Man trifft sich immer drei Mal
#31

Schließlich erreichen wir den Flughafen, an dem alles angefangen hat. Der Zusammenstoß mit seinem Koffer war Schuld, dass Charlie mich im Starbucks angesprochen hat. Diese Ereignisse haben eine Kette von Erlebnissen in Gang gesetzt, die hier wieder ihr Ende findet. Nachdem wir ausgestiegen sind und das Gepäck aus dem Kofferraum geholt haben, gehen wir gemeinsam zum Terminal. Charlie stellt sich beim Schalter der British Airways an, ich ebenso. Als er dran ist, lässt er mir allerdings den Vortritt, weshalb mein Koffer als erster auf die Reise durch die Katakomben des Flughafens geht und ich vor ihm zu den Freunden zurückkehre. Es dauert jedoch nicht lange und er ist auch wieder bei uns.

Zu viert gehen wir, wie von Jan vorgeschlagen, in einen Zeitschriftenladen. Dort kaufe ich mir eine amerikanische Frauenzeitschrift mit Schminkanweisungen, die ich nicht beherzigen werde, und Beziehungstipps, die ich wegen dem Fehlen eines Mannes nicht anwenden kann. Das ist aber egal, denn deshalb habe ich sie nicht gekauft. Sie soll nur meinen Kopf ablenken, wenn ich im Flugzeug zur Ruhe komme und wieder Zeit zum Nachdenken habe. Dagegen ist Charlie nicht mit dem Angebot zufrieden, denn die mathematische Fachzeitschrift, die er gerne hätte, gibt es nicht, daher verlässt er einkaufslos den Laden.

Anschließend führt der Weg uns zur Sicherheitskontrolle, wo der erste Abschied stattfinden wird. Schon jetzt bin ich traurig. Ausnahmsweise hat es nichts mit Charlie zu tun, sondern mit Jan und Wendy, die ich vorerst nicht mehr sehen werde. Wir bleiben wenige Meter davor stehen und schauen uns alle an. Während Charlie einen Schritt auf Jan zumacht, gehe ich zu Wendy, bei der ich mich herzlich bedanke, dass sie mich zu ihrer Hochzeit eingeladen hat.

Lange haben wir uns nicht mehr gesehen und trotzdem hat sie an mich gedacht. Das betrachte ich nicht als selbstverständlich, auch wenn sie für mich die beste Freundin ist. Die zwischen uns liegenden Kilometer haben einiges verändert, sie hat ihr Leben hier aufgebaut und neue Bekanntschaften geschlossen, während ich meinen Traum in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent lebe. Doch ist es wirklich noch mein Traum? Schließlich habe ich hier Charlie kennen gelernt, was ich durchaus zu Wendys Verdiensten zähle. Als ich mit ihr ein paar letzte Worte wechsle, verabschiedet er sich von Jan.

Nicht ganz sieben Tage habe ich auf deutschem Boden verbracht, doch es kommt mir vor, als ob es Jahre sind. Ich habe den Menschen getroffen, der mich glücklich macht und mir das Gefühl gibt zu leben. Klug, witzig, charmant und zudem auch noch gut aussehend - er ist perfekt. Nie zuvor habe ich das gefühlt, was ich in seiner Gegenwart fühle. Es zerreißt mir beinahe das Herz, neben ihm zu stehen und zu wissen, dass diese sieben Tage, die ich zu den schönsten, merkwürdigsten und erfahrungsreichsten meines Lebens zähle, gleich ein abruptes Ende finden werden.

Obwohl ich weiß, dass es falsch ist, kann ich nur noch an ihn denken. Aber es ist noch genug von meinem Gehirn übrig, um mich auch von Jan herzlich zu verabschieden, den ich in den letzten Tagen lieb gewonnen habe. Währenddessen umarmt Charlie Wendy und nimmt, als er sich von ihr gelöst hat, seinen Rucksack vom Rücken. Daraus holt er einen Reiseführer für die Ostküste der USA hervor.

"Eine kleine Aufmerksamkeit von uns. So habt Ihr schon ein paar Anregungen für die Flitterwochen." Es ist sehr nett von ihm, dass er mich mit einbezogen hat, denn ich habe kein Geschenk für die beiden.

Jetzt liegt die Verabschiedung hinter uns, hier trennen sich die Wege. Mit einem letzten Blick zurück, einem Lächeln auf den Lippen und einem Winken zu Wendy und Jan schreite ich durch die Sicherheitssperre. Ich gehe voraus und setze dabei ganz selbstverständlich voraus, dass er mir folgt, schließlich startet mein Flug eher. Trotzdem ist mein Verhalten falsch, denn unsere Wege werden sich heute unweigerlich trennen, ob jetzt und hier oder später macht da keinen Unterschied. Er muss mir nicht folgen, es ist egal. Ich weiß nicht, wo er wohnt, habe keine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Den Kontakt, den er mir bei der Hochzeit versprochen hat, wird es also nie geben. Habe ich denn wirklich gehofft, dass er es ernst meint, dass sich irgendwas zwischen uns entwickelt?

Trotz meiner Bedenken und meiner Gedanken ist Charlie mir gefolgt. Wir stehen mittlerweile an meinem Gate, denn mein Flug wird in Kürze starten, seiner bald darauf. Das ist auch der Grund, warum er nicht mit mir warten kann und mich gleich verlassen muss. Wir stehen uns gegenüber und schauen uns an.

Flug BA5401 nach Boston ist bereit zum Borden.

Die Ansage erschreckt mich, denn ich war überzeugt, noch etwas Zeit mit ihm zu haben. Die zeitgleich aufstehenden, sich an den Schalter begebenden Personen belehren mich eines besseren. Ich muss mich beeilen, um ihm das zu sagen, was ich sagen möchte. Meinen Blick richte ich wieder auf Charlie, der wie immer lächelt. Ihn scheint das alles nicht traurig zu stimmen, also hatte ich wohl doch Recht mit meiner Vermutung. Das Ganze war also doch meine Erfindung, wir sind nichts weiter als Freunde; Freunde, die sich nie wieder sehen werden. Deshalb werde ich nicht sagen, was ich fühle, sondern die Verabschiedung möglichst schnell hinter mich bringen. Ich setze zum Reden an, doch er legt mir seinen Zeigefinger auf die Lippen.

"Vielen Dank für die schöne Zeit, Amita." Er greift in seinen Rucksack und holt daraus ein Päckchen hervor, das er mir reicht. "Eine kleine Erinnerung an Hamburg." Neugierig beginne ich, einen Klebestreifen zu lösen, doch er legt seine Hand auf meine geschäftigen Finger. "Bitte öffne es erst, wenn das Flugzeug in der Luft ist." Ich nicke und stecke es dann vorsichtig in meine Umhängetasche.
"Ich ..."


Letzter Aufruf für Flug BA5401 nach Boston.

Die Zeit ist gegen mich und verrinnt viel zu schnell. Ich bin nicht bereit, Abschied zu nehmen, bin nicht bereit, dieses Flugzeug zu besteigen. Doch ich weiß, dass ich es muss, denn mein wahres Leben wartet nicht darauf, dass ich den Mut finde, den Mund aufzumachen.

"Ich habe leider nichts für Dich."
"Das ist auch nicht nötig, denn Du hast mir in den letzten Tagen so viel geschenkt. Durch Dich habe ich erkannt, was es heißt zu leben. Dafür danke ich Dir."


Ein Kloß im Hals hindert mich daran, etwas zu sagen, deshalb nehme ich ihn in den Arm und halte ihn einen Moment lang fest. Nachdem ich mich wieder von ihm gelöst habe, berühren meine Lippen seine ein letztes Mal. Beides erwidert er, aber nur leicht, wie es für Freunde üblich ist. Dann verlasse ich ihn.

Als ich mich abwende, laufen erste Tränen meine Wangen hinunter. Ich trete auf den Schalter zu, von dem aus mich ein Angestellter der Fluggesellschaft besorgt anschaut. Ohne ein Wort zu sagen, lege ich mein Ticket vor ihm hin. Während er es kontrolliert, drehe ich mich um und werfe einen letzten Blick zurück, doch Charlie ist verschwunden. Die Bordkarte nehme ich entgegen und gehe die Gangway entlang ins Flugzeug hinein. Ein Flugbegleiter deutet auf meinen Platz, dabei finden die Tränen unaufhörlich ihren Weg, ich versuche nicht einmal, sie zu verstecken.

Als ich mein Handgepäck verstaue, versiegen die Tränen, denn ich denke an das Geschenk, doch ich habe versprochen, es erst in der Luft zu öffnen. Deshalb schaue ich instinktiv auf die Plätze hinter mir, denn dort hat er gesessen, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Jetzt sitzt da nur ein älteres Paar, dahinter eine junge Frau und ein kleiner Junge. Auch in den darauf folgenden Reihen entdecke ich ihn nicht. Charlie ist weg, ich bin alleine. In einer Endlosschleife laufen diese Wörter durch meinen Kopf, der Ton ist anklagend, schließlich habe ich nicht einmal versucht, ihn aufzuhalten. Wie in Trance setze ich mich schließlich auf meinen Platz und schnalle mich an.

Das Schließen der Türen geht an mir vorbei, ebenso die anschließende Fahrt zur Startbahn. Erst als das Flugzeug schneller wird und schließlich abhebt, kehre ich zurück ins Hier und Jetzt, denn ich denke an die eine Sache, die ich noch von ihm habe. Das Päckchen. Es dauert noch einige Minuten, ehe das Abschnallsignal ertönt. Danach stehe ich sofort auf, hole aus dem Gepäckfach über mir meine Tasche, die ich auf den freien Platz links von mir stelle, und hole es daraus hervor. Mit zitternden Fingern löse ich die drei Klebebandstreifen, woraufhin zwei Dinge zum Vorschein kommen. Ein Buch und eine Tasche. An letzterer baumelt eine kleine Karte, die ich lese, bevor ich die Tasche genauer betrachte.

Ich konnte Dich nicht ohne eine neue Tasche gehen lassen, das würde gegen Deinen Grundsatz verstoßen. Charlie

An die Tasche habe ich gar nicht mehr gedacht, aber er - eine schöne Geste. Lächelnd betrachte ich die schwarze Tasche, auf deren Klappe in weißen Lettern Hamburgerin steht. Obwohl ich noch immer traurig bin, erinnere ich mich an den gemeinsamen Einkaufsbummel mit Wendy und den Männern. Ein schöner Tag. Doch meine Neugierde siegt und ich widme meine Aufmerksamkeit dem Buch. Mit den Fingern fahre ich über die geprägten Buchstaben auf dem Deckel.

Es ist P.S. Ich liebe Dich, wobei ich mir wünsche, dass dies nicht nur eine Buchwahl ist, die meinen Geschmack trifft. Eigentlich bin ich mir sicher, dass es eine Aussage ist, woraufhin die Tränen wieder meine Wangen hinunterlaufen. Ich frage mich, wieso er mir das nicht selbst sagen konnte, warum er es mir so sagen musste. Jetzt ist er auf den Weg in ein anderes Land, weit weg von mir. Um mich herum versinkt die Welt in einem Schleier aus Tränen; die Tränen sind gemischt mit Wut über meine und offenbar auch seine Unfähigkeit, Gefühle in Worte zu fassen. In diesem Augenblick legen sich auf meine Wangen zwei Hände, die mit den Daumenkuppen die Tränen wegwischen.

"Weine nicht wegen mir, dafür gibt es keinen Grund." Seine Lippen berühren meine liebevoll und lösen sich wieder. "Ich möchte und ich kann Dich nicht verlieren. England ist mir egal, das Leben ist mir egal, wenn Du nicht bei mir bist, Amita."

- ENDE -

Danke an Jo & XY ungelöst - die weltbesten Künstlerinnen
Ideenlos und stolz darauf!
Zitieren
#32

ICh finde den Teil sehr schön und sehr gut geschrieben, sorry wenn mein fb so kurz ist... schreib bald weiter

[SIGPIC][/SIGPIC]
Liebe kann alles überwinden, das ist wahre Liebe!
Zitieren
#33

Oh, jetzt heisst es schon wieder Abschiednehmen Sad
Das Gespräch über Statue Amita fand ich wieder mal toll geschrieben Big Grin
Und dann der traurige aber süsse Abschied von Charlie Smile
So toll von ihm Wub
Er ist einfach toll :herz:
Eine superschönes Ende :clap: einer supertollen FF Upten
Zitieren
#34

Vielen Dank für die Kommentare zum Schluss.

Ich mag Charlie auch, Katalin. Irgendwie ist er so süß, weshalb ich ihn mir mit so einer extrem romantischen Geste durchaus vorstellen kann.

Im Moment bin ich gerade dabei, diese Fanfiction noch einmal auf Doofheit zu überlesen.

Danke an Jo & XY ungelöst - die weltbesten Künstlerinnen
Ideenlos und stolz darauf!
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 2 Gast/Gäste