Wir setzten sich auf mein altes Bett. âWas ist denn passiert, mein Schatz?â Ich musterte ihn besorgt. âDu weiÃt, wir beide können über alles sprechen.â
Matt seufzte. âVielleicht vertagen wir das doch noch besserâ¦Grandma geht es so schlecht. Meine Probleme können warten. Entschuldige, Mum.â Er wollte sich erheben, doch ich hielt ihn sanft zurück.
Ich runzelte die Stirn. âMatt, Mum würde dich mit deinen Problemen auch nicht alleine lassen wollen.â
Er seufzte. âIch bin das Letzte.â Stieà er schlieÃlich hervor.
âAch, Schatz. Mum würde auch nicht schneller gesund werden, würden wir nur über sie sprechen.â Ich drückte seine Hand. âWenn du mit mir über etwas sprechen möchtest, dann tu es.â
âLenaâ¦â
âWas ist mit Lena?â
Er wich meinem Blick aus. âIch war die groÃe Liebe für sieâ¦â
âMatt, du hattest gewiss deine Gründe die junge Frau zu verlassen. Wenn es nun mal nicht klappt, dann klappt es nicht. Sie wird einen Neuen finden. Oft ist es die fairste Methode ein Herz zu brechen, so hart das klingen mag. Aber was hätte sie davon gehabt, wenn du bei ihr geblieben wärst? Sowohl du als auch sie hätten damit nur die Chance verpasst jemanden zu finden, der besser zu euch passtâ¦â
âMumâ¦â Matt sah mich an. âSo war es nichtâ¦ich habe mich wie ein Arschloch verhaltenâ¦â
Ich runzelte die Stirn.
âIch weiÃ, es ist in dieser Zeit unpassend über diese Dinge zu sprechen. Aber ich halte das nicht länger aus.â Er atmete tief durch und blickte auf seine Zehenspitzen.
Ich nahm seine Hand. âMatt, du kannst mir alles sagen. Ich könnte niemals schlecht von dir denken.â
âVielleicht ist genau das das Problem. Vielleicht habe ich genau deshalb immer wieder ScheiÃe gebaut. In unserer Kindheit warf mir Carol stets an den Kopf, dass ich mir bei dir alles erlauben würde können, sie dagegen wegen jeder Kleinigkeit Ãrger bekäme. Sieh mich nicht so schockiert an, Mum. Sie hatte Recht. Dad war uns allen gegenüber ein mieses Arschloch. Ich rebellierte immer gegen ihn und tue es im Prinzip heute noch. Früher habe ich sehr viel Unsinn angestellt. Andere hätten mich dafür monatelang in mein Zimmer gesperrt, doch du warst immer verständnisvoll, hast mich kaum in meine Schranken gewiesen. Nicht einmal Jenny konnte sich so viel erlauben wie ichâ¦â
âMatt, du hast immer um die Liebe deines Vaters gekämpft, er hat dich mehr von sich gestoÃen als seine anderen Kinder. Ich wusste doch, wie schwer du es hattestâ¦â Ich strich ihm sanft über den Handrücken. âDu warst immer ein guter Junge. Nun bist du zu einem wundervollen Mann geworden. Ich war immer, trotz deiner Fehler, stolz auf dich und habe dich über alles geliebt.â
âMum, sieh mich doch an. Ich habe es nie zu etwas gebracht! Mein Job ist beschissen, meine Wohnung winzig. Würdest du mir nicht gelegentlich Geld schicken, könnte ich nicht überlebenâ¦â
âAber Schatz, sei nicht so unfair dir selbst gegenüber. Der Arbeitsmarkt ist hart. Aber irgendwann wirst du bestimmt eine bessere Chance bekommenâ¦â
Matt lachte. âNein, nicht mit meiner nicht vorhandenen Ausbildung! Ich habe gerade einmal meinen Highschool Abschluss! Die zahlreichen begonnenen Studienfächer habe ich niemals abgeschlossen. Dad hat Recht. Ich bin ein Versager!â
Ich hob den Zeigefinger. âWage es nicht noch einmal so über meinen Sohn zu sprechen! Meine Kinder sind keine Versager! Sie sind alle groÃartige Menschen, die der Welt so viel geben!â
Matt seufzte. âDu hast dir genauso wenig wie Dad die Mühe gemacht mich jemals wirklich kennen zu lernen. Er hat immer nur das Schlechte in mir gesehen. Du stets nur das Gute. Ich bin nicht perfekt, Mum. Ich bin es nicht einmal im Entferntestenâ¦â Er atmete tief durch. âLenaâ¦sie ist schwangerâ¦â
âWas?â Ich runzelte die Stirn. âSie hat dich betrogen? Wie konnte sie nur!â
Matt lachte gequält. âNein, das hat sie nicht. Sie würde niemals fremdgehen. Das habe ich dafür an ihrer Stelle gemacht. Ich bin um keinen Deut besser als Dadâ¦â Er wich meinem Blick aus. âIch habe mich wie der Mensch verhalten, den ich am meisten hasse und habe nicht einmal eine Ausrede oder Entschuldigung dafür. Ich habe einfach nicht an Lena und ihre Gefühle gedacht, als ich mit diesem billigen Flittchen ins Bett ging.â
Ich starrte auf meine Zehenspitzen. Das alles schien so unwirklich.
âDas hättest du wohl niemals von mir gedacht, was? Das Schlimmste ist, ich liebe diese Frau wirklich und verletze sie trotzdem immer wieder. Ich bin unfähig zu einer richtigen Beziehung, habe Angst davor, vielleicht betrüge ich sie deshalbâ¦â
âMatt, wenn du sie wirklich lieben würdest, würdest du auch über ihre Gefühle nachdenkenâ¦â
Er seufzte. âVielleicht hast du Recht. Ich wollte die Beziehung beenden, weil ich es satt hatte, ihr immer wieder weh zu tun. Da eröffnete sie mir, dass sie schwanger seiâ¦und weiÃt du, was ich getan habe? Ich bin einfach gegangen. Nachdem was Jen durchmachte, konnte ich so etwas tun. Ich hasse mich selbst dafür. Ich weià gar nicht, warum ich es tat. Alles kam so plötzlich. Lena ist seitdem spurlos verschwunden. Hebt nicht am Handy ab und ist auch nicht in ihrer Wohnung. Wahrscheinlich ist sie bei ihrer Schwester in Ohio. Die beiden haben ein sehr inniges Verhältnis.â Er seufzte. âEs macht mich fertig. Ich hätte das nicht tun dürfen. Lena liebte mich über alles. Ich habe ihr Leben zerstört. Seit Wochen versuche ich sie zu erreichen, dabei weià ich gar nicht, was ich ihr sagen soll. Eine Entschuldigung reicht nicht, eine Erklärung kann ich ihr nicht geben.â
âMattâ¦â Mehr brachte ich nicht hervor. Er hatte Recht. Ich kannte ihn nicht. Die Wahrheit war, dass mich diese Tatsache mehr schockierte als das, was er getan hatte.
âDu musst nichts dazu sagen. Dein Schrecken war nicht zu verbergenâ¦â
âDu musst die Verantwortung für dein Tun übernehmen.â Ich seufzte leise. Hatte ich jemals Verantwortung für meines übernommen?
Er fixierte seine Zehenspitzen und nickte.
âMatt, was war mit Jenny?â Platzte es plötzlich aus mir heraus.
âWie bitte?â Er musterte mich irritiert.
âDu erwähntest sieâ¦â
âMumâ¦â
âNein, antworte mir!â Das Schlimme war, dass mir sehr wohl bewusst war, was ich gerade tat.
Er seufzte. âDas muss sie dir selbst erzählen.â
âIch will, dass du es mir jetzt erzählst! Sofort!â
âSie trieb ihr Kind ab. Der Vater lieà sie im Stich.â Antwortete er knapp und wich meinem Blick aus.
âAlejandro? Sie war von Alejandro schwanger?â Ich erstarrte.
âNein. Es war Andrewâ¦â
âWas? Aberâ¦â Ich hielt inne. Das war also der wahre Grund für das plötzliche Ende der Beziehung gewesen. Andrew. Ich hatte ihn gemocht und lange auf Jenny eingeredet, ob sie ihm nicht eine zweite Chance geben wollte. Sie hatte gesagt, sie hätten sich im Streit getrennt, hatte mir jedoch nie den Grund für diesen erzählt. âWarumâ¦warum hat sie niemals mit mir darüber gesprochen? Ich bin doch ihre Mutter! Anscheinend hat sie mit jedem auÃer mir darüber gesprochen!â
âDas musst du sie selbst fragen.â
âEntschuldigeâ¦â Ich senkte den Blick. âDas war nicht fair. Du wolltest einen Rat und ich fragte dich über deine Schwester ausâ¦â
Er seufzte leise. âIst schon okay, Mum.â
Wir saÃen einige Minuten schweigend nebeneinander. SchlieÃlich fing ich mich wieder ein wenig. Mein Herz schmerzte, aber es gelang mir meinen Sohn wie jedes Mal, wenn er einen Fehler gemacht hatte, in die Arme zu nehmen. âRuf Lena an. Versuche es weiter. Hinterlasse ihr Nachrichten. Trefft euch nach Weihnachten. Ihr müsst euch aussprechen. Wenn du sie wirklich liebst, dann bleibe bei ihr und ziehe das Kind gemeinsam mit ihr groÃ. Wenn du sie aber nicht so liebst, wie sie es verdient hätte, dann geht getrennte Wege, sei dem Kind aber trotzdem stets ein guter Vater. Vergiss nicht, das Kind kann nichts dafürâ¦â Ich senkte die Stimme. âWiederhole nicht meinen Fehlerâ¦â Meine Augen fixierten die bunte Ãberdecke des Bettes.
âMum?â Seine Stimme klang zögernd.
Ich sah ihn schweigend an.
âDanke.â
Ich nickte langsam. âZumindest einmal sollte ich mich wie eine echte Mutter verhalten.â Mein Lächeln war gequält.
âMum, du bist eine tolle Mutter. Entschuldige, dass ich das vorhin gesagt habe. Du hast es immer gut gemeintâ¦â
âMatt, du hast Recht. Ich kenne dich nicht. Ich kenne euch alle nicht. Ich war die letzten Jahrzehnte nur mit mir selbst beschäftigt.â
âDu warst immer da für uns, wenn wir dich gebraucht habenâ¦â
âNein, Matt. Das war ich nichtâ¦â Ich seufzte. âBelüge mich nicht, nur weil du denkst, dass ich mich dann besser fühlen würdeâ¦â
âAch Mum, wir alle haben Fehler gemacht.â
Ich schüttelte den Kopf. âNicht dieserart.â
âDad hat es dir immer schwer gemacht. Das wissen wir alleâ¦â
âWir können nicht ihm die ganze Schuld für alles, was uns widerfahren ist, geben. Wir selbst sind in erster für unser Leben verantwortlich. Allerdings erscheint es oft leichter, diese Schuld abzuladen.â
Matt nickte. âIch weiÃ.â
âUnd nein, mein Schatz. Ich bin keine gute Mutter und war es nie.â Ich atmete tief durch. âJess und ich haben uns heute lange unterhalten.â
âIhr habt ein sehr gutes Verhältnis, nicht? Warum hattet ihr so lange keinen Kontakt?â
âWir waren ein Paar, vor vielen Jahren. Ich war damals achtzehn.â
âDeine erste groÃe Liebe?â
âJa. Eigentlich schon. Davor gab es noch einen Jungen. Dean. Ich empfand auch für ihn sehr viel. Aber es war anders als mit Jess.â
Matt nickte. Er wirkte wieder etwas entspannter. Ich überlegte mein Vorhaben ihm endlich die Wahrheit zu sagen, erneut aufzuschieben. Es war der falsche Moment. Matt hatte andere Probleme. Es würde ihn nur zusätzlich belasten. Andererseits konnte es für dieses Geständnis keinen richtigen Zeitpunkt geben.
âIch liebte ihn.â Ich seufzte leise. âDoch es sollte nicht sein. Unsere Wege trennten sich, aber vergessen hatte ich ihn niemals.â
Matt nickte leicht. Er versuchte seine Verwirrung zu verbergen, ich sah sie ihm dennoch an. âLogan und ichâ¦wir hatten niemals diese Beziehung zueinander. Wäre ich nicht schwanger geworden, hätte ich ihn wahrscheinlich niemals geheiratetâ¦â Ich hielt kurz inne. Matt zeigte keinerlei Reaktion.
âTatsache ist, dass ich niemals wirklich glücklich in dieser Ehe warâ¦â
âWer könnte dir das verübeln.â Meinte er mit verächtlichem Unterton. In den Jahrzehnten hatte sich ein gewaltiger Groll gegen Logan aufgestaut.
Ich atmete tief durch. Meine Stimme zitterte als ich fort fuhr. âVor einunddreiÃig Jahren bekam ich an einem Wochenende die Chance den berühmten Theaterregisseur Jean Cartier in New York City zu interviewen. Am selben Abend traf ich im Hotel zufällig auf Jessâ¦â Der Druck auf meinem Herzen nahm mir den Atem. Ich schloss die Augen für einen Moment.
Matts Miene hatte sich nicht geändert. Er fuhr sich durch sein dunkles Haar und musterte mich erwartungsvoll.
Ich mühte mich um ein kurzes Lächeln. âWir redeten ganz wie früherâ¦so als wären wir wieder die beiden achtzehnjährigen Teenager von einst. Und auch die Gefühle von einst schienen wieder so real.â Ich hielt inne. Auf Matts Stirn hatte sich eine Falte gebildet.
[SIZE=3]âUnsere Leidenschaft hatte uns überwältigt. Wir wussten, dass es nicht richtig war. Er war verlobt. Ich war verheiratet und hatte ein Kind. Aber in dieser Nachtâ¦â
âDu bist schwanger geworden.â Sein kalter Ton verursachte einen schmerzhaften Stich in meinem Herzen.
âMattâ¦â Meine Stimme wurde heiser.
âSag mir, dass du nachdem du zurück nach San Francisco kamst, mit Dad schliefst und er dich schwängerte.â
âMatt...ich...â
âIst Jess mein Vater?â Seine Augen durchbohrten mich.
Ich atmete tief durch und nickte schlieÃlich.
Matt schüttelte den Kopf und erhob sich. âEs freut mich, dass ihr so eine schöne Nacht miteinander verbrachtet.â Meinte er sarkastisch.
âMatt. Ich wollte nurâ¦â
âDu wolltest mir mitteilen, dass auch ich nur einer deiner vielen Fehler war. Danke, das habe ich schon verstanden. Herzlichen Dank, Mum.â Seine Augen waren voller Schmerz und Wut.
Ich erhob mich schnell. âNein, du warst kein Fehler. Wie kannst du nur so etwas denken? Du bist das Beste, das in meinem Leben passiert ist.â
âHör auf, Mum! Wie konntest du mir nur so etwas verheimlichen? All die Jahre litt ich unter Dads Verhalten uns gegenüber! Jetzt weià ich wenigstens, warum er sich so verhaltet hat! Er hat mich immer gehasst! Mich niemals als seinen Sohn angenommen! Warum hätte er auch sollen? Ich war schlieÃlich nur das Produkt einer Nacht, in welcher du alten Zeiten gedenken wolltest! Warum hast du es mir niemals erzählt? Jahrelang hatte ich gelitten, weil er mich nicht akzeptiert hat! Jahrelang hatte ich darunter gelitten!â
âMattâ¦Logan weià es nichtâ¦â
âNatürlich nicht. Warst du jemals zu irgendjemandem ehrlich oder ist dein ganzes Leben eine Lüge?â
âMatt! Bitte hör mir zu! Ichâ¦â
Er schüttelte den Kopf. âIch will das jetzt nicht hören.â Ohne mich nochmals anzusehen verlieà er das Zimmer. Wenige Minuten später hörte ich die Haustür ins Schloss fallen.
Ich schloss die Augen und sank auf mein Bett. Die Worte hallten in meinem Kopf nach. Immer und immer wieder. Warst du jemals zu irgendjemandem ehrlich oder ist dein ganzes Leben eine Lüge?
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