07.11.2011, 18:40
Zitat:Aber wer um alles in der Welt ist Leon? Habe ich irgendwas vergessen oder wird das später noch aufgeklärt?du hast mit leon nicht prinzipiell was verpasst. allerdings gibt es hinweise darauf, wer er sein könnte falls nicht wird das aber auch geklärt- ein paar kapitel später zumindest jemand, der simon sehr viel bedeutet und zu dem er ein ziemlich gestörtes, von angst geprägtes verhältnis hat. auÃerdem hat er ihn nicht gesehen, seit er ins heim gekommen ist.
Und dann der Streit und sie geht zu dem anderen, dessen Namen mir gerade entfallen ist.
Du schreibst schnell weiter, oder? Denn im Augenblick bin ich zwischen "verwirrt" und "gespannt" gefangen.
der streit. wird auch mehr sinn geben wenn klar ist, worüber die beiden eigentlich gestritten haben. simon ist eigentlich kein mensch, der brüllt und droht- anne ist also ähnlich verwirrt wie ihr (haha. anne ).
und da sie a) trotzig und b) sauer und c) verwirrt ist geht sie -richtig- zu "dem anderen". aber kommen wir erstmal dazu, wer "der andere" eigentlich ist und welche bedeutung er in dieser geschichte hat.
_______________________________
Sechs
April 2004
Seit dem Streit hatten Simon und Anne kein einziges Mal miteinander gesprochen. Immer länger war es jetzt drauÃen hell, und Anne saà abends oft mit Mark am See, während Simon mit ein paar älteren Jungs aus dem Heim oft an der Feuerstelle war. Unter dem Vorwand, dort das Altpapier des Heimes zu verbrennen verbrachten sie einige Abende des Monats dort und tranken Bier, das die Ãlteren aus der Stadt mitbrachten. Simon hatte in dem Monat seit dem Streit seine erste Zigarette geraucht und es gleich wieder aufgegeben, er hatte die Regeln gebrochen und gelernt, dass das im Heim auch ohne Probleme möglich war. Jeder wusste, was an der Feuerstelle passierte - auch wenn kein Feuer brannte â und niemand legte gesteigerten Wert darauf, es zu unterbinden. Es war, als hätten sich beide absichtlich dorthin begeben, wohin der andere nicht folgen wollte, wie um ein Zeichen ihr Unabhängigkeit zu setzen und eine räumliche Trennung festzuhalten. Inzwischen hatten sich alle AuÃenstehenden daran gewöhnt, dass sie getrennte Wege gingen, wenn es auch zuerst vor allem den engagierten Betreuerinnen groÃe Sorgen gemacht hatten. Jetzt jedoch waren diese nur noch erfreut, dass der ewige Kleinkrieg zwischen Anne und Mark ein Ende hatte.
Anne lieà wie immer die FüÃe vom Steg ins Wasser baumeln und sah dem Sonnenuntergang über dem See zu. Meist war sie bis zum späten Nachmittag in der Schule, die in der Stadt lag und nur mit dem Kleinbus des Heims zu erreichen war, weshalb sie die Stunden am See nach den Hausaufgaben und dem Abendessen nur noch mehr auskostete. Ein sachter Wind fuhr durch den Schilf am Rand des Sees, der inzwischen wieder grün nachwuchs, und blies ihr eine ihrer dunklen Haarsträhnen ins Gesicht. Die Welt um ihren geliebten riesigen See, der sich weit ausstreckte und das Heim fast mit Wasser umschloss, weil es auf einer kleinen Landzunge gebaut war, die in den See hineinragte, war schon weitgehend aus dem Winterschlaf aufgewacht. Wenn sie genau hinhörte, konnte sie Grillen hören, die jedoch meist vom Quaken der Frösche übertönt wurden. Es wurde Frühling, und Anne genoss die letzte nicht allzu heiÃe Jahreszeit in vollen Zügen.
Bekannte Schritte näherten sich ihr über den Steg und sie lächelte. Früher hätte sie jetzt ihre Sachen zusammengerafft und wäre ihm aus dem Weg gegangen, aber das war nicht mehr nötig.
âHey, Kieselchen.â, sagte er nur und setzte sich hinter sie in den Schneidersitz. Er zog sie an sich und schob seine Hände in ihre Bauchtasche. âWo warst du denn die ganze Zeit?â
Sie schloss die Augen und lehnte sich an ihn.
âHausaufgaben.â, murmelte sie, doch ganz wahr war es nicht.
Sie mochte es mit ihm zusammen zu sein. Sie mochte seine Art sie anzusprechen und zu berühren, sie mochte sein Lächeln und seine Augen, sie mochte ihn, vielleicht sogar sehr. Aber manchmal überkam sie trotz allem das Gefühl, dass es zu viel für sie war. Sie dachte dann darüber nach, ob sie es nicht mochte, wenn er ihr so nah war, oder ob es vielleicht nur ungewohnt war, und dafür zog sie sich oft zurück. Es schien ihn zu wundern und sie war überzeugt davon, dass er merkte, wenn sie log, aber gleichzeitig störte es ihn nicht. Vielleicht verstand er ja ganz genau, was sie fühlte? Sie hatte oft das Gefühl, dass er in sie reinschauen konnte.
Er legte seinen Kopf auf ihre Schulter und begann leise zu reden.
âWas hältst du davon, morgen eins von den Booten auszuleihen? Wir könnten den ganzen Tag was zusammen machen und vielleicht... vielleicht ist es ganz schön da drauÃen auf dem See.â
Vielleicht konnte er doch nicht direkt in sie reinschauen. Morgen war Samstag.
Sie sollten den ganzen Tag ohne Fluchtmöglichkeit, zu zweit auf einem Fleck? Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen, als, dass es vielleicht schön auf dem See sein könnte. Sie öffnete die Augen und drehte den Kopf zu ihm.
âMark... möchtest du... hast du vielleicht was Bestimmtes vor?â
âVielleicht. Fändest du das gut, wenn ich... was Bestimmtes vorhätte?â
âWas was wir noch nie gemacht haben?â
âJa, genau.â
Jede normale vierzehnjährige dachte wahrscheinlich darüber nach, wie wohl ihr erster Kuss sein würde - wenn sie ihn nicht schon erlebt hatte. Auch Anne. Und ihr war mehr als klar, dass sie gerade genau darüber sprachen.
âIch weià nicht.â, sagte sie ehrlich.
Sie wusste nur, dass ihn dieses ewige Händchenhalten irgendwann frustrieren musste. Und dass sie nicht gedacht hatte, dass er sie fragen würde. Irgendwie machte das ihren nächsten Satz einfacher. âAber das mit dem Boot klingt gut.â
Er grinste. âOkay.â Anscheinend musste er sich möglichst auffällig anstellen, damit sie verstand, dass das hier gut war... und ihr ein bisschen entgegen kommen.
*
Mai 2004
Ein Monat war vergangen und es war immer noch alles beim Alten: Anne und Simon sprachen nicht miteinander, Mark musste weiterhin Geduld beweisen, der See lag immer noch still da und auch die Welt drehte sich stur weiter, egal was geschah. Wie es der Kalender verlangte, flogen jetzt Maikäfer zwischen den Bäumen am Ufer des Sees entlang, und Anne und Mark hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, jeden Samstag mit einem der kleinen Paddelboote auf den See zu fahren. Es war wieder Samstag, und in der Woche zuvor hatte Anne ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert. Simon hatte Anne, nach langen Ãberlegungen höflich und ohne sie zu berühren, gratuliert, und Mark war ihr den ganzen Tag umher gefolgt und hatte zu dutzenden Gelegenheiten den Arm um sie gelegt oder ihre Hand gehalten. Sie hatte sich inzwischen daran gewöhnt, doch es wurde ihr immer noch oft zu viel, wenn andere Leute dabei waren. Das âwirâ, das bei âAnne und Simonâ immer mitschwang, als seien sie siamesische Zwillinge, hatte sie weitaus weniger gestört als das bei âAnne und Markâ, und auch die Gerüchte, dass beide ein Paar waren, waren mit steigendem Wahrheitsgehalt nerviger geworden. Bei Simon hatte sie dieses Getuschel nie gestört, denn sie beide hatten gewusst, dass nichts zwischen ihnen war, und die Meinung der anderen war uninteressant gewesen. Für Anne schien diese Zeit unglaublich weit weg zu sein, doch gleichzeitig ertappte sie sich manchmal dabei, über Simons Meinung nachzudenken. Wütend auf sich selbst verbannte sie dann diese Gedanken aus ihrem Kopf und redete sich beruhigend selbst zu, dass Simons Meinung jetzt niemanden mehr interessierte. Manchmal klappte es.
Gerade noch in Sichtweite vom Ufer schwamm ein kleines Paddelboot aus Holz. Von auÃen hätte man fast nicht sehen können, dass sich in dem Boot jemand befand. Nur ein aufmerksamer Beobachter hätte bemerkt, dass auf jeder Seite des Bootes ein Paar nackte FüÃe über den Rand hingen und gerade so das Wasser streiften. Aber niemand beobachtete sie.
Anne und Mark lagen Kopf an Kopf im Boot, jeder von beiden mit einem Stecker der Kopfhörer von Annes neuem MP3-Player, einem Geburtstagsgeschenk, im Ohr.
âDu wirst Koch, wenn du mit der Schule fertig bist, oder?â, fragte sie und biss in einen Muffin, den sie mitgebracht hatten.
Er nickte. âNaja, jedenfalls will ich das. Aber man braucht nicht so furchtbar gute Noten dafür, und ich denk ich kann das wirklich. Oder naja, mach es nicht schlecht.â
Grinsend drehte er den Kopf zu ihr. âWieso? Planst du unser Gesamteinkommen?â
âNein.â
Sie drehte sich ebenso grinsend zu ihm, sah ihm in die Augen und war nur eine Handbreit von ihm entfernt. Einen Moment schwiegen sie beide, dann drehte sie sich weg und kicherte.
âDie Muffins sind nur so gut!â, sagte sie dann mit schon wieder vollem Mund. Er lieà sich auf den Rücken zurückfallen.
âUnd du, was machst du wenn du fertig bist?â
âHmm... meine Lehrerin meint ich soll Abi machen und dann studieren. Aber ich weià nicht...â
âAlso hast du mich nicht gefragt weil die Muffins so gut sind, sondern, weil du es selber nicht weiÃt, richtig?â
Er verzog den Mund.
âUnd ich dachte die Muffins wären gut.â
Sie lachte. âBesser als der Kaffee, den ich 'gekocht' hab.â, meinte sie, und er setzte den Becher ab, den er gerade zum Mund führte. âDu findest den auch nicht lecker?â, fragte er erleichtert.
Anne nahm zur Antwort die Thermoskanne und bereicherte ihren geliebten See um einen halben Liter viel zu starken Kaffee.
âMachst du Witze? Der ist widerlich. Aber ich fand es so spannend, dass du ihn trotzdem die ganze Zeit getrunken hast.â Sie kicherte.
âSowas machst du mit mir? Ich trink dir zuliebe dieses Gift und du...â, meinte er empört, setzte sich auf und begann sie ohne Vorwarnung zur Strafe zu kitzeln. Sie quietschte und lachte, während sie unter seinen Händen zuckte und sich wand, und bald griff sie seine Hände und versuchte einen Gegenangriff zu starten. Das Boot schwankte gefährlich, und ihr Versuch scheiterte kläglich.
âStoppâ, flehte sie auÃer Atem, âHör auf, wir kentern gleich!â
Er erbarmte sich, setzte sich wieder aufrecht hin und beobachtete amüsiert, wie sie langsam wieder zu Atem kam.
âAnne, wie kommt das, dass du hier so anders bist?â, fragte er, als sie wieder in der Lage zu sein schien, ihm zuzuhören.
âWie, anders?â
Sie betrachtete misstrauisch den halben Muffin, der jetzt platt und zerbröselt war. âNa lecker...â murmelte sie.
âDu bist anders zu mir wenn wir allein sind... wenn die anderen in der Nähe sind, dann... naja. Wahrscheinlich bild' ich mir das nur ein.â
âJa, wahrscheinlich.â, log sie, und in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie nicht wollte, dass das, was sie hatten, kaputt ging. Sie entschied, endlich ins kalte Wasser zu springen- schlieÃlich liebte sie es normalerweise!
âMark? Wolltest du nicht unbedingt mal was ausprobieren?â
Sie atmete einmal tief ein und wieder aus, drehte sich zu ihm um und schloss die Augen. Sie war gerade fünfzehn geworden und fühlte sich gleichzeitig so erwachsen und doch unglaublich klein, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben vom hübschesten Jungen der Welt geküsst wurde. Noch Jahre später war sie froh, dass es genau so gewesen war.
*
Juni 2004
Es war Sommer geworden und die Zeit der gemeinsamen Lagerfeuer hatte begonnen. Heute war mal wieder eines geplant gewesen, und wie immer war Anne nicht dabei. Die Betreuerinnen hatten ihr erlaubt, im Haus zu bleiben, weil sie Annes Reaktion auf Feuer gut kannten. Auch Mark fehlte, und Simon sah das Licht in Annes Zimmer brennen. Er konnte sich denken, wo beide waren.Simon hatte oft überlegt, mit Anne zu sprechen. Sie war jetzt bald einen Monat offiziell mit Mark zusammen, und Simon hatte sich selbst schon längst eingestanden, dass sie recht gehabt hatte. Dies jedoch vor ihr zu sagen, würde noch schwerer werden. Aber heute war der Abend, an dem er es tun würde.
Es klopfte an der Tür. Anne hüpfte aus ihrem Schreibtischstuhl, den sie weit vom Fenster weggezogen hatte, um nicht heraus sehen zu müssen. Unpraktischer Weise hatte man die Feuerstelle von hier direkt im Blick. Mark legte das Buch aus der Hand, in dem er gerade las, und zog eine Augenbraue hoch. LeichtfüÃig tapste seine Freundin zur Tür und öffnete sie.
âSimon?â
âIch hab dir was mitgebracht.â, sagte dieser und hielt ihr einen Teller hin, auf dem ein Stück Stockbrot lag. âIch mein... ihr könnt es euch auch teilen.â
Anne legte den Kopf schief und Mark setzte sich in ihrem Bett auf und schaute interessiert zur Tür.
âDas ist... nett von dir.â, meinte Anne unsicher und sah über ihre Schulter zu Mark.
âIch...â, fing Simon wieder an.
âTut mir leid, Annie, ich war ein Idiot und ich hätte dich entscheiden lassen sollen. Ich weià dass du nie viel redest, aber drei Monate kein Wort von dir... das reicht mir. Es tut mir wirklich leid.â
Ein Lächeln zog sich über ihr Gesicht. Sie nahm den Teller mit dem Stockbrot in die eine Hand und Simons Ãrmel in die andere. âKomm rein. Wir haben sowieso Langeweile.â, verkündete sie und zerrte ihn ins Zimmer.
Der Abend war schrecklich merkwürdig. Viel hatte sich verändert, was vielleicht nie so gekommen wäre, wenn sie sich nicht so sehr gestritten hätten. Besonders, dass Anne nun vergeben war und Mark vom gemeinsamen Feind zu einem Mitglied ihrer Gruppe geworden zu sein schien, verwirrte Simon zunächst, und auch Anne war nicht sicher, was diese neue Situation bedeutete. Aber dass das lange Schweigen endlich vorbei war, bedeutete mehr.
Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis Simon für Anne wieder an erster Stelle stehen würde.
Doch in den letzten drei Monaten war so viel geschehen, was sie beide beschäftigt hatte. Viel, was vergeben und vergessen war, und vor allem so viel, worüber man reden oder auch schweigen konnte.
Denn manchmal - und das war das wahrscheinlich merkwürdigste, was sie aus ihrem Streit gelernt hatten â manchmal konnte man auch vermissen, dass etwas nicht gesagt wurde, und dann fehlte die Stille in dem unausgesprochenen Wissen, dass man nicht allein war.
Ja, es gab wirklich viel nachzuholen!