~*Kapitel 22*~
Hartford, Spätsommer 2005
Der Whiskey brannte in Richards Kehle und hinterlieà eine wohlige Wärme in der Magengegend. Er stellte das Glas zurück auf den Schreibtisch seines Arbeitszimmers und griff nach den Briefbögen, die er mit viel Zeit und Liebe wieder zusammengeklebt hatte. Er hatte den Brief bereits unzählige Male gelesen. Beim ersten Mal in einer unglaublichen Hast, da ihm jeder Satz als Vorbote eines nächsten, viel Wichtigeren erschienen war. Die einzelnen Wörter waren an ihm vorbeigerauscht und am Ende hatte er nicht mehr gewusst was er gelesen hatte, geschweige denn ob er es verstanden hatte. Also hatte er ihn noch einmal gelesen, und wieder und wieder und letztendlich hatten sich all die Bruchstücke zu einem groÃen Ganzen gefügt, das Mosaik schien vollendet zu sein â er hatte endlich alle Puzzleteile und war trotzdem ratloser als vorher. Seufzend schob Richard seine Brille zurecht und begann Emilys Zeilen erneut zu lesen.
Ich weiÃ, dass ich dich schlechterdings dazu zwingen kann, diesen Brief zu lesen. Dennoch bitte ich dich aufrichtig darum es zu tun, wenn schon nicht um meinetwillen, so doch unserer gemeinsamen Vergangenheit wegen. Zudem wird es dich vermutlich wundern, so lange Zeit nach unserer letzten Begegnung, und in Anbetracht der Geschehnisse an diesem Abend, von mir zu hören. Aber dies geschah nicht etwa aus Unwillen, sondern aus der Unfähigkeit heraus, die richtigen Worte zu finden. Ich habe es einfach nicht fertig gebracht etwas zu sagen, als ich dir gegenüberstand - und selbst jetzt weià ich nicht, wie ich dir all das mitteilen soll, was ich dir sagen will, nein muss.
Es fällt mir schon schwer, mir meine Fehler selbst einzugestehen, aber sie dir einzugestehen scheint mir beinahe unmöglich zu sein. Nichtsdestoweniger werde ich versuchen es zu tun, denn das bin ich dir, nach allem was du für mich getan hast, schuldig. Du wirst dich jetzt vielleicht fragen, wie ich von Dankbarkeit sprechen kann, da ich diejenige war, die dich verlassen hat, denn es gibt wohl keinen gröÃeren Ausdruck für Undankbarkeit als das â aber so war und ist es nicht.
Als wir uns kennenlernten erschien es mir wie ein Wunder. Du weiÃt, dass meine Ehe mit Abraham nicht sonderlich glücklich war und du warst es, der mir gezeigt, dass ich mehr erwarten kann, als das. Schon alleine diese Erkenntnis hätte mir genügt - das du mich heiraten würdest, hätte ich niemals zu hoffen gewagt. Doch du hast es getan und ich konnte mein Glück nicht fassen: es erschien mir alles viel zu schön und gut, als das es tatsächlich hätte passieren können. Aber am selben Tag an dem du mich gefragt hast, ob ich deine Frau werden will, hatte ich erfahren das ich schwanger bin. Ein Kind, Richard, zu diesem Zeitpunkt, als wäre die Situation nicht so schon kompliziert genug gewesen. Trotzdem, wenn ich mir vorstelle, das es deines war, unser beider, dann tut es mir so unendlich leid. Aber da war noch immer Abraham. Wie hätte ich ein Kind von ihm bekommen können? Weiterhin jeden Tag in sein Gesicht sehen zu müssen, erschien mir unvorstellbar, alleine der Gedanke daran rief Panik in mir hervor. Wie hätte ich dieses Kind jemals so lieben können, wie es es verdient hätte? Wie hättest du das Kind eines fremden Mannes lieben können? Also habe ich dafür gesorgt, dass es dieses Kind niemals geben wird.
Nicht nur das. Durch diesen Schritt habe ich auch verhindert, dass wir jemals mehr als ein Kind haben werden. Du weiÃt von den Komplikationen bei Loreleis Geburt, dir sind die Folgen bekannt. Aber was du bisher nicht wusstest ist, dass dieser Umstand auf den Eingriff zurückzuführen war. Selbst wenn das jetzt erschreckend für dich klingen muss, so würde ich es jederzeit wieder tun. Auch heute erscheint es mir immer noch richtiger, als Abrahams Kind zur Welt zu bringen. Genauso wie ich es dir wieder verschweigen würde. Es gibt Dinge die man besser für sich behält. Ich wünschte, ich hätte nie erfahren, dass du dich während unserer gesamten Ehe weiterhin mit Pennilyn getroffen hast. Ich wünschte, ich hätte nie diesen unseligen Brief deiner Mutter gefunden. Du hattest deine Gründe mir diese Dinge zu verschweigen und ich wage zu behaupten, dass ich aus denselben gehandelt habe: Es tut einfach zu weh, sie zu erfahren.
Pennilyn, eure Treffen, der Brief â das waren nicht die Ursachen für meine Trennung von dir, sondern nur der Auslöser. Du hast immer für deine Arbeit gelebt und lange Zeit konnte ich das akzeptieren, da in deinem Leben immer noch Platz für mich blieb. Es blieb immer genügend Zeit für uns - bis du deine eigene Firma gegründet hast und das zu einem Zeitpunkt, an dem du eigentlich hättest kürzer treten sollen. Natürlich erinnere ich mich an die katastrophalen Wochen, in denen du tatsächlich im Ruhestand warst. Du hast mich in den Wahnsinn getrieben, Richard. Denn obwohl ich mir diesen Tag herbeigesehnt hatte, habe ich nie darüber nachgedacht, wie er denn tatsächlich aussehen würde. Plötzlich war er da und ich wusste nicht mit all dieser Zeit umzugehen, wir beide wussten es nicht und ehe wir einen Weg gefunden haben, hast du plötzlich mehr gearbeitet als jemals zuvor.
Als Jason dein Partner wurde, hoffte ich zunächst es würde besser werden. Aber das wurde es nicht, im Gegenteil. Ihr habt ständig expandiert, du warst in einem Jahr mehr unterwegs als sonst in drei oder vier Jahren. Indem Jason dann auch noch eure Geschäftsessen zu reinen Männerabenden in irgendwelchen Clubs umgestaltete, hat er mir nicht nur die einzig sinnvolle Beschäftigung oder die Möglichkeit dich wenigstens Abends zu sehen genommen, sondern auch jegliche Daseinsberechtigung in deinem Leben. Es gab nichts mehr, was uns noch verbunden hätte, wir haben nur noch nebeneinander her gelebt. Die wenige Zeit die uns blieb, haben wir damit verbracht, uns über die unsinnigsten Themen zu streiten. Es war besser über Nichtigkeiten zu streiten, als die Wahrheit auszusprechen, als mir oder dir einzugestehen wie unglücklich ich mit der Situation war. Ich habe dich vermisst, Richard, wir konnten im selben Raum sitzen und trotzdem habe ich dich vermisst, du warst nicht da. Ich fing an zu glauben, es könnte nicht schlimmer sein, wenn wir gar nicht mehr zusammen wären. Also bin ich gegangen. Ich ging, und war der festen Ãberzeugung es wäre die einzig richtige Lösung. Die einzige Möglichkeit unsere Ehe noch zur retten. Ich wollte dir beweisen, dass ich nicht auf dich angewiesen bin und mir somit deinen Respekt verschaffen. Wie lächerlich das im Nachhinein erscheint, wie seltsam es dir vorkommen muss â und es hat ja auch nicht funktioniert. Im Gegenteil, plötzlich war ich wieder da, wo alles begonnen hatte. Gefangen in einer Ehe mit einem Mann den ich nicht liebte, mehr noch, einem Mann den ich verabscheue. Ich hatte Abraham unterschätzt. Ich hatte geglaubt, er würde mir ohne zu zögern meine Anteile an der Heywood Inc auszahlen, zumal ich nicht alles verlangte. Aber er wusste, dass ich mein Druckmittel im Ernstfall niemals einsetzen würde und hat es sich selbst zunutze gemacht. Sein Schweigen gegen mein Ja-Wort. Ja zu ihm und nein zu dir, nein zu meinem Leben, denn zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher, es wäre vorbei.
Nenn es Ironie des Schicksals, aber wenn du nicht wärst, wäre es tatsächlich so, dann wäre ich noch immer mit ihm verheiratet â aber er hat sein Schweigen dir gegenüber gebrochen und mir dadurch unfreiwillig freie Hand gegeben. Ich tat, was du getan hättest und so kann ich wenigstens einen Sieg vorweisen: Ich brauche, zumindest finanziell gesehen, wirklich niemanden mehr. Mein eigener, kleiner Triumph, ich hatte ihn und er hinterlies lediglich Gefühl der Leere. Ich hatte etwas beendet, dass ich niemals hätte beginnen dürfen. Deshalb der Scheck, ich hatte gehofft, mich damit zumindest teilweise von meiner Schuld freizukaufen. Vielleicht wollte ich dir mit ihm auch nur sagen, dass es mich noch gibt. Und du hast zugehört, plötzlich warst du in diesem Restaurant. Ich war fassungslos, trotz allem was geschehen war, warst du da, und ich war mit einem mal wieder dieses achtzehnjährige Mädchen, dass nicht begreifen kann was mit ihm geschieht â und so habe ich mich auch verhalten.
Man sollte meinen, wenn man so lange mit jemandem verheiratet war, dann wäre es einfach ihm zu sagen was man fühlt. Man sollte meinen, es wäre einfacher, als es einem Menschen zu sagen, den man erst kennengelernt hat, aber es ist ungleich schwerer. Erinnerst du dich daran, wie lange ich gebraucht habe, bis ich dir das erste Mal sagte, das ich dich liebe? Selbst da habe ich es nur über die Lippen gebracht, weil du mich danach gefragt hast. Und ich konnte es nur deshalb sagen, weil ich nur eine kleine Ahnung davon hatte, was es bedeutet. Heute weià ich es. Es wieder zu sagen und dich noch einmal zu verlieren â nein, Richard, das kann ich nicht. Ich wünschte ich könnte es, aber dafür bin ich einfach nicht mutig genug.
To be continued