22.09.2007, 17:53
Lillian drückte die Hand ihrer Freundin. „Deine Worte halfen mir damals sehr, weiÃt du das?“
Elena wich ihrem Blick aus. „Interessant, wie wir uns verändern, nicht?“ Plötzlich hielt sie inne und zwang sich zu einem Lächeln. „Heute ist dein Geburtstag, Cara, lass uns über schönere Dinge sprechen. Wann ist deine Abschlussfeier? Emilio und ich werden selbstverständlich kommen. Ich weià noch nicht, was ich tragen soll...denkst du, mein schwarzes Kleid ist zu schäbig?“
„Elena...“, Lillian zögerte.
Die Freundin hielt irritiert inne, schlieÃlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. „Nein...nein, Lillian, sag mir sofort, dass du zumindest zu deiner Abschlussfeier gehen wirst! Dass du nicht zu diesem albernen Ball willst, okay, aber die Abschlussfeier...das ist doch eine Erinnerung fürs Leben!“
Lillian senkte den Kopf und räusperte sich leise. „Ich habe bereits angerufen und gesagt, dass ich mein Zeugnis morgen Vormittag abholen werde.“ Sie blickte der Freundin in die Augen. „Verstehst du nicht? Ich gehöre dort nicht hin. Das habe ich niemals. Ich gehöre nicht zu ihnen.“
Elena runzelte die Stirn. „Was sagt Ana dazu?“
„Sie akzeptiert es. Sie ist nicht unbedingt sehr erfreut darüber, aber sie akzeptiert es. Was sollte sie auch sonst tun?“
Elena seufzte leise, beschloss aber das Thema zu wechseln. „Arturo ist so wundervoll zu dir. Ich hoffe, du weiÃt dein Glück zu schätzen.“
„Weil er mir beim Aufdecken half? Das ist anderswo selbstverständlich.“ Lillian zwinkerte.
„Sei nicht so dumm. Du kannst dich verdammt glücklich schätzen. Er liebt dich seit eurer ersten Begegnung.“
Der silberne Mondschein reflektierte am Glas des alten Fensters. Lillian fixierte das scheinbar magische Licht und versuchte den pochenden Schmerz zu ignorieren. Sie lehnte sich an die kühle Lehne des Holzstuhls. Plötzlich kam er aus dem Schatten des hinteren Teils des Ladens hervor. Sie sah ihn nicht an. Nicht einmal, als er ihr den kalten Beutel reichte, welchen sie sich mechanisch auf die geschwollene Lippe presste.
„Kanntest du ihn?“ Arturo setzte sich ihr gegenüber.
„Er ist mein Exfreund.“
„Reizend.“ Er fuhr sich durchs Haar. „Hat er das öfters gemacht?“
„Warum interessiert dich das?“ Ihre Stimme klang gleichgültig.
„Ich weià nicht. Vielleicht will ich ein Buch darüber schreiben.“ Er seufzte.
„Ihr seid doch alle gleich.“
„Gut zu wissen. Und wer genau sind wir?“ Arturo blickte sie herausfordernd an.
Lillian zuckte mit den Schultern. Sie wollte sich erheben, ein schmerzhafter Stich im Kopf lieà sie jedoch wieder zurück sinken.
„Willst du etwas trinken? Wasser? Tee? Kaffee? Dein Körper braucht Flüssigkeit.“
„Woher willst du das wissen? Bist du Arzt?“ Lillian strich sich den Schweià von der Stirn und fixierte einen imaginären Punkt auf dem Boden.
Arturo seufzte leise und verschwand erneut im Dunklen, ehe er mit einem Glas Wasser zurückkam. „Trink.“, forderte er sie auf und stellte es auf den kleinen Tisch. Neben das Glas legte er eine Tablette. „Nimm die.“
„Was ist das?“
„Pures Wasser aus der Wasserleitung.“
Lillian runzelte die Stirn. „Ich meine die Tablette.“
„Vielleicht sollte ich wirklich ein Buch schreiben.“ Arturo schüttelte den Kopf. „Man nennt es Aspirin.“
Sie nahm die Tablette unsicher in die Hand, ehe sie sie schlieÃlich schluckte und Wasser nachtrank.
„Du bist Ana Vasquez’ Enkeltochter, nicht?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Ist das von Bedeutung?“
„Wir sind uns schon ein paar Mal begegnet. Du warst auch mit Esteban befreundet.“
Plötzlich wich etwas Kälte von Lillians Stimme. „Elena ist meine beste Freundin.“
Arturo nickte. „Warum haben wir uns niemals richtig unterhalten?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Wozu?“ Der kühle Klang war zurückgekehrt.
„Ich weià nicht. Ich hätte es nicht zugelassen, dass dein Freund dich so behandelt.“
„Für wen hältst du dich eigentlich?“
„Ich weià nicht. Der Platz als undankbare Zicke ist auf jeden fall schon vergeben.“
Lillian verschlug es einen Moment die Sprache. „Was erwartest du von mir?“
„Nichts moralisch verwerfliches, keine Sorge. Ich erwarte lediglich etwas Freundlichkeit.“
Lillian biss sich auf die Unterlippe und blickte auf ihre Schuhspitzen. „Es...“ Sie seufzte leise. „...es tut mir leid. Es war keine schöne Nacht.“
Arturos Gesichtszüge wurden sanfter. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“
„Was willst du tun? Ihn umbringen?“
„Warum warst du mit so einem zusammen?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hatte ich es ja nicht anders verdient.“
Arturo betrachtete sie Stirn runzelnd. „Was redest du da? Niemand hat das verdient. Ich würde meine Freundin niemals so behandeln. Ein Mann, der seine Frau liebt, würde sie niemals verletzen.“
Lillian seufzte. „Ich bezweifle, dass er mich jemals geliebt hat. Aber was ist schon Liebe? Nur ein Wort. Ein Wort, das viel zu oft, viel zu schnell gesagt wird.“
Arturo folgte dem Impuls ihre Hand zu ergreifen, Lillian schreckte jedoch zurück, bevor er sie berühren konnte.
„Was soll das?“, fuhr sie ihn an.
„Entschuldige.“ Er biss sich auf seine Unterlippe und betrachtete sein Gegenüber zögernd. Ein unangenehmes Schweigen entstand, welches schlieÃlich von Lillian gebrochen wurde. „Es gibt in der Tat noch etwas, dass du für mich tun könntest...“ Ihre Stimme klang brüchig.
Arturo blickte sie erwartungsvoll an.
„Ich kann meiner GroÃmutter so nicht unter die Augen treten. Lässt du mich hier übernachten? Ich werde gleich morgen früh zu Elena gehen. Jetzt wäre es zu spät. Ich möchte den Kleinen nicht wecken.“
Arturo nickte. „Wenn du mir etwas versprichst...“
Sie musterte ihn misstrauisch. „Was?“
„Egal was er dir erzählen sollte, gib ihm nie wieder eine Chance.“
Lillian schüttelte den Kopf. „So eine bin ich nicht.“
Arturo nickte. „Gut. Ich kenne Typen wie ihn. Sie tun es immer wieder.“
Sie seufzte leise, blickte ihm schlieÃlich nur sehr zögernd in die Augen. „Danke.“
Er betrachtete sie nachdenklich. Fragte sich, was das Leben dieser jungen Frau angetan hatte. „Wie heiÃt du?“, erkundigte er sich schlieÃlich.
„Lillian.“
„Mein Name ist Arturo. Meine GroÃtante ist Marta Soler Ferre. Möglicherweise kennst du sie über deine GroÃmutter.“
„Ich weià nicht.“ Lillian zuckte mit den Schultern. „Wir haben nicht mehr viele Kontakte. Dir ist sicherlich bekannt, was über meine Mutter gesprochen wird.“
„Mir ist egal, was über andere gesprochen wird. Ich gebe nicht viel auf das Gerede von den Leuten. Sonst wäre mein eigener Ruf kaum so schlecht.“ Arturo zwinkerte ihr zu. „Es ist schade, dass wir uns unter diesen Umständen näher kennen lernen.“
„Hältst du es für passend, unter diesen Umständen zu flirten?“ Lillian runzelte die Stirn.
„Ganz und gar unpassend. Vielleicht wäre es ein anderes Mal passender. Wie wäre es mit nächstem Wochenende?“
„Ist das dein ernst oder versuchst du zu scherzen?“ Ihre Stimme wurde kühler.
„Mit so etwas scherze ich nicht.“
Lillian betrachtete ihn misstrauisch. „Du kennst mich nicht. Und wenn du denkst, ich wäre leicht zu haben, muss ich dich leider enttäuschen.“
„Hat dir schon jemand gesagt, dass du auÃergewöhnlich schwierig bist?“
Sie wandte sich von ihm ab und betrachtete die vollen Regale. „Arbeitest du hier?“
„Manchmal.“ Er musterte sie nachdenklich. „Was ist mit dir?“
„Ich gehe noch auf die High School. In der Nähe vom Central Park.“
„Gute Lage. Ich bin gerne dort.“
Plötzlich veränderte sich etwas an Lillians Gesichtszügen. „Ich war früher oft mit meinen Eltern dort. Es ist der einzige Platz an dem ich diesen Frieden verspüre.“
Lillian schüttelte den Kopf. „Damals hasste er mich gewiss. Ich war richtig zickig, obwohl er nur nett sein wollte.“
Elena zuckte mit den Schultern. „Ach Cara, er hat dich doch immer verstanden. Meist sogar besser als ich.“
„Nein. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er mich nicht versteht.“
„Frauen und Männer werden sich niemals vollkommen verstehen. Das macht den Reiz erst aus.“ Elena schmunzelte.
Lillian lächelte. „WeiÃt du, wo wir uns wieder begegneten? Er passte mich drei Tage später abends am Schulweg ab und fragte, ob ich mit ihm ein wenig durch den Central Park spazieren möchte.“
„Reagiertest du erneut so unfreundlich?“
Lillian lachte. „Schlimmer. Aber schlieÃlich kam ich mit ihm. Wir unterhielten uns über irgendetwas Oberflächliches. Das Wetter oder so.“
„Der Klimawandel bereitet meiner GroÃmutter groÃe Sorgen.“ Lillian runzelte die Stirn und betrachtete das Pärchen, welches an der Parkbank vorbei ging.
„Er hätte den Menschen vor dreiÃig Jahren schon Sorgen bereiten sollen. Dann hätte man vieles verhindern können.“, meinte Arturo.
„Eher verzögern. Aber ja, wahrscheinlich hast du recht.“
Arturo musterte sie aufmerksam. Sein Blick blieb schlieÃlich an ihrem Rucksack hängen. „Wie war’s in der Schule?“
„Was?“ Lillian musterte ihn irritiert.
„Das Thema war mir zu ernst.“
„Es war wie immer.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Eineinhalb Jahre noch, dann habe ich es hinter mir. Ich kann es kaum erwarten.“
Er lächelte. „Ich finde es gut, dass du die Schule beendest.“
Lillian blickte ihn an. „Ich möchte studieren. Das geht nicht ohne Abschluss.“
„Was denn?“
„Literatur.“
Seine Augen weiteten sich. „Was willst du mit Literatur anfangen?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Vielleicht nehme ich auch Jura dazu.“
„Dann wirst du ja richtig gefährlich für alle, die ein Plagiat veröffentlichen wollen.“
„Sehr witzig.“
Arturo grinste.
„Früher wollte ich Tänzerin werden. Und Sängerin.“, erzählte Lillian.
Er musterte sie. „Kannst du denn tanzen?“
Sie runzelte die Stirn. „Auch wenn meine Haut hell ist, bleibe ich Lateinamerikanerin! Wir sind die besten Tänzer der Welt.“
Arturo grinste. „So hübsch und auch noch so bescheiden.“ Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. „Wann erwartet dich deine GroÃmutter zurück?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Ich denke, in ein, zwei Stunden.“ Sie musterte ihn misstrauisch. „Wieso?“
„Das reicht.“ Er erhob sich schnell. „Komm.“
„Nein...wohin?“ Lillian runzelte die Stirn. Sie wich nicht zurück, als er ihre Hand ergriff und sie hochzog. „Du wirst es schon noch rechtzeitig erfahren.“
„Er brachte mich ins La Palma.“
Elena runzelte die Stirn. „Du lieber Himmel...“
„Was machen wir hier?“ Lillian betrachtete die kleine Bar mit der bröckelnden Fassade Stirn runzelnd.
„Na was wohl?“ Er zog sie grinsend in den verrauchten Raum, aus welchem schnelle Merenguemusik erklang.
Lillian starrte auf die tanzenden Paare. „Du willst hier doch nicht etwa tanzen? Siehst du nicht, wie sie uns ansehen? Wir drücken den Altersdurchschnitt um mindestens zwanzig Jahre nach unten. Wer sind diese Leute und warum haben sie um diese Uhrzeit Zeit zu tanzen? Es ist gerade Mal sieben Uhr.“, flüsterte sie ihm zu.
Arturo betrachtete sie amüsiert. „Hast du Angst, dass der Hüftschwung der Señoras besser ist als deiner?“
„Hier ist es eng und verraucht...und schau dir die Wände an...ist das Schimmel?“
Arturos Augen weiteten sich. „Für so ein stolzes Prinzesschen hätte ich dich nicht gehalten. Tanzt du etwa nur in schäbigen Clubs, die mindestens ebenso verraucht sind? Vor welchen gelegentlich Schlägereien oder Schlimmeres stattfinden?“
„Arturo sieh mich an. So kann ich nicht tanzen.“ Sie blickte an ihrer alten, verwaschenen Jeans und den Turnschuhen hinab.“
„Die besten Tänzer der Welt tanzen immer und überall.“ Arturo grinste vergnügt. „Warum hast du Angst davor, mit mir zu tanzen?“
„Mein Rucksack...“ Lillians Stimme hob sich erfreut. Sie war erleichtert über diesen Einfall. „...er könnte einstweilen gestohlen werden...oder soll ich etwa mit ihm tanzen?“
Arturo lachte. „Das wäre doch eine Herausforderung.“ Er griff nach ihrem Rucksack. und stellte ihn auf die Theke der kleinen Bar.
„Fernando, würdest du darauf aufpassen?“
Der ältere Mann nickte. „Natürlich. Wie heiÃt deine schöne Freundin, Arturo?“ Er betrachtete Lillian aufmerksam.
„Ihr Name ist Lillian.“
„Ich bin nicht seine...“, begann Lillian, hielt jedoch inne, als Arturo sie auf die kleine Tanzfläche und damit aus der Hörweite des Mannes zog.
„Also...“ Er betrachtete sie lächelnd. „Zeig mir, was du drauf hast.“
Lillian musterte ihn unsicher und fragte sich, wohin dieser Abend wohl noch führen würde.
Arturo legte den Arm um ihre Hüfte und zog sie enger an sich. Er grinste, als sie sich versteifte. „Mach ich dich nervös?“
„Nein, ganz und gar nicht.“ Lillian hob das Gesicht stolz und schloss einen Moment die Augen um den Rhythmus zu fühlen. Ihre Bewegungen kamen aus tiefstem Herzen, dennoch schienen sie an jenem Abend blockiert. Es verging ein Lied, ehe sich ihre Muskeln lockerten und ihr Körper unter seinen Händen zu schmelzen begann. Lillian lieà es zu, dass er sie während der Tänze immer näher an sich zog. Sein Atem auf ihrem Hals schien wie eine Droge. Erfüllend, aber auch gefährlich. Dennoch wollte sie mehr. Sie wurden eins mit der Musik, Lillian schien zu schweben. Ein leichtes Lächeln begann ihre Lippen zu umspielen. Er erwiderte es mit einer Intensität, welche ihr mit einem Mal einen kalten Schauer über den Rücken laufen lieÃ. Sie begann zu zittern, obwohl ihr Körper vor Hitze glühte. Seine Hände schmerzten auf ihrer Haut, gleichzeitig schien es ohne sie aber unmöglich zu atmen. Lillian rang nach Luft und lieà es zu, dass Arturo die Kontrolle über sie übernahm. Ihr Körper schien seinem zu folgen. Sich auf der Tanzfläche mit ihm zu vereinen. Irgendwann hatten zwei andere Tanzpaare aufgehört zu tanzen und betrachteten das Vorgehen interessiert.
Erst der abrupte Abbruch der Musik riss Lillian und Arturo zurück in die Realität. In die kleine verrauchte Bar, in welcher sich vor allem Mittvierziger und -fünfziger aufhielten, welche versuchten ihren meist arbeitslosen und wenig chancenreichen Alltag beim Tanz zu vergessen. Lillian starrte in Arturos dunkle Augen, sie schien darin gefangen. Auch er brauchte einige Sekunden, um wieder zu Bewusstsein zu gelangen. Lillians Muskeln spannten sich an, als sie sich von ihm löste. Ihre Beine zitterten. Sie wandte sich langsam ab und ging zur Bar, wo Fernando sie bereits grinsend zu erwarten schien. Er reichte ihr den Rucksack. „Ganz schön heiÃ.“ Er zwinkerte.
Lillians Wangen glühten. Sie wollte etwas erwidern, doch ihr Hals schien wie ausgetrocknet. Sie räusperte sich. „Ein Glas Wasser bitte.“
Er reichte es ihr. „Macht einen Dollar.“
Lillian nickte abwesend und griff nach ihrer kleinen Geldbörse.
„Das übernehme ich.“ Arturo wich ihrem Blick aus und reichte Fernando eine Münze.
Der Mann nahm sie grinsend entgegen.
Lillian nippte benommen an ihrem Glas Wasser. Eine plötzliche Ãbelkeit überkam sie.
„Alles in Ordnung? Du wirkst so blass.“
Lillian nickte abwesend. Arturo betrachtete sie aufmerksam. „Vielleicht solltest du deinen Traum der Tanzkarriere noch nicht aufgeben.“
Sie leerte das restliche Wasser in einem Zug. „Ich muss nachhause.“
Arturo nickte, als hätte er mit keiner anderen Antwort gerechnet. Sie verlieÃen die Bar, ohne sich nochmals umzusehen. Als Lillian eine Richtung ansteuern wollte, ergriff Arturo jedoch ihren Arm und zog sie in eine andere. Sie begann zu zittern, gab jedoch dem Verlangen nach ihm zu folgen. Arturo hielt vor einem alten Wohnbau. Lillian zögerte und wischte sich den Schweià von der Stirn. „Zeigst du mir deine Wohnung?“, fragte sie plötzlich.
Er sah sie nicht an, deutete auf ein altes Auto. „Das ist meins. Ich bringe dich nachhause.“
Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Sie nickte benommen und sank auf den Beifahrersitz.
Arturo drehte das Radio auf. „Gefällt dir die Musik?“
Lillian antwortete nicht. Kurz bevor sie die Wohnung erreichten, hielt sie das Schweigen und die Spannung zwischen ihnen nicht mehr aus. „Ist es, weil ich erst siebzehn werde? Ich weiÃ, dass du ein paar Jahre älter bist als ich. Es ist nicht wichtig.“
Arturo bremste wenige Meter vor Anas Wohnung. „Lillian...“ Er musterte sie nachdenklich. „Hätte ich dich in meine Wohnung mitgenommen, hätte es keine zwei Sekunden gedauert, ehe ich dir die Kleidung vom Körper gerissen hätte. Du hättest jeden Respekt vor mir verloren. Und ich vor dir.“
Lillian blickte ihn fassungslos an. „Was redest du da?“
„Ich weiÃ, wie Ricardo dich behandelt hat. Ich will nicht, dass du mir einmal den Vorwurf machst, ich hätte deine Situation ausgenützt.“ Arturo betrachtete sie Stirn runzelnd.
Lillian wandte sich von ihm ab und stieg aus dem Auto.
„Lillian...“
Sie drehte sich zögernd um.
„Ich hätte nichts lieber getan, als dich mit zu mir zu nehmen.“
Lillian schüttelte den Kopf und wandte sich von ihm ab.
„Ich bin am Freitag im Club. Sag mir, dass du auch kommen wirst.“
Sie erlangte ihre Fassung wieder. „Mal sehen.“ Ohne sich nochmals nach ihm umzudrehen betrat sie das Wohnhaus.
„Wow...“ Elenas Augen funkelten. „Du solltest öfters Geburtstag haben...davon hast du mir noch nie erzählt.“ Ein breites Grinsen überzog ihr Gesicht. „Ganz schön scharf. Ich werde Arturo nie wieder ansehen können, ohne daran zu denken.“ Sie zwinkerte.
Lillian lachte. „Wie enttäuscht ich damals war.“
„Aber an jenem Freitag...du warst doch im Club, oder?“
„Ich kam erst nach Mitternacht, rechnete nicht damit, dass er noch da war. Doch er war da.“ Lillian grinste.
„Und?“ Elena nippte an ihrem Kaffee und blickte die Freundin erwartungsvoll an.
„Es war ziemlich heiÃ.“
„Gibt es dazu heiÃe Details?“
„Chili.“
„Wie bitte?“ Elena runzelte die Stirn.
„Wir unterhielten uns über Essen.“
„Und...?“
„Und gar nichts. Wir unterhielten uns wie alte Freunde. Ich wollte ihm nicht zeigen, wie sehr mich sein Verhalten gekränkt hatte und er war wohl erleichtert deshalb.“
„Okay. Und wann ist es endlich dazu gekommen?“
„Du bist ganz schön neugierig, Cara. Vielleicht ist es ja noch gar nicht dazu gekommen.“
Elena lachte. „Okay, du musst es mir nicht erzählen. Entschuldige. Es geht mich nichts an.“
Lillian las die Namen der Türschilder ab und lief die nächste kleine Treppe hinauf. Als sie das richtige Schild entdeckte, klopfte sie an die Tür. Es dauerte fünf Minuten, ehe ihr geöffnet wurde. Arturo musterte sie verwundert. „Was machst du denn hier?“
Sie trat ein, ohne dazu aufgefordert worden zu sein und zog eine CD aus ihrer Tasche. „Du wolltest sie dir doch ausborgen. Damit ich sie am Samstag nicht vergesse, bringe ich sie dir heute schon.“
Arturo schloss die Tür hinter ihr. „Danke.“ Er musterte sie eingehend. Sein Blick blieb schlieÃlich an ihren Hüften hängen, welche von der engen Hose zur Geltung gebracht wurden. Er wandte sich schnell ab. „Willst du etwas trinken?“
„Nein.“ Lillian schüttelte den Kopf und trat näher. Ihr Blick war auf seine Augen gerichtet, welche sie in einen eigenartigen Bann zogen. Ihre Arme schienen zu brennen, als sie sie um seinen Hals schlang. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den GröÃenunterschied zwischen ihnen zu verringern. Lillian presste ihre Lippen auf seine. Ein Blitz durchfuhr ihren Körper und brachte ihre Glieder zu erzittern. Arturo zog sie näher an sich. Seine Hände begannen ihren Rücken zu streicheln. Als sein Atem schwerer wurde, löste sie sich lächelnd von ihm. „Ich muss jetzt gehen.“ Sie wandte sich von ihm ab und ging auf die Tür zu. Arturo blickte ihr irritiert nach, hinderte sie jedoch nicht daran.
„Das war gemein.“, meinte Elena.
Lillian lachte. „Aber es zeigte seine Wirkung...“
Ihre Freundin betrachtete sie neugierig.
„Lass es mich so ausdrücken, am folgenden Samstag tanzten wir nicht sehr lange.“ Sie zwinkerte. „Vielleicht war auch diese sexuelle Spannung zwischen uns einer der Gründe, warum wir uns auf keine richtige Beziehung einlassen wollten, sondern einfach nur sehr gute Freunde blieben, die auch miteinander schliefen. Aber der Hauptgrund war, dass wir Angst hatten. So nahe wir uns körperlich kamen, so weit hielten wir uns emotional auf Distanz. Es war sicherer, einfacher. Ich habe auch jetzt noch Angst, groÃe Angst. Doch so konnte es nicht mehr weitergehen. Dafür waren unsere Gefühle einfach zu stark.“
Elena lächelte. „Wow. So offen hast du noch nie über deine Gefühle gesprochen.“
Lillian erwiderte ihr Lächeln. „Ich glaube, ich liebe ihn.“
„Das wird ja immer besser.“ Elena entwich ein freudiges Quietschen. „Hast du ihm das gesagt?“
Lillian schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht. Dazu bin ich noch nicht bereit. Noch nicht.“
Elena betrachtete sie lächelnd und schickte ein StoÃgebet zum Himmel, dass ihre Freundin glücklich würde. Zumindest eine von ihnen sollte ihr Glück leben dürfen. Und niemandem anderen vergönnte Elena es so sehr, wie ihrer Schwester.
Elena wich ihrem Blick aus. „Interessant, wie wir uns verändern, nicht?“ Plötzlich hielt sie inne und zwang sich zu einem Lächeln. „Heute ist dein Geburtstag, Cara, lass uns über schönere Dinge sprechen. Wann ist deine Abschlussfeier? Emilio und ich werden selbstverständlich kommen. Ich weià noch nicht, was ich tragen soll...denkst du, mein schwarzes Kleid ist zu schäbig?“
„Elena...“, Lillian zögerte.
Die Freundin hielt irritiert inne, schlieÃlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. „Nein...nein, Lillian, sag mir sofort, dass du zumindest zu deiner Abschlussfeier gehen wirst! Dass du nicht zu diesem albernen Ball willst, okay, aber die Abschlussfeier...das ist doch eine Erinnerung fürs Leben!“
Lillian senkte den Kopf und räusperte sich leise. „Ich habe bereits angerufen und gesagt, dass ich mein Zeugnis morgen Vormittag abholen werde.“ Sie blickte der Freundin in die Augen. „Verstehst du nicht? Ich gehöre dort nicht hin. Das habe ich niemals. Ich gehöre nicht zu ihnen.“
Elena runzelte die Stirn. „Was sagt Ana dazu?“
„Sie akzeptiert es. Sie ist nicht unbedingt sehr erfreut darüber, aber sie akzeptiert es. Was sollte sie auch sonst tun?“
Elena seufzte leise, beschloss aber das Thema zu wechseln. „Arturo ist so wundervoll zu dir. Ich hoffe, du weiÃt dein Glück zu schätzen.“
„Weil er mir beim Aufdecken half? Das ist anderswo selbstverständlich.“ Lillian zwinkerte.
„Sei nicht so dumm. Du kannst dich verdammt glücklich schätzen. Er liebt dich seit eurer ersten Begegnung.“
Der silberne Mondschein reflektierte am Glas des alten Fensters. Lillian fixierte das scheinbar magische Licht und versuchte den pochenden Schmerz zu ignorieren. Sie lehnte sich an die kühle Lehne des Holzstuhls. Plötzlich kam er aus dem Schatten des hinteren Teils des Ladens hervor. Sie sah ihn nicht an. Nicht einmal, als er ihr den kalten Beutel reichte, welchen sie sich mechanisch auf die geschwollene Lippe presste.
„Kanntest du ihn?“ Arturo setzte sich ihr gegenüber.
„Er ist mein Exfreund.“
„Reizend.“ Er fuhr sich durchs Haar. „Hat er das öfters gemacht?“
„Warum interessiert dich das?“ Ihre Stimme klang gleichgültig.
„Ich weià nicht. Vielleicht will ich ein Buch darüber schreiben.“ Er seufzte.
„Ihr seid doch alle gleich.“
„Gut zu wissen. Und wer genau sind wir?“ Arturo blickte sie herausfordernd an.
Lillian zuckte mit den Schultern. Sie wollte sich erheben, ein schmerzhafter Stich im Kopf lieà sie jedoch wieder zurück sinken.
„Willst du etwas trinken? Wasser? Tee? Kaffee? Dein Körper braucht Flüssigkeit.“
„Woher willst du das wissen? Bist du Arzt?“ Lillian strich sich den Schweià von der Stirn und fixierte einen imaginären Punkt auf dem Boden.
Arturo seufzte leise und verschwand erneut im Dunklen, ehe er mit einem Glas Wasser zurückkam. „Trink.“, forderte er sie auf und stellte es auf den kleinen Tisch. Neben das Glas legte er eine Tablette. „Nimm die.“
„Was ist das?“
„Pures Wasser aus der Wasserleitung.“
Lillian runzelte die Stirn. „Ich meine die Tablette.“
„Vielleicht sollte ich wirklich ein Buch schreiben.“ Arturo schüttelte den Kopf. „Man nennt es Aspirin.“
Sie nahm die Tablette unsicher in die Hand, ehe sie sie schlieÃlich schluckte und Wasser nachtrank.
„Du bist Ana Vasquez’ Enkeltochter, nicht?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Ist das von Bedeutung?“
„Wir sind uns schon ein paar Mal begegnet. Du warst auch mit Esteban befreundet.“
Plötzlich wich etwas Kälte von Lillians Stimme. „Elena ist meine beste Freundin.“
Arturo nickte. „Warum haben wir uns niemals richtig unterhalten?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Wozu?“ Der kühle Klang war zurückgekehrt.
„Ich weià nicht. Ich hätte es nicht zugelassen, dass dein Freund dich so behandelt.“
„Für wen hältst du dich eigentlich?“
„Ich weià nicht. Der Platz als undankbare Zicke ist auf jeden fall schon vergeben.“
Lillian verschlug es einen Moment die Sprache. „Was erwartest du von mir?“
„Nichts moralisch verwerfliches, keine Sorge. Ich erwarte lediglich etwas Freundlichkeit.“
Lillian biss sich auf die Unterlippe und blickte auf ihre Schuhspitzen. „Es...“ Sie seufzte leise. „...es tut mir leid. Es war keine schöne Nacht.“
Arturos Gesichtszüge wurden sanfter. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“
„Was willst du tun? Ihn umbringen?“
„Warum warst du mit so einem zusammen?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hatte ich es ja nicht anders verdient.“
Arturo betrachtete sie Stirn runzelnd. „Was redest du da? Niemand hat das verdient. Ich würde meine Freundin niemals so behandeln. Ein Mann, der seine Frau liebt, würde sie niemals verletzen.“
Lillian seufzte. „Ich bezweifle, dass er mich jemals geliebt hat. Aber was ist schon Liebe? Nur ein Wort. Ein Wort, das viel zu oft, viel zu schnell gesagt wird.“
Arturo folgte dem Impuls ihre Hand zu ergreifen, Lillian schreckte jedoch zurück, bevor er sie berühren konnte.
„Was soll das?“, fuhr sie ihn an.
„Entschuldige.“ Er biss sich auf seine Unterlippe und betrachtete sein Gegenüber zögernd. Ein unangenehmes Schweigen entstand, welches schlieÃlich von Lillian gebrochen wurde. „Es gibt in der Tat noch etwas, dass du für mich tun könntest...“ Ihre Stimme klang brüchig.
Arturo blickte sie erwartungsvoll an.
„Ich kann meiner GroÃmutter so nicht unter die Augen treten. Lässt du mich hier übernachten? Ich werde gleich morgen früh zu Elena gehen. Jetzt wäre es zu spät. Ich möchte den Kleinen nicht wecken.“
Arturo nickte. „Wenn du mir etwas versprichst...“
Sie musterte ihn misstrauisch. „Was?“
„Egal was er dir erzählen sollte, gib ihm nie wieder eine Chance.“
Lillian schüttelte den Kopf. „So eine bin ich nicht.“
Arturo nickte. „Gut. Ich kenne Typen wie ihn. Sie tun es immer wieder.“
Sie seufzte leise, blickte ihm schlieÃlich nur sehr zögernd in die Augen. „Danke.“
Er betrachtete sie nachdenklich. Fragte sich, was das Leben dieser jungen Frau angetan hatte. „Wie heiÃt du?“, erkundigte er sich schlieÃlich.
„Lillian.“
„Mein Name ist Arturo. Meine GroÃtante ist Marta Soler Ferre. Möglicherweise kennst du sie über deine GroÃmutter.“
„Ich weià nicht.“ Lillian zuckte mit den Schultern. „Wir haben nicht mehr viele Kontakte. Dir ist sicherlich bekannt, was über meine Mutter gesprochen wird.“
„Mir ist egal, was über andere gesprochen wird. Ich gebe nicht viel auf das Gerede von den Leuten. Sonst wäre mein eigener Ruf kaum so schlecht.“ Arturo zwinkerte ihr zu. „Es ist schade, dass wir uns unter diesen Umständen näher kennen lernen.“
„Hältst du es für passend, unter diesen Umständen zu flirten?“ Lillian runzelte die Stirn.
„Ganz und gar unpassend. Vielleicht wäre es ein anderes Mal passender. Wie wäre es mit nächstem Wochenende?“
„Ist das dein ernst oder versuchst du zu scherzen?“ Ihre Stimme wurde kühler.
„Mit so etwas scherze ich nicht.“
Lillian betrachtete ihn misstrauisch. „Du kennst mich nicht. Und wenn du denkst, ich wäre leicht zu haben, muss ich dich leider enttäuschen.“
„Hat dir schon jemand gesagt, dass du auÃergewöhnlich schwierig bist?“
Sie wandte sich von ihm ab und betrachtete die vollen Regale. „Arbeitest du hier?“
„Manchmal.“ Er musterte sie nachdenklich. „Was ist mit dir?“
„Ich gehe noch auf die High School. In der Nähe vom Central Park.“
„Gute Lage. Ich bin gerne dort.“
Plötzlich veränderte sich etwas an Lillians Gesichtszügen. „Ich war früher oft mit meinen Eltern dort. Es ist der einzige Platz an dem ich diesen Frieden verspüre.“
Lillian schüttelte den Kopf. „Damals hasste er mich gewiss. Ich war richtig zickig, obwohl er nur nett sein wollte.“
Elena zuckte mit den Schultern. „Ach Cara, er hat dich doch immer verstanden. Meist sogar besser als ich.“
„Nein. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er mich nicht versteht.“
„Frauen und Männer werden sich niemals vollkommen verstehen. Das macht den Reiz erst aus.“ Elena schmunzelte.
Lillian lächelte. „WeiÃt du, wo wir uns wieder begegneten? Er passte mich drei Tage später abends am Schulweg ab und fragte, ob ich mit ihm ein wenig durch den Central Park spazieren möchte.“
„Reagiertest du erneut so unfreundlich?“
Lillian lachte. „Schlimmer. Aber schlieÃlich kam ich mit ihm. Wir unterhielten uns über irgendetwas Oberflächliches. Das Wetter oder so.“
„Der Klimawandel bereitet meiner GroÃmutter groÃe Sorgen.“ Lillian runzelte die Stirn und betrachtete das Pärchen, welches an der Parkbank vorbei ging.
„Er hätte den Menschen vor dreiÃig Jahren schon Sorgen bereiten sollen. Dann hätte man vieles verhindern können.“, meinte Arturo.
„Eher verzögern. Aber ja, wahrscheinlich hast du recht.“
Arturo musterte sie aufmerksam. Sein Blick blieb schlieÃlich an ihrem Rucksack hängen. „Wie war’s in der Schule?“
„Was?“ Lillian musterte ihn irritiert.
„Das Thema war mir zu ernst.“
„Es war wie immer.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Eineinhalb Jahre noch, dann habe ich es hinter mir. Ich kann es kaum erwarten.“
Er lächelte. „Ich finde es gut, dass du die Schule beendest.“
Lillian blickte ihn an. „Ich möchte studieren. Das geht nicht ohne Abschluss.“
„Was denn?“
„Literatur.“
Seine Augen weiteten sich. „Was willst du mit Literatur anfangen?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Vielleicht nehme ich auch Jura dazu.“
„Dann wirst du ja richtig gefährlich für alle, die ein Plagiat veröffentlichen wollen.“
„Sehr witzig.“
Arturo grinste.
„Früher wollte ich Tänzerin werden. Und Sängerin.“, erzählte Lillian.
Er musterte sie. „Kannst du denn tanzen?“
Sie runzelte die Stirn. „Auch wenn meine Haut hell ist, bleibe ich Lateinamerikanerin! Wir sind die besten Tänzer der Welt.“
Arturo grinste. „So hübsch und auch noch so bescheiden.“ Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. „Wann erwartet dich deine GroÃmutter zurück?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Ich denke, in ein, zwei Stunden.“ Sie musterte ihn misstrauisch. „Wieso?“
„Das reicht.“ Er erhob sich schnell. „Komm.“
„Nein...wohin?“ Lillian runzelte die Stirn. Sie wich nicht zurück, als er ihre Hand ergriff und sie hochzog. „Du wirst es schon noch rechtzeitig erfahren.“
„Er brachte mich ins La Palma.“
Elena runzelte die Stirn. „Du lieber Himmel...“
„Was machen wir hier?“ Lillian betrachtete die kleine Bar mit der bröckelnden Fassade Stirn runzelnd.
„Na was wohl?“ Er zog sie grinsend in den verrauchten Raum, aus welchem schnelle Merenguemusik erklang.
Lillian starrte auf die tanzenden Paare. „Du willst hier doch nicht etwa tanzen? Siehst du nicht, wie sie uns ansehen? Wir drücken den Altersdurchschnitt um mindestens zwanzig Jahre nach unten. Wer sind diese Leute und warum haben sie um diese Uhrzeit Zeit zu tanzen? Es ist gerade Mal sieben Uhr.“, flüsterte sie ihm zu.
Arturo betrachtete sie amüsiert. „Hast du Angst, dass der Hüftschwung der Señoras besser ist als deiner?“
„Hier ist es eng und verraucht...und schau dir die Wände an...ist das Schimmel?“
Arturos Augen weiteten sich. „Für so ein stolzes Prinzesschen hätte ich dich nicht gehalten. Tanzt du etwa nur in schäbigen Clubs, die mindestens ebenso verraucht sind? Vor welchen gelegentlich Schlägereien oder Schlimmeres stattfinden?“
„Arturo sieh mich an. So kann ich nicht tanzen.“ Sie blickte an ihrer alten, verwaschenen Jeans und den Turnschuhen hinab.“
„Die besten Tänzer der Welt tanzen immer und überall.“ Arturo grinste vergnügt. „Warum hast du Angst davor, mit mir zu tanzen?“
„Mein Rucksack...“ Lillians Stimme hob sich erfreut. Sie war erleichtert über diesen Einfall. „...er könnte einstweilen gestohlen werden...oder soll ich etwa mit ihm tanzen?“
Arturo lachte. „Das wäre doch eine Herausforderung.“ Er griff nach ihrem Rucksack. und stellte ihn auf die Theke der kleinen Bar.
„Fernando, würdest du darauf aufpassen?“
Der ältere Mann nickte. „Natürlich. Wie heiÃt deine schöne Freundin, Arturo?“ Er betrachtete Lillian aufmerksam.
„Ihr Name ist Lillian.“
„Ich bin nicht seine...“, begann Lillian, hielt jedoch inne, als Arturo sie auf die kleine Tanzfläche und damit aus der Hörweite des Mannes zog.
„Also...“ Er betrachtete sie lächelnd. „Zeig mir, was du drauf hast.“
Lillian musterte ihn unsicher und fragte sich, wohin dieser Abend wohl noch führen würde.
Arturo legte den Arm um ihre Hüfte und zog sie enger an sich. Er grinste, als sie sich versteifte. „Mach ich dich nervös?“
„Nein, ganz und gar nicht.“ Lillian hob das Gesicht stolz und schloss einen Moment die Augen um den Rhythmus zu fühlen. Ihre Bewegungen kamen aus tiefstem Herzen, dennoch schienen sie an jenem Abend blockiert. Es verging ein Lied, ehe sich ihre Muskeln lockerten und ihr Körper unter seinen Händen zu schmelzen begann. Lillian lieà es zu, dass er sie während der Tänze immer näher an sich zog. Sein Atem auf ihrem Hals schien wie eine Droge. Erfüllend, aber auch gefährlich. Dennoch wollte sie mehr. Sie wurden eins mit der Musik, Lillian schien zu schweben. Ein leichtes Lächeln begann ihre Lippen zu umspielen. Er erwiderte es mit einer Intensität, welche ihr mit einem Mal einen kalten Schauer über den Rücken laufen lieÃ. Sie begann zu zittern, obwohl ihr Körper vor Hitze glühte. Seine Hände schmerzten auf ihrer Haut, gleichzeitig schien es ohne sie aber unmöglich zu atmen. Lillian rang nach Luft und lieà es zu, dass Arturo die Kontrolle über sie übernahm. Ihr Körper schien seinem zu folgen. Sich auf der Tanzfläche mit ihm zu vereinen. Irgendwann hatten zwei andere Tanzpaare aufgehört zu tanzen und betrachteten das Vorgehen interessiert.
Erst der abrupte Abbruch der Musik riss Lillian und Arturo zurück in die Realität. In die kleine verrauchte Bar, in welcher sich vor allem Mittvierziger und -fünfziger aufhielten, welche versuchten ihren meist arbeitslosen und wenig chancenreichen Alltag beim Tanz zu vergessen. Lillian starrte in Arturos dunkle Augen, sie schien darin gefangen. Auch er brauchte einige Sekunden, um wieder zu Bewusstsein zu gelangen. Lillians Muskeln spannten sich an, als sie sich von ihm löste. Ihre Beine zitterten. Sie wandte sich langsam ab und ging zur Bar, wo Fernando sie bereits grinsend zu erwarten schien. Er reichte ihr den Rucksack. „Ganz schön heiÃ.“ Er zwinkerte.
Lillians Wangen glühten. Sie wollte etwas erwidern, doch ihr Hals schien wie ausgetrocknet. Sie räusperte sich. „Ein Glas Wasser bitte.“
Er reichte es ihr. „Macht einen Dollar.“
Lillian nickte abwesend und griff nach ihrer kleinen Geldbörse.
„Das übernehme ich.“ Arturo wich ihrem Blick aus und reichte Fernando eine Münze.
Der Mann nahm sie grinsend entgegen.
Lillian nippte benommen an ihrem Glas Wasser. Eine plötzliche Ãbelkeit überkam sie.
„Alles in Ordnung? Du wirkst so blass.“
Lillian nickte abwesend. Arturo betrachtete sie aufmerksam. „Vielleicht solltest du deinen Traum der Tanzkarriere noch nicht aufgeben.“
Sie leerte das restliche Wasser in einem Zug. „Ich muss nachhause.“
Arturo nickte, als hätte er mit keiner anderen Antwort gerechnet. Sie verlieÃen die Bar, ohne sich nochmals umzusehen. Als Lillian eine Richtung ansteuern wollte, ergriff Arturo jedoch ihren Arm und zog sie in eine andere. Sie begann zu zittern, gab jedoch dem Verlangen nach ihm zu folgen. Arturo hielt vor einem alten Wohnbau. Lillian zögerte und wischte sich den Schweià von der Stirn. „Zeigst du mir deine Wohnung?“, fragte sie plötzlich.
Er sah sie nicht an, deutete auf ein altes Auto. „Das ist meins. Ich bringe dich nachhause.“
Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Sie nickte benommen und sank auf den Beifahrersitz.
Arturo drehte das Radio auf. „Gefällt dir die Musik?“
Lillian antwortete nicht. Kurz bevor sie die Wohnung erreichten, hielt sie das Schweigen und die Spannung zwischen ihnen nicht mehr aus. „Ist es, weil ich erst siebzehn werde? Ich weiÃ, dass du ein paar Jahre älter bist als ich. Es ist nicht wichtig.“
Arturo bremste wenige Meter vor Anas Wohnung. „Lillian...“ Er musterte sie nachdenklich. „Hätte ich dich in meine Wohnung mitgenommen, hätte es keine zwei Sekunden gedauert, ehe ich dir die Kleidung vom Körper gerissen hätte. Du hättest jeden Respekt vor mir verloren. Und ich vor dir.“
Lillian blickte ihn fassungslos an. „Was redest du da?“
„Ich weiÃ, wie Ricardo dich behandelt hat. Ich will nicht, dass du mir einmal den Vorwurf machst, ich hätte deine Situation ausgenützt.“ Arturo betrachtete sie Stirn runzelnd.
Lillian wandte sich von ihm ab und stieg aus dem Auto.
„Lillian...“
Sie drehte sich zögernd um.
„Ich hätte nichts lieber getan, als dich mit zu mir zu nehmen.“
Lillian schüttelte den Kopf und wandte sich von ihm ab.
„Ich bin am Freitag im Club. Sag mir, dass du auch kommen wirst.“
Sie erlangte ihre Fassung wieder. „Mal sehen.“ Ohne sich nochmals nach ihm umzudrehen betrat sie das Wohnhaus.
„Wow...“ Elenas Augen funkelten. „Du solltest öfters Geburtstag haben...davon hast du mir noch nie erzählt.“ Ein breites Grinsen überzog ihr Gesicht. „Ganz schön scharf. Ich werde Arturo nie wieder ansehen können, ohne daran zu denken.“ Sie zwinkerte.
Lillian lachte. „Wie enttäuscht ich damals war.“
„Aber an jenem Freitag...du warst doch im Club, oder?“
„Ich kam erst nach Mitternacht, rechnete nicht damit, dass er noch da war. Doch er war da.“ Lillian grinste.
„Und?“ Elena nippte an ihrem Kaffee und blickte die Freundin erwartungsvoll an.
„Es war ziemlich heiÃ.“
„Gibt es dazu heiÃe Details?“
„Chili.“
„Wie bitte?“ Elena runzelte die Stirn.
„Wir unterhielten uns über Essen.“
„Und...?“
„Und gar nichts. Wir unterhielten uns wie alte Freunde. Ich wollte ihm nicht zeigen, wie sehr mich sein Verhalten gekränkt hatte und er war wohl erleichtert deshalb.“
„Okay. Und wann ist es endlich dazu gekommen?“
„Du bist ganz schön neugierig, Cara. Vielleicht ist es ja noch gar nicht dazu gekommen.“
Elena lachte. „Okay, du musst es mir nicht erzählen. Entschuldige. Es geht mich nichts an.“
Lillian las die Namen der Türschilder ab und lief die nächste kleine Treppe hinauf. Als sie das richtige Schild entdeckte, klopfte sie an die Tür. Es dauerte fünf Minuten, ehe ihr geöffnet wurde. Arturo musterte sie verwundert. „Was machst du denn hier?“
Sie trat ein, ohne dazu aufgefordert worden zu sein und zog eine CD aus ihrer Tasche. „Du wolltest sie dir doch ausborgen. Damit ich sie am Samstag nicht vergesse, bringe ich sie dir heute schon.“
Arturo schloss die Tür hinter ihr. „Danke.“ Er musterte sie eingehend. Sein Blick blieb schlieÃlich an ihren Hüften hängen, welche von der engen Hose zur Geltung gebracht wurden. Er wandte sich schnell ab. „Willst du etwas trinken?“
„Nein.“ Lillian schüttelte den Kopf und trat näher. Ihr Blick war auf seine Augen gerichtet, welche sie in einen eigenartigen Bann zogen. Ihre Arme schienen zu brennen, als sie sie um seinen Hals schlang. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den GröÃenunterschied zwischen ihnen zu verringern. Lillian presste ihre Lippen auf seine. Ein Blitz durchfuhr ihren Körper und brachte ihre Glieder zu erzittern. Arturo zog sie näher an sich. Seine Hände begannen ihren Rücken zu streicheln. Als sein Atem schwerer wurde, löste sie sich lächelnd von ihm. „Ich muss jetzt gehen.“ Sie wandte sich von ihm ab und ging auf die Tür zu. Arturo blickte ihr irritiert nach, hinderte sie jedoch nicht daran.
„Das war gemein.“, meinte Elena.
Lillian lachte. „Aber es zeigte seine Wirkung...“
Ihre Freundin betrachtete sie neugierig.
„Lass es mich so ausdrücken, am folgenden Samstag tanzten wir nicht sehr lange.“ Sie zwinkerte. „Vielleicht war auch diese sexuelle Spannung zwischen uns einer der Gründe, warum wir uns auf keine richtige Beziehung einlassen wollten, sondern einfach nur sehr gute Freunde blieben, die auch miteinander schliefen. Aber der Hauptgrund war, dass wir Angst hatten. So nahe wir uns körperlich kamen, so weit hielten wir uns emotional auf Distanz. Es war sicherer, einfacher. Ich habe auch jetzt noch Angst, groÃe Angst. Doch so konnte es nicht mehr weitergehen. Dafür waren unsere Gefühle einfach zu stark.“
Elena lächelte. „Wow. So offen hast du noch nie über deine Gefühle gesprochen.“
Lillian erwiderte ihr Lächeln. „Ich glaube, ich liebe ihn.“
„Das wird ja immer besser.“ Elena entwich ein freudiges Quietschen. „Hast du ihm das gesagt?“
Lillian schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht. Dazu bin ich noch nicht bereit. Noch nicht.“
Elena betrachtete sie lächelnd und schickte ein StoÃgebet zum Himmel, dass ihre Freundin glücklich würde. Zumindest eine von ihnen sollte ihr Glück leben dürfen. Und niemandem anderen vergönnte Elena es so sehr, wie ihrer Schwester.