber Rory sah genau wie Lorelai zusammen zuckte, wenn jemand ein Feuerzeug anmachte, ein Glas fallen lies oder nur Dean an die Tür klopfte.
Ach ja, Dean. Seit ihre Mutter ins Krankenhaus gekommen war, war von der Beziehung nicht mehr viel übrig. Die Erinnerung an die gemeinsame erste Annäherung wurde immer schwächer, aber Rory konnte sich auf nichts anderes konzentrieren als sich um ihre Mom zu sorgen. Dean war schon ein besonderer...
„Los komm, ich hab Hunger. Wie war das vorher? Ich sei egoistisch wenn ich den Kaffee ignoriere? Ich hör ihn bis hier nach mir rufen. Er schreit Lorelai, Lorelai du wunderschöne Frau, komm und schlürf von meiner zarten, heißen Brühe.“
„Häh?“ Jetzt war es an Rory verwirt zu sein. Ihre Mutter wechselte heute aber auch wirklich von einem Extrem ins andre. Irgendetwas stimmte heute gewaltig nicht. Aber Lorelai schien schon wieder oben auf zu sein und zog Rory fröhlich von der heißen Brühe plappernd weiter.

Lorelai laberte einfach drauf los. Der Geruch des Benzins in ihrer Nase wurde trotz dem Versuch es zu ignorieren langsam unerträglich. Sie wollte nur noch weg. Weg von den Stimmen, weg von den Schlägen und weg von der Erinnerung. Das war doch alles nur ein Alptraum.


Luke stand hinter dem Tresen. Taylor und Miss Patty drängten sich an den Tresen und überhäuften ihn nur so mit Fragen. Erst gestern war er von seinem Lieblingssee zurück gekommen und da es heute bereits die ganze Stadt wusste, konnte -und musste er geschäftsbedingt- sein Diner wieder aufmachen. Er hatte die ganze Woche damit verbracht Lorelai aus seinen Gedanken zu verdrängen. Doch je mehr er versuchte sich zu entfernen um so näher kam er ihr. Irgendwann, als er bereits in den Gesichtern der Fische ihre Augen sah, gab er es auf und lernte den Schmerz zu ertragen. Ihm schien, als hätte er nie anders, als mit dem bedrückenden Gefühl auf dem Brustkorb gelebt.
„Luke, jetzt sag schon. Du kriegst auch 5 % Rabatt wenn du es nächste Mal grüne Bohnen kaufst. Komm schon, das ist doch ein Angebot.“ Luke zog nur die Stirn in Falten.
„Na gut, 10 % aber das ist mein letztes Angebot. Mehr ist nicht drin. Das würde mich in den Ruin treiben.“
„Du übertreibst maßlos Taylor.“ Grummelte er.
„Es spricht! Sie nur Patty, es spricht! Willst du vielleicht nach Hause telefonieren?“
Luke hatte es so dermaßen satt diese Fragerei über sich ergehen zu lassen. Genervt schwang er sein Geschirrtuch über die Schulter und wollte in die Küche zurück gehen, als Kirk die Tür aufriss.
Außer Atem stammelte er:
„Sie kommt.....mit Rory....fast.....da...ich......Luft.....aber...sie...kommt......ahhh“ Er sackte auf einen Stuhl und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der roten Stirn. Taylor und Miss PAtty waren sofort in heller Aufregung. Sprangen von ihren Stühlen, wuselten mit den anderen Gästen durcheinander und versuchten sich möglichst unauffällig hinzusetzten, als säßen sie schon die ganze Zeit da.

Jess beobachtete seinen Onkel. Was war bloß mit Luke los? Er hatte zwar nichts dagegen einzuwenden eine Woche frei zu haben, aber seltsam war es schon. Sehr seltsam. Aber das war ja genau genommen nicht sein Problem.
„Leute, ihr seht aus als ob ihr im Kino vergessen hättet den Eintritt zu bezahlen und außerdem noch heimlich Schokoriegel dabei habt.“
Jess bekam - für seine Verhältnisse beinahe einen Lachkrampf, als alle entsetzt aufsprangen und sich einen neuen Platz suchten.

„Spinner. Alles Verrückte“ murmelte Luke und beeilte sich schleunigst in die Küche zu kommen. Total lächerlich, wie sich die Stadt aufführte, nur weil Lorelai in sein Diner kam. Das tat sie schließlich jeden Tag, oder zumindest früher. Dank seinen zittrigen Händen lies er die Pancakeskelle fallen und Cesar schnaubte wütend. Aber rausgehen konnte er auf keinen Fall. Nein, nicht weil er Angst hatte. Angst vor der Begegnung mit ihr. Angst in ihre Augen zu sehen, den Schmerz und die Demütigung wieder und wieder zu erleben. Nein, er musste einfach nur arbeiten.

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And I start to feel for him again. Stupid me.
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#32

Kapitel 31

Vergeblich versuchte er seinen Puls zukontrollieren. Wie lächerlich konnte man sich aufführen? Er stand da, in der Küche, presste sich an die Wand und sein Herz klopfte wie verrückt. Cesar stand vor ihm und beäugte ihn misstrauisch vom Herd aus.
„Luke, du hast sie doch nicht mehr alle. Das ist nur eine Frau verdammt und du bist ein Ladenbesitzer. Geh jetzt da raus und tu deinen Job. Sie ist nur eine Frau. Nur eine Frau. Ganz ruhig alter, alles okay.“ Verdammt, jetzt sprach er schon mit sich selbst. Und alles nur wegen ihr. Er hatte es so satt, so dermaßen satt. Seit wann lies sich Lucas William Danes sein Leben von einer Frau bestimmen. Unglaublich aber wahr. Er schnappte die zwei Burger auf den Tellern und schritt in Richtung Tür.
„Hallo Diner! Wie hab ich dich vermisst, was du hast mich auch vermisst? Das verstehe ich, komm lass dich drücken.“ Stühlescharren, Räuspern und Husten von den andren Gästen und klirrende Möbel die wohl gerade überschwänglich von Lorelai umarmt wurden.
Er wollte ja weiterlaufen, aber seine Beine blockten ab und er stand bewegungslos da. Seine Ohren hörten ihre verhasste Stimme. Ihre sinnlosen Worte hallten in seinen Ohren wieder als wären es Popmelodien. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
„Ähm Luke?“ Cesar kratzte sich an seiner Mütze. „Die Burger werden kalt.“
„Schon gut, kümmer dich um deine Arbeit. Du wirst bezahlt und nicht andersrum, klar?“ Cesar hatte es natürlich nicht verdient, dass er so auf ihm rumtrampelte, aber was sollte er tun? Am liebsten würde er einfach seine Schürze hinknallen und zurück zu dem See fahren.
Aber es ging nicht. War einfach nicht drin, allein schon wegen dem Laden nicht.
„Komm schon, du hast schon schlimmeres überstanden.“ Ach ja, was denn? Was war schlimmer als der Frau ins Gesicht schauen zu müssen, die dich so gedemütigt hat? Was denn verdammt? Mir fällt da nichts ein, ach außer vielleicht, dass sie deine Einladung zu einem Date abgelehnt hat? „Das hat sie nicht!“ Und wie. Schon vergessen? Sie hat Chris zu dir gesagt! Chris, ja nicht Luke. Du existierst doch gar nicht verdammt. Du tröstest sie, nimmst sie in den Arm und sie denkt du wärst Chris. Wie blöd bist du? Vergiss sie endlich!
“Komm, halt die Klappe.“
Jetzt war Cesar wirklich beleidigt. Der arme Kerl konnte ja auch nicht ahnen, dass Luke die Stimme in seinem Kopf meinte, die ihm seit Tagen vergeblich einzureden versuchte, Lorelai einfach zu hassen.
Cesar grummelte nur noch in seinen nicht vorhandenen Bart. Sollte doch der Chef machen was er wollte, war ja nicht sein Bier.

Luke atmete noch einmal tief durch. Jetzt war er soweit, jetzt konnte und musste er – bei einem Blick auf die nicht mehr ganz so warmen Burger- auch.
„Luke Kaffee!“ Maria, sie wagte es doch tatsächlich nach ihm zu brüllen. Jetzt musste er seine Maske aufsetzten und sie musste überzeugend sein.
Keine Mimik, keine privaten Worte, schau sie am besten gar nicht erst an. Ignorier sie einfach und behandle sie wie jeden anderen Gast. Die flüsternde Stimme in seinem Ohr wurde bedrohlich laut als er durch die Küchentür trat.
Der ganze Raum hielt förmlich den Atem an. Die Leute die nicht mehr ins Diner gepasst hatten, dank der flinken Babette, drückten sich draußen mit Andrew, Gypsy und Morey fast die Nase platt. Einige Kinder starrten auf ihn, als wäre er eine Jahrmarktskuh. Kurz überlegte er, ob er mal muhen sollte, aber seine Poren spürten ihre Anwesenheit. Angestrengt blickte er aus der Türe hinaus auf den Marktplatz. Vielmehr starrte er in Toms Gesicht, der wie gebannt vor der Tür stand und hinein schielte. Vielleicht sollte er auch gleich aufhören zu atmen, denn seine Nase bildete sich doch tatsächlich ein, sie zu riechen. Schwachsinn, purer Schwachsinn. Wie sollte man in einem Raum voller Menschen und Küchendüften noch eine einzelne Person erkennen?
Es kostete ihn unglaublich Kraft, dass was er jetzt tat zu tun. Aus den Augenwinkeln – verflucht seien seine weitsichtigen Pupillen, sah er unbewusst dass sie am Tresen hing, genau an der Stelle an der ihn Taylor vorhin noch nach dem Grund seines Verschwindens gelöchert hatte. Er schüttelte die Steine auf seiner Brust hinab und lief einfach an ihr vorbei. Miss Patty, Babette, Taylor und die anderen zogen entsetzte Stirnfalten. Was war denn jetzt los?
Stumm und starr vor entsetzen saßen die Leute da. Nur Jess zerplatze Kaugummiblase zeriss die Stille.
„So Kirk, dein bestellter Cheeseburger. Mit ein paar extra Salatblätter.“ Kirk starrte Luke mit offenem Mund an. Jeder in der Stadt wusste, dass Kirk nicht nur eine Abneigung gegen Käse hatte, sondern sogar allergisch auf Blattsalat reagierte.

Lorelai hing förmlich auf der Theke wie bestellt und nicht abgeholt. Ihr Mund stand offen und ihr Blick hing etwas hilflos in der Luft. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.
„Luke Kaffee!“ diesmal brüllte sie schon etwas leiser. Aber selbst dadurch lies sich Luke nicht stören. Er klatschte Taylor seinen Burger vor die Nase. Unfähig etwas zu sagen klebten die Augen der gesamten Stadt auf ihm. Rory saß still neben ihrer Mutter und zwickte sich in den Arm. War sie wirklich wach, träumte sie vielleicht?
Lorelai schnaufte irritiert und stand auf. Die Augen der Stadt weiteten sich. Jetzt kam sicher gleich der große Knall. Die Kinder steckten sich ihre Finger in den Mund und es war wirklich totenstill. Jess –unbeeindruckt von dem ihm dargebotenen, kramte bereits nach einer Stecknadel, die er fallen hören wollte.
Lorelai lief auf Luke zu. Stemmte die Hände in die Hüfte.
„Hast du nicht gehört? Ich brauch Kaffee! Ich will Kaffee! Ich bin ein zahlender Kunde ich will auf der Stelle meinen“ schlimmer als ein kleines Kind stammelte sie auf den riesigen Rücken vor sich ein.
Luke fuhr herum, versteckte seine zitternden Hände unter den gebrauchten Servietten:
„Du wartest“ er sprach langsam, was seinen Worten noch mehr Härte und Kälte verlieh, „bis du dran bist.“
Wum, Ende. Das war´s. Lorelai kam sich vor wie im falschen Film. War das der Luke, zu dem sie seit Jahren ging? Ihr Dealer? Ihr Luke mit der Mütze und dem Flanellhemd? Schockiert starrte sie auf den Mensch vor sich. Blaue Mütze, kariertes Hemd, braune Haare sachte unter der Mütze hervor lugend, ja es musste Luke sein.
Er drehte sich wieder um und fragte die geschockte Miss Patty nach ihrer Bestellung. Die konnte es immer noch nicht glauben und zeigte irritiert auf die Speisekarte, was sie haben wollte.

Lorelai zog geknickt den Rückzug an. Schmiss sich neben Rory und starrte auf ihre Hände. Die Zeit schien wie stehen geblieben. Kirk, ihm graute vor seinem Killerburger, brach die Stille als Erster:
„Also, ich muss dann mal los, total vergessen dass meine Mutter heute kochen wollte.“ Schnell sprang er auf und eilte aus dem Laden. Tom machte schnell genug zwei Schritte rückwärts und wäre beinahe noch hinunter gefallen.
„Sag mal Rory, hast du schon das neue Buch von James Patterson gelesen?“ Alle Augen ließen von Luke ab und wanderten hinüber zu Jess. Rory reagierte etwas benommen und unbeholfen.
„Äh das neue, du meinst dass, was erst rauskam? Also noch so ganz neu, öh ich glaub das hab ich nicht gelesen, nein.“ Unendlich dankbar schaute Rory Jess an. Die Stille machte die ganze verquerte Situation nicht besser.
“Soll ich es mal holen, dir zeigen?“ Jess fing ihren Blick auf und freute sich. Tja, Rory brauchte ihn eben doch.
Luke ignorierte immer noch alles. Er wanderte gelassen zu Babette und fragte sie nach ihrer Bestellung. Jess Blick schweifte noch einmal über den Laden. Es war wirklich ein Bild für die Götter wie ganz Stars Hollow im Diner die Luft anhielt. Die Sache fing an, ihm Spaß zu machen.
„Tja weißt du, dass Buch das du mir neulich geliehen hast, ich werds gleich mitbringen. Das war echt einsame klasse.“ Grinsend stieg er die Treppe hoch.
„schaut doch nur mal, wie spät es ist.“ „ich muss los.“ „ich muss zur Arbeit.“ „ich sowieso.“
In Windeseile war das Diner wie leergefegt. Nur noch Taylor, Miss Patty, Babette und Lorelai mitsamt Rory saßen da. Luke brachte sein leeres Tablett in die Küche und ging dann hinter den Tresen.

So, damit wären wir bei „Wie ignoriere ich Lorelai Gilmore“ die 2te. Schlimmer kann es ja jetzt nicht mehr werden. Vor der ganzen Stadt hat er sich ja jetzt schon blamiert. Vielleicht sollte er es doch einmal mit Muhen probieren.
Na ja, wenigstens sein trockener Humor war ihm nicht verloren gegangen.


Lorelai registrierte nur noch beiläufig, dass er hinter dem Tresen stand. Geknickt saß sie auf ihrem Hocker, die Knie an die Theke gelehnt und die Arme angewinkelt. Sie war kurz davor ihr Gesicht auf ihre Handballen zu stützten. Lorelai war es egal ob der Laden voll war oder nicht, sie hatte nicht bemerkt das fast alle Gäste sich verflüssigt hatten. Nicht einmal mehr auf Luke konnte sie sich verlassen. Eigentlich gab es jetzt nur noch Rory und sie. Eine eigene kleine Welt, ohne Kaffee und ohne Luke. Verdammt die Tränen saßen schon wieder viel zu locker. Sie spürte genau wie sich ihre Augen mit Tränen füllten und schaute hoch. Schaute direkt in sein Gesicht. Verdammt er ignorierte sie gnadenlos. Sein Gesicht schien kälter als Eis und er starrte an ihr vorbei hinaus aus dem Diner. Was hatte sie ihm den getan? Ihre Augen waren inzwischen so wässerig, dass sie Luke nur noch verschwommen sehen konnte. Aber das war ihr ganz recht, sie wollte ihn am liebsten nie mehr sehen.
Sie verstand nicht warum er sich so kindisch aufführte wie er es offensichtlich tat. Wollte er sie nicht mehr als Freundin haben? Warum sprach er nicht mit ihr? Lorelai spürte wie ihr langsam übel wurde. Vor ihren Augen begann es gefährlich zu flimmern. Waren das die Tränen? Sie klammerte ihre Finger um die Theke. Was war denn nur mit der Welt los? Ihr Leben war auf einmal so verschwommen, so völlig aus der Bahn geworfen. Jetzt hatte sie auch noch Luke verloren.
Lorelai hatte keine Erinnerung an den Tag. Laut Diagnose der Ärzte hätte sie den Auslöser ihrer Schmerzen einfach verdrängt. Der Tag, an dem sie mit Luke zu Emily in Christophers Wohnung gefahren war fand für Lorelai nie statt. Lorelai wusste nicht, dass sie damals Sherry gefolgt war und an die folgenden Minuten hatte sie keinerlei Erinnerung. Nur immerwiederkehrende Wortfetzen und Alpträume ließen sie immer wieder zu dem Tag zurück kehren. Die eine Stimme die sie ständig hörte machte sie wahnsinnig. Je öfter sie sie hörte, desto mehr versuchte sie, sie zu verdrängen. Aber es ging nicht. Sie suchte nach der Erinnerung und ihr Gehirn werte sich gleichzeitig verzweifelt dagegen. Wenn sie Glas in der Hand hatte oder eine Flamme aufleuchtete, wenn Benzin in ihre Nase stieg oder Glas zerbrach, Lorelai schien durch zu drehen. Sie konnte die Erinnerung nicht mehr von der irrealen Traumwelt unterscheiden. Niemand konnte ihr helfen, da sie alleine mit Sherry in dem Raum und Sherry seitdem spurlos verschwunden war. Laut Diagnose hatte sie sich die Wunde an ihrem Hals nicht selbst zugefügt. Aber würde eine schwangere Frau auf eine andere losgehen? Die Polizei stand vor einem Rätsel. Und der einzigste Mensch der es lösen konnte, hatte die Erinnerung verloren.

„Macht 1.50“ Rory starrte Luke entgeistert an. Als ob Lorelai nicht wüsste, wie viel Lukes Kaffee kostete. Lorelai hing immer noch kraftlos an der Theke. Auf einmal war sie schrecklich müde. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie ihre verkrampften Finger von der Theke löste und beide Hände nach der Tasse ausstreckte. Es war ihre Tasse. Ihre persönliche Lieblingstasse. Luke hatte es also nicht vergessen. Ihre Arme streckten sich nach der Tasse und sie klammerte sich verzweifelt an sie. Der heiße Inhalt schwappte leicht über und lief über ihre Finger. Es war egal. Tropfte auf die Oberfläche der Theke. Lorelai bemerkte das heiße Wasser auf ihren Fingern kaum. Sie zog sich zurück auf ihren Stuhl und hielt die Nase ganz nah über die Tasse. Endlich wieder Kaffee von Luke. Der weiche Duft der gerösteten Bohnen stieg ihr sofort in die Nase und durchströmte ihren Körper mit einem kleinem angenehmen Glücksgefühl. Sie vergas die Welt um sich herum und versank in der Vergangenheit. Sie bemerkte nicht, wie Rory vergeblich versuchte ein Gespräch mit Luke zu führen:
„Also Luke, äh wie wars denn beim Angeln. Viele Fische ins Netz gegangen?“ Rory wartete vergeblich auf Schwärmereien von der Angeltour.
„Hmh.“ Luke grummelte nur und wischte die Kaffeeflecken von Lorelais Tasse ab. Er versuchte genauso wie Lore in seiner Arbeit zu versinken und sie einfach nicht mehr wahr zu nehmen. Aber wie gewöhnlich gelang es ihm kaum. Seine Augen suchten sie und sein Blick ging immer wieder auf die Frau mit der Tasse in der Hand. Er sah wie tief sie über ihre Tasse gebeugt war, sie schien fast darin ertrinken zu wollen. Energisch wischte er an den mittlerweile unsichtbar gewordenen Flecken herum und sah das Glitzern in ihren Augen. Er starrte sie nicht an, er schaute hinaus auf den Marktplatz. Aber leider war sein Blickwinkel so weit, dass er sie trotzdem sah. Und was er sah, brachte seinen Puls zum toben. Eine einzelne Träne lief grausam langsam über Lorelais weiche Wange, tropfte hinab und versank unendlich tief in ihrer Tasse. Luke konnte nicht mehr, er war kur davor das Diner zu schließen und wieder abzuhauen. So gerne würde er mit Lorelai reden. Sie umarmen, beschützen, ihre Tränen trocknen. Aber es ging nicht. Sie nahm ihn gar nicht wahr, sah in ihm vielleicht sogar Christopher. Verletzt schaute er auf seine Hände und bemerkte endlich dass er sekundenlang einen unsichtbaren Fleck bearbeitete. Er lies den Lappen sinken und ging an das andere Ende der Theke um einen Donut zu holen. Die Schritte hallten auf dem Boden und seine Glieder wurden mit jedem Zentimeter schwerer. Kurz bevor er die große Glasschale öffnen konnte sprach Rory ihn noch mal an.
„Luke, geht es dir gut?“
Luke öffnete die Schale und drückte Rory stumm einen Donut in die Hand. Er war unfähig etwas zu erwidern. Er hätte keine Worte gefunden um auszudrücken wie es ihm ging. Er drehte sich um, knüpfte seine Schürze auf und schmiss sie neben die Kasse. Dann stieg er die Stufen zu seinem Apartment hoch, kurz nachdem man die Türe zufallen hörte kam auch schon Jess irritiert die Treppe mit den Büchern hinunter.
Rory schaute ihn verwundert an. „Extraschicht.“ Rory gönnte Jess noch einen mitleidigen Blick bevor sie sich mitsamt Donut wieder neben ihre Mutter setzte. Lorelai schien immer noch in ihren Kaffee versunken.

„Lorelai?“ Lorelai schaute aus ihrer Tasse hoch, drehte sich nach links und blickte direkt in Taylors Bart. Dieser räusperte sich kräftig und setzte dann an:
„Also, wir, die Stadt Stars Hollow, wollen unseren Luke zurück. Wir wollen essen was wir bestellen und wir wollen uns mit ihm streiten. Wir haben das gerade in einer spontanen Sitzung beschlossen und abgestimmt. Also ich bitte Sie, gehen Sie da hoch und schaffen sie diesen Streit aus der Welt.“ Fürsorglich legte er den Arm auf ihren Rücken. Lorelai zuckte zusammen bei der Berührung und stand auf. Beinahe hätte sie noch die Tasse fallen lassen. Schusselig knallte sie das Porzellan auf die Oberfläche und starrte Taylor an. Dieser hatte inzwischen die Arme verschränkt und schaute streng. Lorelai blickte zu Babbette und Patty. Auch die schienen von dem Plan überzeugt.
Kurz überlegte sie, ob sie eine Diskussion über spontane Stadtversammlungen anzetteln sollte, aber dann fügte sie sich und lief in Richtung Vorhang. Stars Hollow hatte ja Recht.

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And I start to feel for him again. Stupid me.
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#33

Kapitel 32

Sie streifte den Vorhang, er berührte ihre Schulter doch sie starrte ans Ende der Treppe. Dort oben war er. Der einzige Mann der sie noch nie in ihrem Leben enttäuscht, verletzt oder in irgendeiner weiße schlecht behandelt hatte. Und der jetzt die Schnauze voll von ihr hatte. Eindeutig nichts mehr mit ihr zutun haben wollte. Kurz wollte sie bereits umdrehen. Aber ihre Beine trugen sie weiter. Höher und weiter hinauf. Zu ihm. Was hatte sie jetzt schon noch zu verlieren? Chris war tot, schlimmer, hatte sie sogar verlassen bevor er starb und Luke? Luke war da und doch weg. Sie musste es wissen. Sie musste wissen warum. Was hatte sie getan, dass Luke sie ignorierte? Hatte sie überhaupt etwas getan? Hatte Luke etwas getan? Die Fragen in ihrem Kopf hämmerten auf sie ein und ihr Kopf wurde langsam schon ganz schwummerig. Sie stieg die Stufen hoch. Immer weiter und weiter, näher zu ihm. Sie hoffte, betete dass er sie nicht noch einmal abweisen würde. Noch einmal würde sie diesen Blick, den Ausdruck in den Augen nicht ertragen können. Endlich war sie oben. Da stand sie. Im Flur vor Lukes Wohnung. Es war nicht sonderlich hell. Im Halbdunkeln starrte sie auf die Scheibe. Dahinter war er. Sie wollte es endlich tun. Wollte ihn zurück. Sie brauchte ihn wirklich. Die letzten Wochen waren wie ein Gewitter über sie herein gebrochen und die einzige Rettungsboje an die sie sich noch klammern konnte war Luke- so schien es ihr jedenfalls in dem Moment, als sie vor seiner Tür stand und endlich, mit zittriger Hand klopfte.

Er saß auf der Couch. Vor sich ein Bier und eine Flasche Wodka. Seit einiger Zeit starrte er zuerst das Bier und dann den Wodka an. Er wollte sich so gerne besinnungslos saufen, endlich, für ein paar Stunden wenigstens, vergessen, was passiert war. Endlich wieder ein normales Leben führen, ohne das ganze Leid und die verletzten Gefühle um ihn herum. Aber er rührte sich nicht. Starrte weiter auf die Wodkaflasche, blinzelte zu dem Bier. Es war ein gutes Bier, genauso wie der Wodka ihm sicher einen guten Dienst tun würde. Nein, er würde nicht alles trinken, lebensmüde war er nicht. Aber vielleicht könnte er wenigstens so viel Promille bekommen, dass er für ein paar Stunden endlich seinen Kopf frei bekam. Endlich nicht mehr an seinen eigenen Schmerz gefangen war, terrorisiert von seinem Herzen und verletzt von seinem Stolz. Er wollte endlich die Bilder vergessen. Er hatte es so satt immer wieder an den Ort zurück zu kehren. Lorelai blutend auf dem Boden liegen zu sehen. Ihr Wimmern in seinen Ohren. Das Blut an seinen Händen und ihr verzerrtes Gesicht, ihre Augen. Er konnte einfach nichts dagegen tun. Immer wieder und wieder sagte er es.
„Ich liebe dich Lorelai. Bitte, verlass mich nicht“
Immer wieder spürte er ihren leblosen Körper auf sich, spürte wie die Kraft in seinen Armen schwand, so fest drückte er die Handtücher auf ihre Brust. Roch das Blut um sich herum. Er presste die Augenlider zusammen, er wollte sie nicht mehr sehen. Er konnte es nicht mehr ertragen sie so hilflos zu sehen. Er erinnerte sich an die Tränen die wie irr über seine Wangen liefen. Die Angst die er damals gespürt hatte, niemals hatte er etwas schlimmeres erleben müssen.
Luke machte die Augen wieder auf und griff zur Flasche.
Er hatte genug. Drehte den Verschluss auf. Der beisende Geruch des Schnapses kam ihm gefährlich nahe. Er verabscheute Menschen, die tranken um zu vergessen. Aber er konnte nicht mehr. Er hatte keine Kraft mehr übrig. Er hatte keine Kraft mehr für sich und schon gar nicht für Lorelai. Langsam hob er die schwere Glasflasche, öffnete den Mund und hielt den Atem an. Er verabscheute Schnaps. Seine Lippen umschlossen die kalte Flasche und die durchsichtige Flüssigkeit brannte sofort wie irr auf seiner Zunge. In dem Moment, als er schlucken wollte klopfte es an der Tür.
Luke, er hatte damit wirklich nicht gerechnet verschluckte sich an der grausamen Brühe und fing an zu husten. Das widerliche Zeug in seiner Luftröhre sorgte für einen Hustenanfall. Er hustete und schnappte nach Luft.
Es klopfte wieder. Dieses Mal nicht so zaghaft, sondern energischer.
Prustend stand er auf und knallte die Flasche offen auf den Tisch. Etwas Wodka schwappte über und somit roch der ganze Raum sekundenspäter bereits nach Alkohol. Seufzend schleppte er sich an die Türe. Jetzt gestört zu werden machte ihn wütend. Das war wirklich einer der unpassendsten Momente überhaupt. Er stand vor der Tür und streckte sich erst mal. Seine Schultern und Rücken waren schrecklich verspannt.
Wieder Klopfen. Dieses Mal stark und fordernd.

„Ja ja, ist ja gut.“ Er drückte genervt die Türklinke hinunter und zog die Tür schwungvoll auf. Während er sich noch über das viele Geklopfe beschweren wollte, schaute er direkt in tiefblaue Augen. „immer mit der Ru“ Er verstummte augenblicklich.
Er stand da, sie stand da. Er sah sie nicht ganz, denn im Flur war es halbdunkel, da die Jalousien unten waren. Beide standen einfach nur da und starrten sich gegenseitig an. Es schien als würde eine Ewigkeit vergehen. Niemand rührte sich. Nichts war zu hören, außer das mehr oder weniger gleichmäßige Atmen von beiden und das geschäftige Treiben unten im Diner. Die unglaubliche Spannung zwischen beiden knisterte.
Auf einmal löste sich Lorelai aus ihrer Starre und lief auf ihn zu. Luke stand wie einbetoniert. Es waren höchstens zwei oder drei Schritte bis in Lukes Arme und trotzdem kam es Lorelai wie eine Ewigkeit vor. Sie wusste nicht mehr was sie tat und warum sie es tat. Sie hatte einfach nur noch einen Gedanken im Kopf. Und der galt Luke, ihm und seinem Körper. Wie magisch angezogen fanden ihre Arme den Weg um seinen Rücken. Sie stolperte regelrecht in seine Arme, klammerte ihre Finger an seine Schultern und legte ihren Kopf an seinen Hals. Kaum hatten ihre Haare seinen Hals berührt fing sie bitterlich an zu weinen. Die Tränen strömten nur so über ihr Gesicht und verliefen sich in Lukes Shirt. Sie atmete seinen Geruch ein und schloss die Augen.

Luke stand da und lies es geschehen. Er rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Wie betäubt sah er zwar, dass Lorelai auf ihn zu kam und in seine Arme stürzte. Aber selbst als sie ihre Arme um seinen Oberkörper legte reagierte er nicht. Seine Hände hingen bewegungslos hinab. Er stand da wie versteinert und spürte wie sie ihren Kopf an seinen Hals legte. Erst als er hörte das sie weinte und er die Feuchtigkeit ihrer Tränen spürte kam Leben in ihn. Das Blut kroch in seine Arme zurück und er legte die Arme um ihre schmalen Schultern, zog sie weiter in seine Arme. Er umfasste ihren Rücken so gut es ging und drückte ihren bebenden Körper an sich. In diesem Moment war alles vergessen. Der Schmerz, die Demütigung, die Angst. Alles war zweitrangig. Er stand einfach nur da und hielt sie in den Armen. Spürte sie, hörte und sah sie. All seine Sinne waren ausschließlich auf sie ausgerichtet. Er schloss seine Lider. Denn er spürte wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Warum genau er weinte sagten ihm seine Tränen nicht. Es musste aber eine Mischung aus Erleichterung, Erinnerung und Hoffnung sein.


Sachte drückte er Lorelai an seine Brust. Fast hatte er schon Angst ihr weh zutun, so eng wollte er sie an sich ziehen. Er genoss noch eine Weile ihre Nähe und wartete bis ihre Schluchzer abflachten und er spüren konnte, dass sie ruhiger wurde. Es war einfach unglaublich. Er hatte doch vor sie zu hassen und zu ignorieren. Und jetzt? Jetzt stand er hier und sie schluchzte an seinen Hals. Es war also wie immer. Er hatte es nicht geschafft sich durch zusetzten und sie hatte bekommen was sie gewollt hatte. Er ignorierte die mürrische Stimme in seinem Kopf und vertrieb alle bösen Gedanken. Für nichts in der Welt hätte er den Moment in dem Lore in seine Arme sank ungeschehen machen wollen.
Als die Tränen nach einer schieren Unendlichkeit versiegt waren lockerte er die Umarmung. Vielmehr versuchte er es, denn Lorelai schien nicht im Traum daran zu denken ihn loszulassen. Fast musste er schon wieder schmunzeln: wie sehr Lore sich an ihn klammerte war einfach rührend. Es tat seiner geschundenen Seele so gut, zu spüren wie sehr Lorelai ihn brauchte. Für das unglaubliche Glücksgefühl das durch seinen ganzen Körper strömte vergas er sogar warum es ihm so schlecht ging. Er vergas Chris und er vergas die Angst, von Lorelai jemals wieder Chris genannt zu werden. Als ob Lorelai es geahnt hätte öffnete sie in diesem Moment ihren Mund:
„Luke“
Sie hauchte und flüsterte mehr als das sie fest sprach. Es war nur ein einfaches Wort, Nur 4 Buchstaben und trotzdem machte es Luke glücklicher als jede ausschweifende Liebeserklärung die er je bekommen hatte. Sie kannte seinen Namen, sie kannte ihn und sie wusste nicht nur, dass er es war. sie wollte ihn. Sie wollte wirklich ihn und nicht Chris.
Luke konnte nicht anders, er musste Lächeln. Es war schon verrückt mit der Frau, die ihm so weh getan hatte, dass er sich sogar ins Delirium saufen wollte, im Arm dazustehen und wegen 4 Buchstaben zu lächeln, im Vergleich zu den schrecklichen Dingen, die in der letzten Zeit passiert waren. Aber was sollte er tun? Es ging nicht anders. Er wollte es, sein Herz wollte es und sogar die Stimme die seit Tagen gegen Lorelai wetterte war nach diesem kleinen unscheinbaren Wort verstummt.

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And I start to feel for him again. Stupid me.
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#34

Kapitel 33

Luke seufzte. Die letzten Tage waren schlimmer als die Hölle für ihn. Aber jetzt? Jetzt stand er da, sie so nahe an sich, dass er sie riechen konnte. Gierig atmete er durch die Nase ein, versuchte möglichst viel von ihr in sich aufzusaugen. Es war unbeschreiblich schön sie im Arm zu haben und sie zu spüren. Eigentlich war es doch nichts so besonders, es war doch nicht das erste Mal, dass er eine Frau im Arm hatte. Wäre er in diesem Moment nicht so glücklich gewesen, hätte er sich vielleicht gefragt warum es ihm so gefiel sie zu spüren. Er wusste schon lange das er sie liebte aber wie sehr er wirklich bereit war, für sie alles zu geben, das war ihm immer noch nicht klar. Hätte er sich nicht wundern müssen, warum es seinem gekränkten Herzen und dem verletzten Stolz scheinbar völlig ausreichte die 4 Buchstaben aus ihrem Mund zu hören? War es nicht überzogen ihr auf der Stelle jede einzelne qualvolle Sekunde zu verzeihen, nur weil sie weinte und sich an ihn klammerte? Aber Luke wollte nicht mehr denken. Er wollte fühlen und zwar jetzt. Jetzt sofort. Er spürte wie das wohlige Kribbeln tief in ihm einer hungrigen Leidenschaft wuchs. Spürte die Anspannung auf seinen Lippen. Er wollte sie küssen. Wollte sie berühren, über ihr geschändetes Haar fahren und ihre zarte verletzbare Wange heilen. Er spürte Lorelais sicheren Griff um seinen Rücken. Die starken Fingerspitzen an seinen Schultern. Er lies sie nicht los, war kurz davor sie hochzuheben und sie zu tragen, damit ihr auf dem Weg in seine Wohnung ja nichts passieren konnte. Aber nichts geschah, er rührte sich nicht. Das Verlangen auf seinen Lippen wuchs langsam aber sicher. Lorelai lockerte ihre Arme genauso wenig. Sie hatte die Augen geschlossen und konzentrierte sich auf das wohlige Gefühl von Sicherheit, dass ihr Luke vermittelte. Lorelai war so damit beschäftigt einfach nur glücklich zu sein, dass sie nicht bemerkte wie sich das Glücksgefühl langsam aber sicher veränderte. Registrierte nicht, wie ihre Lippen sich langsam öffneten und einer gewisse Richtung entgegenstreckten. Lorelai wurde von dem Schwall der Gefühle so gnadenlos überrumpelt dass sie nicht mehr erkennen konnte woher das elektrisierende Gefühl kam. Sie schmeckte zwar etwas, dass so ähnlich schmeckte wie Wodka, ihre Lippen berührten etwas aber sie schwebte in ihrer eigenen Atmosphäre. Ihr war, als wäre ihr Körper plötzlich schwerelos. Hinweggeflogen direkt in den Himmel. Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal so gefühlt hatte. Sie wusste gar nichts mehr. Vorsichtig bewegte sie ihren Kiefer. Biss ganz leicht auf etwas. Schließlich öffnete sie endlich die Augen und blinzelte direkt in Lukes Gesicht.
Luke hörte auf sie zu küssen. Hatte sie ihn gerade wirklich gebissen? Er zog seinen Kopf zurück und öffnete langsam die Augen. Sein Blick viel direkt in Lorelais Gesicht, dass nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Unsicher schaute er in Lorelais Augen. Er konnte überhaupt nichts in ihnen lesen. Lorelai hatte ihn doch gerade geküsst oder? Hatte er schon Halluzinationen? Wunschträume? Nein, er konnte den Kuss noch genau schmecken. Und er schmeckte noch etwas, ein kleiner Restgeruch Wodka. Oh man, war er etwa schon betrunken?

Lorelai stand da und schaute in Lukes Augen. Sie sah so viel in ihnen und hatte gleichzeitig einfach keine Ahnung. Hatte sie gerade wirklich Luke geküsst? Sie fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Ja, ihre Unterlippe war total angenehm zittrig und sie fühlte den Kuss fast noch. Ja, sie hatte gerade wirklich Luke geküsst. Sie lies los. Ihre Arme sanken von seinen Schultern, segelten nur knapp an seinem Hintern vorbei und baumelten dann kraftlos in der Luft. Sie versuchte vergeblich etwas Halt zu finden in der Luft, aber fand keinen und schwankte leicht. Langsam wurde es wirklich seltsam, war sie vielleicht doch verrückt geworden? Immerhin hatte sie sich einfach in Lukes Arme geworfen, dann auch noch angefangen zu weinen und jetzt hatte sie ihn auch noch geküsst? Was musste Luke nur von ihr denken. Sie schüttelte leicht den Kopf. Luke hatte seine Hände noch immer um ihren Rücken, lies aber sofort los, als er spürte wie sie den Kopf schüttelte. Etwas verunsichert, besser gesagt völlig verwirrt lies auch er die Arme sinken und stand Lorelai ratlos gegenüber. Seine Augen waren immer noch in ihrem Blick gefangen. Sie seufzte. Wollte sie etwa gehen? Jetzt kam Leben in Luke. Er trat zurück und sagte mit tiefer, leicht zittriger Stimme:
„Willst du vielleicht“ er räusperte sich, wow in ganzen Sätzen sprechen war gar nicht so einfach, „reinkommen?“ Einladend zeigte er auf seine Wohnung und sein Blick viel auf die Wodkaflasche. Peinlich berührt lief er los in Richtung Tisch. Seine Beine reagierten eigentlich verhältnismäßig gut, er schwankte nur ganz leicht und die Muskeln in seinen Beinen schienen noch vorhanden zu sein. Irgendwie war er froh sich bewegen zu können, denn das alles konnte gerade doch nicht passiert sein. Oder doch? Erst mal Ordnung schaffen. Froh endlich etwas tun zu können trug er Wodka sowie Bier beiseite.
Lorelai schien inzwischen auch wiedererwacht zu sein. Sie schloss die Tür und setze sich etwas benebelt aufs Sofa. Wie viel konnte den in ein paar Minuten passieren und vor allem das. Lore musste sich immer noch wundern. Sie war sich nicht ganz sicher, hatte sie Luke wirklich geküsst oder nur fantasiert? Oder hatte Luke sie geküsst?
Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als Luke sich neben sie aufs Sofa fallen lies.
Toll, da saßen sie nun beide. Benommen von dem eben erlebten Kuss und unfähig auch nur irgendetwas halbwegs vernünftiges zu sagen. Irgendwie schien es so, als ob sie es nie schaffen würden, endlich vernünftig mit einander zu reden. Lorelai konnte sich kaum noch an die Stimme von Luke erinnern. An seine Stimme, an die tiefe grummelige Tonhöhe. Nicht die eiskalte abweisende, mit der er sie noch vor ein paar Minuten schwer gekränkt hatte.

Luke atmete tief durch. Vielleicht war es die Wirkung des Wodkas, vielleicht auch sein Herz oder sogar sein Verstand. Aber auf einmal war er von seiner Angst befreit.
Er drehte sich in Richtung Lorelai und sah ihr in die Augen. Der Kuss hallte auf seinen Lippen nach. Sah in ihr Gesicht. Er wusste nicht warum und er wusste nicht wie aber er tat es.
„Lorelai.“
Die angesprochene reagierte auf ihren Namen und schaute genau in sein Gesicht.
„Ich weiß wie viel passiert ist. Ich kann Christopher niemals ersetzten und ich werde es auch niemals. Alles was ich von dir will ist eine Chance. Eine Chance für uns beide denn ich...“
Lorelai schloss auf einmal die Augen. Ihre Stirn zog sich in Falten und durch ihren Körper schien ein Stromschlag zu fahren. In ihrem Kopf wurden Stimmen laut. Sie hörte wieder die einzelnen Fetzen. Aber diesmal ergaben sie Sinn:

„Lorelai bitte, bitte nicht.
Blieb da.
Sei stark.
Bitte ich brauche dich.
Bitte nicht.
Lore bleib da.
Bitte.
Verlass mich nicht.
Ich liebe dich.
Nein.
Lorelai.
Bitte nicht!
Lorelai.
Ich liebe dich Lorelai.
Bitte, verlass mich nicht.
Verlass mich nicht!“

Die einzelnen Fetzen die sie seit Wochen immer wieder in ihre Gedanken und Träume verfolgten ergaben Sinn. Lorelai erkannte die dunkle Stimme die ihr diese Sätze wieder und wieder zuraunte.
Es war Luke!
Die Stimme die sie am Leben erhielt und sie immer wieder gerufen hatte, als sie soweit war einfach davon zu segeln, alles was sie hatte zurückzulassen gehörte zu Luke. Er war die Stimme und er war der Mensch der sie gerettet hatte. Lorelai sah auf einmal das Badezimmer vor sich.

Die Wunde an ihrem Hals pochte und das Blut zirkulierte in ihren Adern. Sie roch auf einmal das Blut um sich herum und dann, dann fiel es ihr wieder ein.

Sie konnte sich an den Tag erinnern an dem es passiert sein musste. Sie konnte sich erinnern!
Sie sah sich in der Wohnung, wie sie Luke am Eingang zurück lies und alleine hineintrat.
Sie hörte noch einmal Emilys Warnungen, fühlte ihr Lachen darüber.
Dann sah sie das Wohnzimmer vor sich. Sah wie Sherry eine Flasche Wasser gegen das Regal schlug. Als die splitternden Glasfasern ihr entgegen flogen spürte sie den reißenden Schmerz an ihrem Hals. Ein gellender Schrei entfuhr ihr als sie das Blut an ihrem Hals hinabrinnen spürte.
Sie sah wieder Sherrys starren Blick vor sich, die Frau, die wie abwesend auf sie zukam, die abgebrochene Flasche wie eine Waffe vor sich herbalancierend.
Dann sah sie Sherry über den vielen Müll am Boden stolpern, hörte wie das Glas Sherrys Jogginghose zertrennte und Sherry kraftlos auf dem Boden zusammen sackte.
In Panik versetzt rannte sie in das Badezimmer und suchte nach einem Handtuch. Im Bad angekommen spürte sie, wie sie immer schwächer wurde, sie die Orientierung verlor.

Schließlich sank sie auf dem Boden zusammen. Konnte nichts mehr erkennen. Verlor sich immer tiefer in die seltsame süße Dunkelheit. Wollte hinüber segeln und ihren kochenden Körper verlassen.
Da war sie. Die dunkle Stimme, die ihr immer wieder das selbe zuflüsterte und sie im Arm hielt. Die dunkle Stimme, deren Sätze und Inhalt sie davon abhielten die Welt zu verlassen.

Sie öffnete die Augen. Starrte in Lukes Gesicht.
„...du liebst mich.“ Vollendete sie seinen Satz.
Luke schaute etwas irritiert. So hatte er es sich nicht wirklich vorgestellt.
„Ja“ sagte er einfach nur tonlos. Er wollte nicht mehr lügen, er wollte seine Gefühle nicht mehr verleugnen und zurück stellen zum Wohle aller und sich selbst.

„Du bist die Stimme. Du bist es. Ich hätte es wissen müssen!“ Lorelai sprang auf. Konnte nicht mehr stillsitzen. Zu überrascht und schockiert war sie über diese plötzlich zurück gekehrte Erinnerung.
„Es war nur ein Alptraum. Sie hat mich niemals geschlagen, sie hat mich niemals getreten. Sie hat mich niemals angezündet....Bin ich verrückt? Ich muss verrückt sein....Es war nur ein Unfall....ein verdammt unglücklicher Unfall wegen einer verdammten kaputten Flasche.“
Lorelai tigerte im Wohnzimmer umher und fasste sich an den Kopf. Rieb sich die Schläfen und fuhr über ihre Stirn.
„Es war nur ein Unfall. Nur ein Unfall.“ Sie lief immer weiter im Kreis und fing an zu lachen.
Es schien als würde ihr eine unglaubliche Last von den Schultern fallen.
„Nur ein Unfall, verstehst du Luke? Nur ein Unfall!“ Ihre Stimme war hoch und überschlug sich fast.

Luke stand auf und stellte sich ihr in den Weg. War Lorelai tatsächlich verrückt? Im Moment schien es fast so, sie redete wirres Zeug und wechselte von einem Thema ins andere, noch bevor Luke überhaupt den Sinn des alten Themas verstanden hatte. Er packte sie an den Schultern.
„Hast du mich verstanden Lorelai?“ So langsam war er nicht mehr sicher, ob Lorelai wirklich wusste, wovon sie redete.

Lorelai lachte noch einmal hell auf.
„Verstanden? Natürlich hab ich dich verstanden! Jetzt endlich hab ich verstanden! Du bist die dunkle Stimme die die ganze Zeit über da war. Du bist es! Natürlich! Du warst im Krankenhaus bei mir, du warst im Bad bei mir und du warst schon immer da. Und du liebst mich. Du liebst mich.“ Lorelai schaute ihm ins Gesicht, traf genau seine Augen. Luke wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Wovon redete Lorelai da die ganze Zeit?

„Du bist nicht Christopher.“ Luke lies seine Arme sinken. Schon hatte ihn sein neugewonnener Mut wieder verlassen. Aber dann fühlte er wieder den Wodka auf der Zunge.
„Nein, ich bin nicht Christopher. Christopher ist tot.“
„Ich hab dich geküsst. Wir haben uns geküsst.“ Lorelai zog ihre Augenbrauen nach oben und stürzte Luke nun vollends in völlige Verwirrtheit. Luke wusste irgendwie nicht mehr, was er noch tun oder sagen sollte. Hier stand er, vor Lorelai. Die Frau die er liebte und die offensichtlich noch mehr durchgeknallt war als sonst. Vielleicht war dies seine letzte Chance Lorelai für sich zu gewinnen.
Er tat einfach, was sein Herz im sagte. Er hob die Arme, zog sie erneut an sich und küsste sie.
Diesmal bewusst. Er schloss seine Augen und konzentrierte sich voll und ganz auf ihren Mund. Er legte seine Arme sicher um ihren Rücken und hielt sie fest. Vorsichtig küsste er ihre Unterlippe und wartete wie sie reagieren würde.
Und Lorelai reagierte. Sie fing ihrerseits an Luke noch enger an sich zu ziehen und küsste ihn ebenfalls.

Es schien ewig zu dauern, bis sie endlich den Weg zueinander gefunden hatten und Luke sie sanft hochhob und auf sein Bett trug. Ohne ihren Kopf auch nur eine Sekunde außer acht zu lassen setzte er sie auf das Sofa ab.
Er wollte nicht aufhören sie zu küssen und konnte auch nicht. Zu groß war die Gefahr, dass sie wieder anfangen würde zu reden und scheinbar sinnlose Zusammenhänge zu erkunden.
Für heute hatte er genug geredet, es war Zeit endlich zu handeln und dazu, was er sagte endlich zu stehen. Sie zu lieben. Und zwar sie und ihren gesamten Körper.
Von Lorelai kam kein einziges Geräusch. Sie hatte in dem Moment als sie spürte wie Luke sie hochhob ihr Gehirn ausgeschaltet und konzentrierte sich nur noch auf den ihr so vertrauten Körper. Als sie ihren Kopf einen Moment zurück zog um zu atmen öffnete sie die Augen und schaute auf Lukes geschlossene Augen. Dieser öffnete sie im selben Moment und als sich ihre Blicke trafen wussten beide was sie wollten. Und zwar hier und jetzt.
Luke zog sich etwas von Lorelai zurück und streifte sein Shirt über den Kopf. Sein nackter Oberkörper brachte Lorelai dazu sich ebenfalls zu erheben und ihn nach hinten zu drücken. Mit viel Hingabe fing sie an seinen Hals zu küssen und fühlte sich auf einmal unglaublich leicht und sorgenfrei.
Alle Angst der vergangenen Wochen schien von ihr abzufallen. Sie konzentrierte sich nur noch auf das brodelnde Verlangen tief in ihr.


Als es vorbei war und sie die tiefe Zufriedenheit in sich spürte öffnete sie ihre Augen wieder. Sie lag in Lukes Armen. Es war dunkel draußen und Luke schien zu schlafen. Denn er bewegte sich nicht, als sie ihren müden Körper in Bewegung und von ihm weg brachte. Obwohl sie so nahe an Luke lag fröstelte sie und so suchte sie im Mondlicht ihre Kleidung zusammen. Provisorisch zog sie Slip und Hose an und steckte ihren Bh in ihre Jackentasche.
Benommen von dem eben erlebten schlich sie noch einmal zu luke und deckte ihn wieder zu.
Da lag er, nackt wie er geboren und mit einem seligem Lachen auf dem Gesicht. Lorelai beugte sich hinunter zu ihm, küsste ihn auf die Stirn und verabschiedete sich mit einem leisen:
„Ich liebe dich auch“ von ihm.

Dann öffnete sie die Türe, zog ihre Jacke an und lief den dunklen Gang hinab. Wie lange musste sie oben bei Luke gewesen sein? Als sie kam war es doch noch hell... Rory machte sich sicherlich schreckliche Sorgen. Das Diner war geschlossen, dass konnte sie sich denken und so ging sie gleich zur Haustüre.
Trat hinaus in die kühle Abenddämmerung und atmete tief ein.
Sie war wieder frei. Spürte keine beklemmende Angst mehr , die sie beinahe nieder prügelte, so stark hatte sie ihr Leben beherrscht. Sie schaute hinauf in den Mond und musste grinsen.
Für einen kurzen Moment dachte sie an Christoper. Es war vorbei.

Sie winkte stellvertretend für Chris dem Mond zu und lief dann auf die Hauptstraße hinaus. Sie hatte keine Ahnung wie viel Uhr es war. Sie wollte nur nach Hause, zu ihrer Tochter ins Bett liegen und endlich, morgen früh wenn sie nicht mehr so müde war, anfangen wieder zu leben.

Alle Ängste, Lasten und Trauer schienen wie von Geisterhand weggezaubert. Lorelai wusste, dass nur durch Luke nicht ihr ganzes Leben auf einmal viel besser war. Aber sie wusste, dass Luke ein guter Partner war, ihr dabei zu helfen es auf die Reihe zu bekommen.
Die Narbe an ihrem Hals pochte wie zur Erinnerung. Aber diesmal spürte sie nur das pochen, keine Wortfetzen und alte Alpträume. Der Alptraum der sich die letzten Wochen ihr Leben nannte war vorbei.

Glücklich schloss sie ihre Ellenbogen um ihre Arme und atmete weiter tief durch. Ihr Brust schien wie von eisernen Ketten befreit und auch wenn es dunkel war, sie spürte wie ihr Lächeln auf ihr Gesicht zurück kehrte. Einzelne tränen liefen über ihr Gesicht. Aber diese waren leicht und schmerzten nicht. Lorelais bittere Tränen waren Tränen der Erleichterung gewichen.

Zu spät bemerkte Lorelai den Wagen hinter sich, der ohne Licht fuhr. Zu spät drehte sie sich um und starrte dem Auto entgegen. Zu spät traf ihr Blick den der Fahrerin.

Lorelai Gilmore starb nur wenige Minuten nach dem Unfall auf der Hauptstraße Stars Hollows.

Sherry Tinsdale wurde am 23. September 2005
– am ersten Todestag von Christopher Hayden –
des vorsätzlichen Mordes an Lorelai Gilmore für schuldig erklärt und wird den Rest ihres Lebens in einer geschlossenen Anstalt verbringen.

Rory Gilmore hat mit ihren 21 Jahren ihre Halbschwester Georgia Hayden zu sich geholt, die 4 Monate nach dem Mord geboren wurde.

-Ende-

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And I start to feel for him again. Stupid me.
[SIZE=2]~

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#35

Gibt es eigentlich noch irgendwen der lt liest? Wenn ihr wirklich all das gelesen habt, bitte gebt doch fb dazu ab! Von mir aus auch gerne hier


lg

~
And I start to feel for him again. Stupid me.
[SIZE=2]~

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#36

Man man... ich hab geheuelt.. das glaubste ganet... *schluchz echt ne super FF... man man... Hast echt riesen Talent... *daume hoch* Big Grin

[Bild: SigRorySternchen.jpg]
#37

Natürlich habe ich LT noch gelesen. Ich weiß nicht, mir fehlen einfach nur die Worte. Dein Schreibstil ist so direkt und detailliert. Einfach klasse. Auch wenn am Ende alles gut zu werden schien, war es doch nicht so. Eine wahnsinnige Überraschung!!!
Du hast auf alle Fälle das Zeug zu einer richtigen Schriftstellerin. Ich könnte mir sogar vorstellen, die Geschichte als Buch zu veröffentlichen Smile
Auf alle Fälle wird deine FF niemals in Vergessenheit geraten!!
Lg, Leni

[Bild: bild19af.gif]
[COLOR="DarkGreen"]Sig: pan; Ava: ordinary[/COLOR]
Sind wir nicht alle ein bisschen laurish?
~>Java Junkie Freak<~ :biggrin:
#38

Ich kenn LT noch von gg.de.tp! Aber auch da war ich gefesselt! Du kannst so toll schreiben, wirklich alles so schön ausdrücken, das ist schon fast nicht mehr menschlich!:biggrin:

Nur das Ende, da war ich richtig in Depri-Stimmung, aber man merkt ja, dadurch sprechen immer noch viele jetzt noch von LT!

Kurzfassung: Ich liebe diese FF einfach nur, trotz dem schrecklichen Ende!

lg
pan

Sterben ist friedlich... leicht. - Leben ist schwerer.
#39

ARGH!! Deine FFs bringen mich immer, ja immer zum heulen! Das ist eine wahnsinnig schöne und traurige FF! Dein Schreibstil ist wirklich genial! Respect! Top

[SIGPIC][/SIGPIC]
#40

Das ist einfach so schön, aber auch so traurig, dass ich nurnoch weinen kann.
Wie du diese Emotionen und alles mit Worten ausdrücken kannst ist einfach unbeschreiblich.

The truth is... sometimes I miss you so much I can hardly stand it.
ava


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