~*Kapitel 7*~
Detroit, Herbst 2004
Lorelei lies sich auf einen Sessel fallen und der Jahre alte Staub hüllte sie in eine weiÃe Decke. Hustend wedelte sie die Staubschwaden zur Seite und sah Jerusha an. âIch verstehe wirklich nicht, weshalb meine Mutter nie mehr hierher gekommen ist. Das ist vielleicht das gröÃte, vornehmste Haus das ich in meinem Leben gesehen habe, na schön, vielleicht ist es etwas eingestaubt â aber das sind ihre Ansichten ja auch.â
Jerusha schüttelte grinsend den Kopf, wischte die dicke Staubschicht vom Fensterbrett und setzte sich darauf. âSie stellen sich das alles so einfach vor, Lorelei.â Sie zog eine Packung Phillip Morris aus ihrer Tasche und steckte sich eine der Zigaretten an. âHier drin haben wir unsere erste Zigarette geraucht.â Als sie Loreleis fragenden Blick bemerkte, fuhr sie fort. âWir waren zwölf oder dreizehn, ich weià es gar nicht mehr genau. Wir haben sie einem der zahlreichen Gäste hier geklaut, er hat es wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, hier hat nie jemand etwas bemerkt.â
âWie meinen sie das?â, wollte Lorelei wissen.
âHier waren ständig Leute. Deine GroÃmutter war berühmt für ihre Parties â es verging kein Tag an dem nicht mindestens zehn Gäste dagewesen wären. Ich glaube sie wusste meistens nicht einmal selbst wer sich alles in ihrem Haus aufhielt.â Jerusha seufzte. âUnd jetzt ist es gespenstisch leer, von heute auf morgen sind sie alle verschwunden.â
âWoher wissen sie das alles?â, Lorelei wusste nicht mehr was sie fragen sollte, alles in dieser Villa, alles was Jerusha ihr bislang erzählte, passte nicht in ihr Bild sondern verwirrte sie nur noch mehr.
âIch sollte vielleicht von ganz vorne beginnen, vielleicht sollte ich es auch besser lassen.â Jerusha öffnete das Fenster und warf ihre Zigarette auf den verwilderten, vom Tau glänzenden Rasen. âAls sie in mein Auto gestiegen sind, haben sie etwas gesagt, dass mich stutzig gemacht hat. Sie sagten Emily und Richard hätten sich besser einen Hund angeschafft und ich, ich kann das einfach nicht glauben. Ich war stets der Ãberzeugung Emily würde eine tolle Mutter sein.â
Lorelei lachte auf. âIst das ihr ernst?â
âDas ist es, zumindest die Emily die ich kannte, wobei â â, sie führte den Satz nicht zu Ende, da ihr schlagartig bewusst wurde, dass sie und Lorelei von zwei verschiedenen Personen sprachen. Sie hatte vierzig Jahre nicht mit Emily geredet, weil sie nicht mehr die Person gewesen war, die ihre beste Freundin geworden war. âHassen sie sie wirklich so sehr?â, fragte sie schlieÃlich leise.
Lorelei öffnete den Mund um etwas zu sagen, besann sich jedoch und dachte eine Weile nach. âSie ist meine Mutterâ, sagte sie schlieÃlich. âSie treibt mich jedes Mal in den Wahnsinn wenn ich sie sehe, aber sie ist meine Mutter.â Lorelei senkte den Kopf und schluckte. âVielleicht keine sonderlich Gute, aber sie ist es.â
Hartford, Winter 1968
Erschöpft aber glücklich betrachtete Emily den Säugling in ihren Armen. âSie ist so winzig.â
âSie ist perfektâ, erwiderte Richard lächelnd und küsste seine Frau auf die Stirn. âEinfach perfekt.â Die Tür des Krankenzimmers öffnete sich und Lorelei Gilmore betrat das Zimmer. âIst sie nicht perfekt, Trix?â, fragte er seine Mutter.
âWir werden sie Lorelei nennenâ, fügte Emily strahlend hinzu. âLorelei Victoria Gilmore.â
âJohn lässt euch seine Glückwünsche ausrichten.â Lorelei trat an das Bett und musterte ihre Enkeltochter kritisch. âIhr Kopf ist zu groÃ.â
Emily zuckte zusammen und Richard sah seine Mutter empört an. âDas ist er nicht. Sie ist das bezauberndste Wesen, das jemals geboren wurde.â Stolz betrachtete er die kleine Lorelei. âSieh dir nur ihre Augen an. Sie wird eines Tages genauso schön sein wie ihre Mutterâ, er warf Emily einen liebevollen Blick zu. âSie wird sich vor Verehren kaum retten können.â
âRichardâ, erwiderte Emily mit gespielter Empörung und sah ihn lächelnd an.
âMr. und Mrs. Gilmore?â, eine Krankenschwester betrat das Zimmer. âIch werde die Kleine jetzt auf die Säuglingsstation bringenâ, sie nahm den Säugling in ihre Arme. âUnd sie sollten der jungen Mutter etwas Ruhe gönnenâ, fuhr sie an Richard und Lorelei gewandt fort und deutete mit dem Kopf auf die Tür.
Lorelei sah ihren Sohn an. âIch werde die Schwester besser begleiten um mich davon zu überzeugen, dass meine Enkeltochter angemessen untergebracht wird.â
Ihr Sohn nickte âIn Ordnung, Trix. Ich werde gleich nachkommen.â
Als die beiden gegangen waren, räusperte Emily sich. âGlaubst du deine Mutter hat recht?â, fragte sie besorgt. âIst ihr Kopf wirklich zu groÃ?â
Richard schüttelte den Kopf. âUnsinn. Er ist genau richtig!â
âAber ââ, versuchte Emily zu protestieren doch ihr Mann legte einen Finger auf ihre Lippen.
âSie ist perfekt, Liebling.â
âWirklich?â, fragte sie mit skeptischer Stimme.
âWirklich.â Er küsste sie. âDanke.â
Emily schaute ihn erstaunt an âWofür denn?â
âDas du mich geheiratet hastâ, antwortete Richard zärtlich. âUnd für unsere Tochterâ, fügte er leise hinzu, erst jetzt erkennend wie müde seine Frau war. Er zog die Decke zurecht und nahm Emilys Hand. âDie Schwester hat Recht, du solltest jetzt wirklich versuchen ein bisschen zu schlafen.â
âIn Ordnungâ, sie nickte matt und schloss die Augen. âIch liebe dich, Richardâ, flüsterte sie noch bevor sie einschlief.
âIch dich auch.â Vorsichtig nahm Richard ihre Hand aus seiner und verlies so leise wie möglich das Zimmer. Auf dem Flur angekommen sah er sich suchend um und grinste zufrieden als er ein Münztelefon erblickte. Er kramte in seiner Tasche nach Kleingeld und begann die Nummer seines Anwalts zu wählen. âLionel? Richard Gilmore hier. Ich würde gerne eine kleine Investition tätigenâ¦â¦â
Hartford, Herbst 2004
âRichard Gilmore, das fasse ich einfach nicht!â Wütend starrte Emily ihn an. âWie konntest du das nur zulassen? Nicht nur das du ihr davon erzählst, dass wir uns getrennt haben â Nein, du lässt sie auch noch mit Lorelei weggehen. Was hast du dir dabei nur gedacht?â
Richard hob hilflos die Hände âWas hätte ich denn tun sollen?â
âDeinen Mund halten? Dich vor das Auto werfen?â Emily lies sich auf die Couch fallen. âIch fasse es einfach nicht!â
âEmily, es ist doch alles halb so wildâ, verständnislos schüttelte er den Kopf.
âDu weiÃt dass ich seit über dreiÃig Jahren nicht mit ihr spreche. Es geht sie nichts an.â
âDa war sie aber anderer Meinungâ, schnaubte er und setzte sich ebenfalls.
Emily sah ihn erstaunt an. âWas meinst du?â
âSie hat mich vor sämtlichen Leuten in der Hotelhalle als Ehebrecher hingestellt.â
âRecht hat sieâ, trotzig verschränkte sie die Arme während Richard resigniert die Augen verdrehte.
âIch habe dich während den ganzen neununddreiÃig Jahren unserer Ehe niemals betrogen, dass weiÃt du ganz genau.â
âWeià ich das? SchlieÃlich hast du dich neununddreiÃig Jahre lang heimlich mit Pennilyn Lott getroffen, wer weià was für Bekanntschaften du mir noch verschwiegen hast.â Bitterkeit lag in Emilys Stimme als sie antwortete.
âIch habe ââ Richard erhob sich. âDas ist wirklich paranoid.â
âBitteâ, sie zuckte mit den Achseln.
âParanoid und sturâ, er betonte jede einzelne Silbe mit Nachdruck.
Emily starrte auf ihre Hände âWenn du es sagst.â
âKannst du nicht fünf Minuten lang deinen Stolz vergessen und so wie früher mit mir reden?â
âUnd was soll das deiner Ansicht nach bezwecken?â
Richard seufzte. âDu hat Recht, es hat keinen Zweck.â
âDas sage ich doch.â
âIch erkenne dich nicht wieder, Emily. Ich ââ, er wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie entzog sie ihm. âWag es ja nicht mich anzufassen, Richard Gilmore.â
âFrüher fandest du es schön, wenn ich dich berührt habe.â
Sie schloss die Augen und versuchte die Kontrolle zu wahren âGanz recht, früher.â
âHast du vor mich aus deinem Leben zu verbannen, so wie du es mit Jerusha getan hast?â
âDas war doch etwas völlig anderes.â
âIch möchte lediglich von dir wissen, ob es überhaupt einen Zweck hat, wenn ich mich noch um dich bemühe. Denn sollte das nicht der Fall sein, werde ich noch heute meinen Anwalt anrufen und die Scheidung endgültig in die Wege leiten.â
Emily stand auf und sah ihm fest in die Augen. âIch werde dich ganz bestimmt nicht daran hindern.â
âWenn das so ist.â Richard schüttelte traurig den Kopf und verlies das Zimmer.
Emily sah ihm lange hinterher während sie verzweifelt versuchte ihre rasenden Gedanken zu ordnen. Sie ging zur Bar, goss sie sich mit zitternden Händen einen Whiskey ein und leerte das Glas in einem Zug. âScheidungâ, der Klang des Wortes hinterlieà einen fahlen Geschmack auf ihrer Zunge. Scheidung, wie das klang. So unwirklich. So endgültig. Sie füllte ihr Glas erneut und sah sich im Salon um. Alles hier war so vertraut, sie hatte jedes Möbelstück, jedes Bild, jeden Teppich, jede Vase selbst ausgesucht, selbst an ihre Plätze gestellt. Sie hatte das ganze verdammte Haus selbst gekauft und eingerichtet, während ihr Mann mit wichtigen geschäftlichen Angelegenheiten beschäftigt gewesen war. Sie trank noch einen tiefen Schluck und strich mit der Hand über die Lehne des Sessels in dem Richard gerade noch gesessen hatte. âScheidungâ, flüsterte sie erneut und presste die Lippen aufeinander. Gott, wie sie dieses Wort hasste, wie sie diesen Sessel hasste, das ganze Zimmer, das Haus, einfach alles, all die Dinge die der Inhalt ihres Lebens waren. Wütend knallte sie ihr Glas auf den Couchtisch und ging in die Eingangshalle. Dort griff nach ihrer Handtasche und begann sie zu durchwühlen. Fündig geworden, zog sie zufrieden den Schlüssel ihres Mercedes hervor. Sie würde nicht noch eine Nacht alleine hier verbringen, nicht noch eine Nacht wach im Bett liegen, das leere Kopfkissen neben sich anstarren und sich wieder und wieder dieselben nutzlosen Fragen stellen. Jerusha hatte sie gefragt wann sie sich das letzte Mal amüsiert hatte â nun, sie würde es heute Nacht tun, sie würde dieses elende Haus verlassen und sich amüsieren. Warum auch nicht? Was ihre Mutter gekonnte hatte, konnte sie schon lange. SchlieÃlich hatte niemand etwas anderes von ihr erwartet, warum sollte sie diese Erwartungen nicht endlich erfüllen?
Detroit, Herbst 2004
Auf der Suche nach etwas Trinkbarem öffnete Jerusha systematisch einen der Küchenschränke nach dem anderen, wobei sie sich viel Zeit lies. Sie wusste nicht, ob sie Lorelei tatsächlich irgendetwas erzählen sollte oder ob sie es besser lassen sollte. Was würde es überhaupt nützen uralte Geschichten wieder auszugraben, Geschichten die heute geradezu lächerlich erschienen würden und bar jeder wirklichen Erklärung für Emilys Handeln waren. Andererseits konnte und wollte sie nicht akzeptieren das Lorelei ihr Bild von Emily behielt ohne es auch nur für eine Sekunde zu hinterfragen. Triumphierend zog Jerusha eine Flasche alten Scotchs unter der Spüle hervor und holte zwei verdreckte Gläser aus einem weiteren Schrank. Mit etwas Mühe gelang es ihr den eingerosteten Wasserhahn zu lösen, aus dem jedoch nur ein Strahl brauner Brühe hervorschoss, der schlieÃlich ganz versiegte. âWas sollâsâ, murmelte sie und machte sich auf den Rückweg zu Lorelei. Angekommen warf sie die Flasche auf das Bett, begann schweigend die Gläser mit einem Taschentuch behelfsmässig zu säubern und goss schlieÃlich den Scotch ein. âHierâ, sie reichte Lorelei ein Glas und setzte sich wieder auf die Fensterbank. âIch werde ihnen erzählen was ich über Emily weiss â was sie damit anfangen ist ihre Sache.â
Lorelei trank einen Schluck und die goldene Flüssigkeit hinterlies ein scharfes Brennen in ihrem Mund während sich eine wohlige Wärme in ihrem Körper ausbreitete. âIch hoffe nur, sie erzählen mir nichts was ich nie über meine Mutter wissen wollte.â
Jerusha schüttelte lächelnd den Kopf. âIch erzähle ihnen was sie wissen sollten.â
âJa, aber will ich es wissen? Almodovars `Alles über meine Mutter´ ist nämlich nicht gerade die Vorstellung von Emily Gilmore die ich haben möchte.â
âLorelei, entweder sie halten den Mund und hören mir zu oder ich tue das was eigentlich richtig wäre und zwar zurück nach Conneticut zu fahren.â, erwiderte Jerusha mit einer gewissen Strenge in ihrer Stimme und Lorelei nickte zögernd. Jerusha bedeutete ihr eine Schublade des hölzernen Sekretärs zu öffnen und sie zog ein ledernes Album hervor. Vorsichtig öffnete Lorelei den bronzenen Verschluss und begann durch die vergilbten Seiten voller Fotos und Zettel zu blättern. Sie stoppte bei der Photographie zweier kleiner Mädchen auf einem Baum, dem Baum aus dem Jerusha vor gut einer Stunde den Schlüssel der Villa gezogen hatte. Sie fuhr mit den Fingern über die Seite und versuchte sich vorzustellen das eine der beiden lachenden Kinder tatsächlich ihre Mutter war. âIn Ordnungâ, sie wand den Blick von der Photographie und sah Jerusha an. Diese lehnte sich gegen das kühle Fenster und überlegte angestrengt wo sie beginnen sollte.
To be continued......
ATN: Ja, ja, hat mal wieder ewig gedauert, ich weià â aber die letzten Tage waren mega stressig und ich hatte keine Zeit für nichts (nicht mal um die Abstände zwischen den Kerzenleuchtern abzumessen *GG*).....ich hoffe allerdings, dass euch dieses Kapitel einigermaÃen für die lange Wartezeit entschädigt
Riska PS: Da ich die Spoler zu Kapitel vier und fünf regelmässig gelesen habe, habe ich die Situation zwischen Emily und Richard in meinen Fic übernommen.