20.11.2005, 19:56
Mit der Kaffeetasse in der Hand schleicht er durch ihre Wohnung, er war noch nie alleine hier, fällt ihm auf. Ebenso wie ihm zum ersten Mal auffällt, dass es eigentlich ein schäbiges Loch ist, selbst das Zimmer ihrer Hausmädchen ist weitaus luxuriöser. Nun, es war ja auch seine Mutter, die es eingerichtet hat, guter Geschmack kann oft Wunder bewirken. Richard geht ins Badezimmer und stellt die Tasse auf dem Waschbecken ab. Dann nimmt er eine schnelle Dusche. Beim Abtrocknen fällt sein Blick auf den Badezimmerschrank. Es ist nicht richtig, denkt er sich, öffnet ihn dennoch neugierig und durchstöbert ihn. Seife und Creme, Haarspangen, ein Rasierer und Bürsten. Ein orangenes Tablettenröhrchen, Paracetamol liest er auf dem Etikett. Er nimmt eine gegen seine Kopfschmerzen und stellt es zurück, zieht anschlieÃend die Packung mit der Pille aus dem Schrank. Auch wenn es schändlich ist es zu tun, er tut es. Er holt den Tablettenstreifen aus der Pappschachtel und betrachtet die Rückseite eingehend, sie nimmt sie regelmäÃig, sehr schön. Nachdem er die Inspektion des Badezimmers beendet hat, zieht er sich an und nimmt sich auch ihr Zimmer vor, fängt mit ihrem Kleiderschrank an. Die meisten der Kleidungsstücke kennt er, hat sie mehr als einmal an ihr gesehen, sie scheint keine so groÃe Garderobe wie Pennilyn zu haben. Aber was sie hat, steht ihr auÃergewöhnlich. Bislang hat sie noch nie etwas getragen in dem sie nicht gut ausgesehen hätte. Ein paar der Kleider in ihrem Schrank kennt er allerdings nicht, auÃerdem erscheinen sie ihm ungewohnt brav für Emily. Schlichte Röcke und Blusen sind es, einfache Kleider, hochgeschlossen und nett, das ideale Outfit für den sonntäglichen Kirchenbesuch. Der Gedanke lässt ihn Grinsen und er schlieÃt den Schrank wieder, geht zu ihrem Nachtkästchen. Obwohl er weiÃ, was sich in der obersten Schublade befindet, öffnet er sie und nimmt die geöffnete Packung Kondome heraus. Er spielt kurz mit dem Gedanken sie zu zählen, aber nein, es wäre lächerlich, sie dermaÃen zu kontrollieren. Ãberhaupt sollte er froh sein, dass sie die Dinger bei Mr. Arschloch benutzt hat. Sie beide benützen sie zu seiner groÃen Erleichterung seit einer Weile nicht mehr und er hat keine Lust sich etwas einzufangen. Dieser Gedanke macht ihn nur noch wütender auf sie und - was ihn am allermeisten ärgert - er kann nicht anders, er sorgt sich auch um sie. Wie kann sie nur so gedankenlos sein? Sie sollte endlich heiraten und Kinder bekommen, verdammt. Natürlich, wenn man die allgemein vorherrschenden moralischen MaÃstäbe ansetzt, dann wird sie es schwer haben einen guten Ehemann zu finden, der bereit ist über ihre Vergangenheit hinwegzusehen. Aber sie ist eine schöne Frau, sie wird doch wohl wissen, wie sie Männer um den Fingern wickeln kann. Zumal sie es ja gestern selbst gesagt hat, sie wird nicht ewig tanzen können. Und er befürchtet ernsthaft, dass es, wenn sie weiterhin wie jedes gewöhnliche Flittchen vor sich hin lebt, dass dann selbst ihr reichlich vorhandenes Potential nicht ausreichen wird, um einen anständigen Ehemann abzubekommen. Seufzend legt er die Kondome zurück und durchstöbert den Rest des Nachtkästchens, Nähzeug, Bettwäsche. Bettwäsche. Saubere Bettwäsche. Richard macht sich daran das Bett abzuziehen, entsorgt alles im Mülleimer und holt frische Wäsche aus dem Kasten. Es dauert eine Weile bis er alle Teile zusammenhat, Kissen, Decke und Laken. Ebenso wie es dauert das Bett zu beziehen. Er hat das Hausmädchen zwar schon oft dabei beobachtet, aber es ist nicht so leicht wie es aussieht. Als er fertig ist, inspiziert er zufrieden mit seiner Meisterleistung die Bücherregale. Dafür, dass sie nur eine Tänzerin ist, hat sie beachtliche literarische Vorlieben, hat sogar einen Yeats hier stehen. Vergeudetes Potential, denkt er sich einmal mehr, wie kann man sein Leben nur so wegwerfen? Dann zieht er den Yeats aus dem Regal und setzt sich in den Sessel, allerdings kann er sich beim besten Willen nicht auf die chymische Rose konzentrieren. Daher ist er erleichtert, als Emily zehn Minuten später endlich auftaucht.
"Du bist noch hier?", fragt sie ihn überrascht und er schnaubt beleidigt.
"Soll ich gehen?"
Sie zuckt gleichgültig mit den Schultern hängt ihre Handtasche an den Garderobenständer. Ihr Blick bleibt dabei am Bet hängen. Bevor sie Gelegenheit dazu hat, sein Werk kommentieren kann, ergreift er das Wort.
"Wo warst du?", fragt er.
"Proben", erwidert sie knapp.
"Eine kurze Probe", sagt er nach einem flüchtigen Blick auf die Uhr, sonderlich lange kann sie wirklich nicht weg gewesen sein.
"Abe hat mich nach Hause geschickt. Er meinte, ich soll mir ein paar Tage frei nehmen."
"Soll ich solange hier bleiben?"
"Willst du dein schlechtes Gewissen beruhigen?"
"Ich will das tun, weswegen ich eigentlich hier bin. Und zwar ausgiebig."
"Mmh", ein leises Lachen, sie beginnt ihre Bluse aufzuknöpfen, geht zu ihm und wendet ihm lasziv den Rücken zu, streift den weiÃen Seidenstoff zu Boden und ihr nackter Rücken kommt zum Vorschein. Golden gebräunte Haut durchzogen mit blauen und lila Malen. Sie wendet sich ihm wieder zu und beugt sich über ihn. "Macht dich das etwa an?", erkundigt sie sich nüchtern.
"Nein", murmelt er wortlos, ein Kloà in seinem Hals.
"Dann", sagt sie und legt ihre Hand in seinen Schritt. "Solltest du deinen kleinen Freund hier besser vorerst lassen, wo er ist."
"Gut", er schiebt sie beiseite und steht auf, schlüpft in sein Jackett. "Ruf mich an, wenn es dir wieder besser geht."
"Ich habe deine Nummer nicht", erwidert sie und fast hätte er gelacht. Nur fast, ihm fällt ein, dass er ihr tatsächlich niemals seine Telefonnummer gegeben hat.
"Dann werde ich sie dir geben", bietet er an, greift nach einer alten Quittung auf dem Couchtisch, einem Bleistiftstummel, doch sie nimmt ihm beides wieder aus den Händen.
"Ich will sie nicht."
Er ist schon dabei zu protestieren, aber es würde nichts nützen, dass ahnt er. AuÃerdem will er noch nicht zurück nach New Haven, nichts erwartet ihn dort, Pennilyn wird noch mindestens bis Freitag in Aston sein und eine frigide Emily ist immer noch besser als die Langeweile eines leeren Studentenwohnheims gepaart mit asiatischen Paragraphen. Er hat sich eindeutig eine kleine Abwechslung verdient. "Willst du in die Oper?"
"In die Oper?", wiederholt sie sichtlich verblüfft.
"Sie spielen Manon Lescaut in der Met", er hat das Plakat gesehen, es ist das Beste was ihm auf die Schnelle einfiel. Das Beste und ironischerweise auch Passendste. "Ich könnte uns Karten besorgen."
"Du willst mit mir in die Met? Die Metropolitan Opera?", sie betont das du und mir mit Nachdruck, beginnt zu lachen noch ehe sie den Satz zu Ende gesprochen hat und er versteht beim besten Willen nicht was sie dermaÃen an diesem Angebot amüsiert.
"Weshalb nicht?", sagt er also leicht beleidigt.
"Ich habe nichts anzuziehen."
"Kauf dir ein neues Kleid."
"Nicht ich will in die Oper, sondern du."
"Dann werde ich dir eben ein Kleid kaufen", bietet er ihr erstaunt an, normalerweise lässt sie sich ja nicht Mal das Wasser bezahlen.
"Ich werde auch Schuhe brauchen."
"Die bekommst du", stimmt er zu.
"Die anderen Frauen werden Schmuck tragen, ich werde nicht ohne Schmuck in die Met gehen und mir unter all diesen reichen Weibern wie ein Aschenputtel vorkommen."
"Bitte, ich werde dir Schmuck besorgen, wenn du darauf bestehst."
"Das tue ich", sie verschränkt die Arme, vor seinem geistigen Auge sieht er sich auf einer silbernen Platte liegen, ausgenommen und mit SüÃkartoffeln gefüllt, einen Apfel im Maul. Wenn sie zuschlägt, dann richtig, hervorragend.
"Gut", er zückt sein Scheckbuch und stellt ihr einen Blankoscheck aus, reicht ihn ihr. "Wir treffen uns um sieben vor der Met. Und sei bitte pünktlich, sie lassen einen nicht mehr hinein, wenn die Vorstellung angefangen hat."
"Ich hoffe für dich, dass er gedeckt ist", ein Grinsen, dann bückt sie sich nach ihrer Bluse, er starrt sehnsüchtig auf ihren Hintern, fragt sich, wie ernst sie ihre Zurückweisung gemeint hat. Andererseits sind die Striemen auf ihrem Rücken wirklich kein schöner Anblick, er ist froh, als der Stoff ihrer Bluse ihn wieder bedeckt. Vielleicht sollte er Pennilyn einen Ãberraschungsbesuch in Aston abstatten, schieÃt es ihm durch den Kopf, ihm gefällt die Idee und sie würde sich sicher auch freuen.
"Wir sehen uns dann um Sieben", erklärt Emily und nimmt ihre Handtasche, schenkt ihm ein Lächeln, das beinahe so aussieht als würde sie sich darauf freuen. Natürlich, Mr. Arschloch ist nicht Gentleman genug, sie in die Oper ausführen, hält Puccini vermutlich für eine Wodka-Marke. AuÃerdem, wenn er jetzt geht, dann lässt er ihm freie Bahn und der Mistkerl würde vermutlich noch vorzeitig auf die Idee kommen, sie alleine für sich zu beanspruchen, keine befriedigende Option, dafür vögelt er sie einfach zu gern. "Um Sieben", bestätigt er und lässt seufzend die Aston-Idee fallen.
Hätte er ein Glas in der Hand, Champagner auf der Zunge - er würde sich verschlucken. Stattdessen sieht er sie mit aufgerissenen Augen an. Ein eng anliegendes, schulterfreies Kleid, das knapp über den Hüften in einen weit ausladenden Rock mündet, hunderte Schichten von dunkelgrüner Seide müssen es sein. Die nackten Schultern hat sie wohlweiÃlich mit einem Nerz bedeckt, das Make Up ist anders als sonst. Dezent. Perfekt. Mit dem kunstvoll hochgesteckten Haar wirkt sie tatsächlich wie eine Dame. "Du siehst einfach atemberaubend aus", erklärt er, fragt sich, was dieses Bild wohl gekostet haben mag. Seine Mutter unterstützt ihn zwar groÃzügig, aber ein Nerz, einen Nerz wird er ihr niemals erklären können.
"Danke", erklärt sie mit einem Lächeln, einem graziösen Nicken. "Was ist mit dem Schmuck?"
"Er ist nur geliehen", erklärt er und zieht ein Diamantcollier aus seiner Tasche, deutet ihr sich umzudrehen und legt es ihr um, ist dabei angestrengt bemüht, ihren Rücken nicht zu berühren. Dann holt er den zum Collier passenden Ring aus seiner Tasche und will ihn ihr schon über den Finger streifen, als er sich eines Besseren besinnt, ihre Hand stattdessen umdreht und ihn ihr auf die Handfläche legt.
"Und?", erkundigt sie sich und streift sich den Ring über, legt die beringte Hand auf das Collier um ihren Hals.
"Wunderschön", sagt er ganz ehrlich und sie strahlt, reicht ihm ein sorgsam gefaltetes Stück Papier. Er nimmt es entgegen, faltet es verwirrt auseinander, es ist sein Scheck. Er blickt vom Papier zu ihr, runzelt einerseits erleichtert, andererseits verwirrt die Stirn. "Aberâ¦"
"Mittlerweile solltest du wissen, dass ich mich nicht aushalten lasse", sagt sie. "Von keinem."
"Warum hast du dir den hier dann überhaupt geben lassen?", er deutet auf den Scheck, zerreist ihn demonstrativ in zwei Hälften, besser kein Risiko eingehen, fragt sich, woher sie das Geld für einen Nerz hat.
Sie zuckt mit den Schultern. "Mir ist kalt", weicht sie seiner Frage aus und er beschlieÃt es auf sich beruhen zu lassen. Stattdessen bietet er ihr seinen Arm an und sie hakt sich lächelnd ein, lässt sich von ihm in die Metropolitan Opera geleiten. Als sie das Gebäude betreten, bemerkt Richard, wie ihr sonst so zügiger Schritt sich verlangsamt. Wenn er es nicht besser wissen würde, würde er sagen, sie sieht ehrfürchtig aus.
"Es ist schön hier", erklärt sie und er weiÃ, dass sie tatsächlich so etwas wie ehrfürchtig zu sein scheint, ihr kindlicher Gesichtsausdruck amüsiert ihn geradezu.
"Du solltest erst den Palais Garnier sehen, das Grand Theâtre del Liceau, die Mailänder Scala. Dagegen ist das hier nur ein Wimpernschlag in der Geschichte."
"Ist es das?", sagt sie wenig begeistert.
"Und ob!", ruft er aus. "Die europäischen Opern, sie sind etwas ganz anderes als das hier. Sie sind geschichtsträchtig, wahre Zeugen der Zeit."
"Warum hat man diese hier dann überhaupt gebaut?", die Euphorie ist ihrem Gesicht mittlerweile gänzlich entschwunden.
"Eine Kopie des GroÃen", erwidert er.
"Eine Kopie", sie nickt, starrt auf die Stucküberzogene Decke. Er sieht derweil in den Raum und erschrickt. In der Ferne erkennt er Mona Strawford, Präsidentin der Hartfordter Daughters of the American Revolution und noch schlimmer, die geschwätzigste Person der Ostküste. Er packt Emily an den Schultern und stellt sie, wie lächerlich, er ist mindestens zwei Köpfe gröÃer, schützend vor sich.
"Was soll das?", fragt sie widerspenstig und er bedeutet ihr die Stimme nicht so laut zu erheben.
"Hör zu, Emily", flüstert er nervös. "Wir müssen von hier verschwinden."
"Ich denke gar nicht daran zu gehen!"
"Psst", mahnt er sie erneut. "Bitte, Mona Strawford ist hier. Wenn sie mich mit dir sieht, dann stecke ich im gröÃten Schlamassel."
"Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du mich hierher gebracht hast."
"Ich konnte doch nicht wissen, dass diese alte Hexe hier sein wird."
"Das ist mir vollkommen egal. Von mir aus kannst du gerne verschwinden, aber ich werde
bleiben."
"Emily", stöÃt er flehend aus. "Em-", wird er von Mona unterbrochen.
"Richard", ruft die Alte laut aus und er würde vor Scham am liebsten im Erdboden versinken, ertappt mit der Geliebten. Niemals wird Lynnie ihm das verzeihen, seine Zukunft wird vor seinem inneren Auge zu einem Klumpen Wachs.
"Mrs. Strawford", ruft Emily zu seiner Ãberraschung aus. "Wie schön sie wieder zu sehen."
"Missâ¦", erwidert die ältere Dame, das alte Waschweib.
"Pankhurst", ergänzet Emily bereitwillig. Mona denkt angestrengt nach, er fügt diese neue Information seinem Gedächtnis hinzu, offene Fenster kennen keine Türschilder. "Wir sind uns vergangenen Monat auf der Party der Huntingtons vorgestellt worden."
"Oh, natürlich!", ruft die Alte aus, Richard hat Mühe nicht zu lachen. "Ich erinnere mich, sie trugen dieses reizende blassgelbe Kleid."
"Ich kann es einfach nicht fassen, dass sie sich daran erinnern", flötet Emily gerührt, zumindest trägt es den perfekten Anschein. Sie legt die Hand auf das Collier, ein Seufzen.
"Wie hätte ich das vergessen können, meine Liebe, sie sahen einfach reizend aus!"
"Danke", ein bezauberndes Lächeln, dasselbe, das sie aufsetzt, wenn sie nach einer Vorstellung Komplimente entgegen nimmt.
"Eine wirklich reizende Begleitung haben sie sich da ausgesucht, Richard", sagt die alte Strawford und er fühlt sich wieder mit einem Schlag unbehaglich, wieder ist es Emily die zuerst das Wort ergreift.
"Eigentlich habe ich mir ihn ausgesucht", erklärt sie beschwingt. "Mein Verlobter hasst Opern. Also habe ich den armen Richard dazu genötigt mich zu begleiten. Ich musste diese Inszenierung einfach sehen."
"Unbedingt", stimmt Mona zu. "Ich bin jetzt schon zum dritten Mal hier und ich denke, es wird nicht das letzte Mal sein."
"Siehst du, Richard", Emily sieht ihn an, ein unschuldiger Augenaufschlag. "Dann kannst du dir die Oper also beruhigt noch mal zusammen mit Pennylin ansehen."
Hätte sie ihm mit der Faust in den Magen geschlagen, die Wirkung wäre nicht anders gewesen, Richard ringt kurz nach Atem, versucht dabei dennoch weiterzulächeln. "Alles in Ordnung, mein Lieber?", zwitschert Emily und ergreift seinen Ellenbogen. "Sie müssen wissen", fährt sie an Mona gewandt fort. "Er ist etwas nervös so kurz vor der Hochzeit."
"Ihr habt einen Termin festgelegt?", erkundigt sich Mona überrascht und er ahnt, was Emily mit dieser kleinen Posse bezwecken wollte. "Davon hat mir Lorelai ja gar nichts erzählt."
"Ein genaues Datum steht noch nicht fest, aber es wird wohl der Herbst werden. Lynnie liebt die Herbstfarben, sie meint sie würden hervorragend mit ihrem Teint harmonieren."
"Einer schönen Frau wie Pennilyn steht sicherlich jede Jahreszeit", schiebt Emily ein und er überlegt, wie er sie von Mona wegschaffen kann. Zu seinem Glück kommt sie ihm aber auch jetzt zuvor. "Wenn sie mich entschuldigen würden", sagt sie zu Mona. "Ich würde mir gerne die Nase pudern."
"Aber natürlich, meine Liebe. Es war mir ein Vergnügen, sie wieder zu sehen."
"Das Vergnügen war ganz meinerseits", sie knickst und verschwindet zu Richards unendlicher Erleichterung in Richtung Toiletten.
"Woher kennen sie sie, Richard?", erkundigt Mona sich und plötzlich hätte er Emily zu gerne wieder an seiner Seite.
"Wir, ähm, wir wurden uns in einem Restaurant vorgestellt", variiert er die Wahrheit. "Von, ähm, gemeinsamen Bekannten. Sie und ihr Verlobter und Pennilyn und ich."
"Mit wem ist sie denn verlobt?"
"Mit⦠einem Europäer. Italiener", lügt er jetzt gänzlich. Es fällt ihm leichter, denn angenommen. "Er stammt aus einer angesehenen Bankiersfamilie. Sehr angesehen, ihre Banken verteilen sich auf dem ganzen Kontinent und jetzt haben sie vor in die Vereinigten Staaten expandieren. Da liegt es natürlich auf der Hand, dass man die angemessenen gesellschaftlichen und familiären Kontakte knüpft."
"Europa", seufzt sie Mona wehmütig. "Ja, ich glaube, davon hat sie mir bei den Huntingtons erzählt. Eine Schande ist es, da gibt es immer weniger Amerikanerinneren mit Stil und Klasse und die heiraten dann auch noch nach Europa. Als ob sie auf dem alten Kontinent nicht genug davon hätten."
Er hatte es bestimmt nicht vor, aber er beginnt leise zu lachen und die Strawford sieht ihn entgeistert an. "Tut mir leid", erklärt er prustend. "Aber ich - entschuldigen sie mich", ohne ihr eine Erklärung zu liefern, lässt er sie stehen. Es ist zwar unhöflich, aber die Alte ist noch verrückter als er dachte. Ein Lobgesang auf das amerikanische Frauenbild am Beispiel Emilys - einfach zu köstlich. Während er sich langsam wieder beruhigt, sieht er sich suchend nach Monas Paradeamerikanerin um. Er hat noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen, entdeckt sie schlieÃlich im Getümmel und geht zu ihr.
"Du bist noch hier?", fragt sie ihn überrascht und er schnaubt beleidigt.
"Soll ich gehen?"
Sie zuckt gleichgültig mit den Schultern hängt ihre Handtasche an den Garderobenständer. Ihr Blick bleibt dabei am Bet hängen. Bevor sie Gelegenheit dazu hat, sein Werk kommentieren kann, ergreift er das Wort.
"Wo warst du?", fragt er.
"Proben", erwidert sie knapp.
"Eine kurze Probe", sagt er nach einem flüchtigen Blick auf die Uhr, sonderlich lange kann sie wirklich nicht weg gewesen sein.
"Abe hat mich nach Hause geschickt. Er meinte, ich soll mir ein paar Tage frei nehmen."
"Soll ich solange hier bleiben?"
"Willst du dein schlechtes Gewissen beruhigen?"
"Ich will das tun, weswegen ich eigentlich hier bin. Und zwar ausgiebig."
"Mmh", ein leises Lachen, sie beginnt ihre Bluse aufzuknöpfen, geht zu ihm und wendet ihm lasziv den Rücken zu, streift den weiÃen Seidenstoff zu Boden und ihr nackter Rücken kommt zum Vorschein. Golden gebräunte Haut durchzogen mit blauen und lila Malen. Sie wendet sich ihm wieder zu und beugt sich über ihn. "Macht dich das etwa an?", erkundigt sie sich nüchtern.
"Nein", murmelt er wortlos, ein Kloà in seinem Hals.
"Dann", sagt sie und legt ihre Hand in seinen Schritt. "Solltest du deinen kleinen Freund hier besser vorerst lassen, wo er ist."
"Gut", er schiebt sie beiseite und steht auf, schlüpft in sein Jackett. "Ruf mich an, wenn es dir wieder besser geht."
"Ich habe deine Nummer nicht", erwidert sie und fast hätte er gelacht. Nur fast, ihm fällt ein, dass er ihr tatsächlich niemals seine Telefonnummer gegeben hat.
"Dann werde ich sie dir geben", bietet er an, greift nach einer alten Quittung auf dem Couchtisch, einem Bleistiftstummel, doch sie nimmt ihm beides wieder aus den Händen.
"Ich will sie nicht."
Er ist schon dabei zu protestieren, aber es würde nichts nützen, dass ahnt er. AuÃerdem will er noch nicht zurück nach New Haven, nichts erwartet ihn dort, Pennilyn wird noch mindestens bis Freitag in Aston sein und eine frigide Emily ist immer noch besser als die Langeweile eines leeren Studentenwohnheims gepaart mit asiatischen Paragraphen. Er hat sich eindeutig eine kleine Abwechslung verdient. "Willst du in die Oper?"
"In die Oper?", wiederholt sie sichtlich verblüfft.
"Sie spielen Manon Lescaut in der Met", er hat das Plakat gesehen, es ist das Beste was ihm auf die Schnelle einfiel. Das Beste und ironischerweise auch Passendste. "Ich könnte uns Karten besorgen."
"Du willst mit mir in die Met? Die Metropolitan Opera?", sie betont das du und mir mit Nachdruck, beginnt zu lachen noch ehe sie den Satz zu Ende gesprochen hat und er versteht beim besten Willen nicht was sie dermaÃen an diesem Angebot amüsiert.
"Weshalb nicht?", sagt er also leicht beleidigt.
"Ich habe nichts anzuziehen."
"Kauf dir ein neues Kleid."
"Nicht ich will in die Oper, sondern du."
"Dann werde ich dir eben ein Kleid kaufen", bietet er ihr erstaunt an, normalerweise lässt sie sich ja nicht Mal das Wasser bezahlen.
"Ich werde auch Schuhe brauchen."
"Die bekommst du", stimmt er zu.
"Die anderen Frauen werden Schmuck tragen, ich werde nicht ohne Schmuck in die Met gehen und mir unter all diesen reichen Weibern wie ein Aschenputtel vorkommen."
"Bitte, ich werde dir Schmuck besorgen, wenn du darauf bestehst."
"Das tue ich", sie verschränkt die Arme, vor seinem geistigen Auge sieht er sich auf einer silbernen Platte liegen, ausgenommen und mit SüÃkartoffeln gefüllt, einen Apfel im Maul. Wenn sie zuschlägt, dann richtig, hervorragend.
"Gut", er zückt sein Scheckbuch und stellt ihr einen Blankoscheck aus, reicht ihn ihr. "Wir treffen uns um sieben vor der Met. Und sei bitte pünktlich, sie lassen einen nicht mehr hinein, wenn die Vorstellung angefangen hat."
"Ich hoffe für dich, dass er gedeckt ist", ein Grinsen, dann bückt sie sich nach ihrer Bluse, er starrt sehnsüchtig auf ihren Hintern, fragt sich, wie ernst sie ihre Zurückweisung gemeint hat. Andererseits sind die Striemen auf ihrem Rücken wirklich kein schöner Anblick, er ist froh, als der Stoff ihrer Bluse ihn wieder bedeckt. Vielleicht sollte er Pennilyn einen Ãberraschungsbesuch in Aston abstatten, schieÃt es ihm durch den Kopf, ihm gefällt die Idee und sie würde sich sicher auch freuen.
"Wir sehen uns dann um Sieben", erklärt Emily und nimmt ihre Handtasche, schenkt ihm ein Lächeln, das beinahe so aussieht als würde sie sich darauf freuen. Natürlich, Mr. Arschloch ist nicht Gentleman genug, sie in die Oper ausführen, hält Puccini vermutlich für eine Wodka-Marke. AuÃerdem, wenn er jetzt geht, dann lässt er ihm freie Bahn und der Mistkerl würde vermutlich noch vorzeitig auf die Idee kommen, sie alleine für sich zu beanspruchen, keine befriedigende Option, dafür vögelt er sie einfach zu gern. "Um Sieben", bestätigt er und lässt seufzend die Aston-Idee fallen.
Hätte er ein Glas in der Hand, Champagner auf der Zunge - er würde sich verschlucken. Stattdessen sieht er sie mit aufgerissenen Augen an. Ein eng anliegendes, schulterfreies Kleid, das knapp über den Hüften in einen weit ausladenden Rock mündet, hunderte Schichten von dunkelgrüner Seide müssen es sein. Die nackten Schultern hat sie wohlweiÃlich mit einem Nerz bedeckt, das Make Up ist anders als sonst. Dezent. Perfekt. Mit dem kunstvoll hochgesteckten Haar wirkt sie tatsächlich wie eine Dame. "Du siehst einfach atemberaubend aus", erklärt er, fragt sich, was dieses Bild wohl gekostet haben mag. Seine Mutter unterstützt ihn zwar groÃzügig, aber ein Nerz, einen Nerz wird er ihr niemals erklären können.
"Danke", erklärt sie mit einem Lächeln, einem graziösen Nicken. "Was ist mit dem Schmuck?"
"Er ist nur geliehen", erklärt er und zieht ein Diamantcollier aus seiner Tasche, deutet ihr sich umzudrehen und legt es ihr um, ist dabei angestrengt bemüht, ihren Rücken nicht zu berühren. Dann holt er den zum Collier passenden Ring aus seiner Tasche und will ihn ihr schon über den Finger streifen, als er sich eines Besseren besinnt, ihre Hand stattdessen umdreht und ihn ihr auf die Handfläche legt.
"Und?", erkundigt sie sich und streift sich den Ring über, legt die beringte Hand auf das Collier um ihren Hals.
"Wunderschön", sagt er ganz ehrlich und sie strahlt, reicht ihm ein sorgsam gefaltetes Stück Papier. Er nimmt es entgegen, faltet es verwirrt auseinander, es ist sein Scheck. Er blickt vom Papier zu ihr, runzelt einerseits erleichtert, andererseits verwirrt die Stirn. "Aberâ¦"
"Mittlerweile solltest du wissen, dass ich mich nicht aushalten lasse", sagt sie. "Von keinem."
"Warum hast du dir den hier dann überhaupt geben lassen?", er deutet auf den Scheck, zerreist ihn demonstrativ in zwei Hälften, besser kein Risiko eingehen, fragt sich, woher sie das Geld für einen Nerz hat.
Sie zuckt mit den Schultern. "Mir ist kalt", weicht sie seiner Frage aus und er beschlieÃt es auf sich beruhen zu lassen. Stattdessen bietet er ihr seinen Arm an und sie hakt sich lächelnd ein, lässt sich von ihm in die Metropolitan Opera geleiten. Als sie das Gebäude betreten, bemerkt Richard, wie ihr sonst so zügiger Schritt sich verlangsamt. Wenn er es nicht besser wissen würde, würde er sagen, sie sieht ehrfürchtig aus.
"Es ist schön hier", erklärt sie und er weiÃ, dass sie tatsächlich so etwas wie ehrfürchtig zu sein scheint, ihr kindlicher Gesichtsausdruck amüsiert ihn geradezu.
"Du solltest erst den Palais Garnier sehen, das Grand Theâtre del Liceau, die Mailänder Scala. Dagegen ist das hier nur ein Wimpernschlag in der Geschichte."
"Ist es das?", sagt sie wenig begeistert.
"Und ob!", ruft er aus. "Die europäischen Opern, sie sind etwas ganz anderes als das hier. Sie sind geschichtsträchtig, wahre Zeugen der Zeit."
"Warum hat man diese hier dann überhaupt gebaut?", die Euphorie ist ihrem Gesicht mittlerweile gänzlich entschwunden.
"Eine Kopie des GroÃen", erwidert er.
"Eine Kopie", sie nickt, starrt auf die Stucküberzogene Decke. Er sieht derweil in den Raum und erschrickt. In der Ferne erkennt er Mona Strawford, Präsidentin der Hartfordter Daughters of the American Revolution und noch schlimmer, die geschwätzigste Person der Ostküste. Er packt Emily an den Schultern und stellt sie, wie lächerlich, er ist mindestens zwei Köpfe gröÃer, schützend vor sich.
"Was soll das?", fragt sie widerspenstig und er bedeutet ihr die Stimme nicht so laut zu erheben.
"Hör zu, Emily", flüstert er nervös. "Wir müssen von hier verschwinden."
"Ich denke gar nicht daran zu gehen!"
"Psst", mahnt er sie erneut. "Bitte, Mona Strawford ist hier. Wenn sie mich mit dir sieht, dann stecke ich im gröÃten Schlamassel."
"Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du mich hierher gebracht hast."
"Ich konnte doch nicht wissen, dass diese alte Hexe hier sein wird."
"Das ist mir vollkommen egal. Von mir aus kannst du gerne verschwinden, aber ich werde
bleiben."
"Emily", stöÃt er flehend aus. "Em-", wird er von Mona unterbrochen.
"Richard", ruft die Alte laut aus und er würde vor Scham am liebsten im Erdboden versinken, ertappt mit der Geliebten. Niemals wird Lynnie ihm das verzeihen, seine Zukunft wird vor seinem inneren Auge zu einem Klumpen Wachs.
"Mrs. Strawford", ruft Emily zu seiner Ãberraschung aus. "Wie schön sie wieder zu sehen."
"Missâ¦", erwidert die ältere Dame, das alte Waschweib.
"Pankhurst", ergänzet Emily bereitwillig. Mona denkt angestrengt nach, er fügt diese neue Information seinem Gedächtnis hinzu, offene Fenster kennen keine Türschilder. "Wir sind uns vergangenen Monat auf der Party der Huntingtons vorgestellt worden."
"Oh, natürlich!", ruft die Alte aus, Richard hat Mühe nicht zu lachen. "Ich erinnere mich, sie trugen dieses reizende blassgelbe Kleid."
"Ich kann es einfach nicht fassen, dass sie sich daran erinnern", flötet Emily gerührt, zumindest trägt es den perfekten Anschein. Sie legt die Hand auf das Collier, ein Seufzen.
"Wie hätte ich das vergessen können, meine Liebe, sie sahen einfach reizend aus!"
"Danke", ein bezauberndes Lächeln, dasselbe, das sie aufsetzt, wenn sie nach einer Vorstellung Komplimente entgegen nimmt.
"Eine wirklich reizende Begleitung haben sie sich da ausgesucht, Richard", sagt die alte Strawford und er fühlt sich wieder mit einem Schlag unbehaglich, wieder ist es Emily die zuerst das Wort ergreift.
"Eigentlich habe ich mir ihn ausgesucht", erklärt sie beschwingt. "Mein Verlobter hasst Opern. Also habe ich den armen Richard dazu genötigt mich zu begleiten. Ich musste diese Inszenierung einfach sehen."
"Unbedingt", stimmt Mona zu. "Ich bin jetzt schon zum dritten Mal hier und ich denke, es wird nicht das letzte Mal sein."
"Siehst du, Richard", Emily sieht ihn an, ein unschuldiger Augenaufschlag. "Dann kannst du dir die Oper also beruhigt noch mal zusammen mit Pennylin ansehen."
Hätte sie ihm mit der Faust in den Magen geschlagen, die Wirkung wäre nicht anders gewesen, Richard ringt kurz nach Atem, versucht dabei dennoch weiterzulächeln. "Alles in Ordnung, mein Lieber?", zwitschert Emily und ergreift seinen Ellenbogen. "Sie müssen wissen", fährt sie an Mona gewandt fort. "Er ist etwas nervös so kurz vor der Hochzeit."
"Ihr habt einen Termin festgelegt?", erkundigt sich Mona überrascht und er ahnt, was Emily mit dieser kleinen Posse bezwecken wollte. "Davon hat mir Lorelai ja gar nichts erzählt."
"Ein genaues Datum steht noch nicht fest, aber es wird wohl der Herbst werden. Lynnie liebt die Herbstfarben, sie meint sie würden hervorragend mit ihrem Teint harmonieren."
"Einer schönen Frau wie Pennilyn steht sicherlich jede Jahreszeit", schiebt Emily ein und er überlegt, wie er sie von Mona wegschaffen kann. Zu seinem Glück kommt sie ihm aber auch jetzt zuvor. "Wenn sie mich entschuldigen würden", sagt sie zu Mona. "Ich würde mir gerne die Nase pudern."
"Aber natürlich, meine Liebe. Es war mir ein Vergnügen, sie wieder zu sehen."
"Das Vergnügen war ganz meinerseits", sie knickst und verschwindet zu Richards unendlicher Erleichterung in Richtung Toiletten.
"Woher kennen sie sie, Richard?", erkundigt Mona sich und plötzlich hätte er Emily zu gerne wieder an seiner Seite.
"Wir, ähm, wir wurden uns in einem Restaurant vorgestellt", variiert er die Wahrheit. "Von, ähm, gemeinsamen Bekannten. Sie und ihr Verlobter und Pennilyn und ich."
"Mit wem ist sie denn verlobt?"
"Mit⦠einem Europäer. Italiener", lügt er jetzt gänzlich. Es fällt ihm leichter, denn angenommen. "Er stammt aus einer angesehenen Bankiersfamilie. Sehr angesehen, ihre Banken verteilen sich auf dem ganzen Kontinent und jetzt haben sie vor in die Vereinigten Staaten expandieren. Da liegt es natürlich auf der Hand, dass man die angemessenen gesellschaftlichen und familiären Kontakte knüpft."
"Europa", seufzt sie Mona wehmütig. "Ja, ich glaube, davon hat sie mir bei den Huntingtons erzählt. Eine Schande ist es, da gibt es immer weniger Amerikanerinneren mit Stil und Klasse und die heiraten dann auch noch nach Europa. Als ob sie auf dem alten Kontinent nicht genug davon hätten."
Er hatte es bestimmt nicht vor, aber er beginnt leise zu lachen und die Strawford sieht ihn entgeistert an. "Tut mir leid", erklärt er prustend. "Aber ich - entschuldigen sie mich", ohne ihr eine Erklärung zu liefern, lässt er sie stehen. Es ist zwar unhöflich, aber die Alte ist noch verrückter als er dachte. Ein Lobgesang auf das amerikanische Frauenbild am Beispiel Emilys - einfach zu köstlich. Während er sich langsam wieder beruhigt, sieht er sich suchend nach Monas Paradeamerikanerin um. Er hat noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen, entdeckt sie schlieÃlich im Getümmel und geht zu ihr.