Man trifft sich immer drei Mal
#11

Dieses Kapitel widme ich dem Keks, deren Kenntnisse zu Hamburg mir an der einen oder anderen Stelle geholfen haben und Hevicla, die immer da ist, wenn ich am Verzweifeln bin und ein "schwerwiegendes Problem" habe. Ihr zu liebe ist meine Wahl auf Dirty Dancing gefallen.

Viel Spaß beim Lesen. Ich würde mich über FB freuen.
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Tag 3, Freitag

Vor mir sehe ich Boxershorts mit Schottenmuster und dann wache ich auf. Traum? Wahrheit! Mist. Wörter. Gehirn anschalten. So jetzt geht es besser. Was habe ich für merkwürdiges Zeug geträumt von Charlie und Jan, Charlie und Wendy sowie Charlie an sich. Jetzt klopft es und ich möchte mich verkriechen, denn es ist bestimmt Charlie, der mich gleich in meinem unnachahmlichen morgendlichen Durcheinander sieht. Ein neuer Tag ist angebrochen, alles ist vergessen. Wem versuche ich, das einzureden. Nichts ist neu, alles ist merkwürdig, peinlich und anders. Ich möchte nicht aufstehen, weiß aber, dass es mir egal sein sollte. Ich bin schließlich alt genug und sollte zu meinen Entscheidungen stehen, wie doof sie mir im Nachhinein auch vorkommen.

„Amita, bist Du wach?" Eine weibliche Stimme.
"Komm rein."
Ihr Grinsen sagt alles, als sie das Zimmer betritt. Sie weiß Bescheid, deshalb ist Leugnen zwecklos. "Hast du eine schöne Nacht verbracht?" Ich sage nichts und hoffe, dass sie auf den Punkt kommt, obwohl wir beide wissen, was der Punkt ist. Sie tritt an mein Bett, in dem ich mich aufrichte. Dann bedeute ich ihr mit der Hand, sich neben mich zu setzen. „Los erzähl. Ich will Details, ich will alles wissen."
"Da gibt's nicht viel zu erzählen, Jan hat Dir vermutlich schon alles gesagt."
"Er hat mir nur gesagt, was er gesehen hat, das war nicht alles. Er hat Euch wohl ... gestört."
"Der Moment hätte nicht unpassender sein können, da hat er durchaus Recht. Viel geschehen ist trotzdem nicht." Meine nichts sagende Antwort gefällt ihr nicht, das merke ich. Aber was soll ich denn antworten, wenn ich ahnungslos hier herumsitze.
"Sind Gefühle im Spiel?" Warum kennt sie mich nur so gut? Okay, sie ist meine beste Freundin, verwunderlich ist es also nicht.
"Es könnte sein." Vorsichtig nähere ich mich dem Thema. „Ich weiß es nicht. Er ist toll und süß, aber..."
"Du musst ihn nicht heiraten."
Was ist denn, wenn ich das möchte? Wenn ich denke, in ihm das gefunden zu haben, was ich suche? Das sage ich ihr nicht sondern nicke nur.
"Kommst Du gleich frühstücken?" Das gute an Wendy ist, dass sie weiß, wann es reicht.
"Ja."

Das Verhör ist beendet, langsam steht sie auf und geht zur Tür. Bevor sie das Zimmer verlässt, dreht sie sich um und lächelt mich an. Dann geht sie endgültig und ich bin noch kein Stück weiter. Mich zu verstecken, bringt aber auch nichts, daher gehe ich ins Bad, das dieses Mal frei ist. Nach meiner morgendlichen Toilette kehre ich zurück und ziehe mich an. T-Shirt und Hose - nichts verfängliches.

Zögerlich trete ich auf den Flur, weiß aber genau, dass ich so nicht in die Küche gehen kann, also straffe ich meine Schulter und richte mich auf. Mit aufgesetzter Sicherheit betrete ich den Raum, in dem alle drei auf mich warten. Ich fühle mich beobachtet, halte aber meine Maske aufrecht. Mein Verhalten ist freundlich und distanziert. Wendys Reaktion darauf ist ein viel sagender Blick, denn sie fragt sich vermutlich, was ich mit meinem Verhalten bezwecke. Das weiß ich selbst nicht, weiß mir aber auch nicht anders zu helfen. Ich habe das Gefühl, mich wieder Teenager zu sein, als jeder Junge die Liebe meines Lebens war, genau so fühlt es sich an.

Lauter Schmetterlinge wuseln durch meinen Bauch, aber das zeige ich nicht. Stattdessen beteilige ich mich mit ein paar Worten am Gespräch, so viel wie nötig ist und esse einen Joghurt. Den Rest überlasse ich den Gastgebern. Dummerweise sitze ich Charlie gegenüber, so dass er öfter in mein Blickfeld huscht, als ich es möchte. Das ist aber auch eine perfekte Ausrede, finde ich und schaue ihn daher häufiger auch absichtlich an. Unsere Blicke treffen sich dabei hin und wieder, zu oft. Dann wirft er mir jedes Mal sein unwiderstehliches Lächeln zu. Schaut er zu mir, weil es ihm wie mir geht, weil er sich fragt, warum ich so komisch bin oder weil er höflich ist? Warum frage ich mich das überhaupt, eine Antwort werde ich darauf nicht erhalten. In dieser Situation wäre ein Abonnement für eine Frauenzeitschrift nützlich, doch die habe ich nie gelesen, obwohl sie jetzt Hilfe verspricht.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als Jan mich um die Margarine bittet, die neben mir steht. Während ich sie ihm gebe, schaut er mir in die Augen. Am liebsten möchte ich meinen Blick abwenden, doch ich bleibe standhaft und erwidere ihn. Inständig hoffe ich, dass er nicht auf die glorreiche Idee kommt, mit mir ein Gespräch zu beginnen, aber es sieht so aus. Glücklicherweise rettet mich Wendy davor, indem sie von ihren Plänen für die Hochzeitsreise erzählt, die sie erst in einigen Monaten machen werden. Sie möchte in ihre Heimat zurückkehren und Jan ihrer Familie vorstellen, die nicht zur Hochzeit kommt. Lebhaft stellt sie uns die Rundreise vor, die sie geplant hat, denn Jan war noch nie in den Vereinigten Staaten und soll so viel davon kennen lernen, wie in drei Wochen möglich ist.

Innerlich bin ich ihr sehr dankbar, ziehe mich aus dem Gespräch zurück und lausche nur. Dagegen beteiligt sich Charlie rege und verrät ihr ein paar schöne Stellen an der Westküste, die zum Wandern und Campen geeignet sind. Er bietet sogar an, ihnen das alles noch aufzuschreiben, damit sie wirklich einen Plan haben. Wobei ich mich gerade frage, ob er schon die Arbeit für seinen Bruder getan hat. Das geht mich zwar nichts an, aber neugierig bin ich trotzdem. In diesem Moment schaue ich wieder in seine Richtung und unsere Blicke treffen sich, sofort erscheint das Lächeln auf seinem Gesicht; in mir beginnt wieder alles zu kribbeln und zu wuseln.

"Wollen wir nicht bald mal los, Wendy? Heute ist schließlich Shopping angesagt." Raus hier, nur noch raus hier - mehr möchte ich im Moment nicht. "Ich brauche eine Tasche Wendy, Du kennst meinen Tick: neue Stadt - neue Tasche." Voller Elan ist meine Stimme, als ich das sage, damit sie nicht merken, wie wichtig es mir ist, hier endlich wegzukommen.
"Das kriegen wir hin. Ich möchte auch los, also ..." Wendy hält etwas überraschend mitten im Satz inne. "Was ist mit Euch? Kommt Ihr mit?" Hätte sie die beiden Männer nicht einfach vergessen können?
"Selbstverständlich. Ich kann Dich nicht alleine mit der Kreditkarte losziehen lassen. Nachher ist das Konto leer und Dein Schrank voll."
"Na und? Wenigstens bin ich dann endlich mal glücklich." Während sie das sagt, lächelt sie ihn liebevoll an und küsst ihn zur Versöhnung.

Im Moment fühle ich mich fehl am Platz, zum einen ist das ein sehr intimer Augenblick, zum anderen ist mir das unmöglich, mir fehlt dafür etwas, genauer gesagt jemand. Daher fange ich langsam an, den Tisch abzudecken. Auch Charlie steht auf, nimmt ein paar Sachen vom Tisch und folgt mir. Als wir von der Kühlschranktür leicht verdeckt sind für die beiden am Tisch, beugt er sich zu mir.

"Ich hätte gerade am liebsten genau das Gleiche mit Dir getan." Verständnislos schaue ich ihn an. "Dich geküsst."

Mir fällt die Kinnlade herunter, doch Nanosekunden später habe ich mich wieder unter Kontrolle und reiße mich zusammen, anstatt spontan durch den Raum zu hüpfen. Ich bleibe ruhig und lege die Lebensmittel in den Kühlschrank. Doch er geht nicht weg sondern bleibt stehen und reicht mir weitere Lebensmittel, die ich auch verstaue. Als alles untergebracht ist, schließe ich die Tür, doch der Blick auf das Paar, das noch immer ineinander versunken ist, hält mich davon ab, zurückzugehen. Bei Charlie möchte ich aber auch nicht bleiben, deshalb entschuldige ich mich halbherzig und verlasse die Küche.

Ich gehe auf den Flur und habe Raum zum Atmen. Einmal tief ein und aus, dann kann ich wieder zurückgehen, doch als ich mich umdrehe, steht er vor mir. Flucht ist ausgeschlossen, denn der wirklich rettende Raum ist die Küche, doch den Weg dorthin versperrt er. Wenn ich zu mir selbst ehrlich bin, möchte ich hier gar nicht weg sondern die nächsten Stunden, Tage, Wochen, Monate, wenn nicht sogar Jahre hier vor und vor allem gemeinsam mit ihm verbringen. Habe ich das gerade wirklich gedacht? Ich kenne ihn doch kaum. Irgendwas stimmt mit mir nicht, entweder bin ich mittlerweile vollkommen durch oder habe einen Seelenverwandten gefunden. Unsicherheit breitet sich in mir aus, als er mir noch näher kommt.

Wieder bewegt sich sein Kopf auf mich zu und ich bin kurz davor, ihm nachzugeben, als ich Wendys Stimme höre. "Können wir bald los?" Ihre Frage ist meine Rettung.
Ich ziehe mich zurück und gehe in die Küche. "Abmarschbereit."
"Gut. Dann hole ich nur rasch meine Sachen." Sie wendet sich an ihren Verlobten und Charlie, der mir gefolgt ist. "Wenn Ihr mitwollt, müsst Ihr Euch beeilen, denn wir sind startklar und können es nicht mehr abwarten, Geld auszugeben." Sie lacht offen und freundlich. So kenne ich sie. Der Stress vom ersten Tag scheint endgültig verflogen zu sein und wird erst morgen wieder Gelegenheit haben, durchzukommen.

Rasch gehe ich in mein Zimmer, hole meine sieben Sachen und kehre zurück in den Flur. Dort wartet Wendy, die nichts machen muss, denn sie hat ihre Tasche an der Garderobe hängen. Doch auf wen müssen wir warten? Die Männer. Lange brauchen sie aber auch nicht und nur Sekunden später stehen sie vor uns. Für Charlies Äußeres habe ich heute noch keine Zeit gehabt, doch jetzt fällt mir auf, wie gut ihm die dunkelblaue Stoffhose steht, dazu ein offenes Hemd über einem T-Shirt. Er kann sich wirklich sehen lassen - egal was er anhat oder auch nicht. Meine Gedanken sollte ich wirklich zügeln, aber das ist eine andere Geschichte.

Gemeinsam verlassen wir die Wohnung und gehen zum Fahrstuhl, der für vier Personen gerade noch genug Platz bietet. Ich stehe vor Charlie, zwischen uns ist wenig Platz, so dass ich seinen Atem in meinem Nacken spüre. Meine Nackenhaare richten sich auf. Ein schönes Gefühl. Schluss damit, Amita. Für heute hast Du genug an ihn gedacht. Manchmal muss ich einfach ein Machtwort sprechen.

Vor der Tür hakt Wendy sich bei Jan unter und führt uns auf die Straße, die Charlie und ich gestern schon entlang gelaufen sind. Wir gehen direkt auf den Bahnhof zu, doch sie biegt vorher ab in die große Mall, das Mercado. Schon der Eingangsbereich ist viel versprechend, denn es gibt viele namhafte Geschäfte. Das ist mir egal, aber es ist ein Anhaltspunkt für die Vielfalt, die hier geboten wird. Im Erdgeschoss befindet sich in der Mitte eine Art Marktplatz, auf dem man Lebensmittel verschiedenster Nationen kaufen kann. In die oberen Geschosse führen Rolltreppen und Fahrstühle, dort befinden sich weitere Läden für Kleidung, Spielwaren, aber auch Hausrat und Geschenkartikel.

Ich bin fasziniert und studiere die Schaufenster, wobei sich meine Freundin anschließt. Die Männer folgen uns mit einem gewissen Abstand, wie ich bei einem Blick zu ihnen feststelle und unterhalten sich. In diesem Moment würde ich gerne Mäuschen spielen, doch ich bleibe bei den Schaufenstern. Die sind wesentlich interessanter als ein Männergespräch, sage ich mir selbst, um nicht in die Versuchung zu geraten. Nach und nach betreten wir verschiedene Läden, doch fündig werden wir nicht. So ganz stimmt es nicht, denn Wendy kauft immerhin eine Fliegenklatsche, auf der eine große Sonnenblume geklebt ist.

Mit der S-Bahn fahren wir in Richtung Hauptbahnhof, allerdings nehmen wir eine andere Linie als gestern, so dass wir über die Reeperbahn fahren. Am Jungfernstieg steigen wir aus und ich weiß sofort, wo ich bin, als ich an der frischen Luft stehe. Hier war ich mittlerweile schon zweimal. Langsam schlendern wir wieder über die Mönkebergstraße, nur sind wir dieses Mal zu viert und meine Augen sind auf die Schaufenster um uns herum fixiert. Charlie, der die ganze Zeit neben mir läuft, ignoriere ich, obwohl mir seine Anwesenheit durchaus bewusst ist. Mein Machtwort hat geholfen.

Hier kann ich mich nicht zurückhalten und gehe sofort mit Wendy in einen Lederwarengeschäft, das ich entdecke. Fündig werde ich allerdings nicht, denn entweder habe ich schon eine ähnliche Tasche oder sie gefallen mir nicht. Daher verlasse ich den Laden mit leeren Händen, weshalb mir die Männer erstaunte Blicke zuwerfen, schließlich habe ich am Frühstückstisch noch von meinen großartigen Plänen berichtet. Allzu lange hält mein Machtwort dann doch nicht, denn ich schaue Charlie wieder bewusst an. Er erwidert den Blick. Wir lächeln beide, ich kann es nicht abstellen und er scheint sich nichts bei meinem merkwürdigen Verhalten zu denken. Für eine Unterhaltung bleibt uns keine Zeit, denn Wendy und ich sind in unserem Element, während die Männer uns unermüdlich durch viele verschiedene Läden folgen, in denen wir nichts kaufen. Zeitweise frage ich mich ernsthaft, welche Droge sie genommen haben, dass das mitmachen. Doch die Frage erübrigt sich wenige Meter weiter, denn dort prallen unsere Welten aufeinander. Dessous gegen Männermode. Schon am Schaufenster erkenne ich, dass der Stil beider Männer getroffen ist, wobei mein Blick auf die Auslage in dem für Wendy und mich bestimmten Laden gerichtet ist.

"Wir gehen da ..." Gleichzeitig reden wir alle, benutzen dieselben Wörter, deuten aber in verschiedene Richtungen.
Diplomatisch greift Wendy ein. "Ihr da. Wir hier" Sie deutet die Richtungen mit den Händen an. "Bis gleich ... Na ja, sagen wir ... später."

Grinsend betritt sie den Laden und ich folge ihr. Die Auswahl ist groß, vom baumwollenen Nachthemd bis zum Hauch von Nichts ist alles vertreten. Ein grober Blick reicht mir völlig, um zu wissen, dass ich hier fündig werde, die Frage ist nur, was ich finden will und für welchen Anlass ich etwas suche. Am Rande bemerke ich, dass meine Freundin sich mit einer Angestellten unterhält, die sofort auf sie zugeeilt ist, als wir den Laden betreten haben. Vielleicht braucht sie Hilfe. Ich höre genauer hin, verstehe aber kein Wort, denn sie redet deutsch, eine Sprache, die ich nicht mal bruchstückhaft beherrsche. Bejahen, verneinen und nach der Toilette fragen ist alles, was mein Wortschatz hergibt.

Gerade, als ich die wenigen Schritte auf sie zugehen möchte, um sie zu fragen, wendet sie sich mir zu und sagt mir, dass sie in die Umkleide am Ende des Ladens geht. Dann macht sie sich auf den Weg und ich wende mich den Dessous links von mir zu. Es sind durchweg schöne Dinge, mit viel Spitze und den verschiedensten Farben. Die Entscheidung, was ich anprobiere, fällt mir schwer, zudem bin ich mir nicht sicher, welche Teile ich kombinieren möchte. Schließlich, nachdem ich die Reihe zwei Mal betrachtet habe, nehme ich ein relativ schlichtes, schwarzes Ensemble sowie ein türkisfarbenes mit pinken Nähten und folge der Wegweisung von vorhin.

"Wendy?"
"Ich bin in der mittleren Umkleide."
"Ich bin dann rechts von Dir."
"Magst Du vorher mal schauen?"
"Klar." Ich gehe zu ihrer Umkleide und ziehe den Vorhang leicht zur Seite. Vor mir steht sie in einem seidig zarten, weißen Neglige, dass ihre durchaus weibliche Figur zur Geltung bringt. Das Highlight ist eine rosa Schleife am Ausschnitt. "Du siehst wunderschön aus."
"Denkst Du, dass das Jan gefallen wird?"
"Wenn nicht, ist er ein Trottel, aber den Eindruck macht er eigentlich nicht auf mich. Also: ja!"
"Dann nehme ich es." Sie ist dabei, sich umzudrehen, als sie innehält und sich wieder mir zuwendet. "Und was hast Du? Zeig mal." Meine Auswahl strecke ich ihr entgegen. "Ist das für einen bestimmten Anlass?"
Überrascht schaue ich sie an. "Wer weiß?" Eine kryptische Antwort. Das Lächeln in meinem Gesicht ist vorprogrammiert.
"Los, probier es an."

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#12

Als ich den Vorhang schließe, kommt die Angestellte auf mich zu und spricht mich an. Wieder verstehe ich kein Wort und muss auch so schauen, denn sie geht zur mittigen Umkleide, aus der Wendy ihren Kopf steckt. Mit wenigen Worten klärt sie die Situation und die Angestellte geht davon. Jetzt betrete ich die andere Umkleide und ziehe mich aus, um dann in das erste Ensemble zu schlüpfen. Es passt wie angegossen, um ehrlich zu sein, hebt es sogar noch ein paar Stellen hervor.

"Wendy?"
"Warte, ich bin gleich fertig." Ungeduldig warte ich.

Nur Sekunden später schiebt sie meinen Vorhang ein wenig zur Seite. Mit großen Augen starrt sie mich an. "Nicht gut?" Vorsicht liegt in meiner Stimme.
"Mir ... mir fehlen die Worte. Das ist atemberaubend. Damit hast Du Charlie in der Tasche."
"Das ist nicht meine Absicht."
"Genau. Und ich bin die Kaiserin von China." Gekonnt verdrehe ich meine Augen. Die beste Freundin hat viele Vorteile, keine Frage, aber sie kennt einen auch zu gut. "Warte kurz." Der Vorhang fällt zur Seite und ich bin wieder allein.

Derweil probiere ich die türkisfarbene Wäsche an und denke nebenbei nach. Habe ich wirklich vor, ihn so zu verführen? Ich bin mir gerade unsicher, sehr unsicher. Als ich beide Teile angezogen habe, betrachte ich ein weiteres Mal im Spiegel mein Abbild und muss grinsen. Jetzt bin ich mir, dass ich einen Waffenschein dafür benötige. Wie lange ich da stehe, weiß ich nicht, doch plötzlich erscheint ihr Kopf wieder zwischen Vorhang und Kabinenwand.

"Hier. Probier ... Amita, das ist großartig." Mehr sagt sie nicht, reicht mir aber einen roten BH mit schwarzer Spitze und zieht sich wieder zurück. Auch den probiere ich an und finde ihn schön.
"Und?" Selbst durch den Vorhang kann ich ihre Ungeduld hören.
"Gut. Der ist gekauft."

Das Zeitgefühl habe ich längst verloren, als ich die Umkleide verlasse und zur Kasse gehe. Ohne mit der Wimper zu zucken, unterschreibe ich den Beleg für die Kreditkartenabbuchung. Das Geld ist es wert, eindeutig. Auch Wendy zahlt. Mich würde interessieren, ob sie dabei an Jans Worte vom Frühstückstisch denkt, frage sie aber nicht. Gemeinsam gehen wir raus in die Sonne.

Von den Männern fehlt jede Spur, deshalb betreten wir den Laden nebenan. Auf einem Stuhl sitzt Jan und hat rechts von sich eine Tüte auf dem Boden stehen, weshalb Wendy zu lachen beginnt. Er bemerkt uns nicht, denn er spielt mit seinem Mobiltelefon. Sofort geht sie mit mir im Schlepptau zu ihm und spricht ihn auf die Ironie seiner frühmorgendlichen Aussage an, währenddessen schaue ich mich um. Charlie ist nirgends zu sehen. Als ich Jan nach ihm frage, deutet er grinsend auf die Umkleidekabinen, auf die ich zugehe. Gerade in dem Moment tritt er heraus und ist mit einem perfekt sitzenden, schwarzen Anzug, dazu passenden, schwarzen Schuhen und einem hellblauen Oberhemd gekleidet. Er zupft an der Kleidung herum und hat noch nicht den Blick gehoben.

"Kann ich das so..." Jetzt hat er mich entdeckt. "Oh, ich dachte Du bist ..."
"Jan?! Nein, der bin ich nicht, der ist bei seiner Zukünftigen." Ich kann auch Grinsen, so ist es nicht, obwohl Frauen doch eher zum Lächeln neigen. "Und zu Deiner anderen Frage: Ja, das kannst Du tragen. Es steht Dir ausgezeichnet." Woher kommt plötzlich die vorlaute Art?
"Danke." Sehe ich da einen dezenten Tick rot in seinem Gesicht? Bin ich zu direkt? Es ist merkwürdig, bei ihm bin ich alles, nur nicht die, die ich sonst bin. Er kennt mehr Seiten von mir als die meisten, dabei habe ich ihn erst vorgestern kennen gelernt.
"Gern geschehen. Möchtest Du das morgen tragen?" Neugierig bin ich nicht. Nein!
"Ich denke schon. Die Sachen haben mich angesprungen. Ich musste sie anprobieren."
"Das ist eine typische Ausrede für Anproben und auch Käufe, die nicht notwendig sind."
"Du hast mich ertappt, aber schick ist er trotzdem."
"Dann kauf ihn Dir." Wieder lächle ich und ertappe mich dabei, wie ich ihn mir in dem Anzug neben mir vorstelle, wenn ich morgen fertig zum Ausgehen bin. Optisch passen wir gut zusammen.
"Okay, was möchtest Du für die fachliche Beratung haben?" Ich bin irritiert.
"Das ist gut so."
"Nein, ist es nicht."
"Doch. Du hast schon mehr als genug getan für mich. Ich schulde eher Dir etwas, also sind wir quitt."
"Ausnahmsweise lass ich das durchgehen."
"Sehr schön. Beeil Dich, damit wir weiter können."

Langsam gehe ich zu den anderen beiden zurück.

"Du warst lange weg, Amita. Hast Du was Schönes erlebt?"

Obwohl ich Jan nicht kenne, weiß ich genau, was er im Moment denkt, denn sein Blick sagt alles. Das werde ich mir wohl in Zukunft ständig anhören dürfen. Die Kunst des Zusammenreißens sollte ich dringend erlernen, dann komme ich nicht in Situationen, die so etwas nach sich ziehen. Ich beachte seinen Spruch nicht. Für ihn scheint es aber beendet zu sein, denn er wechselt ohne mit der Wimper zu zucken das Thema und schlägt vor, Essen zu gehen, wenn Charlie endlich fertig ist. Ich frage mich gerade ernsthaft, wie lange er schon wartet, denn er hat wirklich endlich gesagt. Und ich dachte immer, Frauen sind anstrengend, wenn es ums Einkaufen geht.

Während ich darüber nachdenke und unwillkürlich Jan dabei anschaue, fällt mir auf, dass auf ihn einige Klischees zutreffen. Er trägt eine Brille, ist etwas zu blass, so als ob er niemals das Tageslicht sieht und hat ein paar Pfund zu viel auf den Rippen, die ich persönlich nicht störend finde, denn sie passen zu ihm. Ich weiß zwar, dass er absolut nicht dem Klischee entspricht, aber optisch passt er ins Muster. Bei mir in der Firma sehen die Männer alle ähnlich aus und haben von Mode noch nichts gehört. Glücklicherweise ist Jan gerade in der Beziehung erfreulich anders, außerdem sitzt er nicht jede Minute, egal ob Freizeit oder Arbeitszeit, vorm Computer. Ich sollte ehrlich zu mir sein und nicht so über meine Kollegen denken, denn ich gehöre dieser Randgruppenerscheinung selbst an, auch wenn ich dem Klischee nicht entspreche und auch nicht entsprechen möchte.

Endlich kehrt Charlie zu uns zurück, aber er hat nicht nur die Sachen, die er eben anprobiert hat, auf dem Arm sondern noch zwei oder drei T-Shirts sowie eine kleine, aber feine Auswahl an karierten Boxershorts. Soll mir das etwas sagen? Er schaut mich an und grinst. Ob er weiß, was ich denke? Bestimmt, denn schwer zu erraten ist es nicht. Ich erwidere es einfach und belasse es dabei. Wendy dagegen wirft ihm einen Blick zu, der mehr sagt als tausend Worte, als er, nachdem er bezahlt hat, eine große, gut gefüllte Tüte in der Hand hält. Dagegen wirkt Wendys und mein Einkauf schon beinahe harmlos. Vor der Tür verstaut er so viel wie möglich in seinem Rucksack. Meine Tüte verschwindet unauffällig in meiner Umhängetasche, während Wendy mich bittet, auch ihre an mich zu nehmen.

Auf dem Gehweg stehen wir einen Augenblick lang unentschlossen herum, dann erinnere ich mich an Jans Vorschlag. Es ist Zeit fürs Mittagessen und wir wollen uns alle hinsetzen, daher schlage ich einen Fastfoodkette auf der andere Straßenseite vor. Nachdem alle zugestimmt haben, gehen wir gemeinsam dorthin und bestellen alle ungesunde Dinge. Als alle bestellt haben und ich zahlen möchte, kommt mir Jan zuvor und übernimmt die Rechnung.

Es ist schon Nachmittag, als wir uns aufraffen und wieder aufstehen. Einkaufen schlaucht sehr, wie ich feststelle, aber es macht auch sehr viel Spaß. Trotzdem reicht es mir für heute und ich möchte lieber die Stadt genießen. Den anderen geht es scheinbar ähnlich, denn der Elan ist verschwunden. Langsam gehen wir die Straße entlang, denn wir müssen zum Hauptbahnhof. Auf dem Weg dorthin erkundigt sich Wendy noch mal bei dem jetzt beauftragten Konditor nach der Torte. Offenbar ist alles perfekt und wird klappen. Sie ist glücklich.

Der Hauptbahnhof kommt in Sicht und Jan führt uns gekonnt in eine völlig andere Richtung davon. Dabei verweist er immer wieder auf die verschiedenen Dinge, die wir passieren. Unser Weg führt uns an der alten Kunsthalle und der Galerie der Gegenwart vorbei, dann gehen wir über die Lombardsbrücke. Ich bin zwar nicht Fußkrank, aber so langsam könnte ich ankommen. Noch während ich daran denke, sagt Jan, dass es nicht mehr weit ist. Wir stehen am Eingang zum Stephansplatz, doch der ist nicht unser Ziel. Wendy grinst wissend, sie kennt den Weg, ist ihn wahrscheinlich schon mehrmals gegangen. Ein kleiner Eisladen lockt mich und endlich kann ich auch mal etwas ausgeben, sozusagen der Nachtisch zu unserem Mittagessen. Zitrone, Schokolade und Banane - ich liebe es. Viel weiter ist unser Weg auch nicht, denn kurz darauf stehen wir vor einem kleinen Wasserlauf.

Endlich erfahren wir, wo wir uns befinden, denn das ist ein Eingang zu Planten un Blomen, laut Jan einer der schönsten Orte der ganzen Stadt. Wenn er es sagt, wird es wohl stimmen. Wir schlendern am Wallgraben entlang, den wir über eine kleine Brücke überqueren. Eigentlich folge ich nur Jans Anweisungen, aufgrund derer ich die Mittelmeerterrassen erblicke, ein Platz zum Ausruhen, doch das machen wir nicht. Wir gehen weiter und betreten den japanischen Garten. Gleich am Anfang mache ich ein paar Fotos, denn es ist klassisch japanisch, zumindest sagt das Schild am Eingang das. Wir gehen ein paar Schritte und die Schönheit des Ortes hüllt mich ein, die ich nur wenig später wieder mit meiner Kamera einfangen möchte. Als ich fertig bin, entschuldigen sich meine Gastgeber, da sie beide eine Toilette benötigen und lassen mich mit Charlie allein.

Mir ist es egal, ob wir zu viert oder zu zweit unterwegs sind, denn ich habe nur Augen für die Umgebung. Es ist wunderschön. Als ich mich mit Charlie darüber unterhalten möchte, schaue ich in zwei Augen, die nicht hier sind sondern einen Punkt anschauen, der für mich unsichtbar ist. Scheinbar gefällt auch ihm dieser Platz, der Leere, Stille und Einfachheit ausdrückt. Ich schlendere einfach weiter und er kommt mit. Wo seine Gedanken wohl sind, frage ich mich, erkenne aber gleichzeitig, wie schön es ist, diesen Ort mit ihm zu teilen, diese Erfahrung. Als ich ihn erneut anschaue, ist sein Blick wieder im Hier und Jetzt, denn er schaut auch mich an und lächelt dabei. Es ist eine Reaktion des Moments, als ich mich bei ihm einhake. Meine Gefühle irritieren mich, denn ich fühle mich geborgen und wohl. Etwas, das dieser Garten auch ausdrückt. Wir sind beide einfach still, was mich nicht stört.

Langsam gehen wir nach unserem Rundgang wieder auf den Hauptweg zu und mein Arm befindet sich noch immer in seiner Armbeuge. Gemeinsam folgen wir dem Hauptweg, wobei meine Gedanken zu Wendy und Jan schweifen, die schon seit geraumer Zeit auf der Suche nach einer Toilette sind. Daran ist etwas faul, denn zumindest Jan kennt sich hier aus, so dass er vermutlich nicht lange suchen muss. Ich kann sie gleich fragen, was so lange gedauert hat, denn am Ende des Weges in einiger Entfernung von uns tauchen die beiden auf. Rasch ziehe ich meinen Arm zurück und trete einen Schritt von Charlie weg. Warum ich das getan habe, weiß ich nicht.

Nur wenige Augenblicke später treffen wir uns auf der Hälfte der Strecke. Gemeinsam beratschlagen wir den weiteren Tag und entscheiden uns, noch ein wenig in dem Park zu spazieren und dann in die Wohnung zurückzukehren. Wir folgen dem Hauptweg, der an einer öffentlichen Bedürfnisanstalt vorbei führt. Ich kann mir immer weniger vorstellen, wofür die beiden so lange gebraucht haben, aber das ist ihre Sache, vielleicht haben sie einfach Zeit für sich benötigt. Am Rand des Parks entlang führt der Weg uns zum Apothekergarten, der, so erklärt Jan, nach den einzelnen Organen sortiert ist. Nach einem weiteren Fußmarsch erreichen wir den Rosengarten, in dem uns ein farbenprächtiges Meer an bunten Blüten erwartet. Der Duft ist atemberaubend. Nachdem wir auch das gesehen haben, sind wir uns einig, dass es für heute reicht.

Daher gehen wir zum Bahnhof Dammtor und fahren von dort aus mit der erstbesten Verbindung zurück nach Altona. Es ist früh am Abend, als wir uns von dort aus auf den Weg zur Wohnung machen, den Wendy noch einmal unterbricht, um noch ein paar Dinge einzukaufen. Dann geht es endgültig zurück. Als wir alle wieder in der Wohnung sind, gehe ich erst einmal in mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Nur eine Sekunde möchte ich für mich haben, ehe wir mit der Planung des Abends beginnen. Ich habe gerade meine Tasche auf dem Bett abgelegt und meine Jacke ausgezogen, als es klopft. Sekunden später bewegt sich die Klinke und Wendy betritt den Raum.

"Was möchtest Du heute Abend machen?" Ich zucke mit den Schultern. "Mit den Männern oder ohne sie?"
Viele verwirrende Eindrücke und Gedanken beschäftigen mich. "Ehrlich?"
"Würde ich sonst fragen?"
"Mir ist nicht danach. Zu viel Charlie."
"Also machen wir einen Frauenabend, schauen den einen wahren Film und machen uns für morgen schön. Das ist sehr effektiv, um die Männer loszuwerden."
Ein Lächeln. "Oh ja."
"Dann ist das abgemacht." Sachte berührt sie mich am Arm. "Mach Dir nicht so viele Gedanken, lass es einfach auf Dich zukommen."
Ganz plötzlich habe ich das Bedürfnis, sie zu umarmen, was ich auch mache. "Ich weiß nicht, wie ich es zwei Jahre lang ohne Dich ausgehalten habe."
"Ich auch nicht." Als ich mich aus der Umarmung löse, lächelt sie. "Bis gleich." Sie verlässt mein Zimmer und ich bin um einiges erleichtert.

Für einen Moment setze ich mich aufs Bett und lasse den Tag sacken. Heute habe ich weitere Eindrücke von Hamburg gewonnen, aber auch von den Menschen, mit denen ich unterwegs gewesen bin. Es ist schon bemerkenswert, wie nahe ich mich einem gewissen Mann fühle, obwohl ich ihn kaum kenne, aber es ist auch ein Teufelskreis, denn er beherrscht meine Gedanken. Ich schaffe es keine fünf Minuten, nicht an ihn zu denken. Verstecken kann ich mich aber nicht davor, deswegen verlasse ich mein Zimmer und geselle mich zu den anderen ins Wohnzimmer, die auf dem Sofa sitzen und hitzig die abendliche Unternehmung der Männer diskutieren. Als Wendy mich sieht, nickt sie mir zu und lächelt, während Charlie gerade versucht, sein Gegenüber zu überzeugen, ihm die Reeperbahn zu zeigen. Dagegen möchte Jan nur in einer nahe gelegenen Kneipe ein Bier trinken. Sie sind zu keinem Konsens gekommen, als Charlie mich bemerkt.

"Du musst nicht schöner werden, denn Du bist schon wunderschön."

Woher kommt das schon wieder? Kann er nicht einfach ganze Sätze formulieren, ohne mich zum Denken zu bringen? Andererseits finde ich das Kompliment so toll, das ich es am liebsten noch einmal hören möchte. Meine Gedanken sind so gegensätzlich und chaotisch, sagen aber insgeheim alle das Gleiche aus. Er ist perfekt. Ich hülle mich in Schweigen und warte darauf, dass die Männer eine Entscheidung treffen, die schließlich auf die Kneipe fällt. Dann machen sie sich fertig, ziehen sich Schuhe an und Jacken. Wendy verabschiedet sich mit einem Kuss von ihrem Liebsten und wünscht den beiden einen schönen Abend. Ich schließe mich den Wünschen an. Dann verlassen sie die Wohnung.

Wir ziehen uns bequeme Kleidung an, die aus meinem Nachtzeug besteht und kehren zurück ins Wohnzimmer mit der offenen Küche. Wendy steht an der Arbeitsplatte und bereitet Snacks vor. Derweil bittet sich mich, ihren Kosmetikschrank im Bad zu plündern. Mit Nagellack, den zur Nagelpflege gehörenden Utensilien, verschiedenen Gesichtsmasken und Cremes für die Hände sowie ein paar Handtüchern kehre ich zurück.

Gemeinsam setzen wir uns auf das kuschelige, dunkelrote Sofa, das zum Reinfallen und Sitzen bleiben gemacht ist. Dann startet sie den Film und es erscheinen die ersten Bilder, in denen Baby vom Sommer 1963 erzählt. Wir schauen aber nur am Rande den Film, denn wir haben ihn in Harvard so oft gesehen, dass wir ihn mitsprechen können. Stattdessen beginnen wir mit dem Verwöhnprogramm für die Fingernägel. Erst pfeilen, dann überpolieren, mit klarem Lack versiegeln und zum Schluss die Farbe darauf. Wendy entscheidet sich für einen dezenten Perlmuttton, während ich es bei klarem Lack belasse. Während die Nägel trocknen, konzentrieren wir uns auf den Film, um den ultimativen Satz mitzusprechen.

Ich habe eine Wassermelone getragen.

Einstimmig lachen wir. Dieser Film ist einfach gigantisch, trotzdem steht Wendy auf und holt während der Film läuft eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank. Sie füllt zwei Gläser damit und kehrt zurück zum Sofa. Wir stoßen auf die Liebe, das Leben, die Freundschaft und den morgigen Tag an. Dann kommt ein Lied, das wir mitsingen. Abgöttisch starren wir auf Patrick Swayzes wohlgeformten Körper, der jeden Tanzschritt so wundervoll ausführt. Das habe ich am meisten vermisst, diesen sinnlosen Spaß, der mich alles vergessen lässt. Das schafft nur Wendy. Irgendwann in der Mitte des Filmes tragen wir uns gegenseitig eine Maske auf, sinken ins Sofa und bewegen uns nicht mehr. Ich bemerke, dass mich der Tag geschafft hat und mir fallen trotz des Films immer öfter die Augen zu.

Langsam öffne ich meine Augen und schaue mich irritiert um. Ich habe geschlafen. Der Fernseher ist aus und Wendy sitzt nicht mehr neben mir, dafür steht Charlie vor mir und grinst mich an.

"Trägt man das so in Harvard?" Wovon spricht er? "Vielleicht sollte ich das auch mal probieren, sieht ... interessant aus."
"Bitte?"
"Schau mal in einen Spiegel." Sein Grinsen wird breiter. "Du bist ein wenig weiß um die Nase. Geht's Dir nicht gut?"

Die Maske, verdammt. Ich laufe rot an, was er aber nicht sehen kann. Trotzdem springe ich auf und gehe ins Bad, in dem auch Wendy steht und sich ihre Maske abwäscht. Mittlerweile ist sie steinhart geworden, denn sie hat zu lange eingewirkt. Mit etwas warmem Wasser löst sie sich schließlich doch. Nachdem ich mein Gesicht gereinigt und abgetrocknet habe, gehe ich, anstatt das Wohnzimmer zu betreten, in dem ich Charlie vermute, direkt in mein Zimmer, drehe den Schlüssel um und lege mich ins Bett.

Danke an Jo & XY ungelöst - die weltbesten Künstlerinnen
Ideenlos und stolz darauf!
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#13

Wie schaffst dus bloß, nur so lange Teile zu schreiben? Das wundert mich jedes Mal *lach*
Tolles Kapi, Dirty Dancing is ne tolle Wahl, meine Gewitterhexe :gg:
Ich habe eine Wassermelone getragen, hach ja Wub
Der Schluss is auch extrem genial, die Maske :gg: Kann ja mal vergessen werden xD
Freue mich auf Fortsetzung ^^

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#14

Du schreibst echt super.
Am besten gefällt mir, dass du so viel zu ihren Gefühlen für Charlie schreibst Big Grin
Bitte schnell weiter Smile
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#15

@Avi:
Vielen lieben Dank für Dein Feedback.
In diesem Fall ist es ganz einfach, so lange Kapitel zu schreiben, denn ich muss einen Tag in ein Kapitel bringen, da ich ausführlich bin, werden sie dann entsprechend lang.

@Katalin:
Auch Dir danke ich sehr für Deine Review.
Es freut mich, dass Dir mein Schreibstil gefällt.
Das ist meines Erachtens das tolle an der Ich-Perspektive: ich kann alle Gefühle verbraten, die mir einfallen.

Danke an Jo & XY ungelöst - die weltbesten Künstlerinnen
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#16

Vielen Dank an den Keks für das Aufmerksammachen auf die Beschriftung von Hamburger Taxen.
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Tag 4, Samstag
Der Schock vom Vortag sitzt mir noch immer in den Knochen. Frauenabende sollte man nur veranstalten, wenn man tatsächlich niemanden mehr trifft. Ich habe deshalb richtig wirres Zeug geträumt von einem Monster, das mich verschlingt und dann war da noch Charlie, der gegrinst hat und trotz Angst verdammt gut aussah. Die Nacht ist vorbei, ein neuer Tag angefangen. Glücklicherweise wird heute niemand Zeit haben, sich darüber Gedanken zu machen, denn heute ist der Tag von Wendy und Jan, da habe ich mich nicht mit mir zu beschäftigen. Basta. Die Finger sind gemacht für die Haare fahren wir später zum Friseur, das ist alles geklärt. Damit sich Braut und Bräutigam vor der Hochzeit nicht mehr sehen, fährt sie nachher mit zu mir ins Hotel, während Charlie hier bleibt. Bevor ich mir über den Ablauf des Tages Gedanken mache, sollte ich vielleicht erst mal aufstehen. Toilette, Dusche, Frühstück. Ich habe eine Liste im Kopf.

Daher stehe ich auf und arbeite meine Liste ab. Die Dinge im Bad gehen schnell, dann gehe ich in die Küche. Dort sitzen schon wieder alle drei zusammen. Scheinbar bin ich eine Schlafmütze, denn ich bin immer die letzte. Wendys Gesicht drückt Panik aus, daher versuche ich sie aus der Entfernung schon mal mit einem Lächeln zu besänftigen. Wild redet sie auf Jan ein, ob er an alles gedacht hat, ob sie an alles gedacht hat. Danach beginnt sie all das aufzuzählen, was schief gehen wird. Die beruhigenden Worte ihres zukünftigen Ehemannes haben keinerlei Wirkung auf sie, auch mein Lächeln, das sie vermutlich nicht mal wahrgenommen hat, bewirkt nichts. Während des Gesprächs komme ich noch nicht mal dazu, allen einen guten Morgen zu wünschen, das ist in dieser Situation vielleicht auch nicht angebracht.

Ich setze mich einfach an den Tisch und bereite mir mein Frühstück vor. Dann schenke ich mir Kaffee ein und beginne zu essen. Es hat keinen Sinn, irgendetwas zu sagen, ich würde eh nicht zu Wort kommen. Somit stehe ich Charlie, der in aller Seelenruhe sein Brot isst und mich dabei hin und wieder anschaut, in nichts nach. Als sich unsere Blicke treffen, ist seine einzige Reaktion ein Schulterzucken. Männer! Da ich nachher sowieso mit Wendy Zusammensein werde, bis die Hochzeit stattfindet, kann ich dann versuchen, sie zu beruhigen. Doch eigentlich ist das schon jetzt notwendig, denn sie beruhigt sich nicht mehr. Ich muss sie ablenken. Dass ihre Sachen gepackt sind, schnappe ich aus der hitzigen Diskussion mit Jan auf. Das ist gut. Denn so kann der Plan, den ich in meinem Kopf habe, durchgeführt werden. Rasch frühstücke ich, ehe ich mich mit einer gemurmelten Entschuldigung vom Stuhl erhebe und den Raum verlasse. Ohne Umwege gehe ich ins Bad und packe meinen Kulturbeutel. Als ich es wieder verlasse und in mein Zimmer gehen möchte, steht Charlie vor mir.

"Amita?"
"Die bin ich."
"Darf ich heute Deine Begleitung sein?"
Seine Frage möchte ich am liebsten mit einem lauthals geschrieenen Ja beantworten und noch ein paar Sachen anhängen, die er heute Abend auch sein darf, doch ich begnüge mich mit einer schlichten Antwort. "Natürlich. Das freut mich sehr."
Im selben Moment, in dem ich das sage, beginnen seine Augen zu strahlen. Zeitgleich umspielt ein freches Lächeln seine Lippen. Er ergreift meine Hände, die krampfhaft den Kulturbeutel festhalten, beugt sich zur mir hinüber und gibt mir einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange. Mehr nicht. Hat ihn mein Auftritt von letzter Nacht so verschreckt? Ich bin wieder mal verwirrt.
"Wir sehen uns dann nachher. Ich muss packen." Charlie stehen lassen, abwenden. fünf große Schritte machen, Tür öffnen, durchgehen, Tür schließen. Mein Kopf sendet einfachste Signale, denen mein Körper partout nicht folgen will. Wie angewurzelt, stehe ich vor ihm und kann mich nicht bewegen.
"Nimmst Du meine Sachen nachher mit?" Wieso geht er nicht? Wieso spricht er wieder mit mir? Wieso kann ich nicht gehen?
"Ja." Endlich habe ich die Kraft und die Willensstärke, in zu verlassen und in mein Zimmer zu gehen.


Meine Sachen lege ich feinsäuberlich in einen Koffer, den ich anschließend verschließe. Das ist eine banale Tätigkeit, aber sie hilft mir, meinen Kopf abzulenken. Meine Gedanken an Charlie habe ich so gut es geht verdrängt, als ich das Zimmer wieder verlasse, doch sein Gepäck, das wie ein Mahnmal im Flur liegt, bringt sofort meine Gedanken an ihn zurück. Mein sonst so geradlinig, logisch denkender Kopf dreht durch und kann nicht mehr klar Denken. Er ist nur ein Man, den ich nach Dienstag nicht wieder sehen werde, versuche ich mir klarzumachen. Aber auch das funktioniert nicht. Erst als ich Wendys Stimme höre, weiß ich, worum ich mich heute kümmern muss. Mein Privatleben muss ausnahmsweise zurückstecken. Ich betrete ein weiteres Mal die Küche, in der er schweigend am Tisch sitzt, Wendy mittlerweile aufgeregt gestikuliert und Jan versucht, sie mit sehr sanfter Stimme zu beruhigen.

"Komm Wendy, wir fahren jetzt zum Hotel. Heute steht noch so viel auf dem Plan: Friseur, Makeup, Outfit. Hol Deine Sachen." Sie möchte widersprechen, das sehe ich ihr an. "Los!" Ob es der Ton in meiner Stimme ist oder ihre Einsicht, weiß ich nicht, aber sie steht tatsächlich auf und verlässt die Küche. Währenddessen wende ich mich Jan zu. "Bestellst Du bitte ein Taxi?" Auch er erhebt sich, geht zum Telefon und erfüllt meinen Wunsch.



Für einen Moment sitzen Charlie und ich alleine am Tisch. Ich sollte etwas sagen, irgendwas. Oberflächlich betrachtet bietet sich immer wieder das Wetter an, alternativ ist auch die Feier heute Abend ein mögliches Thema, aber meine Zähne öffnen sich keinen Millimeter. Mein Blick ist permanent auf ihn gerichtet und er erwidert ihn, doch abgesehen von einem Lächeln kriege ich nichts zu Stande. Ich sollte endlich erwachsen werden und einfach ich sein, doch ich benehme mich so komisch. Glücklicherweise ist die Stille nicht unangenehm, auch wenn sie mich selbst stört. Diese wird erst gestört, als Jan zurückkehrt und mir sagt, dass das Taxi in wenigen Minuten da sein wird. Daher verlasse ich die Küche wieder und gehe ins Schlafzimmer, dort sitzt Wendy auf dem Bett, hinter ihr eine kleine, offene Reisetasche. Oben auf thront ihr Kleid, das Jan nicht sehen soll, daher hülle ich es in den Kleidersack, der neben der Reisetasche liegt.

"Ist da alles drin, Wendy?" Während ich rede, deute ich auf die Tasche.
Sie nickt.
"Dann schließe ich ihn jetzt, denn unser Taxi wird gleich da sein."
Wieder nickt sie nur.
Ich mache das, was ich gesagt habe, denke trotzdem über Wendy nach. "Ist alles okay?"
"Ich bin so aufgeregt. Was ist, wenn ich versehentlich die wichtigste Frage in meinem Leben verneine, wenn ich keinen Walzer mehr tanzen kann, wenn ich nicht in den neuen Schuhen laufen kann, wenn der Friseur nicht weiß, wie man eine Hochsteckfrisur macht, wenn mein Makeup vor lauter Tränen verläuft?"
Beruhigend nehme ich sie in den Arm. "Wir nehmen wasserfestes Makeup. Deine Schuhe hast Du eingelaufen. Du warst gemeinsam mit Jan beim Tanzkurs. Und wenn Du vor dem Pastor stehst und in Jans Augen blickst, wirst Du wissen, was Du antworten sollst. Mach Dir keine Sorgen, das kriegen wir alles hin. Ich bin da und nachher ist Jan an Deiner Seite." Beruhigend streiche ich ihr über den Kopf.
Kurze Zeit später löst sie sich von mir und schaut mich an. "Danke Amita." Ich lächle sie an. "Wir sollten jetzt gehen." Sie nimmt ihre Sachen und geht voraus.


Auf dem Flur warten die Männer. Sofort geht Jan geht auf seine Braut zu und sie zum Eingang, um ungestört zu sein. Flüsternd wechseln sie ein paar Worte, die ich nicht verstehe, mich aber auch nichts angehen. Ich bin wieder allein mit Charlie, der mich fragend anschaut, woraufhin ich nicke. Ja, es ist alles in Ordnung, soll diese Geste bedeuten, denn er bezieht sich auf Wendy, zumindest ist das eine logische Schlussfolgerung. Meine Geste hat er scheinbar verstanden, denn er sieht erleichtert aus. Froh, dass alles noch rettbar war, verabschiede ich mich von den Männern locker ohne jeglichen Körperkontakt. Währenddessen winkt Wendy Charlie zum Abschied zu und ehe wir die Tür durchschreiten, küsst sie Jan innig. Ich nehme meine Sachen und die von Charlie, während meine Freundin ihr Kleid und ihre Reisetasche trägt. So verlassen wir die Wohnung, gehen zum Fahrstuhl, fahren hinunter und steigen ins Taxi, das uns nicht weit fährt, aber mit Gepäck wäre es lästig das Stück zu laufen.

Vorm Hotel steigen wir aus, es ist klein, hat aber Stil. Das haben sich meine Gastgeber was kosten lassen. Sie haben eine Suite gebucht, Charlie und ich werden also weiterhin zusammen wohnen. Wir haben getrennte Schlafzimmer, teilen uns aber den Wohnbereich und das Bad. Das werde ich wohl überleben, bin sogar froh über die Nähe. Denk an deine Freundin, die ist heute wichtiger als dein Liebesleben. Mein Zimmer ist geräumig, ebenso wie Charlies. Wendy breitet sich im Wohnzimmer aus, während ich mein Schlafzimmer beziehe. Wir legen nur unsere Sachen ab, denn in weniger als 30 Minuten haben wir unseren Friseurtermin. Zum Probefrisieren war ich nicht da, doch jetzt werde ich Wendy begleiten, zum einen braucht sie vielleicht Unterstützung und zum anderen müssen meine Haare gerichtet werden. Schleunig machen wir uns auf den Weg, gehen die wenigen Meter zu Fuß, dabei strahlt uns die Sonne entgegen. Der Tag ist wie gemacht zum Heiraten.

Die Chefin kommt höchstpersönlich auf uns zu und bringt Wendy zu einem Waschbecken. Dann kommt eine Angestellte zu mir und fragt mich, ob ich auch die Haare frisiert haben möchte. Ich bejahe das und werde fast direkt neben Wendy gesetzt. Die ist aber ganz versunken und erzählt den ganzen Plan ihrer Hochzeit. Währenddessen werden meine Haare shampooniert, ausgespült und mit einer Spülung versorgt. Danach werden sie in ein Handtuch gewickelt. Mit einem Turban auf dem Kopf werde ich zu einem Platz geführt, an dem die Angestellte beginnt, mir die Haare zu kämmen und dann zu föhnen. Als sie schließlich trocken sind und in schönen Wellen meine Schultern hinabhängen, beginnt sie fachlich versiert, sie hochzustecken. Am Ende zaubere ich aus meiner Handtasche eine türkisfarbene Blüten, die ich ihr gebe mit der Bitte, sie mir ins Haar zu stecken. Als das getan ist, bin ich fertig. Erst jetzt schaue ich zu Wendy, deren lange, blonde Haare mittlerweile hochgesteckt sind. Einzelne Strähnen zu Locken geformt hängen seitlich heraus. Im Moment wird ihr gerade eine Reihe kleiner, weißer Blüten ins Haar gesteckt, da sie keinen Schleier tragen wird. Kurz nach mir ist auch sie fertig. Zufrieden bezahlen wir und kehren ins Hotel zurück.

Der nächste Punkt auf der Tagesordnung steht an, das Schminken. Dafür bin ich zuständig. Wendy setzt sich auf einen Stuhl ins Wohnzimmer. Ich setzte mich ihr gegenüber hin und beginne mit ruhiger Hand schlichtes, nahezu farbloses Makeup aufzutragen, das ich anschließend abpudere. Dann betone ich ihre wunderschönen Augen mit leicht goldenem Lidschatten und hebe die Augen durch eine feine, schwarze Linie auf dem Lid hervor. Zum Schluss tusche ich ihre Wimpern schwarz. Ihren Lippen verleihe ein blassrosa Lipgloss farbigen Glanz. Sie ist fertig und betrachtet mein Werk im Spiegel, womit sie zufrieden zu sein scheint, zumindest sagt sie nichts Gegenteiliges.



Jetzt zieht sie ihr Kleid an. Währenddessen gehe ich in mein Schlafzimmer und beginne, mich zu schminken. Das Makeup habe ich aufgetragen, als sie mich ruft, um den Reisverschluss zu schließen. Mit dem Rücken steht sie zur Tür, so dass ich nicht sehe, wie es von vorne aussieht. Nachdem der Reisverschluss zu ist, dreht sie sich um und ich erblicke sie in ihrer ganzen Schönheit. Ein Traum. Es kein typisches Brautkleid, hat weder Spitzen noch sonstige Spielereien, sondern ist einfach ein eng anliegendes, trägerloses Abendkleid, dass am Saum weit ist. Allerdings hat es keinen Unterrock, so dass es einfach schlicht herunter hängt.

"Du bist wunderschön."
Sie schaut mich an. "Danke." Ihr Blick wandert an sich herunter. "Denkst Du, dass es Jan gefällt?"
"Das brauchst Du nicht fragen! Selbst wenn Du im Kartoffelsack zu Deiner Hochzeit gehen würdest, wärst Du für ihn die schönste Frau der Welt. Trotzdem wird er Dich genauso schön finden wie ich, glaub mir." Hoffentlich beruhigt sie das.
"Was wirst Du tragen?" Neugierde ist ein gutes Zeichen.
"Ich zeig es Dir gleich, wenn ich so weit bin."
"Ziehst Du etwas von gestern drunter?" Wendy ist wieder die alte, vielleicht nicht ganz, aber doch zu einem großen Teil.
"Das werde ich Dir ganz bestimmt nicht verraten."


Bevor ich mich ankleide, schminke ich mich zu Ende. Dezent, fast farblos bin ich, als ich fertig bin. Der Hauptaugenmerk wird eh auf meinem Kleid liegen und das will ich auch, daher ist es so perfekt. Zuerst ziehe ich einen Unterrock an, dann ein kurzes, enges, schwarzes Oberteil, das einen bauchfreien Top nicht unähnlich ist. Dann nehme ich den türkisfarbenen Stoff und lege ihn einmal um die Taille. Einen Teil des verbliebenen Stoffes lege ich sodann in Falten, die ich mit einer Sicherheitsnadel vorne befestige. Nun führe ich den Stoff ein weiteres Mal hinter meinem Rücken herum und lege ihn dann über meine Schulter nach hinten. Ich bin fertig. Die ganze Prozedur hat einige Zeit in Anspruch genommen, aber es ist ein Sari und nicht mit dem Anziehen eines normalen Abendkleides zu vergleichen. Bevor ich mich Wendy präsentiere, betrachte ich mich im Spiegel und stelle fest, dass ich ein Blickfang bin, das muss ich gestehen. Okay, das sollte ich nicht überm ich selbst sagen, aber es ist nun mal so. Perfekt ergänzt würde der Sari, wenn Charlie den Anzug von gestern trägt. Schlichte Eleganz ergänzt farbenfrohe Extravaganz.

Wie schnell die Zeit vergeht, wenn man beschäftigt ist, stelle ich fest, als ich auf den Wecker an meinem Bett schaue. Wir haben nur noch wenig Zeit. Glücklicherweise ist es nicht weit zur Kirche, so dass es relativ egal ist. Unser Chauffeur wartet sicherlich schon, denn die ganze Hochzeit ist gut durchdacht. Im Wohnzimmer sitzt Wendy neben ihrer Reisetasche auf einem Stuhl. Dass sie mittlerweile die Aufregung gepackt hat, ist offensichtlich.

"Sollen wir los?" Meine Stimme ist fest, denn sie soll ihr Kraft geben.
"Ja." Nur ein Flüstern entrinnt ihrer Kehle.
"Ganz ruhig. Es wird alles gut gehen." Mir fällt nichts Besseres ein.
Keine Antwort.


Wir stehen auf. Sie rafft ihr Kleid zusammen, damit es nicht schmutzig wird und ich meinen Sari. So gehen wir zum Fahrstuhl, doch auf dem Weg fällt mir auf, dass ich meine Handtasche vergessen habe. Rasch gehe ich zurück und hole sie. Mit einem prüfenden Blick auf den Inhalt - das wichtigste ist dabei - kehre ich zu Wendy zurück, die mittlerweile schon am Fahrstuhl ist und für mich die Tür offen hält.

Im Erdgeschoss gebe ich den Schlüssel am Empfangstresen ab, dabei erhalten wir bewundernde Blicke von den Männern und neidische von den Frauen. Verübeln kann ich es ihnen nicht, denn wir sind nach meiner vollkommen objektiven Subjektivität einfach ein Augenschmaus. Wie ich vermutet habe, wartet am Eingang schon unser Fahrer, ein Cousin von Jan, auf uns. Wendy stellt mir Christian vor, der uns in einem alten, schwarzen Mercedes zur Kirche fahren wird. Das Auto ist wunderschön mit weißen Rosen geschmückt, die auch im Haar der Braut stecken, wenn auch um einiges kleiner.

Christian hält den Wagen nah bei der Kirche, vor der noch einige Leute stehen. Der Großteil scheint schon drinnen zu sein, denn die wenigen betreten nach und nach auch die Kirche. Nur zwei junge Frauen, die kleine Mädchen an der Hand halten, bleiben stehen. Die Mädchen sind offenbar die Blumenkinder, denn sie tragen einen Korb aus dem eine bunte Blütenpracht herausschaut. Erst steige ich aus, dann Wendy, der von Christian geholfen wird. Ich warte, bis sie zu mir aufgeschlossen hat und gehe dann mit ihr zum Kirchenportal. Die Glocken beginnen zu läuten.

Die beiden Mütter drücken Wendy ganz leicht und wünschen ihr alles Gute, dann gehen auch sie in die Kirche, ihnen folgt Christian. Jetzt ist meine Zeit gekommen. Ich schaue ihr direkt in die Augen. Sie nickt und lächelt, was für ein gutes Zeichen befinde. Ihre Nervosität ist wie verflogen. Ich umarme sie, versuche dabei aber möglichst vorsichtig zu sein, um das Makeup nicht zu verwischen.

Als letzter Gast betrete ich die Kirche. Mein Blick sucht Charlie, der relativ weit vorne sitzt und mich anschaut, als ich ihn entdecke. Neben ihm ist ein Platz frei, daher bewege ich mich rasch auf ihn zu, schaue zuvor jedoch noch mal zu Jan, der überraschend ruhig vorne am Altar steht und mich anlächelt. Das Paar ist so unterschiedlich, aber für einander bestimmt. Ich setze mich neben Charlie, der einen schwarzen Anzug trägt, als ob er Gedanken lesen kann. Seine Locken hat er nicht gebändigt, sie hängen ihm ins Gesicht und betonen seine Züge.

"Du bist wunderschön, Amita." Seine Miene ist nicht ernst, aber auch nicht spöttisch. Es ist eine ehrliche Aussage, die mich sehr erfreut.
"Vielen Dank. Du siehst auch gut aus." Sein Lächeln tritt zu Tage.


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#17

Er sagt nichts mehr, denn die Orgel setzt ein und beginnt, eine langsame Melodie zu spielen. Die Mädchen betreten die Kirche und verstreuen lächelnd ihre Blumen. Mit etwas Abstand folgt Wendy ihnen. Langsam und bedächtig schreitet sie das Kirchschiff hinunter auf den Altar zu, von wo ihr Jan mit glänzenden Augen entgegen schaut. Ihr Lächeln ist so freudig, so weit. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie jemals aufgeregt war, denn das strahlt sie nicht aus. Als sie meine Sitzreihe passiert habe, schaue ich zu Charlie, der mich ebenfalls anschaut. In mir breitet sich das Gefühl von Einsamkeit aus. Ich möchte es auch, dieses Gefühl, am liebsten mit ihm. Lebendig begraben zu sein, kenne ich schon, zu leben dagegen nicht. Obwohl... In den letzten Tagen habe ich das Gefühl doch kennen gelernt und frage mich nur, ob ich damit alleine stehe.

Als der Pastor die ersten Worte an das Brautpaar wendet, kehren meine Gedanken zurück zur anstehenden Trauung. Angestrengt versuche ich, etwas zu verstehen, doch das geht nicht. Erst als der Moment des Ringansteckens gekommen ist, weiß ich, an welchem Punkt sie sich befinden. In genau diesem Moment läuft eine Träne meinen Augenwinkel hinunter. Als ich sie mit einer Hand wegwischen möchte, ergreift Charlie meine Hand. Sofort wandert mein Blick zu unseren vereinten Händen, dann zu seinen Augen. Unsere Blicke treffen sich und wir lächeln uns an. Einen Moment später hebt er seine freie Hand und wischt mit ihr sanft die Träne weg.

Dann ist die Zeremonie zu Ende und wir verlassen die Kirche nach dem Pastor und dem Brautpaar. Vor der Kirche stehen Kollegen von Jan Spalier und werfen Reis auf das Brautpaar. Am Ende müssen sie mit Nagelscheren ein Herz aus einem Bettlaken ausschneiden, durch das Jan dann seine Braut trägt. Als das bewältigt ist, beginnt das Gratulieren. Jeder schüttelt dem Brautpaar die Hand oder umarmt es. Charlie und ich stellen uns gemeinsam in die Reihe, lässt er mir jedoch den Vortritt, als wir an der Reihe sind. Meine Wünsche kommen von Herzen und das freut sich für die beiden, so dass ich wieder mit den Tränen zu kämpfen habe, doch ich schaffe es und lächle sie nur an. Charlie ist der letzte Gratulant. Nach ihm setzt sich das Brautpaar in den Wagen und fährt mit Christian zum Hotel, in dem die Feier stattfindet. Derweil finden Charlie und ich bei den Blumenstreumüttern einen Platz zum Mitfahren.

Die Fahrt vergeht wie im Flug, denn Lisa eins der Blumenmädchen ist fasziniert von meinem Sari und fragt mir Löcher in den Bauch, wo ich herkomme, woher der Sari kommt, was er für eine Bedeutung hat und ob man dort immer so was trägt. Geduldig beantworte ich all die Fragen, doch das reicht ihr nicht, ihr fällt immer noch mehr ein, das sie wissen möchte. Erst als wir vor dem Hotel stehen, hält sie inne und auch nur, weil ihre Mutter sie darum bittet. Mir ist es egal, denn ich finde Lisa und ihren Wissensdurst toll, es erinnert mich an meine Kindheit, denn ich habe auch jedem Löcher in den Bauch gefragt. Wir steigen alle aus und gehen auf den Eingang zu. Während die Familie das Hotel betritt, schaue ich mich nach Charlie um, der etwas weiter entfernt steht. Ich winke ihm zu, was er erwidert.

Gemeinsam betreten wir das Hotel und werden in einen festlich geschmückten Saal dirigiert. Die Blumen auf den Tischen sind schlicht in weiß und rosa gehalten, ebenso die Servietten. Zur Begrüßung wird uns Sekt und Orangensaft angeboten. Wir nehmen beide Sekt und unterhalten uns über die Trauung, von der er genauso wenig verstanden hat, während die Gratulationen hier ihre Fortsetzung finden, denn nicht alle Gäste waren bei der Trauung. Schließlich suchen wir unsere Plätze. Charlie und ich sitzen - wer hätte es gedacht - nebeneinander. Die liebe Wendy regelt alles, obwohl ich nicht weiß, wann sie das geplant hat. In diesem Moment tritt in Charlie wieder einmal der Gentleman zu Tage, denn er rückt mir den Stuhl zurecht. Erst dann setzt er sich. Es gibt ein Menü, das wohl typisch deutsch ist. Zuerst klare Suppe, dann verschiedene Fleischsorten und diverse Gemüsebeilagen als Hauptgang und als traditionelle Nachspeise Vanilleeis mit heißen Kirschen.

Danach ist der Brauttanz an der Reihe. Wieder ist Wendys Angst völlig unbegründet, denn sie schwebt nahezu übers Parkett, so als ob sie niemals etwas anderes gemacht hat. Bemerkenswert. Nachdem dieser Tanz, der erste Walzer des Abends, vorüber ist, werden alle anderen Paare auf die Tanzfläche gebeten. Ich mache mich auf den Weg zu meinem Platz, um das Spektakel von weitem zu beobachten, als eine Hand meinen Arm ergreift und mich nicht weitergehen lässt. Diese Hand kann nur einem Menschen gehören, deshalb bin nicht erstaunt, Charlie zu sehen, als ich mich umdrehe.

"Erlaubst Du mir die Ehre eines Tanzes?"

Die Frage lasse ich unbeantwortet im Raum stehen, denn mein Handeln sagt alles. Leichtfüßig gehe ich auf ihn zu, erfasse seine linke Hand mit meiner rechten und ziehe ihn hinter mir her. Keine fünf Schritte weiter stehen zwischen vielen, tanzenden Gästen. Auch die kleinsten unter ihnen halten sich an den Händen und tanzen im Kreis. Wir stellen uns in die Grundposition, wodurch wir uns sehr nah sind, dann ergreift er meine Hand und legt die andere auf meinen Rücken, während ich meine freie auf seiner Schulter ablege. Wir warten einen Augenblick bis wir beide den Takt gefunden haben, dann führt er mich in die eine Richtung, dann nach einer Drehung in die andere Richtung. So geht es bis zur Ankündigung eines Musikers, dass das Brautpaar die Torte anschneiden möchte.

Während wir dort hingehen, ergreift Charlie ganz selbstverständlich meine Hand. Meine Überraschtheit lasse ich mir nicht anmerken, zumindest versuche ich das. Stattdessen lasse ich es zu und gehe mit ihm gemeinsam zum Tisch, wo sich die zweistöckige, weiße Torte befindet, die mit rosafarbenen Rosen verziert ist und auf der obenauf ein Brautpaar befindet. Beim Anschneiden liegt Wendys Hand auf Jans, ein gutes Zeichen, denn das bedeutet, dass sie das Sagen hat. Stück für Stück zerteilen sie nun die Torte und verteilen sie unter den Gästen. Da wir nicht drängeln, kommen wir wieder als letzte dran und von der Torte ist nur noch ein Stück übrig, das die beiden für uns teilen wollen, doch ich winke ab, ohne mich bei Charlie zu vergewissern. So erhalten wir von den beiden einen Teller, zwei Gabeln und zwei Grinsen, bedeutungsvolle Grinsen. Dabei wollte ich nur praktisch sein und damit gar nichts ausdrücken, zumindest würde ich diese Erklärung nennen, wenn man mich drauf anspricht. Gemeinsam setzen wir uns an den Tisch und beginnen, die Torte zu essen. Genüsslich schiebt er einen Bissen in den Mund.

"Bleiben wir in Kontakt, wenn sich unsere Wege getrennt haben?" Diese Wörter spreche ich sehr leise. Es ist eher ein Flüstern, denn ich habe Angst vor der Antwort.
"Ja."

Danach teile ich mit meiner Gabel einen Bissen von unserem Stück ab und wir unterhalten uns weiter über alles Mögliche. Gleichzeitig essen wir die Torte, wobei wir uns immer ab wechseln, erst ich einen Happen, dann er. So verfahren wir bis das letzte Stück auf dem Teller liegt. Charlie ist dran, doch ich möchte es unbedingt haben, denn es ist wirklich lecker. Trotzdem sage ich nichts sondern überlasse es ihm. Behutsam spießt er das Stück auf seine Gabel, die er anhebt. Den Weg, den das Stück nun geht, verfolge ich mit einem Blick, doch er hält mitten in der Bewegung inne und schaut mich an. Dann ändert er die Richtung und führt die Gabel in meinem Mund.

Gerade als ich etwas sagen möchte, wird wieder zum Tanz aufgespielt. Ein weiteres Mal ergreift Charlie meine Hand, mehr muss er nicht sagen, denn ich möchte ebenso wie er tanzen. Doch anstatt eines flotten Liedes kommt etwas Ruhiges und der Abstand zwischen uns wird deutlich weniger, so wenig, dass ich mich an ihn schmiege. Bei all den Gefühlen in der Luft und in mir kann ich nicht anders, ihn stört es aber auch nicht, denn sobald ich in dieser Position bin, spüre ich, wie seine Hand auf meinem Rücken sich enger um mich legt, mich fast schon an ihn drückt.

Meine Wange ruht an seiner Wange, meine Lippen an seinem Ohr. "Du bist ein toller Tänzer." Wieder nur ein Flüstern.
Er sagt nichts sondern gibt einfach weiter die Richtung vor. Ich ziehe meinen Kopf ein Stück zurück, um ihm in die Augen zu schauen und lächle ihn an.
Sowohl den Blick als auch das Lächeln erwidert er. "Es kommt immer auf die Tanzpartnerin an."

Langsam lege ich meinen Kopf wieder nah an seinen, wobei meine Lippen versehentlich seine Wange streifen. Beide zucken wir nicht, denn es ist nichts Komisches mehr für mich. An seiner Seite fühle ich mich wohl und drehe so Runde um Runde mit ihm über die Tanzfläche bis die Füße schmerzen, doch auch das hält mich nicht davon ab, immer weiter herumzuwirbeln. Nur das Brautpaar zeigt dieselbe Ausdauer. Zwischendurch machen wir beide ab und an kurze Pausen, in denen wir etwas trinken und uns unterhalten, aber auch während des Tanzens unterhalten wir uns. Hauptsächlich sind es banale Themen, doch es ist nie oberflächlich. Ich habe ihm immer was zu sagen, das gefällt mir sehr. Nie habe ich das Gefühl, dass ich weg möchte, dass ich etwas Dringenderes zu erledigen habe.

Die Feier neigt sich ihrem Ende zu, Charlie und ich gehören zu den letzten Gästen. Es ist mittlerweile 5 Uhr morgens und ich bin müde, sehr müde. Die Zeit ist gekommen, um unser Hotel aufzusuchen. Das sage ich Charlie, dem die Idee scheinbar auch gefällt. Gemeinsam gehen wir zum Brautpaar, das noch immer tanzt, auch wenn sie mittlerweile alleine auf der Tanzfläche sind. Schon während wir die Tanzfläche betreten, um uns zu verabschieden, bemerkt Wendy mich und bringt Jan zum Halten. Sie lächelt mich an, aber auch Jan lächelt. Wen wundert das, schließlich sollte dieser Tag zu den glücklichsten in ihrem Leben gehören.

"Wir gehen. Ich wünsche Euch noch einen schönen Morgen." Beide lächle ich an. "Vielen Dank für das tolle Fest. Es war wirklich schön." Ich umarme erst Wendy, dann Jan.
"Es freut mich sehr, dass es Dir gefallen hat." Meine beste Freundin ist überglücklich. Ich trete ein paar Schritte zurück, damit Charlie sich verabschieden kann.
Er ergreift Wendys Hand. "Feier noch schön. Das Fest war toll." Dann wendet er sich seinem Freund zu. "Danke für die Einladung." Locker umarmt er ihn.
"Kommt gut ins Hotel. " Schon jetzt reden beide gleichzeitig, wie das erst in ein paar Jahren sein wird.

Gemeinsam schreiten wir nach draußen. Dort zücke ich mein Telefon und möchte gerade die Nummer wählen, die Jan mir gegeben hat, als überraschend ein Taxi heranfährt und das um diese Uhrzeit. Es ist frei und wir nehmen es, doch gerade als ich mich auf den Sitz fallen lassen möchte, höre ich Wendys Stimme und drehe mich um. Rasch bewegt kommt sie auf mich zu, deshalb entschuldige ich mich kurz und steige aus. In der Hand hält sie meine Tasche, die ich tatsächlich vergessen habe. Dann fällt ihr Blick auf etwas hinter mir und sie beginnt zu lachen. Als ich sie frage, was so lustig ist, deutet sich auf das Taxi, auf dem etwas geschrieben ist. Ich verstehe den Witz nicht, denn ich verstehe die Buchstaben nicht, die darauf stehen.

66 66 66 - Auf die nette Tour

Ihre Übersetzung ist sehr aufschlussreich und auch ich lache, knuffe sie aber gleichzeitig leicht in den Arm wegen ihres Gedankenganges. Dann umarme ich sie ein weiteres Mal und gehe zurück zum Taxi. Charlie hat dem Fahrer scheinbar schon das Ziel genannt, denn wir fahren sofort los, als ich wieder sitze und mich angeschnallt habe.

"Was war so komisch."
"Nichts."
"Das glaube ich Dir nicht."
"Bereit für die Wahrheit?"
"Immer - auch für alles andere." Eine eindeutig doppeldeutige Antwort.
"Wir sitzen in einem Taxi, dass uns eine Fahrt 'auf die nette Tour' verspricht." Die Wörter betone ich extra so wie Wendy zuvor, woraufhin auch er lacht.
Danach wende ich mich müde ab und schaue aus dem Fenster, daher bemerke ich nicht, wie seine Hand sich nähert. Ich erkenne es erst, als er meine damit ergreift. Überrascht drehe ich mich um und schaue in seine Augen, die meine fixieren.
"Dann sollten wir dem Taxi alle Ehre machen."
Er beugt sich zu mir. Intuitiv bewege ich mich auch auf ihn zu. Als unsere Köpfe sich fast berühren, küsst er mich intensiv, intensiver als an den ersten beiden Abenden und zu intensiv, um ein Scherz zu sein. Es ist ein Versprechen.

Das Taxi hält vor unserem Hotel. Charlie bezahlt es und hilft mir galant aus dem Wagen. Hand in Hand betreten wir das Hotel, nehmen den Schlüssel in Empfang und gehen zum Fahrstuhl. Als dessen Türen sich hinter uns schließen und wir in den fünften Stock hochfahren, kann ich schon nicht mehr anders und gehe direkt auf ihn zu. Küsse ihn, schiebe meine Hände unter sein Jackett und ziehe ihn ganz nah an mich heran. Dagegen fährt er mit seinen Fingern in und dann durch meine hochgesteckten Haare, die so ihren Halt verlieren und mir über die Schulter fallen.

Als sich die Türen wieder öffnen, sehen wir beide nicht aus, als ob wir von einer Hochzeit kommen sondern von einem Marathonlauf. Wir betreten unsere Suite und machen dort weiter, wo wir aufgehört haben. Dabei bewegen wir uns unaufhörlich auf sein Schlafzimmer zu. Auf dem Weg fallen nach und nach die einzelnen Kleidungsstücke zu Boden, bis wir beide vor seinem Bett stehen nur noch unsere Unterwäsche tragen. Während er seine stets karierten Boxershorts, dieses Mal in grün gelb trägt, habe ich die türkisfarbene Wäsche an.

"Hast Du das gestern gekauft?
Ich nicke nur.
"Dann hast Du eine gute Wahl getroffen." Genug geredet.

Im Moment zieht er mir mit seinem Blick auch den Rest aus, aber das reicht mir nicht, er soll mich auch tatsächlich ausziehen. Das macht er auch, während er mich weiterhin küsst und seine Hände meinen Körper entlang gleiten. Doch auch meine sind nicht still und schieben seine gut ausgesuchte Boxershorts über seinen Po.

Danke an Jo & XY ungelöst - die weltbesten Künstlerinnen
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#18

Ich weiss nicht was ich schreiben soll, ausser WOW Big Grin
Du beschreibst alles soo genial Top
Die Hochzeit war echt schön beschrieben Smile
Charlie und Amita :freu:
Ich freue mich schon auf den nächsten Teil Wink
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#19

@Katalin: Vielen Dank für Dein FB. Hier ist der nächste Teil.
Was sehr lange gebraucht hat, ist hoffentlich gut geworden.
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Tag 5, Sonntag

Der Tag danach ist angebrochen. Die herunter gerutschte Decke ziehe ich ein Stück hoch, so dass alle bloßen Körperteile bedeckt sind. Ein Blick auf den Wecker sagt mir, dass es kurz vor Mittag ist. Ich drehe mich um und erblicke ihn. Er liegt neben mir, schaut mich an und lächelt.


"Guten Morgen."
"Hey." Ich lächle ihn an.
"Hast Du gut geschlafen?" Er erwidert es.
"So gut, das ich es nicht in Worte fassen kann. Und Du?"
"Traumhaft schön."


Schweigen breitet sich aus, alles ist gesagt. Wir liegen beide auf der Seite und schauen uns an. Dann hebt er seine Hand und legt sie auf meine Schulter, um sanft mit seinen Fingerspitzen meinen Arm hinunterzufahren. Ein wohliger Schauer durchfährt mich bei dieser Berührung, wodurch sich auch meine Hand willkürlich auf ihn zu bewegt, mit ihr berühre ich seine Brust und male dann mit meinem Zeigefinger Muster darauf.


Noch während ich es mache, ergreift er meine Hand und bedeckt sie mit Küssen, zieht meinen Arm ein Stück zu sich heran und küsst diesen hinauf bis zum Ellenbogen. Weiter kommt er nicht, denn ich bin zu weit weg. Deshalb bewegt er sich ein Stück auf mich zu, wobei er mir zwischendurch immer wieder in die Augen schaut und fährt dann mit der Berührung durch seine Lippen fort, bis er bei meiner Schulter ankommt. Für einen längeren Moment hebt er seinen Kopf und richtet seine Augen auf mich.


Den Blick erwidere ich und bewege mich nun auf ihn zu, beuge mich über ihn und liebkose sanft seinen Mund mit meinen Lippen, dabei fallen meine Haare herunter und ihm ins Gesicht. Ich muss lachen und er lacht mit mir, dieser Moment hält jedoch nicht lange an, denn er streicht mein Haar aus seinem Gesicht und zieht meinen Kopf wieder zu sich herunter. Leidenschaftlich küsse ich ihn. Seine Decke rutscht Stück für Stück weiter nach unten.

Wieder wache ich auf, liege aber allein im Bett. Habe ich die Eskapaden vielleicht nur erträumt, war es pures Wunschdenken, frage ich mich, während ich mich umschaue. Ich hoffe nicht, zumindest bin ich in Charlies Zimmer, zudem bin ich unter der dünnen Stoffdecke nackt und erinnere mich an seine Hände auf meinem Körper.

Langsam nehme ich meine Umwelt in mich auf und bemerke Stimmen. Charlie redet mit jemandem, aber ich höre nicht richtig hin. Wieder schaue ich auf die Uhr. Es ist früh am Nachmittag. Bisher habe ich heute das Hotelzimmer und ihn erlebt, das möchte ich ändern. Deshalb ziehe ich meine Unterwäsche an, wickle mich in die Decke ein und trete, nachdem die Stimmen verstummt sind, in den gemeinsamen Wohnraum. Starr vor Schreck schaue ich auf die Couch direkt gegenüber von mir, dort sitzen Wendy und Jan, mit dem Rücken zu mir Charlie. Als erste sieht sie auf, dann er, schließlich dreht sich auch Charlie um, alle schauen mich an, deshalb wickle ich die Decke enger um mich und renne in mein Zimmer.


Die erstbesten Kleidungsstücke, die ich in die Finger bekomme, ziehe ich an. Dann setze ich mich aufs unbenutzte Bett und warte. Währenddessen fängt mein Kopf an, über die überflüssige Situation nachzudenken. Ich schaue auf die Uhr. Es sind noch keine fünf Minuten vergangen, seit ich ins Zimmer gestürzt bin, ich kann da noch nicht raus, denn sie sind bestimmt noch da. Deshalb kämme ich meine Haare und binde sie zu einem Pferdeschwanz zusammen. So sind schon mal fünf Minuten vergangen. Erst jetzt betrachte ich mich im Spiegel und sehe ein paar Reste meines gestrigen Makeups, die ich entferne, indem ich Reinigungsflüssigkeit auf ein Wattebausch träufle und damit feinsäuberlich das Gesicht abreibe. Fertig.


Natürlich kann ich hier noch stundenlang herumsitzen und warten, doch das macht die Situation auch nicht besser. Wendy wird mir sowieso Löcher in den Bauch fragen, deshalb nehme ich all meinen Mut zusammen und verlasse mein Schlafzimmer. Als ich herauskomme, sitzt Charlie allein auf dem Sofa. Ihm gegenüber setze ich mich in den Sessel, in dem er zuvor gesessen hat.


"Sie sind weg." Schweigen meinerseits. "Ich habe versucht, sie abzuwimmeln; sie wollten nicht stören sondern nur sagen, dass sie heute Abend mit uns Essen gehen möchten, sofern wir nichts anderes zu tun haben." Ein eindeutig zu deutendes Grinsen umspielt seine Lippen.
"Dann werden wir wohl dabei sein." Die Konfrontation mit den beiden wird so oder so stattfinden, also lieber früher als später. Seine Gesichtszüge wandeln sich.
"Habe ich etwas falsch gemacht?" Seine Stimme klingt ängstlich, das wollte ich nicht, deshalb muss ich ihm die Angst nehmen.
"Nein, Du hast alles richtig gemacht, um ehrlich zu sein, hast Du es sogar noch ein wenig besser als nur richtig gemacht." Woher kommen diese eindeutigen Wörter, die seine Augenbraue verräterisch zucken lassen?
"Ich muss Dir ja etwas zum Nachtrauern geben, wenn Du ohne mich nach Hause fliegst." Das Grinsen ist nun in seiner ganzen Pracht zu bewundern.
"Das könntest Du durchaus geschafft haben."


Was wichtig ist, wurde gesagt. Vielleicht interpretiere ich auch zu viel in die Wörter hinein, doch es reicht. Für mich ist klar, wie ich zu allem stehe. Ich bin glücklich, obwohl es nur unbedeutend war; eine Nichtigkeit in meinem von Arbeit geprägten Leben, an die ich mich klammere. Etwas habe ich in dem ganzen Trubel jedoch vergessen und das fällt mir jetzt ein. Eine Dusche. Langsam erhebe ich mich von dem Sessel. Bevor ich den Raum verlasse, wende ich mich Charlie zu.

"Ich geh kurz Duschen." Unsere Blicke treffen sich.
"Falls Du Hilfe beim Einseifen Deines makellosen Rückens benötigst, bin ich Dein Mann." Erstaunt schaue ich ihn an und sehe seine Mundwinkel zucken, nur einen Augenblick später ist das Grinsen zurückgekehrt.
"Wenn Du einen verzweifelten Schrei aus dem Bad hörst, darfst Du gerne vorbei schauen." Ebenso wie er grinse ich jetzt auch, zumindest versuche ich es.


Dann verlasse ich den Raum endgültig und gehe ins Bad. Dort betrachte ich mich für einen Moment im Spiegel, dann lege ich die erst kurz zuvor angezogene Kleidung ab und sorgfältig auf einen Stuhl. Den Pferdeschwanz stecke ich mit einer Spange hoch, damit die Haare nicht nass werden. Zum Schluss lege ich mir ein Handtuch zurecht, betrete die Duschkabine und stelle das Wasser an. Der zuerst kalte Wasserstrahl wärmt sich rasch auf, erst als er eine angenehme Temperatur erreicht hat, stelle ich mich darunter. Nach einer gefühlten Stunde, vom Schrumpelgrad meiner Haut her zu schließen, aber eher einer viertel Stunde stelle ich das Wasser ab und greife nach dem Handtuch, mit dem ich mich sorgfältig abtrockne. Dann gehe ich aus der Dusche heraus, ziehe mich wieder an und bin fertig.


Als ich aus dem Bad herauskomme, erwartet mich eine Überraschung, denn der Tisch ist reichlich gedeckt mit den verschiedensten Sorten Obst und Gemüse sowie diversen Backwaren. Mit einem Lächeln bedanke ich mich bei Charlie, sage aber nichts, denn ich habe Angst, dass ich ihn nach seiner Meinung frage und wissen möchte, wie er die Situation sieht. Was ich darüber denke, weiß ich genau, denn die Nacht und der Morgen sind die Erfüllung eines Traums gewesen. Heute und zwei weitere Tage kann ich noch träumen, dann muss ich in mein altes Leben zurückkehren.


Wieder setze ich mich in den Sessel und betrachte das schöne Frühstück, auf das ich keinen rechten Appetit habe. Doch aus Höflichkeit esse ich ein paar Erdbeeren und betrachte nebenbei Charlie, der beherzt zugreift. Er benötigt die Energie, hat er sich doch verausgabt. Irgendwann scheint aber auch er satt zu sein, als er den Frühstücksteller ein Stück wegschiebt und sich nach hinten lehnt. In mir macht sich mittlerweile Bewegungsdrang breit, ich möchte etwas unternehmen, etwas erleben, am liebsten mit ihm, aber das sage ich ihm nicht.


"Was hast Du heute vor?" Erschreckenderweise scheint er meine Gedanken lesen zu können.
"Raus an die Luft, in die Sonne." Unsere Blicke treffen sich.
"Nimmst Du mich mit?"
"Natürlich." Unwillkürlich lächle ich.
"Hast Du eine konkrete Idee?"
"Noch nicht, aber ich werde meinen Reiseführer zu Rate ziehen."


Rasch verlasse ich den Raum und kehre in mein Zimmer zurück. Beim Durchsuchen meiner Tasche ertaste ich mein Mobiltelefon, das ich zur Kontrolle heraushole. Ich habe tatsächlich eine Nachricht erhalten, eine sehr interessante.


Guten Nachmittag Ms Bettlaken, Du musst nicht immer alles wörtlich nehmen, was ich Dir sage. :-p Wendy


Mit einer Reaktion von ihr habe ich gerechnet, aber nicht damit. Obwohl es mich nicht interessieren sollte, ist mir ihre Meinung doch wichtig. Schließlich ist sie meine beste Freundin. Bei unserem letzten Gespräch hat sie mich motiviert, auch die Nachricht ist positiv. Wieso denke ich eigentlich darüber nach, auch wenn sie es nicht toll findet, würde sie zu mir halten, so ist sie. Die Gedanken schiebe ich beiseite und beantworte ihre Textmitteilung, dabei schleicht sich ein Grinsen in mein Gesicht.


Spricht denn etwas dagegen, Dich wörtlich zu nehmen?!^^ Amita


Das Mobiltelefon lege ich danach in die Tasche zurück, nehme sie mitsamt dem Reiseführer und gehe wieder ins Zimmer nebenan. Dort sitzt Charlie noch immer, als ob er sich keinen Zentimeter von der Stelle bewegt hat, vielleicht hat er das auch nicht. Wen interessiert das auch. Wieder setze ich mich und schaue kurz in meinen Reiseführer, finde dabei aber nichts, das mich anspricht. Nach Sightseeing ist mir nicht, ich möchte lieber eine ruhige Kugel schieben und einfach weitere Impressionen von Hamburg sammeln.


"Was hältst Du von einem Spaziergang?"
"Gerne. Hast Du ein bestimmtes Ziel?"
"Ich habe gar kein Ziel."
"Chaos?! Da komme ich gerne mit."


Er lächelt mich an, gleichzeitig ist er auch schon bereit. Männer sind anders, immer wieder. Ich bin aber auch fertig, denn meine Tasche habe ich ja schon dabei. Charlie schreitet voran zur Tür und öffnet sie, lässt mir dann aber galant den Vortritt, eine nette Geste. Dann warte ich auf ihn, um mit ihm zum Fahrstuhl zu gehen. Es ist derselbe, in dem wir heute Morgen hochgefahren sind.


Unweigerlich kehren meine Gedanken zum gestrigen Abend zurück, deshalb schaue ich Charlie an, doch der zeigt kaum eine Reaktion und lächelt nur. Das kann vieles bedeuten. Vielleicht möchte er nur freundlich sein und auf meinen Blick reagieren, andererseits denkt er vielleicht wie ich an die vergangene Nacht. Ich weiß es nicht, kann ihn einfach nicht deuten und bin still, denn mir ist die Situation unangenehm. Ihm vielleicht auch? Es wäre zumindest schön, wenn es nicht nur mir so geht. Die Fahrt und die Gedanken enden in der Lobby.


Dort steigen wir aus und trennen uns für einen Moment. Während Charlie den Zimmerschlüssel abgibt, trete ich schon nach draußen. Die Sonne, die schon Richtung Osten wandert, begrüßt mich. Begierig sauge ich das Licht und die damit verbundene Energie auf und atme ich tief die Luft ein, als er wieder an meine Seite tritt.


"Wie geht’s Dir?" Verwirrt schaue ich ihn an. "Gefällt es Dir hier?"
"Sehr sogar." Denkpause. "Urlaub ist schön, dieser hier ist perfekt."
"Ja. Es ist so anders, vielleicht weil ich kein Wort verstehe."
"Stimmt, die Sprache ist ein Problem."


Ich lächle, sage jedoch nicht mehr. Stattdessen hake ich mich bei ihm unter und ziehe ihn vom Hotel weg. Ohne Widerspruch zu leisten, lässt er das zu. Ein Ziel habe ich dabei nicht und gehe deshalb langsam die Straße hinab, irgendwann lenke ich ihn in eine Querstraße, der wir wieder ein Stück folgen, ehe er die Führung übernimmt und mich in die nächste Straße dirigiert. Stillschweigend gehen wir nebeneinander her, dabei genieße ich die Nähe zu ihm.


Uns kommt eine junge Frau entgegen, die ich bitte, eine weitere Erinnerung zu schaffen, indem sie diesen Tag festhält. Dafür gebe ich ihr meine Digitalkamera, trete an Charlies Seite, der mich dabei anlächelt und lächle schließlich selbst, als ich in die Kamera schaue. Es dauert keine Minute und das Foto ist gemacht. Wir bedanken uns und setzen unseren Weg fort, abwechselnd führen wir dabei, bis mir ein kleines Café auffällt. Noch bevor ich ein Wort sagen kann, fragt er mich, ob ich hinein möchte, so als ob wir uns schon jahrelang kennen und nicht mehr miteinander reden müssen, um uns zu verstehen. Das Gefühl ist wunderbar und so unerwartet, deshalb nicke ich nur, denn mir fehlen für einen Moment die Worte. Dann setzt er sich in Bewegung und ich betrete an seiner Seite das Café.


Drinnen ist es hell und modern eingerichtet, ein Highlight sind die bunten Bilder an den Wänden. Wir setzen uns an einen Tisch am Fenster, abseits von den anderen Gästen. Die Bedienung ist sehr geduldig, als ich mit meinen besten Brocken Deutsch einen Tee bestelle, woraufhin Charlie mich bittet, ihm einen Kaffee zu ordern. Nachdem auch das erledigt ist, lässt sie uns wieder alleine. Jetzt schaue ich ihn an und im selben Moment richten sich seine Augen auf mich. Unwillkürlich lächle ich, was er erwidert. Meinen Gefühlen lasse ich freien Lauf, Glück durchströmt mich und ein Räuspern entflieht meiner Kehle.


"Wie bitte?" Was soll ich darauf antworten? Smalltalk.
"Das Fest gestern war schön." Natürlich fällt mir nichts Besseres als das ein.
"Ja. Die beiden haben sich Mühe gegeben und etwas Besonderes geschaffen."
"Die Musik war toll, eine sehr gute Band. Es ist lange her, dass ich so viel getanzt habe."
"Wirklich?" Sein Blick wirkt überrascht. "Du tanzt wunderbar, ich habe gedacht, dass Du das regelmäßig machst."
"Danke. Dafür bleibt mir leider keine Zeit." Immer wieder macht er Komplimente, verstehe jemand diesen Mann. "Dein Stil ist aber auch nicht zu verachten."
"Meine Mutter hat darauf Wert gelegt, auch meine musische Ausbildung zu fördern, deshalb habe ich Musikunterricht bekommen und musste, als der erste Ball in der Highschool anstand, Tanzunterricht nehmen. Ich würde behaupten, dass es eine der wenigen Sportarten ist, in denen ich besser bin als mein Bruder."
"Zwischen Euch..."


Durch die Bedienung, die die Bestellung vor uns abstellt, werde ich unterbrochen. Wir bedanken uns und sie geht wieder.


"Seid Ihr Rivalen?"
"Nein, heute nicht mehr. Wir sind gleichgestellt, haben auch Gemeinsamkeiten, wie unsere Leidenschaft und Hingabe. Was wir machen, machen wir richtig." Dass er das macht, habe ich schon bemerkt. "Dagegen hatten wir früher zwei völlig verschiedene Leben mit den jeweiligen Stärken und Schwächen, die damals zwar dieselben waren, doch uns sehr unterschiedlich vorkamen. Das konnte uns nicht verbinden." Für einen Moment hört er auf zu reden und schaut mich an. "Wie ist es bei Dir, hast Du Geschwister?"
"Leider nicht. Deswegen finde ich es immer interessant, solche Geschichten zu hören."
"Geschwister sind etwas Tolles, wenn man sie zu schätzen gelernt hat." Er ist ehrlich.


Ich trinke einen Schluck, ebenso Charlie. Währenddessen denke ich über das Gehörte nach. Die Beziehung zu seinem Bruder scheint nicht einfach zu sein. Ich möchte gerade zur Antwort ansetzen, als sein Mobiltelefon klingelt. Mit einer kurzen Entschuldigung in meine Richtung nimmt er das Gespräch an und verlässt das Café, um die anderen Gäste nicht zu stören.


Derweil sitze ich alleine am Tisch und beginne, nachzudenken. Wieder fällt mir auf, wie einfach alles mit ihm ist. Wir können Reden, aber auch Schweigen - es steht kein Muss dahinter. Mir ist im Moment nach Reden, doch Charlie ist nicht da und Selbstgespräche führe ich noch nicht. Allerdings habe ich Glück, denn er betritt gerade wieder das Lokal, kommt auf mich zu und setzt sich.


"Das war Jan. Er wollte wissen, was Du von dem Essen denkst. Ich habe ihm zugesagt. Das ist hoffentlich okay?" Ich nicke und trinke Tee. "Nach dem Spaziergang sollen wir zu ihnen kommen."
"Möchtest Du los?" Unsicherheit schwingt in meiner Stimme mit.
"Nein." Dagegen wirkt seine fest. Für einen Moment schaue ich ihn an, dabei denke ich nach. Dann kehre ich zu unserem Ursprungsthema zurück.
"Hast Du Hobbies." Mit Neugierde versuche ich, meine Unsicherheit zu überdecken.
"Wandern ist meine Leidenschaft, damit könnte ich jede freie Minute verbringen. Abgesehen davon liebe ich meine Familie und unternehme viel mit ihr, wenn ich zu Hause bin." Seine Augen funkeln beim Erzählen. "Was ist Deine Leidenschaft?"
"Leidenschaft?" Mein Blick sucht seinen, doch er ist mit seinem Kaffee beschäftigt. So werde ich ihm nie signalisieren können, was oder eher wer meine Leidenschaft ist. "Zum Abschalten tauche ich gerne in Bücher ein, nichts entspannt mich besser und ich backe gerne, am liebsten Muffins, aber auch Kuchen und Kekse." Ich trinke einen Schluck Tee und werfe einen weiteren Blick über den Tisch.
"Mein letztes Buch habe ich während des Grundstudiums gelesen, glaube ich. Ein Klassiker, dessen Titel ich absichtlich vergessen habe." Dieses Mal erwidert er meinen Blick
"Moderne Werke mag ich selbst auch lieber."
"Also blutrünstige Hobbits?" Was meint er damit? Verwirrt schaue ich ihn an. "Vampire und Fantasy ist doch in, oder?" Scheinbar hat er meinen Blick richtig gedeutet, denn jetzt ergibt seine Aussage, wenn sie auch verquer ist, Sinn.
"Beliebt sind sie, aber ich bevorzuge Krimis." Dass ich auch Schnulzen mag, muss er nicht wissen.
"Krimis habe ich genug durch meine Arbeit fürs FBI erlebt." Er lächelt.
"Das ist bestimmt anders als in Romanen?!"
"Keine Ahnung. Ich habe noch nie einen Krimi gelesen."


Mit Büchern komme ich offensichtlich nicht weiter, also lasse ich das Thema und leere meinen Becher. Auch Charlies Getränk ist leer, als er den Becher nach einem weiteren Schluck absetzt. Deshalb schlage ich vor, unseren Weg fortzusetzen. Daraufhin schaut er mich mit seinen wunderschönen Augen an und nickt. Nun winke ich die Kellnerin, die an uns vorbei geht, heran und bitte um die Rechnung, die ich, obwohl Charlie Widerstand leistet, bezahle. Dann verlassen wir das Lokal und gehen weiter.


Charlie hat seinen Arm angewinkelt, ob es eine Aufforderung oder ein Zufall ist, weiß ich nicht, doch nutze ich die Gelegenheit und hake mich ein. Ihn scheint das nicht zu stören, zumindest signalisiert er das in keiner Weise. Im Moment fühle ich mich wohl, ob das am Urlaub, an meiner Begleitung oder an beidem liegt, kann ich nicht sagen, denn es ist ein sehr allgemeines Gefühl.

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#20

Die Sonne ist nicht mehr wirklich sichtbar, als wir am Hotel ankommen. Als ich Charlie, der zum Schluss die Führung übernommen hat, fragend anschaue erklärt er mir, dass er sich frisch machen möchte. So bietet sich mir die Gelegenheit, das auch zu machen. An der Rezeption hole ich den Schlüssel und gemeinsam steigen wir in den Fahrstuhl. Dieses Mal nehmen wir einen anderen, die Erinnerungen sind trotzdem da, doch die Euphorie ist verschwunden, so dass ich uns nicht vor meinem geistigen Auge sehe.

"Hat Jan gesagt, wohin wir gehen?"
"Nein." Neugierig schaut er mich an, doch er stellt keine Frage, allerdings weiß ich, was er wissen möchte, zumindest vermute ich das.
"Kann ich so los?" Ich deute auf meine Kleidung, woraufhin er grinst.
"Gute Frage. Der Sari, so schön er ist und wie gut er Dir auch steht, ist vielleicht ein Hauch zu viel."
"Ach?!" Spielerisch verdrehe die Augen, lächle aber dabei. "Ich besitze auch normale Kleidung."
"Dabei liebe ich den Hauch Indiens, der Dich umgibt."
"Dann sollte ich in Deiner Gegenwart wohl nur noch Sari tragen." Das wäre nur ein kleines Übel, wenn es helfen würde.


Die Türen des Fahrstuhls öffnen sich mit einem Pling, damit kommt das Gespräch zum Erliegen. Schweigend verlassen wir den Fahrstuhl und gehen zu unserer Suite, deren Tür ich öffne.


Sofort betrete ich mein Zimmer, denn ich möchte mir nicht zu viel Zeit lassen und ziehe einen schwarzen, kurzen Stufenrock und ein grüne Bluse an, dazu ein paar Schuhe mit Absatz. Dann lege ich ein leichtes Makeup auf, das eigentlich nur aus Wimperntusche besteht. Zum Schluss öffne ich meinen Pferdeschwanz und lasse meine Haare über die Schultern fallen. Kurz fahre ich mit den Fingern hindurch, um sie etwas aufzulockern. Meine zuvor noch große Tasche tausche ich gegen eine kleine aus, dann bin ich fertig und kehre zurück in den Wohnraum.


Charlie ist nicht zu sehen, doch ich höre die Dusche. Da ich nicht weiß, wie lange es dauern wird, hole ich aus meinem Zimmer das Buch, in dem ich gerade lese und schlage es auf. Ein paar Zeilen lese ich begierig, doch dann gehen meine Gedanken inspiriert durch das Geschehen im Buch auf Wanderschaft. Nach und nach sehe ich jedes Erlebnis des gestrigen Tages noch einmal vor meinem inneren Auge, davon ist die Trauung das harmloseste.


Ich komme bis zu den heutigen Morgenstunden, als meine Name in meine Gedanken dringt. Daraufhin schaue ich erschreckt auf, denn ich fühle mich von Charlie ertappt, der mit noch feuchten Haaren vor mir steht. Bevor ich überhaupt reagieren kann fällt mir auf, dass um seine Hüfte nur ein Handtuch gewickelt ist. Fragend schaue ich ihn an, kann jedoch meinen Blick nicht konsequent auf seine Augen richten. Stattdessen wandert der auf seinen Oberkörper, der sich so schön angefühlt hat. Währenddessen entschuldigt er sich, dass es länger gedauert hat und geht dann in sein Zimmer. Ich schaue ihm hinterher, betrachte seinen Rücken und ihn unter meinen Handflächen.


Als er die Tür schließt, hebe ich das Buch wieder ein Stück an und versuche darin zu lesen, doch eigentlich starre ich nur hinein. Die Worte ergeben keinen Sinn, egal wie oft ich sie lese. Doch zumindest meine Gedanken bleiben dieses Mal im Hier und Jetzt, so dass ich mitbekomme, als er angezogen wieder aus dem Zimmer tritt. Er trägt eine Jeans, ein schlichtes T-Shirt und darüber ein Jackett, die perfekte Mischung aus schlicht und fein. Wir ergänzen uns gut, denn ich habe mich, ohne von seiner Wahl zu wissen, für ein ähnliches Konzept entschieden. Mit seinen wunderschönen Augen schaut er mich nun an, woraufhin ich mein Buch weglege, dann streckt mir seine Hand entgegen, die ich ergreife und zieht mich leicht vom Sofa hoch. Als ich stehe, lässt er meine Hand nicht wieder los, was mich verwirrt.


Mit der freien Hand greife ich nach meiner Tasche, verlasse an seiner Seite das Zimmer und gehe zum Fahrstuhl. Während der Fahrt schaue ich ihn genau an, er sieht aus, als ob er etwas sagen möchte. Hoffentlich ist es etwas, dass ich hören möchte. Oder nicht? Ich bin mir nicht sicher. Binnen kürzester Zeit ist die Fahrt zu Ende und ich kann mich ablenken, indem ich auf unsere Schritte achte, mit denen wir langsam und gemütlich zur Wohnung unserer Freunde gehen, meine Hand ist währenddessen niemals ohne Halt. Die Klingel muss ich ungewohnterweise mit der linken Hand betätigen, während Charlie die Haustür aufdrückt, als der Summer ertönt. Wieder geht es hoch, doch kurz bevor wir die Wohnung erreichen, trennen sich unsere Hände, dahinter steht meinerseits keine Absicht, es geschieht einfach.


Wendy und Jan warten in der geöffneten Tür, als wir ankommen. Sofort fällt mir ihr Blick auf, vor mir kann sie nichts verbergen, ebenso wie ich vor ihr. Auf der Dachterrasse möchte Wendy uns einen Aperitif reichen, deshalb schickt sie die Männer vor und bittet mich um Hilfe. Ich ergebe mich in mein Schicksal und folge ihr, denn jetzt wird die große Fragestunde beginnen. Nebeneinander stehen wir in der Küche, während sie Champagner in vier Gläser füllt.


"Was ist passiert?" Wie vermutet, hält sie mit ihrer Frage nicht hinterm Berg.
"Wir sind von der Hochzeit weggefahren." Das ist mein nichts sagender Anfang, dann erzähle ich ihr die entschärfte, kürzere Version und ende beim ungewollten Zusammentreffen mit ihr und Jan im Hotel.
"Und jetzt?" Ich zucke mit den Schultern.
"Wir hatten spaß, jetzt sind wir ... wir." Das letzte Wort kommt mir nur schwer über die Lippen.
"Wem machst Du etwas vor, Amita?" Eindringlich schaut sie mich an, hat sogar aufgehört Champagner ins letzte, noch leere Glas zu füllen. "Zwischen Euch ist mehr, das sieht jeder."
"Vielleicht, aber ich weiß nicht, wie er es sieht."


Dann beende ich das Gespräch, indem ich zwei volle Gläser nehme. Mit denen ich den Männern auf die Dachterrasse folge. Die Gläser will ich ihnen reichen, doch Charlie lehnt seines ab und bedeutet mir, es zu behalten. Zum Dank lächle ich ihn an. Dann legt Jan seinen Arm um meinen Rücken und zieht mich an seine Seite, schließlich beugt er sich zu mir hinunter.


"Gefällt es Dir hier, Amita?" Seine Stimme ist beim Sprechen leise, wäre er nicht so nah, würde ich ihn nicht verstehen.
"Natürlich. Hamburg ist eine schöne Stadt, die Leute sind nett." Für einen Moment schaue ich ihn an und zwinkere ihm zu, denn er ist der einzige wahre Hamburger, den ich kenne. "Was will ich mehr?" Einen flüchtigen Blick lasse ich zu Charlie gleiten, der mich offen anschaut und das sicherlich bemerkt hat.
"Was Du willst, weiß ich nicht, doch für mich wäre diese Stadt langweilig und farblos, wenn ich Wendy nicht hätte."


Sein Blick wandert zur Tür. Auch ich drehe mich ein wenig und sehe seine Angebetete, die auf uns zukommt. In der Hand hält sie die anderen beiden Gläser, wovon sie eins Charlie überreicht. Dann halten wir die Gläser vor uns.


"Auf das frisch vermählte Paar." Charlies Trinkspruch gefällt mir, weshalb ich mein Glas erhebe.
"Nein." Sein Glas hält Jan zurück. "Auf die Freundschaft, die Liebe und die Menschen, die das Leben erst lebenswert machen." Jetzt erheben wir alle unser Glas und stoßen an.


Mittlerweile ist es dunkel geworden, deshalb wende ich mich ein wenig von den anderen ab und betrachte die Lichter der Stadt. Im Augenwinkel sehe ich Charlie, der ein paar Schritte auf mich zumacht und sich neben mich stellt. Daraufhin drehe ich mich etwas mehr und weiß auch warum, denn Wendy und Jan genießen einen Moment.


"Ich fühle mich wie ein Störfaktor." Leise spricht er zu mir, um die beiden nicht zu stören, doch ich verstehe ihn trotzdem.
"Ja. Es ist merkwürdig."
"Wirklich gerne stehe ich nicht dabei." Wenn ich eine Pro- und Contra-Liste über uns erstellen würde, gehört dieser Punkt auf die Pro-Seite, eindeutig.
"Bestimmt ist es anders, wenn man einen Partner hat." Wenn er mich verstehen würde, wüsste er, dass es mir nur nach ihm verlangt. Obwohl ich ihn erst kurz kenne, möchte ich ihn tatsächlich als Partner in meinem Leben haben.
"Vielleicht."


Wieder schaue ich auf die Lichter der Stadt, denke an das Glas in meiner Hand, das ich beinahe vergessen habe und trinke einen weiteren Schluck, vielleicht um Mir Mut zu machen. Den werde ich brauchen, wenn ich mit ihm über meine Gefühle sprechen möchte, doch dafür ist es weder der richtige Ort noch die richtige Zeit. Aber ich weiß auch nicht, wann der Zeitpunkt besser wäre. Ich möchte mich gerade mit dem Gedanken befassen, als Jan seine Hand auf meine Schulter legt. Die andere liegt auf Charlies, so dass er mittig hinter uns steht. Anstatt uns zu sagen, dass er und Wendy los möchten, schlägt er vor, etwas zum Essen zu bestellen und hier zu bleiben.


Mir gefällt die Idee gut, denn die Dachterrasse ist schön. Deshalb stimme ich zu, auch Charlie hat nichts dagegen, deshalb geht Wendy in die Küche und holt die Karten ihrer Lieblingslieferanten. Lange überlegen wir nicht sondern entscheiden uns für eine überdimensionierte Familienpizza, die wir bunt belegen. Das bestellt sie, während wir uns an den hölzernen Gartentisch setzen. Als sie zurückkehrt, hat sie die offene Champagnerflasche in der Hand und schenkt uns nach.

"Habt Ihr Lust, morgen einen Ausflug zu machen?" Über Jens Worte denke ich nach. „Sonst habt Ihr nur Hamburg gesehen, dabei bietet Norddeutschland so viel mehr.“
"Das würde mich freuen." Charlie und ich sagen die Wörter gleichzeitig, woraufhin ich lache. Das Lachen befreit mich, mir fällt eine Last von den Schultern. Charlie stimmt in das Lachen mit ein, gefolgt von Wendy und Jan.
"Wir holen Euch dann um 8 Uhr ab." Dieses Mal werde ich über den anstehenden Besuch vorgewarnt, worüber ich dankbar bin.


Dann ist bald die Pizza da und wir sitzen alle um den Tisch. Leicht beschwipst vom Champagner und vom Rotwein, den wir zur Pizza trinken, landet das Gespräch unweigerlich bei der Hochzeit. Ich warte nur auf den Moment, dass Charlie und ich Thema werden, doch das geschieht nicht. Stattdessen knüpfen wir an der Stelle an, bei der wir Donnerstagabend aufgehört haben. Dies ist ein Abend unter Freunden. Nicht mehr und nicht weniger. Dabei bin ich relativ ruhig, obwohl ich neben Charlie sitze, mehr als einmal seinen Atem auf meiner Haut spüre und mich sein Duft in meiner Nase kitzelt.


Wendy erzählt von den vielen Haushaltsgegenständen, die sie geschenkt bekommen haben, aber nicht benötigen, da sie schon einen vollständigen Haushalt haben. Darunter ist auch ein Thermomix - eine Küchenmaschine mit der sie sogar kochen kann. Sie hält es für ein unnützes Geschenk, dem wir zustimmen, besonders als sie uns den Preis nennt, den sie gegooglet hat. Danach versuche ich Jan zu entlocken, was er geplant hat, doch er sagt nichts. Als ich Wendy anschaue, zuckt sie mit den Schultern, offenbar hat er nicht mal sie informiert.


Gekonnt nutzt Jan diese Pause und erzählt eine Anekdote von gestern. Offenbar habe ich auf der Feier mit meinem Sari für Aufsehen gesorgt, denn einige seiner Freunde und Verwandten haben sich bei ihm erkundigt, wer ich bin. Während er das erzählt, betrachte ich Charlie, dessen Gesicht kein Gefühl zeigt, aus dem Augenwinkel heraus. Die Anekdote ist aber noch nicht zu Ende, denn sie haben sich wohl darüber aufgeregt, dass ich vergeben bin und anderen Männern keine Chance gebe. Die letzte Aussage amüsiert mich, schließlich bin ich frei wie ein Vogel, auch wenn ich es gerne anders hätte. Doch habe ich nicht gesagt, ich möchte nicht darüber nachdenken, so kommt es mir zumindest vor. Deshalb lasse ich es sein und schaue lieber Charlie an.


„Du warst die schönste Frau auf der Hochzeit.“ Meinen Blick erwidert er und grinst dabei leicht, ehe er sich an Wendy wendet. „Natürlich nach der Braut.“


Dieses Mal halten wir nicht lange durch, denn die kurze Nacht von gestern auf heute steckt zumindest mir noch in den Knochen. Deshalb machen Charlie und ich uns früher als gedacht auf den Weg zurück, dabei reden wir nicht viel. Auch hält er dieses Mal nicht meine Hand oder hake ich mich ein. Stattdessen verhalten wir uns ganz normal, wie Freunde es tun, dabei lassen wir Meter für Meter hinter uns, bis wir das Hotel erreichen. Jeder Gedanke, der mich heute beschäftigt hat, scheint verflogen zu sein, deshalb interessiere ich mich dieses Mal auch nicht für den Fahrstuhl.


Nachdem wir unsere Suite betreten haben, wünsche ich Charlie eine gute Nacht und gehe in mein Zimmer. Dort schminke ich mich ab und ziehe mein Nachtzeug an. Bevor ich schlafe, möchte ich noch etwas lesen, doch das Buch habe ich im Wohnzimmer vergessen. Ich hole es, setze mich damit aufs Bett, lehne mich gegen die Rückwand und lege die Decke auf meine Beine. Dann schlage ich das Buch auf und lese die ersten Wörter. Im selben Moment klopft es an der Tür, die Charlie einen Augenblick später öffnet. Doch er betritt nicht den Raum sondern bleibt auf der Schwelle stehen und schaut mich an.

"Hast Du zufällig ein zweites Buch? Ich kann nicht schlafen."
"Leider nicht." Einen Augenblick lang halte ich ein, schaue ihn an und denke kurz nach. "Wenn Du möchtest, kannst Du bei mir mitlesen."


Mit meiner Hand weise ich auf die freie Seite meines Bettes, auf die er sich setzt. Dann erzähle ich ihm kurz, worum es in dem Buch geht, schließlich bin ich in der Mitte. Erst dann halte ich das Buch so hin, dass auch er darin lesen kann. Eine halbe Stunde sitzen wir lesend nebeneinander, als ich Durst bekomme. Das Buch drücke ich ihm in die Hand, stehe auf und hole aus dem Nebenraum eine Flasche Wasser. Erst als ich wieder im Bett sitze, bemerke ich, dass ich die Gläser vergessen habe. Mir ist das egal, deshalb trinke ich einfach aus der Flasche, die ich ihm dann anbiete. Ohne zu zögern, trinkt er daraus und nimmt, als er fertig ist, das Buch wieder in die Hand. Ich vertiefe mich in das Buch, doch mir fallen mehrfach die Augen zu, bis der Schlaf mich übermannt.

Danke an Jo & XY ungelöst - die weltbesten Künstlerinnen
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