So:
13. Kapitel
âOh mein Gott!â Er stand nur da und lächelte sie an. âOh mein Gott!!â Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder sauer auf ihn sein sollte, sprang ihm dann aber vor Freude doch an den Hals. Er wollte sie gerade ebenfalls umarmen, als sie sich wieder von ihm löste und so fest sie konnte seinen Oberarm schlug. âVerdammt, mach so etwas nie wieder! Hörst du? Ich dachte, ich...â âDachtest du, ich komme nicht?â Sie sah ihn scheu an. âNaja. Vier Uhr am Nachmittag ist für mich nicht mehr âmorgen Frühâ.â Er nickte schuldbewusst. âIch weiÃ, tut mir leid. Mir ist was dazwischen gekommen.â
Sie umarmte ihn von neuem. Diesmal ganz fest, denn sie wollte ihn ja nicht mehr hergeben. Rory drückte ihren Kopf in seinen Nacken, roch an seinen Haaren, seiner Jacke. Es roch einfach alles nach Jess. Nach ihrem Jess. âIch liebe dich!â Er löste sich aus ihrer Fesselung und machte einen Schritt zurück. âWas ist los?â Sie war verwirrt. Er stand einfach nur da und sah sie erstaunt an. Rory wusste nicht, was sie davon halten sollte. âAber... Aber warum bist du dann, wenn du nicht... Jess!â âDu liebst mich?â Er klang richtig verblüfft. Sie versuchte zu lächeln. âNaja... Dich kann man eben nicht so leicht verges...â Seine Lippen trafen auf ihre. Jess zog Rory nahe zu sich heran, nahm ihren Kopf in seine Hände und küsste sie einfach nur. Solange hatte er sich nach diesen Worten, und dazu auch noch aus ihrem Mund, gesehnt.
âRory!â Die zwei stoben auseinander, Rory sah auf in den Vorgarten. âGrandma!â âIch glaube, ich sehe mal nach Oliver.â murmelte Jess ihr zu und verschwand im Haus. Ihre GroÃmutter war ihm seit ihrer ersten, und bisher letzten, Begegnung ja nicht so gut gesinnt und er fand sie, wenn er ehrlich sein sollte, auch nicht so besonders liebenswert. âWas tust du hier?â âDas könnte ich dich auch fragen! Ich habe gesagt, du sollst nicht kommen!â Rory war sauer. âWer war das?â Emily kam wütend auf sie zu. âWas geht dich das an?â âWie redest du mit mir??â Nun war ihre Grandma endgültig auf hundert. âWieso rennst du zu Mom und redest über mich?â Am liebsten wäre Rory jetzt mit einem lauten Türenknallen im Haus verschwunden, doch sie wollte weder Emilys Wut auf Jess lenken, nachdem sie ihr hineingefolgt wäre, noch wollte sie Oliver wecken, sollte er noch schlafen. âHast du einen neuen Freund?â âNein!â Rory war über diese Frage entsetzt. âDann sag doch, wer war dieser junge Mann? Und wem gehört dieser furchtbare Wagen hier? Ich hoffe doch ihm, und nicht dir! Wo hat er denn den her? Vom Schrottplatz?â Sie deutete auf Jessâ Auto. âJess hat eben nicht so viel Geld wie du, na und? Der Wagen läuft, das ist doch die Hauptsache!â âJess?â Ups. Eigentlich wollte Rory ihn da raus lassen. âDer Junge, den du gerade geküsst hast, das war Jess?â Sie wurde nervös. âEr ist Olivers Vater, ich werde ihn doch wohl küssen dürfen!â Emily steuerte auf die Haustüre zu. âIch will ihn sprechen.â Wo hatte sie ihn da nur hineingeritten? âGrandma, nein!â Doch sie ging geradewegs an ihr vorbei ins Haus.
Er saà in Rorys Zimmer. Den Stuhl vom Schreibtisch hatte er zum Gitterbett gezogen, auf welchem er seinen Unterarm und darauf seinen Kopf abgelegt hatte. Er hatte die beiden bis herein streiten gehört.
âJess!â Die Haustür öffnete sich. Emily. Um seinen Sohn nicht zu wecken, ging er rasch aus dem Zimmer und schloss die Türe. Auch, wenn es der Kleine noch nicht verstehen würde, aber vor Oliver wollte er sich nicht streiten. Er wollte bei ihm überhaupt alles anders machen, als seine Mutter und seine ständig wechselnden âVäterâ bei ihm.
Er trat in den Gang der Küche und Wohnzimmer verband. âJa?â Emily stand vor ihm, Rory mit verschränkten Armen und blitzenden Augen hinter ihr. âWas tun Sie hier?â âIch bin bei Rory. Und Oliver.â Sie war verwirrt. âWas heiÃt das? Sprechen Sie gefälligst in ganzen Sätzen!â Jess erklärte es ihr ganz ruhig. âNun ja, das heiÃt, dass ich wieder hier bin. Und hier bleibe. Ich bleibe bei Rory und meinem Sohn.â Er zog die Schultern hoch. âWir sind immerhin eine Familie.â Emily öffnete den Mund um etwas zu sagen, brachte aber kein Wort heraus. Sie setzte sich in die Küche.
Verwirrt und verwundert zu gleich setzte sie wieder an. âAber Sie waren doch nie hier! Sie können doch nicht einfach nach Monaten wieder auftauchen und sagen, Sie wären von nun an der Vater meines Urenkels!â Rory mischte sich zum ersten Mal wieder ein. âDas lass mal mein Problem sein, Grandma! Ich werde Jess doch nicht wegschicken, wenn er sich für seine Familie entscheidet! Und auÃerdem: Du und Grandpa ward die letzten Monate ebenso wenig für mich da!â Nur für Jess hörbar setzte sie hinzu: âUnd wir beide müssen übrigens noch über sehr viel reden!â Er nickte kaum merkbar.
Emily hatte ihren Kopf in eine Hand gestützt. âRory, bitte, können wir kurz alleine miteinander reden?â âNicht, wenn es um Jess geht. Oder würdest du da auch zuerst zu Mom rennen?â Sie ignorierte diese letzte Bemerkung. âEs geht nicht um Jess. Es geht um uns beide! Das war doch der Grund, weshalb ich gekommen bin!â Sie sah ihre Enkelin fast schon verzweifelt an. âKönnen Sie bitte die nächste Weile nach dem Baby sehen, oder ins Wohnzimmer gehen? Ich würde gerne mit Rory alleine sprechen.â Sie wandte sich an Jess, der nickte. âSoll ich Oliver mitnehmen?â Er stand vor Rorys Zimmertür und drehte sich nach ihr um. âJa, das kannst du machen.â
Ein paar Minuten später war Jess mit Oliver am Arm im Wohnzimmer verschwunden und Rory saà mit immer noch verschränkten Armen, auf dem Sessel zurückgelehnt ihrer GroÃmutter gegenüber. âWas gibtâs?â Emily bemühte sich, eine ruhige Tonlage zu finden und zu halten. âZuerst wollte ich mich dafür entschuldigen, dass ich nicht gleich zu dir kam und mit dir, sondern mit deiner Mutter redete. Das war weder richtig, noch fair.â âDa hast du Recht!â âRory, du musst wissen, es war nicht leicht für mich, als du an diesem Freitagabend vor einigen Monaten deinem GroÃvater und mir während dem Abendessen mitgeteilt hast, dass du schwanger bist. Für mich ist in diesem Moment eine Welt zusammen gebrochen. Ich hatte das Gefühl, als hätte sich alles, was wir mit Lorelai durchgemacht haben, bei dir nun wiederholt. Das war ein schrecklicher Gedanke für mich, da du so viel mehr kannst, als mit gerade einmal 19 Jahren Hausfrau und Mutter zu sein! Ich hatte noch so viel mit dir vor. Deine Mutter hatte noch so viel mit dir vor.â Rory sah sie erstaunt an. âMom?â Emily lächelte ein wenig. âAbgesehen von eurer ausgefallenen Europareise wollte sie dir als Weihnachtsgeschenk einen einwöchigen Aufenthalt in London schenken, bei dem ihr euch alle Möglichen Sehenswürdigkeiten angesehen hättet, in wohl jede der unzähligen Bücherei gegangen wärt und eure restliche Freizeit mit Kino und Party machen verbracht hättet. Sie hat sich so darauf gefreut...â Rory war verwundert. Ihre Mom hatte einen derartigen Londonbesuch noch nie vor ihr erwähnt. âJetzt bin ich ganz schön vom eigentlichen Thema abgeschweift!â Emily lachte leise. âAlso, als ich vor einigen Tagen von diesem Treffen zwischen dir und Richard erfahren hatte, war ich ganz schön verletzt. Ich dachte, er wollte mich als Böse darstellen, da er sich nun wieder mit dir vertragen hatte, aber ich noch immer wütend auf dich war. Er hat mir aber erklärt, dass sein Treffen den eigentlichen Grund hatte, sich mit dir zu versöhnen und Olivers Kindheit miterleben zu können. Er hatte schon Recht. Wir haben nicht viel von deinen Entwicklungen erfahren, als du klein warst. Wir waren gut genug, um mit Geld auszuhelfen und Geschenke zu machen, aber sonst wurden wir zu gar nichts gebraucht. Und dieses Gefühl war kein Schönes, Rory, das musst du mir glauben. Lass mich Olivers Kindheit miterleben. Ich will doch auch etwas von meinem Urenkel haben.â Ihre Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln. Rory starrte auf die Tischplatte und dachte nach. âIch weiÃ, dass du mir wohl nicht einfach so vergeben und vergessen wirst, das erwarte ich nach meinem Verhalten bei unserem letzten Abendessen auch gar nicht. Es war nicht richtig. Ich dachte, es wäre am Einfachsten, einfach so weiterzumachen, als wäre nichts gewesen, doch das war es nicht.
Lass es uns noch einmal versuchen. Komm nächsten Freitag mit deiner Mutter, Oliver und Jess zum Abendessen. Ich will doch auch wissen, wie du lebst, wie es dir geht, und ob du mit allem zurecht kommst.â Rory sah sie stirnrunzelnd an. âIch soll Jess mitnehmen?â âAber natürlich! Er sagte doch vorher, er würde hier bleiben, und da er Olivers Vater ist, kann er doch mitkommen!â âJa schon, aber kannst du dich nicht mehr an seinen letzten Besuch erinnern? Ich will eigentlich nicht, dass du noch einmal so über ihn schimpfst!â Emily seufzte. âIch erinnere mich noch sehr wohl an seinen letzten Besuch bei uns. Aber nun sieht die ganze Situation doch auch ganz anders aus. Ich will einfach nur einen Neuversuch.â Rory nickte gedankenverloren und richtete sich auf. âJess?! Komm mal kurz!â
âWas ist los?â Vorsichtig betrat Küche. âMeine Grandma... Wo ist Oliver?â âEr liegt im Wohnzimmer auf seiner Decke am Boden und schläft. Was ist denn?â Er sah die beiden Gilmore Frauen abwechselnd an. âIch würde Sie gerne herzlich zu unserem nächsten Freitagabend Essen einladen, sollten Sie Zeit und Lust haben!â Jess war sichtlich erstaunt. Hatte sie etwa ihr letztes Freitagabend Essen vergessen? Er wusste nicht, was er sagen sollte. âÃhm, also...â Da sah er Rory aufmunternd nicken. âOkay... Gerne.â âSchön! Ich freue mich auf euch!â Emily strahlte, und es schien sogar wirklich ernst gemeint zu sein.
Mit einem Freudenseufzer stand sie auf, umarmte Rory und reichte Jess die Hand. âKann ich mich noch von dem lieben Kleinen verabschieden?â Jess führte sie ins Wohnzimmer und hob Oliver von seiner Decke hoch. Emily streichelte seinen Kopf. âAuf Wiedersehen, mein Lieber, bis Freitag!â Danach trat sie mit genauso erhobenem Kopf aus dem Haus, wie sie herein gekommen war.
âÃh, Rory?â âJa?â Sie kam nun auch ins Wohnzimmer und lieà sich auf die Couch fallen. âWieso sind wir, nein, wieso bin ich gerade zum Essen eingeladen worden?â âWeil meine Grandma mit Oliver und mir nicht dasselbe durchmachen will, wie mit mir und Mom.â âMhm.â Er lieà sich genauso schlau wie vorher brummend neben ihr nieder und legte einen Arm um sie. Rory lächelte. âSag mal...â âJa?â âVorher, bevor meine Grandma dazwischen geplatzt ist...â Sie sah ihn vorsichtig an. âDu hast mich geküsst.â âIch weiÃ.â Er grinste. âAber du warst entsetzt, als ich dir sagte, dass ich dich liebe.â Er wehrte ab. âNaja, entsetzt würde ich nicht sagen! Eher... erstaunt.â âWarum?â Jess seufzte. âDu hast mit mir Schluss gemacht, Rory!â Sie nickte. âAber das war doch mal...â Er zog eine Augenbraue hoch. âDas war einmal?â Schüchtern rückte sie ein kleines Stück näher. âWas... würdest du davon halten, wenn wir es noch mal probieren? Für Oliver. Du weiÃt doch jetzt, wie ich zu dir stehe.â Er lieà seinen Arm sinken. âJa, ich weiÃ, wie du zu mir stehst, aber wer sagt, dass ich dich auch noch liebe?â Zu diesem Satz konnte Rory nichts sagen. Sie war überrascht, entsetzt, traurig, peinlich berührt, gekränkt, alles auf einmal. Sie spürte, wie das Blut in ihre Wangen schoss, ihr Herz begann wild zu schlagen, sie wurde nervös. âAber... du hast mich doch... du hast mich-â âGeküsst?â âJa!â
Ihre Nervosität schlug in Ãrger um. âIch sage dir, dass ich dich liebe, du küsst mich, aber meinst es gar nicht so?â Sie rückte wieder von ihm weg. âRory-â âNein, Jess! Verdammt, das kannst du nicht machen! Wann kapierst du das endlich?â Sie stand auf, doch er zog sie an ihrer Hand wieder zu sich zurück. âLass mich los!â Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. âHey, hey! Ich liebe dich doch auch!â Augenblicklich hielt sie inne. âWas?â âIch habe die ganzen letzten Monate nichts anderes getan.â Sie schüttelte verärgert den Kopf. âUnd was sollte dann diese Nummer eben?â Er grinste verschmitzt. âNur ein bisschen SpaÃ!â Er versuchte sie zu küssen, doch sie drehte ihr Gesicht von ihm weg. âDas ist doch krank. Du bist krank!â Er erkannte, dass sein Scherz nach hinten losgegangen war und seufzte bedrückt. âRory? Sieh mich mal an.â Widerwillig wendete sie sich ihm wieder zu. âJetzt, wo du es weiÃt... Was... würdest du davon halten, wenn wir es noch mal probieren? Für Oliver.â Er versuchte, ihren Blick zu deuten, doch es gelang ihm nicht. âDas ist jetzt kein Scherz mehr. Ich meine es ernst...â Sie wollte es nicht, musste aber trotzdem lächeln. âIst das ein Ja?â Er fuhr mit dem Zeigefinger über ihre Mundwinkel. Rory nickte. âFreut mich!â Er näherte sich ihren Lippen.
Lorelai freute sich auf einen ruhigen Abend mit Rory. Sie würde sie mit Filmen, chinesischem Essen und viel mütterlicher Zuwendung und Liebe schon über Jess hinweg trösten. Sie parkte ihren Jeep unter der groÃen Tanne, wie jeden Tag, seit sie hier wohnten und ging in Gedanken auf das Haus zu. Gab es neuen Klatsch und Tratsch, mit dem sie über Rory reden konnte? Ihr fiel gerade gar nichts ein.
Leise schloss sie die Vordertür auf und ging ins Wohnzimmer. âRo... Oh, oh, Ãberraschung! ... Wow, Déjà -vu!â Zum zweiten Mal für heute rissen sie sich auseinander. Erst jetzt erkannte Lorelai, mit wem Rory gerade im Gange war. Diese war über die plötzliche Störung sichtlich verärgert. âJess!â âMom!â âIch gehâ dann wieder!â Er schnappte seine Jacke und verschwand schleunigst. âRory was sollte das?â Lorelai war entsetzt und erstaunt darüber, wie sie die beiden gerade gefunden hatte. Nach so langer Zeit und so vielem, was passiert war, hatten sie nichts Besseres zu tun, als zu knutschen? âJess warte!â Rory rannte ihm nach. Lorelai lieà sich auf die Couch fallen und hob Oliver vom Boden auf, der gerade aufgewacht war. âHey, haben wir dich geweckt? Tut mir leid! Sag mal, was ist denn mit deinen Eltern los..?â
âJess!â Etwa zwei Häuser weiter hatte sie ihn eingeholt. Er blieb stehen. âWieso bist du denn plötzlich weg?â Er lachte nervös. âSelbstschutzinstinkt!â âHey, Mom wird uns in Zukunft noch öfter zusammen sehen! Willst du da auch jedes Mal verschwinden?â Er zog den ReiÃverschluss seiner Jacke zu, es war ein recht kühler Abend. âNein, nur... Sie hat mir gerade nicht danach ausgesehen, als ob sie gewusst hätte, dass ich hier bin. Sie hat ganz schön sauer geklungen!â Rory senkte den Kopf. âÃhm, ja... Sie ist heute Nachmittag mal kurz heimgekommen, als ich gerade etwas... deprimiert war, weil du noch immer nicht hier warst, und...â âSie dachte, ich bin wieder weg?â Rory lächelte schüchtern. âNaja, ich dachte es ja auch... Lass uns wieder reingehen, okay?â Jess hob ablehnend die Hand. âNein, lieber nicht. Ich kommâ morgen Früh-â âJess!â âIch komme morgen wieder, okay?â Sie nickte traurig. âOkay...â Er wendete sich um, um zu gehen. âKuss?â Rory sah ihn fragend an. Er kam lächelnd noch einmal auf sie zu.
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Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.
(Albert Einstein)