Die Rückfahrt dauerte ziemlich genau drei Mal so lange wie die Hinfahrt, zumindest kam es Emily so vor. Sie wollte nur noch in ihr Bett, sich selbst bemitleiden und Richard verfluchen, in Ruhe bei Gloria über ihn schimpfen, doch sie bogen erst auf den Highway auf, dabei kam es ihr schon so vor, als wären sie Ewigkeiten unterwegs. Ernest hatte sie zwei Mal gefragt, warum sie so dringend nach Hause wollte und zwei Mal hatte sie geantwortet, dass sie sich unpässlich fühlte. Doch in seinen Augen hatte sie gesehen, dass er ihr das nicht glaubte, dass er sich in Gedanken schon neben ihr liegen sah. Zu Recht, wie sie sich eingestehen musste, immerhin hatte sie dem armen Kerl Hoffnungen gemacht, mehr als nur das, sie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sie genau das wollte.
Sie schüttelte den Kopf und starrte aus dem Fenster. Wie hatte sie nur so unheimlich dumm sein können? Richard hatte sie den ganzen Abend geflissentlich ignoriert, viel eindeutiger hätte er sich gar nicht mehr verhalten können. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, drückte ihre Fingernägel gegen ihre Handflächen.
SchlieÃlich waren sie vor Emilys Wohnung angekommen. "Es war ein sehr schöner Abend.", bemerkte Ernest, beugte sich dabei zu Emily. Sie lächelte ihn an, wollte gerade die Türe öffnen, als er noch meinte: "Muss er denn schon zu Ende sein?" Im nächsten Augenblick fühlte sie sein Hand auf ihrer Wange, die ihr Gesicht mit stetigem Druck dem seinen näherte, er begann sie vorsichtig zu küssen, doch Emily drehte sich sofort weg, entzog sich ihm. "Er muss zu Ende sein.", gab sie entschlossen zurück, öffnete die Autotüre in der Hoffnung, dass er sie dann in Ruhe lassen würde, doch sie hatte sich getäuscht. Er legte seine Hand nun auf ihr Knie. "Aber da war doch was zwischen uns, den ganzen Abend, du hast es doch auch gefühlt..." Sie schob seine Hand bestimmt weg. "Danke für den Abend.", meinte Emily als sie aus dem Wagen stieg. "Aber da wird nie mehr zwischen uns sein." Mit diesen Worten knallte sie die Autotüre zu. Ihr erstes Problem hatte sich damit erledigt, doch ihr zweites Problem, das wesentlich gröÃer war, schien noch nicht einmal annähernd vor einer Lösung zu stehen.
Sie sperrte ihre Wohnung auf, stellte fest, dass keine ihrer Freundinnen zu Hause war. "Typisch..", murmelte sie und ging in ihr Zimmer. Genervt lieà sie sich auf ihr Bett fallen, unsicher, was sie in dem Moment eigentlich empfand. Sie überlegte einen Augenblick, was jetzt wohl zu tun sei, kam zu der Erkenntnis, dass es wohl am angebrachtesten wäre zu weinen, doch sie fühlte sich nicht nach Tränen. Selbst wenn sie es gewollt hätte, sie hätte unmöglich weinen können, sie war innerlich viel zu aufgebracht. Da sie nicht länger sinnlos auf ihrem Bett liegen wollte, beschloss sie irgendetwas Produktives zu machen. Für einen kurzen Moment bereute sie es fast, dass sie Ernest nicht mit nach oben genommen hatte, er hätte sie zumindest auf andere Ideen gebracht.
So ging sie in die Küche, holte eine angefangene Flasche WeiÃwein aus dem Kühlschrank, nahm sich ein Glas und setzte sich ins Wohnzimmer. Es war zwar nicht ihre optimale Vorstellung von Ablenkung, aber es war besser, als im Bett zu liegen und sich selbst zu bemitleiden. Sie fand es schade, dass keine ihrer Freundinnen zu Hause war. Carol war bestimmt mit Floyd unterwegs, Gloria wahrscheinlich mit einem ihrer Freunde und Melinda? Sie überlegte, wo Melinda um diese Uhrzeit sein könnte, kam jedoch nicht wirklich zu einer Erkenntnis. Vielleicht hatte sie auch ein Date? Angestrengt versuchte sie den Gedanken wieder zu verwerfen. So gerne sie Melinda auch hatte, so sehr beruhigte es sie jedes Mal, wenn sie Melinda sah, wusste, dass sie keinen Freund hatte. Solange Melinda Single war, standen Emilys Chancen gut, dass sie nicht die Letzte war, die verheiratet wird. Die Letzte. Bei diesem Gedanken zuckte sie leicht zusammen. Nichts schlimmeres konnte sie sich vorstellen, als am Ende über zu bleiben, zu den Hochzeiten ihrer Freundinnen gehen zu müssen, wissend, dass sie noch keinen Mann gefunden hatte.
Ein Schlüssel wurde in das Türschloss gesteckt, jemand versuchte vergeblich, ihn umzudrehen, hämmerte daher gegen die Türe. Emily seufzte, stand auf und öffnete.
âGloria.â, bemerkte sie kühl, drehte sich wieder um und ging zurück ins Wohnzimmer. Einen Augenblick gesellte sich dann Gloria zu ihr auf das Sofa.
âIch hatte dich später zurück erwartet.â, meinte Goria beläufig, kramte in ihrer Handtasche. Emily griff nach ihrem WeiÃweinglas. âNun, es war nicht der netteste Abend.â, gab sie zurück, ehe sie einen Schluck nahm. Gloria legte den Kopf nach hinten. âTja, Schwester, da sind wir schon zwei...â Sie seufzte. âMänner sind einfach Idioten, besonders die Männer, die mich mögen.â Mit einer schwungvollen Bewegung lehnte sich Gloria nach vorne, kippte den gesamten Inhalt ihrer Handtasche auf den Wohnzimmertisch. Dann wühlte sie darin umher, bis sie endlich ein zusammengefaltetes Blatt in Händen hielt.
âMan muss sie einfach vergessen.â, meinte Gloria und sah dabei Emily an. Dann zerriss sie den Zettel in ihren Händen, warf die Einzelteile auf den Tisch.
Emily konnte nicht anders, musste schmunzeln. âVon wem hast du dich da gerade verabschiedet?â Sie deutete mit dem Kopf auf die Papielfetzen am Tisch. âWilliam. Sehr netter Kerl, wirklich sehr nett, aber sehr verheiratet.â Sie seufzte. âSein Liebesgeschwafel werde ich jetzt jedenfalls nicht mehr brauchen.â
Emily nickte bestätigend. âMänner sind eben irgendwie eigen.â Ihr fiel das blonde Mädchen an Richards Seite wieder ein, die Art, wie er sie angesehen hatte, der Kuss zwischen ihnen und alles in ihr zog sich zusammen, sie fühlte sich kränklich, schwach. âDu sagst es.â, meinte Gloria und nahm ihr Zigarettenetui vom Tisch, bot Emily eine an, doch sie schüttelte den Kopf. âSag mal, fehlt dir dieser Richard?â, fragte Gloria plötzlich. Emily setzte sich gerade auf, sah Gloria verwirrt an. âWie kommst du jetzt bitte darauf?â
Gloria machte sich nicht die Mühe gleich zu antworten, sondern zündete sich in Ruhe eine Zigarette an, stand dann auf. Emily legte den Kopf schief. âWie kommst du da drauf?â Ein Lächeln huschte über Glorias Lippen. âNun, du scheinst ihm zu fehlen.â Emily verstand noch immer nicht, sah Gloria ratlos an. Diese stand auf, zog den Vorhang leicht zur Seite, schaute aus dem Fenster. âMeinte du, es ist Zufall, dass er schon seit ich wieder da bin untern in seinem Auto sitzt?â
Nun sprang Emily auf, stürmte auch zum Fenster und tatsächlich, auf der gegenüberliegenden StraÃenseite parkte Richards Auto. Er saà darin, schien nachzudenken. Emily fühlte ein unheimliches Kribbeln in ihrer Magengegend, musste unwillkürlich lächeln.
âVerliebt?â, hackte Gloria nach, wartete aber auf keine Antwort. âWas hältst du davon, wenn du zu ihm hinunter gehst?â
Gloria hatte den Satz noch nicht einmal ganz zu Ende gesprochen, da stürmte Emily schon aus der Wohnung, während Gloria sich langsam wieder auf das Sofa fallen lieÃ. Die Versöhnung zwischen den beiden musste sie nicht mitanschauen, sie konnte sich wahrlich tolleres vorstellen. âScheiÃkerle...â flüsterte sie, nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. Dann stand sie auf, holte ein Klebeband von ihrem Schreibtisch und begann die Papierfetzen wieder zusammenzufügen, bis sie wieder einen Brief in Händen hielt.