Ad Astra - Denn Blutrot scheint der Mond....

Richard Gilmore - Towndown Hartford, morgens

Es sind immer die kleinen Dinge, an denen Ehen zerbrechen, schießt es ihm durch den Kopf. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat er sich mit einem Kollegen über die steigende Scheidungsrate unterhalten und er hatte ihm gesagt, dass die meisten Ehen am Alltag zerbrechen. Zahnpastatuben nicht zugeschraubt, aufgeklappter Klodeckel, Wäsche lieblos ins Badezimmer geworfen. Nichts davon ist bei ihm und Emily der Fall.
Er weiß nicht einmal, ob seine und Emilys Ehe wirklich zerbrochen ist, er weiß nicht, woran es liegt, dass sie sich plötzlich nicht mehr verstehen. Er redet, doch sie scheint nicht zu begreifen, worauf er hinaus möchte, scheint sich nicht im Geringsten für seine Anliegen zu interessieren.
Was ist so schwer daran, sich mit Trix zu verstehen? Sie ist so eine liebenswerte Frau. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass sie sich zusammenreißt, wenn Trix da ist? Es sind immer nur ein paar Tage...
Er fährt weiter, begreift erst jetzt die Ironie ihres Konflikts. Heute, ausgerechnet heute, hat Emily diesen Streit vom Zaun brechen müssen. 40 Jahre. Normalerweise glaubt er nicht an das Schicksal, doch es ist zu seltsam, als dass es ein Zufall sein kann. 40 Jahre, heute. Eine Ewigkeit, die sie gemeinsam verbracht haben, eine Ewigkeit, in der sie sich von einander entfernt haben. Wie sehr wünscht er sich manchmal das Mädchen zurück, dass er damals kennengelernt hat. Dieses unschuldige Wesen. Nunja, nicht ganz so unschuldig, wie sie schnell bewiesen hat, aber charakterlich noch so völlig unverdorben. Hätte er damals gewusst, dass es so enden wird, er hätte sich anders entschieden, hätte auf seine Mutter gehört und Pennilyn geheiratet.
Er schüttelt den Kopf, mahnt sich selbst, nicht zu viel über die Vergangenheit nachzudenken. Es ist so geschehen, er kann es nicht ändern, er kann nur das Beste aus der neuen Situation machen, doch noch weiß er nicht, was das Beste ist.

Emily Gilmore - A street, somewhere, morgens

Sie hat keine Ahnung wo sie hin soll. Ein Hotel wäre jetzt das vernünftigste. Andererseits will sie nicht in ein leeres, kaltes Hotelzimmer. Sie will jetzt nicht alleine sein. Nicht heute, dem Tag, den sie seit vierzig Jahren immer nur mit Richard verbracht hat. Richard, diesem egoistischen Mistkerl, der immer nur an sich selbst denkt. So war es schon immer und daran wird sich auch nichts ändern. Zumindest hat sie keine Lust, weitere vierzig Jahre darauf zu warten.

Emily passiert eine Tankstelle. Sie passiert sie und hält an. Setzt ein Stück zurück und betrachtet das Gebäude im Rückspiegel. Seltsam. Sie hat keine Ahnung, weshalb sie ausgerechnet hier gelandet ist. Sie war seit Jahren nicht mehr in dieser Gegend.

Andererseits ist es eine seltsame Ironie des Schicksals. Von hier aus ist zu zu Richard, warum soll sie jetzt also nicht zurück?

Entschlossen fährt Emily wieder an und biegt kurz darauf auf eine Allee ein. Eine Allee, an deren Ende, sie ihr Elternhaus sehen kann.

Pennilyn Lott - Lott Mansion, morgens

Sie liegt noch in ihrem Bett, ist noch ein wenig schläfrig, hat keine Lust aufzustehen. Sie ist eh allein zu Hause, Stephen wird längst im Büro sein. Sie hat also keine Eile - es wird niemandem auffallen.
Sie dreht sich in ihrem Bett um, da fällt ihr Blick auf ihr Handy, das auf ihrem Nachttisch liegt. Sie überlegt einen Moment: Soll sie ihn an anrufen, ist es dafür nicht eigentlich noch zu früh... Vollkommen egal, denkt sie, greift nach dem handy und blätert im Telefonbuch nach seiner Nummer: Richard.
Einen Moment noch zögert sie, dann drückt sie die kleine, grüne Taste und hört wie es klingelt. Jetzt muss er nur noch abheben.

Richard Gilmore - Towndown Hartford, morgens

Emily, schießt es ihm sofort durch den Kopf, als er sein Handy läuten hört. Es tut ihr leid, sie möchte sich für ihr Verhalten entschuldigen, hat eingesehen, dass sie sich kindisch benommen hat. Einen Moment zögert er, sein handy zu suchen. Eigentlich verdient sie es doch gar nicht, dass er es ihr so leicht macht. Schließlich greift er doch nach dem Handy, schaut aufs Display, bevor er abhebt.
Doch Emily ist es nicht, die ihn anruft, sondern Pennilyn Lott. Neugierig hebt er ab.
"Gilmore."
Es ist eine Gewohnheit von ihm, sich selbst am Handy immer mit Nachnamen zu melden, auch wenn Emily ihn anruft, tut er es.

Pennilyn Lott - Lott Mansion, abends

Sie erschrak ein wenig und war doch zugleich erfreut. "Richard, hier ist Pennilyn." Was sollte sie eigentlich sagen? Das hätte sie sich vielleicht früher überlegen sollen. Sie hate ihn einfach angerufen, wusste aber garnicht genau was sie ihm eigentlich sagen wollte.
"Wie geht es dir?" Sie entschied sich mit einer solchen Höflichkeitsfloskel zu beginnen, dann würde ihr schon noch etwas einfallen.

Richard Gilmore - Towndown Hartford, morgens

Wie gehts es ihm? Eine interessante Frage, die er sich selbst nicht wirklich beantworten kann. "Danke der Nachfrage.", meint er schließlich höflich. Es ist nicht gelogen, er spielt ihr nichts vor. "Wie geht es dir?", erwidert er schließlich, brennt aber darauf, den wahren Grund ihres Anrufs zu erfahren.

Pennilyn Lott - Lott Mansion, morgens

"Mir geht es gut." Es war nicht mal gelogen, es ging ihr tatsächlich gut, auch wenn sie Richard furchtbar vermisste. Inzwischen hatte sie auch beschlossen, was sie ihm sagen wollte. "Ich freue mich schon sehr, wenn wir uns heute in Yale sehen." Sie lächelte bei dem Gedanken an den den heutigen Tag. Endlich würde sie Richard wieder sehen, es würde mit Sicherheit sehr schön werden - selbst wenn Emily dabei war.

Richard Gilmore - Towndown Hartford, morgens

Yale. Das Footballspiel, beinahe hat er es vergessen. Für ihn steht nur fest, dass Yale der letzte Ort ist, an dem er heute sein möchte. Zu viele Erinnerungen verbindet er damit.
"Pennilyn, ich werde heute nicht zu dem Spiel kommen.", meint er, fühlt, dass er ihr noch eine weitere Erklärung schuldig ist. "Es gab ein paar familiäre Probleme und Emily und ich ziehen es vor, nicht nach New Haven zu fahren."
Es ist nichts von gelogen, naja, fast nichts. Er weiß nicht, ob Emily nach New Haven fährt oder nicht. Er jedenfalls wird es ganz bestimmt nicht tun.

Emily Gilmore - Johnson Manison, morgens

Ohne nachzudenken klopft sie an, da sie weiß, dass sie es vermutlich lassen wird, wenn sie zuviel darüber nachdenkt. Und es wäre feige es zu lassen. Feige, nein, sie wird sich sicher nicht auf Richard's Niveau hinab begeben. Elender Feigling, setzt sie in Gedanken hinzu, eine neue Welle der Wut steigt in ihr empor. Man sollte ihn und seine Mutter im Zoo ausstellen, Richard bei den Duckmäusen, Lorelai bei den Drachen.

"Ja, bitte?", reißt eine bekannte Stimme sie zurück in die Realität. Adelaide. Mein Gott, wie alt sie geworden ist. Unglaublich alt und grau und faltig. Emily schämt sich sofort für diesen Gedanken, Adelaide ist kaum älter als sie und sie echauffiert sich darüber, wie alt sie geworden ist. Vermutlich denkt die Gute dasselbe. Andererseits sollt ihr bei Gelegenheit jemand die Vorzüge von Haarfärbemitteln und Make-Up erklären, Antifalten-Cremes und Wasser-Aerobic.
"Adelaide", begrüßt sie das Hausmädchen ihrer Eltern. So alt wie du, meine Güte, sie arbeitet ihr ganzes Leben lang hier, 45 oder sind es sogar 48 verdammte Jahre und bei mir hat es noch kein Hausmädchen auf 48 mickrige Tage gebracht. Manche noch nicht einmal auf 48 Stunden. Ich sollte sie abwerben.
"Miss Johnson?", stößt das Hausmädchen aus und Emily kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.
"Gilmore", korrigiert sie. "Seit einer ganzen Weile." Bestimmt nicht mehr lange.
"Verzeihung", Adelaide tritt einen Schritt zurück. "Kommen sie doch herein Mrs. Gilmore", fordert sie Emily auf, mustert sie noch immer verwundert.
"Ich weiß", beantwortet Emily die unausgesprochene Frage. "Ich war lange nicht mehr hier", und dennoch hat sich kaum etwas verändert, stellt sie auf den ersten Blick fest. Selbst das Portrait, dass ihr Vater vor ihrem Sechzehnten Geburtstag hat anfertigen lassen, hängt noch immer in der Eingangshalle. Nicht nur Adelaide, auch du, Emily, fürchterlich alt, schießt es ihr beim Anblick ihres jüngeren Ich's durch den Kopf.
"Die Herrschaften sind beim Frühstück im Wintergarten. Darf ich sie anmelden?"
"Bitte", stimmt sie höflich zu und Adelaide verschwindet mit einem Knicks. Wirklich nichts hat sich verändert, alles so Hochherrschaftlich wie eh und je.

Emily schlendert zu dem Portrait und starrt es nachdenklich an, während sie auf die Rückkehr des Hausmädchens und die Erlaubnis einzutreten wartet. "Unfassbar alt", raunt sie ihrem gemalten Ebenbild zu und fragt sich, wie alt Carl und Alice erst aussehen mögen.

Pennilyn Lott - Lott Mansion, morgends

ER wird nicht nach New Heaven fahren. Sie wird ihn nicht in Yale treffen, wird den Tag allein dort verbringen, denn Stephen wird sich mit seinen Kollegen treffen, wird sie vielleicht als nettes Anhängsel betrachten. Er wird von ihr verlangen bis Nachts aufzubleiben und in New Heaven in irgendeinem Wohnwagen zu schlafen - und das alles ohne das sie Richard sieht.
"Oh...ähm...ich hatte mich so gefreut dich zu sehen. Du fehlst mir Richard.." Sie hatte die Worte schon ausgesprochen, bevor sie überhaupt bemerkt hatte, was sie da gesagt hatte.


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