31.07.2007, 11:39
âLillian?â
Lillian schreckte aus ihren Gedanken.
âAlles in Ordnung?â
Lillian lachte gekünstelt. âNatürlich.â Plötzlich bemerkte sie Elenas besorgte Miene. Auch Emilio musterte sie Stirn runzelnd.
âWarum weinst du dann?â, fragte er, worauf ihn seine Mutter strafend ansah.
Erst in diesem Moment bemerkte Lillian ihre feuchten Wangen. âMir ist nur etwas in die Augen gekommen.â, sagte sie an Emilio gewandt.
âWas denn?â Fragte er.
âNur etwas Staub.â Lillian lächelte.
âMachen die denn den Park nicht sauber?â, fragte Emilio.
âEs ist gar nicht so einfach einen Park sauber zu halten. Ich denke aber, dass sie ihr bestes geben.â Lillian bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Elena sie noch immer Stirn runzelnd musterte. âAlso, Emilio, was denkst du, gehen wir zur Schaukel?â
Der Kleine sprang vom Schoà seiner Mutter. âAu ja!â Er hüpfte fröhlich. âLillian lässt mich viel höher schaukeln.â, sagte er an Elena gewandt.
Diese seufzte. âWenn du ganz lieb zu ihr bist, adoptiert sie dich vielleicht.â Sie zwinkerte ihrem Sohn zu. Plötzlich fiel ihr Blick auf Lillian, deren Gesichtsausdruck sich verspannt hatte. Elena biss sich unsicher auf die Unterlippe. âEntschuldige...â
Lillian mühte sich um ein Lächeln. âDu musst nicht mit mir umgehen, als wäre ich aus Zucker. Ich brauche nichts weniger als Mitleid, Elena. Es ist alles in Ordnung.â
Elena runzelte die Stirn und blickte ihrer Freundin nach, welche Emilio an der Hand nahm und zu den Schaukeln ging. Der Kleine lieà sich fröhlich auf den Sitz der linken der beiden Schaukeln fallen und teilte der jungen Frau mit, mit wie viel Schwung sie die Schaukel anstoÃen sollte. Lillian behielt Emilio die ganze Zeit über ihm Auge, sie blickte nur zweimal zu der anderen Schaukel, auf welcher ein kleines Mädchen schaukelte und dabei laut vor sich hin trällerte.
Sie verbrachten noch zwei Stunden im Park, ehe Elena schlieÃlich auf die vorangeschrittene Uhrzeit aufmerksam machte. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen gelang es ihr und Lillian schlieÃlich Emilio in den Kinderwagen zu setzen. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust. Eine tiefe Falte bildete sich auf seiner Stirn. âAlle anderen gehen auch nicht.â
Elena seufzte genervt. âWürdest du vom Empire State Building springen, nur weil es alle machen?â
Er schüttelte verständnislos den Kopf. âWer macht das denn?â
âEmilio, Schatz, es ist bald Zeit schlafen zu gehen für Kinder deines Alters. Wenn das andere Mütter anders sehen, ist das allein ihre Sache.â
âDu bist gemein.â
âDas ist mein Job als Mutter.â Elena seufzte genervt und begann den Kinderwagen Richtung Ausgang zu schieben. Lillian folgte ihr nachdenklich. Bereits während des Wegs nach Spanish Harlem war Emilio schlieÃlich eingeschlafen. Elena bemerkte lächelnd: âBin ich also doch keine furchtbar spieÃige Mutter...â
Lillian schüttelte den Kopf. âDu bist die beste Mutter...â Ihr Blick schweifte auf die vorbei rasenden Autos. âDu hast so viele Probleme, und dennoch gelingt es dir Emilio ein stabiles Leben zu ermöglichen...genau diese Kleinigkeiten...sonntägliche Spaziergänge, Schlafenszeiten...schaffen Rhythmen, Rituale, die uns ein Gefühl von Sicherheit, Halt geben...â
Elena hielt vor ihrem Wohnhaus. Sie blickte zwei jungen Frauen nach, welche lachend auf ihren Fahrrädern fuhren. SchlieÃlich wandte sie sich an Lillian. âUns beiden ist dieses Gefühl genommen worden...wir waren zarte, unschuldige Vöglein. Wir wurden brutal aus dem Nest gestoÃen. In eine scheinbar unendliche Tiefe. Ohne Vorwarnung. Und nun stehen wir beide hier...Lillian, ich bin nicht einmal annähernd so stark, wie du denkst...â Ein Tränenschimmer durchzog ihre Augen. âNur irgendwann erträgt man Elend besser als Glück...â
âElena...â Lillian musterte ihre Freundin Stirn runzelnd.
âIch mache das alles nicht für mich. Für mich gibt es keinen Grund zu leben...auÃer Emilio.â
Lillian berührte die Arme ihrer Freundin. âHör auf so zu reden...bitte. Elena, du weiÃt gar nicht, wie wichtig du mir bist. Du warst da für mich...immer.â
Elena atmete tief durch und blickte Lillian in die Augen. âAn manchen Tagen will ich einfach nur zu ihm.â
Lillian nickte. âIch weiÃ. Ich kenne dieses Gefühl.â
Elena wich ihrem Blick aus. âEs bringt uns nicht weiter...â
âNein.â Lillian strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. âManchmal denke ich immer noch, das alles wäre nur ein furchtbarer Albtraum.â
âDer schlimmste Albtraum ist das Leben selbst. Denn aus dem erwachst du nicht...â Elena hob ihren noch immer schlafenden Sohn aus dem Kinderwagen und sperrte die Wohnungstür auf. Lillian half ihr den Wagen über die Treppe zu tragen. Als Elena Emilio fürs Bett umzog, blinzelte dieser kurz, schloss die Augen jedoch wieder. Sie legte ihn lächelnd in sein Bettchen und deckte ihn zu. Elena gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Lillian machte es ihr gleich. Plötzlich öffnete Emilio die Augen und blickte die beiden an. âIch will noch nicht schlafen. Darf ich noch spielen?â Er gähnte.
âDu hast bereits geschlafen.â Elena strich ihm durch sein dunkles Haar.
Er bemühte sich die Augen noch weiter aufzureiÃen. âIch bin nicht müde. Ich habe gar nicht geschlafen.â
âWir spielen morgen ganz lange mit dir.â, versprach Lillian lächelnd.
âSingst du mir noch etwas vor?â
Lillian wechselte einen kurzen Blick mit Elena, welche ihr auffordernd zunickte. âOkay. Aber diesmal nur ein einziges Lied. Du solltest dann wirklich schlafen. SchlieÃlich willst du ja morgen gut ausgeschlafen sein, um stundenlang spielen zu können.â
Emilio nickte. âIch schlafe, sobald du geendet hast.â, versprach er.
Lillian strich ihm lächelnd durchs Haar und begann das Lied anzustimmen, welches Rosa immer für sie gesungen hatte.
âNein!â Lillian schüttelte trotzig den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust.
Rosa versuchte sie erneut zuzudecken, doch ihre Tochter stieà die Decke ein weiteres Mal von sich.
âIch will nicht schlafen, ich will noch fernsehen.â
Rosa seufzte. âEs spielt jetzt gar nichts mehr im Fernsehen.â Sie blickte Hilfe suchend zu Jorge, welcher auf der anderen Seite Lillians Bettes stand und seine Frau Stirn runzelnd musterte. SchlieÃlich meinte er: âDeine Mutter hat Recht.â
Lillian runzelte die Stirn. âDu siehst um diese Uhrzeit doch auch noch fern...â
Jorge setzte sich auf das Bett und reichte seiner Tochter den kleinen Stoffbären, welcher am Bettrand gelegen hatte. âEs spielt jetzt nur noch langweilige Erwachsenensendungen.â
âWarum siehst du sie dir an, wenn sie so langweilig sind?â
âWeil ich ein langweiliger Erwachsener bin.â Er zwinkerte.
âLass mich mitschauen...â Lillian blickte ihn flehend an.
Jorge strich ihr zärtlich über die Wange. âSpätzchen, es ist wirklich Zeit für dich schlafen zu gehen. Du bist doch gewiss schon müde.â
Rosa setzte sich auf die andere Seite des Bettes und deckte ihre Tochter zu. âAm Wochenende darfst du ein wenig länger aufbleiben.â, versprach sie.
âSingst du mir das Lied vor, Mamá?â Lillian drückte den Stoffbären an ihre Brust und blickte ihre Mutter flehend an.
Rosa strich ihr sanft durchs Haar. âNatürlich, mein Schatz. Ich selbst könnte gar nicht schlafen gehen, ohne dir etwas vorgesungen zu haben.â
Jorge betrachtete seine Frau lächelnd, als sie zum Singen begann. Seine Augen waren voller Liebe und Zärtlichkeit. Rosa rutschte neben Lillian, welche den Kopf an ihre Brust legte. Sie legte die Arme um ihre Tochter. Der Raum schien mit einem Mal still. Der StraÃenlärm drang nicht mehr durch die Scheiben. Einzig allein Rosas sanfter Gesang schien die Stille der Welt gebrochen zu haben. Jahre später noch sollte Lillian oft in der Nacht erwachen, im Glauben sie hätte die Stimme ihrer Mutter vernommen. Das sanfte Lied, voller Liebe und Zärtlichkeit.
Rosa hielt Lillian in ihren Armen, wie es Sarah sechs Jahre zuvor ebenso getan hatte. Beide erschüttert vom Leben, und dennoch so voller Liebe zu ihrer Tochter.
Als Rosa geendet hatte, war Lillian eingeschlafen. Sie küsste das Mädchen sanft auf die Wange und bettete es auf die weiche Matratze. Jorge brauchte einige Sekunden, bevor er sich wieder gefangen hatte. Die Stimme seiner Frau hatte ihn in einen Bann versetzt, aus welchem er sich nicht sofort hatte lösen können. Er küsste seine kleine Tochter auf die Stirn. Lillian blinzelte. âIch hab euch lieb.â, flüsterte sie, sank jedoch sogleich wieder in einen tiefen Schlaf.
âWir dich auch, mein Schatz.â Rosas Augen tränten.
Jorge zog sie sanft in seine Arme und küsste sie. Er drehte das Licht ab und sie verlieÃen leise Lillians Schlafzimmer.
Lillian spürte die sanften Arme, welche sie umschlossen nur vage. Sie starrte auf den schlafenden Emilio, versuchte sich auf dessen gleichmäÃigen Atem zu konzentrieren. Stumme Tränen tropften auf den alten Teppich. Lillian löste sich langsam aus Elenas Umarmung und wandte sich zur Tür. âIch gehe jetzt wohl besser.â Erst jetzt bemerkte sie den Glanz der Tränen in den Augen ihrer Freundin. Sie runzelte fragend die Stirn.
âDu singst so wunderschön, vollkommen.â
âSie sang vollkommen...â Lillian ging zur Wohnungstür und schlüpfte in ihre Schuhe. Elena folgte ihr zögernd. âLillian...â
âGroÃmama...sie erwartet mich...â Lillian wich ihrem Blick aus.
âLillian...sieh mich an.â Elena trat näher und ergriff die Hände ihrer Freundin. âSie sind bei dir. Jetzt und in jeder Sekunde. Sie haben uns beobachtet. Rosa, Jorge und Esteban. Sie sind stolz auf uns. Weil wir nicht aufgeben...kämpfen.â
Lillian runzelte die Stirn. âIch wünschte, dass würde mich trösten, es leichter machen. Aber das tut es nicht...â
Elena zog sie in ihre Arme. âLillian, du bist ein wunderbarer Mensch. Ich bin dankbar und stolz dich als meine Freundin bezeichnen zu dürfen. Wir brauchen einander. Gemeinsam können wir alles schaffen. WeiÃt du noch? Wir gegen den Rest der Welt...â
Lillian lachte gequält unter Tränen. âDen Rest der Welt?â
Elena nickte. âWas auch passiert, wir beide werden es gemeinsam durchstehen. Du kannst auf mich zählen.â
Lillian löste sich aus den Armen ihrer Freundin und blickte ihr in die Augen. âDanke.â
Elena ergriff ihre zitternden Hände und drückte sie. In diesem Moment fühlten sie sich enger verbunden, als jemals zu vor, waren sich so nahe, wie noch nie. Sie ahnten nicht, wie nahe sie dem Abgrund tatsächlich standen. Wie sehr ihre Freundschaft tatsächlich noch auf die Probe gestellt werden sollte. Die Schatten der Vergangenheit kamen leise und unbemerkt. Doch sie näherten sich in heimtückischer Geschwindigkeit und schienen alles mit sich reiÃen zu wollen.
Lillian schreckte aus ihren Gedanken.
âAlles in Ordnung?â
Lillian lachte gekünstelt. âNatürlich.â Plötzlich bemerkte sie Elenas besorgte Miene. Auch Emilio musterte sie Stirn runzelnd.
âWarum weinst du dann?â, fragte er, worauf ihn seine Mutter strafend ansah.
Erst in diesem Moment bemerkte Lillian ihre feuchten Wangen. âMir ist nur etwas in die Augen gekommen.â, sagte sie an Emilio gewandt.
âWas denn?â Fragte er.
âNur etwas Staub.â Lillian lächelte.
âMachen die denn den Park nicht sauber?â, fragte Emilio.
âEs ist gar nicht so einfach einen Park sauber zu halten. Ich denke aber, dass sie ihr bestes geben.â Lillian bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Elena sie noch immer Stirn runzelnd musterte. âAlso, Emilio, was denkst du, gehen wir zur Schaukel?â
Der Kleine sprang vom Schoà seiner Mutter. âAu ja!â Er hüpfte fröhlich. âLillian lässt mich viel höher schaukeln.â, sagte er an Elena gewandt.
Diese seufzte. âWenn du ganz lieb zu ihr bist, adoptiert sie dich vielleicht.â Sie zwinkerte ihrem Sohn zu. Plötzlich fiel ihr Blick auf Lillian, deren Gesichtsausdruck sich verspannt hatte. Elena biss sich unsicher auf die Unterlippe. âEntschuldige...â
Lillian mühte sich um ein Lächeln. âDu musst nicht mit mir umgehen, als wäre ich aus Zucker. Ich brauche nichts weniger als Mitleid, Elena. Es ist alles in Ordnung.â
Elena runzelte die Stirn und blickte ihrer Freundin nach, welche Emilio an der Hand nahm und zu den Schaukeln ging. Der Kleine lieà sich fröhlich auf den Sitz der linken der beiden Schaukeln fallen und teilte der jungen Frau mit, mit wie viel Schwung sie die Schaukel anstoÃen sollte. Lillian behielt Emilio die ganze Zeit über ihm Auge, sie blickte nur zweimal zu der anderen Schaukel, auf welcher ein kleines Mädchen schaukelte und dabei laut vor sich hin trällerte.
Sie verbrachten noch zwei Stunden im Park, ehe Elena schlieÃlich auf die vorangeschrittene Uhrzeit aufmerksam machte. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen gelang es ihr und Lillian schlieÃlich Emilio in den Kinderwagen zu setzen. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust. Eine tiefe Falte bildete sich auf seiner Stirn. âAlle anderen gehen auch nicht.â
Elena seufzte genervt. âWürdest du vom Empire State Building springen, nur weil es alle machen?â
Er schüttelte verständnislos den Kopf. âWer macht das denn?â
âEmilio, Schatz, es ist bald Zeit schlafen zu gehen für Kinder deines Alters. Wenn das andere Mütter anders sehen, ist das allein ihre Sache.â
âDu bist gemein.â
âDas ist mein Job als Mutter.â Elena seufzte genervt und begann den Kinderwagen Richtung Ausgang zu schieben. Lillian folgte ihr nachdenklich. Bereits während des Wegs nach Spanish Harlem war Emilio schlieÃlich eingeschlafen. Elena bemerkte lächelnd: âBin ich also doch keine furchtbar spieÃige Mutter...â
Lillian schüttelte den Kopf. âDu bist die beste Mutter...â Ihr Blick schweifte auf die vorbei rasenden Autos. âDu hast so viele Probleme, und dennoch gelingt es dir Emilio ein stabiles Leben zu ermöglichen...genau diese Kleinigkeiten...sonntägliche Spaziergänge, Schlafenszeiten...schaffen Rhythmen, Rituale, die uns ein Gefühl von Sicherheit, Halt geben...â
Elena hielt vor ihrem Wohnhaus. Sie blickte zwei jungen Frauen nach, welche lachend auf ihren Fahrrädern fuhren. SchlieÃlich wandte sie sich an Lillian. âUns beiden ist dieses Gefühl genommen worden...wir waren zarte, unschuldige Vöglein. Wir wurden brutal aus dem Nest gestoÃen. In eine scheinbar unendliche Tiefe. Ohne Vorwarnung. Und nun stehen wir beide hier...Lillian, ich bin nicht einmal annähernd so stark, wie du denkst...â Ein Tränenschimmer durchzog ihre Augen. âNur irgendwann erträgt man Elend besser als Glück...â
âElena...â Lillian musterte ihre Freundin Stirn runzelnd.
âIch mache das alles nicht für mich. Für mich gibt es keinen Grund zu leben...auÃer Emilio.â
Lillian berührte die Arme ihrer Freundin. âHör auf so zu reden...bitte. Elena, du weiÃt gar nicht, wie wichtig du mir bist. Du warst da für mich...immer.â
Elena atmete tief durch und blickte Lillian in die Augen. âAn manchen Tagen will ich einfach nur zu ihm.â
Lillian nickte. âIch weiÃ. Ich kenne dieses Gefühl.â
Elena wich ihrem Blick aus. âEs bringt uns nicht weiter...â
âNein.â Lillian strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. âManchmal denke ich immer noch, das alles wäre nur ein furchtbarer Albtraum.â
âDer schlimmste Albtraum ist das Leben selbst. Denn aus dem erwachst du nicht...â Elena hob ihren noch immer schlafenden Sohn aus dem Kinderwagen und sperrte die Wohnungstür auf. Lillian half ihr den Wagen über die Treppe zu tragen. Als Elena Emilio fürs Bett umzog, blinzelte dieser kurz, schloss die Augen jedoch wieder. Sie legte ihn lächelnd in sein Bettchen und deckte ihn zu. Elena gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Lillian machte es ihr gleich. Plötzlich öffnete Emilio die Augen und blickte die beiden an. âIch will noch nicht schlafen. Darf ich noch spielen?â Er gähnte.
âDu hast bereits geschlafen.â Elena strich ihm durch sein dunkles Haar.
Er bemühte sich die Augen noch weiter aufzureiÃen. âIch bin nicht müde. Ich habe gar nicht geschlafen.â
âWir spielen morgen ganz lange mit dir.â, versprach Lillian lächelnd.
âSingst du mir noch etwas vor?â
Lillian wechselte einen kurzen Blick mit Elena, welche ihr auffordernd zunickte. âOkay. Aber diesmal nur ein einziges Lied. Du solltest dann wirklich schlafen. SchlieÃlich willst du ja morgen gut ausgeschlafen sein, um stundenlang spielen zu können.â
Emilio nickte. âIch schlafe, sobald du geendet hast.â, versprach er.
Lillian strich ihm lächelnd durchs Haar und begann das Lied anzustimmen, welches Rosa immer für sie gesungen hatte.
âNein!â Lillian schüttelte trotzig den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust.
Rosa versuchte sie erneut zuzudecken, doch ihre Tochter stieà die Decke ein weiteres Mal von sich.
âIch will nicht schlafen, ich will noch fernsehen.â
Rosa seufzte. âEs spielt jetzt gar nichts mehr im Fernsehen.â Sie blickte Hilfe suchend zu Jorge, welcher auf der anderen Seite Lillians Bettes stand und seine Frau Stirn runzelnd musterte. SchlieÃlich meinte er: âDeine Mutter hat Recht.â
Lillian runzelte die Stirn. âDu siehst um diese Uhrzeit doch auch noch fern...â
Jorge setzte sich auf das Bett und reichte seiner Tochter den kleinen Stoffbären, welcher am Bettrand gelegen hatte. âEs spielt jetzt nur noch langweilige Erwachsenensendungen.â
âWarum siehst du sie dir an, wenn sie so langweilig sind?â
âWeil ich ein langweiliger Erwachsener bin.â Er zwinkerte.
âLass mich mitschauen...â Lillian blickte ihn flehend an.
Jorge strich ihr zärtlich über die Wange. âSpätzchen, es ist wirklich Zeit für dich schlafen zu gehen. Du bist doch gewiss schon müde.â
Rosa setzte sich auf die andere Seite des Bettes und deckte ihre Tochter zu. âAm Wochenende darfst du ein wenig länger aufbleiben.â, versprach sie.
âSingst du mir das Lied vor, Mamá?â Lillian drückte den Stoffbären an ihre Brust und blickte ihre Mutter flehend an.
Rosa strich ihr sanft durchs Haar. âNatürlich, mein Schatz. Ich selbst könnte gar nicht schlafen gehen, ohne dir etwas vorgesungen zu haben.â
Jorge betrachtete seine Frau lächelnd, als sie zum Singen begann. Seine Augen waren voller Liebe und Zärtlichkeit. Rosa rutschte neben Lillian, welche den Kopf an ihre Brust legte. Sie legte die Arme um ihre Tochter. Der Raum schien mit einem Mal still. Der StraÃenlärm drang nicht mehr durch die Scheiben. Einzig allein Rosas sanfter Gesang schien die Stille der Welt gebrochen zu haben. Jahre später noch sollte Lillian oft in der Nacht erwachen, im Glauben sie hätte die Stimme ihrer Mutter vernommen. Das sanfte Lied, voller Liebe und Zärtlichkeit.
Rosa hielt Lillian in ihren Armen, wie es Sarah sechs Jahre zuvor ebenso getan hatte. Beide erschüttert vom Leben, und dennoch so voller Liebe zu ihrer Tochter.
Als Rosa geendet hatte, war Lillian eingeschlafen. Sie küsste das Mädchen sanft auf die Wange und bettete es auf die weiche Matratze. Jorge brauchte einige Sekunden, bevor er sich wieder gefangen hatte. Die Stimme seiner Frau hatte ihn in einen Bann versetzt, aus welchem er sich nicht sofort hatte lösen können. Er küsste seine kleine Tochter auf die Stirn. Lillian blinzelte. âIch hab euch lieb.â, flüsterte sie, sank jedoch sogleich wieder in einen tiefen Schlaf.
âWir dich auch, mein Schatz.â Rosas Augen tränten.
Jorge zog sie sanft in seine Arme und küsste sie. Er drehte das Licht ab und sie verlieÃen leise Lillians Schlafzimmer.
Lillian spürte die sanften Arme, welche sie umschlossen nur vage. Sie starrte auf den schlafenden Emilio, versuchte sich auf dessen gleichmäÃigen Atem zu konzentrieren. Stumme Tränen tropften auf den alten Teppich. Lillian löste sich langsam aus Elenas Umarmung und wandte sich zur Tür. âIch gehe jetzt wohl besser.â Erst jetzt bemerkte sie den Glanz der Tränen in den Augen ihrer Freundin. Sie runzelte fragend die Stirn.
âDu singst so wunderschön, vollkommen.â
âSie sang vollkommen...â Lillian ging zur Wohnungstür und schlüpfte in ihre Schuhe. Elena folgte ihr zögernd. âLillian...â
âGroÃmama...sie erwartet mich...â Lillian wich ihrem Blick aus.
âLillian...sieh mich an.â Elena trat näher und ergriff die Hände ihrer Freundin. âSie sind bei dir. Jetzt und in jeder Sekunde. Sie haben uns beobachtet. Rosa, Jorge und Esteban. Sie sind stolz auf uns. Weil wir nicht aufgeben...kämpfen.â
Lillian runzelte die Stirn. âIch wünschte, dass würde mich trösten, es leichter machen. Aber das tut es nicht...â
Elena zog sie in ihre Arme. âLillian, du bist ein wunderbarer Mensch. Ich bin dankbar und stolz dich als meine Freundin bezeichnen zu dürfen. Wir brauchen einander. Gemeinsam können wir alles schaffen. WeiÃt du noch? Wir gegen den Rest der Welt...â
Lillian lachte gequält unter Tränen. âDen Rest der Welt?â
Elena nickte. âWas auch passiert, wir beide werden es gemeinsam durchstehen. Du kannst auf mich zählen.â
Lillian löste sich aus den Armen ihrer Freundin und blickte ihr in die Augen. âDanke.â
Elena ergriff ihre zitternden Hände und drückte sie. In diesem Moment fühlten sie sich enger verbunden, als jemals zu vor, waren sich so nahe, wie noch nie. Sie ahnten nicht, wie nahe sie dem Abgrund tatsächlich standen. Wie sehr ihre Freundschaft tatsächlich noch auf die Probe gestellt werden sollte. Die Schatten der Vergangenheit kamen leise und unbemerkt. Doch sie näherten sich in heimtückischer Geschwindigkeit und schienen alles mit sich reiÃen zu wollen.