30.11.2005, 11:24
Sie ist nicht nach Hause, steht jetzt in Abes verrauchtem Büro, läuft ungeduldig hin und her, während sie auf ihn wartet. Viel zulange warten muss, obwohl sie keine Sekunde hat, es einfach nicht erträgt.
"Emily!", ruft er überrascht aus, als er nach einer halben Stunde endlich im Chagall auftaucht. "Was machst du denn um diese Zeit hier?"
"Ich muss mit dir reden, Abe", erklärt sie. Ungewöhnliche Worte, für sie, für ihn, vermutlich sehen sie beide überrascht aus.
"Reden?", hakt er deshalb mit gerunzelter Stirn nach und deutet ihr sich auf seine Couch zu setzen.
"Reden", bestätigt sie mit Nacchdruck und schlägt sittsam die Beine übereinander, sie will nicht, dass er auf dumme Gedanken kommt. Selbst wenn er es würde, es wäre auch egal. Solange sie bekommt was sie will.
"Um was geht es denn?"
"Philadelphia", antwortet sie, sie hat es sich auf der Rückfahrt von Yale genau überlegt. Es ist perfekt. Der perfekte Plan. Zumindest wenn sie ihre Familie auÃer Acht lässt. "Ich will in den Club in Philadelphia."
Abe beginnt leise zu lachen. "Das geht nicht", schmettert er ihre Bitte ab, schüttelt gutmütig den Kopf dabei.
"Du hast selbst gesagt, dass du noch gute Tänzerinnen dort brauchst. Und ich bin gut, verdammt, Abe, ich bin vermutlich die Beste, die du hast."
"Auch ein Grund, weshalb ich dich hier behalten werde."
"Auch ein Grund?"
"Emmy", er seufzt und setzt sich neben sie, tätschelt aufmunternd ihr Knie. "Ich bin neu in Philadelphia. Meine Kontakte dort sind bei weitem nicht so gut wie in Manhattan, die Scheià Bullen filzen den Laden jeden zweiten Abend. Was glaubst du wohl wird passieren, wenn sie dich dort finden?"
"Was soll schon groà passieren?", entgegnet sie trotzig.
"Sie werden mir deinen Ausweis unter die Nase halten, mich einbuchten und dich schneller wieder nach Hause zu deinen Eltern schicken, als du Philadelphia buchstabieren kannst."
"Dasselbe könnte hier auch passieren."
"Kann es nicht", widerspricht er. "Und selbst wenn - ein Anruf bei Huntington und er klärt die Sache. Aber in Philadelphia -", ein Zischen, Abe erneut schüttelt den Kopf. "Nein, dass ist mir zu riskant."
"Louis kann mir sicher einen Ausweis besorgen, Abe, bitte!"
"Es geht nicht, Emmy", bleibt er hartnäckig. "AuÃerdem kannst du das Imperia nicht mit dem Chagall vergleichen, der Laden läuft ganz anders. Da geht es nicht ums Tanzen sondern darum, dass man mit Frauen in kurzen Röckchen nun Mal jede Menge Kohle machen kann. AuÃerdem sind die Jungs in Philadelphia um einiges ungehobelter, als hier in New York. Das ist nichts für ein Mädchen wie dich."
"Lass das meine Sorge sein."
"Ich habe Nein gesagt", blockt er wieder ab und Emily ahnt, dass sie mit Logik und Argumenten hier nicht weiterkommt. Also tut sie das, was sie am Besten kann. Sie rückt ein Stück näher an Abe, streicht ihm zärtlich über das Ohr. "Aber du bist zur Zeit so oft in Philadelphia", haucht sie. "Wenn ich auch dort wäre, dann hätten wir viel mehr voneinander."
"Emmy", wehrt er ab und sie steht auf, stellt sich vor ihn.
"Wir sind ein gutes Team, Abe", erklärt sie. Mit einer flieÃenden Handbewegung schiebt sie die Träger ihres Kleides über ihre Schultern und es gleitet zu Boden. Dann klettert sie auf seinen SchoÃ, beginnt sein Hemd aufzuknöpfen.
"Du wirst es garantiert nicht bereuen", gurrt sie, streift den Stoff zur Seite, küsst seine nackte Brust. "Zusammen könnten wir aus dem Laden was machen. Du hinter und ich auf der Bühne und hinterher -", sie öffnet seinen Gürtel, küsst ihn fordernd, während sie ihn zu stimulieren beginnt.
"Gott", keucht er, seine Hände wandern über ihren Körper, machen sich am Verschluss ihres BHs zu schaffen. Sie nimmt ihm die Arbeit ab, redet dabei weiter.
"Wenn du willst kannst du das zukünftig jeden Abend haben", sie rutscht auf den Boden und zieht ihm seine Hose aus. "Morgens, mittags", fährt sie fort, geht dabei zu seinem Schreibtisch und holt ein Kondom aus der Schublade, wirft es ihm zu. "Wann immer du willst, wo du es willst und wie du es willst", eine weitere Handbewegung und sie entledigt sich auch ihres Slips, setzt sich auf ihn, berechnende Bewegungen. Kurz bevor er soweit ist, hält sie inne. "Was ist?", fragt sie ihn leise, streift seinen Mund. "Lässt du mich in Philadelphia tanzen?"
Abe gibt ein unglückliches Stöhnen von sich, sie erstickt es mit einem Kuss, den er schlieÃlich mit einem Nicken unterbricht. "Okay", keucht er. "Und jetzt mach weiter."
"Danke", sagt sie mit einem Lächeln, ist erleichtert und unglücklich zugleich. Dann tut sie ihm den Gefallen weiterzumachen, ist selbst in Gedanken ganz woanders. Ist schon in Philadelphia, ist bei Richard. Weg von ihm. Sie will ihn nicht mehr sehen, nie wieder. Sie hat ihn immer für einen anständigen Kerl gehalten, vielleicht sogar für einen besseren als Jefferson. Aber sie hat sich geirrt, jeder räudige StraÃenköter hat mehr Anstand im Körper als Richard.
Philadelphia, klein und dreckig. Zumindest im Vergleich zu New York. So sehr sie hierher wollte: Sie hat die Stadt vom ersten Augenblick an gehasst. Abe hat sie zwar vorgewarnt, ihr gesagt, dass Philadelphia anders ist als New York, aber sie hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist. Das Imperia ist aber tatsächlich nicht mehr als ein vergammeltes Loch in dem sie sich von Betrunkenen angrabschen lassen muss. Jedes Bordell hat vermutlich mehr Stil. Schon alleine die Tatsache, dass dem Wort der Accent fehlt - Herrgott, es heiÃt Impéria - sagt alles. Halleluja, Philadelphia und das Imperia, der Vorhof zur Hölle. Wenigstens sind ihre Kolleginnen nett, wenigstens das ist anders. Hier gibt es keine Silvias, die mit Brust und Hintern wackeln und sich für eine zweite Josefine Baker halten. Die Mädchen im Imperia haben ihr Handwerk alle mehr oder weniger gelernt. Es macht Spaà mit ihnen zu tanzen. Es macht Spaà die Choreographien der alten Terry zu tanzen, die kleinen Doubles und Pirouetten, die sie einbaut. Im Publikum bemerkt sie zwar kein Schwein, aber zu wissen, dass sie in der Lage dazu ist sie zu tanzen genügt schon. Zu wissen das sie noch etwas anderes wirklich gut kann, etwas anderes als die Beine breit zu machen und sich von irgendeinem dahergelaufenen Buchhalter bespringen zu lassen. Eigentlich war sie es ja, die ihn besprungen hat. Sie hätte damals zu Paul gehen sollen, anstatt sich mit Richard einzulassen. Weià der Himmel wieso sie es getan hat, weià der Himmel, weshalb sie ihn nicht schon vor Monaten abserviert hat. Ein kleiner, räudiger StraÃenköter, den man gewaschen und ein teures Halsband umgelegt hat, mehr nicht. Verflucht, man stelle sich vor, sie hätte sich in ihn verliebt, dann wäre sie jetzt tatsächlich am Arsch. Aber so, nun so ist sie lediglich im Vorhof zur Hölle. Und solange es nur der Vorhof und nicht der eigentliche Exklusivclub ist, wird sie auch irgendwann wieder hinausfinden. Hofft sie wenigstens und verkürzt sich die Wartezeit mit Pirouetten, mit Doubles, doppelten Wodkas und hin und wieder einer schnellen Nummer. Wobei sie hier die Verdopplung meidet. Fürs Erste hat sie genug vom Spiel. Die Regeln werden ohnehin gebrochen, früher oder später brechen sie einem das Genick. C'est la vie, würde ihre Mutter sagen und ihr Vater würde zustimmend brummen, obwohl er bis heute nicht weiÃ, was es heiÃt. Mom und Dad, Hopie. Sie vermisst sie. Sie sind sauer auf sie. Wie könnten sie es auch nicht sein. Mitten in der Nacht ist sie bei ihnen aufgetaucht und hat sich verabschiedet. Sie haben mich versetzt, es ging so schnell, Maman, Papa, bitte, ihr müsst mich gehen lassen, es ist eine tolle Chance. Sie brauchen mich da unten. Geschäfte mit Frankreich, ihr wisst ja, da haben sie es gerne, wenn jemand die Sprache spricht. Die Franzosen haben es gerne, das weiÃt du doch selbst, Maman. Sie halten jeden der sie nicht spricht für einen Idioten, un borné. Je sais, Amelie. Mais tu sais, que je suis enceinte. Nous avoir besoin de toi. Pourquoi? Une autre mort?
Die Wohnung ist klein, aber zu ihrer Ãberraschung alles andere als schäbig. Sie würde es eher kitschig nennen, roter Samt und goldene Fransen die jedem Puff zur Ehre genügen würden. Michael leitet sie ohne groÃe Umwege in sein Schlafzimmer in dem es nicht anders aussieht, seltsamer Prunk für einen Kerl wie ihn. Wobei, ein Kerl wie er - sie hat keine Ahnung, was für ein Kerl er ist, sie kennt ihn noch keine drei Stunden. Er hat sie nach der Vorstellung auf einen Drink eingeladen, sie haben sich eine Weile gegenseitig unter die Lupe genommen und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie eine gewisse körperliche Anziehungskraft besteht, die man durchaus und wenn auch nur für eine Nacht vertiefen könnte, das übliche Schema eben. Deshalb lässt sie sich von ihm küssen und auf sein Bett werfen. Sie ziehen sich gegenseitig aus, Küsse und Berührungen die immer leidenschaftlich werden bis er schlieÃlich ihre Hand zwischen seine Beine führt. Sie streichelt ihn, während ihre Zungen sich umkreisen, er sich irgendwann schwer atmend von ihr löst, ein erregtes Stöhnen. "ScheiÃe, Baby", sagt er. "Du bist so was von geil." Dann drückt er sie nach unten und sie tut ihm den Gefallen, keine zwei Minuten später spült sie sich ohnehin schon wieder den Mund über dem Waschbecken aus. "Du bist echt verdammt gut, Kleines", ruft er ihr zu und sie starrt ihr Spiegelbild an. "Das bin ich wohl", flüstert sie.
"Was hast du gesagt?", erkundigt er sich, liegt noch immer breitbeinig auf dem Bett, eigentlich ein trauriger Anblick.
"Nur, dass dann wohl ich dran bin", lügt sie, auÃerdem hat sie es sich ja wohl redlich verdient.
Er verzieht das Gesicht, zündet sich einen Joint an. "Da steh ich nicht so drauf", erklärt er. "Aber gib mir fünf Minuten, dann besorg ich's dir richtig." Fünf Minuten, denkt sie belustigt. Aber da er kaum älter als sie zu sein scheint, ist das vermutlich nicht Mal ein Witz.
Kein Witz, sie ist völlig erledigt und dennoch seltsam unbefriedigt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er sie hinterher gekonnt zwischen den Beinen streichelt und sie einen weiteren Orgasmus hat. Aber auch er schafft es nicht die Leere in ihr zu erreichen, geschweige denn sie zu vertreiben und wie so oft in den letzten Wochen fragt sie sich, was mit ihr los ist, weshalb sie nicht mehr funktioniert. Weshalb nichts mehr so funktioniert, wie es sollte. Sie beschlieÃt einen weiteren Anlauf zu nehmen, fängt wieder an Michael zu küssen, ihn zu verführen, lässt sich von ihm verführen.
"WeiÃt du", murmelt er nach einer Weile an ihren Bauch, seine Zunge gleitet um ihren Bauchnabel. "Eine wie dich sollte man heiraten."
"Was?", erkundigt sie sich lachend und er blickt auf.
"Na ja, du siehst toll aus, du bist gut im Bett und du verdienst dein eigenes Geld."
"Du glaubst doch nicht, dass ich dich aushalten würde!?"
"Ich bitte dich, nein, das wäre furchtbar schlecht für meine Männlichkeit", erwidert er. "Aber ich müsste mein hartverdientes Geld nicht für Schnickschnack wie Parfüm oder Blumen ausgeben. Das könntest du dir alles selber kaufen."
"Wie romantisch", sagt sie und er spreizt ihre Beine, legt sich über sie, beginnt ihren Hals zu küssen. "Der Traum jeder Frau sich die Blumen zum Hochzeitstag selber kaufen zu müssen", fügt sie dennoch so trocken wie möglich hinzu.
"Zum Hochzeitstag würde ich dir was ganz anderes schenken", sagt er und sie stöhnt leise auf, als er sich in sie schiebt.
"Ach ja?"
"Ja", bestätigt er, nimmt sie mit zärtlicher Bestimmtheit. "Und nicht nur an unserem Hochzeitstag", seine Zunge schlägt gegen ihre Zähne, sie gewährt ihr Einlass, ebenso wie sie beginnt ihm ihren Unterkörper entgegenzudrängen. "Jeden Tag, Baby", keucht er zwischen zwei Küssen. "Du hast es verdient, alles verdienst du."
Es sind nur Worte. Die einen Männer flüstern einem beim Sex Obszönitäten ins Ohr, die anderen liebevolle Zärtlichkeiten. Worte um die Erregung zu kompensieren, zu steigern, zu befriedigen. Leere Worte. Deshalb weià sie selbst nicht warum, aber sie kann nicht anders, beginnt plötzlich zu weinen und er hält erstaunt inne. "Was….?"
"Tut mir leid", flüstert sie und klettert unter ihm hervor, greift nach ihrem Kleid und zieht es sich hastig über den Kopf. "Aber ich muss weg."
"Du kannst doch nicht einfach so mittendrin - ich… hab ich was Falsches gemacht? Was Falsches gesagt?"
"Nein, hast du nicht", wehrt sie ab und schlüpft dabei in ihren Slip, zieht sich anschlieÃend die Schuhe an, sieht sich suchend nach ihrer Handtasche um. "Es war alles richtig und unglaublich nett."
"Warum haust du dann ab?"
"Weil ich -", sie hält inne, wischt sich resolut die Tränen aus dem Gesicht und beginnt leise zu lachen. "WeiÃt du, ich hab mich an die Regeln gehalten. Ich habe mich immer an diese verdammten Regeln gehalten und trotzdem musste es wieder passieren. Kannst du mir das erklären? Kannst du mir sagen warum ich mich schon wieder in ein erbärmliches Arschloch verliebt habe? Kann mir bitte irgendjemand erklären, wie es passieren konnte, obwohl ich mich an die verdammten Regeln gehalten habe?" Emily wird bewusst, dass sie Michael anschreit und sie klappt ihren Mund wieder zu. Sie hebt entschuldigend die Hände, ein Lächeln, ein Schütteln mit dem Kopf, dann geht sie.
Zuhause angekommen geht sie ohne Umwege direkt zum Kühlschrank, holt eine Flasche Wodka hervor und geht mit ihr ins Wohnzimmer. Beinahe würde Emily sie fallen lassen, als sie den dunklen Schatten auf dem Sessel erkennt. "Abe!?!", stöÃt sie überrascht aus. "Abe, Darling", setzt sie freundlicher hinzu. "Was machst du denn hier?"
"Ich bin einen Tag früher gekommen", erklärt er sein unangemeldetes Erscheinen. Einerseits freut sie sich über das vertraute Gesicht. Andererseits wird er mit ihr schlafen wollen.
"Das ist schön", sagt sie deshalb so neutral wie möglich, hält die Wodka-Flasche ein Stück nach oben, eine lächerliche Geste. "Drink!?", bietet sie ihm an, schenkt sich und ihm ein Glas ein.
"Danke", nimmt er es entgegen und nippt daran. "Wo warst du?"
"Das geht dich nichts an", blockt sie ab.
"Emmy", lenkt er ein. "Begreif doch endlich - ich habe hier die Verantwortung für dich."
"Das heiÃt nicht, dass du mich kontrollieren kannst."
"Das will ich auch nicht", erwidert er. "Glaubst du etwa sonst würde ich es zulassen, dass du in der Gegend herumvögelst wie die Scheià Hure von Babylon?"
Emily lacht leise auf und leert ihr Glas in einem hastigen Zug. "Das ist nicht wahr", zischt sie.
"Wir wissen beide, dass es wahr ist. Es gibt kaum einen Kunden aus dem Imperia mit dem du in den letzten zwei Monaten noch nicht im Bett warst, auÃerdem riechst du als hättest du die Nacht in einer dieser dreckigen Kommune verbracht."
"Mach dich nicht lächerlich!", wehrt Emily ab, doch Abe bohrt weiter. Mehr noch, er steht auf und packt sie unsanft am Kinn, starrt ihr in die Augen.
"Hast du etwa etwas genommen? Du weiÃt ganz genau, dass ich keine Drogen -"
"Nein!", fällt sie ihm ungehalten ins Wort und reiÃt sich von ihm los. Es ist ja auch die Wahrheit. Michael hat es ihr zwar zwischen Fellatio und Coitus angeboten, aber sie hat dankend abgelehnt. Egal mit wie vielen Männern sie ins Bett steigt, egal wie sehr Abe in diesem Punkt Recht hat - so tief will sie nicht sinken. "Du weiÃt ganz genau, dass ich so etwas nicht tun würde. Niemals."
"Emmy", sagt er, sein Tonfall ist plötzlich wieder sanft und nett. "Ich halte es für das Beste, wenn du wieder im Chagall arbeitest."
"Ich will aber nicht zurück nach New York!", streitet sie ab, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünscht. Selbst wenn Richard dort ist, ihre Familie ist ebenso dort. "Ich kann nicht", setzt sie leiser hinzu.
"Weswegen?"
"Weil ich -", ein gekünsteltes Lachen. "Ich mag Philadelphia. Gott, ich liebe diese Stadt, ich liebe das Imperia. Es ist genau das, was ich immer wollte." "Mmh", brummt Abe nachdenklich. Sie betet, dass er ihr glaubt. Er tut es nicht. "Er ist so gut wie jeden Abend im Chagall, weiÃt du das?", sagt er, seinem Tonfall hört sie an, dass er versucht es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. Er. Der Buchalter. Richard. Was will er noch dort? Es ist doch aus. Aus. Aus. Aus. Da war ja nicht einmal etwas, dass man hätte beenden können. Was will er also dort dieser elende Hurensohn?
"Wen meinst du?", stellt sie sich dumm, beiÃt sich auf die Zunge. Nicht, mahnt sie sich, nicht, du dumme Gans, hör auf, hör doch endlich auf, bitte. Hör auf.
"Dein feiner Piefke", erklärt Abe, was sie längst weiÃ. Was sie innerlich gehofft hat.
"Lass ihn doch", erwidert sie so kühl wie möglich und steht ebenfalls auf. "Solange er keinen Ãrger macht."
"Willst du wissen, ob er Ãrger macht?"
"Es ist mir egal, Abe", lügt sie. "Von mir aus könnt ihr -", sie beiÃt sich auf die Zunge, es ist eine gefährliche Versuchung. Emily lässt sich hinreiÃen, wenigstens einmal soll der Buchhalter spüren wie es ist. "Er war es, Abe", sagt sie deshalb. "Er hat mich so zugerichtet. Er hat mich damals geschlagen."
"Willst du das wirklich?", erkundigt er sich und sie zögert einen Moment, ehe sie nickt.
"Ja", bestätigt sie. "Gott, ja."
"Alles klar", Abes Gesicht hellt sich endlich wieder auf, er drückt ihr einen Kuss auf die Wange, dann geht er zu ihrem Telefon. Sie kennt diese Art von Telefonaten zu genüge. Sie kennt die Folgen. Zerschlagene Gesichter, gebrochene Knochen, dunkelviolette Blutergüsse und manchmal auch schwarze Särge. Trotzdem lauscht sie wie gebannt Abes gesenkter Stimme, den Anweisungen die er gibt, wartet bis er auflegt und sie ansieht. Zufrieden?, scheint sein Gesicht zu fragen und sie schluckt, der kurze Moment des Triumphes ist vorbei. Emily schüttelt abwehrend den Kopf. Auch Abe schüttelt den Kopf, nimmt wieder den Hörer ab, wählt dieselbe Nummer.
"Bist du dir ganz sicher, Emmy?", erkundigt er sich, hält dabei die Hand vor die Muschel. Sie schafft es nicht sich zu artikulieren, nickt lediglich zustimmend und Abe zieht seine Männer zurück. Zieht sie zurück und Emily wird von Erleichterung durchströmt. Egal was war, es würde nichts nützen. Er könnte und würde es nicht verstehen. Sie will es nicht. Nicht mehr. Denn warum sollte auch er Schmerz verspüren?
"Danke", sagt sie heiser, nachdem Abe wieder aufgelegt hat.
"Lass uns ins Schlafzimmer gehen", sagt er.
Natürlich, es spricht nichts dagegen. Sie nickt zustimmend und geht voran, er folgt ihr. Abes Küsse schmecken plötzlich noch fahler als die Michaels, als sie sich schon halb ausgezogen hat, hält sie inne. "Ich habe keine Lust", erklärt sie.
"Sondern?"
"Ich -", sie sieht ihm in die Augen, sucht Ausflüchte. "Es ist gleich sechs, ich bin zu müde" erzählt sie schlieÃlich. Erst Michael, jetzt Abe. Was ist falsch, Emily, fragt sie sich zum zweiten Mal an diesem Tag. Mach weiter wie bisher, dann vergisst du schneller. Mach es einfach, verdammt, dumme Gans. Elende, dumme, blöde, dumme, dumme Gans. Wenigstens ist dann da jemand. Wenigstens bist du nicht allein. Keine Träume. Keine Angst.
"Okay", sagt Abe und wendet sich zum Gehen.
"Warte", hält sie ihn auf, als er schon fast zur Tür heraus ist.
"Jetzt doch?"
"Nein", antwortet sie, es kostet Emily einiges an Ãberwindung. Doch wenn sie nicht ehrlich zu ihm ist, er ist doch der Einzige, der ihr geblieben ist in diesem Drecksloch. "Aber kannst du trotzdem bleiben? Bitte."
"Warum sollte ich?"
"Weil ich dich darum bitte, Abe. Bitte bleib", sie weiÃ, dass sie ihn anfleht wie ein hilfloses Kind. Aber es ist ihr egal, solange er nur bleibt. Solange sie nicht alleine sein muss. Wenn er unbedingt darauf besteht, dann vögelt sie ihn ja auch. Alles solange sie nicht allein bleiben muss. Doch Abe scheint nicht zu verstehen, will es vermutlich auch nicht. Wer kann es ihm auch verdenken?
"Ich muss zurück nach New York", sagt er, obwohl es eine Lüge ist, sie wissen es beide.
"Oh", flüstern sie trotzdem so unwissend wir möglich. "Natürlich", fügt sie ein gelogenes Lächeln hinzu.
Abe zuckt mit den Schultern, er sieht beinahe so aus als täte es ihm leid. Trotzdem gibt er ihr keinen Abschiedskuss wie üblich, sondern geht ohne weitere Worte. Emily greift nach dem Wodka auf dem Couchtisch und nimmt direkt einen Schluck aus der Flasche. Nimmt die Flasche mit ins Badezimmer und spült groÃzügig drei Paracetamol mit dem Inhalt hinunter. Na schön, dann wird sie sich morgen eben die Seele aus dem Leib kotzen, dafür wird sie wenigstens ein paar Stunden geschlafen haben. Ein paar Stunden Schlaf nur, endlich. Eine weitere Dosis Wodka und Emily torkelt schon halb zu ihrem Bett. Der Alkohol wirkt schneller als sonst, sie hat den ganzen Tag nichts gegessen. Ohne sich die Mühe machen sich ihre verbliebenen Kleidungsstücke vollends auszuziehen, wirft sie sich auf das Bett, ein paar weitere Schluck Wodka, ein paar weitere Selbstzweifel und Vorwürfe, hinuntergespült mit einer ordentlichen Dosis Wodka. Und Gedanken, viel zu viele Gedanken bis die Wirkung des Alkohols und der Tabletten endlich einsetzt. Gedanken. Ein Messer, schneidet es doch weg, irgendwer. Graue Masse, Gehirn und Nervenstränge. Warum geht es denn nicht?
What do you get when you fall in love? You only get lies and pain and sorrow…Wäre der Song 1964 schon geschrieben gewesen, sie hätte ihn unterschrieben. Selbst als Emily ihn 5 Jahre später zum ersten Mal im Shubert Theatre hört, fühlt sie sich seltsam flau im Magen.
"Emily!", ruft er überrascht aus, als er nach einer halben Stunde endlich im Chagall auftaucht. "Was machst du denn um diese Zeit hier?"
"Ich muss mit dir reden, Abe", erklärt sie. Ungewöhnliche Worte, für sie, für ihn, vermutlich sehen sie beide überrascht aus.
"Reden?", hakt er deshalb mit gerunzelter Stirn nach und deutet ihr sich auf seine Couch zu setzen.
"Reden", bestätigt sie mit Nacchdruck und schlägt sittsam die Beine übereinander, sie will nicht, dass er auf dumme Gedanken kommt. Selbst wenn er es würde, es wäre auch egal. Solange sie bekommt was sie will.
"Um was geht es denn?"
"Philadelphia", antwortet sie, sie hat es sich auf der Rückfahrt von Yale genau überlegt. Es ist perfekt. Der perfekte Plan. Zumindest wenn sie ihre Familie auÃer Acht lässt. "Ich will in den Club in Philadelphia."
Abe beginnt leise zu lachen. "Das geht nicht", schmettert er ihre Bitte ab, schüttelt gutmütig den Kopf dabei.
"Du hast selbst gesagt, dass du noch gute Tänzerinnen dort brauchst. Und ich bin gut, verdammt, Abe, ich bin vermutlich die Beste, die du hast."
"Auch ein Grund, weshalb ich dich hier behalten werde."
"Auch ein Grund?"
"Emmy", er seufzt und setzt sich neben sie, tätschelt aufmunternd ihr Knie. "Ich bin neu in Philadelphia. Meine Kontakte dort sind bei weitem nicht so gut wie in Manhattan, die Scheià Bullen filzen den Laden jeden zweiten Abend. Was glaubst du wohl wird passieren, wenn sie dich dort finden?"
"Was soll schon groà passieren?", entgegnet sie trotzig.
"Sie werden mir deinen Ausweis unter die Nase halten, mich einbuchten und dich schneller wieder nach Hause zu deinen Eltern schicken, als du Philadelphia buchstabieren kannst."
"Dasselbe könnte hier auch passieren."
"Kann es nicht", widerspricht er. "Und selbst wenn - ein Anruf bei Huntington und er klärt die Sache. Aber in Philadelphia -", ein Zischen, Abe erneut schüttelt den Kopf. "Nein, dass ist mir zu riskant."
"Louis kann mir sicher einen Ausweis besorgen, Abe, bitte!"
"Es geht nicht, Emmy", bleibt er hartnäckig. "AuÃerdem kannst du das Imperia nicht mit dem Chagall vergleichen, der Laden läuft ganz anders. Da geht es nicht ums Tanzen sondern darum, dass man mit Frauen in kurzen Röckchen nun Mal jede Menge Kohle machen kann. AuÃerdem sind die Jungs in Philadelphia um einiges ungehobelter, als hier in New York. Das ist nichts für ein Mädchen wie dich."
"Lass das meine Sorge sein."
"Ich habe Nein gesagt", blockt er wieder ab und Emily ahnt, dass sie mit Logik und Argumenten hier nicht weiterkommt. Also tut sie das, was sie am Besten kann. Sie rückt ein Stück näher an Abe, streicht ihm zärtlich über das Ohr. "Aber du bist zur Zeit so oft in Philadelphia", haucht sie. "Wenn ich auch dort wäre, dann hätten wir viel mehr voneinander."
"Emmy", wehrt er ab und sie steht auf, stellt sich vor ihn.
"Wir sind ein gutes Team, Abe", erklärt sie. Mit einer flieÃenden Handbewegung schiebt sie die Träger ihres Kleides über ihre Schultern und es gleitet zu Boden. Dann klettert sie auf seinen SchoÃ, beginnt sein Hemd aufzuknöpfen.
"Du wirst es garantiert nicht bereuen", gurrt sie, streift den Stoff zur Seite, küsst seine nackte Brust. "Zusammen könnten wir aus dem Laden was machen. Du hinter und ich auf der Bühne und hinterher -", sie öffnet seinen Gürtel, küsst ihn fordernd, während sie ihn zu stimulieren beginnt.
"Gott", keucht er, seine Hände wandern über ihren Körper, machen sich am Verschluss ihres BHs zu schaffen. Sie nimmt ihm die Arbeit ab, redet dabei weiter.
"Wenn du willst kannst du das zukünftig jeden Abend haben", sie rutscht auf den Boden und zieht ihm seine Hose aus. "Morgens, mittags", fährt sie fort, geht dabei zu seinem Schreibtisch und holt ein Kondom aus der Schublade, wirft es ihm zu. "Wann immer du willst, wo du es willst und wie du es willst", eine weitere Handbewegung und sie entledigt sich auch ihres Slips, setzt sich auf ihn, berechnende Bewegungen. Kurz bevor er soweit ist, hält sie inne. "Was ist?", fragt sie ihn leise, streift seinen Mund. "Lässt du mich in Philadelphia tanzen?"
Abe gibt ein unglückliches Stöhnen von sich, sie erstickt es mit einem Kuss, den er schlieÃlich mit einem Nicken unterbricht. "Okay", keucht er. "Und jetzt mach weiter."
"Danke", sagt sie mit einem Lächeln, ist erleichtert und unglücklich zugleich. Dann tut sie ihm den Gefallen weiterzumachen, ist selbst in Gedanken ganz woanders. Ist schon in Philadelphia, ist bei Richard. Weg von ihm. Sie will ihn nicht mehr sehen, nie wieder. Sie hat ihn immer für einen anständigen Kerl gehalten, vielleicht sogar für einen besseren als Jefferson. Aber sie hat sich geirrt, jeder räudige StraÃenköter hat mehr Anstand im Körper als Richard.
Philadelphia, klein und dreckig. Zumindest im Vergleich zu New York. So sehr sie hierher wollte: Sie hat die Stadt vom ersten Augenblick an gehasst. Abe hat sie zwar vorgewarnt, ihr gesagt, dass Philadelphia anders ist als New York, aber sie hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist. Das Imperia ist aber tatsächlich nicht mehr als ein vergammeltes Loch in dem sie sich von Betrunkenen angrabschen lassen muss. Jedes Bordell hat vermutlich mehr Stil. Schon alleine die Tatsache, dass dem Wort der Accent fehlt - Herrgott, es heiÃt Impéria - sagt alles. Halleluja, Philadelphia und das Imperia, der Vorhof zur Hölle. Wenigstens sind ihre Kolleginnen nett, wenigstens das ist anders. Hier gibt es keine Silvias, die mit Brust und Hintern wackeln und sich für eine zweite Josefine Baker halten. Die Mädchen im Imperia haben ihr Handwerk alle mehr oder weniger gelernt. Es macht Spaà mit ihnen zu tanzen. Es macht Spaà die Choreographien der alten Terry zu tanzen, die kleinen Doubles und Pirouetten, die sie einbaut. Im Publikum bemerkt sie zwar kein Schwein, aber zu wissen, dass sie in der Lage dazu ist sie zu tanzen genügt schon. Zu wissen das sie noch etwas anderes wirklich gut kann, etwas anderes als die Beine breit zu machen und sich von irgendeinem dahergelaufenen Buchhalter bespringen zu lassen. Eigentlich war sie es ja, die ihn besprungen hat. Sie hätte damals zu Paul gehen sollen, anstatt sich mit Richard einzulassen. Weià der Himmel wieso sie es getan hat, weià der Himmel, weshalb sie ihn nicht schon vor Monaten abserviert hat. Ein kleiner, räudiger StraÃenköter, den man gewaschen und ein teures Halsband umgelegt hat, mehr nicht. Verflucht, man stelle sich vor, sie hätte sich in ihn verliebt, dann wäre sie jetzt tatsächlich am Arsch. Aber so, nun so ist sie lediglich im Vorhof zur Hölle. Und solange es nur der Vorhof und nicht der eigentliche Exklusivclub ist, wird sie auch irgendwann wieder hinausfinden. Hofft sie wenigstens und verkürzt sich die Wartezeit mit Pirouetten, mit Doubles, doppelten Wodkas und hin und wieder einer schnellen Nummer. Wobei sie hier die Verdopplung meidet. Fürs Erste hat sie genug vom Spiel. Die Regeln werden ohnehin gebrochen, früher oder später brechen sie einem das Genick. C'est la vie, würde ihre Mutter sagen und ihr Vater würde zustimmend brummen, obwohl er bis heute nicht weiÃ, was es heiÃt. Mom und Dad, Hopie. Sie vermisst sie. Sie sind sauer auf sie. Wie könnten sie es auch nicht sein. Mitten in der Nacht ist sie bei ihnen aufgetaucht und hat sich verabschiedet. Sie haben mich versetzt, es ging so schnell, Maman, Papa, bitte, ihr müsst mich gehen lassen, es ist eine tolle Chance. Sie brauchen mich da unten. Geschäfte mit Frankreich, ihr wisst ja, da haben sie es gerne, wenn jemand die Sprache spricht. Die Franzosen haben es gerne, das weiÃt du doch selbst, Maman. Sie halten jeden der sie nicht spricht für einen Idioten, un borné. Je sais, Amelie. Mais tu sais, que je suis enceinte. Nous avoir besoin de toi. Pourquoi? Une autre mort?
Die Wohnung ist klein, aber zu ihrer Ãberraschung alles andere als schäbig. Sie würde es eher kitschig nennen, roter Samt und goldene Fransen die jedem Puff zur Ehre genügen würden. Michael leitet sie ohne groÃe Umwege in sein Schlafzimmer in dem es nicht anders aussieht, seltsamer Prunk für einen Kerl wie ihn. Wobei, ein Kerl wie er - sie hat keine Ahnung, was für ein Kerl er ist, sie kennt ihn noch keine drei Stunden. Er hat sie nach der Vorstellung auf einen Drink eingeladen, sie haben sich eine Weile gegenseitig unter die Lupe genommen und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie eine gewisse körperliche Anziehungskraft besteht, die man durchaus und wenn auch nur für eine Nacht vertiefen könnte, das übliche Schema eben. Deshalb lässt sie sich von ihm küssen und auf sein Bett werfen. Sie ziehen sich gegenseitig aus, Küsse und Berührungen die immer leidenschaftlich werden bis er schlieÃlich ihre Hand zwischen seine Beine führt. Sie streichelt ihn, während ihre Zungen sich umkreisen, er sich irgendwann schwer atmend von ihr löst, ein erregtes Stöhnen. "ScheiÃe, Baby", sagt er. "Du bist so was von geil." Dann drückt er sie nach unten und sie tut ihm den Gefallen, keine zwei Minuten später spült sie sich ohnehin schon wieder den Mund über dem Waschbecken aus. "Du bist echt verdammt gut, Kleines", ruft er ihr zu und sie starrt ihr Spiegelbild an. "Das bin ich wohl", flüstert sie.
"Was hast du gesagt?", erkundigt er sich, liegt noch immer breitbeinig auf dem Bett, eigentlich ein trauriger Anblick.
"Nur, dass dann wohl ich dran bin", lügt sie, auÃerdem hat sie es sich ja wohl redlich verdient.
Er verzieht das Gesicht, zündet sich einen Joint an. "Da steh ich nicht so drauf", erklärt er. "Aber gib mir fünf Minuten, dann besorg ich's dir richtig." Fünf Minuten, denkt sie belustigt. Aber da er kaum älter als sie zu sein scheint, ist das vermutlich nicht Mal ein Witz.
Kein Witz, sie ist völlig erledigt und dennoch seltsam unbefriedigt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er sie hinterher gekonnt zwischen den Beinen streichelt und sie einen weiteren Orgasmus hat. Aber auch er schafft es nicht die Leere in ihr zu erreichen, geschweige denn sie zu vertreiben und wie so oft in den letzten Wochen fragt sie sich, was mit ihr los ist, weshalb sie nicht mehr funktioniert. Weshalb nichts mehr so funktioniert, wie es sollte. Sie beschlieÃt einen weiteren Anlauf zu nehmen, fängt wieder an Michael zu küssen, ihn zu verführen, lässt sich von ihm verführen.
"WeiÃt du", murmelt er nach einer Weile an ihren Bauch, seine Zunge gleitet um ihren Bauchnabel. "Eine wie dich sollte man heiraten."
"Was?", erkundigt sie sich lachend und er blickt auf.
"Na ja, du siehst toll aus, du bist gut im Bett und du verdienst dein eigenes Geld."
"Du glaubst doch nicht, dass ich dich aushalten würde!?"
"Ich bitte dich, nein, das wäre furchtbar schlecht für meine Männlichkeit", erwidert er. "Aber ich müsste mein hartverdientes Geld nicht für Schnickschnack wie Parfüm oder Blumen ausgeben. Das könntest du dir alles selber kaufen."
"Wie romantisch", sagt sie und er spreizt ihre Beine, legt sich über sie, beginnt ihren Hals zu küssen. "Der Traum jeder Frau sich die Blumen zum Hochzeitstag selber kaufen zu müssen", fügt sie dennoch so trocken wie möglich hinzu.
"Zum Hochzeitstag würde ich dir was ganz anderes schenken", sagt er und sie stöhnt leise auf, als er sich in sie schiebt.
"Ach ja?"
"Ja", bestätigt er, nimmt sie mit zärtlicher Bestimmtheit. "Und nicht nur an unserem Hochzeitstag", seine Zunge schlägt gegen ihre Zähne, sie gewährt ihr Einlass, ebenso wie sie beginnt ihm ihren Unterkörper entgegenzudrängen. "Jeden Tag, Baby", keucht er zwischen zwei Küssen. "Du hast es verdient, alles verdienst du."
Es sind nur Worte. Die einen Männer flüstern einem beim Sex Obszönitäten ins Ohr, die anderen liebevolle Zärtlichkeiten. Worte um die Erregung zu kompensieren, zu steigern, zu befriedigen. Leere Worte. Deshalb weià sie selbst nicht warum, aber sie kann nicht anders, beginnt plötzlich zu weinen und er hält erstaunt inne. "Was….?"
"Tut mir leid", flüstert sie und klettert unter ihm hervor, greift nach ihrem Kleid und zieht es sich hastig über den Kopf. "Aber ich muss weg."
"Du kannst doch nicht einfach so mittendrin - ich… hab ich was Falsches gemacht? Was Falsches gesagt?"
"Nein, hast du nicht", wehrt sie ab und schlüpft dabei in ihren Slip, zieht sich anschlieÃend die Schuhe an, sieht sich suchend nach ihrer Handtasche um. "Es war alles richtig und unglaublich nett."
"Warum haust du dann ab?"
"Weil ich -", sie hält inne, wischt sich resolut die Tränen aus dem Gesicht und beginnt leise zu lachen. "WeiÃt du, ich hab mich an die Regeln gehalten. Ich habe mich immer an diese verdammten Regeln gehalten und trotzdem musste es wieder passieren. Kannst du mir das erklären? Kannst du mir sagen warum ich mich schon wieder in ein erbärmliches Arschloch verliebt habe? Kann mir bitte irgendjemand erklären, wie es passieren konnte, obwohl ich mich an die verdammten Regeln gehalten habe?" Emily wird bewusst, dass sie Michael anschreit und sie klappt ihren Mund wieder zu. Sie hebt entschuldigend die Hände, ein Lächeln, ein Schütteln mit dem Kopf, dann geht sie.
Zuhause angekommen geht sie ohne Umwege direkt zum Kühlschrank, holt eine Flasche Wodka hervor und geht mit ihr ins Wohnzimmer. Beinahe würde Emily sie fallen lassen, als sie den dunklen Schatten auf dem Sessel erkennt. "Abe!?!", stöÃt sie überrascht aus. "Abe, Darling", setzt sie freundlicher hinzu. "Was machst du denn hier?"
"Ich bin einen Tag früher gekommen", erklärt er sein unangemeldetes Erscheinen. Einerseits freut sie sich über das vertraute Gesicht. Andererseits wird er mit ihr schlafen wollen.
"Das ist schön", sagt sie deshalb so neutral wie möglich, hält die Wodka-Flasche ein Stück nach oben, eine lächerliche Geste. "Drink!?", bietet sie ihm an, schenkt sich und ihm ein Glas ein.
"Danke", nimmt er es entgegen und nippt daran. "Wo warst du?"
"Das geht dich nichts an", blockt sie ab.
"Emmy", lenkt er ein. "Begreif doch endlich - ich habe hier die Verantwortung für dich."
"Das heiÃt nicht, dass du mich kontrollieren kannst."
"Das will ich auch nicht", erwidert er. "Glaubst du etwa sonst würde ich es zulassen, dass du in der Gegend herumvögelst wie die Scheià Hure von Babylon?"
Emily lacht leise auf und leert ihr Glas in einem hastigen Zug. "Das ist nicht wahr", zischt sie.
"Wir wissen beide, dass es wahr ist. Es gibt kaum einen Kunden aus dem Imperia mit dem du in den letzten zwei Monaten noch nicht im Bett warst, auÃerdem riechst du als hättest du die Nacht in einer dieser dreckigen Kommune verbracht."
"Mach dich nicht lächerlich!", wehrt Emily ab, doch Abe bohrt weiter. Mehr noch, er steht auf und packt sie unsanft am Kinn, starrt ihr in die Augen.
"Hast du etwa etwas genommen? Du weiÃt ganz genau, dass ich keine Drogen -"
"Nein!", fällt sie ihm ungehalten ins Wort und reiÃt sich von ihm los. Es ist ja auch die Wahrheit. Michael hat es ihr zwar zwischen Fellatio und Coitus angeboten, aber sie hat dankend abgelehnt. Egal mit wie vielen Männern sie ins Bett steigt, egal wie sehr Abe in diesem Punkt Recht hat - so tief will sie nicht sinken. "Du weiÃt ganz genau, dass ich so etwas nicht tun würde. Niemals."
"Emmy", sagt er, sein Tonfall ist plötzlich wieder sanft und nett. "Ich halte es für das Beste, wenn du wieder im Chagall arbeitest."
"Ich will aber nicht zurück nach New York!", streitet sie ab, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünscht. Selbst wenn Richard dort ist, ihre Familie ist ebenso dort. "Ich kann nicht", setzt sie leiser hinzu.
"Weswegen?"
"Weil ich -", ein gekünsteltes Lachen. "Ich mag Philadelphia. Gott, ich liebe diese Stadt, ich liebe das Imperia. Es ist genau das, was ich immer wollte." "Mmh", brummt Abe nachdenklich. Sie betet, dass er ihr glaubt. Er tut es nicht. "Er ist so gut wie jeden Abend im Chagall, weiÃt du das?", sagt er, seinem Tonfall hört sie an, dass er versucht es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. Er. Der Buchalter. Richard. Was will er noch dort? Es ist doch aus. Aus. Aus. Aus. Da war ja nicht einmal etwas, dass man hätte beenden können. Was will er also dort dieser elende Hurensohn?
"Wen meinst du?", stellt sie sich dumm, beiÃt sich auf die Zunge. Nicht, mahnt sie sich, nicht, du dumme Gans, hör auf, hör doch endlich auf, bitte. Hör auf.
"Dein feiner Piefke", erklärt Abe, was sie längst weiÃ. Was sie innerlich gehofft hat.
"Lass ihn doch", erwidert sie so kühl wie möglich und steht ebenfalls auf. "Solange er keinen Ãrger macht."
"Willst du wissen, ob er Ãrger macht?"
"Es ist mir egal, Abe", lügt sie. "Von mir aus könnt ihr -", sie beiÃt sich auf die Zunge, es ist eine gefährliche Versuchung. Emily lässt sich hinreiÃen, wenigstens einmal soll der Buchhalter spüren wie es ist. "Er war es, Abe", sagt sie deshalb. "Er hat mich so zugerichtet. Er hat mich damals geschlagen."
"Willst du das wirklich?", erkundigt er sich und sie zögert einen Moment, ehe sie nickt.
"Ja", bestätigt sie. "Gott, ja."
"Alles klar", Abes Gesicht hellt sich endlich wieder auf, er drückt ihr einen Kuss auf die Wange, dann geht er zu ihrem Telefon. Sie kennt diese Art von Telefonaten zu genüge. Sie kennt die Folgen. Zerschlagene Gesichter, gebrochene Knochen, dunkelviolette Blutergüsse und manchmal auch schwarze Särge. Trotzdem lauscht sie wie gebannt Abes gesenkter Stimme, den Anweisungen die er gibt, wartet bis er auflegt und sie ansieht. Zufrieden?, scheint sein Gesicht zu fragen und sie schluckt, der kurze Moment des Triumphes ist vorbei. Emily schüttelt abwehrend den Kopf. Auch Abe schüttelt den Kopf, nimmt wieder den Hörer ab, wählt dieselbe Nummer.
"Bist du dir ganz sicher, Emmy?", erkundigt er sich, hält dabei die Hand vor die Muschel. Sie schafft es nicht sich zu artikulieren, nickt lediglich zustimmend und Abe zieht seine Männer zurück. Zieht sie zurück und Emily wird von Erleichterung durchströmt. Egal was war, es würde nichts nützen. Er könnte und würde es nicht verstehen. Sie will es nicht. Nicht mehr. Denn warum sollte auch er Schmerz verspüren?
"Danke", sagt sie heiser, nachdem Abe wieder aufgelegt hat.
"Lass uns ins Schlafzimmer gehen", sagt er.
Natürlich, es spricht nichts dagegen. Sie nickt zustimmend und geht voran, er folgt ihr. Abes Küsse schmecken plötzlich noch fahler als die Michaels, als sie sich schon halb ausgezogen hat, hält sie inne. "Ich habe keine Lust", erklärt sie.
"Sondern?"
"Ich -", sie sieht ihm in die Augen, sucht Ausflüchte. "Es ist gleich sechs, ich bin zu müde" erzählt sie schlieÃlich. Erst Michael, jetzt Abe. Was ist falsch, Emily, fragt sie sich zum zweiten Mal an diesem Tag. Mach weiter wie bisher, dann vergisst du schneller. Mach es einfach, verdammt, dumme Gans. Elende, dumme, blöde, dumme, dumme Gans. Wenigstens ist dann da jemand. Wenigstens bist du nicht allein. Keine Träume. Keine Angst.
"Okay", sagt Abe und wendet sich zum Gehen.
"Warte", hält sie ihn auf, als er schon fast zur Tür heraus ist.
"Jetzt doch?"
"Nein", antwortet sie, es kostet Emily einiges an Ãberwindung. Doch wenn sie nicht ehrlich zu ihm ist, er ist doch der Einzige, der ihr geblieben ist in diesem Drecksloch. "Aber kannst du trotzdem bleiben? Bitte."
"Warum sollte ich?"
"Weil ich dich darum bitte, Abe. Bitte bleib", sie weiÃ, dass sie ihn anfleht wie ein hilfloses Kind. Aber es ist ihr egal, solange er nur bleibt. Solange sie nicht alleine sein muss. Wenn er unbedingt darauf besteht, dann vögelt sie ihn ja auch. Alles solange sie nicht allein bleiben muss. Doch Abe scheint nicht zu verstehen, will es vermutlich auch nicht. Wer kann es ihm auch verdenken?
"Ich muss zurück nach New York", sagt er, obwohl es eine Lüge ist, sie wissen es beide.
"Oh", flüstern sie trotzdem so unwissend wir möglich. "Natürlich", fügt sie ein gelogenes Lächeln hinzu.
Abe zuckt mit den Schultern, er sieht beinahe so aus als täte es ihm leid. Trotzdem gibt er ihr keinen Abschiedskuss wie üblich, sondern geht ohne weitere Worte. Emily greift nach dem Wodka auf dem Couchtisch und nimmt direkt einen Schluck aus der Flasche. Nimmt die Flasche mit ins Badezimmer und spült groÃzügig drei Paracetamol mit dem Inhalt hinunter. Na schön, dann wird sie sich morgen eben die Seele aus dem Leib kotzen, dafür wird sie wenigstens ein paar Stunden geschlafen haben. Ein paar Stunden Schlaf nur, endlich. Eine weitere Dosis Wodka und Emily torkelt schon halb zu ihrem Bett. Der Alkohol wirkt schneller als sonst, sie hat den ganzen Tag nichts gegessen. Ohne sich die Mühe machen sich ihre verbliebenen Kleidungsstücke vollends auszuziehen, wirft sie sich auf das Bett, ein paar weitere Schluck Wodka, ein paar weitere Selbstzweifel und Vorwürfe, hinuntergespült mit einer ordentlichen Dosis Wodka. Und Gedanken, viel zu viele Gedanken bis die Wirkung des Alkohols und der Tabletten endlich einsetzt. Gedanken. Ein Messer, schneidet es doch weg, irgendwer. Graue Masse, Gehirn und Nervenstränge. Warum geht es denn nicht?
What do you get when you fall in love? You only get lies and pain and sorrow…Wäre der Song 1964 schon geschrieben gewesen, sie hätte ihn unterschrieben. Selbst als Emily ihn 5 Jahre später zum ersten Mal im Shubert Theatre hört, fühlt sie sich seltsam flau im Magen.