12.12.2011, 21:44
so, meine schätze. wie immer bedanke ich mich fürs feedback und präsentiere hier nach etwas längerer pause das neue kapitel!
Siebzehn
âJa, das habe ich mir doch gedacht.â, sagte sie und lächelte tapfer.
Er war nicht unbedingt ihr Traummann - so blonde Haare sah man normalerweise nur bei unter-vierjährigen und in Playboy-Sommermonatsausgaben,und sie hatte ihr ganzes Leben damit verbracht, südländischen Urlaubslieben nachzutrauern.
AuÃerdem hatte sie gemerkt, dass er ab einem gewissen Zeitpunkt im Gespräch einfach abschaltete - vielleicht war es einfach nur ihre Anfälligkeit für Männer im Anzug, die ihr hier einen Streich gespielt hatte, wenn sie sich trotz allem irgendwie mehr erhofft hatte.
âMeine Mutter lag falsch... du brauchst keinen Ersatz für deine Freundin, sondern für deine beste Freundin.â, stellte sie fest und kam sich auf ein Mal ziemlich blöd vor.
Er schien einen Moment nachzudenken und seine grünen Augen schienen sich wie ein Stimmungsring dunkler zu färben, als ihm etwas klar wurde.
âIch brauch keinen Ersatz für Anne... Ich glaub ich brauch einfach Anne.â, sagte er schlieÃlich und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
âWenn das nur mal jemand über mich denken würdeâ, dachte Valerie und strich ihre Haare nach hinten, während sie sich etwas vorbeugte um seinen gesenkten Blick auffangen zu können. Dann jedoch war sie sich nicht so sicher, ob es überhaupt schön war, jemandem so nah zu sein wie Simon und Anne es waren, wenn es ihn ja doch auf lange Sicht eher unglücklich zu machen schien.
âWarum habt ihr euch denn so plötzlich gestritten? Wenn ihr nie darüber geredet habt, was früher war?â
âIch hab sie in meiner Wohnung allein gelassen, um meinen Vater zu besuchen, und sie hat sich Sorgen gemacht, weil sie nicht wusste wo ich war und ich mich wohl ziemlich komisch benommen hab. Dann hat sie meine Notizbücher angeschaut, ich hab sie dabei erwischt, sie ziemlich mies angebrüllt und dann... Ich glaub, sie hatte Angst vor mir!â
Er wusste nicht, ob ihm das jetzt erst klar wurde oder ob es ihm die ganze Zeit bewusst war. Dass sie ihn noch nie richtig böse erlebt hatte, und dass er seiner besten Freundin, der er niemals irgendetwas zuleide tun konnte, wahrscheinlich einfach Angst gemacht hatte.
Wahrscheinlich hatte er nur verdrängt, dass er sich genau so benommen hatte, wie der Mensch, dem er am wenigsten ähnlich werden wollte.
Valerie seufzte. âVielleicht fährst du ihr einfach hinterher? Du weiÃt, dass meine Mutter dir sofort Urlaub geben würde, wenn sie dich dafür bald in deiner alten Form zurück hätte?â
âIch würd nur stören. Und vielleicht will ich auch nicht wissen, was die beiden so tun.â
âIch denk sie ist deine beste Freundin?â
âJa, aber ich mag den Kerl wirklich nicht.â
Er grinste und deutete ihren Gesichtsausdruck.
âIch bin nicht eifersüchtig. Nur hab ich nie überwunden, dass sie sich von ihm hat einwickeln lassen, nachdem er ihr die Kindheit im Heim zur Hölle gemacht hat... Und als ich ihr das gesagt hab, hat sie drei Monate nicht mit mir geredet â sie hat ihn immer über mich gestellt.â
Valerie wusste nicht, worauf sie zuerst antworten sollte.
âDu warst im Heim?â, fragte sie schlieÃlich und fühlte sich mit einem Mal schlecht wegen ihrer Aussagen über das Leben eines Einzel-Scheidungskindes.
âDas wusste ich nicht.â, fügte sie an, aber er lächelte nur.
âDann hat Lena dir ja nicht meine gesamte Lebensgeschichte erzählt. Irgendwie beruhigend.â
Er zwinkerte ihr zu und sie musste lachen. Betrunken war er irgendwie deutlich leichter zu verstehen.
*
Mark schaltete den Wecker aus und blieb noch einen Moment liegen. Anne hatte das Gesicht an seiner Seite verborgen, und er wurde sich bewusst, dass sie dies sehr lange nicht mehr getan hatte. Früher hätte er in ihrer Gegenwart unruhig geschlafen. Er hätte sich am nächsten Tag Sorgen gemacht, was er im Schlaf alles von sich preisgegeben haben könnte, sei es, dass er manchmal im Schlaf sprach, oder, dass sein Körper auf ihre Nähe meist sehr deutlich reagiert hatte. Heute aber sorgte er sich nicht, und er konnte sich fast nicht erklären wieso. Wann war dieser Schalter in ihm umgelegt worden, dass er nicht mehr verletzt war wegen dem, was damals gewesen war? Seit wann war er nicht mehr eifersüchtig darauf, dass Simon ständig Situationen wie diese und noch so viel mehr Zeit in ihrer Nähe erlebte? Die Veränderung war schleichend gewesen, und jetzt sorgte sich Mark nur noch, dass Anne irgendwann an der Suche nach ihrer Vergangenheit zerbrechen würde.
Simon wachte auf der Couch seiner Chefin wieder auf, als ihm eine Tasse Kaffee unter die Nase gehalten wurde.
Er rieb sich die Augen wie ein kleiner Junge und setzte sich auf, bevor er merkte, dass er nur Boxershorts trug und auÃerdem nicht in seiner Wohnung war.
âGuten Morgen, Simon.â, sagte Valerie nur grinsend, drückte ihm die Tasse und sein Hemd in die Hand und verschwand in der Küche.
Simon sah ihr hinterher und versuchte, sich zu erinnern, was passiert war.
Er bekam nie einen Kater, und heute war er wirklich extrem dankbar dafür. Das wäre das letzte, was er nach dieser Nacht voller merkwürdiger Erkenntnisse noch gebrauchen konnte. Gott sei Dank hatte er die Hälfte davon schon wieder vergessen.
Er trank den Kaffee leer, ohne davon auch nur ein bisschen wach zu werden, und zog das Hemd und seine Hose an, bevor er ihr in die Küche folgte.
âGuten Morgen.â, antwortete er dann und stellte seine leere Tasse ab.
âDusche? Treppe hoch, erste Tür links, Handtücher im Schrank.â, flüsterte sie und grinste. Bestimmt hatte er einen schrecklichen Kater, nach dem was er letzte Nacht noch alles getrunken hatte... AuÃerdem sah er so planlos und verpennt aus, dass sie fast Mitleid bekam.
âDanke.â, murmelte er nur und verschwand.
Während das Wasser auf seine Haare tropfte und sie langsam durchweichte, stand er ganz still. Es gab nichts, was er mehr hasste, als Wasser, aber ans Duschen hatte er sich irgendwann gewöhnt. Wie immer gab es da am Anfang diesen Punkt, an dem seine Atmung kurz aussetzte und er Bilder auf seiner Kindheit auf sich einprasseln fühlte wie das Wasser, das beständig über seinen Körper lief. Manchmal dachte er dann, er könne jeden einzelnen Tropfen spüren, der sich seinen Weg über seine Haut bahnte, und dann wollte er das Wasser am liebsten wieder abdrehen und es niemals wieder spüren.
Im Gegensatz zu Anne musste er sein verhasstes Element allerdings trotzdem jeden Tag konfrontieren, und so tat er es auch an diesem Morgen.
Simon war alles andere als verletzlich. Wer die Geschichte seiner Kindheit kannte, hätte vielleicht sogar gesagt, dass er unzerstörbar war, dass er keinen Schmerz spürte, keine Angst hatte.
Doch auch wenn er keine Reaktionen zeigte, wenn er Schmerz spürte, war dies nur eine antrainierte Fähigkeit, die er am liebsten nicht beherrschen würde. Und er selbst wusste, dass er mit beständigen Versuchen auch zerstörbar wäre, ja, dass es sogar jemand ein Mal fast geschafft hatte.
Und wenn er unter der Dusche stand, wurde ihm jeden Morgen erneut bewusst, dass er etwas anderes nicht war- nicht vollständig jedenfalls: Heilbar.
Er trocknete sich ab, zog sich an, schlüpfte wieder in seine zerknitterte Anzughose und das Hemd.
Das Badezimmer, in dem er stand, war liebevoll dekoriert, voller kleiner gelber Quietscheenten, Muscheln und Badesalzfläschchen. Ein richtiger Frauenhaushalt.
Langsam wurde er wach, lieà den vorherigen Tag und vor allem die Nacht Revue passieren und wurde sich bewusst, was für ein Idiot er war. Die Tochter seiner Chefin abweisen und sich dann auch noch bei ihr ausheulen?
Und überhaupt, wie hatte er Valerie abweisen können? Sie war hübsch, sie war intelligent, sie war sportlich, und sie hatte vor allem rein gar nichts mit seiner Vergangenheit zu tun.
Während seine Gedanken irgendwo zwischen dieser Erkenntnis und dem Fakt, dass seine Chefin heute Morgen an ihm vorbei gegangen sein und ihn, in Boxershorts und betrunken, auf ihrer Couch schlafen gesehen und wahrscheinlich auch noch schnarchen gehört haben musste, hin und her pendelten, tappte er die Treppe wieder hinunter und folgte dem Kaffeegeruch in die Küche.
Valerie saà auf einem Stuhl in der gemütlichen Sitzecke in der Küche und blätterte durch den Sportteil der Tageszeitung. Als Simon die Küchentür aufschob, blickte sie ihn direkt an und lächelte. Er lächelte zurück, goss sich noch Kaffee ein und setzte sich zu ihr, während sie Toast in den Toaster schob.
Nach dem nächsten Schluck wunderbar heiÃen Kaffees fragte er schlieÃlich, was ihm auf der Seele brannte.
âWo ist denn Lena?â
âSchon zur Arbeit. Sie meinte, ich solle dich absetzen, wenn ich zur Uni fahre.â
âAber sie ist doch schon gefahren...â, kombinierte er langsam, und sie erriet seine nächste Frage.
âJa, ich hab auch noch ein Auto. Wenn du keine Angst davor hast, mit mir und Sam zu fahren, nehmen wir dich mit.â
Simon sah von dem Wirtschaftsteil, den sie ihm gereicht hatte, auf, und fragte argwöhnisch: âWer ist denn Sam?â
Valerie kicherte. âDas Auto, Dummkopf. Ich hätte doch nicht versucht dich anzugraben, wenn ich noch jemanden hätte, nach dem sich die âWer ist denn der?â-Frage lohnt.â
Ihre Blicke trafen sich über der Zeitung und Simon versuchte, nicht an die merkwürdige Situation in der letzten Nacht zurückzudenken, doch es gelang ihm nicht.
âDa erinnerst du dich also dran, was?â
Valerie konnte seine Gedanken lesen.
âHey, ist okay, ich war ja nicht mal verliebt in dich oder so.â, meinte sie grinsend.
âDenk mal nicht, du hättest mir jetzt das Herz gebrochen. Himmel, du hast wirklich nicht viel Ahnung davon, deine Gefühle ein bisschen hinter einer Alltagsmaske zu verstecken, oder?â
Simon legte den Kopf schief. Er wusste wieder, warum er sie abgewiesen hatte: Jemanden, der so offen und freundlich war wie sie, kein bisschen nachtragend und so intelligent, so jemanden brauchte man als Freundin. Gerade dann, wenn man gerade niemanden anderes hatte. Gerade dann, wenn man so beziehungsunfähig war, wie er es war. Und vor allem dann, wenn man seinen Job direkt mit ihr verlieren würde, wenn es nicht funktionierte.
âNein.â, sagte er ehrlich.
âWahrscheinlich nicht. Nur die wirklich geheimen Gefühle.â
Er lächelte, nahm das fertige Toast aus dem Toaster und sie verschwand hinter ihrer Zeitung, ohne noch mehr Fragen zu stellen.
Sie war allein, sie hatte höchstens drei Stunden geschlafen und ihr tat alles weh. Anne wurde mit einen merkwürdigen Gefühl in der Magengegend wach- nein, wahrscheinlich war es nur dieses Gefühl, das sie überhaupt erst geweckt hatte.
Für einen kurzen Moment überlegte sie, ob es an dem Traum gelegen hatte oder daran, dass Mark nicht mehr da war, aber sie war sich sicher, dass etwas anderes falsch war. Sie blieb still liegen, hielt den Atem an und lauschte in die Wohnung hinein.
Bildete sie sich ein, dass aus der Küche Geräusche kamen? Ganz selten nur, während sie nachdachte, ruhig blieb und sich nicht bewegte, hörte sie dieses Geräusch, das sie zunächst nicht richtig einordnen konnte.
Dann war sie sich sicher. Es war nicht Mark, der dort in der Küche war, sich leise bewegte und ab und zu ein klackerndes Geräusch verursachte, als würde etwas immer wieder auf die Tischplatte gestellt.
Jemand war hier. Sie war nicht allein.
Siebzehn
2011
Simon hatte noch ein paar Sekunden Valeries Hand in seiner gehalten, bevor ihre Worte in seinem leicht betrunkenen Gehirn ankamen. Dann lieà er sie los.âJa, das habe ich mir doch gedacht.â, sagte sie und lächelte tapfer.
Er war nicht unbedingt ihr Traummann - so blonde Haare sah man normalerweise nur bei unter-vierjährigen und in Playboy-Sommermonatsausgaben,und sie hatte ihr ganzes Leben damit verbracht, südländischen Urlaubslieben nachzutrauern.
AuÃerdem hatte sie gemerkt, dass er ab einem gewissen Zeitpunkt im Gespräch einfach abschaltete - vielleicht war es einfach nur ihre Anfälligkeit für Männer im Anzug, die ihr hier einen Streich gespielt hatte, wenn sie sich trotz allem irgendwie mehr erhofft hatte.
âMeine Mutter lag falsch... du brauchst keinen Ersatz für deine Freundin, sondern für deine beste Freundin.â, stellte sie fest und kam sich auf ein Mal ziemlich blöd vor.
Er schien einen Moment nachzudenken und seine grünen Augen schienen sich wie ein Stimmungsring dunkler zu färben, als ihm etwas klar wurde.
âIch brauch keinen Ersatz für Anne... Ich glaub ich brauch einfach Anne.â, sagte er schlieÃlich und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
âWenn das nur mal jemand über mich denken würdeâ, dachte Valerie und strich ihre Haare nach hinten, während sie sich etwas vorbeugte um seinen gesenkten Blick auffangen zu können. Dann jedoch war sie sich nicht so sicher, ob es überhaupt schön war, jemandem so nah zu sein wie Simon und Anne es waren, wenn es ihn ja doch auf lange Sicht eher unglücklich zu machen schien.
âWarum habt ihr euch denn so plötzlich gestritten? Wenn ihr nie darüber geredet habt, was früher war?â
âIch hab sie in meiner Wohnung allein gelassen, um meinen Vater zu besuchen, und sie hat sich Sorgen gemacht, weil sie nicht wusste wo ich war und ich mich wohl ziemlich komisch benommen hab. Dann hat sie meine Notizbücher angeschaut, ich hab sie dabei erwischt, sie ziemlich mies angebrüllt und dann... Ich glaub, sie hatte Angst vor mir!â
Er wusste nicht, ob ihm das jetzt erst klar wurde oder ob es ihm die ganze Zeit bewusst war. Dass sie ihn noch nie richtig böse erlebt hatte, und dass er seiner besten Freundin, der er niemals irgendetwas zuleide tun konnte, wahrscheinlich einfach Angst gemacht hatte.
Wahrscheinlich hatte er nur verdrängt, dass er sich genau so benommen hatte, wie der Mensch, dem er am wenigsten ähnlich werden wollte.
Valerie seufzte. âVielleicht fährst du ihr einfach hinterher? Du weiÃt, dass meine Mutter dir sofort Urlaub geben würde, wenn sie dich dafür bald in deiner alten Form zurück hätte?â
âIch würd nur stören. Und vielleicht will ich auch nicht wissen, was die beiden so tun.â
âIch denk sie ist deine beste Freundin?â
âJa, aber ich mag den Kerl wirklich nicht.â
Er grinste und deutete ihren Gesichtsausdruck.
âIch bin nicht eifersüchtig. Nur hab ich nie überwunden, dass sie sich von ihm hat einwickeln lassen, nachdem er ihr die Kindheit im Heim zur Hölle gemacht hat... Und als ich ihr das gesagt hab, hat sie drei Monate nicht mit mir geredet â sie hat ihn immer über mich gestellt.â
Valerie wusste nicht, worauf sie zuerst antworten sollte.
âDu warst im Heim?â, fragte sie schlieÃlich und fühlte sich mit einem Mal schlecht wegen ihrer Aussagen über das Leben eines Einzel-Scheidungskindes.
âDas wusste ich nicht.â, fügte sie an, aber er lächelte nur.
âDann hat Lena dir ja nicht meine gesamte Lebensgeschichte erzählt. Irgendwie beruhigend.â
Er zwinkerte ihr zu und sie musste lachen. Betrunken war er irgendwie deutlich leichter zu verstehen.
*
Mark schaltete den Wecker aus und blieb noch einen Moment liegen. Anne hatte das Gesicht an seiner Seite verborgen, und er wurde sich bewusst, dass sie dies sehr lange nicht mehr getan hatte. Früher hätte er in ihrer Gegenwart unruhig geschlafen. Er hätte sich am nächsten Tag Sorgen gemacht, was er im Schlaf alles von sich preisgegeben haben könnte, sei es, dass er manchmal im Schlaf sprach, oder, dass sein Körper auf ihre Nähe meist sehr deutlich reagiert hatte. Heute aber sorgte er sich nicht, und er konnte sich fast nicht erklären wieso. Wann war dieser Schalter in ihm umgelegt worden, dass er nicht mehr verletzt war wegen dem, was damals gewesen war? Seit wann war er nicht mehr eifersüchtig darauf, dass Simon ständig Situationen wie diese und noch so viel mehr Zeit in ihrer Nähe erlebte? Die Veränderung war schleichend gewesen, und jetzt sorgte sich Mark nur noch, dass Anne irgendwann an der Suche nach ihrer Vergangenheit zerbrechen würde.
Simon wachte auf der Couch seiner Chefin wieder auf, als ihm eine Tasse Kaffee unter die Nase gehalten wurde.
Er rieb sich die Augen wie ein kleiner Junge und setzte sich auf, bevor er merkte, dass er nur Boxershorts trug und auÃerdem nicht in seiner Wohnung war.
âGuten Morgen, Simon.â, sagte Valerie nur grinsend, drückte ihm die Tasse und sein Hemd in die Hand und verschwand in der Küche.
Simon sah ihr hinterher und versuchte, sich zu erinnern, was passiert war.
Er bekam nie einen Kater, und heute war er wirklich extrem dankbar dafür. Das wäre das letzte, was er nach dieser Nacht voller merkwürdiger Erkenntnisse noch gebrauchen konnte. Gott sei Dank hatte er die Hälfte davon schon wieder vergessen.
Er trank den Kaffee leer, ohne davon auch nur ein bisschen wach zu werden, und zog das Hemd und seine Hose an, bevor er ihr in die Küche folgte.
âGuten Morgen.â, antwortete er dann und stellte seine leere Tasse ab.
âDusche? Treppe hoch, erste Tür links, Handtücher im Schrank.â, flüsterte sie und grinste. Bestimmt hatte er einen schrecklichen Kater, nach dem was er letzte Nacht noch alles getrunken hatte... AuÃerdem sah er so planlos und verpennt aus, dass sie fast Mitleid bekam.
âDanke.â, murmelte er nur und verschwand.
Während das Wasser auf seine Haare tropfte und sie langsam durchweichte, stand er ganz still. Es gab nichts, was er mehr hasste, als Wasser, aber ans Duschen hatte er sich irgendwann gewöhnt. Wie immer gab es da am Anfang diesen Punkt, an dem seine Atmung kurz aussetzte und er Bilder auf seiner Kindheit auf sich einprasseln fühlte wie das Wasser, das beständig über seinen Körper lief. Manchmal dachte er dann, er könne jeden einzelnen Tropfen spüren, der sich seinen Weg über seine Haut bahnte, und dann wollte er das Wasser am liebsten wieder abdrehen und es niemals wieder spüren.
Im Gegensatz zu Anne musste er sein verhasstes Element allerdings trotzdem jeden Tag konfrontieren, und so tat er es auch an diesem Morgen.
Simon war alles andere als verletzlich. Wer die Geschichte seiner Kindheit kannte, hätte vielleicht sogar gesagt, dass er unzerstörbar war, dass er keinen Schmerz spürte, keine Angst hatte.
Doch auch wenn er keine Reaktionen zeigte, wenn er Schmerz spürte, war dies nur eine antrainierte Fähigkeit, die er am liebsten nicht beherrschen würde. Und er selbst wusste, dass er mit beständigen Versuchen auch zerstörbar wäre, ja, dass es sogar jemand ein Mal fast geschafft hatte.
Und wenn er unter der Dusche stand, wurde ihm jeden Morgen erneut bewusst, dass er etwas anderes nicht war- nicht vollständig jedenfalls: Heilbar.
Er trocknete sich ab, zog sich an, schlüpfte wieder in seine zerknitterte Anzughose und das Hemd.
Das Badezimmer, in dem er stand, war liebevoll dekoriert, voller kleiner gelber Quietscheenten, Muscheln und Badesalzfläschchen. Ein richtiger Frauenhaushalt.
Langsam wurde er wach, lieà den vorherigen Tag und vor allem die Nacht Revue passieren und wurde sich bewusst, was für ein Idiot er war. Die Tochter seiner Chefin abweisen und sich dann auch noch bei ihr ausheulen?
Und überhaupt, wie hatte er Valerie abweisen können? Sie war hübsch, sie war intelligent, sie war sportlich, und sie hatte vor allem rein gar nichts mit seiner Vergangenheit zu tun.
Während seine Gedanken irgendwo zwischen dieser Erkenntnis und dem Fakt, dass seine Chefin heute Morgen an ihm vorbei gegangen sein und ihn, in Boxershorts und betrunken, auf ihrer Couch schlafen gesehen und wahrscheinlich auch noch schnarchen gehört haben musste, hin und her pendelten, tappte er die Treppe wieder hinunter und folgte dem Kaffeegeruch in die Küche.
Valerie saà auf einem Stuhl in der gemütlichen Sitzecke in der Küche und blätterte durch den Sportteil der Tageszeitung. Als Simon die Küchentür aufschob, blickte sie ihn direkt an und lächelte. Er lächelte zurück, goss sich noch Kaffee ein und setzte sich zu ihr, während sie Toast in den Toaster schob.
Nach dem nächsten Schluck wunderbar heiÃen Kaffees fragte er schlieÃlich, was ihm auf der Seele brannte.
âWo ist denn Lena?â
âSchon zur Arbeit. Sie meinte, ich solle dich absetzen, wenn ich zur Uni fahre.â
âAber sie ist doch schon gefahren...â, kombinierte er langsam, und sie erriet seine nächste Frage.
âJa, ich hab auch noch ein Auto. Wenn du keine Angst davor hast, mit mir und Sam zu fahren, nehmen wir dich mit.â
Simon sah von dem Wirtschaftsteil, den sie ihm gereicht hatte, auf, und fragte argwöhnisch: âWer ist denn Sam?â
Valerie kicherte. âDas Auto, Dummkopf. Ich hätte doch nicht versucht dich anzugraben, wenn ich noch jemanden hätte, nach dem sich die âWer ist denn der?â-Frage lohnt.â
Ihre Blicke trafen sich über der Zeitung und Simon versuchte, nicht an die merkwürdige Situation in der letzten Nacht zurückzudenken, doch es gelang ihm nicht.
âDa erinnerst du dich also dran, was?â
Valerie konnte seine Gedanken lesen.
âHey, ist okay, ich war ja nicht mal verliebt in dich oder so.â, meinte sie grinsend.
âDenk mal nicht, du hättest mir jetzt das Herz gebrochen. Himmel, du hast wirklich nicht viel Ahnung davon, deine Gefühle ein bisschen hinter einer Alltagsmaske zu verstecken, oder?â
Simon legte den Kopf schief. Er wusste wieder, warum er sie abgewiesen hatte: Jemanden, der so offen und freundlich war wie sie, kein bisschen nachtragend und so intelligent, so jemanden brauchte man als Freundin. Gerade dann, wenn man gerade niemanden anderes hatte. Gerade dann, wenn man so beziehungsunfähig war, wie er es war. Und vor allem dann, wenn man seinen Job direkt mit ihr verlieren würde, wenn es nicht funktionierte.
âNein.â, sagte er ehrlich.
âWahrscheinlich nicht. Nur die wirklich geheimen Gefühle.â
Er lächelte, nahm das fertige Toast aus dem Toaster und sie verschwand hinter ihrer Zeitung, ohne noch mehr Fragen zu stellen.
Sie war allein, sie hatte höchstens drei Stunden geschlafen und ihr tat alles weh. Anne wurde mit einen merkwürdigen Gefühl in der Magengegend wach- nein, wahrscheinlich war es nur dieses Gefühl, das sie überhaupt erst geweckt hatte.
Für einen kurzen Moment überlegte sie, ob es an dem Traum gelegen hatte oder daran, dass Mark nicht mehr da war, aber sie war sich sicher, dass etwas anderes falsch war. Sie blieb still liegen, hielt den Atem an und lauschte in die Wohnung hinein.
Bildete sie sich ein, dass aus der Küche Geräusche kamen? Ganz selten nur, während sie nachdachte, ruhig blieb und sich nicht bewegte, hörte sie dieses Geräusch, das sie zunächst nicht richtig einordnen konnte.
Dann war sie sich sicher. Es war nicht Mark, der dort in der Küche war, sich leise bewegte und ab und zu ein klackerndes Geräusch verursachte, als würde etwas immer wieder auf die Tischplatte gestellt.
Jemand war hier. Sie war nicht allein.