Nachtigallen (Dark)
#31

Wow.
Endlich.
Ich sitze hier und lese was du geschrieben hast. Ich schreibe dir eben mal ganz schnell zurück damit du weisst dass ich noch lese... es ist nur... ich antworte dir so selten weil deine Teile soooo lang sind, dass ich in der wenigen Zeit die ich während dem "Kisten-packen, selber schreiben, krank sein und mich um alles andere auch noch kümmern..." (puhhh) aufbringen kann, es kaum schaffe sie zu Ende zu lesen. Und wenn ich das nächste mal hier bin um sie weiter zu lesen, hast du längst wieder einen noch längeren Teil gepostet.
Dennoch...
Ich liebe es wie du schreibst.
Lillian tut mir echt leid, und ich hoffe dass sie das alles in den Griff bekommt, und dass es auch zwischen ihr und Arturo ein Happy-End gibt.
Ich kann Ana irgendwie verstehen und ich brenne darauf mehr über die Geschichte mit Yolanda, Lillian und Arturo zu erfahren.
Sarah ist so unschuldig... ich weiss nicht, sie ist so lieb-verträumt in ihrem Roman, den sie so gerne miterleben, mitschreiben würde. Sie träumt jung und frisch von ihrer ersten grossen Liebe und hofft dass alles so schnell wie möglich passiert.
Ich weiss nicht was ich von Alex halten soll, er ist irgendwie merkwürdig; weiss er am ende mehr über Lillians Vergangenheit als ihm lieb ist?
Also, freue mich auf weitere Teile, gehe jetzt wieder Kisten packen. Liebe grüsse und ein dicker schmatzer, daniela

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#32

Hallo ihr Süßen :knuddel:

Wow...vielen, vielen Dank für eure tollen Feedbacks! :freu:

Freut mich, dass euch die Geschichte so gut gefällt und ihr noch Interesse habt.

Ich muss in ein paar Minuten wieder offline gehen, kann diesmal leider wieder nur kurzes Re-FB geben, aber mein nächstes wird ausführlicher werden, versprochen.

Eure Fragen werden sich alle im Laufe der Geschichte aufklären Smile

So, stelle euch noch gschwind die neuen Teile rein, hoffe sie gefallen euch. Freu mich schon auf eure FBs!

Muss gleich sagen, dass es diesmal etwas länger dauern wird, bis ein neuer Teil kommt, weil ich als nächstes bei Schneeflocken weiterschreiben werde.

Bussi Selene



13. Teil

Rosa

Spanish Harlem, 1976

Rosa musterte sich lächelnd im Spiegel. Ihre Freundinnen Carina, Patricia und Cristina redeten aufgeregt auf sie ein, während sich Francesca und die erst zehnjährige Ricarda, die Schwestern Jorges, diskret zurückhielten. Die Mutter letzteren, Felicitas Marquez, und Ana standen einige Meter hinter den jungen Frauen und versicherten sich gegenseitig, wie schön die junge Braut nicht wäre.
Rosa löste eine Locke aus der Hochsteckfrisur und zog ein fünftes Mal ihre Lippen mit einem zartrosa Lippenstift nach. Ihr Herz raste, als sie sich den anderen zuwandte.
„Oh mein Gott!“ Ana fasst sich mit der Hand an die Brust. „Was machst du nur, Kind?“ Sie tauschte ein mildes Lächeln mit Felicitas und ging zu ihrer Tochter um die gelöste Locke wieder hochzustecken. Zufrieden musterte sie diese. „Du bist wunderschön. Das ist sie doch, nicht, Felicitas?“
„Wunderschön.“ Bestätigten Felicitas, ihre Töchter und die Freundinnen Rosas beinahe im Chor.
„Danke.“ Die junge Braut atmete tief durch. Gleich würde es soweit sein. Sie lächelte glücklich. Es würde endlich soweit sein. „Der Schleier.“ Sie deutete auf den weißen Stoff.
Felicitas reagierte sofort und ergriff diesen. Ana musterte ihre Tochter nochmals prüfend. „Einen Moment…“
„Nun lass das arme Kind doch endlich. Sie trägt genug Rouge…“
Ana seufzte leise. „Felicitas, Mädchen, würdet ihr uns einen Moment alleine lassen?“ Sie schenkte ihnen einen viel sagenden Blick.
Ihr Gegenüber, welches selbst bereits zwei verheiratete Töchter hatte, nickte wissend. „Aber beeile dich. Kommt, Kinder!“ Sie verließ das kleine Zimmer des Pfarrhauses. Die anderen folgten ihr artig.
„Rosa…“ Anas Augen tränten als sie ihre Tochter an den Händen ergriff.
„Mamá!“
Ana strich ihr zärtlich über die Wange. „Nun ist es also soweit.“
„Ja.“
„Bist du glücklich?“
Rosa lachte. „Mamá, das fragst du mich seit der Verlobung beinahe täglich. Ich war noch nie so glücklich, wie am heutigen Tag. Das schwöre ich.“
„So soll es auch sein. Mit dem heutigen Tag beginnt ein neues Leben für dich. Du sollst wissen, dass deine Mamá immer für dich da sein wird. Auch wenn du selbst Kinder und Enkelkinder hast. Auch wenn du am anderen Ende des Landes wohnst.“
Rosas Augen begannen zu tränen. „Das weiß ich. Danke.“ Sie umarmte ihre Mutter.
Ana umschloss sie einen Moment mit ihren Armen, bevor sie sich schließlich von ihr löste. „Du zerknitterst dein Kleid. Wir müssen den Schleier noch über dein Haar. Die anderen warten schon.“ Sie wischte die Tränen aus den Augenwinkeln und griff nach dem Schleier.
Rosas Herz machte einen freudigen Sprung, als sie den Stoff auf ihrem Haar spürte. Obwohl sie ansonsten ein sehr bodenständiger Mensch war, hatte sie bereits als kleines Mädchen von ihrer Hochzeit geträumt. Heiße Freudentränen rannen über ihre Wangen.

Anas Augen schweiften durch die Reihen der Kirche, als wollte sie ein weiteres Mal genau prüfen, wer nicht den Anstand besaß, dem wichtigsten Ereignis im Leben ihrer Tochter beizuwohnen. Als Rosa die Kirche betrat, erhob sich ein bewunderndes Raunen. Ana verwischte ihre Tränen diesmal nicht. Nun hatte sie das Recht zu weinen. Auch Felicitas, welche neben ihr Platz genommen hatte, konnte sich nicht länger zurückhalten.
„Und ich bleibe dabei, sie sind zu jung!“ Meinte Alfredo, der Großvater Jorges, welcher glaubte sein Enkelsohn würde der kleinen Rosa noch zu wenig bieten können. Dass die junge Frau, welche er liebte als wäre sie seine Enkeltochter, beruflich auf eigenen Beinen stand, ignorierte er. Alfredo nahm ohnehin, wie sehr viele andere der geladenen Gäste, an, dass Rosa bald nach der Hochzeit schwanger werden und ihre Berufstätigkeit aufgeben würde um sich besser um ihre Familie und den Haushalt kümmern zu können. Obwohl er der Hochzeit noch immer skeptisch gegenüber stand, konnte aber auch er die Freudentränen nicht zurückhalten.
Rosas beste Freundin Cristina ließ den Blick lächelnd durch die Menge schweifen, bevor sie wieder die glückliche Braut betrachtete. Sie war die Einzige, welche die ganze Geschichte kannte. Jede Einzelheit. Cristina war sogar dabei gewesen, als Rosa und Jorge sich kennen gelernt hatten. Sie war sich stolz bewusst, dass die beiden ohne ihre Nachhilfe wohl nicht so schnell zusammen gekommen wären. Auch Carina hatte behauptet, gleich gewusst zu haben, dass Rosa und Jorge zusammengehörten. Cristina bezweifelte das jedoch, weil diese noch bis vor einem halben Jahr versucht hatte, ihn auf sich selbst aufmerksam zu machen. Weder Rosa noch Carinas Ehemann Fernando hatten jemals davon erfahren. Cristina saß gewissermaßen zwischen zwei Stühlen. Einerseits war da Rosa, zu welcher sie eigentlich stets ehrlich gewesen war. Dann war da Carina, welche nur ihr von ihrer traurigen Vergangenheit erzählt hatte. Diese war natürlich keine Entschuldigung für ihr monatelanges falsches Verhalten, dennoch hatte es Cristina niemals geschafft, Rosa von dem Verrat zu erzählen. Der Hauptgrund dafür war sicherlich, dass es für sie sowieso klar gewesen war, dass Jorge sich niemals auf Carina eingelassen hätte. Nun würden sie in wenigen Minuten verheiratet sein und es war ohnehin zu spät, Rosa einzuweihen. Jetzt im Nachhinein wäre sie höchstwahrscheinlich vor allem auf Cristina wütend, das nahm diese zumindest an, und beschloss aufgrund dessen für immer über die Sache zu schweigen.

Rosas Herz raste vor freudiger Aufregung, als Jorge ihren langen Schleier lüftete.
„Ich liebe dich.“ Flüsterte er, bevor er seine Lippen auf ihre presste.
Rosa schlang die Arme um ihn und erwiderte den Kuss mit einer Hingabe, welche sie zuvor nicht gekannt hatte. Sie vernahmen weder das laute Schluchzen ihrer Mütter, noch das freudige Getuschel, welches die Kirche augenblicklich erfüllte. Die Zeit schien für einen Moment, einen innigen Kuss, still zu stehen. Es gab nur mehr sie beide.


14. Teil

Sarah

Stockholm, 1977

Sarah tunkte den kleinen Pinsel fröhlich in das blaue Lidschattendöschen. Im Takt von Abbas Waterloo trug sie die Farbe auf ihre Lider auf. Dabei bröselten Elemente des Kosmetikums in ihr Auge. Sarah stieß einen Schmerzensschrei aus und griff nach ihrem grünen Waschlappen, welchen sie eilig befeuchtete. Sie wischte mit diesem mehrmals über ihr tränendes Auge. Erst als das Brennen nachgelassen hatte, wagte sie es wieder in den Spiegel zu sehen. Der letzte Rest ihrer guten Laune verschwand augenblicklich. Ihr Gegenüber, ein blasses Mädchen mit Lockenwicklern im Haar, einem blau geschminkten und einem rot geschwollenen Auge, schien so überhaupt nichts mit ihr gemeinsam zu haben. Sarah seufzte leise und wusch den Lidschatten ab. Sie löste ihr blondes Haar Strähne für Strähne von den Lockenwicklern und versuchte es mit einem grobzackigen Kamm zu bändigen. Das Ergebnis war weniger zufrieden stellend als erhofft. Sarah musterte sich Stirn runzelnd. Die Mädchen in den Filmen wirkten nach dem Stylen immer wie verwandelt. Sie sah jedoch aus wie immer, ihr Haar wirkte lediglich fülliger.
„Sarah! Mädchen, wo bleibst du nun schon wieder? Der Bus wird ohne dich abfahren!“
Sarah warf ihrem Spiegelbild einen letzten, verzweifelten, Blick zu, bevor sie die Treppe hinunterlief. Ilse empfing sie mit verschränkten Armen und einem energischen Kopfschütteln. „Eitelkeit stinkt.“ Meinte sie nur zu dem neugewonnenen Haarvolumen ihrer Enkeltochter.
„Entschuldige. Hab verschlafen.“ Sarah schlüpfte eilig in ihre Sandalen.
„Das ist ja nichts Neues.“ Ilse rollte mit den Augen.
Sarah schnallte den Rucksack über die Schultern und wollte das Haus schon verlassen, als Ilse ihr mit einer Papiertüte nachlief. „Dein Frühstück und deine Jause.“ Sie reichte ihr diese und einen Geldschein. „Fürs Mittagessen. Ich bin heute zu Mittag nicht da. Du wirst dir etwas kaufen müssen.“
Sarah nickte eilig. „Danke…ach, Großmama…“ Sie hielt inne. Ihr Herzschlag wurde schneller. Sarah wollte ihrer Großmutter von Eduardo erzählen. Sie war seit dem Vortag nervös wegen dem Treffen und überlegte, ob es nicht besser wäre abzusagen.
„Was denn, Kind? Dein Bus wird gleich kommen und bis zur Haltestelle sind es noch einige Meter!“
„Ich…ich komme vielleicht erst nachdem Kino nachhause.“
„Wo wirst du denn sein?“
„Im Park bei der neuen Eisdiele und…“ Sarah holte tief Luft.
„Ist gut, Kind. Dein Bus kommt schon. Ich hole dich dann vom Kino ab. Lauf jetzt!“ Unterbrach Ilse, welche den Autobus von weitem wahrnahm, eilig.
Sarah verabschiedete sich schnell und lief die Straße hinunter. Der Busfahrer, welcher gerade weiter fahren wollte, erkannte sie im Rückspiegel und wartete schließlich, bis sie eingestiegen war. „Danke.“ Sie ließ sich keuchend auf einen freien Fensterplatz sinken und warf dem entfernten Elternhaus einen letzten Blick zu. Mit welchen Gefühlen würde sie dieses wohl abends wieder betreten? Eine aufkeimende Übelkeit erfasste ihren Magen. Ein Uhr. Um ein Uhr würde sie Eduardo in Park wieder sehen. Weder ihre Mutter, noch ihre Großmutter wussten davon. Normalerweise erzählte sie den beiden beinahe alles. Sarah wünschte sich, ihnen auch von der Begegnung mit Eduardo erzählt zu haben. Sie wühlte in ihrem Rucksack und fand tatsächlich die kleine Karte mit der Telefonnummer seines Hotels in einem Seitenfach. Der Druck auf ihrem Herzen lockerte sich ein wenig. Gegenüber ihrer Schule stand eine Telefonzelle. Sie würde ihn einfach anrufen und absagen. Doch was würde er dann von ihr denken? Sarah seufzte leise. Ihre Einstellung zu dem Treffen änderte sich stündlich. Die einen Male war sie überzeugt davon absagen zu müssen, die anderen Male freute sie sich schon gerade zu euphorisch darauf. Schließlich fand sie sich selbst um halb eins auf der kleinen Bank vor dem Springbrunnen wieder. Ihr Herz raste, als sie auf ihre Armbanduhr blickte. Nur noch eine halbe Stunde. Sarah ließ den Blick unsicher über ihre Umgebung schweifen. Schließlich beschloss sie ein wenig zu lesen, aber nicht einmal Melissas Geschichte schien sie so zu fesseln wie sonst. Sie blickte immer wieder unruhig über den Buchrand. Es schien Stunden zu dauern bis die Uhr einer Kirche ganz in der Nähe endlich ein Uhr schlug. Sarah steckte das Buch eilig zurück in den Rucksack und sah sich um. Mit jeder weiteren Minute, die verging, schien sich der Druck auf ihrem Herzen zu verstärken. Nach zehn Minuten erblickte sie Eduardo schließlich. Er ging denselben Weg entlang, den auch sie gegangen war, und sah sich suchend um.
Sarah wollte etwas rufen, brachte jedoch kein Wort über die Lippen.
Kurz darauf erblickte Eduardo sie schließlich. Das Lächeln, welches er ihr zuwarf, versetzte sie in einen regelrechten Schwindelzustand. „Hallo. Entschuldige bitte meine Verspätung, ich wurde aufgehalten.“ Er setzte sich neben sie, wobei seine Hand einen Moment die ihre streifte. Sarah wurde mit einem Mal von einer Hitzewelle erfüllt. „Hallo. Kein Problem. Ich bin gerade erst gekommen.“
Eduardo musterte sie lächelnd. „Du wirkst angespannt. Alles in Ordnung?“
„Ja, natürlich. Ward ihr gestern in dem Restaurant?“
„Ja. Danke für den Tipp. Das Essen dort ist ausgezeichnet.“
Sie nickte. „Das finde ich auch.“
„Was zeigst du mir denn nun als erstes?“
„Was?“ Sarah musterte ihn einen Moment verwirrt, ehe sie begriff. „Nicht weit von hier ist der Dom. Man muss ihn gesehen haben. Ein historisches Meisterwerk.“ Begann sie eifrig und erhob sich. Er folgte ihr schmunzelnd.

[SIZE=3]Sarah nippte lächelnd an ihrem Glas und sog jedes Wort Eduardos gierig auf. Nachdem sie ihm drei Stunden lang verschiedene schöne Plätze der Stadt gezeigt hatte, saßen sie nun Pizza essend in einem kleinen Straßencafe. Sarah hatte ihn, kaum hatten sie Platz genommen, an sein Versprechen erinnert. Eduardo, der es sichtlich genoss, dass das Mädchen so an seinen Lippen hing, hörte gar nicht mehr auf über sein Heimatland zu erzählen, kaum hatte er damit begonnen. Sarah musterte die traumhaften Landschaften und zauberhaften Städte, welche ihr inneres Auge während seinen Beschreibungen zeichnete, lächelnd. Ihr Herz klopfte vor Aufregung und Freude bei dem Gedanken, dieses wunderschöne Land und seine offenen und herzlichen Menschen eines Tages zu besuchen. Sie malte sich aus, wie es sein würde, die langen weißen Strände entlangzugehen und das warme Meerwasser auf ihrem Körper zu spüren. Sowohl der atlantische als auch der pazifische Ozean berührten Kolumbien. Sarah stellte sich vor, wie sie die schönsten Plätze des Landes aufsuchte und sich bei den zahlreichen Festen in den Dörfern und Städten mit den Menschen anfreundete, mit ihnen feierteund zu der einzigartigen Musik tanzte.
„Wir Kolumbianer sind sehr stolz auf unser Land und überzeugt davon, dass es kein Schöneres gäbe.“ Schloss Eduardo schmunzelnd. „Und jetzt, nachdem ich so viele Länder bereist habe, kann ich dem nur erneut zustimmen.“
Sarah lächelte.
„Versteh mich nicht falsch. Hier ist es auch wunderschön...“
„Aber es ist nicht Kolumbien. Ich verstehe, was du meinst.“ Sie seufzte verträumt. „Am liebsten würde ich in das nächste Flugzeug steigen und nach Bogotá fliegen.“
Er lachte. „Haben dich meine Erzählungen denn wirklich so beeindruckt?“
Sie nickte. „Oh ja. Du hast das Paradies beschrieben, das kann kein Land auf dieser Erde sein.“
„Es ist auf der einen Seite tatsächlich paradiesisch. Aber es hat auch seine Schattenseiten. Man denke nur beispielsweise an die politischen Missstände.“
Sarah nickte. Sie hatte natürlich schon davon gehört, schob diesen Gedanken aber beiseite. Eduardos vorherige malerische Erzählung von Kolumbien gefiel ihr besser.
„Wenn du möchtest, werde ich dir Fotos schicken.“
„Oh ja!“ Ihre Augen blitzten freudig.
Sarahs Euphorie brachte ihn zum Lachen. „Dir wäre es wahrscheinlich am liebsten, könntest du am Montag sofort mit uns fliegen.“
Sie erwiderte sein Lachen. „Nun, mein letzter Schultag ist am Freitag. Sag mir, was ich einpacken soll.“
Eduardo betrachtete sie lächelnd. „Ich hatte noch nie so viel Spaß mit einer Frau wie heute.“
Sarahs Wangen wurden augenblicklich von einer glühenden Röte überzogen. Sie senkte den Blick.
„Alles in Ordnung?“
Sarah sah ihm wieder in die Augen. „Ja. Mich hat nur außer dir noch niemand als Frau angesehen...“
Er runzelte die Stirn. „Das kann ich mir kaum vorstellen. So eine schöne junge Frau wie du muss doch zahlreiche Verehrer haben.“
Sie lachte verlegen. „Nein, bis jetzt hatte noch kein Junge Interesse an mir. Als schön hat mich erst recht noch keiner bezeichnet. Das machen lediglich meine Mutter und meine Großmutter. Und meine Tante Inga…wenn sie nicht gerade wütend auf mich ist. Das kommt aber recht häufig vor. Sie liebt es an meiner Kleidung und an meinen Haaren zu meckern. Das macht sie sogar bei Großmama, obwohl diese ihre ältere Schwester ist…“ Sarah hielt inne. „Entschuldige. Wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll, rede ich mich stets in einen unsinnigen Strudel.“
„Geschichten über deine Verwandtschaft würde ich nicht als unsinnig bezeichnen. Du hast anscheinend ein sehr gutes Verhältnis zu deiner Mutter und Großmutter.“
„Rede ich zu oft von ihnen? Das tut mir leid! Ja, sie sind meine wichtigsten Bezugspersonen.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Meine Mutter ist mir auch sehr wichtig. Meine Großmutter ist leider schon vor Jahren verstorben.“
„Das tut mir leid.“ Sarah runzelte die Stirn. Sie konnte sich ein Leben ohne ihre geliebte Großmama gar nicht vorstellen. Natürlich hatten sie ihre Differenzen, an manchen Tagen sogar sehr heftige, aber das änderte nichts an ihrer innigen Beziehung zueinander.

...
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#33

...

„Danke.“ Er lächelte leicht. „Du erwähntest einmal, dass deine Eltern geschieden wären. Hast du viel Kontakt zu deinem Vater?“
Sarah seufzte leise und senkte den Blick.
Eduardo berührte ihre Hand sanft. Trotz des innerlichen Schmerzes fühlte sie, wie ein warmes Gefühl erneut ihr Herz umschloss. Sie hob den Kopf zaghaft und versank ein weiteres Mal in seinen Augen.
„Sarah?“ Er strich sanft über ihren Handrücken. „Es tut mir leid. Ich wollte keine Wunden aufreißen…“
Sarah schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Berührungen. Sie hoffte, dass er niemals damit aufhören möge.
Eduardo beobachtete sie Stirn runzelnd. Mit dem Glauben, dass es ihr Vater gewesen war, welcher sie so schweigsam gestimmt hatte, wechselte er das Thema. „Möchtest du noch ein Eis? Ich habe genug Geld bei mir. Tu dir also keinen Zwang an.“
Ihre Augen weiteten sich. „Du willst das alles zahlen? Nein, das geht nicht. Ich werde selbst zahlen.“
„Du wolltest doch eingeladen werden. Außerdem lasse ich Frauen niemals bezahlen.“
„Ich wollte…?“ Sie runzelte verwirrt die Stirn, entsann sich schließlich ihrer genauen Worte. Wenn du möchtest, spiele ich morgen deine Stadtführerin. Dafür lädst du mich danach auf eine Pizza ein und erzählst mir von Kolumbien. „Das Buch!“
„Wie bitte?“ Eduardo musterte sie irritiert.
„Ich…ich wusste nicht, was ich sagen sollte…da ist mir der Satz aus dem Buch eingefallen. Da gibt es so ein Mädchen namens Megan, welche den sympathischen Studenten Mike besser kennen lernen möchte. Sie hat dasselbe gefragt. Nur, dass er ihr vom College erzählen sollte…das war furchtbar kindisch, ich weiß. Normalerweise kann ich meine Sätze selbst bilden oder ich schweige einfach. Obwohl mir schweigen nicht so liegt, wie du wahrscheinlich gemerkt hast.“ Sarah hielt inne und biss sich auf die Unterlippe. „Entschuldige. Du musst mich für eine komplette Idiotin halten. Am besten du verwindest ganz schnell, bevor ich noch mehr Unsinn rede.“
„Was, wenn ich aber nicht verschwinden möchte?“
„Ich könnte es dir nicht verübeln. Du hast bestimmt schon gemerkt, dass ich wenig Erfahrung mit Gesprächen zwischen Männern und Frauen habe.“
„Dafür schlägst du dich aber schon verdammt gut. Wie ist denn diese Geschichte mit Megan und Mike ausgegangen?“
Sarah strich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Na ja, sie zeigte ihm die Stadt, anschließend waren sie Pizza essen und er erzählte ihr währenddessen vom College. Sie trafen sich ein paar Mal bevor sie schließlich zusammen kamen. Dumme Geschichte, ich weiß, ist nur ein Nebenhandlungsstrang. Aber das Buch ist sehr gut. Es geht ums Erwachsenwerden. Die Hauptperson ist ein siebzehnjähriges Mädchen namens Melissa. In dem Buch werden zehn Jahre ihres Lebens beschrieben. Meine Großmutter hat keine sehr hohe Meinung von dem Buch.“
„Es muss auch dir gefallen, nicht ihr.“
„Ja. Das stimmt. Liest du auch gerne?“
„Ja, aber ich komme leider nur selten dazu.“
Sarah, welche sich Eduardos Leben aufgrund seiner Erzählungen bereits in schillerndsten Farben ausgemalt hatte, nickte verständnisvoll. Er war im Unternehmen seines Vaters tätig und musste oft geschäftlich verreisen. In Bogotá wartete neben viel Arbeit auch noch eine große Familie und ein womöglich noch größerer Freundeskreis auf ihn. Er konnte gar keine Zeit haben um zu lesen. Trotzdem schien ihr sein Leben so viel reizvoller als ihr eigenes. Es begann bei seiner paradiesischen Heimat und dem Gemeinschaftsgefühl innerhalb seiner Familie und endete bei seinen zahlreichen Reisen. Eduardo schien ein Leben zu führen, welches sich in jeder Hinsicht von Sarahs unterschied. Vielleicht war auch das einer der Punkte, welche ihn so anziehend auf sie wirken ließen. Auf jeden fall glaubte sie spätestens seit ihren ersten gemeinsamen Stunden in dem kleinen Stockholmer Straßencafe zu wissen, dass er der einzig Richtige für sie war und sie ihr Leben mit ihm verbringen wollte. Noch Jahre später würde kaum ein Tag vergehen, an dem sie nicht an jenen Nachmittag würde denken müssen. An jenem Donnerstag, Anfang Juni 1977, unterhielten sie sich noch weitere zwei Stunden, bevor sie sich schließlich für den nächsten Tag verabredeten und Sarah zum Kino, wo bereits ihre Freundinnen ungeduldig auf sie warteten, aufbrach. Als sie in das weiche Leder des Kinosessels sank, fühlte sie, dass sie gerade am Beginn eines neuen Lebensabschnittes stand. Sie musste lediglich die Tür öffnen und das würde sie auch mit Vorfreuden tun, noch nicht ahnend, was sich dahinter verbarg.


15. Teil

Lillian

Spanish Harlem, 2000

Arturo musterte Lillian nachdenklich. Sie hatte sich von ihm abgewandt und fixierte die Parkbank gegenüber. Er wusste nicht, ob sie eine Antwort von ihm erwartete, ob er ihr überhaupt eine geben konnte. Am Montag hatte er stundenlang auf sie gewartet, doch sie war nicht gekommen, hatte ihn abends nur kurz angerufen. Es waren noch zwei weitere Tage vergangen, ehe sie sich an diesem Tag wieder sahen. Lillian war zuerst nicht gesprächig gewesen, hatte nur erwähnt, dass sie diese Woche noch nicht in der Schule gewesen wäre. Ohne scheinbaren Zusammenhang war danach alles aus ihr herausgeplatzt. Ihre Stimme hatte sich dabei weder gehoben noch gesunken, als hätte sie über das Wetter gesprochen. Arturo kannte sie gut genug, dass er wusste, dass dies nur ihre Art von Selbstschutz war. Er musterte sie prüfend, als könnte er in ihrem Gesicht die richtigen Worte für eine Antwort ablesen. Am liebsten hätte er sie einfach in die Arme genommen. Doch sie hatte nicht ihm ihr Herz geöffnet, sondern Elena. Ihm hatte sie es lediglich mitgeteilt. Er hielt es für richtig auf Lillians Art und Weise zu reagieren. „Hast du diese Oksana schon angerufen?“ Fragte er beinahe wie beiläufig und ärgerte sich zugleich über seine Reaktion. Schließlich ahnte er trotz Lillians starrer Maske, wie es in ihrem Innerem tatsächlich aussehen musste.
„Ich hab es vorhin versucht, es hat niemand abgehoben…“ Sie deutete auf eine Telefonzelle ganz in der Nähe. „Ich werde es ein wenig später wieder versuchen.“
Er nickte. „Wenn du willst, warte ich bis du sie erreicht hast.“
Lillian zuckte mit den Schultern und schenkte ihm nur einen kurzen Blick. „Wenn du nichts Besseres vor hast…“
„Nein, heute nicht.“
„Okay.“ Sie seufzte leise.
„Gehst du morgen wieder zur Schule?“
„Was denn, willst ausgerechnet du mir jetzt Vorwürfe machen?“ Erwiderte sie spitz.
Arturo seufzte. „Du willst aber den Abschluss machen, ein College besuchen und die Welt beherrschen, schon vergessen?“
Lillian zuckte mit den Schultern und blickte auf ihre Schuhspitzen. Es kam ihr vor, als hätten beinahe alle Dinge, welche ihr noch vor wenigen Tagen so wichtig gewesen waren, an Bedeutung verloren.
„Kann ich irgendetwas für dich tun?“ Seine Stimme war ungewohnt sanft geworden.
Sie schenkte ihm ein zartes, beinahe unsichtbares, Lächeln. „Kannst du die Zeit zurückdrehen?“
Er legte den Arm um sie. „Das würde ich sofort, könnte ich es.“ Antwortete er leise.
Lillian erhob sich zögernd. „Ich werde es nochmals versuchen. Hebt wieder niemand ab, gehe ich nachhause, mein Kopf schmerzt.“
Arturo nickte.
Sie warf ihm noch einen letzten Blick zu, bevor sie die Münzen in den Schlitz warf. Die Nummer kannte sie bereits auswendig. Ihre Finger zitterten, als sie diese wählte. Wenige Sekunden später vernahm sie das erste Geräusch. Sie trommelte unruhig auf die verglaste Tür und wollte schon wieder auflegen, als sich plötzlich eine weibliche Stimme meldete. Lillian verstand den Namen nicht. Ihre Stimme stockte. „Ms. Oksana Miller?“ Sie vernahm ein leises Geräusch vom anderen Ende der Leitung. Die Frau schien sich gesetzt zu haben.
„Das ist schon einige Jahre her.“ Sie lachte freundlich. „Cohen, Mrs. Oksana Cohen.“
Lillian nickte leicht. Die Krankenschwester hatte ihr den neuen Namen mitgeteilt, sie hatte ihn jedoch wieder vergessen gehabt.
„Sind Sie noch da?“
„Was? Ja, natürlich…“ Lillian räusperte sich. „Mein Name ist Lillian Marquez…“ Sie vernahm ein leises Seufzen. Hatte Oksana gewusst, dass sie anrufen würde?
„Lillian…“ Oksanas Stimme überschlug sich.
„Alles in Ordnung?“ Lillian runzelte die Stirn. Eine innere Unruhe erfasste sie plötzlich.
„Ja, entschuldigen Sie bitte.“
„Mrs. Cohen, Ihr Name steht auf meiner Adoptionsunterlage…“ Lillian hielt inne. „Ich meine, ich habe jetzt erst erfahren, dass ich adoptiert bin. Meine Großmutter hat mir das Dokument gezeigt. Auf diesem waren nur Sie vermerkt. Ich will Sie gar nicht weiters belästigen. Ich…ich möchte Sie nur fragen, ob Sie mir irgendetwas über meine leibliche Mutter sagen können? Das alles klingt verrückt, ich weiß. Aber…“
„Schon gut, ganz ruhig.“ Oksanas sanfte Stimme beruhigte Lillian. „Erst mal, nenne mich bitte Oksana. Was deine Mutter betrifft…“ Sie holte tief Luft. „Da ist etwas, das ich dir geben muss. Lass uns nicht am Telefon darüber sprechen. Du lebst noch in New York City, sagte Marina. Hör mal, wenn du das wirklich möchtest, treffen wir uns am Wochenende persönlich…“
Lillian runzelte die Stirn. „Was musst du mir geben? Ich verstehe das nicht…“
„Ich würde gerne mit dir persönlich über deine Mutter sprechen. Ich weiß leider nur sehr, sehr wenig, aber du hast das Recht dazu das zu erfahren. Sie gab mir außerdem einen Umschlag für dich. Den sollst du bekommen. Wäre das für dich in Ordnung, wenn wir uns am Samstag in New York City treffen würden?“
Lillian kaute auf ihrer Unterlippe. „Ja…okay. Bei Carrie’s in der dreiundvierzigsten, Ecke Mainstreet?“
„Warte, ich muss das nur schnell notieren.“
Lillian vernahm ein leises Rascheln.
„Welche Uhrzeit wäre dir angenehm?“
„Elf Uhr?“
„Okay. Ich gebe dir noch meine Handynummer, falls wir uns nicht finden sollten.“
Lillian zog einen kleinen Block und Stift aus ihrer Tasche und notierte die Nummer.

„Alles in Ordnung?“ Arturo runzelte misstrauisch die Stirn, als Lillian wieder zu ihm zurückgekommen war. „Anscheinend war sie da…“
„Ja…sie möchte mit mir persönlich sprechen. Wir treffen uns übermorgen in einem Cafe in der dreiundvierzigsten.“
„Soll ich mitkommen?“ Bot er an.
„Wieso das denn?“ Sie runzelte die Stirn.
„Keine Ahnung. Vielleicht ist sie ja eine Verrückte.“
Lillian lachte. „Nein, das glaub ich nicht. Aber keine Angst, ich kann schon auf mich selbst aufpassen. Außerdem ist die Gegend bei Carrie’s sehr sicher.“
„Okay, wie du möchtest. Leistest du mir dann am Samstagabend wieder einmal Gesellschaft?“
Sie betrachtete ihn nachdenklich. „Ich weiß noch nicht. Mal sehen…“
Arturo begann sanft an ihrem Ohrläppchen zu knabbern.
„Dieser billige Bestechungsversuch wird dir rein gar nichts nützen.“ Meinte Lillian.
„Nein?“ Hauchte er in ihr Ohr.
Sie spürte einen wohligen Schauer über ihren Rücken laufen. „Nein. Ganz und gar nichts.“
„Tja, dann…“ Er vergrößerte die Distanz zwischen ihnen. „…kann ich daran wohl nichts ändern.“
„Ich werde dich diesbezüglich noch anrufen.“ Meinte sie gnädig.
„Mach das.“ Arturo warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. „Wann erwartet dich denn deine Großmutter zurück?“
Lillian zuckte mit den Schultern. „Wir haben nicht darüber gesprochen.“
„Fahren wir nach Brooklyn?“
„Was?“ Sie runzelte die Stirn. „Wozu?“
„Du könntest mir zeigen, wo du mit deinen Eltern gewohnt hast.“
Lillian senkte den Blick. „Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich war seit damals nicht mehr dort und habe auch nicht vor, unser altes Haus jemals wieder zu sehen. Ich weiß nicht einmal, ob es noch steht oder abgerissen worden ist.“
„Das war eine dämliche Idee, tut mir leid.“
„Nein, die Idee war toll.“ Sie hob den Kopf und schenkte ihm ein leichtes Lächeln. „Aber ich bin noch nicht so weit.“
Arturo nickte. „Komm her.“ Er zog sie in seine Arme. „Hast du Lust ziellos durch Manhattan zu fahren? Das hat dir früher so viel Spaß gemacht.“
Lillian lehnte sich an ihn. „Gleichzeitig war es aber auch immer so deprimierend.“
„In zehn Jahren wirst du anders darüber denken. Da wirst du deinen NYU Abschluss schon längst haben, irgendwo in Downtown arbeiten und dich liebend gern an unsere stundenlangen Fahrten erinnern.“
Lillian lachte. „Die NYU…die sind sich sogar zu gut, mir eine Ablehnung zu schicken…“ Sie seufzte. „Aber das alles scheint im Moment so unwichtig. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch studieren möchte. Ich weiß rein gar nichts mehr…“
Er strich ihr sanft durchs Haar. „Dafür weiß ich, dass du auch mit dieser Situation fertig werden wirst. Du wirst deinen Weg gehen, wie dieser auch aussehen mag.“
„Es ist schön zu wissen, dass jemand an dich glaubt, wenn du den Glauben an dich selbst schon lange verloren hast.“ Sie umarmte ihn. „Ich habe Angst vor Samstag. Mich mit dieser Frau zu treffen bedeutet nicht nur zu realisieren, dass ich mich in der wirklichen Welt und nicht in einem Alptraum befinde. Es bedeutet auch die wiederholte Bestätigung, dass ich die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben, welche ich liebe und als Eltern bezeichnete, niemals gekannt habe. Genauso wenig wie mich selbst. Es ist die Konfrontation mit der Tatsache, dass ich weder weiß, wer ich bin noch wer ich einmal war. Und…“ Sie atmete tief ein. „…vielleicht will ich das auch gar nicht wissen.“
#34

hey selene
schön wieder etwas von dir zu hören...und toll, dass du bei schneeflocken weiterschreiben willst
du schreibst aber auch immer viel
der teil über rosa fand ich sehr schön...so mit der hochzeit und so...fand ich toll
und dann wieder sarah...das treffen mit eduardo verlief ja sehr gut...und wie sie angefangen hat über das buch zu sprechen fand ich einfach nur lustig...kann es sein, dass sarah von eduardo schwanger wurde?kann ja möglich sein
und dann der dritte teil über lillian....schon komisch wie sie sich gegenüber arturo verhält...is aber auch verständlich..erfährt nach all den jahren dass sie adoptiert wurde
aber sie hat wenigstens diese oksana erreicht und ein treffen vereinbart....ich bin gespannt, was in dem umschlag drinne ist...hoffentlich ein brief oder so was
freu mich schon auf einen neuen teil
mfg lava Cool

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Perfect love is rare indeed - for to be a lover will require that you continually have the subtlety of the very wise, the sensitivity of the artist, the acceptance of the saint. [Leo Buscaglia]
#35

so und nun mal wieder ein platzhalter
hab grad keine zeit

selene!

WoW... ich kann mich immer nur wiederholen
deine FF ist so toll. Du hast ein unglaubliches schreibtalent

Und du schreibst immer so schön viel*freu*
Ich bin sehr gespannt was Lillian in dem Umschlag finden wird.

Das du immer alles sachen die in den verschiedenen jahren passieren schreibst, über Srah und Rosa find ich toll.

Wie du siehst verdient diese FF nur Komplimente

gglg zora :knuddel:

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Du bist nicht wie ich,doch das ändert nicht,
dass du bei mir bist und ich zuseh' wie du schläfst
#36

Hi, du!
Hab endlich mal wieder eine kleine Verschnaufpause... und ich kann Noir-Girl und Lava nur recht geben.... es ist einfach nur toll.
Ich bin gespannt was Lillian im Umschlag finden wird, was Oksana ihr zu erzählen hat. Ich sass vor dem Computer, und als Oksana ans Telephon ging wurde mir schwindelig... als Arturo sie in die Arme nam, fühlte ich mich geborgen und ich spürte auch die Nervosität und Unruhe von Sarah mit, bevor sie sich mit Eduardo traf. Mit einem Satz: Du umschreibst alles so wundervoll- realitätsnah, dass ich jede der Empfindungen und Gefühle deiner Charaktere mitfühlen kann, und das ist grossartig.
Bei Rosa kann ich nur sagen: ich kenne eine Rosa, und ich kenne einen Jorge. Bei anderen Büchern besteht das Problem, dass ich sie mit ihren Namensvettern aus dem echten Leben vergleiche, ja sogar ihr aussehen auf die Person im Buch projeziere... hier nicht, denn jeder Mensch in dieser Geschichte hat einen so aussergewöhnlichen Charakter, dass es unmöglich wäre einen Menschen im realen alltag zu finden der deinen erzählungen gleicht.
Wie Rory schon sagte: "...Diese Welt wird von Personen bevölkert, die zwar nicht so exentrisch, dafür aber um so wirklicher sind. Menschen aus Fleisch und Blut, voller Liebe und Wärme, sie sind mir Inspiration für alles..."
Und gerade dass macht deine FF so wunderbar, denn deine Personen fühlen sich an als wären sie aus Fleisch und Blut, voller Liebe und Wärme...
Hoffe es werden noch viele Teile kommen, und ich hoffe dass ich sie alle lesen werde, denn der Tag meiner Abreise kommt demnächst, und ich habe vor allem Angst...
Ich drücke dich ganz fest...
daniela

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#37

Hallo meine Süßen :knuddel:

@Lava: Ja, mir liegt es irgendwie eher lange Kapiteln zu schreiben *g*
Freut mich, dass dir die Teile so gut gefallen haben! Danke schön für dein Feedback!

@Noir-Girl: Vielen Dank für dein FB! Freut mich, dass dir mein Schreibstil und die Geschichte so gefällt.
Was sich im Umschlag befindet, erfahrt ihr übrigens im nächsten Teil.

@MinowaySunshine: Freut mich, dass es mir gelungen ist, die Gefühle gut rüberzubringen. Bin da oft ein wenig unsicher. Das Kompliment kann ich übrigens zurück geben, da ich mich auch bei deiner Geschichte jedesmal in einen Bann gezogen fühle und richtig mitlebe und -fühle.
Danke schön für dein tolles Feedback!


Ich stell gleich die neuen Teile rein, ich hoffe, sie gefallen euch.
Freue mich, wie immer, schon sehr auf eure Feedbacks!

Bussi Selene



16. Teil

Sarah

1981

Sarahs Rücken schmerzte als sie sich auf das weiche Leder der Couch lehnte. Ihre Augen brannten, es fiel ihr schwer diese offen zu behalten. Doch sie durfte nicht schlafen. Zu sehr fürchtete sie ihre Träume. Sie fürchtete diese sogar beinahe mehr als die Zeit, während sie nicht schlief. In Träumen kann dir nichts passieren. Hatte ihre geliebte Großmutter vor Jahren, in einer längst vergangenen Zeit, gesagt. Ilse hatte ihr gelehrt Träume sinnvoll zu Nutzen. Aus diesen einen positiven Gewinn zu erzielen, indem sie versuchte diese zu interpretieren. Doch was sollte sie aus Träumen lernen, welche lediglich das Leben widerspiegelten, welchem sie nicht mehr entrinnen konnte? Ihre Hand zitterte, als sie das Wort mit einem Bleistift auf das Stück Papier schrieb.

Liebe

Sarah strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. Sie hatte an einem der Morgen einer fernen Vergangenheit von der Nachtigall erzählt. Der mythische Vogel war immer und immer wieder in ihren Träumen erschienen. Mal lange, mal auch nur ganz kurz. In sehr vielen Kulturen steht die Nachtigall als Symbol für die Liebe. Hatte Ilse erklärt. Die Nachtigall ist aber vor allem ein unschuldiges und so zauberhaftes Geschöpf, welches die Menschen mit ihrem betörenden Gesang erfreut. Achte die Natur, mein Kind. Sarah hatte das Tier ihrer Träume jedoch anders interpretiert, auf die Weise, die ihr Herz gewünscht hatte.

Liebe. Alles, wo nach mein Herz sich sehnte in jenen kalten Stunden.

Sie setzte den Stift ab und atmete tief durch.

Alles wonach mein Herz sich verzehrte.

Beim Gedanke an ihre letzten Träume durchfuhr ein schmerzhafter Stich ihr Herz.

Liebe. Alles, was ich wollte.

Ich reichte mein Herz und wurde meiner Seele beraubt.

Sarah legte den Bleistift ab. Keiner würde ihre Worte jemals lesen. Scheinbar sinnlos aneinander gereihte Sätze. Doch für sie ergaben sie Sinn.

Das Schreiben lenkte sie ab in jenen nächtlichen Stunden der Einsamkeit.
Schon bald würde die Nacht erneut dem Tag weichen. Sie würde erneut das große Haus verlassen und vorgeben jemand zu sein, der sie niemals gewesen war.

Der Nachtigall Tod. Mein Tod.


17. Teil

Lillian

New York City, 2000

Lillian zupfte Stirn runzelnd an ihrem langen dunklen Haar, welches vom Wind durcheinander gebracht worden war. Sie betrachtete sich ein letztes Mal im Toilettenspiegel bevor sie den eigentlichen Raum des Cafes über den langen Flur betrat. Eine Kirchenglocke schlug Punkt elf Uhr, als sie sich zögernd auf einen Stuhl setzte. Ihr Platz verschaffte ihr sowohl einen guten Blick über das ganze Cafe als auch über die Eingangstür.
Lillian klopfte unruhig mit den Fingern auf die Tischplatte. Sie versuchte das nervöse Gefühl in der Magengegend zu ignorieren und konzentrierte sich auf die anderen Gäste. Rosa und sie hatten früher ein unterhaltsames Spiel gespielt, dessen Regeln sehr einfach gewesen waren. Jeder hatte „seine“ Personen gehabt und sich Lebensgeschichten zu diesen ausgedacht.
Lillian seufze leise. Sie hatte zum letzten Mal bei diesem Spiel aus tiefstem Herzen gelacht. Vor über zehn Jahren. Sie warf einen weiteren Blick auf ihre Armbanduhr. Lillian hatte ihre Eltern mehr geliebt als alles andere. Mit ihnen war auch ein Teil ihrer selbst gestorben. Rosa und Jorge - warum hatten sie gelogen? Warum hatten sie ihr niemals die Wahrheit gesagt? Was würden sie denken, wüssten sie, mit wem Lillian sich traf? Sie fixierte die Tischplatte und atmete tief durch. Noch war Zeit zu gehen. Nicht einmal Ana hatte sie es gesagt. Nur Arturo wusste es. Lillian biss auf ihre Unterlippe. Was würden die Menschen, welche ihr immer Eltern waren, empfinden, wüssten sie es? Sie runzelte die Stirn. Es war ihr Recht. Es war ihr gutes Recht herauszufinden, wer sie war. Doch wie konnte ihr eine weit entfernte, niemals gekannte Vergangenheit mitteilen, wer sie war? Lillian begann in ihrer Handtasche zu wühlen ohne tatsächlich etwas zu suchen. Rosa hatte dies vor Arztbesuchen manchmal gemacht. Es hatte sie beruhigt. Lillian zog ihre Hand wieder aus der Tasche. Es half nicht. Sie war nicht Rosa, sie war nicht ihre Tochter. Und doch, sie war ihre Tochter. Denn es war sie und kein anderes Mädchen, welchem eine perfekte Kindheit mit diesen wunderbaren Menschen geschenkt worden war. Was würde Rosa empfinden? Lillian erhob sich langsam. Ihr Herz raste vor Unruhe. Die Wut, die Enttäuschung, die Trauer, die Angst. Sie wechselten sich ab, dennoch waren sie stets gemeinsam in ihr. Lillian wusste nicht, welches Gefühl es war, das sie zur Tür trieb. Doch es war auch nicht wichtig. Denn ihr weiteres Schicksal sollte von einem Zufall entschieden werden.
„Entschuldigen Sie bitte. Habe ich Ihnen wehgetan?“
Die Frau fuhr sich kurz über die angerempelte Schulter. „Nein, es ist nichts passiert. Entschuldigen Sie. Auch ich hätte besser aufpassen sollen.“
„Schon okay.“ Lillian lächelte leicht.
Die Frau fuhr sich durchs Haar. „Ich kenne mich in New York City leider kaum aus, ich bin aus Boston. Wissen Sie, ob man vor dem Cafe parken darf? Ich habe kein Schild gesehen...“ Sie runzelte die Stirn.
„Das weiß niemand so genau, aber jeder parkt davor. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Lillian wollte sich schon abwenden und das Cafe verlassen, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. „Sie sagten, Sie wären aus Boston?“ Sie kannte die Antwort schon. Ana sagte stets, nichts geschähe zufällig.
„Ja.“ Plötzlich weiteten sich die Augen der Fremden überrascht. „Lillian Marquez?“ Oksana musterte ihr Gegenüber Stirn runzelnd.
Lillian nickte leicht. Sie fühlte sich zunehmend unwohler und bereute es, nicht einfach gegangen zu sein.
„Setzen wir uns?“ Schlug Oksana vor. Ihre Stimme klang unsicher. „Hast du schon lange gewartet?“
„Nein.“ Lillian setzte sich zögernd zu dem Tisch, an welchem sie schon zuvor gesessen war.
Nachdem sie ihre Getränke bestellt und erhalten hatten sowie nach einem kurzen einseitigen Gespräch über das Wetter in Boston und New York City, brachte Lillian schließlich über die Lippen, was ihr Herz seit einer Woche quälte. „Warum wollte sie mich nicht?“ Die Worte kamen stockend und ohne jeglichen Zusammenhang.
Oksana seufzte leise. Sie betrachtete Lillian nachdenklich, studierte ihre Gesichtszüge, die goldbraunen Augen, welche ihr schon bei dem kleinen Baby aufgefallen waren. Die junge Frau wirkte äußerlich stark, als würde sie nichts erschüttern können. Doch Oksana spürte, dass es in ihrem Inneren anders aussehen musste. „Lillian, sie wollte dich.“
Auf Lillians Stirn bildete sich eine Falte. „Hör mal, Oksana. Ich möchte von vorhinein klar stellen, dass ich hergekommen bin um die Wahrheit zu erfahren und keine Beschönigungen...“
„Das ist die Wahrheit...das heißt, die Wahrheit kenne ich nicht. Aber das ist das, was ich empfand. Deine Mutter litt.“ Sie versuchte nach außen hin genauso stark zu sein wie du. Fügte sie gedanklich hinzu. „Sie wollte dich nicht zur Adoption frei geben. Das spürte ich.“
Lillian runzelte die Stirn. Sie kannte zu viele Menschen, welche meinten, andere durchschauen zu können.
Oksana seufzte leise. Wie sollte sie ihr erklären, was sie damals bei Melissas Anblick gefühlt hatte? „Ich war kaum zwanzig und half öfters in dem Krankenhaus, in welchem meine Mutter arbeitete mit. In dieser Zeit lernte ich verschiedenste junge Frauen kennen, welche aufgrund noch unterschiedlicherer Schicksale ihre Babys zu uns brachten. Manche hüllten sich in Schweigen, andere erzählten jedoch auch ihre Geschichten. Einige dieser Geschichten klangen erfunden, andere wahr. Ich war schon immer ein sehr emotionaler Mensch. Mir gingen die Schicksale der jungen Frauen näher, als ich sie hätte an mich heranlassen dürfen. Die Augen deiner Mutter haben mich nie wieder los gelassen...“ Oksana biss sich auf die Unterlippe. Tat sie das Richtige? Wäre es besser, Lillian ihre Gedanken, welche nicht auf Tatsachen beruhen mussten, zu verschweigen? Schließlich fuhr sie fort. „Sie schien Angst zu haben, als flüchte sie vor etwas. Ich kann mich irren. Tatsache ist jedoch, dass sie so schnell wieder verschwand, wie sie gekommen war. Sie erzählte nichts über sich. Sagte, ihr Name wäre Melissa und sie wäre bald zweiundzwanzig. Doch ob das der Wahrheit entsprach, kann ich dir nicht sagen. Sie wollte anonym blieben, nirgendwo vermerkt werden. Melissa, oder wie auch immer sie hieß, wusste genau an wen sie sich wandte. Sie hatte nicht zufällig unser Krankenhaus gewählt...“ Oksana hielt inne. „Sie sang dir ein Lied vor, in einer fremden Sprache, bevor sie ging. Ihre Stimme war unglaublich schön, sie nahm andere vollkommen gefangen. Und sie gab mir etwas für dich...“ Oksana zog den dicken Umschlag aus der Tasche. Ihre Hand zitterte, als sie diesen Lillian überreichte. Ihr Gegenüber ergriff ihn zögernd. Diese leichte Unsicherheit war die erste Miene, welche Lillian seit dem Gespräch zeigte. „Was ist das?“ Sie befühlte das Kuvert Stirn runzelnd.
„Ich weiß es nicht. Es war ihr aber wichtig, dass du es erhältst.“
Lillian steckte es in ihre Tasche. „Danke.“
„Es tut mir leid, dass ich dir nicht mehr sagen kann. Aber wenn du jemanden zum Reden brauchst, kannst du mich jederzeit anrufen.“
„Du weißt auch nichts über meinen Vater?“
„Nein, leider.“
Lillian nickte.
„Ich versprach Melissa, bevor sie ging, dass du die besten Eltern bekommen würdest.“
Lillian seufzte leise und wich Oksanas Blick aus.
„Entschuldige. Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Oksana runzelte besorgt die Stirn und legte ihre Hand sanft auf Lillians. Was war diesem Mädchen nur widerfahren? Hatte sie ihre Menschenkenntnis überschätzt gehabt?
Lillian entzog Oksana ihre Hand. „Nein...das alles kommt nur sehr plötzlich. Vor einer Woche wusste ich noch nicht einmal, dass ich adoptiert bin und...“ Sie hielt inne.
„Kann ich irgendetwas für dich tun?“ Oksana musterte sie besorgt. Sie fühlte noch immer eine gewisse Verantwortung für die junge Frau. Ihre Mutter Agatha hatte ihr nach der Adoption geraten nicht mehr über Melissa nachzudenken, da sie ohnehin nichts mehr für diese tun konnte. Oksana hatte die junge Frau mit den leblosen Augen jedoch niemals vergessen können.
„Nein. Danke für alles. Ich muss jetzt gehen.“ Lillian erhob sich schnell. Die verschiedenen Gefühle und quälenden Fragen schienen ihr den Atem zu nehmen. Sie musste raus aus diesem Cafe, alleine sein.
„Soll ich dich irgendwo hinfahren?“
„Nein, vielen Dank.“ Lillian mühte sich um ein Lächeln.
„Lillian?“
Lillian runzelte die Stirn.
„Es tut mir leid. Ich wünschte wirklich, ich könnte mehr für dich tun.“
„Das ist nicht deine Schuld.“ Lillian fixierte die großen Fenster des Cafes. Es hatte zum Regnen begonnen.
„Bist du mit dem Auto hier?“
„Ich gehe lieber zu Fuß.“ Antwortete Lillian knapp. Oksana wusste rein gar nichts über sie - wie sollte sie auch? Warum hatte sie sich von dieser fremden Frau Antworten erwartet? Die Antworten, welche diese ihr höchstens hätte geben können, hätten jedoch auch nichts an Lillians Zerrissenheit ändern können. Nichts konnte daran etwas ändern.
Oksana nickte Stirn runzelnd. „Ich gehe auch sehr gerne zu Fuß, das entspannt mich.“ Sie lächelte leicht. „Aber es regnet in Strömen. Du könntest krank werden. Die nächste U-Bahn Station ist einige Meter entfernt, wie ich gesehen habe.“
Lillian seufzte. Wie kam diese Frau dazu so zu tun als wäre sie ihre Mutter? Lillian wurde schon mit Schlimmeren fertig als Regen.
„Lass mich dich zumindest zur U-Bahn bringen.“
„Okay.“ Warum war diese Fremde so besorgt um sie?
Wenige Minuten später sank Lillian auf den Beifahrersitz eines nagelneuen schwarzen BMWs.
Oksana beobachtete besorgt, wie die junge Frau fröstelte. „Ich werde die Heizung stärker einstellen. Es ist heute wirklich ungewöhnlich kühl für Ende Mai. Wenn ich dich doch weiter fahren soll...“
„Bitte lass mich beim Central Park aussteigen, wenn es keine Umstände macht.“
„Okay. Es macht gar keine Umstände. Ich täte gerne mehr für dich.“
Lillian richtete den Blick aus dem Fenster.
„Machst du heuer deinen High School Abschluss?“ Bemühte sich Oksana um ein Gespräch.
„In wenigen Wochen.“
„Bist du schon nervös? Ich war damals sehr nervös.“
„Es geht.“
„Du schaffst das gewiss.“
„Danke.“
„Möchtest du danach studieren?“
Lillian hätte am liebsten aufgelacht. Als käme es darauf an, was sie wollte. „Mal sehen.“
Oksana nickte. „Ich habe mir vor meinem Medizinstudium auch eine kleine Auszeit gegönnt.“
Da Lillian nicht reagierte, fuhr sie fort. „Du lebst also in Manhattan. Manhattan soll sehr schön zum Leben sein.“
Lillian hob die Augenbraue. Bei einem Medizinstudium lernt man wohl nicht, dass Manhattan nicht nur aus luxuriösen Teilen besteht. Dachte sie bitter, schalt sich jedoch sogleich für diesen Gedanken. Oksana bemühte sich lediglich um ein Gespräch mit ihr. „Oksana, nimm das bitte nicht persönlich, aber mir ist im Moment nicht nach Reden zumute. Ich bin dir wirklich dankbar für alles, aber...“ Sie hielt inne.
„Ist schon gut.“ Oksana lächelte sanft. Sie hielt in einer Parklücke gegenüber des Central Parks. „Ich verstehe dich vollkommen. Es tut mir leid, dass ich mich so aufgedrängt habe. Das wollte ich nicht. Trotzdem sollst du wissen, dass ich für dich da sein werde, solltest du mich brauchen. Du kannst jederzeit anrufen.“
Lillian nickte leicht. „Danke.“ Sie wandte sich zur Tür.
Oksana lächelte leicht. „Also, dann...alles Gute.“
Lillian hielt inne und drehte sich wieder um. „Meine Eltern verunglückten vor zehn Jahren tödlich. Sie waren die besten Eltern, die man sich wünschen kann. Ich wohne seitdem bei meiner Großmutter in Spanish Harlem. Und ja, ich würde von Herzen gerne auf der NYU studieren. Das würden auch meine Eltern wollen.“ Sie atmete tief durch.
Oksana betrachtete Lillian Stirn runzelnd. „Das mit deinen Eltern tut mir leid.“
Lillian nickte. „Danke.“
„Sie waren wundervolle Menschen. Ich hatte sie kaum gekannt, aber ich wusste sofort, dass sie besondere Menschen waren.“
Ich habe sie wahrscheinlich ebenso wenig gekannt. „Ja, das waren sie.“ Lillian seufzte leise und öffnete die Autotür. „Auf Wiedersehen, Oksana.“ Sie lächelte leicht.
Oksana erwiderte das Lächeln. „Auf Wiedersehen.“ Ihre Augen begannen zu tränen, als Lillian das Auto verließ und den breiten Weg entlanglief. Warum musste diesem Mädchen ein solches Schicksal zuteil geworden sein?


18. Teil

Los Angeles

Eine Woche später

Er zündete sich eine weitere Zigarre an und betrachtete sein Gegenüber Stirn runzelnd.
„Überprüfen Sie das.“ Er reichte ihm eine dünne Aktenmappe. „Ich will bis morgen Abend Ergebnisse. Sollte Ihnen das nicht möglich sein, wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Stellensuche.“
Der junge Mann wurde blass. „Ich…ich werde mein bestes tun.“
Mr. Dominguez seufzte. „Tun Sie mehr als das,…“ Er runzelte die Stirn.
„John, Sir.“ Half ihm der junge Angestellte lächelnd.
„Ach ja, entschuldigen Sie. Wissen Sie, ich stelle pro Tag zu viele neue, unbedeutende Gesichter ein und entlasse sie wieder.“ Seine Augen blitzen überheblich.
John wurde blass. „Ich…ich werde Sie nicht enttäuschen.“
„Das möchte ich Ihnen auch nicht raten…“
John musterte seinen Chef Stirn runzelnd. Er hasste ihn aus tiefstem Herzen. Jeder hasste ihn. Aber er bezahlte sehr gut. Führte man Aufträge aus, die ihm besonders am Herzen - sollte er tatsächlich eines besitzen – lagen, war er sogar bereit eine schöne Extrasumme zu bezahlen.
„War’s das dann, John? Ich habe noch zu tun, und Sie meines Wissens genauso…“
Der junge Mann zwang sich zu einem Lächeln. „Guten Tag, Sir.“ Er umklammerte die Aktenmappe fest, während er das riesige Büro verließ und den langen weißen Gang entlang ging. John brauchte das Geld dringend. Mary wünschte sich eine prachtvolle Hochzeit, diese sollte sie auch bekommen. Und wenn Mr. Dominguez sehr zufrieden mit seiner Arbeit sein würde, konnte er vielleicht endlich die letzte Rate seines Hauses abbezahlen. John lächelte leicht und betrat den Lift. Neugierig schlug er die Aktenmappe auf und begann darin zu blättern. Er erkannte schnell, dass sein Auftrag keiner der üblichen war. Sein Chef hatte ihm offenbar einen sehr persönlichen Fall anvertraut. Ein stolzes Lächeln umspielte Johns Lippen. Er arbeitete nun seit fast fünf Jahren in diesem viel zu großem Gebäude. Seine Mühen hatten offenbar endlich Anerkennung gefunden. Zuhause angekommen stellte er mit Freuden fest, dass Mary noch nicht da war. Er entledigte sich rasch seiner Schuhe und betrat sein Arbeitszimmer. John legte die Aktenmappe auf den Tisch und überflog die erste Seite rasch. Er hatte Aufträge dieser Art noch nie ausgeführt und war aus diesem Grund noch ein wenig unsicher, wie er am besten vorgehen sollte. Trotzdem brannte sein Herz voller Eifer als er die Nummer der Auskunft wählte. „Ich benötige die Nummer eines Alexander Cohens in Boston...was? Danke. Einen Moment...“ Er griff nach einem Notizblock und notierte die Nummer. Das Glück schien auf seiner Seite als Gewünschter schließlich kurz nach Erklingen des ersten Tones persönlich abnahm. „Cohen.“
„Mr. Alexander Cohen?“
„Am Apparat.“
„John Stevenson, ich melde mich im Auftrag Mr. Dominguez’ bezüglich Ihres gestern Abend gesendeten Fax. Ich dachte, es wäre besser Sie unter Ihrer Privatnummer zu kontaktieren...“ John gelang es deutlich selbstsicherer zu klingen als er in Wirklichkeit war. Seine für sein Alter sehr tiefe Stimme war ihm dabei erneut eine Hilfe.
Alex atmete tief durch und erhob sich rasch um die Türen des Wohnzimmers zu schließen. Oksana konnte jeden Moment zurückkommen. Auf gar keinen Fall durfte sie etwas von diesem Gespräch mitbekommen. Alex fixierte ein Foto auf der Wand, welches ihn mit seiner Frau zeigte. Er liebte sie mehr als alles andere. Dennoch würde ihn die Vergangenheit immer wieder einholen. Alex ballte die Hand zu einer Faust. John Stevenson. So hieß also der Mann, welcher ihn ersetzt hatte. „Sagen Sie Mr. Dominguez, dass kein Zweifel mehr daran besteht, dass es sich bei der Person um die Gesuchte handelt.“ Er seufzte leise. „Ich werde ihm die letzten Informationen heute Abend vom Büro aus faxen.“
#38

hey selene
mal wieder einsame klasse
der anfang hat mir richtig gönsehaut verabreicht
dieses kleine gedicht oder was es auch sein sollte, war einfach nur genial...einfach zu geil
und dann haben sie sich endlich getroffen...aber ich will endlich wissen, was in diesem umschlag drinne ist...hoffentlich lüftest du das geheimnis im nächsten teil
und wer ist jetzt dieser john?...kennen wir den schon irgendwo her?
freu mich schon auf einen neuen teil von dir
mfg lava Cool

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Perfect love is rare indeed - for to be a lover will require that you continually have the subtlety of the very wise, the sensitivity of the artist, the acceptance of the saint. [Leo Buscaglia]
#39

Hallo :knuddel:

Freut mich, dass dir der Teil gefallen hat. Vielen Dank für dein tolles Feedback!
Zu deiner Frage: Nein, John kam davor noch nicht vor. Er ist aber eigentlich eher eine Randperson.

@alle: Ich hab noch einen kleinen Teil für euch. Hoffe, er gefällt euch.
Freu mich - wie immer - über FBs!

Bussi Selene


19. Teil

Lillian

Spanish Harlem, 2000

Auf den Straßen hatten sich bereits breite Schlammpfützen gebildet. Lillian schlüpfte eilig aus den nassen Schuhen und betrat das kalte Wohnhaus. Sie stellte diese schließlich auf die alte braune Matte vor der Wohnungstür. Lillian wühlte in ihrem Rucksack nach dem Schlüssel, als die Tür plötzlich geöffnet wurde.
„Mein Gott, Lillian! Endlich!“ Ana fasste sich erleichtert an die Brust. „Schon wieder so ein Unwetter. Ich habe mir schon große Sorgen um dich gemacht! Nimm die Schuhe mit herein! Consuela Moldavo hatte ihre gestern nur für eine Stunde zum Abtropfen draußen stehen gelassen. Als sie diese holen wollte, waren sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Heilige María, diese Welt wird immer schlechter! Jetzt werden sogar schon arme alte Frauen ihrer Schuhe beraubt.“
Lillian folgte ihrer Großmutter in die Wohnung. Ein warmer Duft strömte ihr entgegen.
„Ich habe uns Hühnersuppe gekocht.“ Ana lächelte. „Heute wirst du dir Zeit zum Essen nehmen, sonst wirst du noch krank. Immer diese jungen Dinger mit ihrem Schlankheitswahn. Glaubst du, dass du diesem Taugenichts als dürre Bohnenstange besser gefällst?“
Lillian seufzte. „Ich möchte gar nicht abnehmen, Großmutter. Ich bin diese Woche lediglich wenig zum Essen gekommen. Meine Abschlussprüfungen stehen unmittelbar bevor.“
„Dein Körper sollte dir aber wichtiger sein. Jetzt ist Wochenende, Kind. Ruhe dich doch ein wenig aus. Was macht Arturo denn heute Abend?“
Lillians Augen weiteten sich überrascht. Ana musste sich tatsächlich ernsthaft um sie sorgen, wenn sie sogar wollte, dass sie sich mit Arturo traf. „Ich werde ihn anrufen.“
„Mach das, Kind. Die Suppe braucht ohnehin noch ein wenig.“
„Jetzt gleich?“
„Natürlich. Sonst verabredet er sich noch mit einer anderen.“ Ana beobachtete Kopf schüttelnd, wie gemächlich ihre Enkeltochter den Telefonhörer des alten Telefons ergriff und die Nummer wählte.
„Hallo Arturo.“ Lillian schenkte ihrer Großmutter einen kurzen Blick. „Großmutter wollte, dass ich dich während deiner Arbeit störe und um ein Treffen heute Abend bitte, damit du keine andere mir vorziehst...“ Sie zwinkerte Ana zu.
Diese stemmte die Arme in die Hüften und schüttelte Stirn runzelnd den Kopf. Gleichzeitig freute sie sich aber auch, dass Lillian endlich etwas besser gelaunt klang. Ihre Enkeltochter war seit ihrem Gespräch vor bald zwei Wochen sehr einsilbig und stets in ihren Schulbüchern versunken gewesen.
„Ja, das klingt gut. Ich habe die ganze Clique ohnehin schon lange nicht mehr gesehen...Elena? Ja, ich kann sie fragen. Eine gute Idee. Auch sie sollte wieder einmal raus. Aber es kommt darauf an, ob sie einen Babysitter für den Kleinen bekommt...“
„Sie soll Emilio zu mir bringen!“ Mischte sich Ana in das Gespräch ein. Sie liebte Elena beinahe wie eine zweite Enkeltochter und vergötterte ihren kleinen Sohn.
„Großmutter, ich spreche gerade mit Arturo, nicht mit Elena. Aber sie freut sich gewiss über das Angebot, ich werde es ihr nachher sagen...Arturo? Ja, ich bin wieder da...Halb acht? Wo treffen wir uns?“
„Er soll Elena und dich abholen! Es ist nachts sehr gefährlich für junge Frauen!“ Mischte sich Ana erneut ein.
Lillian seufzte genervt. „Könntest du uns um halb acht abholen? Danke.“
„Er soll tanken!“
„Meine Großmutter möchte, dass du davor auftankst...okay...“ Lillians Mund zog sich zu einem Schmunzeln. „Also bis dann...ja, ich denke daran.“ Sie lachte. „Bye.“
„Woran sollst du denken?“
Lillian legte auf und wählte Elenas Nummer. „An Spitzenunterwäsche.“
„Wie bitte?“ Ana musterte ihre scheinbar zur Unzucht verführte Enkeltochter schockiert.
Lillian lachte. „Nur an ein Buch, das er mir schon vor Ewigkeiten geborgt hat...Hi Elena, ich bin es, Lillian...“ Nach einem kurzen Gespräch setzte sie sich zu Ana auf das Sofa. Diese hatte den Tisch bereits gedeckt und Suppe in die Schüsseln gefüllt.
„Empfindest du solche Witze als amüsant?“
„Nein, natürlich nicht. Entschuldige bitte.“ Lillian kostete von der Suppe. „Die Suppe schmeckt sehr gut, danke.“
„Das ist ein Rezept deiner Urgroßmutter, sie war eine begnadete Köchin. Kommt Elena mit euch?“
„Ja. Sie nimmt dein Angebot dankend an.“
„Das freut mich. Ich hab den Kleinen schon lange nicht mehr gesehen.“
„Er ist wirklich goldig.“ Lillian lächelte.
„Wer kommt denn heute noch mit euch?“
„Nur ein paar Freunde Arturos.“ Antwortete Lillian wahrheitsgemäß, bereute aber sogleich ehrlich gewesen zu sein.
Auf Anas Stirn bildete sich eine Falte. „Mir gefällt dieser Umgang nicht.“
„Du wolltest, dass ich Arturo anrufe. Er hatte sich bereits mit seinen Freunden verabredet, jetzt unternehmen wir eben alle etwas gemeinsam. Keine Sorge Großmutter, wenn sie auf den Gedanken kommen Consuela Moldavos letztes Paar Schuhe zu stehlen, werde ich sie persönlich davon abhalten.“
Ana lächelte milde. „Der Junge bedeutet dir sehr viel, nicht wahr?“
„Was? Von wem sprichst du?“
„Natürlich von Arturo. Ich versuche seit zwei Wochen dich wieder aus deinem Schneckenhaus zu locken und dich ein wenig aufzuheitern. Vergeblich. Dann telefonierst du mit Arturo und bist wieder beinahe meine vorlaute Enkeltochter.“
„Ich stehe zurzeit nur unter großem Stress. Sei unbesorgt, Großmutter. Wenn die Prüfungen vorbei sind, wird alles wieder sein wie früher.“ Dies hoffte Lillian zumindest. Ihre Bedrücktheit und Zurückgezogenheit hatte noch andere Ursachen, welche sie jedoch zu verdrängen versuchte. „Ich bin es Arturo eigentlich schuldig, dass ich mich heute mit ihm treffe. Schließlich habe ich unser Treffen letzte Woche so kurzfristig abgesagt.“
„Das erklärt aber immer noch nicht, warum er es war, der dich aufheitern konnte.“
Lillian seufzte. „Du solltest da nicht zu viel hineininterpretieren.“
„Nein? Die Leute reden schon...“
„Das tun sie doch immer! Was sagen sie denn diesmal?“
Ana senkte den Blick. Sie hatte ihrer Enkeltochter eigentlich noch nicht von den Worten Consuela Moldavos erzählen wollen. Schließlich hatte Lillian gerade genügend andere Sorgen.
„Großmutter?“
„Sie behaupten, Arturo und du würdet euch in aller Öffentlichkeit unzüchtig benehmen...“ Ana blickte auf ihren Tellerrand.
„Was?“ Lillians Augen weiteten sich. „Wann und wo soll das geschehen sein?“
„Das weiß ich nicht, Kind.“
„Du glaubst das doch nicht?“
Ana seufzte. „An diesem Gerede ist meist ein Körnchen Wahrheit...“
Lillian runzelte wütend die Stirn. „Ach ja? Demnach war auch ein Körnchen Wahrheit an dem Gerücht, dass meine Mutter ständig fremdgegangen ist? Oder dass du eine verbitterte alte Junger mit bösen Gedanken bist?“
Ana fasste sich an die Brust. „Oh mein Gott. Lillian, so spricht man nicht über Verstorbene schon gar nicht über seine eigene Mutter - möge sie in Frieden ruhen...Hast du mit ihm geschlafen?“
„Was wäre daran so schlimm?“
„Ihr seid nicht verheiratet, nicht verlobt, nicht einmal liiert!“
„Wir sind Freunde, Großmutter. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ Lillian seufzte genervt.
„Du hast mir noch immer nicht geantwortet.“
„Ja, wir haben miteinander geschlafen. Am liebsten machen wir es vor Kirchen!“
Ana schlug die Hände zusammen. „Oh mein Gott! Was würde deine Mutter sagen? Möge sie in Frieden ruhen.“
Lillian seufzte. Ihre Stimme wurde sanfter. „Großmama, Arturo schätzt und respektiert mich. Wir sind uns tatsächlich näher gekommen, aber - wie es sich gehört - in einem geschlossenen Raum, weit entfernt und abgeschirmt von Blicken der Öffentlichkeit.“
Ana begann sich ein wenig zu entspannen. Sie hatte natürlich gewusst, dass dieses Gerücht nicht stimmte, hatte sich aber davor gefürchtet, wieviel Wahrheit tatsächlich dahinter steckte. „Aber trotzdem ist es moralisch nicht korrekt. Woher willst du wissen, ob er dich nicht ausnützt?“
„Das weiß ich, Großmutter. Vertrau mir, bitte.“
Ana wischte sich über die Stirn. „Ich habe Kopfschmerzen und werde mich hinlegen. Wasch bitte das Geschirr ab und wecke mich rechtzeitig.“ Sie stützte sich beim Tisch ab um sich leichter erheben zu können.
„Großmama?“
Ana seufzte leise und sah ihre Enkeltochter an.
„Soll ich dir einen Tee kochen?“
„Nein, danke. Ich brauche nur ein wenig Schlaf.“
Lillian beobachtete Ana besorgt, als diese in ihr Zimmer ging. Zum ersten Mal fiel ihr bewusst auf, wie sehr die Frau in den letzten Jahren tatsächlich gealtert war. Lillian stellte das Geschirr nachdenklich auf die kleine Ablagefläche beim Waschbecken und setzte sich wieder. Hatte sie genügend Rücksicht auf Ana genommen oder wurde sie dieser zunehmend zur Last? Warum hatte sie sich bei ihrem vorigen Gespräch nicht anders verhalten? Auch wenn Ana sehr konservativ und oftmals schwierig war, war sie doch eine herzensgute Frau, welche stets für sie da gewesen war. Und wie hatte sie es ihr gedankt? Lillian seufzte leise. Sie war noch immer wütend, weil ihre Eltern und ihre Großmutter ihr die Adoption verschwiegen hatten. Lillian wollte es nicht zugeben, aber tief in ihrem Herzen war die Enttäuschung und Wut noch immer vorhanden. Wann würden diese Gefühle endlich nachlassen? Sie musste sich anderem widmen. Lillian beschloss den Abwasch später zu erledigen und zog ein Schulbuch aus dem Rucksack. Die letzten beiden Wochen hatte sie sich bemüht ihre Zeit ausschließlich dem Lernen zu widmen. Doch sie war aufgrund ihres Konzentrationsmangels schon froh gewesen, wenn sie nur ein einziges Kapitel pro Tag geschafft hatte. Das Gespräch mit Oksana hatte sie noch mehr verwirrt. Ein unübersichtlicher Schwarm von Gefühlen schien sie regelrecht zu erdrücken, sie glaubte zeitweise nicht mehr atmen zu können. Lillian legte das Buch zur Seite und erhob sich zögernd. Die Tasche stand noch immer in dem kleinen Schrank. Sie hatte sie seit letzter Woche nicht mehr angefasst. Ihre Hände zitterten, als sie den dicken Umschlag herauszog. Er war dunkelgrau und hatte A4-Format. Sie atmete tief durch. Der Druck auf ihrem Herzen verstärkte sich. Ihre Knie zitterten, als sie auf das alte Sofa sank. Lillian blickte aus dem Fenster. Der Regen war stärker geworden. Aus dem Schlafzimmer Anas war ein gleichmäßiges, leises Schnarchen zu vernehmen. Wie viele Kopfschmerztabletten hatte sie wohl diesmal geschluckt? Lillian verdrängte den Gedanken und fixierte den Umschlag. Er war auf der Seite zugeklebt. Sie strich mit dem rechten Zeigefinger über die Klebestelle. Lillian griff zögernd nach ihrem kleinen Taschenmesser und setzte es langsam an. Sollte sie den Umschlag tatsächlich öffnen? Was versprach sie sich davon? Sie glaubte der Druck auf ihrem Herzen würde sie ersticken, als ihre Finger in den Umschlag glitten. Sie spürte ein zusammengefaltetes Blatt Papier und einen dicken Stoß Zetteln, welche sich offenbar in einem Art Schnellhefter befanden, darunter. Sie zog das Papier zögernd heraus. Es war dreimal zusammen gefaltet worden. Sie faltete es langsam auseinander. Ihre Finger zitterten, sie war jeglicher Gedanken unfähig.

Meine liebste Tochter,

Lillian starrte auf die Zeile. Die Schrift war fein und geschwungen. Eine junge Frau hatte den Brief vor Jahren an sie geschrieben. Die Frau, welche ihre leibliche Mutter war. Lillian atmete tief durch. Was konnte sie ihr mitteilen wollen? Wollte sie es überhaupt wissen? Diese Frau hatte sie nicht gewollt. Gab es dafür eine Entschuldigung? Was sollten diese Zeilen außerdem schon an ihrem Leben ändern? Sie wollte den Brief schon weglegen, entschloss sich aber schließlich ihn weiter zu lesen.

Du ahnst nicht, wie schwer es mir fällt diesen Brief zu schreiben, während du - mein kleines Mädchen - gegenüber in dem kleinen Gitterbett liegst und friedlich schläfst.

Ich hoffe jeden Tag aufs Neue, diesen Brief niemals beenden zu müssen. Doch es ist das Beste für dich, auch wenn du es jetzt noch nicht verstehen magst.

Jedes weitere Wort, jeder Satz, welchen ich diesem Brief hinzufüge, scheint mein Herz ein wenig mehr zu brechen.

Ich frage mich, wie alt du wohl sein wirst, wenn du dies liest. Wie du aussehen wirst. Wo du leben wirst.

Du bist vorhin erwacht und hast mich mit deinen wunderschönen Augen angelächelt. Du hast die Augen deines Vaters. Dein Haar ist im Moment noch so hell wie meines, es wird aber wahrscheinlich noch dunkler werden.

Ich habe dir ein Lied vorgesungen und du bist in meinen wiegenden Armen wieder eingeschlafen. Meine eigene Mutter wog mich auch immer mit dieser Melodie in den Schlaf.

Meine liebste Tochter, du bist mein Ein und Alles. Mein Herz, mein Atem, meine Seele.

Ich habe dich von dem Moment an geliebt, als ich erfuhr, dass du in mir heranwächst. Das sollst du wissen, es ist wichtig.

Du bist so zart, deine Haut ist wie Porzellan.

Du bist noch keine fünf Monate alt, aber du bist schon jetzt wunderschön.

Meine liebste Tochter, hasse mich nicht für das, was ich tun muss. Denn ich habe keine andere Wahl.

Ich habe meine Geschichte in den letzten Monaten niedergeschrieben und lege sie dir in den Umschlag bei. Es steht dir frei, sie zu lesen. Fühle dich keinesfalls dazu verpflichtet. Ich möchte dich nicht aufwühlen, du sollst nicht meinetwegen leiden müssen. Aber es ist meine Pflicht als die Frau, die dich der Welt gegeben hat, es dir zu ermöglichen meine Geschichte zu erfahren.

Damit du es verstehst.

Lillian, meine liebste Tochter. Mein Herz wird dich begleiten, wohin auch immer dich dein Weg führen mag. Ich werde immer bei dir sein.

Sei stark und lebe dein Leben aus tiefstem Herzen, mit Lust und Freude, aber auch Bedacht. Lebe im Hier und Jetzt und gehe deinen Weg. Sieh nicht zurück, blicke stets nach vorn.

Ich liebe dich, mein kleines Mädchen, und hoffe, dass eines Tages der Moment kommen wird, in dem du mir wirst verzeihen können.

Ich werde für immer bei dir sein.

In ewiger Liebe,
deine Mutter,
Sarah
#40

hey selene
wie schnell schreibst du bitte?man kommt ja fast gar nicht hinterher
dann is ja gut wenn john nur ne randperson ist, sonst komme ich total durcheinander mit den ganzen namen und den personen
endlich hat sie den umschlag geöffnet
der brief war einfach wunderschön geschrieben...hatte richtig gänsehaut
und das gespräch davor mit ana war einfach klasse
musste richtig lachen...einfach genial
freu mich schon auf den nächsten teil
mfg lava Cool

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Perfect love is rare indeed - for to be a lover will require that you continually have the subtlety of the very wise, the sensitivity of the artist, the acceptance of the saint. [Leo Buscaglia]


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