Frohe Ostern. Es gibt noch ein etwas spätes Osterei in Form des neuen Kapitels. Wie immer habe ich mich über die Kommis von Selene und Anne riesig gefreut. Hoffe trotzdem, dass sich auch mal jemand von den stillen Lesern zu Wort meldet.
Es geht auf jeden Fall dem Ende entgegen. Heute das vorletzte. Am letzten, sitze ich bereits dran. Aber dazu dann zu gegebener Zeit einige Worte.
So ganz überzeugt bin ich diesmal nicht. Keine Ahnung warum. Urteilt selbst und viel Spass wieder beim lesen.
Lg Emerson Rose
Teil 68
âSarah, Sarah.â Wie durch einen Schleier hört sie ihren Namen und spürt einen leichten Druck auf ihre linke Hand. Sie will sich dagegen wehren. Auch wenn die Nacht von dunklen Dämonen beherrscht war, seit dem frühen Morgen ist die Dunkelheit wieder ruhig und abgeschieden. Deshalb würde sie gern noch etwas dort bleiben, doch die Stimme ist hartnäckig. Ruft sie immer wieder. SchlieÃlich gibt Sarah der Stimme, wenn auch etwas widerwillig, nach und öffnet langsam ihre Augen.
âHey mein Sonnenschein.â David strahlt mit der herein scheinenden Sonne um die Wette. Sanft streichelt er dabei mit der einen Hand über ihre Wange und hält mit der anderen weiterhin ihre Hand.
âHi. Schön, dass du da bist.â Sarahs Stimme klingt gequält. Nicht wegen der Anstrengung beim sprechen. Das wird mit jedem Tag besser. Es ist etwas anderes, denn sie schaut David verunsichert an und dann zur Seite. âIch habe das Personal hier, letzte Nacht ganz schön auf Trab gehaltenâ, murmelt sie. âDas tut mir sehr leid.â
âWarum sollte es dir Leid tun. Die Ãrzte und Schwestern tun alles für dich, damit du dich besser fühlst. Egal was es ist.â
âTrotzdem, ich bin mir nicht sicher, ob ich es verdiene.â Erste Tränen verlassen ihre Augen und wandern langsam über ihr Gesicht.
âHey, was erzählst du denn da.â David erschrickt über solche harten Worte. Seine Sorge wächst mit jedem Atemzug. âDu hast solange gekämpft und gewartet dass etwas GroÃes geschieht. Jetzt ist es passiert.â
âIch weiÃ, ich weiÃ, aberâ, mittlerweile schluchzt Sarah immer lauter.
âWas aber. Bitte sag es mir Schatz, was bedrückt dich?â
âAls ich damals operiert wurde, da war mir plötzlich⦠Ich habe Mom gesehen, â¦und Liam.â
Davids Herz setzt einen Schlag lang aus. Das nennt man wohl den Schreck in der Morgenstunde. Obwohl es mittlerweile fast 11.00 Uhr ist.
âSie, sie standen plötzlich vor mir in einem hellen, gleiÃenden Licht.â Erzählt Sarah unter Tränen weiter. âLiam war bestimmt sechs oder sieben Jahre alt. Er sah so niedlich aus und war schon so groÃ. Mom und er, sie wollten mich mitnehmen und für wenige Augenblicke wollte ich mitgehen. Mit ihnen zusammen zu sein, der Wunsch war in dieser Sekunde stärker, als alles andere. Erst danach habe ich an dich und die Mädchen gedacht, und an mein Versprechen ihnen gegenüber. Es tut mir so unendlich leid.â
Die letzten Worte sind im Schluchzen fast untergegangen. David sitzt derweil wie erstarrt daneben streicht mechanisch über Sarahs Arm. Wenn er sich vorstellt, wie groà ihr Sohn mittlerweile wäre, kommen ihm selbst die Tränen. Aber er versteht auch, warum sie seit der OP so durcheinander fast schon verängstigt ist und ihre Gefühle Achterbahn fahren.
âSarah? Schatz!â Er muss ein weiteres Mal schlucken, bevor er weiter sprechen kann. âEs ist alles in Ordnung. Weine ruhig, aber Leid tun muss dir gar nichts. Du hast Jillien und Liam gesehen, als du während der OP einen Herzstillstand hattest.â
âAber ich lebe dochâ, bricht es aus Sarah heraus. Ihre Augen werden groÃ, während sie langsam realisiert, was David da gerade gesagt hat.
âDafür bin ich Gott auch unendlich dankbar. Trotzdem warst du für wenige Minuten klinisch tot.â
âNein, nein, das glaube ich nicht. Du lügst.â Sarahs Resigniertheit schlägt jetzt ins Gegenteil um. Vehement schüttelt sie den Kopf und wiederholt immer wieder dieselben Worte.
âBitte Sarah hör mir zu. Es stimmt. Der Professor und Dr. Wyle waren nur der Meinung, dass es zu früh für dich wäre, es zu erfahren. Allein schon, weil keine neurologischen Schäden nachgewiesen wurden. Worüber wir alle sehr sind. Glaub mir, wir wollten alle nur dein Bestes.â David versucht an seine Frau heran zu kommen und streicht ihr vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht, doch sie stöÃt ihn von sich. Fast schon hysterisch kreischt sie. âFass mich nicht an, bitte nicht anfassen.â
So weit es geht, kriecht Sarah an den oberen Rand ihres Bettes, zieht die Beine an und macht sich so klein wie nur möglich. HeiÃe Tränen verlassen jetzt in Strömen ihre Augen und tropfen unaufgehalten auf ihr Shirt. Sie steigert sich richtig in die Situation hinein, was auch auf den Maschinen um sie herum sichtbar wird. Der Blutdruck und der Puls steigen stetig, und David sitzt hilflos daneben. Könnte sich gerade selbst ohrfeigen für seine unbedachten Worte. Doch er kann nichts mehr daran ändern.
Dafür rufen die veränderten Werte des EKG Geräts eine Krankenschwester auf den Plan.
âMrs. Hannigan, ist alles in Ordnung? Haben sie Schmerzenâ, fragt sie und stellt dabei das Schrillen des Alarms aus.
âLasst mich alle in Ruheâ, schreit Sarah jetzt auch die Krankenschwester an. Die ist besorgt, dass sie sich etwas antun, z.B. den Zugang herausreiÃen könnte, geht zwei Schritte zurück und berät sich kurz mit David.
âIst John, also Dr. Wyle im Haus?â fragt er leise. Die Schwester nickt nur leicht und verschwindet nach drauÃen, um den jungen Arzt aus seiner Bereitschaft zu holen. David versucht derweil zu seiner Frau vorzudringen, ohne jeglichen Erfolg. Sarah hat sich völlig abgeschottet, wiegt sich jetzt leicht hin und her, während immer noch dicke Tränen über ihre Wangen rinnen. Er kommt einfach nicht an sie heran.
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John Wyle ist nur fünf Minuten später zur Stelle, in Begleitung einer jungen Frau, die im Gegensatz zum Rest des Personals hier auf der Station keinen Kittel trägt. Lediglich das kleine Namensschild an ihrem Shirt weiÃt sie als Mitarbeiterin der Klinik aus. Gemeinsam mit der Krankenschwester treffen sie im Vorraum auf einen äuÃerst verzweifelten David.
âHallo John. Entschuldige, dass ich dich an einem Sonntag her bemühe.â
âIch habe ohnehin Dienstâ, erwidert der Angesprochene. âAlso kein Problem. Darf ich bekannt machen, das ist Julianna, unsere Psychologin. Ich habe mit ihr bereits vor ein par Tagen über Sarah gesprochen. Nur für alle Fälle natürlich. Ich weià ja, wie sie zu dieser Art von Ãrzten steht.â Er lächelt Julianna entschuldigend von der Seite an, während sie und David sich begrüÃen. âDass es allerdings so akut wird, damit habe ich nicht gerechnet.â
âIch glaube, nein ich bin mir sicher, ich habe einen furchtbaren Fehler begangen.â
âIn wie fern?â forscht John nach.
âIch könnte mich selbst ohrfeigen, aber Sarah weià jetzt, dass sie während der Transplantation einen Herzstillstand hatte. Und das hat sie total aus der Bahn geworfen.â
âHmm, es ist auf jeden Fall zu früh, so wie sie reagiert hatâ, meldet sich jetzt Julianna zu Wort.
âIch kenne ihre Frau zwar nur von Johns Erzählung und ihrer Krankenakte, aber ich würde gern mit ihr sprechen. Vielleicht komme ich dabei ja an sie her.â An David gewendet fügt sie noch hinzu, âsie möchte ich allerdings bitten, solange drauÃen zu warten.â
Der nickt nur und schaut betreten zu Boden. Was soll er auch anderes tun. Die Situation ist von einer Sekunde zur anderen völlig aus dem Ruder gelaufen und er fühlt sich genauso hilflos und verängstigt, wie vor zwei Wochen. Nachdem er noch einmal kurz berichtet hat, was sich zugetragen hat, gibt es für ihn nur noch eine Sache zu tun. Abwarten.
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Sarah derweil hat jegliches Zeitgefühl verloren. In diesen vier Wänden kann das allerdings schon mal passieren. Einige wenige persönliche Dinge, wie gerahmte Fotos, stehen auf dem Nachtschränkchen. Der Rest ist eher zweckmäÃig eingerichtet. Ein Bett, das besagte Schränkchen, zwei Stühle um einen Minitisch herum, ein Kommode und die ganzen Maschinen und Apparate, an denen sie teilweise noch gebunden ist.
Die Arme um die angewinkelten und dicht an den Körper gepressten Beine geschlungen, ist alles für sie nur eine unwirkliche, graue Masse. Mehr im Unterbewusstsein hört sie die Tür zu ihrem Zimmer mehrmals klappen. Direkt wahr nimmt sie erst eine ihre bekannte und freundliche Stimme, die nicht Davids ist. Unter ihrem Haarschleier sieht Sarah langsam hoch und erkennt John Wyle und eine weitere Person, allerdings ohne Kittel, die den Raum betreten.
âHallo Sarahâ, beginnt John, geht langsam und vorsichtig auf sie zu und setzt sich schlieÃlich auf den Stuhl neben dem Bett. Dabei hat er die Maschinen und seine Patienten immer abwechselnd im Blickfeld. Doch der groÃe Sturm scheint vorbei. Bis auf einen leicht erhöhten Puls sind die Werte wieder im grünen Bereich.
âWir wollten mal sehen, wie es dir so geht.â Sarah gibt keine Antwort, also fährt John fort. âDas ist Julianna, eine Kollegin, die dich gern kennen lernen möchte. Vielleicht kannst du mir oder ihr erzählen, was passiert ist. David und ich, wir alle machen uns groÃe Sorgen.â
âWarum habt ihr mich dann zurückgeholt. Dann hättet ihr jetzt keine Sorgen.â Sarahs Worte sind leise, aber so scharf und schneidend wie die Klinge eines Messers.â Langsam krabbelt sie von ihrem hintersten Platz wieder zur Mitte des Bettes und sieht John herausfordernd an. Julianna ignoriert sie erstmal völlig.
âUnd, na sag schon, raus mit der Sprache, warum? Seit über zwei Wochen verfolgen mich Träume des Nachts, die ich nicht zu deuten weiÃ. Habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich glaubte die neue Lunge nicht zu verdienen und ihr verschweigt mir eine so wichtige Sache?â
âSarah bitte.â
Die Angesprochene schüttelt vehement den Kopf. âNein, nicht Sarah bitte. Ich will es wissen. Und zwar jetzt. Sofort.â
âOk. Wir wollten dich schützen. Ich weiÃ, das ist nicht richtig gewesen, aber du hast so viel durch gestanden. Da waren der Professor und ich uns einig, dir nichts zu sagen. Erst recht, weil keine neurologischen Ausfälle auftraten. Das ist keine wirkliche Begründung, aber es gibt einfach keine andere.â
âHmm.â Sarah hat sich alles schweigend angehört, geht jedoch nicht weiter auf Johns kläglichen Versuch zu erklären ein. Stattdessen wendet sie sich an Julianna und spricht sie das erste Mal direkt an. Mit eindeutigem Misstrauen. âUnd sie sind eine Kollegin?â
âJa. Julianna Ross. Angenehm. Vielleicht können wir uns ein wenig unterhalten.â
âSie wollen reden?, dann sind sie Psychologin.â Sarah verzieht den Mund zu einem ironischen Lächeln und schüttelt dann den Kopf. âWarum wundert mich das nicht. Aber dass ich mit ihnen rede, darauf können sie lange warten.â
Sie ist sich sicher, das ist gerade nicht nett, aber das ist ihr im Moment vollkommen egal. âMit Leuten ihres Berufsstandes hatte ich in den letzten Jahren schon genug zu tun. Vor allem, wenn sie mir unverblümt erklärten, ich müsste mich der Realität stellen.â Mit Verbitterung denkt Sarah an diese Gespräche zurück.
Die junge Psychologin lässt sich derweil nicht verunsichern oder kann es zumindest gut verbergen. âWenn sie trotzdem irgendwann eine Ansprechpartnerin brauchen, fragen sie einfach nach mir oder rufen mich an.â Mit einem Lächeln legt Julianna eine kleine Visitenkarte auf den Nachtschrank und verabschiedet sich dann von den Beiden.
âDas war nicht nettâ, rügt John, als sie wieder unter sich sind. Sarah schiebt nur trotzig die Unterlippe nach vorn, bevor sie antwortet. âJeder wie er es verdient.â
âUhi, sind wir heute aber sarkastisch. Das kenne ich gar nicht von dir.â
âDie gute Laune ist mir ehrlich gesagt langsam vergangen. Ich bin allen Leuten hier sehr dankbarâ, wirt Sarahs Stimme etwas weicher. âNur⦠jeden Tag die gleichen vier Wände. Ok, die ersten Tage habe ich davon nicht viel mitgekriegt. âImmer öfter habe ich das Verlangen, nach drauÃen zu wollen. Hinaus in die Welt, oder von mir aus erstmal auf den Flur. Andererseits habe ich Angst vor dem, was mich dann erwartet.â Schon wieder laufen Sarah Tränen übers Gesicht, obwohl sie es gar nicht möchte. âUnd diese blöden Stimmungsschwankungen machen es nicht gerade einfacher. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ich bin schwanger.â Durch die Tränen hindurch muss sie über ihren eigenen Scherz lächeln.
âDas Leben Sarah, das Leben. Eine Familie, wundervolle Kinder. Trotzdem kann ich dir nicht sagen, wann es soweit sein wird. Und deine Gefühlsausbrüche, das wird immer weniger. Deine Werte verbessern sich von Tag zu Tag und auch wenn ich nichts versprechen kann und will, gib dir noch eine Woche Zeit. Mehrere kleine Schritte sind oft besser als ein groÃer. Glaube mir.â John merkt, dass seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Sarah nickt und ihr Gesicht strahlt wie schon sehr lange nicht mehr.
âDanke.â
Ein einfaches Wort, das aus tiefstem Herzen kommt und dem jungen Mediziner doch so viel bedeutet. âNicht dafür. Ich bin immer froh, wenn ich helfen kann. Aber jetzt werde ich deinen Mann mal von seinem Wachposten drauÃen erlösen und wieder reinholen. Natürlich nur, wenn du ihn sehen willst.â Johns letzter Satz ist offensichtlich nicht ernst gemeint, denn er grinst Sarah verschmitzt zu und steht dann auf. An der Tür dreht er sich jedoch noch mal um und zeigt zum Nachtschränkchen. âVielleicht solltest du doch mit ihr reden. Sie macht ihren Job wirklich gut.â
âDu meinst Julianna. Kennst du sie schon länger?â
âJa, wir haben damals gemeinsam studiert bzw. hier unsere AIPler Zeit abgerissen. Mittlerweile kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, wo an Schlaf kaum zu denken war und wir unten in der Notaufnahme unsere 24 Stunden Schichten schoben.â John schüttelt den Kopf bei den Erinnerungen. Wenn auch anstrengend die Zeit war schön. âAlso denk darüber nach. Es ist bestimmt nicht verkehrt. Selbst wenn du lediglich jemanden zum reden suchst.â
âOK, ich überlege es mirâ, lenkt Sarah ein, fügt jedoch hinzu, âvielleicht.â
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In den nächsten Tagen ist Sarah sichtlich entspannter und ausgeglichener, als ob ihr eine groÃe Last von den Schultern genommen wurde. Das wirkt sich auch auf ihr allgemeines Wohlbefinden aus. Nach fast einer Woche Ernährung über Infusionen gewöhnt sie sich langsam wieder an normale Kost. Auch wenn die Mengen immer noch eher bescheiden sind.
David ist weiterhin jeden Mittag und am Abend, wenn die Mädchen im Bett sind, an ihrer Seite. Sie reden viel und lang, tauschen sich aus, wie der Tag war. Denn Sarah wird langsam mobiler. Zwar darf sie sich nur in ihrem Zimmer aufhalten, doch da Alex mit ihr die Physiotherapie in vollem Umfang aufgenommen hat, ist sie den Vormittag über gut beschäftigt und am Nachmittag oft so geschafft, dass sie meist bis um sechs Uhr, wenn es Essen gibt, durchschläft. Die Kraft ist noch lange nicht wieder völlig da.
Wenn sie wirklich mal Zeit zum nachdenken hat, kommt sie schnell ins grübeln und trotzdem zu keinem Ergebnis. Gibt es überhaupt eine Antwort? Und wenn, auf was? Für ihre Familie und Freunde ist es am wichtigsten, dass sie lebt und alles gut überstanden hat. Sarah weiÃ, sie sind nicht oberflächlich oder gar gefühlskalt, sondern einfach unendlich dankbar für dieses Wunder. Sie selbst würde gern genauso denken, um aus dem tiefen, dunklen Loch, dass sie ab und zu zu verschlingen droht, heraus zu kommen, aber der Schalter lässt sich nicht so einfach umlegen.
Der Freitagnachmittag ist so ein Tag. Doch bevor das groÃe Dunkel Sarah aufzufressen droht, betätigt sie die Patientenklingel. Augenblicke später ist Schwester Mary zur Stelle.
âIst etwas passiert?â
Sarah schmunzelt. Das ist der erste Satz bei allen Schwestern, wenn sie von ihr gerufen werden.
âKeine Sorge, mir gehtâs gut. Ich habe nur eine Bitte. Könntest du anfragen, ob Dr. Ross im Haus ist und wenn ja, sie vielleicht etwas Zeit für mich hat.â
Die Krankenschwester nickt nur und geht wieder.
Einen winzigen Moment ist Sarah versucht, Schwester Mary zurück zu rufen. Die Antipathie gegenüber Psychologen übermannt sie gerade. Oder doch einfach die Angst vor ihrer eigenen Courage. âAch was sollâs. Wird schon schief gehenâ, murmelt sie vor sich hin und wartet dann so entspannt wie möglich auf das, was jetzt kommen wird.
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Anstatt Schwester Mary betritt Julianna Ross persönlich eine halbe Stunde später Sarahs Krankenzimmer.
âHallo Mrs. Hannigan. Es freut mich, dass sie meine Hilfe doch annehmen wollen.â
âNa, das wird sich noch zeigen.â Sarah mauert schon wieder, was ihr augenblicklich Leid tut. âEntschuldigung, das wollte ich nicht.â
âKein Problemâ, antwortet Julianna, während sie sich einen Stuhl heranzieht. â Mein Angebot steht weiterhin. Wir können uns einfach so unterhalten. Ohne Zwang oder sonst etwas. Vielleicht setzen wir uns dazu ans Fenster?â
âHm, ok.â Plötzlich ist Sarah schüchtern, steht etwas umständlich von ihrem Bett hoch und geht rüber zum zweiten Stuhl, der noch am Tisch steht. Dabei wirft sie einen Blick durch die blank geputzte Scheibe nach drauÃen und seufzt hörbar auf. Der Boston River flieÃt gemächlich in einiger Entfernung vor der Klinik entlang. Die sanfte Frühlingssonne spiegelt sich im Wasser und lässt es glitzern und funkeln. Wie lupenreine Diamanten. Dazu die ersten grünen Blätter an den Bäumen am Ufer entlang und auch sonst rings herum. Gerade jetzt packt Sarah die Sehnsucht und das mit voller Wucht. Sehnsucht nach ihrer Familie, ihren Freunden, Sehnsucht auf die Welt da drauÃen überhaupt.
âFernweh?â Julianna hat sich beinahe lautlos dazu gesetzt und die Gedanken sofort erraten, denn Sarah nickt nur stumm mit dem Kopf. Ihr geht es ja selbst nicht anders. An solchen Tagen wie diesem, wenn der Frühling seine ersten Boten schickt, ist der Drang die Stunden drauÃen an der frischen Luft zu verbringen sehr groÃ.
âIch liebe den Frühlingâ, beginnt Sarah von sich aus zu reden, ihren Blick immer noch aus dem Fenster schweifend. âWenn alles buchstäblich zu neuem Leben erwacht. Als ich Kind war, hat unsere Mom jede Blume und jede Pflanze euphorisch begrüÃt und uns an dem Wunder der Natur teilhaben lassen. Das ist schon so lange her und doch erinnere ich mich an diese Entdeckungstouren, als ob es gestern gewesen wäre.â
Sarah erzählt, erst langsam und stockend, macht immer wieder Pausen, denkt nach, springt in den Zeiten hin und her und erinnert sich doch dabei an Dinge und Begebenheiten, die längst verschüttet geglaubt schienen. Julianna hört zu, einfach so, gibt manchmal eigene Erfahrungen von sich hinzu, schweigt jedoch den Rest der Zeit und lernt so die junge Frau vor sich immer besser kennenâ¦
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